Akzente Gesundheit - Auf dem Weg der Besserung - Weitere Themen: akzente | Das Magazin der GIZ
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Ausgabe 3/16 akzente Das Magazin der GIZ Gesundheit – Auf dem Weg der Besserung Weitere Themen: Chancen für Start-ups in Indien Eine neue Heimat in Afghanistan
GESICHTER UND GESCHICHTEN „A F R I K A K O M M T ! “ L E B E N V E R Ä N D E R T HAT MEIN STEVE NGATIA MAINA Nachwuchsführungskraft aus Kenia in Deutschland Maina entwickelt beim Pharmahersteller Merck in Darmstadt Geschäftsstrategien. Die neuen Erfahrungen möchte er in Kenia einsetzen. Möglich wurde sein Aufenthalt in Deutschland durch das einjährige Stipendienprogramm „Afrika kommt!“, bei dem deutsche Unternehmen jungen afrikanischen Führungskräften Einblick in ihre Managementmethoden ermöglichen. Weitere „Gesichter und Geschichten“ finden Sie online auf www.giz.de/geschichten Code mit Smartphone einscannen und Video ansehen
EDITORIAL EIN LEBEN IN SICHERHEIT UND WÜRDE Gesundheit ist mehr als nur die Abwesenheit von Krankheit. LIEBE LESERINNEN UND LESER, in Botsu- lose auf. 2015 in Elmau verpflichteten sich ana leben die Menschen heute gut zehn Jahre die G7-Staaten zur verstärkten Forschung an länger als noch im Jahr 2000. Eine ähnlich vernachlässigten Tropenkrankheiten. Auch beeindruckende Entwicklung hat Ruanda stockten sie die Mittel für die Impfallianz durchlaufen. Beide Länder haben in ihre Ge- Gavi auf. sundheitssysteme investiert, Versicherungen aufgebaut und gegen Aids gekämpft. Das hat MIT UNSEREM SCHWERPUNKT Gesundheit nicht nur jedem Einzelnen geholfen, sondern wollen wir in dieser Ausgabe von akzente einen die Länder insgesamt robuster gemacht. Blick auf dieses Thema werfen. Folgen Sie in der Titelgeschichte der Wissenschaftsjournalis- EIN INTAKTES GESUNDHEITSSYSTEM sorgt tin Jana Schlütter nach Südafrika. Erfahren Sie, für größere Sicherheit und Stabilität. Darauf wie ein Kurznachrichtendienst die Versorgung hat auch die Bundesregierung in ihrem „Weiß- von Schwangeren verbessert und wie mit in- buch zur Sicherheitspolitik“ kürzlich hingewie- tensivem Datenaustausch, ebenfalls über Mo- sen. Seuchen wurden darin als eine von zehn biltelefone, Seuchen eingedämmt werden. zentralen Herausforderungen der staatlichen Sicherheit definiert. Als 2014 die bisher größte GESUNDHEIT ist ein hohes Gut. Die GIZ ar- Ebola-Epidemie ausbrach, destabilisierte sie beitet seit Jahren daran, Krankenversicherungs- SABINE TONSCHEIDT, ganze Regionen in Westafrika. Gesundheit hat systeme in Entwicklungsländern aufzubauen, Leiterin Unternehmenskommunikation eben nicht nur einen individuellen Aspekt. Sie zum Beispiel in Indien, Indonesien, Kambod- sabine.tonscheidt@giz.de ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit. scha, Kenia und Ruanda. Millionen von Men- Ebenso wie Frieden, gute Regierungsführung, schen, die sich früher keine Behandlung leisten die Wahrung der Menschenrechte, der Schutz konnten, bekommen so Zugang zu Ärzten und foto: Andy Kassier (S. 2), DIE HOFFOTOGRAFEN/MARIA VOGEL (S. 3) der natürlichen Lebensgrundlagen und der Krankenhäusern. Auf diese Arbeit sind wir, zu- Kampf gegen extreme Armut ist eine leistungs- gegeben, auch ein wenig stolz. fähige Gesundheitsversorgung die Grundlage für ein Leben in Sicherheit und Würde. Ihre WENN DEUTSCHLAND am 1. Dezember die G20-Präsidentschaft übernimmt, wird Ge- Sie können akzente sundheit eines der Themen für den Gipfel im unentgeltlich abonnieren. Juli 2017 in Hamburg sein. Schon 2007 in Dazu senden Sie bitte Ihre Postadresse per E-Mail an Heiligendamm legten die G8-Staaten ein 45 akzente-vertrieb@giz.de, Milliarden Euro schweres Programm zur Be- Betreff: Abo. kämpfung von Aids, Malaria und Tuberku- akzente 3/16 3
INHAlT INFORMIERT AKZENTUIERT 6 Notizen Weltkonferenz zur Stadtentwicklung, neues Gebäude der Afrikanischen Union, neue Aufträge in Sambia und Vietnam EXPONIERT 10 Zwei Länder, zehn Gründer, viele Ideen 16 Gesundheit: Auf dem Weg „Bootcamp“ in Berlin: Indische und deutsche Start-up-Unterneh- mer arbeiten an Innovationen zu erneuerbarer Energie. der Besserung Auch in Entwicklungsländern leben Menschen heute länger und gesünder – doch es gibt weiterhin große Herausforderungen. 25 „Wir müssen die jungen Menschen erreichen“ 3 Editorial Interview mit Latanya Mapp Frett von Planned Parenthood 30 Fotografiert Global über selbstbestimmte Familienplanung 48 Service: Veranstaltungen und Publikationen 51 Nachgehalten, Impressum, Vorschau 26 Infografik: Mehr Lebenszeit Wo die Lebenserwartung besonders hoch ist – und wo nicht. 29 Gutes Mittel für Sicherheit Wie wichtig Gesundheitsversorgung für alle ist, erklärt Margaret Chan, Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation. ERKLÄRT AusgAbe 3/16 akzente Das Magazin der gIZ Gesundheit – Auf dem Weg der Besserung Weitere Themen: Akzente ALS App Chancen für Start-ups in Indien Eine neue Heimat in Afghanistan akzente können Sie auch 32 Der digitale Kern der Lösung jederzeit auf Ihrem Tablet lesen. Apps verhindern Gewalt, Satellitenbilder helfen Reisbauern – Mehr Infos zur App sowie Lea Gimpel, Leiterin des Projekts Digitaler Wandel, berichtet aktuelle und frühere Beiträge aus über neue Ansätze in der internationalen Zusammenarbeit. akzente finden Sie auf unserer Website: akzente.giz.de. 4 akzente 3/16
ENGAGIERT autoren und fotografen 1 2 3 4 5 6 ASTRID HERBOLD (1) ist „lebhaft in Berlin“, wie sie selbst sagt. In- sofern war das dortige – sehr lebhafte – Seminar mit deutschen und indischen Start-up-Gründern für die freie Journalistin genau das richtige Thema. Fotograf THOMAS GRABKA (2) begleitete sie. JANA SCHLÜTTER (3) ist Redakteurin im Wissenschaftsressort des „Tages- spiegels“. Im Essay beschreibt sie globale Entwicklungen im Bereich Gesundheit. Autor MARIAN BREHMER (4) und Fotograf MUSTAFA NAJA- FIZADA (5) trafen in Afghanistan Menschen, die ihre Heimat verlassen fotoS: Thomas Grabka (s. 4, LINKS), GETTY IMAGES/RANDY PLETT (S. 4, RECHTS), mUSTAFA nAJAFIZADA (s. 5, OBEN), aLEXEY fURMAN (S. 5, UNTEN) 34 Gute Nachbarschaft mussten und sich ein neues Zuhause aufgebaut haben. Große Verän- Viele Afghanen fliehen in andere Regionen des Landes. Der Ort derungen erleben auch die Bauern, mit denen SOFIA SHABAFROUZ (6) Hamdard zeigt, wie ihre Integration gelingen kann. in Malawi sprach. 40 Malawi setzt auf Vielfalt Bauern haben hier lange vor allem Tabak angebaut. Nun lösen sie sich aus der gefährlichen Abhängigkeit. 44 Strom aus dem Stall Costa Rica fördert erneuerbare Energien, doch Wasserkraft allein genügt nicht. Was Biogas bewirken könnte. VORGESTELLT 50 Christiana Hageneder Die Architektin unterstützt unternehmensprofil Städte in der Ukraine dabei, eine höhere Energieeffizienz Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit zu erreichen. (GIZ) GmbH bietet nachhaltige und wirksame Lösungen für politische, wirtschaftliche und soziale Veränderungsprozesse. Das Bundesunternehmen hat über 17.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ist in mehr als 130 Ländern aktiv. www.giz.de akzente 3/16 5
INFORMIERT IN ZAHLEN 78% der Armen weltweit sind von der Landwirt- schaft abhängig – weil sie und ihre Familien sich selbst davon ernähren und weil die Ern- te ein Einkommen ermöglicht. Die Förderung nachhaltiger Landwirtschaft ist deshalb ein besonders wirksames Mittel, um Hunger zu bekämpfen und Arbeit zu schaffen. 3,2 Milliarden Menschen haben Zugang zum In- ternet, dreimal so viele wie noch vor zehn Städte von morgen Jahren. In Entwicklungsländern haben heute mehr Menschen Handys als sauberes Wasser und Strom. Trotzdem sind andererseits fast 60 Prozent der Weltbevölkerung noch nicht on- Städte sind Zentren des Fortschritts. WELTKONFERENZ HABITAT line und können kaum teilhaben an digitalen Entwicklungen. Sie spielen eine wichtige Rolle beim Erreichen der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Natio- nen – Armutsminderung, Klimaschutz und mehr. 30% Diese Rolle wurde im Oktober 2016 in Quito be- kräftigt: bei der Habitat III, der dritten UN-Welt- konferenz für Stadtentwicklung. Zuvor waren inter- nationale Vertreter beim Deutschen Habitat Forum des Kohlendioxids, das die Menschheit seit in Berlin zusammengekommen. Die GIZ beriet die Beginn der industriellen Revolution produziert Bundesregierung bei der Ausrichtung des Treffens. hat, wurden von den Weltmeeren gebunden. Die Algen und Bakterien unter Wasser binden Kernbotschaften des Berliner Forums flossen in das so viel Kohlenstoff wie sämtliche Pflanzen an Abschlussdokument der Habitat III ein. Land zusammen. Deshalb sind gesunde Ozea- ne entscheidend für den Klimaschutz. www.habitat3.org / www.german-habitat-forum.de 6 akzente 3/16
DREI FRAGEN AN WIR WERDEN DARAUF HINWIRKEN, DASS UNSER WIRTSCHAFTSWACHSTUM ALLEN LÄNDERN UND MENSCHEN ZUGUTEKOMMT. die Staats- und Regierungschefs der G20 im Kommuniqué zum Abschluss des Gipfeltreffens von Hangzhou, China, im September 2016 Sonnige Aussichten MAssaËr gueye Schmied aus Touba im Senegal. Zweimal versuchte er vergeblich, nach Europa zu gelangen, weil er in seiner Heimat nicht genug verdiente. Ein Projekt MEHR SOLARTECHNIKER Brasilien hat Dach der Schule erzeugt wird, wird di- der GIZ zum Aufbau eines Marktes für bessere, viele Einwohner – rund 200 Millionen – rekt ins lokale Netz eingespeist. Die ers- energieeffiziente Herde ermöglicht ihm nun ein und einen hohen Energieverbrauch. ten 19 Auszubildenden haben den gutes Einkommen im Senegal. Weil außerdem oft die Sonne scheint, 220-Stunden-Kurs für Photovoltaik-In macht das Land jetzt Ernst mit dem stallateure bereits abgeschlossen. Weitere FOTO: GETTY IMAGES/Johannes mann (S. 6), Illustrationen: Getty Images/Lee Woodgate (S. 7, links), Elliot Beaumont (S. 7, rechts) Ausbau von Solarenergie. Während im 50 Auszubildende werden noch in die- Wie war Ihre Situation, bevor Sie die neuen Herde her- Jahr 2015 erst auf etwa 500 Gebäuden sem Jahr ihren Kurs beenden. Weitere gestellt haben – und wie ist sie heute? eine Solaranlage installiert war, geht die Trainingszentren werden in fünf anderen Vorher habe ich mit einem Lehrling 20 traditionelle nationale Energieagentur für 2024 von Bundesstaaten aufgebaut. Herde am Tag produziert und auf dem Markt ver- rund 700.000 Anla- kauft. Trotzdem reichte es nicht, um mich und meine gen aus. Doch die Eltern zu ernähren. Heute habe ich 15 Mitarbeiter größte Volkswirtschaft und kann jeden Monat genug Geld sparen. Südamerikas hat zu wenige Fachleute, um Die Nachfrage nach den Herden ist hoch, dabei kosten die steigende Nach- sie rund 20-mal mehr als die alten. Wie kommt das? frage zu decken. Des- Die Herde verbrauchen viel weniger Holzkohle, des- halb hat die GIZ im halb lohnt sich die Investition für die Käufer. Außer- Auftrag des Bundes- dem halten sie deutlich länger. Und man kann sie ministeriums für wirt- im Innenraum benutzen, weil sie weniger Rauch schaftliche Zusam- verursachen als die altmodischen Herde. menarbeit und Ent- wicklung gemeinsam Wie hat die GIZ Sie unterstützt? mit mehreren Part- Durch Trainings habe ich gelernt, wie die verbesser- nern im Sommer ten Herde gemacht werden. Weil ein Teil der Geräte 2016 die erste Schule aus Keramik ist, hat die GIZ mich außerdem mit ei- für Solartechniker in ner Kooperative von Töpfern vernetzt, mit denen ich der Hauptstadt Brasí- nun zusammenarbeite. Außerdem hat sie mich am lia eröffnet. Der Anfang mit Material unterstützt – so konnte ich Strom, der auf dem meine Schmiede aufbauen. akzente 3/16 7
INFORMIERT Gut vorbereitet JUNGE FLÜCHTLINGE Neue Perspektiven für acht Frauen 38 und Männer aus Syrien und Afghanistan: Sie haben im Au- * gust 2016 bei der GIZ in Bonn einen Vorbereitungskurs für die Ausbildung zur Bürokauffrau und zum Bürokaufmann begonnen. Der Kurs, der auch Einblicke in Betriebe bietet, dauert ein Jahr und wird von der Bundesagentur für Arbeit unterstützt. Ehrenamtliche Mentoren des „Senior Experten Service“, einer Initiative der Privatwirtschaft, begleiten die Teilnehmer. Auch die Auszubildenden der GIZ engagieren sich, etwa mit Lerngruppen und einem Freizeitprogramm. Planer gesucht Haus für IM VERGLEICHAngesichts der globalen Entwicklung hin zu immer mehr und den Frieden immer stärker wachsenden Städten ist AFRIKANISCHE UNION Im Oktober deren Planung von großer Bedeutung. übergaben deutsche Regierungsvertreter in Wenn sich Städte ungeordnet ausbrei- Addis Abeba das neueste Gebäude der ten, hat das negative Folgen etwa für Afrikanischen Union. Das Haus im Wert von rund 30 Millionen Euro ist eine die Umwelt, die Sicherheit und den Schenkung der Bundesrepublik Deutsch- sozialen Frieden. Weltweit gibt es je- land. Es beherbergt den Plenarsaal des doch große Unterschiede in der Frage, Friedens- und Sicherheitsrats der Afrikani- schen Union sowie Lagezentren zur wie viele Stadtplaner zur Verfügung Früherkennung von Krisen und zur stehen. Das zeigen die drei Beispiele. Planung von Friedensmissionen. Daneben finden sich Büro- und Konferenzräume der Abteilungen für Frieden und Sicher- heit sowie eine Bibliothek. Die Photovol- *Stadtplaner pro taikanlage auf dem Atriumdach – in der 100.000 Einwohner Form des afrikanischen Kontinents – sorgt für sauberen Strom. Flexible Materialien machen den Bau erdbebensicher, Wasserspeicher kühlen ihn. Der Lösch- Quelle: UN-Habitat, World Cities Report 2016 teich davor bekam einen Bachlauf, damit sich keine Moskitos ansiedeln. Die GIZ hat die Arbeiten im Auftrag des Auswärti- 0,23 1,44 gen Amts geplant sowie technisch und * finanziell überwacht. Lokale Firmen * haben das Haus errichtet. Die Mitarbeiter wurden von deutschen Handwerkern und Kurzzeitexperten trainiert. INDIEN NIGERIA GroSSBritannien www.au.int 8 akzente 3/16
BANGLADESCH-WIKI Mehr Sicherheit Landessprache Bangla / Hauptstadt Dhaka / Regierungsform parla- in Textilfabriken mentsdemokratie / Staatsoberhaupt präsident abdul hamid / BESSERE bEDINGUNGEN In Textilfabriken in Asien wird Kleidung für den internationa- Regierungschefin Premierministerin len Markt hergestellt. Doch die Arbeit ist hart und oft gefährlich. Der Einsturz der Tex- Sheikh hasina / Fläche 147.570 KM2 / tilfabrik Rana Plaza in Bangladesch im Jahr 2013 hat weltweit deutlich gemacht, wie wichtig es ist, den Arbeitsschutz zu verbessern. Einwohnerzahl 161,5 Millionen / Bevölkerungsdichte 1.251 Einwohner Die Lidl-Stiftung hat deshalb die GIZ beauftragt, Textilfabriken in Bangladesch zu Ar- beitssicherheit, Sozial- und Umweltstandards sowie zum Umgang mit Chemikalien und pro kM2 [1] / Bruttoinlandsprodukt zur Produktqualität zu beraten. Durch veränderte Abläufe in der Produktion und eine 195,1 Milliarden US-Dollar [2] / bessere Qualifizierung der Arbeiterinnen und Arbeiter soll zudem die Produktivität stei- Währung Bangladeshi Taka gen. Das Projekt erreicht rund 30.000 Menschen. Neben Bangladesch ist die GIZ auch in Côte d’Ivoire sowie in China im Auftrag der Lidl-Stiftung tätig. Quellen: [1] UN Data 2016 [2] Weltbank 2015 Neue Projekte FOTOS: Stephanie Füssenich (S. 9, links), Getty Images/Dave Long (S. 9, Mitte), Getty Images/AFP (S. 9, Rechts) Professionelle Pflege Wichtige Starthilfe Erfahrene Beobachter VIETNAM/DEUTSCHLAND In Vietnam fin- KOSOVO Für Menschen aus Kosovo, deren SAMBIA Bei der Präsidentschaftswahl in den viele junge Menschen keine Arbeit, in Asylantrag in Deutschland abgelehnt Sambia im August wurde Edgar Lungu im Deutschland werden dringend Alten- und wurde, ist die Rückkehr in die Heimat oft Amt bestätigt. Im Auftrag der Europä Krankenpfleger gesucht. Dieses Projekt schwer. Damit sie leichter wieder Fuß ischen Union hat die GIZ internationale hilft beiden Seiten: Im Auftrag des Bun- fassen, bekommen sie Hilfe bei der Suche Beobachter der Präsidenten- und der desministeriums für Wirtschaft und Ener- nach einer Wohnung, können einen Zu- gleichzeitig stattfindenden Parlaments- gie bildet die GIZ bis 2019 bis zu 200 schuss zur Miete und Nachhilfe für ihre wahlen unterstützt. Sie kümmerte sich V ietnamesinnen und Vietnamesen zu Kinder beantragen. Arbeitsvermittlung um Visa, Büros und Fahrzeuge und sorgte Krankenpflegern aus. Im Goethe-Institut und berufliche Fortbildungen helfen ih- so dafür, dass die Beobachter professio- in Hanoi absolvieren sie zunächst einen nen, einen neuen Job zu finden. Auch psy- nell arbeiten konnten. Das gilt auch für 13-monatigen Sprachkurs, ein interkultu- chologische Beratung wird den Betroffe- die Nachbereitung der Wahlen. Die GIZ relles Training und eine berufliche Vorbe- nen angeboten. Die GIZ koordiniert das hat in diesem Bereich viel Erfahrung: Seit reitung. Nach bestandener Prüfung begin- Angebot im Auftrag des Bundesamts für 2008 hat sie im Auftrag der EU 19 Wahl- nen sie ihre Ausbildung in Deutschland. Migration und Flüchtlinge. beobachtungsmissionen unterstützt. akzente 3/16 9
Zwei Länder, zehn Gründer, viele Ideen Bei einem „Bootcamp“ in Berlin lernen deutsche und indische Start-up-Unternehmer von- und miteinander. Manch eine Innovation aus dem Bereich erneuerbare Energien bekommt hier den entscheidenden Schub. TEXT ASTRID HERBOLD Fotos THOMAS GRABKA
EXPONIERT D ie Marshmallows sind reif und müssen dringend geerntet werden. Der Playmobil-Bauer kommt mit seinem Match- box-Auto und pflückt sie von den gelben Papierfeldern. Dann transportiert er sie zum Markt, wo viel Monopoly-Spiel- geld auf ihn wartet. Doch wohin mit jenen Marshmallow-Früchten, die er nicht gleich ebenfalls ein Markt sein kann“, erklärt Coo- lar-Kollege Christoph Göller. Die richtigen strategischen Entschei- dungen zur richtigen Zeit zu treffen, ist für viele Start-ups eine Herausforderung. Umso wichtiger sind kompetente Gesprächspartner. Sowohl in Deutschland als auch in Indien gibt es eine Gründerszene, die im Bereich er- neuerbare Energien nach innovativen Lö- verkaufen kann? Zum Glück gibt es ganz in sungen sucht. Doch konstruktive Kontakte der Nähe ein Kühlhaus aus hellblauer Pappe, gibt es bisher kaum. In Indien mangelt es au- das noch freie Kapazitäten hat. ßerdem am Dialog zwischen Großkonzernen " Es ist ein überraschender Anblick, der und Gründern. Zwar existieren landesweit sich in einem Hinterhofgebäude in Berlin- rund 160 sogenannte Inkubatoren und Acce- Kreuzberg bietet. Zehn Erwachsene hocken auf bunten Decken, schieben Stöckchen und Wir überlegen, leratoren – Zentren, in denen Start-ups geför- dert werden. Doch diese Zentren sind selbst Figürchen umher, hantieren mit Scheren und Klebstoff. Was aussieht wie Kunstunterricht ob die indische oft noch jung und wenig vernetzt, so dass die indischen Gründer auch dort selten mit Inve- für Drittklässler, ist Teil eines Gründersemi- nars, bei dem fünf indische und fünf deut- Landwirtschaft für storen und einflussreichen Firmenvertretern in Kontakt kommen. sche Jungunternehmer gemeinsam an ihren Geschäftsmodellen feilen. Mit einem Verfah- uns ebenfalls ein Die GIZ engagiert sich deshalb seit 2015 in Indien im Auftrag des Bundesministeri- ren namens „Rapid Prototyping“, was in et- wa „schneller Modellbau“ bedeutet, wollen Markt sein kann. ums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für eine engere Kooperation " sie neue Erkenntnisse über Märkte und Kun- zwischen Start-ups, Gründungszentren und den gewinnen. Unternehmen. Die strategische Allianz ist „Wir versuchen, uns in einen indischen Teil des Programms develoPPP.de zum Enga- Bauern hineinzuversetzen“, sagt Arno Zim- gement der Privatwirtschaft für nachhaltige mermann. „Kann er Geld für die Kühlung Entwicklung. Die Kooperationspartner sind seiner Ernte ausgeben? Wenn ja, unter wel- Bosch Engineering and Business Solutions – chen Umständen würde er es tun?“ Zim- ein indisches Tochterunternehmen des deut- mermann interessiert das brennend. Der schen Technologiekonzerns – und die in- 29-Jährige hat vor kurzem mit anderen In- dische Firma Intellecap, die Sozialunterneh- genieuren in Berlin die Firma Coolar ge- men in abgelegenen Regionen fördert. gründet. Das Start-up entwickelt einen Ökokühlschrank, der ohne Dieselmotor, Gesucht: innovative Wege Photovoltaikanlage und Batterie auskommt. der Energieversorgung Der Trick: Die Wärme der Sonne wird in Wassertanks gespeichert und durch den Bis 2017 sollen vielfältige Netzwerke zwi- physikalischen Prozess der Adsorption in schen Gründungszentren, Start-ups und Kälte umgewandelt. Der Kühlschrank soll Konzernen entstehen. Formate wie das etwa bei der Lagerung von Impfstoffen in „Bootcamp“ oder „Demo Days“, bei denen Afrika zum Einsatz kommen. „Wir überle- Start-ups auf Unternehmen treffen, werden gen, ob die indische Landwirtschaft für uns erprobt. Außerdem wurde die Plattform » akzente 3/16 11
Links: Rede und Antwort: Arno Zimmermann (oben) hat mit weiteren Ingenieuren einen Ökokühlschrank entwickelt. Im Gespräch mit anderen Gründern überlegen die Teilnehmer des Seminars, wie sie ihre Unternehmen weiter verbessern können (unten). Rechts: Ernst und Spiel: Erst mal den Teamgeist stärken (unten), bevor es an den Bau von Modellen geht (oben). 12 akzente 3/16
EXPONIERT Zusätzlich in der akzente-App und auf der Website: Die Gründerin Lara Obst berichtet über ihr Start-up MOWEA. akzente.giz.de Kreativität und Teamarbeit: Der Ingenieur Piyush Sohani feilt im „Bootcamp“ am Geschäftsmodell für eine Biogasanlage. „StartupWave“ um Kooperationsmöglich- keiten zwischen Großkonzernen und Start- ups erweitert. „Wir verstehen uns als Brü- " Wir wollen den oder Kühlketten beim Transport unterbro- chen werden. Außerdem bereiten 85 Pro- zent der Menschen auf dem Land ihre ckenbauer“, sagt Projektleiterin Eileen Tren- Mahlzeiten noch immer auf Holzfeuerstel- kmann. „Wir wollen den Start-ups in einer frühen Phase unter die Arme greifen und sie Start-ups in einer len zu. Gasherde wären gesünder und um- weltfreundlicher, doch Gas ist für Millionen an starke Partner vermitteln.“ Ein weiteres Projekt läuft bereits erfolgreich: Gemeinsam frühen Phase Inder unerschwinglich. mit dem Sozialunternehmen Aravind, das kostenlose Augenuntersuchungen und -ope- unter die Arme Gründer treffen auf Partner, die ihnen Türen öffnen rationen für die arme ländliche Bevölkerung in Indien anbietet, engagierten sich Bosch greifen und sie Der 28-jährige Piyush Sohani weiß, dass die und die GIZ dafür, technische Innovationen an starke Partner primitiven Kochstellen selbst in den Dörfern in Augenkliniken einzuführen. nahe der Metropole Delhi vorherrschen. Da- Auch in Berlin soll zusammenkommen, vermitteln. bei gibt es kleine Biogasanlagen, die neben was zusammengehört. Alle Anwesenden den Wohnhäusern installiert sind und von eint, dass sie seit Jahren über Energie nach- denken – über alternative Versorgung, Ko- chen mit erneuerbaren Energien oder spar- " den Bauern mit organischen Abfällen befüllt werden können. Doch kaum jemand nutzt sie. „Die Systeme sind veraltet und unzuver- same Kühlung. Das sind drängende Themen lässig“, sagt Sohani. Deshalb gründete der in Indien, wo mindestens jeder Fünfte un- Ingenieur 2013 an der Universität Delhi ein terhalb der Armutsgrenze lebt. Die Lage- Unternehmen zur Produktion von Biogasan- rung von Lebensmitteln funktioniert gerade lagen, SustainEarth Energy Solutions. Mitt- auf dem Land nur schlecht. Mehr als ein lerweile ist der Prototyp fertig und in der Er- Viertel der landwirtschaftlichen Produkte probungsphase. geht deshalb schon auf dem Weg zum Ver- Aus mehr als 100 Bewerbern hat eine Ju- braucher verloren: weil es keine zuverlässige ry die zehn Teilnehmer für das „Bootcamp“ Stromversorgung gibt, weil Lager fehlen ausgewählt. Der enge thematische Fokus » akzente 3/16 13
Oben: Ideenwerkzeug: Was sich für die Kinderbastelstunde eignet, ist auch ideal, um Konzepte anschaulich zu machen. Unten: Ideenarbeiter: Gemeinsam spielen die Teilnehmer des „Bootcamps“ den Einsatz ihrer Produkte durch. 14 akzente 3/16
EXPONIERT macht den Dialog nun leicht – auch wenn höhe unterhalten können“, sagt Arno Zim- die indischen und die deutschen Gründer am mermann von Coolar. Anknüpfungspunkte AUF EINEN BLICK ersten Tag ein wenig schüchtern getrennt gibt es viele: Aus Indien sind Gründer dabei, voneinander sitzen. Die einen förmlich in Anzug und Hemd, die anderen im typischen die dieselfreie Kühlungssysteme für Lkws an- bieten oder Software für Solaranlagen, aus Damit Aus Ideen Berliner Jeans-und-Turnschuh-Outfit. Doch das Eis bricht schnell. Am dritten Tag beim Deutschland Firmen, die Miniwindturbinen oder Biogaskocher verkaufen wollen. Taten werden Modellbau geht es schon deutlich lockerer „Gerade der informelle Austausch ist en- zu. „Es ist toll, dass wir uns hier auf Augen- orm wichtig“, sagt Mareike Müller vom Social Impact Lab, das das Seminar zusammen mit der GIZ organisiert. Das Social Impact Lab hat sich auf die Förderung von Sozialunter- nehmen spezialisiert und bietet in mehreren deutschen Städten Mentorenprogramme an. „Durch die intensive Arbeit in den Work- shops nehmen die Gründer viele neue Ideen Gemeinsam wollen sie die Zusammen mit nach Hause. Und sie lernen Leute ken- arbeit von Großunternehmen, Gründerzen- nen, die ihnen später Türen öffnen.“ tren und innovativen Start-ups fördern: Die Firmen Bosch und Intellecap sowie die GIZ im Auftrag des Bundesministe Das Finale: der „Pitch“ riums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und die nächsten Schritte und Entwicklung sind dabei strategische Partner. Sie verbessern die Möglichkeiten Vor allem vom Kooperationspartner Bosch der Gründerzentren durch Kooperationen erhoffen sich die Gründer entscheidende Im- mit Großunternehmen. Zudem unterstützen pulse. Der Konzern nimmt seine Mentoren- sie ambitionierte Gründer mit vielverspre- rolle ernst: Manohar Esarapu und ein Kollege chenden Ideen direkt, wie zum Beispiel durch das zehntägige Berliner „Bootcamp“ sind bei allen Seminaren dabei, geben in für ausgewählte Start-ups aus Deutsch- Gruppen- und Einzelgesprächen ausführlich land und Indien. Feedback. Bei Piyush Sohanis Biogasanlage, das wird schnell klar, hakt es noch am Ge- schäftsmodell. Dem Gründer schwebt eine Lösung vor, bei der die Bauern mit der Anla- ge sogar Geld verdienen können – indem sie wecken. Eine Stoppuhr zählt erbarmungslos den Dünger verkaufen, der bei der Gaspro- die Sekunden herunter. duktion nebenher abfällt. Nur: Wer sammelt Am Ende gewinnt Coolar die Auszeich- den ein, transportiert ihn, verpackt ihn, ver- nung als bestes deutsches Start-up und geht marktet ihn? Viele kritische Fragen muss So- mit einer Einladung nach Indien nach Hau- hani sich gefallen lassen. Trotzdem ist er se. Auch Sohani ist zufrieden: „Ich habe eine dankbar: „Ich weiß jetzt, an welchen Punkten Menge Fortschritte gemacht.“ Mittlerweile ich arbeiten muss.“ ist sein Geschäftsmodell so weit ausgereift, Am letzten Tag dann die Feuerprobe: der dass er es in wenigen Worten auf den Punkt „Pitch“. So nennt man es, wenn Start-ups vor bringen kann. Jetzt hofft er auf die nächste Investoren ihre Ideen präsentieren. Mehr als Runde: In Kürze will er die Präsentation wie- 30 Zuhörer haben sich eingefunden, auch derholen, dann in Indien und vor indischen Vertreter der Energieunternehmen Vattenfall Konzernen und Investoren. und RWE sind dabei. Die Regeln für die Prä- sentation sind streng, am Vortag konnten die Gründer sie mit einer Trainerin aus dem Sili- > Ansprechpartnerin con Valley einüben. Nur fünf Minuten Zeit Eileen Trenkmann haben sie, um das Interesse des Publikums zu > eileen.trenkmann@giz.de akzente 3/16 15
GESUNDHEIT Themen dieses AUF DEM WEG DER BESSERUNG: Auch in Entwicklungsländern leben die Men- Schwerpunkts schen heute länger. Doch die Gesundheitssysteme sind vielerorts noch schwach. IM ÜBERBLICK: Aus der Arbeit der GIZ im Gesundheitsbereich „Wir müssen DIE jungeN Menschen erreichen“: Interview mit Latanya Mapp Frett von Planned Parenthood Global über Familienplanung INFOGRAFIK: Mehr Lebenszeit, vor allem für Frauen GUTES MITTEL FÜR SICHERHEIT: Ein Kommentar der WHO-Chefin Margaret Chan
AKZENTUIERT Auf dem Weg der Besserung Auch in Entwicklungsländern leben die Menschen inzwischen länger und gesünder – obwohl die Gesundheitssysteme oft noch schwach sind. Erfolge gibt es zum Beispiel im Kampf gegen die Kindersterblichkeit, gegen Aids oder Polio. Text jana schlütter O hne SMS hätte ich diesen Vorsorgetermin verges- sen“, sagt Neliswa und faltet die Hände über ihrem gewölbten Bauch. Die junge Frau aus Südafrika ist in der nehmen. Dagegen lässt die kostenlose Basisversorgung noch zu wünschen übrig. Das macht sich vor allem in Gegenden wie KwaZulu-Natal bemerkbar, wo 40 Pro- fotoS: AFP/Getty Images/Jean-Philippe Ksiazek (S. 16/17), Getty Images/The Image Bank/Randy Plett (S. 18) 22. Woche schwanger. Ohne Partner, ohne Unterstützung zent der Bevölkerung HIV-positiv sind. Jede vierte Frau der Familie. Trotzdem freut sie sich auf das Kind. „Aber ich unter 21 Jahren ist dort infiziert. weiß nicht viel über das Schwangersein“, sagt sie. Um zumindest ihre ungeborenen Kinder zu schüt- Ihre Krankenschwester riet ihr, sich bei MomCon- zen, müssen HIV-positive Frauen während der Schwan- nect anzumelden. Seitdem bekommt sie regelmäßig gerschaft identifiziert, mit Medikamenten versorgt und Kurznachrichten auf ihr Mobiltelefon, die sie an wichtige dann fortlaufend betreut werden. Aber manche der Termine erinnern, über Anzeichen für Komplikationen Frauen sind Teenager oder womöglich Opfer von Gewalt, informieren oder Tipps für gesunde Ernährung übermit- manche wollen keinen HIV-Test machen und bleiben der teln. Sie kann auch Fragen stellen. „Ich fühle mich weni- Vorsorge deshalb fern. Anderen ist einfach der Weg zur ger allein“, sagt Neliswa. Krankenstation zu weit. Auf den ersten Blick ist die Gesundheitsversorgung Da könnte ein Mobiltelefon Abhilfe schaffen, zu in Südafrika gut. Wer privat versichert ist, kann in dem meist selbst die Ärmsten Zugang haben – so lautet hochmodernen Kliniken jederzeit Hilfe in Anspruch die Idee hinter MomConnect. Sobald eine Frau vermu- tet, dass sie schwanger ist, kann sie sich anmelden. Die ersten SMS ermutigen sie, zur Vorsorge zu kommen. Dort wird sie offiziell registriert. Ihre Daten zur Schwan- gerschaft werden fortan hinterlegt, die Krankenakten mit Wissen und Zuversicht: In einigen afrikanischen Ländern einer elektronischen Datenbank verbunden. Jede Klinik, sind Ärzte heute besser ausgebildet. Dennoch mangelt es jede Hebamme, jeder Gesundheitshelfer in der Nachbar- häufig noch an einer guten Basisversorgung. schaft kann die Informationen dann auf den neuesten » akzente 3/16 19
AKZENTUIERT Stand bringen. Gleichzeitig fließen die Daten in ein nati- onales Schwangerschaftsregister ein. „Wer gesund ist, Auf dieser Grundlage erhalten die Frauen Rat- schläge, die auf ihre individuelle Situation zugeschnitten hat Hoffnung; und sind – per SMS oder über ein Computerprogramm, das automatisch Nachrichten versendet. Bis zu einem Jahr wer Hoffnung hat, nach der Geburt läuft dieser Service. „Wenn Neliswa ei- nen Termin verpasst, meldet sich der Computer“, sagt hat alles.“ Lerato Molefe, ihre Krankenschwester. „Dann geht je- mand vorbei und schaut nach ihr.“ Sprichwort Ein Pilotversuch in KwaZulu-Natal zeigte, dass un- ter anderem mit Hilfe der Kurznachrichten die HIV- Übertragungsrate von Mutter zu Kind von mehr als 20 auf etwa zwei Prozent gefallen ist, während das Wissen über Säuglingspflege deutlich stieg. Inzwischen gilt MomConnect, das von verschiedenen internationalen und 2015 um etwa 60 Prozent gesunken, 37 Prozent we- Gebern gefördert wird, als Vorzeigeprojekt des südafrika- niger Neuerkrankungen wurden registriert. Zudem gab nischen Gesundheitsministeriums. Der kostenlose Ser- es 41 Prozent weniger Aidstote. Weltweit ging die Zahl vice richtet sich an alle werdenden Mütter im Land und der Neuinfektionen mit HIV von 3,1 Millionen auf zwei vernetzt 900.000 Nutzerinnen effektiver mit den beste- Millionen im Jahr zurück. Die Fortschritte sind also henden Angeboten des Gesundheitssystems. durchaus greifbar. Im Notfall angemessen versorgt zu werden, ist trotz- Angemessene Behandlung dem noch kein Standard. In Industriestaaten ist es mit- unter die fehlende Krankenversicherung, die Hilfe uner- ist noch kein Standard reichbar macht. Lebensrettende Krebsmedikamente sind Bis zum Jahr 2030 soll die Kinder- und Müttersterblich- teilweise so teuer, dass selbst reiche Staaten an ihre Gren- 122 keit weltweit noch einmal deutlich sinken: auf 25 Babys zen stoßen. Dabei löst Krebs dort bald Herzleiden als pro 1.000 Geburten und weniger als 70 von 100.000 Ge- größten „Killer“ ab. In den armen Ländern töten immer bärenden. Das ist Teil der nachhaltigen Entwicklungs- noch vor allem Infektionskrankheiten, obwohl auch dort ziele (SDGs), die die Vereinten Nationen im Jahr 2015 mit steigendem Lebensstandard „Zivilisationskrank- mit der Agenda 2030 verabschiedet haben. Davon aber heiten“ wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Leiden an Be- sind viele Länder noch weit entfernt – auch Südafrika. deutung zunehmen. Jahre lebte der bisher älteste Mensch der Welt, Andererseits wurde mit den Millenniumsentwick- Eine umfassende Gesundheitsversorgung, wie sie die die Französin Jeanne lungszielen beim Thema Gesundheit schon einiges er- UN-Ziele vorsehen, ist dabei vielerorts längst nicht Calment (1875–1997). reicht: Die Kindersterblichkeit ist auf 43 pro 1.000 Ge- erreicht. Am größten ist die Lücke in Westafrika. Mindes burten gesunken. Etwa 48 Millionen Kinder verdanken tens 23 Ärzte, Pfleger und Hebammen je 10.000 Ein- ihr Leben verschiedenen Verbesserungen, wie Forscher wohner seien nötig, empfiehlt die Weltgesundheits foto: Getty Images/Photononstop RM/Pascal Deloche/Godong (S. 20) der Vereinten Nationen und der Weltbank um Danzhen organisation (WHO). In Liberia waren es vor der Ebola- You im Fachblatt „The Lancet“ berichteten. Selbst Staa- Epidemie nur 0,1, in Sierra Leone 0,2, in Guinea eine ten wie Äthiopien, Bangladesch und Kambodscha konn- Fachkraft. Strom und sauberes Wasser fehlen überall und ten – gemessen an ihrer Ausgangslage – Erfolge vorwei- sind nicht einmal in Kliniken selbstverständlich. sen. Auch die Zahl der Malariatoten ist zwischen 2000 In den meisten Entwicklungsländern gibt es zudem keine funktionierende Seuchenüberwachung. Nachdem das SARS-Virus die Welt in Schrecken versetzt hatte, ei- nigten sich die WHO-Mitgliedsstaaten zwar darauf, dass jedes Land den Infektionsschutz stärken und eine entsprechende Basis-Infrastruktur schaffen sollte. In- nerhalb von höchstens 24 Stunden sollen gefährliche Manchmal heißt es improvisieren: Hier muss ein Holz- Ausbrüche nun an die Zentrale in Genf gemeldet wer- pfahl mit Nägeln als Infusionsständer dienen. den. Doch zwei Drittel der WHO-Mitglieder erfül- » akzente 3/16 21
AKZENTUIERT AUS DER ARBEIT DER GIZ KRANKENVERSICHERUNG IN INDIEN Gesundheit gehört zu den Kern- Menschen haben sich innerhalb von kompetenzen der GIZ, die hier sechs Jahren der indischen Krankenversi- cherung RSBY angeschlossen, die damit auf jahrzehntelange Erfahrung eine der größten der Welt ist. Die Mit- gliedskarte verschafft Zugang zu Kran- zurückgreifen kann. Im Fokus kenhäusern in ganz Indien. stehen Arme und Ausgegrenzte. AUFKLÄRUNG IN TANSANIA 12 % beträgt die Rate der Schwangerschaften von Teenagern in ausgewählten Schulen H Tansanias. Durch ein Aufklärungspro- om Nath Dhakal hält strahlend produktive Gesundheit“ rund um Sexualität, gramm im Auftrag der deutschen Bundes- ein Plastikkärtchen in die Höhe: Schwangerschaft und Geburt verbessern, regierung ist sie von vormals 41 Prozent Es ist eine Krankenversicherungs- Kindersterblichkeit vermindern, Informati- deutlich gefallen. karte. Bisher musste er Arztbe- onssysteme und Datenmanagement opti- suche, die über eine einfache Grundver- mieren, Gesundheitssysteme generell stär- sorgung hinausgingen, aus eigener Tasche ken und medizinisches Personal ausbilden. bezahlen oder – wenn es zu teuer wurde – Dabei kann die GIZ auf jahrzehntelange ARBEITSSCHUTZ IN BANGLADESCH ohne medizinische Hilfe zurechtkommen. Erfahrung zurückgreifen. Derzeit ist sie in 99 % Jetzt nicht mehr. Hom Nath Dhakal ist der mehr als 80 Ländern in Afrika, Asien, La- erste Bürger Nepals, der die soziale Kran- teinamerika und zunehmend auch in Euro- kenversicherung nutzen kann, die seine Re- pa in Sachen Gesundheit tätig. Gerade bei gierung seit April 2016 aufbaut. einem sensiblen Thema wie sozialer Ge- weniger Unfälle und Verletzungen gibt es Bis das Land diesen Schritt machen rechtigkeit, um die es bei Gesundheit letzt- bei den 3.500 Arbeitern auf einer Werft konnte, war einiges an Vorarbeit nötig – lich geht, achtet die GIZ darauf, kulturell von Western Marine Shipyard in Bangla- politische Überzeugungsarbeit genauso wie angemessen zu handeln, die unterschied- desch, seit dort im Auftrag des Bundes- verschiedene technische Vorbereitungen. lichen Bedürfnisse der Geschlechter zu be- entwicklungsministeriums ein neues Sys- Die GIZ hat sich daran im Auftrag der Bun- rücksichtigen und möglichst keinen Teil der tem zum Arbeitsschutz eingeführt wurde. desregierung aktiv beteiligt. Sie hat die Re- Gesellschaft auszuschließen. „Leave no one gierung Nepals über Jahre beim Aufbau der behind“ – niemanden zurücklassen – lautet Krankenversicherung begleitet und beraten. das Schlagwort aus der Agenda 2030. Und Nepal ist nicht das erste Land, in dem Frauen und Mädchen, Arme und an- ERNÄHRUNG AUF DEN PHILIPPINEN 2.500.000 sich mit deutscher Unterstützung für viele dere ausgegrenzte Gruppen stehen daher Menschen eine Absicherungslücke schließt. besonders im Fokus der GIZ-Arbeit. Alle Auch in Indien, Indonesien, Ruanda und Ke- Menschen, so lautet das Ziel, sollen hoch- nia hat die GIZ dazu beigetragen, solche wertige medizinische Dienste in Anspruch Grundschüler auf den Philippinen haben Versicherungssysteme zu etablieren. nehmen können. Noch ist das nicht über- an einem Gesundheitsprogramm mit dem Krankenversicherungen für Arme bil- all der Fall, auch wenn in den vergangenen Titel „Fit für die Schule“ teilgenommen. den einen Schwerpunkt der GIZ-Arbeit im zwei bis drei Jahrzehnten gerade bei der Diese Kinder sind heute insgesamt besser Gesundheitsbereich. Weitere sind zum Bei- medizinischen Versorgung schon viel er- ernährt, leiden seltener unter Wurm spiel: ansteckende Krankheiten bekämpfen, reicht wurde - in Nepal und vielen anderen krankheiten und haben weniger Karies. Pandemien vorbeugen, die sogenannte „re- Ländern weltweit. 22 akzente 3/16
Hightech für eine bessere Gesundheitsversorgung: Ruanda experimentiert mit Drohnen, um Medikamente in entlegene Regionen zu transportieren. len die in den „International Health Regulations“ fest- Epidemie im Jahr 2000 ein mobiles Überwachungssy- gesetzten Standards bis heute nicht. stem aufgebaut, das Virenforschungsinstitut des Landes So fiel es auch niemandem auf, als ein zweijähriger wurde aufgerüstet und ein Speziallabor für besonders ge- Junge im Jahr 2013 plötzlich von Blut geschwärzten fährliche Erreger eingerichtet. Geschulte Mitarbeiter ent- Durchfall bekam und starb. Emile hatte gemeinsam mit decken nun selbst in entlegenen Dörfern Verdachtsfälle den Kindern aus Meliandou, einem abgelegenen Dorf im von Ebola oder Marburg und melden sie per Handy an Südosten Guineas, in einem hohlen Baum Fledermäuse die Datenbank der Zentrale. Der Kranke wird sofort iso- gefangen. Eines dieser Tiere trug vermutlich das fadenför- liert. Im Fall des betroffenen Radiologen identifizierte ein mige Ebola-Virus in sich. Emile hatte Pech. Dass sein mobiles Team 197 Kontaktpersonen. Drei Wochen lang Schicksal jedoch im Jahr 2014 mit Guinea, Sierra Leone wurde deren Gesundheit genau kontrolliert. Erst dann und Liberia gleich drei Länder ins Unglück stürzte und hieß es: Entwarnung! sie um ihre Entwicklungsfortschritte brachte, hätte ver- In Meliandou dagegen erzeugte der Tod des Jungen hindert werden können. Emile einen Dominoeffekt. Was folgte, ist traurige Ge- So wie 2014 in Uganda: Ein junger Radiologe er- schichte: 28.646 Erkrankte sind in der WHO-Statistik foto: AFP/Getty Images/CYRIL NDEGEYA (S. 23) brach Blut und hatte Durchfall. Seine Ärzte nahe Kam- dokumentiert, mindestens 11.323 Menschen starben. Im pala überwiesen ihn in ein größeres Krankenhaus. Er Sommer und Herbst 2014 brachen die Gesundheitssys starb. Das Virus, das ihm zum Verhängnis wurde, heißt teme der drei am meisten betroffenen Länder Liberia, Marburg. Obwohl es eng mit Ebola verwandt ist, blieb Sierra Leone und Guinea fast unter der Ebola-Last zusam- es – tragisch genug – bei einem einzigen Fall. men. Malariapatienten wurden nicht mehr behandelt, Dass der Ausbruch vergleichsweise glimpflich verlief, Kinder nicht mehr geimpft, Schwangere nicht versorgt. ist das Ergebnis guter Vorsorge. Mit internationaler Hilfe Zu den „Lehren aus Ebola“ haben vier internationale hatte Uganda nach einer besonders schlimmen Ebola- Kommissionen ihre Empfehlungen veröffentlicht. » akzente 3/16 23
AKZENTUIERT nik müsse in ein enges Netzwerk integriert sein, das vom „Wir haben hier eine entlegenen Dorf bis in die Hauptstädte reicht. Erste Ansätze, Informationen und Wissen effizienter Luxusgesellschaft, zu übermitteln, gibt es bereits. Dafür reichen einfache Mobiltelefone. So sind etwa das Gesundheitsministerium die aber meistens in Liberia und die Mitarbeiter vor Ort über den SMS- Dienst mHero miteinander verbunden. Je nach Ausbil- mangelernährt ist.“ dungsgrad und Situation bekommen die Helfer während einer Krise gezielte Informationen. Gleichzeitig sollen sie SARAH WIENER, österreichische Fernsehköchin die Zentrale über Liefer- und Personalengpässe informie- ren, über Schließungen von Krankenstationen oder darü- ber, wie sich der Ausbruch eines Erregers in ihrer Umge- bung entwickelt. Guinea und Sierra Leone, Senegal und Mali erproben das System ebenfalls. Neue Chancen durch die Digitalisierung „Infektionskrankheiten gehören zu den größten Bedro- hungen der Menschheit – nicht nur für die Gesundheit, Als im Sommer 2011 eine Dengue-Epidemie die pakista- sondern auch für wirtschaftliches Wachstum und Stabili- nische Provinz Punjab erschütterte, gab es dort kein tät“, mahnt zum Beispiel die Kommission um Peter funktionierendes Seuchenüberwachungssystem. In Städ- Sands von der Universität Harvard, die das „Global ten wie Lahore wurden die Krankenhäuser von Men- Health Risk Framework“ erarbeitet hat. Trotzdem werde schen überrannt. Das Punjab Information Technology dieser Aspekt globaler Sicherheit häufig vernachlässigt. Board schuf daher eine kostenfreie Hotline. Hunderttau- Mindestens 4,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr seien nö- sende Bürger schilderten am Telefon medizinisch ausge- tig, um potenzielle Pandemien rechtzeitig einzudämmen. bildeten Helfern ihre Symptome und wurden gezielt an Davon sollten 3,4 Milliarden Dollar in die Stärkung Kliniken verwiesen, die noch Betten frei hatten. Ein sta- der Gesundheits- und Frühwarnsysteme fließen. Eine tistisches Programm wertete die Zahl der Anrufe, die weitere Milliarde müsse die internationale Gemeinschaft Wetterbedingungen und andere Variablen aus und traf in die Erforschung von Diagnostik, Impfungen, Thera- Voraussagen über den Verlauf der Epidemie. Die Helfer 8 pien und anderen Hilfsmitteln investieren. Die eigent- wussten nun, wo sie Mücken gezielt bekämpfen oder Kli- liche Verantwortung sieht die Kommission jedoch bei niken auf einen Ansturm vorbereiten sollten. Die Zahl den Nationalstaaten. Die WHO solle Mindestanforde- der Fälle ging in den folgenden Jahren deutlich zurück. rungen definieren, die Länder müssten danach ihre Auch die Mongolei nutzt die Chancen der Digitali- Schwächen identifizieren und festlegen, wie sie sie behe- sierung im Gesundheitssektor: Dort, wie in verschie- Babys auf einmal: die ben wollen. denen anderen Ländern, hilft Telemedizin, um Risiko- bislang höchste Zahl von Mehrlingen, die lebend schwangerschaften in abgelegenen Orten und Regionen zur Welt kamen. Jeder Ausbruch ist ein zu überwachen. Die Krankenstationen in Dörfern sind über eine Internetplattform mit Experten in der Stadt internationales Risiko verbunden. Sie entscheiden gemeinsam, wann Gefahr für „Die Gesundheitssysteme sind unsere erste Verteidi- Mutter und Kind besteht und eine Patientin zur Sicher- gungslinie“, sagt WHO-Generaldirektorin Margaret heit in die Stadt verlegt werden muss. Chan, weil Krankheiten nicht nur die wirtschaftliche Damit Kliniken nicht selbst einer Seuche den Weg Entwicklung eines Landes empfindlich treffen können, bereiten, ist Infektionsschutz mindestens so zentral wie sondern auch ungehindert über Grenzen wandern. „Es der Informationsfluss. Die Hygieneregeln müssen pein- gibt keine lokal begrenzten Ausbrüche mehr.“ Judith Ro- lich genau beachtet werden, entsprechende Vorräte an din, Präsidentin der Rockefeller-Stiftung, die einen ihrer Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln vorhanden Schwerpunkte auf Gesundheitsfragen gelegt hat, stimmt sein, die Mitarbeiter ansteckende Patienten sofort isolie- der WHO-Chefin zu. „Wenn wir jetzt einfach nur Kran- ren. Dass das selbst in gut ausgestatteten Gesundheitssys kenstationen bauen, haben wir versagt.“ Jede kleine Kli- temen nicht immer gelingt, zeigen die Verbreitung des » 24 akzente 3/16
„Wir müssen die jungen Menschen erreichen“ Latanya Mapp Frett ist geschäftsführende Direktorin von Planned Parenthood Global. Die Organisation baut Programme zur Familienplanung in Afrika und Lateinamerika aus. Nach dem Willen der internationalen noch hinterherhinken, obwohl wir – das Gemeinschaft sollen alle Menschen Zugang zu möchte ich betonen – in den vergangenen modernen Verhütungsmitteln haben. Warum ist Jahren weit gekommen sind. In Indonesien das Ziel noch nicht erreicht? etwa nutzt schon mehr als die Hälfte aller Tatsächlich haben hunderte Millionen Frauen im gebärfähigen Alter Verhütungs- Menschen keinen Zugang zu Verhütungsmit- mittel – Tendenz steigend. teln, obwohl sie gerne welche nutzen würden. Warum? Meiner Ansicht nach ist Frauen weltweit haben also Interesse an ein Mangel an Führungsstärke und Engage- Geburtenkontrolle, unabhängig von ihrem ment der Grund. Reproduktive Gesundheit kulturellen Hintergrund? ist hauptsächlich ein Frauenthema. Und Definitiv – Frauen überall auf der Welt Frauenthemen stehen meist ganz unten auf wollen moderne Verhütungsmittel nutzen. der Prioritätenliste. Obwohl es in den Sie möchten diese Entscheidungsfreiheit vergangenen zwei Jahrzehnten viele haben, weil sie wissen, welche Auswirkung Fortschritte gab, haben wir es bei Verhü- Schwangerschaften und Geburten auf ihr tungsmitteln immer noch mit Gender-Un- Leben haben können. LATANYA MAPP FRETT, US-amerikanische Expertin für gleichheit und Ausgrenzung zu tun. Arme internationale Politik und Entwicklungszusammenar- Frauen sind am stärksten betroffen. In welchem Teil der Bevölkerung sehen Sie die beit. Ihre Karriere begann bei den Vereinten Nationen. größte Versorgungslücke? Es ist also keine Frage der Logistik? Bei den Jugendlichen. Sie kommen selten Wenn Sie mir diese Frage vor zehn Jahren an Verhütungsmittel, und das gerade in der gestellt hätten, hätte ich anders geantwor- Zeit, in der sie beginnen, über Sexualität Kann die Digitalisierung Fortschritte bringen, tet. Heute wissen wir, dass wir alle nachzudenken. Wenn wir sie nicht früh auch in armen Ländern? Menschen erreichen können. Wir könnten je- genug erreichen, werden junge Frauen Ja, mit neuen Technologien können wir den versorgen, wenn die Prioritäten richtig schwanger, bevor sie erwachsen sind, die mehr Menschen erreichen. Planned gesetzt wären und wir die nötigen Ressour- Schule beenden und etwas lernen können. Parenthood Global hat gemeinsam mit dem cen hätten – in den Ländern selbst und Zudem sind frühe Schwangerschaften Bevölkerungsprogramm der Vereinten auch innerhalb der Gebergemeinschaft. besonders gefährlich. Wir brauchen deshalb Nationen „Global Mobile“ ins Leben gerufen. Doch wir beobachten, dass dem Thema mehr Aufklärung und Vorsorge für Mädchen. Das Angebot versorgt vor allem Jugendli- derzeit etwas weniger Bedeutung beigemes- che mit mehr und besseren Informationen, sen wird als früher, zum Beispiel in der Welche Folgen hat dieser Mangel? indem es sie dort anspricht, wo sie online Europäischen Union. Dem Wunsch von Frauen nach Verhütungs- aktiv sind. Wir müssen digitale Angebote mitteln nicht zu entsprechen, bedeutet ausbauen, um das große Ziel zu erreichen. Wo gibt es den größten Nachholbedarf? erstens, dass man ihnen das Grundrecht In den Entwicklungsländern, besonders in verweigert, über die Zahl ihrer Kinder selbst Wie lange wird es dauern, bis wirklich jeder Subsahara-Afrika und Teilen von Südost zu entscheiden. Zweitens bedeutet es eine Mensch Zugang zu Verhütungsmitteln hat? asien. Wir sehen nach wie vor kulturelle große Gefahr: In vielen Ländern sind Ich denke, wir können es bis zum Jahr foto: John Mims (S. 25) Hürden, die es zu überwinden gilt. Frauen Schwangerschaften immer noch sehr 2030 schaffen – so wie es die Agenda 2030 auf der ganzen Welt haben diese Barrieren riskant. Mütter und Babys sterben aus für nachhaltige Entwicklung vorsieht. bereits durchbrochen. Es sind die Familien, Gründen, aus denen sie im 21. Jahrhundert Gemeinden und Regierungen, die manchmal nicht mehr sterben sollten. Interview: Friederike Bauer akzente 3/16 25
Mehr Lebenszeit Die Menschen leben heute deutlich länger als früher – ein Trend, der überall auf der Welt zu beobachten ist. Allerdings sind die Unterschiede zwischen Entwicklungs- und Industrieländern nach wie vor gewaltig. So haben die Menschen in Europa eine Lebenserwartung von im Schnitt rund 80 Jahren, in Afrika sind es mit mehr als 60 Jahren etwa zwei Jahrzehnte weniger. Der kleine Unterschied STETIGER TREND NACH OBEN Frauen leben länger als Männer. Global be- Die bessere medizinische Versorgung macht es möglich: Die heutigen trachtet haben sie eine Lebenserwartung von Generationen werden im weltweiten Durchschnitt deutlich älter als ihre etwa 73 Jahren, 1981 waren es noch 65. Bei Eltern und Großeltern. Männern sind es 69 Jahre, 1981 waren es 61. 66,1 68,8 71,5 60,5 64 Kleine und große Ausgaben Weltweit werden im Schnitt 948 US-Dollar pro Person und Jahr für Gesundheit ausgegeben, 1974 1984 1994 2004 2014 in den USA 8.362, in Eritrea nur zwölf. WO die menschen besonders alt werden – und wo IHNEN weniger Zeit bleibt Eine mehr als 30 Jahre höhere Lebenserwartung und ein umfassendes Gesundheitssystem trennen Spitzenreiter Japan von Sierra Leone. Niedrige und hohe Raten Höchste Lebenserwartung Trotz großer medizinischer Fortschritte sterben immer noch Frauen bei der Geburt. Selbst in JAPAN – 83,7 JAHRE Europa sind es 16 pro 100.000 Entbindungen. SCHWEIZ – 83,4 JAHRE SINGAPUR – 83,1 JAHRE AFRIKA EUROPA AUSTRALIEN – 82,8 JAHRE 54 16 SPANIEN – 82,8 JAHRE Niedrigste Lebenserwartung Mehr oder weniger Aufsicht Fast drei Viertel aller Geburten geschehen mit CÔte d’IvoIre – 53,3 JAHRE professionellem Personal. In Botsuana sind es 100 Prozent der Geburten, in Somalia nur neun. TSCHAD – 53,1 JAHRE ZENTRALAFRIKANISCHE REPUBLIK – 52,5 JAHRE ANGOLA – 52,4 JAHRE SIERRA LEONE – 50,1 JAHRE
AKZENTUIERT Weniger Raucher In einigen Regionen der Welt greifen die Menschen heute seltener zum Glimmstängel Atemwegsvirus MERS-CoV in Südkorea, bei der ein ein- als früher: In Amerika werden nur noch halb so viele Zigaretten geraucht wie 1980. zelner Reiserückkehrer eine Infektionskette in Kranken- häusern auslöste und sich letztlich 186 Menschen mit der schweren Erkrankung ansteckten, sowie die Probleme rund um multiresistente Keime weltweit. Indien ist das Zentrum unheilvoller multiresistenter Erreger. Neugeborene – die gesundheitlich schwächsten der Gesellschaft – stecken sich als Erste an. Weil häufig Toiletten und eine sichere Abwasserentsorgung fehlen, gelangen krank machende Keime in Trinkwasser und Nahrungsmittel. Viele Frauen gebären ihre Kinder unter unhygienischen Bedingungen. Sogar ungelernte Hilfs- hebammen geben deshalb vorsichtshalber Breitband-An- Weniger Poliokranke tibiotika aus. Diese Form der Prävention hat Folgen. Mul- Durch intensives Impfen ist Polio fast aus tiresistente Mikroben, die früher vor allem als Kranken- gerottet. Es kommt nur noch in Afghanistan, Pakistan und Nigeria vor. hauskeime bekannt waren, sind inzwischen überall in Indien verbreitet. Säuglinge kommen unter anderem über ihre Mütter mit diesen Keimen in Kontakt. Fast 60.000 Neugeborene sterben allein in Indien jedes Jahr daran. Um solchen Gefahren zu begegnen und das Wis- sen von Fachkräften effektiver zu nutzen, müssen Regie- rungen sogenannte vertikale Gesundheitsprogramme, die auf einzelne Krankheiten wie Malaria oder auf Impfak- tionen abzielen, und horizontale Programme, die das „Gute Ernährung der Mut- Gesundheitssystem in der Breite verbessern, miteinan- ter – der beste Start ins der verzahnen. Dass das auch unter schwierigen Bedin- Leben“: englischsprachiger Ratgeber der Weltgesund- gungen möglich ist, zeigt das Beispiel Ruanda. heitsorganisation Weniger Fälle von HIV/Aids Nach dem Völkermord im Jahr 1994 lag das Land Die Zahl der Neuinfektionen mit dem HI-Virus und mit ihm das Gesundheitssystem am Boden. Es ist deutlich gesunken: von 3,2 Millionen im Jahr konnte nur mit Hilfe von außen wieder aufgebaut wer- 2000 auf 2,1 Millionen im Jahr 2015. den, etwa durch Beratung der GIZ. Inzwischen sind 94 Prozent der Ruander krankenversichert – mehr als in je- dem anderen afrikanischen Land. Gesundheitshelfer in den Dörfern können einen großen Teil alltäglicher Leiden 2000 2015 selbst einschätzen oder überweisen Patienten an eine Kli- 3,2 Mio. 2,1 Mio. nik. Dort müssen sie nur zehn Prozent der Kosten selbst tragen. Für die Ärmsten, für Waisen oder HIV-Infizierte übernehmen internationale Geldgeber die Rechnung. 20 Jahre nach dem Genozid ist die Mütter- und Kindersterb- lichkeit um zwei Drittel gesunken, die Zahl der Aids- und Weniger Todesfälle bei Kindern Tuberkulosetoten fällt schneller als sonst irgendwo. Die Die Kindersterblichkeit hat sich weltweit ver- Lebenserwartung stieg von 42 auf 67 Jahre. ringert. Zwischen 1990 und 2015 ist die Zahl Manchmal stehen jedoch religiöse und kulturelle der Todesfälle fast um die Hälfte gesunken. Hindernisse einer positiven Entwicklung im Weg. Im Jahr 2003 zum Beispiel war das Ziel, Polio aus Nigeria zu verbannen, schon zum Greifen nahe. Plötzlich boykot- tierten die politischen und religiösen Führer dreier Bun- desstaaten im Norden die Impfung. Ihre Argumente klan- gen befremdlich: Sie würde Mädchen unfruchtbar ma- chen, das Immunschwächevirus HIV übertragen, man » Quellen: Eurostat, „The Tobacco Atlas“, UNAIDS, UNICEF, Weltbank, WHO 27
Sie können auch lesen