Philippinen Eine Annäherung - RUNDBRIEF 2 | 2017 - Oikocredit Westdeutscher Förderkreis
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Inhalt Editorial Seite 3 Die Stürme sind stärker geworden Seite 8 Koloniales Erbe – elitäre Herrschaft – Widerstand und Machtrochaden Liebe Mitglieder, liebe Unterstützerinnen und Unterstützer von Oikocredit, Seite 14 Was wirkt wie? Mikrofinanz Im Januar hatte ich während der Oikocredit Study in den Philippinen Tour die Gelegenheit, die Arbeit der Genossenschaft Seite 19 in den Philippinen kennenzulernen. Eine solche Kinder, Küche, Kirche – Ausland? Reise gewährt nachhaltige Eindrücke: die Schönheit Seite 21 der Landschaft, die Offenheit der Menschen. Durch Gespräche vor Ort haben wir Einblicke in ihren All- Gagamba, der Spinnenmann tag nehmen können. Die aktuellen politischen Dis- Seite 22 kussionen und deren Ursprünge in der wechselhaften Babaylan, Netzwerk für Filipinas Geschichte sind mir dadurch näher gerückt. Seite 24 Zeit zum Denken – mit Kino Die Philippinen sind wie kaum ein Land betroffen vom Klimawandel. Zunehmend häufiger wird die Bevölkerung durch Taifune heimgesucht, die Seite 26 verheerende Schäden anrichten. Oikocredit braucht einen langen Atem, Kein Schritt ohne Buddy um solche Krisen gemeinsam mit den Partnern zu meistern. Die über Seite 28 400-jährige spanisch-amerikanische Kolonialgeschichte hat die Philippi- Oikocredit-Generalversammlung nen geprägt. Die von den Spaniern geförderte einheimische Elite sollte den Seite 30 Abbau der Bodenschätze sicherstellen. Ihre Nachfolger haben heute die Halbzeit für Money Matters Münster extrem ungleiche Verteilung des nationalen Einkommens zu verantworten Seite 32 – aktuelle Ausflüge in eine von Gewalt gekennzeichnete populistische Poli- Aus der Enge in die Weite tik inklusive. Armutsbekämpfung mit Mikrokrediten – darüber haben wir Seite 34 intensiv mit unseren Partner*innen von Negros Women for Tomorrow disku- Aus dem Förderkreis tiert. Es war für mich beeindruckend zu sehen, wie Cecilia del Castillo und ihre Mitstreiter*innen aus einer kleinen privaten Initiative heraus eine Orga- nisation geschaffen haben, die über 300.000 Kundinnen wichtige soziale Impressum Dienstleistungen bietet, die der Staat nicht bereitstellt. Gerechte Einkommensverteilung, nachhaltiger Umgang mit der Natur, par- Rundbrief 2-17 wird herausgegeben von Oikocredit Westdeutscher Förderkreis tizipative, gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft – die Herausfor- Adenauerallee 37, 53113 Bonn derungen ähneln sich weltweit. Schon einmal hatte in den Philippinen die Tel.: 0228/6880-280, Fax: 0228/6880-9280 „People Power“ der Zivilgesellschaft großen Erfolg: mit dem Sturz der Mar- E-Mail: westdeutsch@oikocredit.de cos-Diktatur 1986. Es bleibt zu hoffen, dass in der aktuell angespannten Internet: www.westdeutsch.oikocredit.de Konten: Situation diese Kräfte erneut die Oberhand behalten. Ethik und Wirtschaft Vereinskonto: zusammenbringen – das ist die bleibende Aufgabe von Oikocredit. Unser IBAN DE65 3506 0190 1011 3440 18 Regionalbüro in Manila mit seiner Leiterin Tes Pilapil leistet dazu einen BIC GENODED1DKD wichtigen Beitrag. Für Ihre nachhaltige Unterstützung als Anleger*innen Treuhandkonto: danken wir Ihnen. IBAN DE43 3506 0190 1011 3440 26 BIC GENODED1DKD Redaktion: Helmut Pojunke (V.i.S.d.P.), Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen Marion Wedegärtner Ihr Helmut Pojunke Fotos: Ida Andrae, (S. 2, S. 33, S. 34 r.), Anna Bündgens (S. 30, u.) Mary Lou Hardillo (S. 21 o.), Paul Katzenberger (S. 24), Jo Schwartz (S. 22,23), Opmeer Reports (S. 4 o., S. 8 u. l., S. 10), Ulrike Zum Titelbild: Theresa Tomaro ist Kun- Pfab (S. 11 u.), Helmut Pojunke (S. 3 u., S. 8 u.r., din der philippinischen Mikrofinanzinstitu- S. 13 o.l., S. 36), Franziska von Schmeling (S. 31 tion Negros Women for Tomorrow Found- u.), Katharina Siemeling (S. 30 o., S. 31 o.), Nico- ation Inc. (NWTF). Die 43-Jährige hat mit las Villaume (Titelbild, S. 3 o., S.4 o., S. 5,6,9,10, Gruppen-Krediten seit 2002 ihren Sari-Sari 11 o., 13 o.r., 14-17), übrige: Oikocredit, privat Shop in Dulao auf- und ihr Geschäft konti- Grafik: paraaf, NL nuierlich ausgebaut, wohnt komfortabler als Layout: Frank Zander Grafik + Design, Berlin zuvor, ernährt sich und die Familie gesünder Druck und Vertrieb: Knotenpunkt Offsetdruck und hat sich mit dem letzten Kredit Second GmbH – Dieser Rundbrief ist auf 100 % Recyc- Hand den roten Transporter gekauft. Mehr lingpapier gedruckt. über NWTF erfahren Sie auf Seite 14ff. 2
Die Stürme sind stärker geworden Reich und Arm im Land der 7.107 Inseln Der Flughafen von Bacolod auf der Insel Negros D ie Philippinen sind bekannt für ihre weißen Sandstrände und eine schillernd-bunte Unter- wasserwelt. Die Menschen, die dort leben, gelten mit entsprechenden wirtschaftlichen oder politischen Möglichkeiten, und oligarchische Strukturen bestim- men den Alltag und die Politik in starkem Maß mit. als äußerst gastfreundlich, zu jeder Hauptmahlzeit Familienverbände sind ein wichtiger Rückhalt für viele essen sie Reis. Wer kein eigenes Auto besitzt, fährt Bürger*innen, sie liefern die soziale Absicherung, die mit dem Jeepney oder für kürzere Wege mit dem Tri- der Staat ihnen nicht bietet. „Die Philippinen“, schreibt cycle, einer Art Rikscha. Die 7.107 Inseln sind geseg- der Schriftsteller Francisco Sionil José, haben „über net mit einer enormen Biodiversität und einer kultu- 300 Jahre im spanischen Konventsmief verbracht und rellen Vielfalt unterschiedlicher ethno-linguistischer 50 Jahre unter dem Joch Hollywoods gelebt“. Spanien Gruppen und indigener Völker. Doch es gibt viele hinterließ die Katholikenmoral, Amerika seine Sprache, gesellschaftliche Herausforderungen auf den Philippi- nen und auch die Auswirkungen des Klimawandels sind längst deutlich spürbar: Die Stürme sind stär- ker geworden, die Dürreperioden länger. Eine Land- reform ist dringend notwendig, ebenso eine effek- tive Korruptionsbekämpfung und ein funktionieren- des Justizsystem; mehr als 10.000 Menschen wurden Berichten von Amnesty International zufolge schon im Drogenkrieg des neuen Präsidenten außergericht- lich hingerichtet. Sozialamt „Großfamilie“ Seit dreißig Jahren, seit dem Sturz der Marcos-Dikta- tur, streben die Philippinen als Demokratie soziale, poli- tische und ökonomische Gerechtigkeit für die ganze Bevölkerung an – zumindest auf dem Papier. Auf der Inselgruppe leben mehr als 100 Millionen Menschen. Patronage, die gezielte Bevorzugung durch Personen Blick auf Manila über den Pasig 3
Rückzug des Staates und die Integration der heimi- schen Wirtschaft in den internationalen Markt haben die Feudalstrukturen noch weiter bestärkt, folglich sind die Philippinen eine der weltweit ungleichsten Gesell- schaften. Viele indigene Völker gehören zu den benach- teiligten Bevölkerungsgruppen, sie sind oft Opfer von Vertreibungen und Umsiedlung durch multinationale Konzerne, wie zum Beispiel im Bereich des Bergbaus. In den Reisfeldern einer Farm, die von der Landwirtschaftskoope- Zehn Millionen Oversea Filipin@s rative Abrasa, Oikocreditpartner seit 2009, unterstützt wird Doch Monokulturen für den Export werfen so gute Fabriken und Kino-Träume, sein politisches System. Gewinne ab, dass wenig Land für den heimischen Reis- Über 80 Prozent der Bevölkerung sind christlich, daher anbau übrig bleibt und die nationale Nahrungssicher- spielt die Kirche eine große Rolle im Alltag – zum Bei- heit gefährdet ist. Das stärkste Exportgut des Landes spiel beim Thema Familienpolitik. Jedes Jahr wächst sind jedoch Arbeitskräfte, sogenannte Oversea Filipino die Bevölkerung um 2,3 Millionen Einwohner*innen, mit Workers (OFWs). Die Summe der Rücküberweisungen dieser Tendenz werden im Jahr 2030 auf den Philippi- der OFWs, also der Geldüberweisungen aus dem nen 150 Millionen Menschen leben. Ausland in ihre Herkunftsländer, hat sich in den letz- ten vier Jahren auf über 25 Milliarden US-Dollar pro Ungleichheit mit langer Tradition Jahr verdreifacht und macht etwa zwölf Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Die Wirtschaft des Lan- Obwohl das Bruttoinlandsprodukt ein beeindruckendes des ist auf die Arbeitskräfte im Ausland angewiesen. Wirtschaftswachstum von sechs Prozent – das größte Etwa zehn Prozent der Bevölkerung sind im Ausland in Südostasien – in den vergangenen Jahren verzeich- tätig, sei es als Krankenpfleger*in, Architekt*in, Haus- nete, klafft die Schere zwischen unvorstellbar reichen haltshilfe oder Bauarbeiter*in. Über die Hälfte der und extrem armen Menschen immer weiter auseinan- Arbeitsmigrant*innen (56 Prozent) arbeiten im Mittleren der. Dieser Kontrast wird in der Hauptstadt Manila mit Osten, andere in Hong Kong, Kuwait, Singapore, USA, ihren über 23 Millionen Einwohner*innen besonders Japan oder auch in Deutschland. Oft sind die philippi- deutlich. Während in manchen Teilen Manilas gated nischen Arbeitsmigrant*innen für die Arbeit im Ausland communities (bewachte Wohnsiedlungen), gläserne überqualifiziert, trotzdem rechnet sich der Verdienst Hochhäuser und große Geländewagen das Stadt- im Ausland, da die Arbeit im heimischen Markt nicht bild prägen, lebt über die Hälfte der Bevölkerung von angemessen entlohnt wird. Auch hier könnte die Regie- weniger als zwei US-Dollar am Tag. Der zunehmende rung dem daraus folgenden „brain drain“, dem Talent- schwund, entgegen wirken und Impulse für angemes- sene Arbeitsplätze im Inland schaffen, statt die Export- kultur noch weiter zu fördern. Lilli Breininger L illi Breininger, Fotografin und Ethnologin, ist Geschäftsführerin vom philippinenbüro e.V. Köln. Das unabhängige, soziopolitische Informationszent- rum betreibt Informations- und Bildungsarbeit zu aktu- ellen Entwicklungen in den Philippinen, zeigt Hinter- gründe und Zusammen- hänge auf, vermittelt Kon- takte in die Philippinen und fungiert als Dokumentati- In den Straßen von Bacolod onszentrum. www.philippinenbuero.de 4
Präsidiale Republik, aktueller Präsident Rodrigo Duterte Hauptstadt: Manila Größe: 343.448 km². 7107 Inseln, die größten sind Luzon, Mindanao, Samar, Negros, Panay und Mindoro Bevölkerung: 100,7 Mio. (2015), davon sind 35% jünger als 15 Jahre, 82% der Bevölkerung sind katholisch. Der Alphabetisierungsgrad der über 15-Jährigen liegt bei 95%. Klima: Tropisch, in höheren Lagen der Gebirge subtropisch. Kein Ort ist weiter als 200 km vom Meer entfernt. Währung: Philippinischer Peso (PHP) Sprache: Filipino und Englisch (Amtssprachen), daneben knapp 170 indigene Sprachen Lebenserwartung: 68,3 Jahre (80,5 Jahre in Deutschland) Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 6.837 Euro (Deutschland: 41.719 Euro) Armut: Die Armutsquote liegt offiziell bei 26,7 %, was einem Familieneinkommen von monatlich 10.500 PHP (etwa 200 Euro) entspricht. Nach Einschätzung regionaler NGOs braucht eine Familie mindestens 27.000 PHP. Wichtigste Exportprodukte: Elektronikwaren, landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Kokosnüsse, Zuckerrohr, Bananen 5
Die Philippinen Koloniales Erbe – elitäre Herrschaft – Widerstand und Machtrochaden Unterwegs auf der Insel Negros E s war der Run auf Gewürze, der die einst rivalisie- renden Seemächte Spanien und Portugal bewog, Schiffsexpeditionen zu finanzieren, um sich so eben die mit den Nachbarregionen regen Handel trieben und auch waffentechnisch so ausgerüstet waren, dass sie militärischem Druck der Spanier trotzen konnten. Die diese und andere in Europa begehrte Spezereien zu schimpften die Muslime im Süden des Archipels ver- sichern. Die Anfänge des westlichen Kolonialismus ächtlich „Moros“ (Mauren, Mohren) – in Anlehnung an auf den „Philippinen“ – dem einzigen Land in Süd- die Zeit der Conquista. ostasien, das nach einem westeuropäischen Herr- scher benannt wurde – waren buchstäblich „gepfef- Manila – das war seit 1571 die Zitadelle kastilischer fert“. Die spanischen Konquistadoren, die ab 1521 als Grandezza. Dort residierten die Generalgouverneure, erste Europäer in das Land kamen, trafen auf keinen mit Ordern versehen von der Zentralregierung, die über organisierten Widerstand. Der insulare Charakter des den langen Seeweg des in Mexiko beheimateten Vize- Landes – seine Fragmentierung und die relativ dünne königs ihre Adressaten in Südostasien erreichten. Diese Besiedlung – ermöglichten es den Spaniern, ihren Ein- pazifische Seeroute, über die der Acapulco- oder Gale- fluss über den Großteil der Inseln auszuweiten und onenhandel (benannt nach den damals größten see- schrittweise zu festigen. tüchtigen Frachtschiffen) erfolgte, war gleichzeitig das wichtigste Scharnier zum iberischen Kernland. Von „Aufmüpfige Moros“, der mexikanischen Hafenstadt Acapulco aus setzten Galeonen ihre Segel gen Westen, um Manila mit allem willkommene chinesische Händler zum Unterhalt der Kolonie Notwendigen zu versorgen. Den Islam, der seit 1380 in Süd-Nord-Richtung bis Sodann ging es weiter in Richtung Chinas Südküste, zum heutigen Manila an Einfluss gewonnenen hatte, um dort gegen begehrtes mexikanisches Silber all das vermochten die christlichen Kolonialherren, die 1571 an Luxusartikeln (u.a. Porzellan, Seide, Teppiche) zu Manila zum Hauptsitz ihrer Regentschaft über die erwerben, wonach es an westeuropäischen Herrscher- Inseln erkoren hatten, nie vollständig zurückzudrängen. häusern gelüstete. Gleichzeitig gelangten auf diese Vor allem Mindanao und die weiter südlich gelegene Weise auch Chinesen nach Manila, die als Handelstrei- Sulu-See waren und blieben bis zirka 1900 eine Region bende mithalfen, die Kontrolle Spaniens über die Philip- mit überwiegend muslimischer Bevölkerung. Dort pinen zu festigen. waren mit den Sultanaten von Jolo und Maguindanao hierarchisch gegliederte Gesellschaften entstanden, Durch die geschickte Einbindung der indigenen Eliten in 6
ihr religiös verbrämtes, von Mönchs- orden maßgeblich bestimmtes Herr- schaftsgefüge hatten die Spanier ein ausgeklügeltes System der Kontrolle und Überwachung entwickelt, das trotz immer wieder aufflackernder Revolten die gesamte Kolonialepoche überdauerte. Die einzige ernsthafte Herausforderung und Bedrohung der spanischen Herrschaft zwischen 1571 und deren Ende im Jahre 1898 stellte das zwischenzeitlich entstandene bri- tische Empire dar. Immerhin gelang es britischen Truppen, Manila von 1762 In Cebu City bis 1764 zu besetzen. eigener Kolonien drängten. Binnen weniger Wochen Drang nach Unabhängigkeit erlangten US-Marineverbände und Bodentruppen die Oberhoheit über Kuba und verleibten sich Puerto Rico Die Dampfschifffahrt und die Eröffnung des Suezkanals ein. Gleichzeitig annektierten sie im Pazifik das bisher (1869) trugen zur beträchtlichen Steigerung des Han- unabhängige Königreich Hawaii und die Insel Guam, delsvolumens bei. Gleichzeitig führte die drastisch ver- während das Pazifikgeschwader unter dem Kommando kürzte Reiseroute zwischen Spanien und seiner Kolonie von George Dewey am 1. Mai 1898 die spanische in Südostasien dazu, dass ein reger Besuch von Ilust- Flotte in der Bucht von Manila ausschaltete. rados, gebildeten und reformfreudigen Filipinos, nach Europa stattfand. Dort wurden sie – wie auch der spä- Wenngleich der philippinische General und damalige ter zum Nationalhelden hochstilisierte Dr. José Rizal – Revolutionär Emilio Aguinaldo am 12. Juni 1898 die unter anderem konfrontiert mit dem Erbe der europäi- erste Republik Asiens ausgerufen hatte, bemächtig- schen Aufklärung und den Idealen der Französischen ten sich schließlich die USA des Inselstaates. So mün- Revolution. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ – eine dete der Philippinisch-Spanische Krieg unmittelbar in solche Forderung war in der Sicht des spanischen den Amerikanisch-Philippinischen Krieg. Mit hohem Generalgouverneurs in Manila eine „Aufstachelung Blutzoll: In diesem bis dahin größten Kolonialmassaker zur Rebellion“. Für den rebellischen Geist einer wach- in Südostasien wurde die damals gut sechs Millionen senden Zahl von Filipinos hingegen war dies ein Fanal Menschen zählende Bevölkerung der Philippinen buch- zum Aufstand und bedeutete politisch und ideologisch stäblich dezimiert. zusätzliche Munition im antikolonialen Kampf.1896 war es soweit, der Spanisch-Philippinische Krieg begann, Die Inbesitznahme der Philippinen wurde in Washing- an dessen Ende 1898 die neue, aufstrebende Imperial- ton als „wohlwollende Assimilierung“ gepriesen. Pat- macht USA dem einst blühenden spanischen Imperium ronhaft galten Filipinos fortan als „kleine braune Brü- den Todesstoß versetzte. der“. Das amerikanische Englisch wurde Amtsspra- che im Bildungs-, Geschäfts- und Verwaltungsbereich. Am 15. Februar 1898 hatte ein Vorgang am anderen Außerdem bauten US-Militärs auf dem Archipel die Ende der Welt, in den Gewässern vor der kubanischen größten Flotten- und Luftwaffenstützpunkte außer- Hauptstadt Havanna, die Gemüter in den Vereinigten halb der Vereinigten Staaten auf. Unter dem Befehl von Staaten erhitzt. Das US-Kriegsschiff USS Maine flog General Arthur MacArthur entstand Mitte der 1930er buchstäblich in die Luft. Für amerikanische Militärs und Jahre eine philippinische Armee. Politiker stand außer Frage: Die Spanier hatten einen Sabotageakt verübt. Jedenfalls lieferte das Schicksal Japanisches Intermezzo der Maine den Vorwand, endlich gegen die spanische Kolonialmacht loszuschlagen. „Remember the Maine!“ Wie die Briten in Singapur, so hielt sich auch der US- - „Erinnert Euch an die Maine!“ – wurde zum Schlacht- Generalstab in den Philippinen unter dem Oberbefehl ruf all jener Kräfte in den USA, die auf den Erwerb von Douglas MacArthur (dem Sohn Arthur MacArthurs) 7
die ersten Bomben auf die Hauptstadt Manila, die am 2. Januar 1942 eingenommen wurde. Im Zentrum der Insel Luzon, der traditionellen Reiskammer des Lan- des, formierte sich am 29. März 1942 auf Initiative der Sozialistischen und Kommunistischen Partei die Anti- japanische Volksarmee (Hukbo ng Bayan Laban sa Hapon, kurz: Hukbalahap beziehungsweise Huk). Ihre Ziele: bewaffneter Widerstand gegen die japanischen Besatzer; Kampf für die Unabhängigkeit des Landes und die Umwälzung der extrem ungleichen Boden- und Besitzverhältnisse. Gehätschelte Kollaborateure – gedemütigte Partisanen Ende September 1943 entließ Japan das Land in eine von ihm verordnete „Unabhängigkeit“ mit Dr. José P. Chinatown in Manila Laurel als Präsidenten. Benigno S. Aquino (der Groß- vater des am 30. Juni 2016 aus dem Amt geschiede- für unbesiegbar. Gingen die Briten davon aus, dass ihre nen Präsidenten Benigno S. Aquino III.) avancierte zum „Festung Singapur“ an der Südspitze Kontinentalsüd- Sprecher dieser Republik von Tokios Gnaden. Offizi- ostasiens uneinnehmbar ell blieb Laurel Präsident die- Nach wie vor uneingelöst sei und sie mit diesem ser Marionettenregierung vom regionalen Handelszent- 14. Oktober 1943 bis zum 15. rum und Militärstützpunkt die heute als Öltanker- und ebenso dringlich August 1945, als er von seinem japanischen Exil aus die japa- Route strategisch bedeut- same Malakka-Straße ist eine genuine Land- nische Besatzung für beendet erklärte. Laurel, Spross einer konkurrenzlos kontrollier- ten, so glaubte sich die und Agrarreform angesehenen Familie aus der südlich von Manila gelege- Führung der United Sta- nen Provinz Batangas, war von tes Armed Forces in the Far East (USAFFE) in den Phil- Haus aus Jurist. Nach seinem Studium an der staatli- ippinen gleichsam fest im Sattel. chen University of the Philippines und Yale University wurde er 1925 in den philippinischen Senat gewählt Doch in einer Zangenbewegung landeten bereits einen und 1936 zum stellvertretenden Richter am Obersten Tag nach dem Angriff auf Pearl Harbor, am 8. Dezem- Gerichtshof des Landes ernannt. Die typische Karri- ber 1941, Truppen der Kaiserlich-Japanischen Armee ere eines philippinischen Politikers, der im Gleichschritt auf Mindanao und in Nordluzon. Wenig später fielen kolonialer Zuchtmeister Höheres anstrebte. Blick in die Holzwerkstatt einer Kundin der Mikrofinanzinstitution Blick in eine der Straßen von Intramuros, des von Mauern RSPI, Oikocreditpartner seit 2005 umgebenen ältesten Teils von Manila 8
Morgenstimmung in Manila, Blick aus dem Flugzeug Während des Krieges waren etwa 260.000 Filipinos in Neokolonie – Aufstandsbekämpfung unterschiedlichen Guerillaorganisationen aktiv. Die mit Abstand bedeutendste war die Hukbalahap. Nahezu – Diktatur 30.000 Huk-Kämpfer kontrollierten auf dem Höhe- Doch auf eben solche Kräfte – Großgrundbesit- punkt der Kampfhandlungen den größten Teil der Insel zer, Repräsentanten weniger mächtiger politischer Luzon. Weigerten sich Huk-Kämpfer, nach Kriegsende Dynastien und Wirtschaftsclans sowie wohlhabende ihre Waffen abzugeben, wurden sie als „gesetzlos“ und Geschäftsleute – stützte sich die US-Politik, um mit „Banditen“ gebrandmarkt. Ein Dauerkonflikt zwischen ihnen das Land am 4. Juli (sic!) 1946 in eine Unabhän- den alt-neuen Machthabern und der Guerilla war pro- gigkeit zu führen, die eher das Kainsmal einer Neoko- grammiert. Folgerichtig benannte sich die Hukbalahap lonie aufwies. Erst Mitte der 1960er Jahre erklärte die Ende der 1940er Jahre um in Volksbefreiungsarmee Regierung unter Diosdado Macapagal den 12. Juni (Hukbong Mapagpalaya ng Bayan; kurz: HMB), die nun- zum Nationalfeiertag – den Tag, an dem General Emi- mehr die eigene Regierung und die auf den Inseln ver- lio Aguinaldo 1898 die Unabhängigkeit der Inseln von bliebenen US-Streitkräfte Spanien ausgerufen hatte. Das erste Jahrzehnt bekämpfte. Des 4. Juli wird heute ledig- lich als Tag der Republik Im Gegensatz zur harschen Behandlung der nationalis- der jungen Republik gedacht. tischen Partisanen wurden die Wohlhabenden und Mit- war gekennzeichnet Das erste Jahrzehnt der jun- gen Republik war gekenn- glieder der herrschenden Eliten von MacArthurs Stab durch politische zeichnet durch politische Unruhen und Guerillaaktivi- glimpflich behandelt, häu- fig sogar hofiert. Viele von Unruhen und täten. Die Huk-Bewegung strebte als Volksbefreiungs- ihnen hatten die Kriegswir- ren genutzt, um sich durch Guerillaaktivitäten armee eine volksdemokra- tische Ordnung an, um die Schwarzmarktgeschäfte Dominanz der USA und zu bereichern oder in Kollaboration und Korruption zu der ihnen ergebenen Regierung in Manila zu brechen. versinken. Erst Mitte der 1950er Jahre gelang es im Rahmen 9
Rolande Pega baut Reis und Zwiebeln an und verkauft sie in Manila. Die Mikrofinanzinstitution ASHI, Oikocredit-Partner seit 2011, unterstützt ihn mit Darlehen und landwirtschaftlichen Schulungen. andauernder koordinierter philippinisch-amerikanischer Sin, hatte über den Radiosender Radio Veritas die Aufstandsbekämpfung (Counterinsurgency), den Huks Gläubigen aufgerufen, gegen den Diktator meuternde das Rückgrat zu brechen. Offiziere zu unterstützen. Etwa zwei Millionen Men- schen folgten seinem Rat und bewegten sich in Rich- Widerstand, Protest und bewaffnete Konflikte brachen tung von Manilas Hauptschlagader, der Epifanio de los Ende der 1960er Jahre – auf dem Höhepunkt des Viet- Santos Avenue (EDSA). Dort nämlich hatten sich die namkrieges – erneut aus. Zwischenzeitlich waren die Meuterer um Verteidigungsminister Juan Ponce Enrile auf maoistischer Grundlage neuformierte Kommunis- und Fidel V. Ramos, den Chef der Philippine Constabu- tische Partei (CPP) und ihre Guerilla der Neuen Volks- lary/Integrated National Police (des Vorläufers der heu- armee (NPA) entstanden. Und im Süden kämpfte die tigen Nationalpolizei), verschanzt. Beide waren langjäh- Moro Nationale Befreiungsfront (MNLF) für Unabhän- rige Marcos-Kumpane und hatten ihrem Chef als Kor- gigkeit. Dies und die Existenz zahlreicher Privatarmeen settstangen und Kriegsrechtsverwalter (das Kriegsrecht einflussreicher Politiker und Geschäftsleute nahm der herrschte offiziell von September 1972 bis Januar 1981) seit Ende 1965 amtierende Präsident Ferdinand E. Mar- gedient. Über Nacht waren ihre Schandtaten vergessen cos zum Anlass, am 21. September 1972 landesweit – sie wurden zu Helden hochgejubelt. das Kriegsrecht zu verhängen. Von Aquino zu Aquino (1986–2016) Als Marcos’ größter politischer Herausforderer, der frü- here Senator Benigno „Ninoy“ Aquino, bei seiner Rück- Während Marcos‘ Familie in der Nacht vom 25. auf kehr aus zeitweiligem US-amerikanischen Exil am den 26. Februar von der US-Luftwaffe ins Exil auf 21. August 1983 auf Manilas Flughafen erschossen Hawaii ausgeflogen wurde, beerbte die Witwe des 1983 wurde, elektrisierte dieser Mord auch die Mittelschich- erschossenen Marcos-Rivalen und Spross des mäch- ten und Teile der Oberschicht. In den politisch turbu- tigen Cojuangco-Clans, Corazon C. Aquino, den Dik- lenten Tagen des Februar 1986 besiegelte die soge- tator. Mehrere Putschversuche seitens des Militärs nannte „People Power“ das Ende der Marcos-Herr- überlebte sie nur, weil sich der zwischenzeitlich zum schaft. Manilas damaliger Erzbischof, Jaime Kardinal Generalstabschef und später zum Verteidigungminister 10
aufgestiegene Fidel V. Ramos schützend vor die Präsidentin gestellt hatte. Es entsprach tief- verwurzelter Dankbarkeitsschuld (utang na loob), dass Ramos als Aquinos „Thronfolger“ auserko- ren wurde und von 1992 bis 1998 selbst als Präsident amtierte. Am 30. Juni 2010 zog Benigno „Noynoy“ S. Aquino III., einziger Sohn der ein Jahr zuvor gestorbe- nen Expräsidentin, mit großen Vor- schusslorbeeren in den Präsiden- tenpalast Malacañang zu Manila ein. Den Wählern und Menschen im Lande versicherte er, stets „den graden Weg“ zu gehen. „Ihr seid mein Boss“, rief er ihnen bei seinen ersten öffentlichen einen Nährboden für viele Unzufriedene, Aquino und Auftritten zu. Was nichts daran änderte, dass in seine seine Liberale Partei bei den Wahlen gnadenlos abzu- Amtszeit die größten Korruptionsaffären in der jüngeren strafen. Der am 30. Juni 2016 vereidigte 16. Präsident Geschichte des Landes fielen. der Philippinen, Rodrigo R. Duterte, war mit dem Credo angetreten, „Korruption, Kriminalität und das Drogen- Dann der „Schwarze Sonntag“ des 25. Januar 2015: problem auszumerzen“. Für seine Fangemeinde ist er Einer in den frühen Morgenstunden desaströs verlaufe- der verkörperte Heilsbringer. Für seine Gegner hinge- nen Antiterror-Kommandoaktion von Eliteeinheiten der gen ist Duterte ein „Soziopath“, der eigentlich hinter Philippinischen Nationalpolizei in dem Ort Mamasapano Gittern gehörte. in der südlichen Provinz Maguindanao fielen nach offi- ziellen Angaben allein 44 Polizisten zum Opfer. Dieser Am 4. Juli 2016 gedachten die Filipinos der Unab- „Vorfall“ erhitzte die Gemüter dermaßen, dass der am hängigkeit vor 70 Jahren. Doch auch nach sieben 27. März 2014 international gepriesene Abschluss eines Dekaden sind die Missstände, deren Beseitigung Friedensvertrages mit der Moro Islamischen Befreiungs- zusehends dringlicher wird, immens: grassierende front (MILF), die sich von der MNLF abgespalten hatte, Armut und Gewalt; Landflucht und interne Koloni- nicht umgesetzt werden konnte. Dessen Kernstück, das sierung; anhaltend hoher (Fach-)Arbeitskräfteexport; Bangsamoro Grundgesetz, fand aufgrund einer hoch- Korruption und Bestechung; ungesühnte Morde im gepeitschten islamophoben Stimmung kein notwendi- Klima einer „Kultur der Straffreiheit“; ein einzig den ges Quorum. So bleibt bis heute ein Frieden in Südostasiens ältester Konfliktregion ein frommer Wunsch. Schlimmer noch: Immer unver- hohlener agieren dschihadistische Gruppierungen in der Region, die den Treueeid auf den Islamischen Staat (IS) geschworen haben. Duterte – der große Spalter Enttäuschung, Wut, Zynismus und Frustration bildeten während des Wahlkampfs im Frühjahr 2016 Katholische Kirche in Manila 11
Die Büchse der Pandora geöffnet In der südphilippinischen Stadt Noch am selben Tag (23. Mai) hat- Demokratischen Front der Philip- Marawi lieferten sich Regie- ten die Spitzen der AFP verkündet, pinen (NDFP). Nachdem die vor- rungstruppen und IS-nahe Mili- die Lage (in Marawi) sei unter Kont- gesehene fünfte Gesprächsrunde zen erbitterte Gefechte. Nach rolle. Auch verfügten sie über keine Ende Mai im holländischen See- gescheiterten Friedensverhand- gesicherten Erkenntnisse über bad Nordwijk aan Zee platzte, lungen droht Präsident Duterte eine Liaison zwischen der Maute- erklärte Duterte kurz darauf in Linken mit Festnahme. Gruppe (gegründet von den bei- Davao: „Wenn Mitglieder des den Brüdern Abdullah und Omark- NDFP-Verhandlungsteams in die Marawi City, die Hauptstadt der hayam Maute) und dem IS. Duterte Philippinen zurückkehren, werde Provinz Lanao del Sur im Zentrum hatte außerdem erklärt, die Rebel- ich sie festnehmen lassen. Sie der größten südphilippinischen Insel len hätten Schulen niedergebrannt, werden hinter Gittern landen, wo Mindanao mit einst 200.000 Ein- Krankenhäuser unter ihre Kont- sie auch sterben können. Stoppt wohnern, wurde ab dem 23. Mai rolle gebracht und einen Polizei- f*** meine Regierung!“ 2017 abrupt Schauplatz von Kämp- chef enthauptet. Allesamt Falsch- fen zwischen Regierungstruppen meldungen, wie Recherchen phi- Mit dem Kriegsrecht will der ver- (AFP) und dschihadistischen Mili- lippinischer Tageszeitungen und schlagene Präsident ausloten, wie zen der Abu Sayyaf- und Maute- der Nachrichtenagentur Agence groß sein Manövrierspielraum ist. Gruppe. Bei Redaktionsschluss France-Presse ergaben. Gleichzeitig bedeutet es eine Auf- (Mitte Juni) sind annähernd 300 wertung der pro-amerikanischen, Todesopfer zu beklagen. Einige „Wozu Kriegsrecht? Um Leute zu strikt antikommunistischen AFP- Stadtviertel liegen in Schutt und töten? Ich bin doch nicht dumm“, Spitze um Generalstabschef Edu- Asche, Zehntausende mussten die hatte der Präsident Ende Novem- ardo Año. Der ist jetzt Kriegs- Stadt panikartig verlassen und sind ber 2016 in seiner Heimatstadt rechtsverwalter und übernimmt auf der Flucht. Davao, der größten City auf Mind- danach das Innenressort. Seine anao, ausgerufen. Und empha- Kollegen, die Ex-Generäle Roy Als Präsident Duterte am Abend tisch hinzugefügt: „Wir hatten Cimatu und Danilo Lim, ernannte des 23. Mai mit seiner Unterschrift schon mal Kriegsrecht. Hat das Duterte Mitte Mai als Ressortchefs unter die Proklamation 216 für unser Leben verbessert? Nein, bis für das Umweltministerium bezie- die Dauer von 60 Tagen über den heute gab’s da keine Verbesse- hungsweise der Metro Manila Ent- gesamten Süden des Landes das rung. Ich erlaube keine Unterdrü- wicklungsbehörde. Bedenkt man, Kriegsrecht verhängte, begrün- ckung in diesem Land. Und ich dass der einjährige brutale „Anti- dete er diesen Schritt mit der Not- werde das auch niemals gestat- drogenkrieg“ bereits über 8.000 wendigkeit, dem wachsenden Ein- ten.“ Mehrere Tageszeitungen Opfer forderte, kann einem angst fluss des IS endgültig einen Riegel nutzten das Zitat als Aufmacher und bange werden, wenn nunmehr vorzuschieben. Notfalls, so der ihrer Ausgaben vom 1. Dezember. eine international besser präsenta- Präsident, werde er das Kriegs- ble neue Front gegen den „Terro- recht auf das ganze Land auswei- Das Kriegsrecht bedeutet auch rismus“ eröffnet wird. ten, da der IS auch auf den mitt- ein jähes Ende der Friedensge- leren und nördlichen Inseln prä- spräche mit dem linken Unter- sent sei. grundbündnis der Nationalen Rainer Werning Mächtigen dienliches hochelastisches Justizsystem; dringlich sind die Durchsetzung einer genuinen wachsende Umweltprobleme; politischer Kliente- Land- und Agrarreform, die Beilegung bewaffneter lismus und „Elitendemokratie“; Machtkämpfe zwi- Auseinandersetzungen zwischen Regierungstrup- schen widerstreitenden Clans und Familiendynas- pen und muslimischen Rebellen und der kommunis- tien sowie mitunter aufbrechende innermilitärische tischen Guerilla sowie eine dauerhafte Friedenslö- Reibereien. Nach wie vor uneingelöst und ebenso sung im Süden. 12
In Pasay Citiy in Metro Manila Siedlung auf der Fahrt von Quezon City nach Manila Um eben diese Probleme zu lösen, bedarf es verein- Quellen & empfohlene Lektüre: ter Anstrengungen auf sämtlichen politischen Ebenen. Doch die Gesellschaft ist seit Dutertes Amtsantritt tie- Stanley Karnow (1989): In Our Image: America’s fer denn je gespalten in Pro- und Kontra-Lager, die sich Empire in the Philippines. New York gegenseitig – auch und gerade in den sogenannten Alfred W. McCoy (ed./2009): An Anarchy of Fami- sozialen Medien – erbittert bekämpfen. lies: State and Family in the Philippines. With a New Preface. Madison, WI Rainer Werning Niklas Reese & Rainer Werning (Hg./2014): Handbuch Philippinen - Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur. Angermünde (5. Aufl.) - Seit Herbst 2013 liegt die- ses Standardwerk auch in englischer Übersetzung vor und ist in gut sortierten Buchhandlungen in den Philippinen erhältlich. Stefan Rohde-Enslin (1992): Östlich des Horizonts: Deutsche Philippinenforschung im 19. Jahrhundert. D r. Rainer Werning, Sozialwissenschaftler und Pub- lizist mit dem Schwerpunkt Südost- und Ostasien, befasst sich seit 1970 intensiv Münster/Osnabrück Daniel B. Schirmer & Stephen Rosskamm Shalom (eds./1987): The Philippines Reader: A History of mit den Philippinen, wo er sich Colonialism, Neocolonialism, Dictatorship, and viele Jahre zu Studienzwecken Resistance. Cambridge, MA und für Recherchen aufhielt. Rainer Werning (2011): Krone, Kreuz und Krieger Er ist Autor zahlreicher Pub- – Europäische Vermächtnisse in den Philippinen likationen zum Thema sowie (dtsch./engl.). Essen Philippinen- und Korea-Dozent Link zu den Deutsch-Philippinischen Freunden e.V. an der Akademie für Interna- (DPF), Langenfeld/Rheinland: http://dp-freunde.de/ tionale Zusammenarbeit (AIZ comm/ - Bad Honnef) und war in den vergangenen Jahren Link zum Landesinformationsportal Philippinen der u.a. Lehrbeauftragter an den Universitäten Bonn und Akademie für Internationale Zusammenarbeit (AIZ), Osnabrück. Bad Honnef: https://www.liportal.de/philippinen.html 13
Mikrofinanz in den Philippinen Was wirkt wie? Annäherung an ein umstrittenes Thema Treffen einer Kreditgruppe im Rahmen des NWTF Dungganon Programms in St. Rita E inmal im Jahr bietet Oikocredit die Gelegenheit, vor Ort Einblick in die Arbeit der Partnerorgani- sationen zu bekommen und mit vielen Beteiligten ins anderen Angeboten des inklusiven Finanzwesens wie Mikro-Versicherungen oder Sparmöglichkeiten haben seit der Verleihung des Friedensnobelpreises an Muhammad Gespräch zu kommen. Im Januar 2017 führte die Stu- Yunus 2006, aber auch seit den Krisen in mehreren Regi- dienreise in die Philippinen. 16 Mitarbeitende und onen (Pakistan, Nicaragua 2009; Andra Pradesh 2010) zu Anleger*innen haben im Laufe einer Woche in drei ganz unterschiedlichen Positionen geführt. Eine einheitli- Gruppen sechs Partner besucht. Oikocredit arbeitet che Bewertung scheint nicht in Sicht. in den Philippinen mit 34 Partnerorganisationen im inklusiven Finanzwesen zusammen, insgesamt waren Die Sprache der Zahlen Ende 2016 Kredite im Wert von circa 17 Millionen EUR ausgezahlt. Für uns Teilnehmer*innen stand folglich Auf der einen Seite spricht die rasante Entwicklung der Umgang mit Kleinkrediten im Zentrum der Reise, dieses Geschäftsmodells in den meisten Ländern des wir haben beobachtet, nachgefragt und diskutiert. globalen Südens eine deutlich positive Sprache: Nach Angaben der Microcredit Summit Campaign, eines Die öffentliche und auch die wissenschaftliche Auseinan- Zusammenschlusses von weltweit über 1.000 Akteuren dersetzung mit der Wirkungsweise von Mikrokrediten und im Bereich der Mikrofinanz, stieg die Anzahl der Haus- halte unter der Armutsgrenze, die Mikrokredite nutzen, von 7,6 Mio. 1997 auf 137,5 Mio. 2010.¹ Auch in den Verhandlungen zu den Nachhaltigkeitszielen der UN (SDGs) wurde der Zugang zu inklusiven Finanzdienst- leistungen explizit als eines der Unterziele von Ziel 1 ¹ „The Mirale of Microfinance? Evidence from a Randomized Evaluation“ von: Benerjee, Duflo, etc., Seite 22 in: American Economic Journal: Applied Economics, 2015, 7 (1): S. 22–53 ² Zur Zusammensetzung und Auswertung von Zinshöhen siehe: „Microcredit Interest Rates and Their Determinants 2004–2011“ von: Rosenberg, Gaul, Ford, Tomilova veröf- fentlicht beim „Access to Finance Forum“ von CGAP im Die Oikocredit-Reisegruppe Im Gespräch mit NWTF Juni 2013; siehe: www.cgap.org 14
„Armut in allen ihren Formen und überall auf der Welt beenden“ aufgenommen. Das Argument der Befür- worter ist nicht leicht von der Hand zu weisen: Der rein zahlenmäßige Erfolg zeige, dass inklusive Finanzdienst- leistungen den Menschen nutzten, sonst wäre eine der- art große Akzeptanz nicht zu erklären. Aber auch die Kritiker auf der anderen Seite operieren mit Zahlen: Ihr wichtigstes Argument ist die Höhe der Zinsen, die Kund*innen von Mikrokrediten zahlen; welt- weit liegen sie bei durchschnittlich 30 bis 35 Prozent im Jahr; auch höhere Zinsen sind keine Seltenheit.² Selbst NWTF-Gründerin Cecilia del Castillo wenn man kostentreibende Effekte wie Inflation und höhere prozentuale Verwaltungskosten berücksichtigt, Frage, ob Mikrokredite denn nun Wunderwaffe oder bleiben in der wissenschaftlichen Debatte doch Fra- Teufelszeug sind, sicherlich nicht entschieden werden. gen offen, die nicht leichtfertig abgetan werden können: Aber es entsteht im besten Fall ein tieferes Verständnis Wie wirksam sind Mikrokredite für die Verbesserung der für die Chancen, Herausforderungen und Risiken, die Lebensumstände der betroffenen Menschen wirklich? hinter den Zahlen und ihren theoretischen Deutungen Und: Wie wirken sich die überwiegend als Gruppenkre- oftmals verborgen bleiben. dite vergebenen Mikrokredite auf die soziale Entwick- lung von dörflichen Gemeinschaften und Nachbarschaf- Die Negros Women for Tomorrow Foundation (NWTF), ten aus? Die erste Frage erhält besonderes Gewicht die unsere Gruppe während der Studienreise für zwei dadurch, dass Mikrokredite überwiegend Kleinstunter- Tage besuchte, wurde 1986 von Dr. Cecilia del Cas- nehmen im informellen Bereich von Wirtschaft und Han- tillo, Suzzette Gaston und Corazon Henares gegründet. del oder bei einfachen Dienstleistungen finanzieren und Ziel war ursprünglich, ein karitatives Schulspeisungs- allein dadurch nur begrenzte Entwicklungsmöglichkei- programm auf Bacolod auf der Insel Negros einzurich- ten bieten. Die zweite Frage zielt darauf, genau zu prü- ten. Daraus entwickelte sich ein Sozialunternehmen fen, ob durch Mikrofinanz Gemeinschaft gefördert und mit heute über 2.000 Mitarbeiter*innen und mehr als belebt wird, oder ob Konkurrenz und Druck wachsen. 300.000 Kundinnen. Die Stiftung hat mehr als 100 Nie- derlassungen auf den Visayas, dem mittleren Landes- Der Blick in die Praxis lohnt teil der Philippinen, 2017 sollen weitere zwölf Nieder- lassungen eröffnet werden. Die Debatte wird teils heftig, emotional geführt. Der Blick ins regionale, landesspezifische Detail kann zu Über 60 Prozent der Kredite, die NWTF vergibt, werden Versachlichung und Präzision beitragen. Er lohnt, weil als „klassische“ Mikrokredite an Gruppen von jeweils er Fragestellungen aus der Praxis und die unterschied- fünf Frauen vergeben. Das Programm heißt „Dung- lichen Kontexte mit einbezieht. Dadurch allein kann die ganon“, was übersetzt soviel bedeutet wie „Ich bin ehrenhaft“. Das Dungganon- Programm Keinen Zweifel lässt Cecilia del Castillo in dem ers- ten Gespräch mit unserer Gruppe an der sozialen Aus- richtung des Unternehmens, die im Vordergrund steht: „Wir haben gesehen, dass unser Schulspeisungspro- gramm zwar den Schulkindern hilft, die Mütter mit den Geschwisterkindern aber hungrig vor der Schule gewar- tet haben. Da wollten wir ein Programm mit mehr Nach- haltigkeit und einer größeren Reichweite entwickeln“. Grundzüge des Dungganon Programms Die Ziele der Stiftung illustrieren das: 80 Prozent der 15
Kundinnen sollen aus der Bevölkerungsschicht kom- Besonderes Augenmerk legt NWTF auf die verantwort- men, die unterhalb der Armutsgrenze lebt; bei der Hälfte liche Auswahl und Beratung der Kundinnen. Zu diesem der Kundinnen soll eine Aufwärtsentwicklung nach drei Zweck hat die Stiftung 2009 ein Programm mit dem Jahren sichtbar werden; 30 Prozent der Kundinnen soll- Namen „IGSS“ entwickelt, „Income Generating Survi- ten die Armutsgrenze nach fünf Jahren überschritten val Skills“ (etwa: „Zum (Über-)leben notwendige Fähig- haben – so die Selbstverpflichtung der Stiftung. keiten, die Einkommen generieren“). Shiela Guanzon und Gilbert Maramba stellen uns das Programm vor, Das Dungganon-Programm dient dabei erklärtermaßen das Frauen dazu ermutigen soll nachzudenken, welche als wesentlicher Motor für Veränderungen hin zu leben- Ziele und Träume sie verwirklichen wollen und was sie digen Kommunen und Nachbarschaften. In wöchentli- dafür haben und brauchen. Gemeinsam mit einer Mitar- chen Treffen von jeweils etwa zehn bis 20 Kreditgruppen beiterin von NWTF analysieren sie ihre finanzielle Situ- aus einer Nachbarschaft werden die Kreditvergabe und ation, ihre beruflichen Fähigkeiten und externe Markt- die Rückzahlungen der jeweiligen Raten organisiert. Bei bedingungen. Wichtigstes Ziel von NWTF sei es, so diesen Zusammenkünften geht es nicht nur ums Finan- Guanzon, „dass die mit dem Kredit finanzierte Tätigkeit zielle, es geht auch darum, sich Wissen anzueignen, dauerhaft ein Einkommen für die Familie generiert und Informationen zu bekommen und Probleme des Alltags nicht umgekehrt der Kredit aus dem Familieneinkom- zu erörtern. So entsteht ein halböffentlicher Raum, den men finanziert werden muss“. Nach der Einführung des die beteiligten Frauen selbst geschaffen haben, den IGSS-Programm hat sich die Zahl der Neukundinnen sie unterhalten und jenseits der üblichen patriarchal mehr als verdreifacht. Aus Sicht von Shiela Guanzon geprägten Strukturen nutzten können. ein klares Zeichen für den Erfolg des Programms. „Kredite nur für das Geschäft“ Die Arbeit von NWTF erschöpft sich nicht darin, Mikro- kredite anzubieten. Gilbert Maramba erläutert unserer Bei Theresa Tomaro, die das angrenzende Dorf mit Lebensmitteln versorgt, treffen sich auch die Kreditgruppen. 16
Hem Villaluna (rechts im Bild) erklärte den Teilnehmer*innen der Study Tour, wie Fisch verarbeitet und getrocknet wird. Besit- zerin des Betriebs ist seine Frau Sheila Villaluna, die als Kundin von NWTF ihr Geschäft auf drei Betriebe mit jeweils bis zu 50 Mitarbeiter*innen erweitern konnte. Gruppe das umfangreiche Sozialprogramm, das aus den wird aber auch deutlich, wie wichtig es ist, dass Mikro- Erträgen der Stiftung finanziert wird: Stipendien für die kredite sorgfältig eingesetzt werden. Ihr geschäftliches Ausbildung der Kinder, eine Sterbeversicherung und die Credo: „Kredite dürfen nur für das Geschäft aufgenom- Förderung von gemeinschaftsbildenden Aktivitäten (wie men werden“, sonst drohe Überschuldung. Sportprogramme). Zentraler Bestandteil sind darüber hin- aus Leistungen aus einer Krankenversicherung für die Wertschöpfung in die Dörfer bringen Kundinnen und deren Familien, die NWTF für alle Kundin- nen abschließt. In jeder Niederlassung von NWTF werden Was sind die wesentlichen Aufgaben der Stiftung in zweimal im Jahr Arzttermine angeboten, allein 2016 hat der Zukunft? Darüber haben wir zum Abschluss unse- die Stiftung so über 70.000 Arztbesuche finanziert. res Besuchs mit Cecilia del Castillo, Suzzette Gaston, Corazon Henares und den anderen Mitgliedern der Diese sonst im ländlichen Raum der Philippinen kaum Geschäftsführung von NWTF diskutiert. Den Folgen mögliche Absicherung ist auch für Dungganon-Mitglied des Klimawandels zu begegnen, stellt die Philippinen Teresa Tomaro ein wesentliches Argument, weiter Kun- insgesamt und die Arbeit von NWTF vor große Her- din zu bleiben, obwohl sie es aus finanziellen Grün- ausforderungen. Gerade die ländliche Bevölkerung ist den eigentlich nicht mehr nötig hätte. Sie ist seit 2004 von den Sturmschäden durch die vielen Taifune immer Kundin bei NWTF und kann eine erstaunliche Erfolgs- wieder in ihrer Existenz bedroht. Aber auch die posi- geschichte erzählen: Mit den Erlösen aus ihrem Sari- tive wirtschaftliche Entwicklung der Philippinen wirkt Sari-Shop, der ihr Dorf mit notwendigen Alltagsgütern sich auf dem Land negativ aus: „Die Menschen wan- versorgt, hat sie ihrer Familie nicht nur ein verlässli- dern ab in die Städte, wo neue Arbeitsplätze entstehen, ches Einkommen verschafft, sondern mittlerweile auch der Landwirtschaft fehlen Arbeitskräfte“, sagt Gilbert Land zum Anbau von Zuckerrohr gekauft und einen Maramba. Aber vor allem anderen treibt die NWTF- gebrauchten LKW, mit dem ihr Mann Zuckerrohr zu den Manager*innen die Frage um, wie es mit den Mit- regionalen Mühlen transportiert. Im Gespräch mit ihr teln einer Mikrofinanzorganisation gelingen kann, den 17
Kampf gegen die Armut erfolgreicher zu machen und globalen Südens zu fördern. Ein fester Job ist oftmals den dörflichen Gemeinschaften und Nachbarschaften eine sicherere Alternative zur durch Mikrokredite finan- zu mehr Wirtschaftskraft zu verhelfen. „Es ist unsere zierten Selbständigkeit. Diese Aufgabe wird weithin Aufgabe, mehr Wertschöpfung bei der Produktion land- gesehen, Organisationen wie NWTF suchen Wege in wirtschaftlicher Güter in die Dörfer zu bringen, die kom- diese Richtung. Auch Oikocredit ist seit langem in die- munalen Strukturen zu fördern und zu stärken“, sagt sem Bereich aktiv. „Unter den erfolgreichsten Kunden Cecilia del Castillo. unserer Mikrofinanzpartner gibt es viele, die wachsen und ihr Geschäft ausbauen. Mit dem Wachstum der Ein solch kurzer Besuch wie unserer, zumal mit nur ein- Endkunden unserer Partner wächst auch der Bedarf geschränkten Möglichkeiten zu unabhängiger Recher- nach Finanzierung für diese Unternehmen. Daher che, lässt keine allgemeinen Aussagen darüber zu, wie suchen wir gezielt nach Möglichkeiten, Finanzinstituti- sich Mikrokredite auf die Entwicklung sozialer Struk- onen zu unterstützen, die sich für die Finanzierung von turen auswirken. Doch sind in den vielen Gesprächen kleinen und mittleren Unternehmen engagieren“, sagt einige grundlegende Strukturen deutlich geworden, die Bart van Eyk, Direktor für Beteiligungen bei Oikocre- für die Einschätzung von Debattenbeiträgen sinnvoll dit im Gespräch. Zum 31. Dezember 2016 waren etwa sein können: 100 Millionen Euro des Kapitals von Oikocredit in der Finanzierung von kleinen und mittelständigen Unter- Der individualistische Ansatz, der viele Maßnahmen im nehmen investiert. Im weltweiten Kontext ist das nicht inklusiven Finanzwesen prägt, kann nur so gut oder viel Geld, aber es ist ein Anfang und soll in Zukunft schlecht funktionieren, wie übergeordnete politische mehr werden. und wirtschaftliche Rahmenbedingungen es zulassen. Das gilt sowohl für nationale Fragen nach gerechter Helmut Pojunke Teilhabe, wie für einen fairen Umgang im internationa- len Handel zwischen Ländern mit hohem und niedrigen Pro-Kopf-Einkommen. Es bleibt die Hoffnung, dass es den Menschen vor Ort gelingt, auf mittlere oder lange Sicht mehr Gerechtigkeit durchzusetzen. Wirtschaftliche Strukturen D er Fotograf Nicolas Villaume begleitet regel- mäßig die Study Tours von Oikocredit. im „Mittelstand“ fördern Der Fotograf, in Frank- Die Dienstleistungen von Mikrofinanzinstitutionen bie- reich geboren, hat viele ten oftmals verlässliche Angebote in Regionen, in internationale Auszeich- denen es sonst keinerlei alternative Angebote wie Kran- nungen erhalten, seine kenversicherungen gibt. Organisationen wie NWTF, die Arbeiten wurden in finanzielle und soziale Aspekte in der Arbeit miteinan- mehr als 30 Gruppen- der verknüpfen, können schon allein deswegen eine und Einzelausstellun- positive, soziale Wirkung entfalten. gen weltweit gezeigt und werden in großen inter- Wo Mikrokredite eingesetzt werden ist – wie bei allen nationalen Magazinen kreditfinanzierten Tätigkeiten weltweit – die Gefahr der veröffentlicht. Viele sei- Überschuldung nicht auszuschließen. Darum sind Ent- ner Projekte beschäftigen sich mit dem Reichtum und wicklung, Anwendung und fortwährende Verbesserung der Gefährdung von kultureller Diversität und der von Kundenschutzmechanismen (wie sie Oikocredit Kultur von Minderheiten in herausfordernden Regi- von seinen Partnern fordert und fördert) gerade in die- onen der Erde. Zurzeit bewegt sich Villaume auf den sem Bereich essentiell. Nur so können Fehlentwicklun- Spuren biokultureller Vielfalt und ihrer Held*innen in gen vermieden werden, die in der Vergangenheit immer Zentralasien. Von ihm sind das Titelbild und viele der wieder persönliche Katastrophen ausgelöst haben. Fotos der vorhergehenden Seiten (siehe Impressum). Die vielleicht wichtigste Aufgabe ist es, wirtschaftli- http://www.nicolasvillaume.com/ che Strukturen im „Mittelstand“ in den Ländern des http://www.conversationsdumonde.org/ 18
Kinder, Küche, Kirche – Ausland? Wie sich die Situation philippinischer Frauen verändert hat D ie Frau als fleißige Hausfrau, verant- wortungsvolle Mutter Tes Pilapil: Das hängt immer von verschiedenen Fak- toren ab, also wie eindeutig die Ausführungsbestim- mungen sind, wie die „Ideologie“ und der politische und tugendhafte Ehe- Reifegrad der lokalen Verwaltung ist oder auch wie die frau – das ist das Bild, jeweils vorherrschende Kultur vor Ort ist. Insofern kann das über 350 Jahre die Umsetzung lokal stark variieren. spanische Kolonialge- schichte und Patriar- Was kann als gelungen bezeichnet werden? chat in den Philippinen geprägt haben. Stimmt Tes Pilapil: In Quezon City, einer Stadt nahe Manila, es auch heute noch? gab es bemerkenswerte Gewaltpräventionsmaßnah- Die aktuelle Gender men gegen Frauen: Für Polizisten gab es passende Gap Studie*, die Studie Weiterbildungen, bei Strafanzeigen wurden gezielt zur Geschlechterkluft, spricht eine andere Sprache. geschulte Polizistinnen eingesetzt und es wurden Pos- Im internationalen Vergleich mit 145 Staaten belegen ter aufgehängt, die vor hohen Strafen bei sexueller die Philippinen Rang sieben. In Sachen Gleichstellung Belästigung warnen – dazu zählt schon, wenn man bei Gesundheit, Bildung, Löhnen, Aufstiegschancen Frauen hinterherpfeift. Ob die Veränderungen nachhal- und Führungspositionen sind sie damit vielen westli- tig sind, hängt aber immer auch vom Geld ab. Unter chen Industrienationen überlegen. Darüber haben wir der jetzigen Regierung zeichnen sich bereits Budget- mit Tes Pilapil (52) gesprochen. Sie leitet seit 2005 das kürzungen ab. Oikocredit-Regionalbüro Südostasien in Manila. In den Philippinen beträgt die Alphabetisierungsquote Seit 1986 gab es zwei philippinische Präsidentinnen. 95 Prozent. Steht hinter der Zahl auch eine verbesserte Hat die Politik die Rolle der Frauen in den Philippinen Schulbildung für Mädchen? gestärkt? Tes Pilapil: Die Grundschul- Tes Pilapil: Es gibt durch- ausbildung ist gleich, bei aus einige Meilensteine, Ob Veränderungen der Sekundarausbildung die in den letzten 20 Jahren haben die Mädchen die Jun- erreicht wurden. Ganz wich- nachhaltig sind, hängt gen inzwischen sogar über- tig: 2009 wurde die Magna holt. Das belegen Daten Carta of Women verabschie- von Ideologie, politischer der UNESCO. Es gab also det. Darin sind ganz grund- enorme Fortschritte. Bildung legende Rechte von Frauen Reife und Geld ab ist hierzulande eine wich- festgehalten: körperliche tige Investition in die Zukunft Unversehrtheit, das Recht der Kinder – und der Eltern. auf Familienplanung, gute Gesundheitsversorgung, Speziell für Familien mit geringem Einkommen. Da bessere Ausbildungschancen oder auch wirtschaftli- sind Mädchen besonders fleißig und ehrgeizig, um die che Teilhabe. Oder die Gesetzesnovelle von 1997, die Investition später wieder zurückzuzahlen. „Vergewaltigung“ deutlich breiter definiert und als Ver- brechen gegen Personen und nicht mehr als Vergehen …wofür auch viele Frauen ins Ausland gehen. gegen Keuschheit klassifiziert. Besonders umstritten, von der Zivilgesellschaft gefeiert und von der Katholi- Tes Pilapil: Das stimmt. Die Mehrzahl der zehn Milli- schen Kirche nicht gut geheißen, war das Familienge- onen Filipin@s, die im Ausland arbeiten, sind Frauen. sundheitsgesetz. Vor allem Frauen in armen Gegenden Sie arbeiten als Haushaltshilfen oder Pflegekräfte und sollen mit sexueller Aufklärung und Verhütung erreicht kommen oft nur alle paar Jahre zurück. Das ist ein ech- werden. Nicht selten sind sie völlig ahnungslos, wie tes Problem für die daheim gebliebenen Kinder. Und natürliche Empfängnisverhütung funktioniert. natürlich kann das sogenannte brain drain, der Verlust an Fachkräften, langfristig problematisch für die Ent- Gesetze sind eines. Wie sieht es mit der Umsetzung wicklung der Philippinen werden. Aber der Verdienst im aus? Ausland ist eben im Durchschnitt mindestens viermal 19
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