Marktreport WAS VERSICHERER BEWEGT PANDEMIE UND KÜNSTLICHE INTELLIGENZ - Deutsche Rück
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
SCHWERPUNKT: MITTEL- UND OSTEUROPA marktreport WAS VERSICHERER BEWEGT PANDEMIE UND KÜNSTLICHE INTELLIGENZ Kein Allheilmittel DIGITALE HOTSPOTS Diese Fintech-Cluster geben in Europa den Ton an
INHALT 4 PANDEMIE UND KÜNSTLICHE INTELLIGENZ Kein Allheilmittel 12 DIGITALE HOTSPOTS Diese Fintech-Cluster geben in Europa den Ton an 6 HERAUSFORDERUNGEN IM VERTRIEB Versichern auf Russisch 10 22 DIGITALISIERUNG ERZEUGT NEUE DER BREXIT ABHÄNGIGKEITEN UND RISIKEN UND DIE REGULIERUNG BU: Sachschadenereignis ade? Pokern ums neue Regime 26 SEIDENSTRASSE Im Alleingang IMPRESSUM Herausgeber: Titelbild: Deutsche Rückversicherung Stadtansicht auf Vilnius, Hauptstadt von Litauen Aktiengesellschaft Hansaallee 177 40549 Düsseldorf Bilder: de.123rf.com©grigory_bruev; istockphoto.com©KrimKate, Baloncici, ewg3D, Redaktion: bluejayphoto, Orbon Alija; shutterstock.com©Visual Generation, Ligovsky, Stephanie Embach-Stein, Sven Klein, Jan Stepic FOTOGRIN, Alena Vorotnikova, Aitormmfoto, metamorworks, Andrii Spy_k; Andreas Meinhardt (verantwortlich für den Inhalt) stock.adobe.com©aerial-drone, picture alliance/REUTERS Graf ik + Druck: bernauer-design.de Veröffentlicht im Mai 2020
marktreport | 3 Liebe Leserinnen und Leser, ein Virus hat die Welt vorübergehend zum Stillstand gebracht. Es hat uns und unser Leben fest im Griff: in unseren Familien, unserem Miteinander, in unseren Unterneh- men und in unserer gesamten Branche. Trotz dieser völlig neuen Situation finden wir alle auf die unterschiedlichsten Herausforderungen pragmatische und gute Lösungen. Viele davon waren vor wenigen Wochen noch undenkbar – wie etwa von heute auf morgen komplett im Home- office zu arbeiten. Wir alle zeigen in diesen bewegten Zeiten Anpassungsfähigkeit und Widerstandskraft. Aber es gibt keine Wunder: Lesen Sie in unserem Leitartikel, warum Künstliche Intelligenz allein „Kein Allheilmittel“ für die Prognose von Pandemien und ihren Verlauf sein kann – vermutlich auch nicht in naher Zukunft. Über die Pandemie-Thematik hinaus haben wir uns inhaltlich in der aktuellen Ausgabe unseres Deutsche- Rück-Magazins marktreport intensiv mit der Region Mittel- und Osteuropa beschäftigt und die dortigen Versicherungsmärkte samt ihrer Gegebenheiten genauer betrachtet. Wir würden uns freuen, wenn wir damit den fachlichen und hoffentlich auch bald wieder möglichen persönlichen Austausch anregen. Wie sich der russische Versicherungsmarkt von anderen in Europa unterscheidet und welche Herausforderun- gen digitaler Natur ein Land von der Weite Russlands an den Vertrieb stellt, veranschaulicht unter anderem unser Deutsche-Rück-Kollege und Russland-Experte Sergej Tretjakow im Beitrag „Versichern auf Russisch“. Nach dem Austritt aus der Europäischen Union muss Großbritannien zum Jahresende auch den EU-Regulie- rungsstandard Solvency II verlassen. In unserem Impulsbeitrag „Pokern ums neue Regime“ erfahren Sie, welche Brisanz dies für unsere Branche birgt. In welchen europäischen Hotspots in Sachen Tech-Szene die Musik spielt, nimmt unsere Städte-Porträtstrecke „Diese Fintech-Cluster geben in Europa den Ton an“ unter die Lupe. Unser für den Markt Mittel- und Ost- europa verantwortlicher Leiter Klaus-Gregor Hahn nimmt Sie mit auf eine spannende Entdeckungsreise. Unsere Deutsche-Rück-Kollegen und Sach-Spezialisten Gregor Pabst und Daniel Hernandez stellen sich in ihrem Fachaufsatz „BU: Sachschadenereignis ade?“ die Frage, ob die klassische Betriebsunterbrechungsver- sicherung in unserer globalen Welt der Industrie 4.0 noch mithalten kann und welche Entwicklung sie künftig nehmen muss. Im Schlussbeitrag „Im Alleingang“ schreiben wir unsere letztjährige Betrachtung der Neuen Seidenstraße fort und beleuchten unter anderem mithilfe unseres Kollegen und Osteuropa-Experten Klaus-Gregor Hahn, ob und wie osteuropäische Staaten von der durchgängigen Handelsroute zwischen China und dem Rest der Welt profitieren. Bis wir uns wiedersehen: Bitte bleiben Sie gesund und zuversichtlich – ich bin positiv gestimmt, dass wir gemeinsam auch diese für uns alle außergewöhnliche Zeit ordentlich bewältigen! Eine interessante marktreport-Lektüre wünscht Ihnen Ihr Frank Schaar Chief Executive Officer Deutsche Rück
4 | marktreport PANDEMIE UND KÜNSTLICHE INTELLIGENZ Kein Allheilmittel Von Kristina Wollseifen, freie Finanzjournalistin Seit Beginn der Pandemie sammeln Unternehmen, Behörden und Organisationen weltweit Daten rund um Covid-19. Künstliche Intelligenz soll zum Beispiel Aufschluss darüber liefern, wie sich das Virus ausbreiten wird – und wann womöglich die nächste Welle droht. Solche Prognosen wären auch für Versicherer wertvoll. Geschlossene Läden, Homeoffice, Lieferengpässe: So stehen anders als bei Umfragen ohne Zeitverzug Dafür sorgt Covid-19 weltweit bei immer mehr Unter- Daten zur Verfügung, um einen aktuellen Ist-Zustand nehmen. Das zeigen auch die Analysen des Start-ups abzubilden. „Das ist zum Beispiel für Entscheidungs- istari.ai, einer Ausgründung der Gießener Justus- träger in Politik und Wirtschaft eine wichtige Hilfestel- Liebig-Universität und des Mannheimer Leibniz-Zen- lung“, sagt Lenz. trums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Die Gründer David Lenz und Jan Kinne überprüfen Das Gießener Start-up gehört zu den vielen Unterneh- zweimal pro Woche mehr als eine Million Unterneh- men und Organisationen weltweit, die derzeit Daten menswebseiten – vollautomatisiert mithilfe einer rund um Covid-19 sammeln, um sie mithilfe von speziell für diesen Zweck entwickelten Künstlichen Algorithmen und Vergleichsdaten nach bestimmten Intelligenz (KI). Die KI soll zum Beispiel Vorhersagen Eigenschaften, Mustern oder Anomalien zu unter- auf Basis komplexer Algorithmen am Computer suchen. In China haben Forscher zum Beispiel ein entwickeln – und funktioniert ein wenig so wie Diagnosesystem entwickelt, das anhand von CT-Auf- menschliches Denken über Nervenzellen. „Unser nahmen mit großer Sicherheit erkennen kann, ob ein System liest unter anderem Webseiten von Unter- Patient an Covid-19 erkrankt ist. Ein anderer Anwen- nehmen aus und erkennt mithilfe von KI, ob und vor dungszweck: Mit KI lässt sich in der Medikamentenfor- welchen Problemen Unternehmen wegen Corona schung überprüfen, welche Moleküle voraussichtlich stehen“, erklärt Mitgründer und Ökonom David Lenz. mit Proteinen des Corona-Virus reagieren – das funk-
marktreport | 5 tioniert am Rechner schneller als mit den herkömm- Selbst wenn solch ein System etabliert werden könnte lichen Labormethoden der Molekularbiologie. Dank – wer kann schon wissen, ob die Datengrundlage KI-Modellen lässt sich auch vorhersagen, wie viele dafür vollständig und valide ist? Ein weiteres Problem: Betten in Krankenhäusern bei einem moderaten oder „Daten aus verschiedenen Ländern unterscheiden auch bei einem schweren Verlauf der Pandemie belegt sich wegen verschiedener Erhebungsmethoden“, sagt wären. Das Software-Unternehmen IBM hat wiederum Falko Kötter, der sich am Fraunhofer-Institut für Ar- jüngst ein KI-Tool entwickelt, mit dem sich Dokumente beitswirtschaft und Organisation mit Digital Business nach Fragestellungen zu Covid-19 untersuchen lassen. Innovation beschäftigt. „Sie können verzerrt sein, zum Zum Beispiel: Welche Medikamente wurden bisher Beispiel aufgrund hoher Dunkelziffern oder wegen angewendet und was sind die Ergebnisse? Falschmeldungen in den sozialen Netzwerken.“ KI braucht feste Regeln Versicherungsmathematik hat sich bewährt Ist die KI ein Allheilmittel für das neue Virus? Der Vorerst wird es also unmöglich bleiben, Pandemien Gedanke drängt sich auf – ist aber vermutlich falsch. vorherzusagen. Dabei wäre das auch für Versicherer Ja, auch Start-ups aus Nordamerika werben damit, und Rückversicherer eine sehr gute Nachricht, die dass sie das Eintreten einer Pandemie bereits vor solche weltweiten Krankheitsausbrüche ansonsten Beginn des Jahres 2020 vorhergesagt hätten. Das als nicht versicherbares Kumulrisiko begreifen müs- kanadische Start-up Bluedot hatte dafür beispiels- sen. Vielleicht wird es ja doch etwas kalkulierbarer? weise mithilfe von KI unter anderem Daten zu Flug- Daten zur neuen Corona-Pandemie könnten jedenfalls strecken ausgewertet. Aber KI allein dürfte kaum wichtige Erkenntnisse liefern: Welche Versicherungs- helfen, Pandemien künftig zu verhindern – und auch leistungen waren durch die Corona-Krise besonders nicht, sie zu beherrschen. gefragt, welche Branchen waren besonders betroffen? Das lässt sich immerhin im Nachgang analysieren – Der Grund: Die neue Technologie kann zwar immer und dann für die Zukunft nutzen. bessere Prognosen abgeben – aber nur in klar defi- nierten Umgebungen mit festen Regeln, sagt Thomas Die neuen Informationen werden die Versicherer Bartz-Beielstein, Direktor des Instituts für Data Sci- sicher in Risiko- und Tarifmodellen verarbeiten – ence, Engineering and Analytics an der TH Köln. So auch mithilfe von KI, aber nicht ausschließlich, sagt wie zum Beispiel beim Schach-Spiel: Schon im Jahr Niklas Ex, Digital-Experte bei der Deutschen Rück. 1996 gelang es hier einem von IBM entwickelten Dort setzt man sich intensiv mit KI auseinander Computer, den damaligen Schach-Weltmeister Garri und nutzt diese bereits in verschiedenen Bereichen. Kasparow schachmatt zu setzen. Zuletzt brachte „KI-Technologien können in der Regel immer nur ein sich ein KI-Programm von Google das Schachspielen spezielles Problem lösen“, sagt Ex. „Außerdem sind binnen vier Stunden gar selbst bei. „In der realen Welt ihre Ergebnisse für den Menschen häufig nicht mehr lassen sich aber Ereignisse wie Naturkatastrophen nachvollziehbar.“ Daher bleiben auch die traditionel- oder gar eine Pandemie nicht wie Spielzüge sicher len mathematischen Verfahren der Aktuare relevant: vorhersagen. Zu viele unbekannte Faktoren sind hier „Bei den Modellen aus der Versicherungsmathematik mit von der Partie“, sagt Bartz-Beielstein. lässt sich ein veränderter Output immer eindeutig mit einer Änderung bei den Input-Werten erklären.“ Daten als Problemfaktor Einen solchen Unsicherheitsfaktor bilden im Falle Die Mischung macht’s also. So können Aktuare Risiken von Gesundheitsfragen die Viren selbst. „Das Problem besser einschätzen, wenn sie detaillierter modellieren ist, dass es sehr viele und sehr unterschiedliche und zum Beispiel Ausreißer berücksichtigen, die Infektionskrankheiten gibt und nur wenige unter andere Verfahren nicht erfassen. „Auch solche sta- bestimmten Bedingungen zu Pandemien werden“, tistischen Berechnungen werden dank KI robuster, sagt Allessandro Curioni, Vizepräsident IBM Europe weil sie durch verschiedene Verfahren validiert wer- und Direktor IBM Research in Zürich. „Um vorher- den können“, sagt Nicole Roik, Executive IT Architect sagen zu können, ob und wann ein neuer Ausbruch bei IBM. Trotzdem wird sich eines wohl nicht ändern: zu einer Pandemie wird, müsste man über detaillier- KI wird so schnell kein Allheilmittel. te Daten in Echtzeit verfügen, um genaue Frühwarn- systeme aufbauen zu können.“
6 | marktreport HERAUSFORDERUNGEN IM VERTRIEB Versichern auf Russisch Von Nina Bärschneider, freie Finanzjournalistin Die Größe des Landes fördert bei Versicherern in Russland den Einsatz digitaler Technologien im Arbeitsalltag und im Vertrieb. Doch mit einem guten Online- Auftritt ist es nicht getan: Der russische Versicherungsmarkt unterscheidet sich auch sonst deutlich von anderen europäischen Märkten. Kontrastreiches Land: ein beschauliches Dorf im russischen Uralgebirge ...
marktreport | 7 »Die erste Silbe des russischen Worts für Versicherung bedeutet nichts anderes als ‚Angst‘.« Sergej Tretjakow, Russland-Experte der Deutschen Rück Ob ein Autokäufer aus der russischen Hauptstadt streute Kundschaft zu erreichen, müssen Versicherer Moskau oder die Besitzerin eines neuen Autos aus ei- in Russland also online präsent sein – und andere, nem sibirischen Dorf: Jeder, der in Russland ein Auto ungewöhnliche Wege gehen, denn in abgelegenen hat, muss es versichern – und öffnet dafür einfach Gegenden ist die Internetverbindung oft schlecht am heimischen Rechner die Website der All-Russia oder gar nicht existent. Insurance Association (ARIA), dem Gesamtverband russischer Versicherer. Auf der Plattform müssen alle Versicherungsmarkt mit Wachstumschancen für Kfz-Haftpflichtversicherungen lizensierten Versi- Derzeit besteht noch eine gesetzliche Einschränkung cherungsunternehmen ihre Policen elektronisch an- für die Eröffnung von Filialen ausländischer Erstversi- bieten. Ähnlich wie bei einem deutschen Versicherer cherer. Eine Tätigkeit in Russland ist für internationale geben Autofahrer dort alle Informationen rund um Versicherungsunternehmen nur in Form einer voll- ihr Fahrzeug an – und müssen sich dann nur noch für kapitalisierten Tochtergesellschaft möglich. Nach der einen Anbieter und eine Police entscheiden. geplanten Aufhebung dieser Regelung ab 2021 dürfte der russische Versicherungsmarkt für ausländische Das Internet spielt im russischen Versicherungsge- Versicherer deutlich an Potenzial gewinnen: Denn schäft eine wichtige Rolle: 16 Prozent der Versicherer die Versicherungsdurchdringung ist mit 1,4 Prozent haben ihre gesamte Kundenkommunikation auf eine sehr gering – in Deutschland liegt der Wert bei 6,4, in Online-Plattform übertragen oder stehen kurz davor, Großbritannien bei 13,1, in Hongkong bei 18,2 und in zeigt der „Russian Insurance Market Survey 2019“ Luxemburg sogar bei 34,5. „Auf gewerblicher Ebene der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Knapp sind Versicherungen zwar längst als Risikomanage- 60 Prozent haben Pilotprojekte oder Machbarkeits- mentinstrument etabliert“, sagt Tretjakow. „Aber im studien dazu gestartet, eine Handvoll setzt auch Privatkundenbereich ist das Gegenteil der Fall.“ schon Chatbots ein. „Nahezu die Hälfte aller Kfz-Haft- pflichtpolicen wird inzwischen digital vertrieben“, Das kommt nicht von ungefähr. „Die extrem geringe sagt Sergej Tretjakow. Er ist Russland-Experte bei Versicherungsdurchdringung ist auf das niedrige Ein- der Deutschen Rück, die seit rund zehn Jahren in kommen, das mangelnde Versicherungsbewusstsein Russland aktiv ist. „Wegen einer Kfz-Haftpflichtpolice in der Öffentlichkeit und den manchmal nicht idealen gehen die russischen Kunden kaum noch zu einem Ruf der Versicherungsgesellschaften zurückzuführen“, Versicherer ins Büro.“ erklärt Julia Khmelnitskaja, stellvertretende CEO des internationalen Versicherungsmaklers Willis Towers Größtes Land der Erde Watson in Moskau. Dass Versicherungen unter Russen Das Interesse der russischen Versicherer am Online- nicht besonders populär sind, habe schon mit der Geschäft hat seine Gründe: Russland ist mit einer Semantik des Begriffs zu tun, sagt Tretjakow von der Fläche von 17,1 Millionen Quadratkilometern das Deutschen Rück: „Die erste Silbe des russischen Wortes größte Land der Erde. Gleichzeitig kommen auf einen für Versicherung, ‚страхование‘ (strachovanie), bedeu- Quadratkilometer nur knapp neun Einwohner – zum tet nichts anderes als ‚Angst‘. Versicherungen sind Vergleich: In Deutschland sind es rund 232. Während demzufolge nur etwas für Feiglinge und Angsthasen. sich der Großteil der Russen in den Großstädten Und eine echte russische Seele versteht sich als etwas im europäischen Teil des Landes tummelt, sind die anderes.“ Das Prämienvolumen in Russland beträgt ländlichen Gebiete im asiatischen Teil jenseits des rund 18,6 Milliarden Euro – das ist vergleichbar mit Uralgebirges nur spärlich besiedelt. Um ihre weit ver- einem kleineren Land wie Polen, sagt Tretjakow.
8 | marktreport Diese Versicherungen haben in Russland das höchste Prämienvolumen: € 5,9 Mrd. Lebensversicherung € 2,8 Mrd. Kfz-Haftpflichtversicherung € 2,1 Mrd. Kfz-Kaskoversicherung € 4 Mrd. Persönliche Versicherungen (Private Kranken- und Unfallversicherung) € 0,5 Mrd. Versicherung finanzieller und unternehmerischer Risiken Quelle: Central Bank of the Russian Federation, Market Portfolio at December 31st, 2018 Um seine Bürger vor allzu großen finanziellen Aus- selten mit Apps und Webseiten umgehen. Hier könn- fällen zu bewahren, hat der russische Staat eine ten Versicherer mit sogenannten „Box“-Produkten Reihe von Pflichtversicherungen eingeführt: etwa gegensteuern, sagt Khmelnitskaja: Gemeint sind sehr die besagte Kfz-Haftpflicht, deren Prämienvolumen einfache Versicherungsprodukte mit einer begrenz- sich im Jahr 2018 auf rund 2,8 Milliarden Euro belief. ten Risikoabdeckung, etwa private Haftpflicht- oder Auch Reise- und Kreditkartenversicherungen sind Rechtsschutzversicherungen, die in Poststationen oder ein Muss, genauso wie Krankenversicherungen. Laut Bankfilialen erhältlich sind. „So gibt es beispielswei- KPMG-Bericht sind außerdem Policen des persönli- se rund 18.000 Postämter in über 6.000 Siedlungen chen Eigentums, wie etwa Hypothekenversicherun- in ganz Russland, die junge wie alte Einwohner für gen, beliebter geworden. alle möglichen Dienstleistungen aufsuchen“, erklärt Khmelnitskaja. Wer hier seine Versicherungen in den „One-Stop-Shop“ ist das Prinzip der Zukunft hübsch verpackten „Boxen“ anbietet, kann all jene Wer als Versicherer die Skepsis der russischen erreichen, die als Kunden sonst nicht greifbar wären. Bevölkerung ausräumen will, muss mehrgleisig fahren: Zum einen können Versicherer sich und ihre Lokale statt globale Anbieter Produkte online auf einer eigenen Website oder der auf dem russischen Markt ARIA-Plattform präsentieren. Zum anderen können Auch wenn es erfolgreiche Lösungsansätze für die sie ihre Policen über – meist große föderale – Banken Asymmetrie des russischen Versicherungsmarktes vertreiben. Neben Finanzprodukten bieten diese gibt, bleibt das Land für internationale Versicherer ihren Kunden nämlich oft auch passende Policen herausfordernd. Zwar sinkt die Zahl der Versiche- an. So wie bei der russischen Bundessparkasse rungsanbieter – inzwischen gibt es nur noch rund 150. Sberbank, der größten Bank Russlands: Will hier ein Doch sie sind marktbeherrschend: Die Top-10-Ver- Unternehmer beispielsweise einen Kredit aufneh- sicherer machen allein 76 Prozent des Marktes aus, men, für den er sein Grundstück belastet, bietet ihm zeigt der KPMG-Bericht. die Bank prompt auch eine Versicherung für die verpfändete Immobilie an. Das ist in Russland ein Nicht nur die Konsolidierung der Branche kann gängiges Prinzip, das sich „One-Stop-Shop“ nennt. ausländische Gesellschaften abschrecken. Auch „Der One-Stop-Shop ist in Russland die Zukunft der dass es seit 2016 einen staatlichen Rückversicherer Versicherungsbranche“, ist Expertin Khmelnitskaja gibt, erschwert anderen Anbietern den Marktzugang. überzeugt. „Sogar Autohändler bieten online Policen „Die Gründung dieses Rückversicherers durch die von kooperierenden Versicherungsunternehmen an.“ russische Zentralbank war eine Antwort auf die Handelskriege und Sanktionen. Er rückversichert „Box“-Produkte als Alternative zum Online-Auftritt alle Gegenstände sowie juristischen und natürli- Die Krux bei der Digitalstrategie: Die Bevölkerung al- chen Personen, die von Sanktionen betroffen sein tert. Die ältere Generation hat nur begrenzten Internet- könnten“, erklärt Tretjakow. Andere Rückversicherer zugang – insgesamt hatten 76,3 Prozent der Russen im übernehmen solche Risiken nicht. Zudem habe der Jahr 2018 einen Internetzugang; 77 Prozent konnten staatliche Anbieter Anspruch auf zehn Prozent aller ein 3G-Netz nutzen. Auch können ältere Menschen nur Rückversicherungsprämien im Land.
marktreport | 9 Dazu kommt, dass der russische Markt von lokalen Versicherern geprägt ist, internationale Anbieter Industrie in Russland: sind rar. Wer als ausländischer (Rück-)Versicherer Versicherungen sind Standard Fuß fassen will, muss eine vollkapitalisierte Versi- cherungsgesellschaft in Russland gründen oder mit Versicherungen spielen auf der gewerblichen Ebene einem lokalen Versicherer zusammenarbeiten. in Russland eine große Rolle. Größtes Risikocluster ist dabei die Schwerindustrie. Auch die Ölbranche Das zeigt aber auch: Die internationale Konkurrenz bietet mit einem Anteil von rund 40 Prozent am in der russischen Versicherungsbranche ist über- Bruttoinlandsprodukt nach wie vor Chancen für Ver- schaubar. Zudem soll der Marktzugang ab 2021 sicherer, obwohl die Bedeutung zuletzt leicht gesun- leichter werden: Internationale Anbieter können ken ist. Petrochemie, Maschinenbau und Großhandel dann auch über eigene Zweigstellen in Russland sind weitere wichtige Unternehmensfelder. aktiv werden, sagt Khmelnitskaja. Auch Immobilien- und Transportversicherungen Im Gegenteil zu der Situation im lokalen Erstversi- sind beliebt. Sie machen bereits die Hälfte des cherungsmarkt ist das Rückversicherungsgeschäft russischen Rückversicherungsmarktes aus, zeigt in Russland traditionell sehr international geprägt. ein Report der Russian National Reinsurance Com- Die Deutsche Rück ist seit zehn Jahren erfolgreich pany. Wachsende Bedeutung haben zudem Policen im russischen Vertragsrückversicherungsgeschäft für finanzielle und unternehmerische Risiken: Ihr tätig. Und noch einen weiteren Vorteil bietet der Anteil am russischen Rückversicherungsmarkt ist russische Markt: Er ist zugleich das Tor zu anderen von 4,8 Prozent im Jahr 2017 auf 5,9 Prozent im ehemaligen Sowjet-Republiken. Die Deutsche Rück Folgejahr gestiegen. Laut KPMG-Bericht versprechen ist bislang in Russland, Moldawien, der Ukraine und sich die befragten Versicherer zudem Wachstums- Weißrussland aktiv. „Das Gebiet der sogenannten chancen bei der Absicherung von Cyberrisiken. GUS-Staaten stellt aber nach wie vor ein gefühltes und wirtschaftliches Cluster dar“, sagt Tretjakow. „Die Chancen sieht Sergej Tretjakow von der Deutschen Erfahrungen anderer Rückversicherer zeigen, dass Rück auch in der Landwirtschaftsversicherung. ab Erreichung einer gewissen Portfoliogröße und Russland gilt als Weltmarktführer für eine Reihe Intensität der Geschäftsbeziehungen ein weiteres von landwirtschaftlichen Erzeugnissen wie Getrei- effizientes Wachstum in dieser Region auch mithilfe de. Noch seien zwar weniger als fünf Prozent aller einer Repräsentanz gewährleistet werden könnte.“ landwirtschaftlichen Flächen versichert. „Mithilfe von staatlichen Subventionen sollen in den nächs- ten fünf Jahren jedoch rund die Hälfte der Flächen versichert werden“, sagt der Russland-Experte. ... und die Metropole Sankt Petersburg, zweitgrößte Stadt Russlands und viertgrößte in ganz Europa.
10 | marktreport DER BREXIT UND DIE REGULIERUNG Pokern ums neue Regime Von Olaf Wittrock , freier Finanzjournalist In der Nacht zum 1. Februar hat Großbritannien die Europäische Union verlassen. Das sorgt in der Versicherungsbranche für besondere Brisanz: Denn die Briten müssen Ende des Jahres auch den EU-Regulierungsstandard Solvency II verlassen. Sie könnten das Regelwerk der EU kopieren – oder etwas ganz anderes schaffen. Um den Brexit ranken sich viele kuriose Geschich- inwieweit sie künftig noch nach den Regeln der EU ten. Eine davon erzählen Regulierer aus der Versi- mitspielen wollen. „Solvency II wird sich in der neuen cherungsindustrie besonders gern: Es geht um den Version von den Wunschvorstellungen Großbritan- einheitlichen europäischen Regulierungsstandard niens wegentwickeln“, ist Bahl überzeugt. Solvency II. Der ist seit immerhin viereinhalb Jahren „Trotzdem denke ich nicht, dass es sich EU-weit in Kraft, vorausgegangen waren jahrelange die Briten leisten können oder wollen, und oft zähe Verhandlungen. Ende dieses Jahres wer- einen ganz anderen Weg einzuschlagen.“ den die Briten das Regelwerk verlassen. Die Ironie da- ran: Sie kehren damit ausgerechnet einem Regime den Die Freiheit ist Geschichte Rücken zu, das sie selbst maßgeblich vorangebracht, Die Lage ist in jedem Fall vertrackt. Was mitentwickelt, geprägt und verteidigt haben und das aber genau kann Großbritannien eigent- in seiner aktuellen Form ihren Zielen und Vorstellun- lich tun? Um das zu verstehen, ist ein Blick gen besonders gut entspricht. „Großbritannien hatte auf den Kern der gemeinsamen Regulierung bei den langjährigen Solvency-II-Verhandlungen notwendig: Die EU hat mit Solvency II einen die Pole-Position inne. Vieles wurde sogar direkt aus gemeinsamen Versicherungsmarkt ermöglicht. zuvor bestehenden Regulierungen in Großbritannien Erstens kann damit dank der Dienstleistungsfreiheit übernommen“, sagt Martina Bahl, Geschäftsführerin und dem sogenannten Passporting jedes EU-Versi- der auf Risikomanagement und Regulierung speziali- cherungsunternehmen in jedem Land ungehindert sierten Unternehmensberatung BahlConsult: „Umso seinen Geschäften nachgehen. Zweitens gelten dank bedauerlicher ist es, dass ein halbes Jahr nach Inkraft- einheitlicher Aufsicht für alle Anbieter treten von Solvency II, in das die Briten so viel Kraft vergleichbare Regeln. Punkt investiert hatten, das Austrittsreferendum kam.“ eins ist mit dem Brexit schon Geschichte: Jeder Versicherer, Die Geschichte geht sogar noch weiter: Denn ausge- der auf der Insel aktiv werden rechnet in diesem Jahr, in dem die Briten sich ent- will, braucht dazu nun eine scheiden müssen, welche Form der Regulierung sie rechtlich eigenständige Gesellschaft künftig für sich allein wählen, steht Solvency II vor mit Sitz vor Ort, eigener Kapitalaus- der umfassendsten Revision seiner jungen Geschich- stattung und Bilanz, eigener Unterneh- te. Im Gespräch sind einige maßgebliche Verschär- menssteuerung und Kontrolle. Eine Ausweitung der fungen, über die die Briten nicht mehr mitentschei- Dienstleistungsfreiheit auf Großbritannien, wie es den können – die aber vermutlich anders ausgehen zum Beispiel bei anderen Nicht-EU-Ländern wie Nor- würden, wenn sie noch mit am Tisch säßen. So aber wegen und Liechtenstein der Fall ist, ist nicht in Sicht. können die Londoner Aufseher derzeit dem Ringen um die Zukunft des von ihnen mitentwickelten Re- Punkt zwei könnte sich ebenfalls bald erledigt haben – gimes nur noch von der Seitenlinie aus zuschauen – es sei denn, die Parteien einigen sich auf eine gemein- und müssen sich gleichzeitig die Frage stellen, ob und same Zukunft: „Aktuell fragen sich Beobachter, ob
marktreport | 11 die EU und die britische Regierung gegenseitig ihre gewerblichen Kunden in Großbritannien in der Regel Regelwerke für die Branche anerkennen“, erklärt lokale Kooperationspartner, die diese Verträge bei Klaus Wiener, für Regulierung zuständiger Geschäfts- der Gothaer anschließend rückversichern, erklärt führer im Gesamtverband der Deutschen Versiche- Konstantin Engel, Leiter Steuerung International. rungswirtschaft (GDV). Die sogenannten Äquivalenz- „Künftige Versicherungslösungen werden wir dann entscheidungen bedeuten zum Beispiel, dass beide in Abhängigkeit der weiteren Verhandlungsergebnis- Seiten die Regeln für die Solvenz von Versicherungen se gegebenenfalls neu ausgestalten.“ Sollte Groß- als gleichwertig betrachten. „Ob aber auch mögliche britannien künftig einen ganz normalen Dritt- Weiterentwicklungen der Regime hier wie dort gleich- staaten-Status erhalten, dann müssten die bishe- förmig sein werden, ist völlig offen“, sagt Wiener. Er rigen Rückversicherungslösungen auch weiter erwartet, dass die Vorstellungen jedenfalls auf Dauer funktionieren, sagt Engel: „Wir nehmen an, auseinanderdriften. dass die Briten, unabhängig vom Ausgang der Vertragsgestaltung, ein Eigeninteresse daran Mehr Aufwand, weniger Anbieter haben, ihr internes Aufsichtsregime nicht so Dann brauchen Versicherer, die in Großbritannien Ge- weit von den EU-Richtlinien zu entfernen, dass schäfte machen wollen, nicht nur eine eigenständige sie selbst nicht mehr handlungsfähig sind.“ Tochtergesellschaft. Sie müssten künftig möglicherweise auch andere Äquivalenz schafft Spielräume Kapitalanforde- So läuft das aktuelle Geschehen vermutlich rungen erfüllen auf eine von zwei Möglichkeiten hinaus: und anders als Entweder, es kommt ein Vertrag zwischen bisher der EU und Großbritannien zustande, mit an die dem Großbritannien Solvency II eins zu Auf- eins übernimmt. Oder Großbritannien sicht zielt auf eine Solvency-II-Äquivalenz ab, schafft also eine eigene Regulierung, mel- die nicht in allen Details identisch mit den den. All das Solvency-II-Vorschriften ist – aber Ergebnisse ist mit großem gleicher Qualität hervorbringt. Erstversicherer aus zusätzlichen Aufwand Großbritannien brauchen dann in jedem Fall eine verbunden. „Ich gehe davon Niederlassung in der EU, um hier weiter Verträge aus, dass viele kleine und mittlere Anbieter verkaufen zu können – und umgekehrt. Für Rück- aus der EU unter diesen Bedingungen auf Dauer versicherer hingegen wäre eine Übernahme oder ihr Geschäft in Großbritannien aufgeben würden“, gegenseitige Anerkennung der EU-Regulierung eine sagt Wiener. Art Freifahrschein für künftige Verträge. „Sie könn- ten dann problemlos auch weiterhin Geschäfte mit Zur Zeit bereiten sich die Versicherer jedenfalls britischen wie EU-Anbietern abschließen“, sagt die auf unterschiedliche Szenarien vor. Die Gothaer Regulierungsexpertin Martina Bahl. Versicherung nutzt derzeit für Sachrisiken bei
12 | marktreport DIGITALE HOTSPOTS Diese Fintech-Cluster geben in Europa den Ton an Von Anna Friedrich, freie Finanzjournalistin Wer an innovative Start-ups denkt, dem kommt direkt Kaliforniens Silicon Valley in den Sinn. Doch auch in Europa hat sich längst eine Tech-Szene etabliert, die die Versicherungswirtschaft von morgen mitgestaltet. Die wichtigsten Cluster im Überblick. Schweiz Warum lohnt sich ein Blick nach Zürich? Glanzstück Zürich Zürich entwickelt sich zu einem dynamischen Fintech-Hub. „Die Schweiz ist nicht nur bei Banken und Versicherern sehr gut aufge- stellt, sondern auch große Vermögensverwalter sitzen alle dort“, sagt Klaus-Gregor Hahn, Leiter Marktbereich Mittel- und Osteuropa bei der Deutschen Rück. Dazu kommt: In der Schweiz lassen sich Start-ups leicht gründen und talentierte Nachwuchskräfte schnell finden – zum Beispiel an der ETH Zürich, einer der wenigen Elite-Unis in Europa. So fördert die Schweiz Fintechs: Bürgschaften für Bankkredite und Forschungsbudgets gehören in der Schweiz zum Standard. Das erleichtert Start-ups den Zugang zu Fremd- kapital. Außerdem arbeitet die Regierung seit 2019 daran, die Marktein- trittshürden für Fintechs zu senken und die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz zu stärken. Dafür hat sie zum Beispiel Crowd- funding-Regeln geändert: Bis zu hundert Millionen Schweizer Franken dürfen Jungunternehmen nun einsammeln, wenn sie die Einnahmen vorher bewilligen lassen und das Geld weder verzinsen noch anlegen. Zahlen, Daten, Fakten 10% aller Erwerbstätigen Rang 2 belegt Zürich 27,3 Mrd. Franken der Region Zürich arbeiten im Ranking der bedeu- (25,6 Mrd. Euro) hat die im Finanzsektor. tendsten Finanzzentren Finanzbranche in Zürich 24% davon bei Versicherungen. Europas, direkt hinter London. im Jahr 2017 an Bruttowertschöp- Quelle: Finanzplatz Zürich Quelle: Finanzplatz Zürich, fung erwirtschaftet. Global Financial Centres Index Quelle: Finanzplatz Zürich
marktreport | 13 Hier geht die Post ab! Diese Insurtechs stammen aus Zürich: Der Trust Square in der Nähe Dextra Versicherungen AG 2012 ging Dextra mit seiner digitalen vom Paradeplatz – eine der Rechtsschutzversicherung an den Start. Mittlerweile hat das Insurtech teuersten Adressen in Zürich – sein Portfolio um Autoversicherungen erweitert und namhafte Investo- ist eigenen Angaben zufolge ren angezogen. Mehr als 80 Prozent der Unternehmensanteile gehören das weltweit größte Zentrum der Versicherungsgruppe Bayerische aus München und der Pax Holding für Blockchain-Technologie. aus Basel. Bisher eingesammelte Investitionen: 37 Millionen Schweizer Hier treffen sich seit April 2018 Franken. Start-ups, Forscher und Inves- www.dextra.ch toren, um gemeinsam Ideen umzusetzen. Es gibt rund Vlot Der Vermittler für Lebensversicherungen will den Zugang zum 200 Arbeitsplätze auf mehr als Schweizer Vorsorgesystem vereinfachen. Mit wenigen Klicks können 300 Quadratmetern. 45 Jung- Kunden über Vlot eine maßgeschneiderte Lebensversicherung ab- unternehmen haben sich hier schließen. Statt starrer Prämien passt sich die Deckung der jeweiligen eingemietet. Jeden Dienstag Lebenssituation an. Vlot arbeitet auch mit Versicherungen, Banken und treffen sie sich zum Trust Talk, Arbeitgebern zusammen und bietet ihnen eine White-Label-Lösung an. um über Blockchain, Künstliche www.vlot.ch Intelligenz, Cybersecurity und Internet zu diskutieren. 11% mehr Fintech- 44.482 Neugründungen Wichtige Events und Insurtech-Grün- zählte das Institut für · Swiss FinTech Awards dungen gab es in Jungunternehmen im · Swiss Fintech Fair der Schweiz im Jahr 2019 ver- Jahr 2019. Noch nie wurden so glichen mit dem Vorjahr. viele Start-ups in der Schweiz ge- Quelle: Institut für Jungunternehmen gründet wie im vergangenen Jahr. Quelle: Institut für Jungunternehmen
14 | marktreport Litauen Warum lohnt sich ein Blick nach Vilnius? Underdog Vilnius Litauen mag ein kleines Land im Baltikum sein, doch in Sachen Innova- tionsfreude kann es auf internationaler Bühne durchaus mithalten: Der Global Fintech Index führt Litauen auf Platz vier in seinem welt- weiten Ranking, direkt hinter den USA, Großbritannien und Singapur. Litauen gilt zudem als eines der dynamischsten und zukunftsorientier- testen Länder mit sehr guter Infrastruktur und viel Know-how. So fördert Litauen Fintechs: Die Regulierung in Litauen ist äußerst Fintech-freundlich. Der Bal- tikumsstaat wirbt zudem mit seinem Zugang zum europäischen Finanzmarkt: Immerhin braucht es nur eine Banklizenz, um in allen 28 EU-Staaten Geschäfte machen zu können. Der Bewerbungsprozess um eine solche Lizenz soll in Litauen dank eines Online-Tools nur drei Monate dauern – andere EU-Staaten brauchen dafür mehr als ein Jahr, sagt die Bank of Lithuania. „Litauen macht es Gründern leicht, ein Un- ternehmen auf den Markt zu bringen. Es geht schnell und ist unkompli- ziert – ein großer Vorteil für das kleine Land, das ansonsten als Finanz- zentrum auch auf absehbare Zeit keine Rolle spielen wird“, erläutert Deutsche-Rück-Experte Klaus-Gregor Hahn. Zahlen, Daten, Fakten Platz 4 nimmt Litauen im welt- 210 Fintechs gab 38.000+ IT-Spezialis- weiten Fintech-Ranking von es Ende 2019 in ten gibt es in Litauen. Findexable ein – hinter den USA, Litauen. Rund 3.400 von ihnen Großbritannien und Singapur. Quelle: Invest Lithuania arbeiten im Fintech-Sektor. Quelle: Findexable Quelle: Invest Lithuania
marktreport | 15 Hier geht die Post ab! Diese Insurtechs stammen aus Vilnius: Der Vilnius Tech Park ist der Switch4Sure Das Jungunternehmen verkauft günstige und individuell größte Technologie-Hub für angepasste Lebensversicherungen an diejenigen, die bereits eine Le- Start-ups und IT-Unternehmen bensversicherung haben, aber bessere Konditionen wollen. Die Lebens- im Baltikum. Dort arbeiten versicherungen von Switch4Sure sollen nach eigenen Angaben ein 750 Entrepreneure in 40 Fir- Drittel günstiger sein als bei den Wettbewerbern – die zwei größten Ban- men unter anderem an Big- ken des Landes. Die Bank of Lithuania und die Swedbank vereinen mehr Data-Lösungen und Cybersi- als 90 Prozent des Marktvolumens auf sich. Vor Switch4Sure liegt also cherheit. Auch vier Accelerator noch ein weiter Weg. Bisher eingesammelte Investitionen: 300.000 Euro. sitzen dort: Startup Highway, www.s4s.lt IMI.VC, Practica Capital und Startup.It. Claims Control Wer einen Schaden melden will, ruft bislang bei seiner Versicherung an oder schickt eine Mail. Diese koordiniert dann alle Be- teiligten und trägt die Informationen manuell in ihr System ein. Claims Control stellt nun eine Plattform zur Verfügung, die Versicherer, Makler, Kunden und Schadenabwickler miteinander vernetzt. So lassen sich Versicherungsansprüche und Daten einfacher austauschen – und die gesamte Schadenabwicklung effizienter gestalten. www.claimscontrol.com Um 40% wächst die 16 Euro kostet ein Wichtige Events Fintech-Branche in Quadratmeter Büro- · Social Enterprise Summit Litauen jährlich, sagt fläche in Vilnius im · Startup Fair das Wirtschaftsministerium. Durchschnitt. In London sind · Innovation Drift Quelle: European Office Market 2017 die Preise acht Mal so hoch. · Login Quelle: European Office Market 2017 · The FinTech Inn Conference
16 | marktreport Frankreich Warum lohnt sich ein Blick nach Paris? Förderer Paris Start-ups in Paris stehen goldene Zeiten bevor: Die Regierung will Frank- reich zum Top-Standort für Jungunternehmen in Europa machen, baut bürokratische Hürden ab und lockt Investoren. Im vergangenen Jahr hat sie Gründer finanziell so stark unterstützt, dass Paris nun auf Platz zwei der Start-up-Finanzierungen liegt – noch vor Berlin. „Die Franzosen stocken massiv auf“, so Klaus-Gregor Hahn von der Deutschen Rück. „Dass sie Berlin überholt haben, ist ein wichtiges Signal.“ So fördert Frankreich Fintechs: Die französische Regierung will in den kommenden Jahren viele Milliarden Euro in Tech-Start-ups stecken. Dafür hat sie institutionelle Investoren wie Axa und die Allianz als Risikokapitalgeber akquiriert, die insgesamt fünf Milliarden in Tech-Unternehmen investieren. Dazu kommt Geld aus öffentlichen Töpfen, etwa von der französischen Elektrizitätsgesellschaft EDF und vom staatlichen Finanzinstitut Caisse des Dépôts. Zudem gibt es eine Regierungsinitiative, durch die Start-ups zum Beispiel schneller Visa für Fachkräfte aus dem Ausland beantragen können. Zahlen, Daten, Fakten 2,8 Mrd. Euro flossen im ersten 25 Einhörner (Fintechs mit einem Wert von Halbjahr 2019 an französische mehr als einer Mrd. US-Dollar) sollen bis Start-ups. Das sind 43% mehr als zum Jahr 2025 in Frankreich entstehen. im Vorjahreszeitraum. Bislang gibt es sieben. Quelle: EY Quelle: Rede von Macron im September 2017
marktreport | 17 Hier geht die Post ab! Diese Insurtechs stammen aus Paris: Die Station F im Pariser Alan Seit 2016 ist die digitale Krankenversicherung am Markt – und hat Zentrum nennt sich „größter seitdem enorm an Zuspruch gewonnen. Rund 76.000 Franzosen sind Start-up-Campus der Welt“. bereits über Alan versichert. Das Start-up hat eine Marktlücke entdeckt: Auf 5.100 Quadratmetern Jeder angestellte Franzose ist Teil der staatlichen Krankenversicherung ummeln sich mehr als und hat zusätzlich noch eine private Versicherung für Spezialbehand- 1.000 Jungunternehmen. lungen. Das System ist teuer und intransparent. Alan dagegen arbeitet Station F vereint rund komplett digital und bietet alle Versicherungsleistungen aus einer Hand 30 Start-up-Programme, mit transparenter Preisgestaltung und günstigen Konditionen an. Bis- 40 Venture-Capital-Funds her eingesammelte Investitionen: 86,5 Millionen US-Dollar. und mehr als 600 Veran- www.alan.com staltungen pro Jahr unter einem Dach. Hier gibt es Minalea Das Pariser Start-up hat einen Robo-Advisor entwickelt, der auch einen Wohnkomplex Versicherungen bei der Beratung ihrer Kunden unterstützen soll. Der für die jungen Unternehmer, „Smart Sales Assistant“ sammelt dafür Marktdaten und vergleicht die ein Fitnessstudio und einen Angebote verschiedener Versicherungen. Interessiert sich ein Kunde Waschsalon. für eine Versicherungslösung, kreiert der Robo-Advisor ein maßge- schneidertes Angebot, das er dann dem Berater zur Verfügung stellt. Das Angebotsportfolio ist abhängig von den Angeboten der Wettbewer- ber und dem persönlichen Profil des Kunden. www.minalea.com 230 Start-up-Investitio- Investitionssumme Wichtige Events nen wurden im Großraum von 2,2 Mrd. Euro · France Digitale Day Paris in der ersten Jahres- in Pariser Start-ups · Paris Fintech Forum hälfte 2019 gezählt, in Berlin waren (erste Jahreshälfte 2019) · Fintech R:Evolution es 129. Quelle: EY · Salon Big Data Paris Quelle: EY · Paris Blockchain Week
18 | marktreport Russland Warum lohnt sich ein Blick nach Moskau? Herausforderer Moskau Russland will dem Silicon Valley mit seinem Innovationszentrum Skol- kovo westlich von Moskau Konkurrenz machen. „Das Land hat Digital- expertise“, sagt Klaus-Gregor Hahn, Experte bei der Deutschen Rück für den mittel- und osteuropäischen Markt. „Nicht umsonst stammt Kaspersky, einer der größten Player im Bereich IT-Sicherheit weltweit, aus Russland.“ Als Finanzmetropole hat Moskau in Europa zwar keine Bedeutung, aber die Hauptstadt steckt viel Geld in Innovationsprojekte. So fördert Russland Fintechs: Die russische Zentralbank hat im Jahr 2017 die Fintech Association ins Leben gerufen, um die Blockchain-Entwicklung im Land weiter voran- zutreiben. Seit 2018 gibt es zudem eine regulatorische Sandbox: ein Experimentierraum, in dem Gründer ihre Produkte testen können – und dabei von der staatlichen Regulierung ausgenommen sind. Die Markt- aufsicht begleitet diese Testphase. Start-ups können auch von staatli- chen Investoren Geld einsammeln, zum Beispiel vom Internet Initiatives Development Fund. Zahlen, Daten, Fakten 75 Mio. US-Dollar wurden zwischen 2011 und 47,2% der russischen Finanzdienstleistungen 2016 in den russischen Fintech-Markt investiert. sollen bis zum Jahr 2035 mit Fintech-Produk- 90% davon kamen von russischen Banken. ten und -Services abgewickelt werden. Quelle: EY, Focus on Fintech Quelle: EY, Focus on Fintech
marktreport | 19 Hier geht die Post ab! Diese Insurtechs stammen aus Russland: Das Innovationszentrum Skol- Teambrella Teambrella ist eine Bitcoin-basierte Peer-to-Peer-Versiche- kovo, das im westlichen Umland rungsplattform und so erfolgreich, dass sie bereits in die USA verkauft Moskaus liegt, gilt als Silicon wurde. Statt über eine normale Versicherungsgesellschaft läuft die Valley Russlands. Auf 460 Versicherung über eine Gruppe von Menschen, die ein Team bilden und Hektar arbeiten dort Gründer sich gegenseitig absichern. Jeder sendet Geld in eine gemeinsame Geld- an innovativen Technologien. börse – natürlich nicht in Euro, sondern in Bitcoin. Macht ein Mitglied Hier testet auch der russische einen Schaden geltend, zum Beispiel einen Kratzer am Auto, bestimmt Internetkonzern Yandex seine die Gruppe gemeinsam, wie viel demjenigen zusteht. Bisher eingesam- autonom fahrenden Taxis. Der melte Investitionen: 1,3 Millionen US-Dollar. Technopark ist Herzstück des www.teambrella.com Innovationszentrums: Hier ha- ben sich rund 70 Unternehmen Gero Das Biotechnologie-Start-up will den Code des Alterns knacken und eingemietet. Die Regierung hat altersbedingte Krankheiten hinauszögern. Gero hat eine Plattform entwi- rund 50 Millionen Euro in den ckelt, die auf künstlicher Intelligenz basiert und das persönliche Krank- Wissenschaftscampus investiert. heits- und Sterblichkeitsrisiko ermittelt. Die Daten stammen unter ande- rem aus Bluttests, klinischen Befunden und Aktivitätsdaten von Wearables. So sollen Lebensversicherer das individuelle Risiko ihrer Kunden besser einschätzen können. Bisher ist das Start-up noch in der Seed-Phase. www.gero.ai 9,8% der russischen Versicherungsprämien Wichtige Events werden bis zum Jahr 2035 an Insurtechs ge- · Forum of innovative financial zahlt und nicht an klassische Versicherungen. technologies FINOPOLIS Quelle: EY, Focus on Fintech · Blockchain Life
20 | marktreport Großbritannien Warum lohnt sich ein Blick nach London? Superstar London Wer von Fintechs spricht, kommt an London nicht vorbei. Zig Start-ups ar- beiten dort an digitalen Versicherungsangeboten oder Lösungen für mobiles Bezahlen – und profitieren dabei von den Synergien mit etablierten Finanz- unternehmen. „London bleibt Europas wichtigste Finanzmetropole und daher ein idealer Ort für Fintechs“, weiß Deutsche-Rück-Experte Klaus-Gregor Hahn. „Es ist die Kombination von Infrastruktur, Professionalität und Geld, die Gründer aus aller Welt in die britische Hauptstadt zieht.“ Hahn ist sicher: London ist so gut aufgestellt, dass die Stadt auch durch den Brexit nicht an Attraktivität verliert. So fördert Großbritannien Fintechs: Die Regierung bietet zahlreiche Förderinitiativen wie das „Seed Enterprise Investment Scheme“, das maximal zwei Jahre alte Start-ups mit einem Vermögen von weniger als 200.000 Pfund und weniger als 25 Mitarbeitern fördert. Zudem gibt es den „Venture Capital Trust“, der in Jungunterneh- men investiert oder ihnen Geld leiht. Die britische Finanzmarktaufsichts- behörde FCA hat sogar eine eigene Innovationsabteilung, die Gründer mit den bestehenden Regulierungen vertraut macht und sich für innovations- freundliche Regulierungen einsetzt. Zahlen, Daten, Fakten 423 Fintechs sitzen laut 18 Einhörner (Fintechs mit Top fünf der globalen der Digitalberatung Hy einem Wert von mehr als einer Fintech-Zentren: in London. Das sind fast Mrd. US-Dollar) gibt es in der 1. San Francisco | so viele wie in New York (329), Metropole – also Fintechs, die mehr als 2. London | 3. New York | Berlin (61) und Paris (52) zusammen. eine Milliarde US-Dollar wert sind. Zum 4. Singapur | 5. São Paulo Quelle: Finance Fwd, Hy Vergleich: In San Francisco sind es nur 15. Quelle: Global Fintech Index 2020 Quelle: Finance Fwd, Hy
marktreport | 21 Hier geht die Post ab! Diese Insurtechs stammen aus London: Der Inkubator Level 39 bietet Zego Seit 2016 bietet Zego Pay-as-you-go-Versicherungen für Freiberuf- schnell wachsenden Tech-Start- ler an. So können sich beispielsweise Uber-Fahrer oder Deliveroo-Aus- ups seit 2013 ein Zuhause. Hier lieferer nur für die Stunden versichern, in denen sie auch arbeiten – und erhalten Jungunternehmen sparen sich so eine teure Berufshaftpflicht- oder Kfz-Versicherung, die Zugang zu potenziellen Kunden, das ganze Jahr läuft. Bisher eingesammelte Investitionen: 50 Millionen hochqualifizierten Talenten und US-Dollar. einer bestehenden Infrastruk- www.zego.com tur. Dazu kommen Events und Mentoren. Der Name steht für Tractable Das Jungunternehmen, das seit 2014 am Markt ist, will die das Stockwerk, in dem der Inku- Kfz- und Gebäudeversicherungsbranche revolutionieren. Passiert ein bator gegründet wurde: Von der Unfall oder sorgt ein Unwetter für Schaden am Haus, reichen ein paar 39. Etage im One Canada Square Handyfotos aus – Tractable ermittelt den Schaden direkt innerhalb – übrigens dem zweithöchsten weniger Minuten dank künstlicher Intelligenz. Bisher eingesammelte Gebäude Londons – haben die Investitionen: 55 Millionen US-Dollar. Techies die Themsemetropole www.tractable.ai bestens im Blick. Mittlerweile verteilen sich rund 200 Start-ups mit Mitarbeitern aus 48 Nationen auf rund 7.400 Quadratmetern und drei Etagen. Investitionssumme 2,5-mal so viele Wichtige Events von 5,7 Mrd. Euro in Menschen arbeiten · InsurTech Insights Londonder Start-ups in Londons Tech- · Global InsurTech Summit (erste Jahreshälfte 2019) Industrie wie im EU-Durchschnitt. · Fintech World Forum Quelle: EY Quelle: „EMEA Tech Cities: Opportunities in · UK Fintech Week Technology Hotspots“, CBRE
22 | marktreport DIGITALISIERUNG ERZEUGT NEUE ABHÄNGIGKEITEN UND RISIKEN BU: Sachschadenereignis ade? Von Gregor Pabst und Daniel Hernandez, Fachleiter und Junior Underwriter für das fakultative Sach-Geschäft/Spartenmanagement Sach bei der Deutschen Rück Mit Voranschreiten der Digitalisierung haben sich die Produktionsprozesse massiv verändert – und tun es immer noch. In der neuen Welt von Industrie 4.0 sind wichtige Geschäftsprozesse – vom Kunden über die Logistik bis hin zur Produktion – über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg virtualisiert. Alles ist miteinander vernetzt. Zunehmende Spezialisierung und Digita- lisierung sorgen für mehr Effizienz in den Betrieben, erzeugen aber auch Abhängigkeiten und bergen neue Risiken.
marktreport | 23 Die Bedeutung der Betriebsunterbrechungsversi- aus, kann das durch den dicht getakteten Produkti- cherung (BU) nimmt vor diesem Hintergrund weiter onsprozess zu Verzögerungen oder gar zum Produk- zu – sowohl was mögliche Schadenursachen als auch tionsstopp führen. Im schlimmsten Fall kommt es zu die Anzahl und Höhe der BU-Schäden betrifft. Kann einem Abriss der Lieferkette. Das kann erhebliche die klassische BU, die in der heutigen Form einen Betriebsunterbrechungsschäden verursachen. Ob Sachschaden voraussetzt, in der globalen Welt der In- Brände, Rohstoffverknappungen, Insolvenzen, Na- dustrie 4.0 noch mithalten? Und gibt es Alternativen? turkatastrophen oder politische Lieferbeschränkun- gen – die Gründe dafür können vielfältig sein. Doch In der Industrie 4.0 sind digitale Technologien inte- ist die traditionelle Sach-BU in dieser sich verändern- graler Bestandteil der Produktionskette. Produktions- den Welt noch geeignet, die Bedürfnisse der Kunden anlagen, Maschinen und Produkte tauschen in der abzudecken? Smart Factory alle fertigungsrelevanten Informati- onen in Echtzeit aus und konfigurieren sich selbst- Eine BU bietet Versicherungsschutz für den Aus- ständig. Kunden und Geschäftspartner sind heute gleich planwidrig entgehender Erlöse infolge einer integraler Bestandteil dieses Geschäftsprozesses. Unterbrechung oder Beeinträchtigung im leistungs- So können Produkte individuell produziert werden wirtschaftlichen Bereich des versicherten Betriebs. – kostengünstig und in hoher Qualität. Intelligente Vereinfacht ausgedrückt: Der Ertragsausfallschaden Wertschöpfungsketten mit automatisiertem Bestell- setzt sich zusammen aus den fortlaufenden Kosten und Warenfluss entstehen. und aus dem Gewinn, den der Versicherte nicht erwirtschaften kann. Wesentliche Voraussetzungen Durch die internationale Ausrichtung vieler Industrie- für einen versicherten BU-Schaden ist ein physischer unternehmen ist ein globales, verkettetes Netzwerk Sachschaden an einer dem Betrieb dienenden Sache, an Lieferanten und Abnehmern entstanden. Allein am versicherten Ort und durch eine versicherte das Netzwerk von Automobilherstellern umfasst Gefahr – zum Beispiel, wenn durch einen Brand im heute mehr als 2.000 Lieferanten und Sublieferanten. Betrieb Produktionsanlagen zerstört werden. Das Deren Bedeutung im Produktionsprozess nimmt heißt: Die Betriebsunterbrechungsversicherung ist stetig zu. Lag der Wertschöpfungsanteil der Zu- immer an den Eintritt eines Sachschadens gebunden, lieferer in der Automobilbranche im Jahr durch den der Leistungs- oder Produktionsprozess 2005 noch bei rund 65 Prozent, ist unterbrochen wird. er mittlerweile auf etwa 75 Prozent angewachsen. Doch was passiert, wenn etwa ein Zulieferer seinen Verpflichtungen nicht nachkommt und dadurch Steigender Wettbewerbsdruck der Betrieb unterbrochen wird? In der Regel werden Der Wettbewerbsdruck in der Rückwirkungsschäden durch die Erweiterung des verarbeitenden Industrie ist Vertrags im Rahmen einer Contingent-Business- hoch. Um eine kostspielige Interruption-Deckung adäquat und limitiert mitver- Lagerhaltung zu vermeiden sichert. Voraussetzung ist auch hier der Ausfall eines und die Produktion maximal Zulieferers aufgrund eines Sachsubstanzschadens, auszulasten, steuert sie Pro- der im Rahmen einer Sach-BU gedeckt wäre. duktionsprozesse mittlerweile „just in time“. Komponenten BU-Schadensumme durchschnittlich 3 Mio. Euro werden dann geliefert, wenn Oft ist der BU-Schaden erheblich größer als der sie gebraucht werden. Die eigentliche Sachschaden und daher auch für das Un- Kehrseite dieser effizienzför- ternehmen erheblich gefährlicher. Im Durchschnitt dernden Maßnahmen sind beläuft sich der BU-Schaden auf über 3 Millionen stärkere Abhängigkeiten Euro. Das sind rund 39 Prozent mehr als der direkte von Lieferanten. Fällt ein Sachschaden (vgl. AGCS Global Claims Review 2018). Lieferant oder Sublieferant Unternehmen erkennen zunehmend dieses Risiko.
Sie können auch lesen