Marktreport WAS VERSICHERER BEWEGT PANDEMIE UND KÜNSTLICHE INTELLIGENZ - Deutsche Rück

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Marktreport WAS VERSICHERER BEWEGT PANDEMIE UND KÜNSTLICHE INTELLIGENZ - Deutsche Rück
SCHWERPUNKT: MITTEL- UND OSTEUROPA

marktreport
WAS VERSICHERER BEWEGT

PANDEMIE UND KÜNSTLICHE INTELLIGENZ
Kein Allheilmittel

DIGITALE HOTSPOTS
Diese Fintech-Cluster
geben in Europa den Ton an
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INHALT

          4              PANDEMIE UND
                         KÜNSTLICHE INTELLIGENZ
                         Kein Allheilmittel

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                                                                                 DIGITALE HOTSPOTS
                                                                                 Diese Fintech-Cluster geben
                                                                                 in Europa den Ton an

          6               HERAUSFORDERUNGEN
                          IM VERTRIEB
                          Versichern auf Russisch

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                                                                              DIGITALISIERUNG ERZEUGT NEUE
                         DER BREXIT                                           ABHÄNGIGKEITEN UND RISIKEN
                         UND DIE REGULIERUNG
                                                                              BU: Sachschadenereignis ade?
                         Pokern ums neue Regime

                                                     26                       SEIDENSTRASSE
                                                                              Im Alleingang

IMPRESSUM
Herausgeber:                                        Titelbild:
Deutsche Rückversicherung                           Stadtansicht auf Vilnius, Hauptstadt von Litauen
Aktiengesellschaft
Hansaallee 177
40549 Düsseldorf                                    Bilder:
                                                    de.123rf.com©grigory_bruev; istockphoto.com©KrimKate, Baloncici, ewg3D,
Redaktion:                                          bluejayphoto, Orbon Alija; shutterstock.com©Visual Generation, Ligovsky,
Stephanie Embach-Stein, Sven Klein, Jan Stepic      FOTOGRIN, Alena Vorotnikova, Aitormmfoto, metamorworks, Andrii Spy_k;
Andreas Meinhardt (verantwortlich für den Inhalt)   stock.adobe.com©aerial-drone, picture alliance/REUTERS

Graf ik + Druck:
bernauer-design.de                                  Veröffentlicht im Mai 2020
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Liebe Leserinnen und Leser,

ein Virus hat die Welt vorübergehend zum Stillstand gebracht. Es hat uns und unser
Leben fest im Griff: in unseren Familien, unserem Miteinander, in unseren Unterneh-
men und in unserer gesamten Branche. Trotz dieser völlig neuen Situation finden wir
alle auf die unterschiedlichsten Herausforderungen pragmatische und gute Lösungen.

Viele davon waren vor wenigen Wochen noch undenkbar – wie etwa von heute auf morgen komplett im Home-
office zu arbeiten. Wir alle zeigen in diesen bewegten Zeiten Anpassungsfähigkeit und Widerstandskraft. Aber
es gibt keine Wunder: Lesen Sie in unserem Leitartikel, warum Künstliche Intelligenz allein „Kein Allheilmittel“
für die Prognose von Pandemien und ihren Verlauf sein kann – vermutlich auch nicht in naher Zukunft.

Über die Pandemie-Thematik hinaus haben wir uns inhaltlich in der aktuellen Ausgabe unseres Deutsche-
Rück-Magazins marktreport intensiv mit der Region Mittel- und Osteuropa beschäftigt und die dortigen
Versicherungsmärkte samt ihrer Gegebenheiten genauer betrachtet. Wir würden uns freuen, wenn wir damit
den fachlichen und hoffentlich auch bald wieder möglichen persönlichen Austausch anregen.

Wie sich der russische Versicherungsmarkt von anderen in Europa unterscheidet und welche Herausforderun-
gen digitaler Natur ein Land von der Weite Russlands an den Vertrieb stellt, veranschaulicht unter anderem
unser Deutsche-Rück-Kollege und Russland-Experte Sergej Tretjakow im Beitrag „Versichern auf Russisch“.

Nach dem Austritt aus der Europäischen Union muss Großbritannien zum Jahresende auch den EU-Regulie-
rungsstandard Solvency II verlassen. In unserem Impulsbeitrag „Pokern ums neue Regime“ erfahren Sie,
welche Brisanz dies für unsere Branche birgt.

In welchen europäischen Hotspots in Sachen Tech-Szene die Musik spielt, nimmt unsere Städte-Porträtstrecke
„Diese Fintech-Cluster geben in Europa den Ton an“ unter die Lupe. Unser für den Markt Mittel- und Ost-
europa verantwortlicher Leiter Klaus-Gregor Hahn nimmt Sie mit auf eine spannende Entdeckungsreise.

Unsere Deutsche-Rück-Kollegen und Sach-Spezialisten Gregor Pabst und Daniel Hernandez stellen sich in
ihrem Fachaufsatz „BU: Sachschadenereignis ade?“ die Frage, ob die klassische Betriebsunterbrechungsver-
sicherung in unserer globalen Welt der Industrie 4.0 noch mithalten kann und welche Entwicklung sie künftig
nehmen muss.

Im Schlussbeitrag „Im Alleingang“ schreiben wir unsere letztjährige Betrachtung der Neuen Seidenstraße fort
und beleuchten unter anderem mithilfe unseres Kollegen und Osteuropa-Experten Klaus-Gregor Hahn,
ob und wie osteuropäische Staaten von der durchgängigen Handelsroute zwischen China und
dem Rest der Welt profitieren.

Bis wir uns wiedersehen: Bitte bleiben Sie gesund und zuversichtlich –
ich bin positiv gestimmt, dass wir gemeinsam auch diese für uns alle
außergewöhnliche Zeit ordentlich bewältigen! Eine interessante
marktreport-Lektüre wünscht Ihnen

Ihr

Frank Schaar
Chief Executive Officer
Deutsche Rück
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PANDEMIE UND KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

Kein Allheilmittel
Von Kristina Wollseifen, freie Finanzjournalistin

Seit Beginn der Pandemie sammeln Unternehmen, Behörden und Organisationen weltweit
Daten rund um Covid-19. Künstliche Intelligenz soll zum Beispiel Aufschluss darüber
liefern, wie sich das Virus ausbreiten wird – und wann womöglich die nächste Welle droht.
Solche Prognosen wären auch für Versicherer wertvoll.

Geschlossene Läden, Homeoffice, Lieferengpässe:          So stehen anders als bei Umfragen ohne Zeitverzug
Dafür sorgt Covid-19 weltweit bei immer mehr Unter-      Daten zur Verfügung, um einen aktuellen Ist-Zustand
nehmen. Das zeigen auch die Analysen des Start-ups       abzubilden. „Das ist zum Beispiel für Entscheidungs-
istari.ai, einer Ausgründung der Gießener Justus-        träger in Politik und Wirtschaft eine wichtige Hilfestel-
Liebig-Universität und des Mannheimer Leibniz-Zen-       lung“, sagt Lenz.
trums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
Die Gründer David Lenz und Jan Kinne überprüfen          Das Gießener Start-up gehört zu den vielen Unterneh-
zweimal pro Woche mehr als eine Million Unterneh-        men und Organisationen weltweit, die derzeit Daten
menswebseiten – vollautomatisiert mithilfe einer         rund um Covid-19 sammeln, um sie mithilfe von
speziell für diesen Zweck entwickelten Künstlichen       Algorithmen und Vergleichsdaten nach bestimmten
Intelligenz (KI). Die KI soll zum Beispiel Vorhersagen   Eigenschaften, Mustern oder Anomalien zu unter-
auf Basis komplexer Algorithmen am Computer              suchen. In China haben Forscher zum Beispiel ein
entwickeln – und funktioniert ein wenig so wie           Diagnosesystem entwickelt, das anhand von CT-Auf-
menschliches Denken über Nervenzellen. „Unser            nahmen mit großer Sicherheit erkennen kann, ob ein
System liest unter anderem Webseiten von Unter-          Patient an Covid-19 erkrankt ist. Ein anderer Anwen-
nehmen aus und erkennt mithilfe von KI, ob und vor       dungszweck: Mit KI lässt sich in der Medikamentenfor-
welchen Problemen Unternehmen wegen Corona               schung überprüfen, welche Moleküle voraussichtlich
stehen“, erklärt Mitgründer und Ökonom David Lenz.       mit Proteinen des Corona-Virus reagieren – das funk-
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tioniert am Rechner schneller als mit den herkömm-        Selbst wenn solch ein System etabliert werden könnte
lichen Labormethoden der Molekularbiologie. Dank          – wer kann schon wissen, ob die Datengrundlage
KI-Modellen lässt sich auch vorhersagen, wie viele        dafür vollständig und valide ist? Ein weiteres Problem:
Betten in Krankenhäusern bei einem moderaten oder         „Daten aus verschiedenen Ländern unterscheiden
auch bei einem schweren Verlauf der Pandemie belegt       sich wegen verschiedener Erhebungsmethoden“, sagt
wären. Das Software-Unternehmen IBM hat wiederum          Falko Kötter, der sich am Fraunhofer-Institut für Ar-
jüngst ein KI-Tool entwickelt, mit dem sich Dokumente     beitswirtschaft und Organisation mit Digital Business
nach Fragestellungen zu Covid-19 untersuchen lassen.      Innovation beschäftigt. „Sie können verzerrt sein, zum
Zum Beispiel: Welche Medikamente wurden bisher            Beispiel aufgrund hoher Dunkelziffern oder wegen
angewendet und was sind die Ergebnisse?                   Falschmeldungen in den sozialen Netzwerken.“

KI braucht feste Regeln                                   Versicherungsmathematik hat sich bewährt
Ist die KI ein Allheilmittel für das neue Virus? Der      Vorerst wird es also unmöglich bleiben, Pandemien
Gedanke drängt sich auf – ist aber vermutlich falsch.     vorherzusagen. Dabei wäre das auch für Versicherer
Ja, auch Start-ups aus Nordamerika werben damit,          und Rückversicherer eine sehr gute Nachricht, die
dass sie das Eintreten einer Pandemie bereits vor         solche weltweiten Krankheitsausbrüche ansonsten
Beginn des Jahres 2020 vorhergesagt hätten. Das           als nicht versicherbares Kumulrisiko begreifen müs-
kanadische Start-up Bluedot hatte dafür beispiels-        sen. Vielleicht wird es ja doch etwas kalkulierbarer?
weise mithilfe von KI unter anderem Daten zu Flug-        Daten zur neuen Corona-Pandemie könnten jedenfalls
strecken ausgewertet. Aber KI allein dürfte kaum          wichtige Erkenntnisse liefern: Welche Versicherungs-
helfen, Pandemien künftig zu verhindern – und auch        leistungen waren durch die Corona-Krise besonders
nicht, sie zu beherrschen.                                gefragt, welche Branchen waren besonders betroffen?
                                                          Das lässt sich immerhin im Nachgang analysieren –
Der Grund: Die neue Technologie kann zwar immer           und dann für die Zukunft nutzen.
bessere Prognosen abgeben – aber nur in klar defi-
nierten Umgebungen mit festen Regeln, sagt Thomas         Die neuen Informationen werden die Versicherer
Bartz-Beielstein, Direktor des Instituts für Data Sci-    sicher in Risiko- und Tarifmodellen verarbeiten –
ence, Engineering and Analytics an der TH Köln. So        auch mithilfe von KI, aber nicht ausschließlich, sagt
wie zum Beispiel beim Schach-Spiel: Schon im Jahr         Niklas Ex, Digital-Experte bei der Deutschen Rück.
1996 gelang es hier einem von IBM entwickelten            Dort setzt man sich intensiv mit KI auseinander
Computer, den damaligen Schach-Weltmeister Garri          und nutzt diese bereits in verschiedenen Bereichen.
Kasparow schachmatt zu setzen. Zuletzt brachte            „KI-Technologien können in der Regel immer nur ein
sich ein KI-Programm von Google das Schachspielen         spezielles Problem lösen“, sagt Ex. „Außerdem sind
binnen vier Stunden gar selbst bei. „In der realen Welt   ihre Ergebnisse für den Menschen häufig nicht mehr
lassen sich aber Ereignisse wie Naturkatastrophen         nachvollziehbar.“ Daher bleiben auch die traditionel-
oder gar eine Pandemie nicht wie Spielzüge sicher         len mathematischen Verfahren der Aktuare relevant:
vorhersagen. Zu viele unbekannte Faktoren sind hier       „Bei den Modellen aus der Versicherungsmathematik
mit von der Partie“, sagt Bartz-Beielstein.               lässt sich ein veränderter Output immer eindeutig mit
                                                          einer Änderung bei den Input-Werten erklären.“
Daten als Problemfaktor
Einen solchen Unsicherheitsfaktor bilden im Falle         Die Mischung macht’s also. So können Aktuare Risiken
von Gesundheitsfragen die Viren selbst. „Das Problem      besser einschätzen, wenn sie detaillierter modellieren
ist, dass es sehr viele und sehr unterschiedliche         und zum Beispiel Ausreißer berücksichtigen, die
Infektionskrankheiten gibt und nur wenige unter           andere Verfahren nicht erfassen. „Auch solche sta-
bestimmten Bedingungen zu Pandemien werden“,              tistischen Berechnungen werden dank KI robuster,
sagt Allessandro Curioni, Vizepräsident IBM Europe        weil sie durch verschiedene Verfahren validiert wer-
und Direktor IBM Research in Zürich. „Um vorher-          den können“, sagt Nicole Roik, Executive IT Architect
sagen zu können, ob und wann ein neuer Ausbruch           bei IBM. Trotzdem wird sich eines wohl nicht ändern:
zu einer Pandemie wird, müsste man über detaillier-       KI wird so schnell kein Allheilmittel.
te Daten in Echtzeit verfügen, um genaue Frühwarn-
systeme aufbauen zu können.“
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HERAUSFORDERUNGEN IM VERTRIEB

Versichern auf Russisch
Von Nina Bärschneider, freie Finanzjournalistin

Die Größe des Landes fördert bei Versicherern in Russland den Einsatz digitaler
Technologien im Arbeitsalltag und im Vertrieb. Doch mit einem guten Online-
Auftritt ist es nicht getan: Der russische Versicherungsmarkt unterscheidet
sich auch sonst deutlich von anderen europäischen Märkten.

Kontrastreiches Land:
ein beschauliches
Dorf im russischen
Uralgebirge ...
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                                                          »Die erste Silbe des russischen
                                                         Worts für Versicherung bedeutet
                                                             nichts anderes als ‚Angst‘.«
                                                         Sergej Tretjakow, Russland-Experte der Deutschen Rück

Ob ein Autokäufer aus der russischen Hauptstadt           streute Kundschaft zu erreichen, müssen Versicherer
Moskau oder die Besitzerin eines neuen Autos aus ei-      in Russland also online präsent sein – und andere,
nem sibirischen Dorf: Jeder, der in Russland ein Auto     ungewöhnliche Wege gehen, denn in abgelegenen
hat, muss es versichern – und öffnet dafür einfach        Gegenden ist die Internetverbindung oft schlecht
am heimischen Rechner die Website der All-Russia          oder gar nicht existent.
Insurance Association (ARIA), dem Gesamtverband
russischer Versicherer. Auf der Plattform müssen alle     Versicherungsmarkt mit Wachstumschancen
für Kfz-Haftpflichtversicherungen lizensierten Versi-     Derzeit besteht noch eine gesetzliche Einschränkung
cherungsunternehmen ihre Policen elektronisch an-         für die Eröffnung von Filialen ausländischer Erstversi-
bieten. Ähnlich wie bei einem deutschen Versicherer       cherer. Eine Tätigkeit in Russland ist für internationale
geben Autofahrer dort alle Informationen rund um          Versicherungsunternehmen nur in Form einer voll-
ihr Fahrzeug an – und müssen sich dann nur noch für       kapitalisierten Tochtergesellschaft möglich. Nach der
einen Anbieter und eine Police entscheiden.               geplanten Aufhebung dieser Regelung ab 2021 dürfte
                                                          der russische Versicherungsmarkt für ausländische
Das Internet spielt im russischen Versicherungsge-        Versicherer deutlich an Potenzial gewinnen: Denn
schäft eine wichtige Rolle: 16 Prozent der Versicherer    die Versicherungsdurchdringung ist mit 1,4 Prozent
haben ihre gesamte Kundenkommunikation auf eine           sehr gering – in Deutschland liegt der Wert bei 6,4, in
Online-Plattform übertragen oder stehen kurz davor,       Großbritannien bei 13,1, in Hongkong bei 18,2 und in
zeigt der „Russian Insurance Market Survey 2019“          Luxemburg sogar bei 34,5. „Auf gewerblicher Ebene
der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Knapp           sind Versicherungen zwar längst als Risikomanage-
60 Prozent haben Pilotprojekte oder Machbarkeits-         mentinstrument etabliert“, sagt Tretjakow. „Aber im
studien dazu gestartet, eine Handvoll setzt auch          Privatkundenbereich ist das Gegenteil der Fall.“
schon Chatbots ein. „Nahezu die Hälfte aller Kfz-Haft-
pflichtpolicen wird inzwischen digital vertrieben“,       Das kommt nicht von ungefähr. „Die extrem geringe
sagt Sergej Tretjakow. Er ist Russland-Experte bei        Versicherungsdurchdringung ist auf das niedrige Ein-
der Deutschen Rück, die seit rund zehn Jahren in          kommen, das mangelnde Versicherungsbewusstsein
Russland aktiv ist. „Wegen einer Kfz-Haftpflichtpolice    in der Öffentlichkeit und den manchmal nicht idealen
gehen die russischen Kunden kaum noch zu einem            Ruf der Versicherungsgesellschaften zurückzuführen“,
Versicherer ins Büro.“                                    erklärt Julia Khmelnitskaja, stellvertretende CEO des
                                                          internationalen Versicherungsmaklers Willis Towers
Größtes Land der Erde                                     Watson in Moskau. Dass Versicherungen unter Russen
Das Interesse der russischen Versicherer am Online-       nicht besonders populär sind, habe schon mit der
Geschäft hat seine Gründe: Russland ist mit einer         Semantik des Begriffs zu tun, sagt Tretjakow von der
Fläche von 17,1 Millionen Quadratkilometern das           Deutschen Rück: „Die erste Silbe des russischen Wortes
größte Land der Erde. Gleichzeitig kommen auf einen       für Versicherung, ‚страхование‘ (strachovanie), bedeu-
Quadratkilometer nur knapp neun Einwohner – zum           tet nichts anderes als ‚Angst‘. Versicherungen sind
Vergleich: In Deutschland sind es rund 232. Während       demzufolge nur etwas für Feiglinge und Angsthasen.
sich der Großteil der Russen in den Großstädten           Und eine echte russische Seele versteht sich als etwas
im europäischen Teil des Landes tummelt, sind die         anderes.“ Das Prämienvolumen in Russland beträgt
ländlichen Gebiete im asiatischen Teil jenseits des       rund 18,6 Milliarden Euro – das ist vergleichbar mit
Uralgebirges nur spärlich besiedelt. Um ihre weit ver-    einem kleineren Land wie Polen, sagt Tretjakow.
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Diese Versicherungen haben in Russland das höchste Prämienvolumen:

€ 5,9 Mrd.
         Lebensversicherung                        € 2,8 Mrd.
                                                            Kfz-Haftpflichtversicherung               € 2,1 Mrd.
                                                                                                             Kfz-Kaskoversicherung

€ 4 Mrd. Persönliche Versicherungen
         (Private Kranken- und Unfallversicherung)
                                                                                                      € 0,5 Mrd.
                                                                                                             Versicherung finanzieller und
                                                                                                             unternehmerischer Risiken

Quelle: Central Bank of the Russian Federation, Market Portfolio at December 31st, 2018

Um seine Bürger vor allzu großen finanziellen Aus-                                 selten mit Apps und Webseiten umgehen. Hier könn-
fällen zu bewahren, hat der russische Staat eine                                   ten Versicherer mit sogenannten „Box“-Produkten
Reihe von Pflichtversicherungen eingeführt: etwa                                   gegensteuern, sagt Khmelnitskaja: Gemeint sind sehr
die besagte Kfz-Haftpflicht, deren Prämienvolumen                                  einfache Versicherungsprodukte mit einer begrenz-
sich im Jahr 2018 auf rund 2,8 Milliarden Euro belief.                             ten Risikoabdeckung, etwa private Haftpflicht- oder
Auch Reise- und Kreditkartenversicherungen sind                                    Rechtsschutzversicherungen, die in Poststationen oder
ein Muss, genauso wie Krankenversicherungen. Laut                                  Bankfilialen erhältlich sind. „So gibt es beispielswei-
KPMG-Bericht sind außerdem Policen des persönli-                                   se rund 18.000 Postämter in über 6.000 Siedlungen
chen Eigentums, wie etwa Hypothekenversicherun-                                    in ganz Russland, die junge wie alte Einwohner für
gen, beliebter geworden.                                                           alle möglichen Dienstleistungen aufsuchen“, erklärt
                                                                                   Khmelnitskaja. Wer hier seine Versicherungen in den
„One-Stop-Shop“ ist das Prinzip der Zukunft                                        hübsch verpackten „Boxen“ anbietet, kann all jene
Wer als Versicherer die Skepsis der russischen                                     erreichen, die als Kunden sonst nicht greifbar wären.
Bevölkerung ausräumen will, muss mehrgleisig
fahren: Zum einen können Versicherer sich und ihre                                 Lokale statt globale Anbieter
Produkte online auf einer eigenen Website oder der                                 auf dem russischen Markt
ARIA-Plattform präsentieren. Zum anderen können                                    Auch wenn es erfolgreiche Lösungsansätze für die
sie ihre Policen über – meist große föderale – Banken                              Asymmetrie des russischen Versicherungsmarktes
vertreiben. Neben Finanzprodukten bieten diese                                     gibt, bleibt das Land für internationale Versicherer
ihren Kunden nämlich oft auch passende Policen                                     herausfordernd. Zwar sinkt die Zahl der Versiche-
an. So wie bei der russischen Bundessparkasse                                      rungsanbieter – inzwischen gibt es nur noch rund 150.
Sberbank, der größten Bank Russlands: Will hier ein                                Doch sie sind marktbeherrschend: Die Top-10-Ver-
Unternehmer beispielsweise einen Kredit aufneh-                                    sicherer machen allein 76 Prozent des Marktes aus,
men, für den er sein Grundstück belastet, bietet ihm                               zeigt der KPMG-Bericht.
die Bank prompt auch eine Versicherung für die
verpfändete Immobilie an. Das ist in Russland ein                                  Nicht nur die Konsolidierung der Branche kann
gängiges Prinzip, das sich „One-Stop-Shop“ nennt.                                  ausländische Gesellschaften abschrecken. Auch
„Der One-Stop-Shop ist in Russland die Zukunft der                                 dass es seit 2016 einen staatlichen Rückversicherer
Versicherungsbranche“, ist Expertin Khmelnitskaja                                  gibt, erschwert anderen Anbietern den Marktzugang.
überzeugt. „Sogar Autohändler bieten online Policen                                „Die Gründung dieses Rückversicherers durch die
von kooperierenden Versicherungsunternehmen an.“                                   russische Zentralbank war eine Antwort auf die
                                                                                   Handelskriege und Sanktionen. Er rückversichert
„Box“-Produkte als Alternative zum Online-Auftritt                                 alle Gegenstände sowie juristischen und natürli-
Die Krux bei der Digitalstrategie: Die Bevölkerung al-                             chen Personen, die von Sanktionen betroffen sein
tert. Die ältere Generation hat nur begrenzten Internet-                           könnten“, erklärt Tretjakow. Andere Rückversicherer
zugang – insgesamt hatten 76,3 Prozent der Russen im                               übernehmen solche Risiken nicht. Zudem habe der
Jahr 2018 einen Internetzugang; 77 Prozent konnten                                 staatliche Anbieter Anspruch auf zehn Prozent aller
ein 3G-Netz nutzen. Auch können ältere Menschen nur                                Rückversicherungsprämien im Land.
Marktreport WAS VERSICHERER BEWEGT PANDEMIE UND KÜNSTLICHE INTELLIGENZ - Deutsche Rück
marktreport | 9

Dazu kommt, dass der russische Markt von lokalen
Versicherern geprägt ist, internationale Anbieter                Industrie in Russland:
sind rar. Wer als ausländischer (Rück-)Versicherer               Versicherungen sind Standard
Fuß fassen will, muss eine vollkapitalisierte Versi-
cherungsgesellschaft in Russland gründen oder mit                Versicherungen spielen auf der gewerblichen Ebene
einem lokalen Versicherer zusammenarbeiten.                      in Russland eine große Rolle. Größtes Risikocluster
                                                                 ist dabei die Schwerindustrie. Auch die Ölbranche
Das zeigt aber auch: Die internationale Konkurrenz               bietet mit einem Anteil von rund 40 Prozent am
in der russischen Versicherungsbranche ist über-                 Bruttoinlandsprodukt nach wie vor Chancen für Ver-
schaubar. Zudem soll der Marktzugang ab 2021                     sicherer, obwohl die Bedeutung zuletzt leicht gesun-
leichter werden: Internationale Anbieter können                  ken ist. Petrochemie, Maschinenbau und Großhandel
dann auch über eigene Zweigstellen in Russland                   sind weitere wichtige Unternehmensfelder.
aktiv werden, sagt Khmelnitskaja.
                                                                 Auch Immobilien- und Transportversicherungen
Im Gegenteil zu der Situation im lokalen Erstversi-              sind beliebt. Sie machen bereits die Hälfte des
cherungsmarkt ist das Rückversicherungsgeschäft                  russischen Rückversicherungsmarktes aus, zeigt
in Russland traditionell sehr international geprägt.             ein Report der Russian National Reinsurance Com-
Die Deutsche Rück ist seit zehn Jahren erfolgreich               pany. Wachsende Bedeutung haben zudem Policen
im russischen Vertragsrückversicherungsgeschäft                  für finanzielle und unternehmerische Risiken: Ihr
tätig. Und noch einen weiteren Vorteil bietet der                Anteil am russischen Rückversicherungsmarkt ist
russische Markt: Er ist zugleich das Tor zu anderen              von 4,8 Prozent im Jahr 2017 auf 5,9 Prozent im
ehemaligen Sowjet-Republiken. Die Deutsche Rück                  Folgejahr gestiegen. Laut KPMG-Bericht versprechen
ist bislang in Russland, Moldawien, der Ukraine und              sich die befragten Versicherer zudem Wachstums-
Weißrussland aktiv. „Das Gebiet der sogenannten                  chancen bei der Absicherung von Cyberrisiken.
GUS-Staaten stellt aber nach wie vor ein gefühltes
und wirtschaftliches Cluster dar“, sagt Tretjakow. „Die          Chancen sieht Sergej Tretjakow von der Deutschen
Erfahrungen anderer Rückversicherer zeigen, dass                 Rück auch in der Landwirtschaftsversicherung.
ab Erreichung einer gewissen Portfoliogröße und                  Russland gilt als Weltmarktführer für eine Reihe
Intensität der Geschäftsbeziehungen ein weiteres                 von landwirtschaftlichen Erzeugnissen wie Getrei-
effizientes Wachstum in dieser Region auch mithilfe              de. Noch seien zwar weniger als fünf Prozent aller
einer Repräsentanz gewährleistet werden könnte.“                 landwirtschaftlichen Flächen versichert. „Mithilfe
                                                                 von staatlichen Subventionen sollen in den nächs-
                                                                 ten fünf Jahren jedoch rund die Hälfte der Flächen
                                                                 versichert werden“, sagt der Russland-Experte.

                           ... und die Metropole Sankt Petersburg, zweitgrößte Stadt Russlands und viertgrößte in ganz Europa.
                                                                                                        
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DER BREXIT UND DIE REGULIERUNG

Pokern ums neue Regime
Von Olaf Wittrock , freier Finanzjournalist

In der Nacht zum 1. Februar hat Großbritannien die Europäische Union verlassen. Das sorgt
in der Versicherungsbranche für besondere Brisanz: Denn die Briten müssen Ende des Jahres
auch den EU-Regulierungsstandard Solvency II verlassen. Sie könnten das Regelwerk der EU
kopieren – oder etwas ganz anderes schaffen.

Um den Brexit ranken sich viele kuriose Geschich-          inwieweit sie künftig noch nach den Regeln der EU
ten. Eine davon erzählen Regulierer aus der Versi-         mitspielen wollen. „Solvency II wird sich in der neuen
cherungsindustrie besonders gern: Es geht um den           Version von den Wunschvorstellungen Großbritan-
einheitlichen europäischen Regulierungsstandard            niens wegentwickeln“, ist Bahl überzeugt.
Solvency II. Der ist seit immerhin viereinhalb Jahren      „Trotzdem denke ich nicht, dass es sich
EU-weit in Kraft, vorausgegangen waren jahrelange          die Briten leisten können oder wollen,
und oft zähe Verhandlungen. Ende dieses Jahres wer-        einen ganz anderen Weg einzuschlagen.“
den die Briten das Regelwerk verlassen. Die Ironie da-
ran: Sie kehren damit ausgerechnet einem Regime den        Die Freiheit ist Geschichte
Rücken zu, das sie selbst maßgeblich vorangebracht,        Die Lage ist in jedem Fall vertrackt. Was
mitentwickelt, geprägt und verteidigt haben und das        aber genau kann Großbritannien eigent-
in seiner aktuellen Form ihren Zielen und Vorstellun-      lich tun? Um das zu verstehen, ist ein Blick
gen besonders gut entspricht. „Großbritannien hatte        auf den Kern der gemeinsamen Regulierung
bei den langjährigen Solvency-II-Verhandlungen             notwendig: Die EU hat mit Solvency II einen
die Pole-Position inne. Vieles wurde sogar direkt aus      gemeinsamen Versicherungsmarkt ermöglicht.
zuvor bestehenden Regulierungen in Großbritannien          Erstens kann damit dank der Dienstleistungsfreiheit
übernommen“, sagt Martina Bahl, Geschäftsführerin          und dem sogenannten Passporting jedes EU-Versi-
der auf Risikomanagement und Regulierung speziali-         cherungsunternehmen in jedem Land ungehindert
sierten Unternehmensberatung BahlConsult: „Umso            seinen Geschäften nachgehen. Zweitens gelten dank
bedauerlicher ist es, dass ein halbes Jahr nach Inkraft-   einheitlicher Aufsicht für alle Anbieter
treten von Solvency II, in das die Briten so viel Kraft    vergleichbare Regeln. Punkt
investiert hatten, das Austrittsreferendum kam.“           eins ist mit dem Brexit schon
                                                           Geschichte: Jeder Versicherer,
Die Geschichte geht sogar noch weiter: Denn ausge-         der auf der Insel aktiv werden
rechnet in diesem Jahr, in dem die Briten sich ent-        will, braucht dazu nun eine
scheiden müssen, welche Form der Regulierung sie           rechtlich eigenständige Gesellschaft
künftig für sich allein wählen, steht Solvency II vor      mit Sitz vor Ort, eigener Kapitalaus-
der umfassendsten Revision seiner jungen Geschich-         stattung und Bilanz, eigener Unterneh-
te. Im Gespräch sind einige maßgebliche Verschär-          menssteuerung und Kontrolle. Eine Ausweitung der
fungen, über die die Briten nicht mehr mitentschei-        Dienstleistungsfreiheit auf Großbritannien, wie es
den können – die aber vermutlich anders ausgehen           zum Beispiel bei anderen Nicht-EU-Ländern wie Nor-
würden, wenn sie noch mit am Tisch säßen. So aber          wegen und Liechtenstein der Fall ist, ist nicht in Sicht.
können die Londoner Aufseher derzeit dem Ringen
um die Zukunft des von ihnen mitentwickelten Re-           Punkt zwei könnte sich ebenfalls bald erledigt haben –
gimes nur noch von der Seitenlinie aus zuschauen –         es sei denn, die Parteien einigen sich auf eine gemein-
und müssen sich gleichzeitig die Frage stellen, ob und     same Zukunft: „Aktuell fragen sich Beobachter, ob
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die EU und die britische Regierung gegenseitig ihre      gewerblichen Kunden in Großbritannien in der Regel
Regelwerke für die Branche anerkennen“, erklärt          lokale Kooperationspartner, die diese Verträge bei
Klaus Wiener, für Regulierung zuständiger Geschäfts-     der Gothaer anschließend rückversichern, erklärt
führer im Gesamtverband der Deutschen Versiche-          Konstantin Engel, Leiter Steuerung International.
rungswirtschaft (GDV). Die sogenannten Äquivalenz-       „Künftige Versicherungslösungen werden wir dann
entscheidungen bedeuten zum Beispiel, dass beide         in Abhängigkeit der weiteren Verhandlungsergebnis-
Seiten die Regeln für die Solvenz von Versicherungen     se gegebenenfalls neu ausgestalten.“ Sollte Groß-
als gleichwertig betrachten. „Ob aber auch mögliche      britannien künftig einen ganz normalen Dritt-
Weiterentwicklungen der Regime hier wie dort gleich-     staaten-Status erhalten, dann müssten die bishe-
förmig sein werden, ist völlig offen“, sagt Wiener. Er   rigen Rückversicherungslösungen auch weiter
erwartet, dass die Vorstellungen jedenfalls auf Dauer    funktionieren, sagt Engel: „Wir nehmen an,
auseinanderdriften.                                      dass die Briten, unabhängig vom Ausgang der
                                                         Vertragsgestaltung, ein Eigeninteresse daran
Mehr Aufwand, weniger Anbieter                           haben, ihr internes Aufsichtsregime nicht so
Dann brauchen Versicherer, die in Großbritannien Ge-     weit von den EU-Richtlinien zu entfernen, dass
schäfte machen wollen, nicht nur eine eigenständige      sie selbst nicht mehr handlungsfähig sind.“
           Tochtergesellschaft. Sie müssten künftig
                     möglicherweise auch andere          Äquivalenz schafft Spielräume
                                  Kapitalanforde-        So läuft das aktuelle Geschehen vermutlich
                                    rungen erfüllen      auf eine von zwei Möglichkeiten hinaus:
                                     und anders als      Entweder, es kommt ein Vertrag zwischen
                                              bisher     der EU und Großbritannien zustande, mit
                                               an die    dem Großbritannien Solvency II eins zu
                                               Auf-      eins übernimmt. Oder Großbritannien
                                               sicht

                                                         zielt auf eine Solvency-II-Äquivalenz
                                                         ab, schafft also eine eigene Regulierung,
                                               mel-      die nicht in allen Details identisch mit den
                                          den. All das   Solvency-II-Vorschriften ist – aber Ergebnisse
                                    ist mit großem       gleicher Qualität hervorbringt. Erstversicherer aus
                                zusätzlichen Aufwand     Großbritannien brauchen dann in jedem Fall eine
                          verbunden. „Ich gehe davon     Niederlassung in der EU, um hier weiter Verträge
        aus, dass viele kleine und mittlere Anbieter     verkaufen zu können – und umgekehrt. Für Rück-
     aus der EU unter diesen Bedingungen auf Dauer       versicherer hingegen wäre eine Übernahme oder
ihr Geschäft in Großbritannien aufgeben würden“,         gegenseitige Anerkennung der EU-Regulierung eine
sagt Wiener.                                             Art Freifahrschein für künftige Verträge. „Sie könn-
                                                         ten dann problemlos auch weiterhin Geschäfte mit
Zur Zeit bereiten sich die Versicherer jedenfalls        britischen wie EU-Anbietern abschließen“, sagt die
auf unterschiedliche Szenarien vor. Die Gothaer          Regulierungsexpertin Martina Bahl.
Versicherung nutzt derzeit für Sachrisiken bei
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DIGITALE HOTSPOTS

Diese Fintech-Cluster
geben in Europa den Ton an
Von Anna Friedrich, freie Finanzjournalistin

Wer an innovative Start-ups denkt, dem kommt direkt Kaliforniens Silicon Valley in den Sinn.
Doch auch in Europa hat sich längst eine Tech-Szene etabliert, die die Versicherungswirtschaft
von morgen mitgestaltet. Die wichtigsten Cluster im Überblick.

Schweiz                              Warum lohnt sich ein Blick nach Zürich?
Glanzstück Zürich
                                     Zürich entwickelt sich zu einem dynamischen Fintech-Hub. „Die
                                     Schweiz ist nicht nur bei Banken und Versicherern sehr gut aufge-
                                     stellt, sondern auch große Vermögensverwalter sitzen alle dort“, sagt
                                     Klaus-Gregor Hahn, Leiter Marktbereich Mittel- und Osteuropa bei der
                                     Deutschen Rück. Dazu kommt: In der Schweiz lassen sich Start-ups
                                     leicht gründen und talentierte Nachwuchskräfte schnell finden – zum
                                     Beispiel an der ETH Zürich, einer der wenigen Elite-Unis in Europa.

                                     So fördert die Schweiz Fintechs:

                                     Bürgschaften für Bankkredite und Forschungsbudgets gehören in der
                                     Schweiz zum Standard. Das erleichtert Start-ups den Zugang zu Fremd-
                                     kapital. Außerdem arbeitet die Regierung seit 2019 daran, die Marktein-
                                     trittshürden für Fintechs zu senken und die Wettbewerbsfähigkeit des
                                     Finanzplatzes Schweiz zu stärken. Dafür hat sie zum Beispiel Crowd-
                                     funding-Regeln geändert: Bis zu hundert Millionen Schweizer Franken
                                     dürfen Jungunternehmen nun einsammeln, wenn sie die Einnahmen
                                     vorher bewilligen lassen und das Geld weder verzinsen noch anlegen.

Zahlen, Daten, Fakten

        10% aller Erwerbstätigen            Rang 2 belegt Zürich                    27,3 Mrd. Franken
        der Region Zürich arbeiten          im Ranking der bedeu-                   (25,6 Mrd. Euro) hat die
        im Finanzsektor.                    tendsten Finanzzentren                  Finanzbranche in Zürich
24% davon bei Versicherungen.         Europas, direkt hinter London.       im Jahr 2017 an Bruttowertschöp-
Quelle: Finanzplatz Zürich            Quelle: Finanzplatz Zürich,          fung erwirtschaftet.
                                      Global Financial Centres Index
                                                                           Quelle: Finanzplatz Zürich
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Hier geht die Post ab!                 Diese Insurtechs stammen aus Zürich:

Der Trust Square in der Nähe           Dextra Versicherungen AG 2012 ging Dextra mit seiner digitalen
vom Paradeplatz – eine der             Rechtsschutzversicherung an den Start. Mittlerweile hat das Insurtech
teuersten Adressen in Zürich –         sein Portfolio um Autoversicherungen erweitert und namhafte Investo-
ist eigenen Angaben zufolge            ren angezogen. Mehr als 80 Prozent der Unternehmensanteile gehören
das weltweit größte Zentrum            der Versicherungsgruppe Bayerische aus München und der Pax Holding
für Blockchain-Technologie.            aus Basel. Bisher eingesammelte Investitionen: 37 Millionen Schweizer
Hier treffen sich seit April 2018      Franken.
Start-ups, Forscher und Inves-         www.dextra.ch
toren, um gemeinsam Ideen
umzusetzen. Es gibt rund               Vlot Der Vermittler für Lebensversicherungen will den Zugang zum
200 Arbeitsplätze auf mehr als         Schweizer Vorsorgesystem vereinfachen. Mit wenigen Klicks können
300 Quadratmetern. 45 Jung-            Kunden über Vlot eine maßgeschneiderte Lebensversicherung ab-
unternehmen haben sich hier            schließen. Statt starrer Prämien passt sich die Deckung der jeweiligen
eingemietet. Jeden Dienstag            Lebenssituation an. Vlot arbeitet auch mit Versicherungen, Banken und
treffen sie sich zum Trust Talk,       Arbeitgebern zusammen und bietet ihnen eine White-Label-Lösung an.
um über Blockchain, Künstliche         www.vlot.ch
Intelligenz, Cybersecurity und
Internet zu diskutieren.

         11% mehr Fintech-                       44.482 Neugründungen                Wichtige Events
         und Insurtech-Grün-                     zählte das Institut für             · Swiss FinTech Awards
         dungen gab es in                        Jungunternehmen im                  · Swiss Fintech Fair
der Schweiz im Jahr 2019 ver-          Jahr 2019. Noch nie wurden so
glichen mit dem Vorjahr.               viele Start-ups in der Schweiz ge-
Quelle: Institut für Jungunternehmen   gründet wie im vergangenen Jahr.
                                       Quelle: Institut für Jungunternehmen
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Litauen                               Warum lohnt sich ein Blick nach Vilnius?
Underdog Vilnius
                                      Litauen mag ein kleines Land im Baltikum sein, doch in Sachen Innova-
                                      tionsfreude kann es auf internationaler Bühne durchaus mithalten:
                                      Der Global Fintech Index führt Litauen auf Platz vier in seinem welt-
                                      weiten Ranking, direkt hinter den USA, Großbritannien und Singapur.
                                      Litauen gilt zudem als eines der dynamischsten und zukunftsorientier-
                                      testen Länder mit sehr guter Infrastruktur und viel Know-how.

                                      So fördert Litauen Fintechs:

                                      Die Regulierung in Litauen ist äußerst Fintech-freundlich. Der Bal-
                                      tikumsstaat wirbt zudem mit seinem Zugang zum europäischen
                                      Finanzmarkt: Immerhin braucht es nur eine Banklizenz, um in allen
                                      28 EU-Staaten Geschäfte machen zu können. Der Bewerbungsprozess
                                      um eine solche Lizenz soll in Litauen dank eines Online-Tools nur drei
                                      Monate dauern – andere EU-Staaten brauchen dafür mehr als ein Jahr,
                                      sagt die Bank of Lithuania. „Litauen macht es Gründern leicht, ein Un-
                                      ternehmen auf den Markt zu bringen. Es geht schnell und ist unkompli-
                                      ziert – ein großer Vorteil für das kleine Land, das ansonsten als Finanz-
                                      zentrum auch auf absehbare Zeit keine Rolle spielen wird“, erläutert
                                      Deutsche-Rück-Experte Klaus-Gregor Hahn.

Zahlen, Daten, Fakten

       Platz 4 nimmt Litauen im welt-                      210 Fintechs gab               38.000+ IT-Spezialis-
       weiten Fintech-Ranking von                          es Ende 2019 in                ten gibt es in Litauen.
       Findexable ein – hinter den USA,                    Litauen.                       Rund 3.400 von ihnen
Großbritannien und Singapur.                 Quelle: Invest Lithuania           arbeiten im Fintech-Sektor.
Quelle: Findexable                                                              Quelle: Invest Lithuania
marktreport | 15

Hier geht die Post ab!                Diese Insurtechs stammen aus Vilnius:

Der Vilnius Tech Park ist der         Switch4Sure Das Jungunternehmen verkauft günstige und individuell
größte Technologie-Hub für            angepasste Lebensversicherungen an diejenigen, die bereits eine Le-
Start-ups und IT-Unternehmen          bensversicherung haben, aber bessere Konditionen wollen. Die Lebens-
im Baltikum. Dort arbeiten            versicherungen von Switch4Sure sollen nach eigenen Angaben ein
750 Entrepreneure in 40 Fir-          Drittel günstiger sein als bei den Wettbewerbern – die zwei größten Ban-
men unter anderem an Big-             ken des Landes. Die Bank of Lithuania und die Swedbank vereinen mehr
Data-Lösungen und Cybersi-            als 90 Prozent des Marktvolumens auf sich. Vor Switch4Sure liegt also
cherheit. Auch vier Accelerator       noch ein weiter Weg. Bisher eingesammelte Investitionen: 300.000 Euro.
sitzen dort: Startup Highway,         www.s4s.lt
IMI.VC, Practica Capital und
Startup.It.                           Claims Control Wer einen Schaden melden will, ruft bislang bei seiner
                                      Versicherung an oder schickt eine Mail. Diese koordiniert dann alle Be-
                                      teiligten und trägt die Informationen manuell in ihr System ein. Claims
                                      Control stellt nun eine Plattform zur Verfügung, die Versicherer, Makler,
                                      Kunden und Schadenabwickler miteinander vernetzt. So lassen sich
                                      Versicherungsansprüche und Daten einfacher austauschen – und die
                                      gesamte Schadenabwicklung effizienter gestalten.
                                      www.claimscontrol.com

          Um 40% wächst die                     16 Euro kostet ein                    Wichtige Events
          Fintech-Branche in                    Quadratmeter Büro-                    · Social Enterprise Summit
          Litauen jährlich, sagt                fläche in Vilnius im                  · Startup Fair
das Wirtschaftsministerium.           Durchschnitt. In London sind                    · Innovation Drift
Quelle: European Office Market 2017   die Preise acht Mal so hoch.                    · Login
                                      Quelle: European Office Market 2017             · The FinTech Inn Conference
16 | marktreport

Frankreich                           Warum lohnt sich ein Blick nach Paris?
Förderer Paris
                                     Start-ups in Paris stehen goldene Zeiten bevor: Die Regierung will Frank-
                                     reich zum Top-Standort für Jungunternehmen in Europa machen, baut
                                     bürokratische Hürden ab und lockt Investoren. Im vergangenen Jahr
                                     hat sie Gründer finanziell so stark unterstützt, dass Paris nun auf Platz
                                     zwei der Start-up-Finanzierungen liegt – noch vor Berlin. „Die Franzosen
                                     stocken massiv auf“, so Klaus-Gregor Hahn von der Deutschen Rück.
                                     „Dass sie Berlin überholt haben, ist ein wichtiges Signal.“

                                     So fördert Frankreich Fintechs:

                                     Die französische Regierung will in den kommenden Jahren viele
                                     Milliarden Euro in Tech-Start-ups stecken. Dafür hat sie institutionelle
                                     Investoren wie Axa und die Allianz als Risikokapitalgeber akquiriert,
                                     die insgesamt fünf Milliarden in Tech-Unternehmen investieren.
                                     Dazu kommt Geld aus öffentlichen Töpfen, etwa von der französischen
                                     Elektrizitätsgesellschaft EDF und vom staatlichen Finanzinstitut Caisse
                                     des Dépôts. Zudem gibt es eine Regierungsinitiative, durch die Start-ups
                                     zum Beispiel schneller Visa für Fachkräfte aus dem Ausland beantragen
                                     können.

Zahlen, Daten, Fakten

         2,8 Mrd. Euro flossen im ersten                          25 Einhörner (Fintechs mit einem Wert von
         Halbjahr 2019 an französische                            mehr als einer Mrd. US-Dollar) sollen bis
         Start-ups. Das sind 43% mehr als                         zum Jahr 2025 in Frankreich entstehen.
im Vorjahreszeitraum.                                   Bislang gibt es sieben.
Quelle: EY                                              Quelle: Rede von Macron im September 2017
marktreport | 17

Hier geht die Post ab!                  Diese Insurtechs stammen aus Paris:

Die Station F im Pariser                Alan Seit 2016 ist die digitale Krankenversicherung am Markt – und hat
Zentrum nennt sich „größter             seitdem enorm an Zuspruch gewonnen. Rund 76.000 Franzosen sind
Start-up-Campus der Welt“.              bereits über Alan versichert. Das Start-up hat eine Marktlücke entdeckt:
Auf 5.100 Quadratmetern                 Jeder angestellte Franzose ist Teil der staatlichen Krankenversicherung
ummeln sich mehr als                    und hat zusätzlich noch eine private Versicherung für Spezialbehand-
1.000 Jungunternehmen.                  lungen. Das System ist teuer und intransparent. Alan dagegen arbeitet
Station F vereint rund                  komplett digital und bietet alle Versicherungsleistungen aus einer Hand
30 Start-up-Programme,                  mit transparenter Preisgestaltung und günstigen Konditionen an. Bis-
40 Venture-Capital-Funds                her eingesammelte Investitionen: 86,5 Millionen US-Dollar.
und mehr als 600 Veran-                 www.alan.com
staltungen pro Jahr unter
einem Dach. Hier gibt es                Minalea Das Pariser Start-up hat einen Robo-Advisor entwickelt, der
auch einen Wohnkomplex                  Versicherungen bei der Beratung ihrer Kunden unterstützen soll. Der
für die jungen Unternehmer,             „Smart Sales Assistant“ sammelt dafür Marktdaten und vergleicht die
ein Fitnessstudio und einen             Angebote verschiedener Versicherungen. Interessiert sich ein Kunde
Waschsalon.                             für eine Versicherungslösung, kreiert der Robo-Advisor ein maßge-
                                        schneidertes Angebot, das er dann dem Berater zur Verfügung stellt.
                                        Das Angebotsportfolio ist abhängig von den Angeboten der Wettbewer-
                                        ber und dem persönlichen Profil des Kunden.
                                        www.minalea.com

          230 Start-up-Investitio-                 Investitionssumme                   Wichtige Events
          nen wurden im Großraum                   von 2,2 Mrd. Euro                   · France Digitale Day
          Paris in der ersten Jahres-              in Pariser Start-ups                · Paris Fintech Forum
hälfte 2019 gezählt, in Berlin waren     (erste Jahreshälfte 2019)                     · Fintech R:Evolution
es 129.                                  Quelle: EY                                    · Salon Big Data Paris
Quelle: EY                                                                             · Paris Blockchain Week
18 | marktreport

Russland                                  Warum lohnt sich ein Blick nach Moskau?
Herausforderer Moskau
                                          Russland will dem Silicon Valley mit seinem Innovationszentrum Skol-
                                          kovo westlich von Moskau Konkurrenz machen. „Das Land hat Digital-
                                          expertise“, sagt Klaus-Gregor Hahn, Experte bei der Deutschen Rück
                                          für den mittel- und osteuropäischen Markt. „Nicht umsonst stammt
                                          Kaspersky, einer der größten Player im Bereich IT-Sicherheit weltweit,
                                          aus Russland.“ Als Finanzmetropole hat Moskau in Europa zwar keine
                                          Bedeutung, aber die Hauptstadt steckt viel Geld in Innovationsprojekte.

                                          So fördert Russland Fintechs:

                                          Die russische Zentralbank hat im Jahr 2017 die Fintech Association ins
                                          Leben gerufen, um die Blockchain-Entwicklung im Land weiter voran-
                                          zutreiben. Seit 2018 gibt es zudem eine regulatorische Sandbox: ein
                                          Experimentierraum, in dem Gründer ihre Produkte testen können – und
                                          dabei von der staatlichen Regulierung ausgenommen sind. Die Markt-
                                          aufsicht begleitet diese Testphase. Start-ups können auch von staatli-
                                          chen Investoren Geld einsammeln, zum Beispiel vom Internet Initiatives
                                          Development Fund.

Zahlen, Daten, Fakten

             75 Mio. US-Dollar wurden zwischen 2011 und                      47,2% der russischen Finanzdienstleistungen
             2016 in den russischen Fintech-Markt investiert.                sollen bis zum Jahr 2035 mit Fintech-Produk-
             90% davon kamen von russischen Banken.                          ten und -Services abgewickelt werden.
Quelle: EY, Focus on Fintech                                    Quelle: EY, Focus on Fintech
marktreport | 19

Hier geht die Post ab!                    Diese Insurtechs stammen aus Russland:

Das Innovationszentrum Skol-              Teambrella Teambrella ist eine Bitcoin-basierte Peer-to-Peer-Versiche-
kovo, das im westlichen Umland            rungsplattform und so erfolgreich, dass sie bereits in die USA verkauft
Moskaus liegt, gilt als Silicon           wurde. Statt über eine normale Versicherungsgesellschaft läuft die
Valley Russlands. Auf 460                 Versicherung über eine Gruppe von Menschen, die ein Team bilden und
Hektar arbeiten dort Gründer              sich gegenseitig absichern. Jeder sendet Geld in eine gemeinsame Geld-
an innovativen Technologien.              börse – natürlich nicht in Euro, sondern in Bitcoin. Macht ein Mitglied
Hier testet auch der russische            einen Schaden geltend, zum Beispiel einen Kratzer am Auto, bestimmt
Internetkonzern Yandex seine              die Gruppe gemeinsam, wie viel demjenigen zusteht. Bisher eingesam-
autonom fahrenden Taxis. Der              melte Investitionen: 1,3 Millionen US-Dollar.
Technopark ist Herzstück des              www.teambrella.com
Innovationszentrums: Hier ha-
ben sich rund 70 Unternehmen              Gero Das Biotechnologie-Start-up will den Code des Alterns knacken und
eingemietet. Die Regierung hat            altersbedingte Krankheiten hinauszögern. Gero hat eine Plattform entwi-
rund 50 Millionen Euro in den             ckelt, die auf künstlicher Intelligenz basiert und das persönliche Krank-
Wissenschaftscampus investiert.           heits- und Sterblichkeitsrisiko ermittelt. Die Daten stammen unter ande-
                                          rem aus Bluttests, klinischen Befunden und Aktivitätsdaten von Wearables.
                                          So sollen Lebensversicherer das individuelle Risiko ihrer Kunden besser
                                          einschätzen können. Bisher ist das Start-up noch in der Seed-Phase.
                                          www.gero.ai

             9,8% der russischen Versicherungsprämien                             Wichtige Events
             werden bis zum Jahr 2035 an Insurtechs ge-                           · Forum of innovative financial
             zahlt und nicht an klassische Versicherungen.                          technologies FINOPOLIS
Quelle: EY, Focus on Fintech                                                      · Blockchain Life
20 | marktreport

Großbritannien                         Warum lohnt sich ein Blick nach London?
Superstar London
                                       Wer von Fintechs spricht, kommt an London nicht vorbei. Zig Start-ups ar-
                                       beiten dort an digitalen Versicherungsangeboten oder Lösungen für mobiles
                                       Bezahlen – und profitieren dabei von den Synergien mit etablierten Finanz-
                                       unternehmen. „London bleibt Europas wichtigste Finanzmetropole und
                                       daher ein idealer Ort für Fintechs“, weiß Deutsche-Rück-Experte Klaus-Gregor
                                       Hahn. „Es ist die Kombination von Infrastruktur, Professionalität und Geld,
                                       die Gründer aus aller Welt in die britische Hauptstadt zieht.“ Hahn ist sicher:
                                       London ist so gut aufgestellt, dass die Stadt auch durch den Brexit nicht an
                                       Attraktivität verliert.

                                       So fördert Großbritannien Fintechs:

                                       Die Regierung bietet zahlreiche Förderinitiativen wie das „Seed Enterprise
                                       Investment Scheme“, das maximal zwei Jahre alte Start-ups mit einem
                                       Vermögen von weniger als 200.000 Pfund und weniger als 25 Mitarbeitern
                                       fördert. Zudem gibt es den „Venture Capital Trust“, der in Jungunterneh-
                                       men investiert oder ihnen Geld leiht. Die britische Finanzmarktaufsichts-
                                       behörde FCA hat sogar eine eigene Innovationsabteilung, die Gründer mit
                                       den bestehenden Regulierungen vertraut macht und sich für innovations-
                                       freundliche Regulierungen einsetzt.

Zahlen, Daten, Fakten

           423 Fintechs sitzen laut               18 Einhörner (Fintechs mit                   Top fünf der globalen
           der Digitalberatung Hy                 einem Wert von mehr als einer                Fintech-Zentren:
           in London. Das sind fast               Mrd. US-Dollar) gibt es in der               1. San Francisco |
so viele wie in New York (329),        Metropole – also Fintechs, die mehr als        2. London | 3. New York |
Berlin (61) und Paris (52) zusammen.   eine Milliarde US-Dollar wert sind. Zum        4. Singapur | 5. São Paulo
Quelle: Finance Fwd, Hy                Vergleich: In San Francisco sind es nur 15.    Quelle: Global Fintech Index 2020

                                       Quelle: Finance Fwd, Hy
marktreport | 21

Hier geht die Post ab!              Diese Insurtechs stammen aus London:

Der Inkubator Level 39 bietet       Zego Seit 2016 bietet Zego Pay-as-you-go-Versicherungen für Freiberuf-
schnell wachsenden Tech-Start-      ler an. So können sich beispielsweise Uber-Fahrer oder Deliveroo-Aus-
ups seit 2013 ein Zuhause. Hier     lieferer nur für die Stunden versichern, in denen sie auch arbeiten – und
erhalten Jungunternehmen            sparen sich so eine teure Berufshaftpflicht- oder Kfz-Versicherung, die
Zugang zu potenziellen Kunden,      das ganze Jahr läuft. Bisher eingesammelte Investitionen: 50 Millionen
hochqualifizierten Talenten und     US-Dollar.
einer bestehenden Infrastruk-       www.zego.com
tur. Dazu kommen Events und
Mentoren. Der Name steht für        Tractable Das Jungunternehmen, das seit 2014 am Markt ist, will die
das Stockwerk, in dem der Inku-     Kfz- und Gebäudeversicherungsbranche revolutionieren. Passiert ein
bator gegründet wurde: Von der      Unfall oder sorgt ein Unwetter für Schaden am Haus, reichen ein paar
39. Etage im One Canada Square      Handyfotos aus – Tractable ermittelt den Schaden direkt innerhalb
– übrigens dem zweithöchsten        weniger Minuten dank künstlicher Intelligenz. Bisher eingesammelte
Gebäude Londons – haben die         Investitionen: 55 Millionen US-Dollar.
Techies die Themsemetropole         www.tractable.ai
bestens im Blick. Mittlerweile
verteilen sich rund 200 Start-ups
mit Mitarbeitern aus 48 Nationen
auf rund 7.400 Quadratmetern
und drei Etagen.

          Investitionssumme                  2,5-mal so viele                       Wichtige Events
          von 5,7 Mrd. Euro in               Menschen arbeiten                      · InsurTech Insights
          Londonder Start-ups                in Londons Tech-                       · Global InsurTech Summit
(erste Jahreshälfte 2019)           Industrie wie im EU-Durchschnitt.               · Fintech World Forum
Quelle: EY                          Quelle: „EMEA Tech Cities: Opportunities in     · UK Fintech Week
                                    Technology Hotspots“, CBRE
22 | marktreport

DIGITALISIERUNG ERZEUGT NEUE ABHÄNGIGKEITEN UND RISIKEN

BU: Sachschadenereignis ade?
Von Gregor Pabst und Daniel Hernandez, Fachleiter und Junior Underwriter für das fakultative
Sach-Geschäft/Spartenmanagement Sach bei der Deutschen Rück

Mit Voranschreiten der Digitalisierung haben sich die Produktionsprozesse massiv verändert –
und tun es immer noch. In der neuen Welt von Industrie 4.0 sind wichtige Geschäftsprozesse –
vom Kunden über die Logistik bis hin zur Produktion – über Unternehmens- und Ländergrenzen
hinweg virtualisiert. Alles ist miteinander vernetzt. Zunehmende Spezialisierung und Digita-
lisierung sorgen für mehr Effizienz in den Betrieben, erzeugen aber auch Abhängigkeiten und
bergen neue Risiken.
marktreport | 23

Die Bedeutung der Betriebsunterbrechungsversi-            aus, kann das durch den dicht getakteten Produkti-
cherung (BU) nimmt vor diesem Hintergrund weiter          onsprozess zu Verzögerungen oder gar zum Produk-
zu – sowohl was mögliche Schadenursachen als auch         tionsstopp führen. Im schlimmsten Fall kommt es zu
die Anzahl und Höhe der BU-Schäden betrifft. Kann         einem Abriss der Lieferkette. Das kann erhebliche
die klassische BU, die in der heutigen Form einen         Betriebsunterbrechungsschäden verursachen. Ob
Sachschaden voraussetzt, in der globalen Welt der In-     Brände, Rohstoffverknappungen, Insolvenzen, Na-
dustrie 4.0 noch mithalten? Und gibt es Alternativen?     turkatastrophen oder politische Lieferbeschränkun-
                                                          gen – die Gründe dafür können vielfältig sein. Doch
In der Industrie 4.0 sind digitale Technologien inte-     ist die traditionelle Sach-BU in dieser sich verändern-
graler Bestandteil der Produktionskette. Produktions-     den Welt noch geeignet, die Bedürfnisse der Kunden
anlagen, Maschinen und Produkte tauschen in der           abzudecken?
Smart Factory alle fertigungsrelevanten Informati-
onen in Echtzeit aus und konfigurieren sich selbst-       Eine BU bietet Versicherungsschutz für den Aus-
ständig. Kunden und Geschäftspartner sind heute           gleich planwidrig entgehender Erlöse infolge einer
integraler Bestandteil dieses Geschäftsprozesses.         Unterbrechung oder Beeinträchtigung im leistungs-
So können Produkte individuell produziert werden          wirtschaftlichen Bereich des versicherten Betriebs.
– kostengünstig und in hoher Qualität. Intelligente       Vereinfacht ausgedrückt: Der Ertragsausfallschaden
Wertschöpfungsketten mit automatisiertem Bestell-         setzt sich zusammen aus den fortlaufenden Kosten
und Warenfluss entstehen.                                 und aus dem Gewinn, den der Versicherte nicht
                                                          erwirtschaften kann. Wesentliche Voraussetzungen
Durch die internationale Ausrichtung vieler Industrie-    für einen versicherten BU-Schaden ist ein physischer
unternehmen ist ein globales, verkettetes Netzwerk        Sachschaden an einer dem Betrieb dienenden Sache,
an Lieferanten und Abnehmern entstanden. Allein           am versicherten Ort und durch eine versicherte
das Netzwerk von Automobilherstellern umfasst             Gefahr – zum Beispiel, wenn durch einen Brand im
heute mehr als 2.000 Lieferanten und Sublieferanten.      Betrieb Produktionsanlagen zerstört werden. Das
Deren Bedeutung im Produktionsprozess nimmt               heißt: Die Betriebsunterbrechungsversicherung ist
      stetig zu. Lag der Wertschöpfungsanteil der Zu-     immer an den Eintritt eines Sachschadens gebunden,
            lieferer in der Automobilbranche im Jahr      durch den der Leistungs- oder Produktionsprozess
                  2005 noch bei rund 65 Prozent, ist      unterbrochen wird.
                    er mittlerweile auf etwa 75 Prozent
                      angewachsen.                        Doch was passiert, wenn etwa ein Zulieferer seinen
                                                          Verpflichtungen nicht nachkommt und dadurch
                     Steigender Wettbewerbsdruck          der Betrieb unterbrochen wird? In der Regel werden
                     Der Wettbewerbsdruck in der          Rückwirkungsschäden durch die Erweiterung des
                      verarbeitenden Industrie ist        Vertrags im Rahmen einer Contingent-Business-
                      hoch. Um eine kostspielige          Interruption-Deckung adäquat und limitiert mitver-
                      Lagerhaltung zu vermeiden           sichert. Voraussetzung ist auch hier der Ausfall eines
                      und die Produktion maximal          Zulieferers aufgrund eines Sachsubstanzschadens,
                       auszulasten, steuert sie Pro-      der im Rahmen einer Sach-BU gedeckt wäre.
                       duktionsprozesse mittlerweile
                       „just in time“. Komponenten        BU-Schadensumme durchschnittlich 3 Mio. Euro
                       werden dann geliefert, wenn        Oft ist der BU-Schaden erheblich größer als der
                       sie gebraucht werden. Die          eigentliche Sachschaden und daher auch für das Un-
                       Kehrseite dieser effizienzför-     ternehmen erheblich gefährlicher. Im Durchschnitt
                        dernden Maßnahmen sind            beläuft sich der BU-Schaden auf über 3 Millionen
                        stärkere Abhängigkeiten           Euro. Das sind rund 39 Prozent mehr als der direkte
                        von Lieferanten. Fällt ein        Sachschaden (vgl. AGCS Global Claims Review 2018).
                        Lieferant oder Sublieferant       Unternehmen erkennen zunehmend dieses Risiko.
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