Chinas 180-Grad-Drehung - UNITI Bundesverband ...
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2—2021 Wie gerecht ist die Energiewende im Verkehr? Synthetische Kraftstoffe sind der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält 1,2 Millionen neue Arbeitsplätze in Europa So könnte Power-to-X für einen neuen Aufschwung sorgen Chinas 180-Grad- Drehung WARUM DIE WELTMACHT LAUT ASIENEXPERTIN NICOLE STEIGER SCHON WIEDER ÜBER ALTERNATIVEN ZUM E-AUTO NACHDENKT
„Ich finde … die Entwicklung von synthetischen Kraftstoffen … spannend. Wir sollten technologieoffen bleiben Foto: Julia Sellmann/laif und nichts durch einseitige Festlegungen verhindern.“ Armin Laschet, CDU-Vorsitzender, NRW-Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der CDU im „Handelsblatt“ vom 3. Mai 2021
Klimaschutz muss sozial ausgeglichen gestaltet sein Udo Weber, Vorstandsvorsitzender von UNITI Bundesverband mittelständischer Mineralöl- unternehmen e.V. IHRE MEINUNG IST UNS Dass Europa spätestens bis zur Mitte die- muss sozial ausgeglichen gestaltet werden, WICHTIG! ses Jahrhunderts CO2-neutral sein soll, denn nur so kann man alle Menschen darüber herrscht weitgehend Einigkeit. mitnehmen. In unserem Schwerpunkt S CHR E IBEN SIE UNS Uneins ist man sich weiter über den geeig- beschäftigen wir uns mit ausgewählten – neten Weg. Die vielen Ansätze und Vor- Aspekten dazu und lassen in einem Inter- Ob Kritik, Anregung oder Themenidee – wir haben ein schläge umfassen ein breites Spektrum view den Sozialforscher Professor Dr. offenes Ohr für Sie. E-Mail an von Verboten bis hin zu Forderungen Andreas Knie zu Wort kommen. info@uniti.de nach Technologieoffenheit. Hierzulande Häufig liest und hört man, China hat die Klimadebatte zuletzt weiter an sei ein Vorreiter in Sachen Elektromobi- Fahrt aufgenommen. Das ist zum einen lität. Dabei wurden die staatlichen Sub- dem Bundestagswahlkampf geschuldet, ventionen für die E-Mobilität dort zuletzt bei dem das Thema Klima wieder in den eingedampft. Wir haben uns mit der Fokus gerückt ist, zum anderen den teil- Chinaexpertin Nicole Steiger über die weise erfolgreichen Verfassungsbeschwer- Strategie des Reichs der Mitte unterhal- den gegen das Klimaschutzgesetz sowie ten, ihr Fazit: China hat die Scheuklap- dessen anschließender Neufassung. Pro- pen abgelegt und denkt laut über Alter- fessor Dr. Justus Haucap, einer der renom- nativen zum E-Auto nach. miertesten Ökonomen unseres Landes, Wahlkampfzeiten eignen sich beschäftigt sich als neuer Kolumnist von immer auch dafür, die eigenen Konzepte Titelbild: Michael Ryan; Foto: UNITI/Bernhart Link energie+Mittelstand in seinem ersten Bei- zu schärfen. Mit Blick auf die Bundes- trag mit den weitergehenden Implikatio- tagswahl am 26. September haben wir nen des Karlsruher Urteils. Er wirbt dafür, mit dem FDP-Klimaexperten Lukas bei der Bekämpfung des Klimawandels Köhler und dem SPD-Energiepolitiker global zu denken. Andreas Rimkus gesprochen und sie zu Dass die Energiewende im Verkehr ihren Klima- und Verkehrskonzepten energie + Mittelstand gibt es auch eine soziale Dimension aufweist und befragt. auch in digitaler Form. Auf der Website damit zur sozialen Frage werden kann, www.energieundmittelstand.de finden Sie wird oftmals unterschätzt. „Klimaschutz Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen alle Inhalte unseres Magazins ansprechend aufbereitet für Notebook-, muss man sich leisten können“, ist aber beim Lesen. Tablet- oder Smartphone-Nutzer. fast schon zu einem geflügelten Wort ge- Klicken Sie doch einfach mal rein! worden. Wichtig scheint: Klimaschutz Ihr Udo Weber 2—2021 3
inhalt 18 Blick nach vorn Andreas Rimkus, Energieexperte der SPD, erklärt, warum die Energiewende mit Elektrifizierung allein nicht gelingen wird und E-Fuels eine gute Ergänzung sind. Schwerpunkt 6 Energiewende im Verkehr: In Vielfalt vereint Benziner, Diesel, Brennstoffzellenfahrzeug oder Elektromobil – wie gerecht und sozial ist die Energiewende im Verkehr? Etwa in der Stadt und auf dem Land? Dabei ist der Königsweg beim Klimaschutz ziemlich einfach – und eine Frage der Technologieoffenheit. 24 Raffinerien grüner machen Ab 2024 wollen das Energieunternehmen BP und der dänische Energieerzeuger Ørsted in Lingen grünen Wasserstoff im industriellen Maßstab produzieren. 5 . Hingeguckt Klimaneutral tanken! Mittelständische Mineralölwirtschaft wird E-Fuels-Vorreiter 6 . Schwerpunkt Soziale Energiewende Gerecht, frei und vielfältig statt staatlich bevormundet 9 . Interview FDP-Klimaexperte Lukas Köhler „Plädoyer für Klimaschutz und soziale Marktwirtschaft“ 15 . Zur Sache Die e+M-Zahl Trabi vs. Tesla: ein Duell mit überraschendem Sieger 16 . Zur Sache IW-Studie zu PtX-Produkten Chance auf 1,2 Millionen neue Arbeitsplätze in Europa 18 . Interview SPD-Energiepolitiker Rimkus „E-Fuels – eine sinnvolle Ergänzung zur Elektromobilität“ 20 . Interview Asienexpertin Nicole Steiger CO2-neutrale Verbrenner: „China legt Scheuklappen ab“ . Klartext Fotos: Abstract Aerial Art/Getty Images, Ørsted, Boris Schmidt 22 Die Energie-Kolumne Professor Justus Haucap über verschärften Klimaschutz 23 . Kompakt Schluss mit Formel E Neues aus der Welt der Energie 24 . Report Blick in die Forschung Bereit für die Zukunft: grüner Wasserstoff made im Emsland 27 . 60 Sekunden über … Auf großer Seefahrt Die Ladekapazität des weltweit einzigen Wasserstofftankers IMPRESSUM HERAUSGEBER UNITI Bundesverband mittelständischer Mineralölunternehmen e.V., Jägerstraße 6, 10117 Berlin, Elmar Kühn (V. i. S. d. P.) REDAKTIONSBEIRAT Elmar Kühn, Dirk Arne Kuhrt, Dominik Hellriegel, Alexander Vorbau CHEFREDAKTEUR Florian Flicke REDAKTIONSLEITUNG Gerhard Walter REDAKTION Wolfgang Kempkens, Kristina Simons, Alexander Vorbau, Sebastian Wolking ART DIREKTION Periodical.de BILD REDAKTION Karin Aneser VERLAG UND REDAKTIONS ANSCHRIFT Solutions by HANDELSBLATT MEDIA GROUP GmbH, Toulouser Allee 27, 40211 Düsseldorf, Tel. 0211/54227-700, Fax 0211/54227-722, www.solutions-hmg.com VERLAGSGESCHÄFTS FÜHRUNG Jan Leiskau, Dr. Christian Sellmann, ANZEIGENLEITUNG David Weigelt, Tel. 030/755414-540 DRUCK Strube Druck & Medien OHG, 34587 Felsberg LITHO TiMe GmbH ADRESS ÄNDERUNGEN Geschäftsstelle UNITI, Tel. 030/755414-300, Fax 030/755414-366, E-Mail: info@uniti.de ISSN 2195-4445 Der Inhalt der Beiträge gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder. Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Änderungen behalten wir uns vor. 4
hingeguckt Alternative Treibstoffe E-Fuels für Deutschland: Schon bald können sich Autofahrer an rund 30 Tankstellen im gesamten Bundesgebiet selbst ein Bild von syntheti- schen Kraftstoffen machen. Mehr als zwei Dutzend UNITI-Mitgliedsun- ternehmen haben einen Vertrag mit dem Karlsruher Start-up Ineratec abgeschlossen, der die Abnahme von jährlich 200.000 Litern klimaneu- tralen synthetischen Diesels vorsieht. Der Öko-Kraftstoff, bei dessen Verbrennung nur das CO2 emittiert wird, das vorher zu dessen Herstel- lung gebunden wurde, soll im Rahmen des Projekts zu 10 Prozent her- kömmlichem Diesel beigemischt werden. Produziert wird der CO2-neu- trale Kraftstoff in einer großtechnischen Anlage von Ineratec. Das junge Unternehmen ist aus dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hervorgegangen. Die E-Fuels-Produktionsanlage wird im Industriepark Höchst in Frankfurt am Main gebaut. Aus bis zu 10.000 Tonnen Kohlen- stoffdioxid aus Biogasanlagen und zertifiziertem grünem Strom aus regenerativen Quellen wie Wind und Sonne sollen dort jährlich bis zu 3.500 Tonnen oder 4,6 Millionen Liter E-Fuels produziert werden. Nach derzeitigem Stand ist die Herstellung von Diesel für die Verbrennungs- motoren von Autos und Kerosin für die Luftfahrt geplant. Beim Ineratec- Foto: INERATEC Verfahren wird aus Kohlenstoffdioxid und Wasserstoff mithilfe eines Katalysators Synthesegas hergestellt; den Wasserstoff liefert ein Elektro- lyseur mit einer Nennleistung von bis zu zehn Megawatt. 2—2021 5
Eine gewaltige Aufgabe: Es geht darum, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit miteinander zu vereinen. Viele Königs- und Holzwege stehen auf der Agenda – etwa bei der CO2-neutralen Mobilität. Eine besonders wirksame Rolle könnten grüne synthetische Kraftstoffe spielen. Oft unter- schätzt, haben sie das Zeug zum Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. WIE SOZIAL IST DIE ENERGIE- WENDE IM VERKEHR? K omplette Ratlosigkeit und schmerzhaftes Schweigen, als auf einem Landesparteitag der Grünen im ein Ausgaben-Plus in ihren Portemon- naies. Die FAZ hat die aktuelle Situati- on der Autofahrer in Deutschland mit Frühsommer 2021 ein Delegierter wis- diesem Satz zusammengefasst: „Wer sen wollte: Wie lassen sich soziale Ge- fährt, verliert.“ Rechtzeitig vor der Bun- Fotos: Abstract Aerial Art/Getty Images, DLR rechtigkeit und Klimaschutz sinnvoll destagswahl setzt sich – vielleicht noch verbinden? nicht bei jedem, wohl aber in der Bun- Eine berechtigte Frage – vor al- deshauptstadt – nun auch in der Politik lem vor dem Hintergrund steigender die Erkenntnis durch, dass Klimaschutz Kosten für die CO2-Neutralität durch und soziale Gerechtigkeit in Einklang den Einstieg in die Kohlenstoffdioxid- gebracht werden müssen. Unions-Kanz- Bepreisung. Zudem spüren vor allem lerkandidat Armin Laschet verspricht: Autofahrerinnen und Autofahrer durch „Wir denken Klimaschutz in seiner gan- die Mehrwertsteuer-Normalisierung zu zen Breite – ökonomisch, ökologisch Jahresbeginn, durch höhere Preise an und sozial.“ SPD-Kanzlerkandidat Olaf den Rohölmärkten und die CO2-Abgabe Scholz haut in dieselbe Kerbe. 6
Soziale Energiewende schwerpunkt T E X T Gerhard Walter und Sebastian Wolking Individuelle Mobilität als bautes Ladesäulennetz für ihre Elektro- Grundbedürfnis mobile nutzen können. Deutschland ist Auch Sozialwissenschaftler wie Professor auch durch ausgedehnte ländliche Gebie- Dr. Andreas Knie vom Wissenschaftszen- te gekennzeichnet. Und dort, etwa in trum Berlin für Sozialforschung (WZB), Brandenburg, auf der Schwäbischen Alb Ländliche Gebiete der die Forschungsgruppe „Digitale Mobi- oder im Bayerischen Wald, muss indivi- gehen leer aus lität und gesellschaftliche Differenzie- duelle Mobilität nur eine Frage beantwor- rung“ mit dem neuen Schwerpunkt „So- ten: Wie komme ich überhaupt von A ziale Gerechtigkeit der Energiewende“ nach B? Der oft propagierte Umstieg auf leitet, (siehe Interview ab Seite 9), begin- E-Mobile und öffentliche Verkehrsmittel nen damit, das Thema in seiner gesell- hat gerade auf dem Land mehrere Haken schaftlichen Bedeutung zu erforschen. – er ist nur dort möglich, wo es ein flä- Denn: Individuelle Mobilität ist ein chendeckendes Ladesäulennetz gibt und menschliches Grundbedürfnis und ein wo ein leistungsstarker ÖPNV auch tat- Symbol für wirtschaftlichen Fortschritt sächlich vorhanden ist. und Freiheit. Gerade jetzt, nach der drit- Und so fügt es sich ins Bild, dass Mobilität als individuelles ten Welle der Corona-Pandemie, wollen die Zahl der Pkw in den Städten stag- Grundbedürfnis die Menschen in den Urlaub fahren, zum niert, in ländlichen Gegenden aber kon- Konzert, zu Freunden, an den See, in die tinuierlich wächst. Dennoch stehen die Stadt zum Shoppen. Nicht jede Strecke kleineren Städte und Gemeinden in der lässt sich mit dem Bus oder dem Rad be- Diskussion um neue Mobilitätskonzepte wältigen. Doch ohne zuverlässige und be- stets nur am Rande. Dabei hatten CDU, zahlbare Fahrzeuge sind diese Menschen CSU und SPD in ihrem Koalitionsver- verloren, genauso wie all die Berufspend- trag eigens festgeschrieben, die ländli- ler aus den Vorstädten, die sich die teils chen Räume stärken zu wollen. „Wir sor- horrenden Innenstadtmieten nicht mehr gen dafür, dass zwischen Städten und leisten können. Oder wie die vielen ländlichen Regionen keine Kluft ent- Handwerker, Kurier- und Paketfahrer, die steht“, heißt es dort. Doch genau diese sich Tag für Tag durch die Straßen kämp- Kluft gibt es. fen müssen. Im Zuge der Corona-Pande- Der Deutsche Städte- und Gemein- mie habe der Individualverkehr massiv debund spricht sich in einem Positionspa- an Bedeutung gewonnen, heißt es bei- pier für einen „technologieoffenen An- spielsweise in der „Continental-Mobili- satz“ aus. Die individuelle Motorisierung, tätsstudie 2020“. Und laut einer Umfrage so das Credo, bleibe in ländlichen Gebie- des Kfz-Portals AutoScout24 hält die ten alternativlos. Andernfalls drohe sogar Mehrheit der Menschen das eigene Fahr- die soziale Spaltung. So warnt der Städte- zeug für das sicherste Verkehrsmittel. und Gemeindebund vor einer Zweiklas- Vier von fünf Deutschen wollen unter sengesellschaft – zwischen den privile- keinen Umständen darauf verzichten. gierten, gut betuchten und überdies staat- lich subventionierten E-Auto-Fahrern auf Spaltung zwischen Stadt und Land, zwischen Reich und Arm „Wenn Deutsch- der einen – und den vielen „Abgehängten“ auf der anderen Seite. Also jene, für die Anfang des Jahres waren zum ersten Mal land seine Klima- der beliebteste E-Renner Porsche Taycan mehr als 48 Millionen Pkw in Deutsch- Electric mit einem Durchschnittspreis land zugelassen, 99,5 Prozent davon mit ziele erreichen von 160.000 Euro oder der Audi e-tron- Verbrennungsmotor. Dennoch wird in Electric mit durchschnittlich 98.882 Euro der bisherigen Verkehrsdebatte einseitig will, dann wird es ein Leben lang ein Traum bleiben werden. auf Elektromobilität gesetzt. Elektromo- Und so muss sich die Bundesre- bile werden ohne Frage eine bedeutende ohne alternative gierung auch die Frage gefallen lassen, ob Rolle im Mobilitätsmix der Zukunft ein- nehmen. Darüber sind sich Branchenken- Kraftstoffe gar der Einstieg in die Elektromobilität in ei- nem so ungeheuren Umfang vom Steuer- ner wie Politiker nahezu einig. Aber: Die einseitige Bevorteilung der E-Mobilität nicht gehen.“ zahler bezuschusst werden muss wie bis- her und ein Tesla-Fahrer jetzt auch noch Manfred Aigner, verkennt die Tatsache, dass Deutschland 900 Euro für die eigene Ladesäule im pri- Leiter des Instituts für Verbrennungs- nicht nur ein Land gut verdienender Me- technik beim Deutschen Zentrum für Luft- vaten Carport erhalten muss. So entsteht tropolenbewohner ist, die ein gut ausge- und Raumfahrt (DLR) der berechtigte Eindruck, dass die Kran- 2—2021 7
schwerpunkt Soziale Energiewende kenschwester mit ihren Steuern das die Schlusslichter im Ladesäulen-Ran- Gesucht: Lösungen für die Welt E-Mobil des Chefarztes finanziert. Ge- king – hier müssen sich 10.539 bezie- In vielen sich entwickelnden, bevölke- rechtigkeit sieht anders aus. hungsweise 17.218 Elektromobile einen rungsreichen Regionen der Welt – wie Ladepunkt teilen. In Holland kommen etwa in Südamerika, Afrika und in wei- Drohende soziale Spaltung in Europa nur 109 Fahrzeuge auf einen Ladepunkt, ten Teilen Asiens – spielt Elektromobili- Auch in Europa soll der Verkehr schon in Deutschland sind es zehnmal so viele tät bislang überhaupt keine Rolle. Ver- bald komplett auf Elektromobilität um- (1.014 E-Mobile pro Lademöglichkeit). brennungsmotoren sind dort der alleini- gestellt werden. Doch es gibt auch hier ei- Kein Zweifel: Mit dem einseitigen Fokus ge Antrieb. Ein Zustand, der sich auch in nen Haken: Für ein solches Projekt wäre der Politik auf den Ausbau der Elektro- absehbarer Zeit nicht ändern wird, weil ein flächendeckendes Netz von Ladestati- mobilität werden die sozialen Gräben es dort weder eine Ladeinfrastruktur onen in ganz Europa nötig. Doch ein sol- auch in Europa vertieft – nämlich durch noch grünen Ladestrom gibt. Vor allem ches Netz existiere nicht, erklärt der Ver- eine Einteilung, in welchen Ländern in- in wirtschaftlich gut entwickelten, wohl- band der Automobilindustrie (VDA) in dividuelle Mobilität künftig möglich ist habenden Regionen in Teilen Nordameri- einer aktuellen Auswertung zum Thema. und in welchen das nicht oder nur sehr kas und Europas sowie in wenigen Län- So bilden Rumänien und Griechenland umständlich funktioniert. dern Asiens wird Elektromobilität in den Fortsetzung auf Seite 11 E - A U T O - F Ö R D E R U N G I N E U R O PA : TEURE SUBVENTIONITIS Rumänien ist einsame Spitze. Bis zu 10.000 Euro erhalten Käufer eines Elektroautos zwischen Bukarest und Timișoara. Zum Vergleich: Eine rumänische Krankenschwester verdient rund 500 Euro im Monat, der monatliche Durchschnittsverdienst liegt bei 1.183 Euro. In Kroatien gibt es 9.100 Euro (monatlicher Durchschnittsverdienst: 1.263 Euro), Deutschland liegt mit einem Zuschuss von 9.000 Euro auf Rang drei (monatlicher Durch- schnittsverdienst: 4.037 Euro).. Dies zeigt eine Studie des französischen Beratungsinsti- tuts Inovev von 2020. Demnach fördern 19 der 27 EU-Mitgliedstaaten den Kauf eines reinen E-Autos. Große Löcher reißt die Top-Prämie im Übrigen nicht in den rumäni- schen Haushalt. Im ersten Quartal 2021 wurden nach Angaben des europäischen Bran- chenverbands ACEA exakt 20.762 Pkw in Rumänien neu zugelassen, darunter 415 Stromer. Ihr Anteil liegt damit bei 1,99 Prozent. Hinten im EU-weiten Vergleich liegt Finnland mit einer Fördersumme Fragwürdige Kehrtwende von 2.000 Euro (monatlicher Durchschnittsverdienst: 3.677 Euro). Zwölf EU-Länder Die Politik setzt voll auf unterstützen zudem Käufer eines Plug-in-Hybriden finanziell. Gar keinen Zuschuss – die E-Karte. Doch weder für Elektroautos noch für Plug-in-Hybride – gibt es in acht EU-Ländern, Deutschlands Bürger darunter Dänemark und Belgien. zögern. Der Pionier aber ist nicht Teil der Europäischen Union: Norwegen. Die Nordlichter machen Elektroautos den Weg frei, müssen dafür aber viele Kronen in die Hand nehmen. Schon seit 1990 sind Käufer von Elektroautos von der Kfz-Kaufsteuer befreit, auch die Mehrwertsteuer wird beim E-Auto-Kauf nicht mehr erhoben. Ein neues Förderprogramm aufgelegt hat Spanien. Die Iberer geben Privatpersonen seit Mitte April 2021 bis zu 7.000 Euro beim Kauf eines Elektroautos dazu, für elektrische Vans sogar bis zu 9.000 Euro (monatlicher Durchschnittsverdienst: 1.986 Euro). Taxiunternehmen oder Behörden können noch höhere Summen abgreifen, wenn sie ihre Flotte elektrifizieren. Schweden hat seine Förderung für reine Batterieautos zum 1. April 2021 um 1.000 Euro auf 6.800 Euro erhöht (monatlicher Durchschnittsverdienst: 4.207 Euro). Parallel wurde die Förderung für Plug-in-Hybriden gekürzt. Konnte man zuvor – abhängig von den Emissionswerten – 2.000 bis 3.900 Euro bekommen, sind es jetzt nur noch 1.250 bis maximal 2.800 Euro. Einen anderen Weg geht die britische Regierung. Die Briten kürzen die Förderung für Elektroautos um 500 Britische Pfund – statt 3.000 fließen jetzt nur noch maximal 2.500 Pfund (monatlicher Durchschnittsverdienst: 2.655 Euro). Zudem wird die Obergrenze von 50.000 Pfund auf 35.000 Pfund gesenkt – für Stromer, die teurer sind, gibt es keinen einzigen Cent Zuschuss. Die Regel trifft Premium-Anbieter wie Tesla, während Hersteller wie Volkswagen, Hyundai und Peugeot weiter profitieren. 8
Andreas Knie schwerpunkt INTERVIEW „Eine Frage der Gerechtigkeit“ I N T E R V I E W Gerhard Walter Wie sozial muss Klima- schutz sein? Professor Dr. Andreas Knie vom Wissen- schaftszentrum Berlin für Sozialforschung erklärt, wie die individuelle Mobilität der Zukunft gestaltet wer- den müsste, um die Klima- schutzziele gerecht umzu- setzen – und welche Rolle synthetische Kraftstoffe da- bei einnehmen können. Herr Knie, in einer Publikation zur Mobilität im Wandel schrieben Sie jüngst, es gebe zu viele Autos. Wider- Professor Dr. Andreas Knie ist Politikwissenschaftler am spricht dieser Einschätzung nicht, dass Wissenschaftszentrum Berlin für der Fuhrpark von knapp 50 Millionen Sozialforschung (WZB) und Hoch- Pkw hierzulande stetig wächst, die schullehrer an der Technischen meisten Menschen also offensichtlich Universität (TU) Berlin. Am WZB weiterhin großen Wert auf ihre indivi- leitet er zusammen mit Dr. habil. Weert Canzler die Forschungs- duelle Automobilität legen? Es gruppe „Digitale Mobilität und gibt ja Gründe, warum Autofahren einen gesellschaftliche Differenzierung“. so hohen gesellschaftlichen Stellenwert Davor war er Forschungsgruppen- hierzulande hat und warum so viele Au- leiter des Teams „Wissenschafts- tos über die Straßen rollen: Die Verkehrs- politik“. Seit Juni 2018 fungiert er politik in Deutschland und in Europa hat Fotos: Thomas Winz/Getty Images, Gene Glover als Head of Scientific Development (CSO) der Choice GmbH. 2006 in den vergangenen 50, 60 Jahren kom- gründete Andreas Knie das Inno- plett auf das Auto gesetzt. Es wurde eine vationszentrums für Mobilität und Infrastruktur rund um das Auto herum gesellschaftlichen Wandel GmbH gebaut, damit es fahren und geparkt wer- (InnoZ). Darüber hinaus war er von 2001 bis 2016 Bereichsleiter für den kann. Und solange diese Privilegie- Intermodale Angebote und rung stattfindet, setzen die Menschen Geschäftsentwicklung der Deut- wie selbstverständlich auf diese Art der schen Bahn AG. Andreas Knie ist Mobilität und kaufen und nutzen Autos. außerdem in beratender Funktion Aktuelle Befragungen im städtischen für Kommunen und Organisationen zu den Themen Verkehr, Raum haben nun ermittelt, dass die Men- Mobilität, Digitalisierung & Nach- schen aber zunehmend auf einen Mobili- haltigkeit tätig. tätsmix setzen – das private Auto wird er- 2—2021 9
schwerpunkt Andreas Knie gänzt durch andere Formen der Mobilität Was aber passiert, wenn ältere Men- eine eigene PV-Anlage, werden die Ver- wie den öffentlichen Personennahver- schen nicht in der Lage sind, eine App kehrskosten insgesamt deutlich günsti- kehr, die Nutzung von Fahrrädern, oder zu bedienen, um eine Mitfahrgelegen- ger. Aber sie haben Recht – momentan ist die Leute gehen zu Fuß. heit zu organisieren? Diese Leute Elektromobilität mit zu hohen Einstiegs- gibt’s nicht mehr. Das ist ein Mythos. Wir preisen verbunden. Hier müsste es spür- Welche Ansätze gibt es denn, die Zahl haben da sehr viele Untersuchungen ge- bare Erleichterungen und Förderungen der Pkw zu reduzieren? Und birgt das macht in den ländlichen Räumen und geben, von denen auch die mittleren und nicht sozialen Sprengstoff, da Autofah- sind total überrascht, dass die Menschen, unteren Einkommen profitieren. Etwa ren dann nur etwas für wenige Reiche die sich bewegen wollen und am sozialen durch eine Prämie, die ausgezahlt wird, sein könnte? Momentan ist es Leben teilnehmen möchten, ein Smart- wenn Fahrer andere Verkehrsteilnehmer doch so, dass vor allem die Bezieher von phone besitzen und auch wissen, wie es in ihrem Auto mitnehmen. mittleren und höheren Einkommen ein bedient werden muss. Und wer kein eigenes Auto nutzen. Die Bezieher unte- Smartphone besitzt, kann mithilfe des Inwieweit wären denn CO2-neutrale rer Einkommen können sich ein eigenes berühmten Enkels die entsprechenden Kraftstoffe eine sinnvolle Lösung, um Auto oftmals gar nicht leisten – und nut- Apps nutzen. Die Digitalisierung und die die individuelle Mobilität zu erhalten, zen den öffentlichen Personennahver- Vernetzung im Verkehrssektor eröffnen gleichzeitig aber auch das Klima zu kehr. Demzufolge gibt es schon jetzt eine gerade bei der individuellen Mobilität schützen und den sozialen Frieden zu soziale Disparität, einen sozialen Unter- künftig viel mehr Möglichkeiten, als wir wahren? Wir müssen die Kohlen- schied zwischen Wohlhabenden, die ge- uns das derzeit überhaupt vorstellen kön- stoffdioxid-Emissionen bis 2030 im Ver- nerell ein Auto oder ein größeres Auto nen. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, kehrssektor um 30 Prozent reduzieren. nutzen, und denjenigen, die das nicht dass wir etwa beim Onlinehandel einen Um dieses Ziel zu erreichen, können syn- oder nur eingeschränkt können. Um Mo- starken Anstieg der virtuellen Mobilität thetische klimaneutrale Kraftstoffe bilität gerecht zu gestalten, braucht es verzeichnen – und dass vor allem die Se- durchaus eine sinnvolle Option sein. Da eine faire Bepreisung, eine Internalisie- niorengruppe besonders stark im Netz ist alles möglich – wenn wir konsequent rung der externen Kosten. Das heißt – das unterwegs ist. auf erneuerbare Energien umstellen. ganze System muss das bezahlen, was es Aber noch immer fördert der Staat das an Kosten verursacht. Deshalb wird man Abbaggern von Braunkohle mit Subven- über eine Pkw-Maut und City-Maut nach- „Sofort raus aus tionen in Milliardenhöhe. Auf diese Wei- denken müssen und über Strukturen, die se betreibt Deutschland noch immer die denjenigen höhere Kosten auferlegen, die fossilen Energie- Energiepolitik des 19. Jahrhunderts. viel fahren. Also: Wer ein großes Autos fährt, muss mehr bezahlen als derjenige, trägern wie der Wenn es Politiker:innen wirklich ernst meinen mit der Dekarbonisierung, wür- der mit dem Kleinwagen unterwegs ist. Braunkohle und den sie eine klare Zielvorgabe formulie- ren: dass in zehn Jahren der Strom zu Sie sagen, dass die Verkehrswende we- komplett rein in 100 Prozent aus regenerativen Quellen niger Autos bedeutet. Schließt man da- stammt. Und dann könnten wir auch dar- mit nicht große Bevölkerungsgruppen die erneuerbaren über nachdenken, wie sich mithilfe rege- von individueller Mobilität und sozia- nerativer Energiequellen synthetische ler Teilhabe aus? Man denke etwa an Energien.“ und CO2-neutrale Treibstoffe herstellen die Menschen auf dem Land ohne dich- lassen. Aber solange Deutschland weiter- tes ÖPNV-Netz? Bisher war der hin in der Kohlepolitik stecken bleibt Öffentliche Personennahverkehr so et- Sie vertreten die These, dass die Mobi- und Einsatz und Ausbau von Windkraft was wie eine Resteverwertung. Men- litätswende auf dem Land neben der infolge einer Überregulierung blockiert schen, die bewusst kein Auto haben oder Etablierung der Mitnahmemöglichkei- werden – solange ist es schwer, über sich kein Auto leisten können, sind in ten auch mit einer schnellen Elektrifi- die Herstellung synthetischer Kraftstoffe Gebieten ohne dichtes ÖPNV-Netz aufge- zierung der Fahrzeuge die besten zu reden. schmissen. Demzufolge kommen wir im Chancen hätte. Stellt sich die Frage: ländlichen Verkehr am Auto überhaupt Was ist denn mit den Menschen, die Es wäre also die Aufgabe der Politik, nicht vorbei. Nur stellt sich die Frage, ob sich kein teures E-Auto leisten und ganz klar Kante zu zeigen und den jeder Haushalt auf dem Land drei Autos kaufen können und eine Fahrt in den Ausbau der erneuerbaren Energien vo- haben muss. In ländlichen Räumen gibt öffentlichen Verkehrsmitteln nicht all- ranzutreiben, um so die Mobilitäts- es im Moment etwa 800 Autos pro 1.000 zu sehr schätzen? Wir wollen eine wende zu ermöglichen? Richtig. Einwohner. Wenn wir Autos mithilfe der Dekarbonisierung des Verkehrs. Das Sofort raus aus fossilen Energieträgern Digitalisierung schlauer machen und ge- heißt: Wir wollen auf fossile Brennstoffe wie der Braunkohle und komplett rein in meinschaftlich teilen, könnte jeder priva- verzichten. Die Elektromobilität ist dabei die erneuerbaren Energien. Und sobald te Pkw drei bis fünf Leute mitnehmen – die Technologie, mit der dieses Ziel am es dann grüne Stromüberschüsse aus als Folge wird die Anzahl der Fahrzeuge besten realisiert werden kann. Und wenn Wind-Off- und Wind-Onshore gibt, kann reduziert, weil das Auto effizienter ge- die Verkehrsteilnehmer ihren eigenen überlegt werden, wie diese grüne Energie nutzt wird. Strom erzeugen könnten, etwa durch sinnvoll genutzt werden soll. 10
Soziale Energiewende schwerpunkt S TA AT L I C H E S T E U E R U N G : LIEBER BRD ODER DDR? Staatliche Förderung kann eine Industrie anschieben. Zu viel Lenkung und Kontrolle aber schlägt schnell ins Gegenteil um. Die Geschichte zeigt das ziemlich eindrucksvoll. Es war immerhin die Bundesrepublik Deutschland, die zügig zur Automacht aufstieg, während die Deutsche Demokratische Republik „Rennpappen“ her- stellte. In der BRD wurden schon im Jahr 1960 rund 1,8 Millionen Personenkraftwagen produziert, in der DDR 64.000. Der millionste Trabi sollte erst eine halbe Ewigkeit später – 1973 – vom Band rollen. 1989 stießen die Autofabriken im Westen mehr als 4,5 Millionen Qualitäts-Pkw innerhalb eines Jahres aus, die in der DDR 216.000 Fahrzeugbeständen genutzt. So liegt der Vehikel von nicht ganz so hoher Qualität. Anteil der E-Mobile in der EU bei 0,5 So groß war der Mangel im real existierenden Sozialis- Prozent, in den USA bei 0,8 Prozent und mus, dass die DDR 1978 insgesamt 10.000 VW Golf 1 aus dem Westen in China bei 1,2 Prozent. In diesen drei importierte und im Gegenzug Pressen, Werkzeugmaschinen und einen Märkten werden aber 90 Prozent der Bat- Projektor von Carl Zeiss Jena an das Planetarium Wolfsburg lieferte. terie-Elektroautos weltweit abgesetzt. Anfangs wurden die Exemplare für einen Stückpreis von 32.000 Mark Vor dem Hintergrund dieser Zahlen ist angeboten – für viele DDR-Bürger war das ein Mondpreis angesichts davon auszugehen, dass Elektromobilität eines monatlichen Durchschnittseinkommens von rund 1.000 Mark. in Zukunft auch global ein Privileg für Manchem sei ein Golf Mitte der 1980er für 110.000 Mark angeboten wohlhabende Länder sein wird. Die restli- worden, berichten Zeitzeugen in einschlägigen Foren. chen, weniger wohlhabenden Staaten Andererseits war es immens schwer, überhaupt an werden weiter auf flüssige Kraftstoffe und einen fahrbaren Untersatz zu kommen. Jeder DDR-Bürger ab 18 Jah- Verbrennungsmotoren angewiesen sein – ren durfte sich mit je einem Autowunsch in eine Liste eintragen. Bis oder müssen sich dem Klimaschutz zulie- der Wagen verfügbar war, vergingen meist viele Jahre – manchmal be von individueller Mobilität und wirt- zehn oder sogar 15 Jahre. Anekdoten über ein Leben im Wartestand Foto: picture alliance/ZB/Siegfried Wittenburg; Icons: Evgeniy – stock.adobe.com, PixelPower – stock.adobe.com schaftlicher Entwicklung verabschieden. gibt es zur Genüge. Viele kamen erst auf halber Strecke ihres Lebens an ein Auto. Erst mit der Wende fand der staatlich gelenkte Einheits- Elektromobilität – Privileg für Reiche brei ein Ende – und Autos in allen Formen und Farben, mit verschiede- Doch selbst im reichen Deutschland mit nen Ausstattungen und Antrieben endlich ihren Weg auf ostdeutsche einem durchschnittlichen Bruttover- Straßen. dienst pro Kopf von 4.037 Euro im Mo- nat ist für viele der Kauf eines teuren E- Mobils kein Thema. Erst recht nicht für Menschen, die etwa in Rumänien leben und über einen Durchschnittsverdienst land, Europa und in der Welt anrührt. Elektromobilität: Auch in von rund 1.180 Euro im Monat verfügen. Und gleichzeitig einen entscheidenden Deutschland ein Privileg Manfred Aigner, Leiter des Instituts für Beitrag zum Klimaschutz leistet. Synthe- Verbrennungstechnik beim Deutschen tische Kraftstoffe, E-Fuels, die mithilfe Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), von grünem Strom aus Wasserstoff und stellt deshalb die rhetorische Frage: Müs- Kohlenstoffdioxid gewonnen werden, sen wir unsere gesamte Mobilität auf können fossile Kraftstoffe vollständig er- Elektrofahrzeuge abstellen? Als Mitglied sind zum Beispiel höhere Quoten für die setzen und Verbrennungsmotoren ohne der „Nationalen Plattform Zukunft der Beimischung. „Wenn Deutschland seine die Notwendigkeit für technische Anpas- Mobilität“ berät Aigner auch die Bundes- Klimaziele erreichen will, dann wird es sungen klimaneutral antreiben. Eine regierung. Technologieoffenheit sei not- ohne alternative Kraftstoffe gar nicht ge- Win-win-Situation für das Klima und die wendig, heißt es im Forschungsbericht, hen“, sagt Aigner. soziale Gerechtigkeit. Denn bei einem den das Expertengremium bereits im De- Preis von 1,38 Euro je Liter E-Fuels-Die- zember 2020 vorgelegt hat. Zentrale Bot- Synthetische Kraftstoffe als sozialer Kitt seläquivalent wäre individuelle Mobilität schaft: Die E-Mobilität müsse vorangetrie- Und so könnte grüner synthetischer in Zukunft nicht nur CO2-neutral, son- ben, aber zugleich sollten Biokraftstoffe Kraftstoff zum Bindeglied zwischen den dern – im Vergleich zu heute – auch noch und synthetische, aus erneuerbarer Ener- Welten von Elektromobilität und kli- besonders günstig. So würden die Men- gie hergestellte Kraftstoffe für Verbren- maneutralem Verbrenner werden. Zum schen die Verkehrswende nicht als Belas- nungsmotoren gefördert werden. Denkbar Stoff, der den sozialen Kitt in Deutsch- tung begreifen. Sondern als Chance. 2—2021 11
interview Lukas Köhler INTERVIEW „Emissionshandel ist soziale Marktwirtschaft“ I N T E R V I E W Gerhard Walter Die Politik muss beim Klimaschutz wieder in die Rolle des Gestalters treten, Innovationen anstoßen und Wohlstand sichern. Im Interview erklärt Dr. Lukas Köhler, klimapolitischer Sprecher der FDP-Bundestags- fraktion, welche Rollen da- bei Technologieoffenheit und ein globaler CO2-Preis einnehmen. Herr Köhler, welche Konse- FDP sind drei dieser Hinweise besonders sionen in der Industrie und Landwirt- quenzen ergeben sich aus der Entschei- wichtig: Erstens, wir dürfen die großen schaft mit CCS-Technologien gespeichert dung des Bundesverfassungsgerichts Aufgaben beim Klimaschutz nicht ein- oder ausgeglichen werden können. Wenn zum Klimaschutzgesetz aus Sicht der fach in die Zukunft verlagern. Das bedeu- wir damit länger warten, werden die An- FDP? Das Bundesverfassungsge- tet, dass wir jetzt so schnell wie möglich strengungen in den 2030er- oder 2040er- richt hat eindrücklich die Rechte künfti- alle Verursacher von Treibhausgasen in Jahren umso größer sein müssen. Denn Foto: Sanjar Khaksari ger Generationen auf Schutz ihrer Frei- das einzige verlässlich funktionierende ohne CCS ist das 1,5-Grad-Ziel utopisch, heit vor den Auswirkungen heutiger System im Klimaschutz integrieren müs- wie wir vom IPCC wissen. Zweitens, die politischer Entscheidungen betont. In der sen – und das ist der EU-Emissionshan- Klimapolitik muss technologieneutral Entscheidung findet sich eine Reihe klu- del (EU-ETS) mit seinem strikten CO2- ausgestaltet sein. Das Bundesverfas- ger Hinweise für eine sinnvolle Ausge- Limit. Außerdem müssen wir jetzt den sungsgericht sagt völlig zu Recht, dass es staltung der Klimapolitik. Aus Sicht der Weg bereiten, dass unvermeidbare Emis- weder Aufgabe des Staates sei noch dass 12
Lukas Köhler interview Und: Ein Neustart ist notwendig. War- um ist die Lage aus Sicht der Liberalen „Der Königsweg für klimapolitisch hierzulande so trostlos? Es fehlen zwei ganz zentrale Vor- den Klimaschutz aussetzungen für eine erfolgreiche Kli- mapolitik: Konsistenz und das Vertrauen wäre ein globaler in die Fähigkeiten der Tüftler und Ingeni- eure, technische Lösungen für Probleme CO2-Preis. Am zu entwickeln. Bestes Beispiel für fehlen- Dr. Lukas Köhler de Konsistenz sind die nationalen Ziele besten durch die für die Energiewirtschaft im Klima- ist klimapolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und Verknüpfung und schutzgesetz. Die Emissionen dieses Sek- tors sind bereits über den EU-Emissions- Obmann im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Erweiterung handel europaweit gedeckelt. Sinn und Zweck dieses Systems ist aber, dass die sowie Mitglied im Parlamentari- schen Beirat für nachhaltige Ent- bestehender Emissionen grenzüberschreitend dort wicklung. Außerdem ist Köhler Generalsekretär der FDP Bayern zuerst reduziert werden, wo dies zu den und Mitglied im Bundesvorstand der Emissionshandels- geringsten Kosten möglich ist. Überlässt FDP. Bis zu seinem Einzug in den Bundestag 2017 war er Geschäfts- man die Sache dem Markt, funktioniert systeme.“ das zuverlässig. Sobald aber die Politik führer des Zentrums für Umwel- tethik und Umweltbildung mit nationalen Sonderzielen eingreift an der Hochschule für Philosophie und dann natürlich auch wieder entspre- in München. chend regulieren muss, wird das Prinzip ad absurdum geführt. er dazu in der Lage wäre, technische Ent- wicklungen vorherzusehen oder zu pla- ? Wie sehen denn die klimapolitischen nen. Und drittens betonen die Richter die Alternativen der FDP aus? internationale Dimension des Klima- schutzes. Deshalb muss jede nationale und europäische Klimapolitik internatio- nal anschlussfähig sein. Der Königsweg für den Klimaschutz wäre ein globaler CO2-Preis. Am besten durch die Ver- knüpfung und Erweiterung bestehender Emissionshandelssysteme. ? Die beste Klimaschützerin ist die Marktwirtschaft, schrieben Sie in einem Debattenbeitrag in der „Welt“. Nutzt Deutschland das Potenzial der Marktwirtschaft beim Klimaschutz bislang ausreichend? Leider nein. Denn wir sehen ja sehr deutlich: Dort, wo ein Markt für Emissionen geschaffen wurde – im EU-ETS mit seinem begrenz- ten Angebot an handelbaren Zertifikaten –, funktioniert Klimaschutz seit vielen Jahren problemlos. Der Staat gibt die CO2-Menge vor, der Markt regelt die Ver- teilung und alle Klimaziele werden zu- verlässig erreicht. Foto: James Zabel ? Im FDP-Parteitagsbeschluss zur Kli- mapolitik stammen zwei entscheiden- de Sätze von Ihnen: Die Klimapolitik der Bundesregierung ist gescheitert. 2—2021 13
interview Lukas Köhler Wir wollen schnellstmöglich alle Verur- Verwerfungen und Massenarbeitslosig- sacher von Treibhausgasen in den EU- keit führt, wird das nicht nur die Begeis- Emissionshandel integrieren. Dank des terung für den Klimaschutz in Deutsch- CO2-Limits wäre dann sichergestellt, dass land schnell beenden. Sondern wir alle Klimaziele garantiert erreicht wer- werden international auch als abschre- den. Klimaneutralität bis Mitte dieses ckendes Beispiel statt als Vorbild wahr- Jahrhunderts ist für uns gesetzt. Und der genommen. Wenn wir es dagegen schaf- CO2-Preis im ETS setzt die notwendigen fen, durch neue Technologien bis 2050 Anreize für die Entwicklung klima- klimaneutral zu werden, können die hier Das können Verbraucher und Unterneh- freundlicher Technologien. Und nichts ist entwickelten Technologien weltweit ei- men am Markt sehr viel besser regeln. in diesem Sinne produktiver als der nen Beitrag zum Klimaschutz leisten, der marktwirtschaftliche Wettbewerb, der weit über unseren Anteil an den globalen ? Der von der Bundesregierung poli- Unternehmen regelmäßig zu kreativen Emissionen hinausgeht. tisch eingeschlagene Weg im Verkehrs- Höchstleistungen animiert. Ansonsten sektor vom Verbrenner hin zur Elek- sollte sich die Politik in erster Linie auf ? Landauf, landab wird die Umstellung tromobilität gefährdet hierzulande die Förderung von Forschung und Ent- des Verkehrssektors auf Elektromobili- unzählige Arbeitsplätze in der Auto- wicklung konzentrieren. Zusätzliche Re- tät als Königsweg gefeiert. Sie haben die mobilindustrie. Sehen Sie den Stand- gulierung sollte es nach Ansicht der FDP Bundesregierung genau deshalb kriti- ort und den sozialen Frieden bedroht? nur geben, wenn sie punktuell wirklich siert – und beanstandet, dass durch den Ich will auf keinen Fall schwarz- notwendig ist. Beispielsweise haben wir einseitigen Blick auf die E-Mobilität der malen und halte auch nichts davon, uns für eine ambitionierte Treibhausgas- dringend nötige Klimaschutz im Ver- Angst vor Veränderungen zu schüren. minderungsquote im Verkehr ausgespro- kehrssektor nicht stattfinden kann. Das Würden sich Verbraucher und Unterneh- chen, um die Industrie durch eine Aus- müssen Sie erklären … Zunächst men aus freien Stücken für diesen Weg weitung des EU-ETS nicht zu mal muss ich sagen, dass ich persönlich entscheiden, wäre das vollkommen in überfordern. E-Mobilität super finde. Und ich bin mir Ordnung. Aber gerade das passiert ja auch sicher, dass sie einen wichtigen Bei- nicht, sonst würden keine irrwitzigen ? Wenn Ihnen der Schutz des Klimas trag zum Klimaschutz leisten kann. Aber Subventionen für E-Autos gezahlt und so wichtig ist – warum drückt die FDP derzeit fahren auf der Welt rund 1,3 Mil- alle klimafreundlichen Technologien beim Erreichen der CO2-neutralen Ge- liarden Autos mit Verbrennungsmotor – würden eine faire Chance im marktwirt- sellschaft nicht noch mehr aufs Tempo? und in den nächsten zehn Jahren könnte schaftlichen Wettbewerb bekommen. Weil Deutschland und Europa in diese Zahl sogar noch mal deutlich an- Dass die Politik hier aus der Rolle des der Welt ein Vorbild beim Klimaschutz steigen. Diese Fahrzeuge können nur Schiedsrichters in die eines Mitspielers sein müssen – und das werden wir nur durch klimafreundliche Kraftstoffe wie getreten ist, dadurch Innovationen aus- sein, wenn es uns gelingt, unsere Klima- beispielsweise E-Fuels oder Biodiesel bremst und auch Arbeitsplätze mutwillig ziele durch technologischen Fortschritt zum Klimaschutz beitragen. Welche gefährdet, ist ein Problem. zu erreichen und dabei unsere starke Technologie sich dann am Ende in wel- wirtschaftliche und industrielle Basis zu chem Maße durchsetzt, ist ohnehin ? Wie können sich Klimaschutz und erhalten. Wenn Klimaschutz zu sozialen nichts, was die Politik entscheiden sollte. soziale Marktwirtschaft ergänzen? Sie können sich nicht nur ergän- zen, sondern sie bedingen einander. Die soziale Marktwirtschaft ist getragen vom liberalen Prinzip Freiheit und Verant- wortung. Dazu gehört die Verantwortung für kommende Generationen, weshalb Klimaschutz in der sozialen Marktwirt- „Wenn Klimaschutz zu schaft zwingend ist. Und Klimaschutz selbst funktioniert wiederum am besten, sozialen Verwerfungen wenn der Staat mit einem strikten CO2- Limit einen klaren ordnungspolitischen und Massenarbeitslosig- Rahmen setzt, dann aber nicht in die Ver- keit führt, wird das teilung der Emissionen oder in die freie Preisbildung eingreift. Klimaschutz nicht nur die Begeiste- durch Emissionshandel ist also soziale Marktwirtschaft pur. Die FDP war die rung für den Klimaschutz erste deutsche Partei, die 1971 in den Freiburger Thesen ein umweltpolitisches in Deutschland schnell Programm beschlossen hat. Auch damals übrigens schon mit starkem Fokus auf beenden.“ marktwirtschaftliche Mechanismen. 14
Die e+M-Zahl zur sache 38.173 TRABIS Dabei verursachen die Elektromobile mit jedem gefahrenen Kilometer eine durchschnittliche gesamt- knatterten zum Jahresstart klimabilanzielle CO2-Emissi- 2021* in Deutschland über on von 157 Gramm. Der 3,40 die Straßen – damit waren Meter kurze Trabant mit sei- Gesamtgewicht von lediglich hierzulande mehr Oldtimer nem robusten Zweitaktmotor 700 Kilogramm lässt sich aus dem früheren VEB Sach- liegt mit 99 Gramm Kohlen- Kraftstoff sparen. So liegt senring zugelassen als staat- stoffdioxid-Emissionen pro der Verbrauch beim Trabant lich subventionierte Elektro- Kilometer übrigens deutlich bei 4,3 Litern auf 100 Kilo- mobile von Tesla. unter dem Tesla-Wert. Mög- meter. Im April 1991 lief in Lediglich 34.389 der lich macht das die Duroplast- Zwickau der letzte Trabi vom hochpreisigen und schwer- Außenhaut, die den Trabi in Band. Die vordergründig gewichtigen Tesla-Stromer ein automobiles Leichtge- veraltete Motorentechnik ist rollten im Januar über die wicht verwandelt. Bei einem nach wie vor unverwüstlich – Straßen der Republik, melde- und könnte beim Tanken ten jüngst die Experten des grüner synthetischer Kraft- CAR-Instituts um Professor stoffe sogar zum Vorbild Dr. Ferdinand Dudenhöffer. für CO2-neutrale Mobilität Fotos: i-picture – stock.adobe.com, imago images/imagebroker werden … TESLAS 34.389 * Stand: Januar 2021 2—2021 15
zur sache CAN Sonstige Nicht- SYNTHETISCHE KRAFTSTOFFE: MYS 3,4 EU-Länder P OT E N Z I A L B E I M A R K T H O C H L AU F 4,4 15,1 Erwartete jährliche Produktion von Elektrolyseuren KOR ab 2020 in Milliarden Euro 5,1 THA 5,1 EU 48,4 USA 10,6 157 Mrd. Euro JPN E ben erst hat das scheidende Bun- deskabinett sein Klimaziel ver- schärft: Bis 2030 soll der CO2-Ausstoß 28,6 im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent sinken, bis 2045 will das Land jetzt kli- maneutral sein. Gerade im Verkehrssek- Gut für tor sind die Emissionen aber noch viel zu hoch. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat kürzlich im Auftrag der drei Verbände UNITI, IWO Klima und und MEW untersucht, welche Wert- schöpfungseffekte sich aus einem Hoch- lauf der Herstellung strombasierter flüs- CHIN siger Energieträger ergeben würden. 36,4 Das Ergebnis ist eindeutig: Für Wirt- Wirtschaft schaft und Arbeitsmarkt wäre es ein Gewinn. Durch Investitionen in Elekt- rolyseure zur Herstellung von grünem Wasserstoff und Power-to-X-(PtX)- Anlagen, die ihn anschließend in grüne synthetische Flüssigkraftstoffe umwan- TEXT deln, können sowohl europäische Anla- Kristina Simons genhersteller als auch die Wirtschafts- standorte vor Ort profitieren. Power-to-X-Erzeugnisse, wie Konkret heißt das: Die Wirt- synthetische Kraftstoffe, die aus schaft in Europa könnte sich über eine zusätzliche Wertschöpfung von jährlich grünem Strom hergestellt werden, 80 Milliarden Euro freuen, wenn Elekt- spielen eine wichtige Rolle, rolyseure in EU-Staaten gebaut und in um unter anderem den Verkehrs- außereuropäische wind- und sonnen- reiche Regionen exportiert würden. sektor klimafreundlicher zu machen. „Dazu zählen beispielsweise Nordafrika Zugleich kurbeln sie Wirtschaft und der Nahe Osten, wo erneuerbarer und Arbeitsmarkt an. Das zeigt ein Strom deutlich kostengünstiger produ- ziert werden kann als an europäischen Gutachten des Instituts der Standorten“, sagt Thilo Schaefer, Leiter deutschen Wirtschaft (IW). des Kompetenzfeldes Umwelt, Energie, Infrastruktur beim IW und einer der 16
Synthetische Kraftstoffe zur sache anschließend verteilt werden. „Von Pipelines über Tanker und Tanklager bis hin zum ausgebauten Tankstellennetz ist alles bereits komplett vorhanden.“ Politische Weichenstellungen nötig Ein Endverbraucherpreis zwischen 1,38 Euro und 2,17 Euro für einen Liter syn- thetischen Dieselkraftstoff ist laut ande- ren Studien gut vorstellbar. Vorausset- zung seien allerdings politische Rahmenbedingungen, die offen für ver- schiedene klimaneutrale Technologien sind. „Synthetische Kraftstoffe müssen „Synthetische als emissionsfreie Kraftstoffe anerkannt Kraftstoffe müssen und damit Biokraftstoffen gleichgestellt Die Studie über die Potenziale synthetischer Kraftstoffe in Europa werden“, sagt Schaefer. „Im neuen als emissionsfreie steht unter www.uniti.de Brennstoffemissionshandelsgesetz ist zum Download bereit. das noch nicht eindeutig geregelt.“ Auch Kraftstoffe bei den CO2-Flottengrenzwerten der EU würden sie nicht als klimaneutrale Kraft- anerkannt und Autoren der Studie. In Europa könnten dadurch 1,2 Millionen neue Arbeits- stoffe angerechnet. Zudem müssten sie, wie schon andere klimafreundliche Al- damit Biokraft- plätze entstehen, insbesondere im Ma- schinen- und Anlagenbau und durch die ternativen, gefördert werden, etwa steu- erlich. Nur so hätten synthetische Kraft- stoffen gleichge- Nachfrage nach Vorleistungsgütern. In stoffe eine Chance. „Inzwischen sehen stellt werden.“ den außereuropäischen Ländern könn- wir hier eine gewisse Bewegung – sowohl Thilo Schaefer, ten durch die PtX-Produktion 330.000 in Berlin als auch in Brüssel.“ Leiter des Kompetenzfelds Umwelt, Jobs geschaffen werden. Zugleich würde Energie, Infrastruktur beim IW hier die Stromerzeugung aus erneuer- und einer der Autoren der Studie baren Energien gestärkt und der Strom- mix somit grüner. EU hinkt (noch) hinterher J O B M O T O R P T X- P R O D U K T I O N : Obwohl sich der Weltmarkt für Elektro- M E H R A L S 1 , 2 M I L L I O N E N N E U E A R B E I T S P L ÄT Z E I N E U R O PA lyseure und PtX-Anlagen in den letzten 20 Jahren verdoppelt hat, fand das Beschäftigungeffekte in 1.000 Personen Wachstum größtenteils außerhalb Euro- pas statt. „Bisher fehlte in Europa ein- fach die Nachfrage“, sagt Schaefer. „In- zwischen tut sich hier aber etwas und es 260 werden mehr Elektrolyseure gebaut. Das ist auch dringend nötig.“ Elektromobili- tät sei zwar ebenfalls wichtig, um den Verkehrssektor klimafreundlicher zu machen. Sie erfordere allerdings einen massiven Ausbau der Ladeinfrastruktur. 614 1.221 Auf mittlere Sicht werde der Verbren- nungsmotor in vielen Weltregionen wei- terhin eine große Rolle spielen. „Erneu- erbare flüssige Energieträger sind zwar in der Herstellung noch relativ teuer, können aber ohne Probleme in den be- 346 stehenden Verbrennungsmotoren ge- Fotos: IW Medien nutzt werden.“ Sie lassen sich sehr gut speichern, haben eine hohe Energie- Direkte Indirekte Induzierte Gesamte dichte und können mithilfe bestehender Beschäftigung Beschäftigung Beschäftigung Beschäftigung Infrastrukturen auch über große Stre- cken kostengünstig transportiert und Quellen: Eurostat (2020); OECD (2020); UN (2020); OECD (2018); Institut der deutschen Wirtschaft 2—2021 17
interview Andreas Rimkus „Mit Elektrifizierung allein wird die Energie wende nicht gelingen“ I N T E R V I E W Gerhard Walter Für Andreas Rimkus, Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie und stellvertretendes Mitglied im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestags, ist klar: Grüne synthetische Kraftstoffe sind eine sinnvolle Ergänzung zur Elektromobilität. Der Sozialdemokrat sagt auch, warum eine Strategie für den Import von grünem Wasserstoff und dessen Folgeprodukten überfällig ist. Herr Rimkus, derzeit gibt es teils heftige Debatten zur Klimazieler- reichung. Nicht zuletzt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kli- maschutzgesetz hat das Thema weiter angefacht: Für welche Forderungen, Vorschläge und Maßnahmen beim Kli- maschutz im Energie- und Verkehrsbe- reich wird die SPD im Wahlkampfsom- mer 2021 stehen? Die neuen, ambitionierteren Kli maschutzziele sind richtig. Dementspre chend auch die Anpassung der Sektorzie le im Klimaschutzgesetz. Es ist aber von enormer Wichtigkeit, dass wir auch ei nen Weg beschreiben, wie wir diese Ziele erreichen können. Dabei müssen wir am bitionierte Klimaschutzmaßnahmen in ihrer finanziellen Auswirkung sozial und industriepolitisch abfedern. Konkret be Andreas Rimkus ist seit 2013 gebracht, die Transformation der Indust deutet das, dass wir nicht nur strengere Mitglied des Bundestages und rie muss auch staatlich gefördert werden Vorgaben machen dürfen. Wir müssen vertritt dort als Sozialdemokrat – beispielsweise beim Aufbau von Lade seine Heimatstadt Düsseldorf. Der uns auch anstrengen, um möglichst viel infrastruktur, Elektrolyse oder dem gelernte Elektromeister ist Mitglied von dem industriellen Wertschöpfungs im Ausschuss für Wirtschaft und Wasserstoffnetz. potenzial mitzunehmen, das in der Ener Energie sowie stellvertretendes giewende liegt, angefangen beim massi Mitglied im Verkehrsausschuss ? Welche Fortschritte ermöglicht die ven Ausbau der erneuerbaren Energien, und hat im Wirtschafts- und Ener- Nationale Wasserstoffstrategie? Und gieausschuss die Berichterstattung über die Wasserstoffwirtschaft einer welche Rahmenbedingungen werden für die Themen Wasserstoff, seits, Elektrifizierung andererseits, bis Elektromobilität, Sektorkopplung, für einen industriellen Hochlauf einer hin zur Kreislaufwirtschaft. Die Techno nationale Kraftstoffstrategie sowie Wasserstoffwirtschaft in Deutschland logien der Energiewende müssen voran alternative Antriebe übernommen. und Europa benötigt? 18
Andreas Rimkus interview Mit der Nationalen Wasser- ? Erneuerbare Energien sind in stoffstrategie hat die Bundesregierung Deutschland nur begrenzt verfügbar: den Grundstein gelegt für den Hochlauf Welche Rolle können Energieimporte „Deshalb sind einer Wasserstoffwirtschaft, die wir im aus EE-Strom-günstigen Standorten Sinne der Sektorkopplung und einer in- spielen und in welcher Form sollte die- synthetische Kraft- tegrierten Energiewende für alle Sekto- se Energie zur Verfügung stehen? ren brauchen. Wichtig ist aber auch, dass Deutschland ist als Industrienati- stoffe auf Wasser- diese Strategie ein lebendiges Dokument bleibt – ich habe schon damals sehr deut- on auf Energieimporte angewiesen. Der Import von Energie wird deshalb auch in stoffbasis eine lich gesagt, dass es sein kann, dass wir an Zukunft notwendig sein, vor allem in sinnvolle Ergänzung der einen oder anderen Stelle nachbes- Form von erneuerbarem Strom und auch sern müssen. Es gibt zahlreiche Indust- in Form von erneuerbarem Wasserstoff für die Verkehrs- riesparten und Verkehrsträger, für die oder seinen Derivaten. Diesen Import Wasserstoff die einzige realistische sicherzustellen, ist eine Voraussetzung wende.“ Transformationsperspektive darstellt – strategischer Dimension für unseren nur mit Elektrifizierung wird die Ener- Wohlstand, aber auch für unsere Trans- giewende nicht gelingen. formation. Mit der Erzeugung erneuerba- rer Energie kommen international neue deutet, dass regionalen und lokalen Pro- ? Stichwort Sektorkopplung: Welche Player auf die Spielfläche, die ihre Stand- jekten bis hinunter zu Lösungen auf Chancen liegen hier in einer Wasser- ortvorteile ausspielen können. Und eine Quartiersebene eine erhebliche Bedeu- stoffwirtschaft? zunehmende Diversifizierung und De- tung zukommen wird. Zugespitzt formuliert: Zunächst mokratisierung der globalen Energie- einmal liegt in der erneuerbaren Wasser- märkte bietet hier nicht nur Exportpoten- ? Welche Potenziale und Chancen stoffwirtschaft grundsätzlich die Chan- zial für Industrienationen, sondern geht verbinden Sie mit dem Einsatz von ce, die Energiewende überhaupt zu be- zwangsläufig auch einher mit Wissens- strombasierten und auf Wasserstoff- werkstelligen. Denn wie gesagt, nur mit und Technologietransfer. Das ist dann basis hergestellten klimaneutralen Elektrifizierung geht es nicht – und das echte Entwicklungszusammenarbeit auf Kraftstoffen, sogenannten E-Fuels? sage ich wohlgemerkt als Elektromeister Augenhöhe. Wenn ich weiß, dass die Umstel- und Stadtwerker. Es wird noch eine gan- lung auf alternative Antriebe bei Neu- ze Weile dauern, bis wir mit Brennstoff- ? Eine neue Studie des Instituts der fahrzeugen nicht reicht, um die Sektor- zellen kommerziell fliegen können, ge- deutschen Wirtschaft zeigt enorme ziele zu erreichen, und danach sieht es schweige denn mit Batterien. Außerdem Wertschöpfungs- und Arbeitsmarkt- aus, dann muss ich mich entscheiden: können wir uns beim Klimaschutz im potenziale für die europäische Wirt- Will ich das Sektorziel aufgeben? Oder Verkehr nicht allein auf Neufahrzeuge schaft hinsichtlich Power-to-X auf. will ich es erreichen und nehme dafür in begrenzen. Deshalb sind synthetische Was muss Europa zur Realisierung Kauf, dass ein zusätzlicher, überpropor- Kraftstoffe auf Wasserstoffbasis eine jetzt leisten? tionaler Bedarf an erneuerbarer Energie sinnvolle Ergänzung für die Verkehrs- Power-to-X, also die Gesamtheit entsteht? Ich vertrete letztere Position, wende. Ich persönlich bin der Auffas- der zur Verfügung stehenden Sektor- denn sie dient in meinen Augen nicht nur sung, dass es sinnvoll wäre, zunächst kopplungstechnologien, ist das Schlüssel- dem Klimaschutz, sondern auch dem in- einmal für einen möglichst schnellen element der Energiewende in allen Sekto- dustriellen Wertschöpfungspotenzial. Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft zu ren – auch und gerade hier braucht es Der gordische Knoten, den es zu durch- sorgen. Ich sehe beispielsweise keine also gemeinsame Ziele. Deshalb müsste schlagen gilt, lautet EE-Ausbau, nicht in Gefahr für Stranded Investments im Be- der EU Green Deal flankiert werden von erster Linie Effizienz – Effizienz hilft, ist reich der synthetischen Kraftstoffe, einem europäischen Masterplan Sektor- aber kein Allheilmittel. Wie ich schon wenn wir diese – zeit- und mengenmäßig kopplung – mit der Europäischen Was- angedeutet hatte, sollte man hierbei auch begrenzt – auch im Fahrzeugbestand bei- serstoffstrategie ist der Grundstein dafür nicht vergessen, welche Auswirkungen mischen und so die industrielle Skalie- gelegt. Strom- und Gasinfrastruktur, EE- der Hochlauf von E-Fuels auf die Wasser- rung vorantreiben. Denn wenn wir ir- Erzeugung, Elektrolyse – dies alles sollte stoffwirtschaft insgesamt hat. Je früher gendwann alle Fahrzeuge auf Batterie dabei zunehmend integriert, geplant und sie im großindustriellen Maßstab hoch- oder Brennstoffzelle umgestellt haben, realisiert werden, auch grenzüberschrei- skaliert, desto schneller werden erneuer- wird es immer noch genügend Bedarf in tend. Erste Ansätze dafür sehen wir in barer Wasserstoff und höhere Synthese- anderen Bereichen geben, beispielsweise Plänen für transnationale Großprojekte, produkte konkurrenzfähig gegenüber in der Luft oder auf dem Wasser. Ande- beispielsweise in der Nordsee. Diese Pro- fossilen Alternativen. Im Portfolio der Foto: Boris Schmidt rerseits könnten wir hier schon mit einer jekte müssen europäisch vorangetrieben Energiewendetechnologien haben kleinen Beimischung zu fossilen Kraft- werden. Andererseits dürfen wir nicht E-Fuels deshalb durchaus ihren Platz. stoffen nennenswert Klimaschutz aus den Augen verlieren, dass die Ener- Von Flüssiggas bis grünen Ammoniak, betreiben und zudem sehr wirksam die giewelt von morgen insgesamt deutlich wir müssen die verschiedenen Optionen Nachfrage stimulieren. dezentraler sein wird als heute. Das be- einem Praxistest unterziehen. 2—2021 19
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