Pr#ventionsforum 2020 - DOKUMENTATION - GKV-Spitzenverband

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Pr#ventionsforum 2020 - DOKUMENTATION - GKV-Spitzenverband
WORKSHOPS   1

                        Pr#ventionsforum
                        2020
                        DOKUMENTATION

Das Präventionsforum wird durchgeführt von der   Die Träger der Nationalen Präventionskonferenz (NPK):
Pr#ventionsforum 2020 - DOKUMENTATION - GKV-Spitzenverband
Impressum

Herausgeber:                                      Redaktionelle Bearbeitung:

Die Träger der Nationalen Präventionskonferenz:   Bundesvereinigung Prävention und
                                                  Gesundheitsförderung e. V. (BVPG)
GKV-Spitzenverband                                Heilsbachstraße 30
Reinhardtstraße 28                                53123 Bonn
10117 Berlin                                      Telefon: 0228 987270
Telefon: 030 206288-0                             E-Mail: info@bvpraevention.de
E-Mail: kontakt@gkv-spitzenverband.de             Internet: www.bvpraevention.de
Internet: www.gkv-spitzenverband.de
                                                  Gestaltung:
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V.     BBGK Berliner Botschaft
Spitzenverband                                    Gesellschaft für Kommunikation mbH
Glinkastraße 40
10117 Berlin                                      Bildnachweis:
Telefon: 030 13001-0                              Tom Maelsa/tommaelsa.com
E-Mail: info@dguv.de
Internet: www.dguv.de                             Die Nationale Präventionskonferenz (NPK) wurde
                                                  mit dem am 25. Juli 2015 in Kraft getretenen Gesetz
Sozialversicherung für Landwirtschaft,            zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der
Forsten und Gartenbau                             Prävention (Präventionsgesetz) eingeführt. Ihre
Weißensteinstraße 70–72                           Aufgabe ist es, eine nationale Präventionsstrategie
34131 Kassel                                      zu entwickeln und fortzuschreiben (§§ 20d und
Telefon: 0561 785-0                               20e SGB V). Träger der NPK sind die gesetzliche
E-Mail: 110_verbandskontakte@svlfg.de             Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung sowie
Internet: www.svlfg.de                            die soziale Pflegeversicherung, vertreten durch ihre
                                                  Spitzenorganisationen:
Deutsche Rentenversicherung Bund                     GKV-Spitzenverband als Spitzenverband Bund der
Ruhrstraße 2                                         Kranken- und Pflegekassen,
10709 Berlin                                         Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung,
Telefon: 030 865-0                                   Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten
E-Mail: drv@drv-bund.de                              und Gartenbau sowie
Internet: www.deutsche-rentenversicherung.de         Deutsche Rentenversicherung Bund.
                                                  Sie bilden die NPK als Arbeitsgemeinschaft nach
sowie als stimmberechtigtes NPK-Mitglied:         § 94 Absatz 1a SGB X.

Verband der Privaten Krankenversicherung e. V.    www.npk-info.de
Heidestraße 40
10557 Berlin
Telefon: 030 204589-0
E-Mail: kontakt@pkv.de
Internet: www.pkv.de
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Pr#ventionsforum
                        2020
                        DOKUMENTATION

Das Präventionsforum wird durchgeführt von der   Die Träger der Nationalen Präventionskonferenz (NPK):
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4   INHALTSVERZEICHNIS

    Inhalt
    Einführung
    Präventionsforum 2020:
    Wie gelingt ein gesamtgesellschaftlicher und politikfeldübergreifender Aufbruch?........................................... 6

    Begrüßung
    Das Präventionsforum erstmals als hybride Veranstaltung................................................................................. 7

    Teil 1: Gesundheitsförderung und Prävention in der Pflege.................................................................... 8

    Einführungsinterview
    Die Zukunft besser machen als die Gegenwart................................................................................................. 8

    Fachvortrag
    Gesundheitsförderung und Prävention in der Pflege:
    Unsere Maßnahmen müssen schärfer werden!................................................................................................ 10

    Diskussionsforum
    Gesunde Pflegekräfte und optimal versorgte Pflegebedürftige:
    Welchen Beitrag kann und sollte die NPK leisten?............................................................................................ 13

    Fachforum
    Von der Theorie in die Praxis:
    Wie kann ein gesamtgesellschaftlicher und politikfeldübergreifender
    Aufbruch bei Gesundheitsförderung und Prävention in der Pflege gelingen? .................................................. 17

    Ergebnisdiskussion
    Auch wenn es bisher Trippelschritte sind: Die Richtung stimmt...................................................................... 21
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INHALTSVERZEICHNIS             5

Teil 2: Psychische Gesundheit im familiären Kontext .......................................................................... 24

Einführungsinterview
Hilfen so aufeinander abstimmen, dass sie dort ankommen, wo sie nötig sind............................................. 24

Fachvortrag
Psychische Gesundheit im familiären Kontext:
Zwingend notwendig ist ein kommunales Gesamtkonzept............................................................................. 26

Diskussionsforum
Was kann und sollte die NPK beitragen, um die Gesundheit von Kindern
aus psychisch belasteten Familien zu stärken? .............................................................................................. 29

Fachforum
Von der Theorie in die Praxis:
Wie kann ein gesamtgesellschaftlicher und politikfeldübergreifender
Aufbruch bei psychischer Gesundheit im familiären Kontext gelingen?........................................................... 33

Ergebnisdiskussion
Mehr Zusammenarbeit für ein gesundes Aufwachsen...................................................................................... 36

Ausblick
Wie weiter nach dem Präventionsforum?........................................................................................................ 38
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6                   EINFÜHRUNG

                    Präventionsforum 2020:
                    Wie gelingt ein gesamtgesellschaftlicher
                    und politikfeldübergreifender Aufbruch?
                    Das fünfte Präventionsforum am 23. September 2020                 anstaltung statt.1 Moderierende, Referierende und
                    hat gleich zwei politisch aktuelle Themen fokus-                  Diskutierende kamen in Berlin zusammen, während
                    siert. Am Vormittag nahmen die Teilnehmenden die                  etwa 300 Teilnehmende das Forum per Live-Stream
                    Gesundheitsförderung und Prävention in der Pflege                 verfolgten und die Möglichkeit hatten, sich per Chat
                    in den Blick, am Nachmittag die psychische Gesund-                und Meinungsumfrage2 zu beteiligen. Ein „Forums-
                    heit im familiären Kontext. Dabei lautete die zentrale            anwalt“ brachte die im Chat gestellten Fragen in die
                    ­Frage jeweils: Wie gelingt ein gesamtgesellschaft­               Diskussionen vor Ort ein.
                     licher und politikfeldübergreifender Aufbruch?
                                                                                      Das Präventionsforum wird von der Bundesvereini-
                    Die Teilnehmenden debattierten unter anderem                      gung Prävention und Gesundheitsförderung (BVPG)
                    über die Fragen: Welche Herausforderungen stellen                 im Auftrag der NPK und des Verbands der Privaten
                    sich bei der Gesundheitsförderung und Prävention                  Krankenversicherung durchgeführt. Als eine jährlich
                    in der Pflege beziehungsweise bei der psychischen                 stattfindende Veranstaltung dient es dem fachlichen
                    Gesundheit im familiären Kontext? Wie können                      Austausch der NPK mit Vertreterinnen und Vertretern
                    diese Herausforderungen gesamtgesellschaftlich und                der für die Gesundheitsförderung und Prävention
                    politikfeldübergreifend gemeistert werden? Welchen                maßgeblichen Organisationen und Verbände. Die
                    Beitrag kann und sollte die Nationale Präventions-                Veranstaltung greift wechselnde Schwerpunktthemen
                    konferenz (NPK) leisten?                                          auf. Dementsprechend wird der Kreis der Teilneh-
                                                                                      menden jedes Jahr angepasst.3
                    Aufgrund der Coronavirus-Pandemie fand das
                    Präventionsforum in diesem Jahr als hybride Ver-

                    1 Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet und steht unter www.npk-info.de/die-npk/praeventionsforum/praeventionsforum-2020 als
                      Video zur Verfügung.
                    2 Die Ergebnisse der Meinungsumfrage können unter folgendem Link abgerufen werden: www.praeventionsforum.org/2020/meinungs-
                      umfragen.pdf
                    3 Eine Auflistung der teilnehmenden Organisationen am Präventionsforum 2020 steht Interessierten unter folgendem Link zur Verfü-
                      gung: www.praeventionsforum.org/2020/teilnehmende_organisationen.pdf

Ralf Schmitt,
„Forumsanwalt“;
Dr. Beate
Grossmann,
Bundesvereinigung
Prävention und
Gesundheits­
förderung e. V.
Pr#ventionsforum 2020 - DOKUMENTATION - GKV-Spitzenverband
BEGRÜSSUNG                       7

Das Präventionsforum erstmals
als hybride Veranstaltung
Dieses Jahr ist geprägt durch die Coronavirus-Pan-        derung und Prävention eben in allen Politikfeldern    Ute Bertram,
                                                                                                                Präsidentin der
demie, die uns vor große Herausforderungen stellt.        berücksichtigt werden. Alle Verantwortlichen, die     Bundesvereinigung
                                                                                                                Prävention und
Sie wirkt sich auf viele Bereiche unseres Lebens aus,     Einfluss auf gesundheitsrelevante Bedingungen ha-     Gesundheits­
natürlich auch auf das Präventionsforum. Wie schon        ben, müssen sich in ihrem Handeln abstimmen und       förderung (BVPG),
                                                                                                                begrüßte, per Video
in den letzten Jahren war das Präventionsforum            Kooperationen aufbauen.                               zugeschaltet, die
                                                                                                                Teilnehmenden
ursprünglich als eine Präsenzveranstaltung geplant.                                                             des diesjährigen
Doch im April wurde uns klar, dass ein persönliches       Das diesjährige Schwerpunktthema wollen wir           Präventionsforums.

Treffen in Berlin leider nicht möglich sein würde.        anhand zweier Beispiele diskutieren. Der Vormittag
Aber die moderne digitale Welt hat uns Alternativen       widmet sich der Pflege. Dabei nehmen wir sowohl
eröffnet.                                                 die Gesundheit von Pflegekräften als auch die von
                                                          pflegenden Angehörigen und pflegebedürftigen
In diesem Jahr findet das Präventionsforum erstmals       Menschen in den Blick. Nachmittags folgt das zweite
als hybride Veranstaltung statt. Das ist ein neues        Thema, die Psychische Gesundheit. Vorgesehen ist,
Format für uns alle und ich hoffe, dass die Technik       die Gesundheit von Kindern aus psychisch belas-
zu uns hält. Alle Vorträge und Diskussionen finden        teten Familien, insbesondere der suchtbelasteten
heute in Berlin statt. Alle Teilnehmenden sind in         Familien, in den Fokus zu rücken.
ihren Büros, zu Hause oder unterwegs und verfolgen
die Veranstaltung über den Live-Stream.                   Wir möchten gemeinsam diskutieren, welche
                                                          Herausforderungen es für die Gesundheits-, Sicher-
Auf die Beteiligung der knapp 300 angemeldeten            heits- und Teilhabeförderung sowie die Prävention
Teilnehmenden können und wollen wir natürlich             gibt. Und wir möchten Vorschläge und Ideen dafür
nicht verzichten. Sie können sich über einen Chat         sammeln, wie wir den Herausforderungen gesamt-
an der Diskussion beteiligen. Später in der Pause         gesellschaftlich und politikfeldübergreifend begeg-
können Sie sich über eine Onlineplattform mit             nen können. Bei den einzelnen Programmpunkten
anderen Teilnehmenden vernetzen und austauschen.          werden auch die derzeitigen und die zu erwartenden
Dieses Veranstaltungsformat ist herausfordernd und        Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie zur Spra-
spannend – für uns alle.                                  che kommen.

In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt des Präven-
tionsforums auf der Gesundheitsförderung und
Prävention als gesamtgesellschaftliche und politik­
feld­übergreifende Aufgabe. Ich begrüße diese
Schwerpunktsetzung sehr, weil sich die BVPG schon
seit jeher der Ottawa-Charta verpflichtet fühlt und
sich für die darin festgeschriebene gesundheitsför-
dernde Gesamtpolitik einsetzt.

Dem gesamtgesellschaftlichen Ansatz bzw. der
Strategie „Health in All Policies“ liegt die Erkenntnis
zugrunde, dass man die Gesundheit der gesamten
Bevölkerung, insbesondere der sozial und gesund-
heitlich benachteiligten Bevölkerungsgruppen, nur
nachhaltig verbessern kann, wenn Gesundheitsför-
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8                GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION IN DER PFLEGE – EINFÜHRUNGSINTERVIEW

                 Die Zukunft besser machen
                 als die Gegenwart
Wortbeiträge     Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandsvorsit-              Was bieten Sie den Beschäftigten ganz konkret
wurden
nachträglich     zender des GKV-Spitzenverbandes und amtieren-                  an?
redaktionell
bearbeitet und   der Vorsitzender der Nationalen Präventionskonfe-           Wir bieten Beschäftigten beispielsweise Entspan-
gekürzt.         renz (NPK), erläuterte im Interview mit Moderator           nungskurse an oder auch niedrigschwellige Bewe-
                 Marco Seiffert, was er vom diesjährigen Präventi-           gungsformate, die sie in ihren Arbeitsalltag einbauen
                 onsforum erwartet, wie sich die Krankenkassen in            können. Wir geben auch Hinweise zu der Frage,
                 der Pflege engagieren und was er für entscheidend           wie die Arbeit gestaltet werden muss, damit sie
                 hält, damit Maßnahmen der Gesundheitsförderung              den Rücken nicht zu stark belastet, oder wir zeigen
                 und Prävention in der Pflege erfolgreich sind.              Möglichkeiten auf, wie es gelingen kann, psychische
                                                                             Belastungen, die tagtäglich mit der Arbeit verbunden
                    Herr Kiefer, welche Bedeutung hat für Sie das            sind, besser zu verarbeiten.
                    diesjährige Präventionsforum?
                 Für mich ist das Präventionsforum immer eine Platt-            Ist es leicht, diese Angebote in den
                 form, um Erfahrungen aufzunehmen und Hinweise zu               pflegerischen Arbeitsalltag zu integrieren?
                 bekommen, was im Alltag funktioniert und was nicht.         Mein Eindruck ist: Nein, das ist nicht leicht. Im Alltag
                 Das ist mir ganz wichtig und auch meine zentrale            einer Einrichtung sind die Herausforderungen in
                 Erwartung an den heutigen Tag. Denn wir als Träger          den Kernbereichen der Arbeit so massiv, dass die
                 der NPK sind weit weg von den Orten, wo das Leben           betriebliche Gesundheitsförderung immer wieder an
                 wirklich spielt und die Herausforderungen liegen.           die zweite, dritte und vierte Stelle rückt. Entschei-
                 Wenn wir also richtige Rahmenbedingungen schaffen           dend ist unserer Erfahrung nach, dass die Mitarbei-
                 wollen, dann brauchen wir diese Erfahrungen, die            tenden und insbesondere die Leitung den Sinn und
                 wir beim Präventionsforum gerne einsammeln. Die             die Notwendigkeit der Angebote verstehen und ihre
                 heutige Diskussion zur Gesundheitsförderung und             Prioritäten nicht nur abstrakt setzen, sondern auch
                 Prävention in der Pflege – also für Pflegebedürftige, für   konkret durchhalten. Wir kennen das auch von uns
                 Beschäftigte in der Pflege und für pflegende Angehöri-      selbst: Es reicht nicht, Dinge für wichtig zu halten,
                 ge – halte ich für ganz zentral.                            man muss auch danach handeln.

                    Wie sieht das Engagement der Krankenkassen                   Was erwarten Sie als Träger der NPK von den
                    in der Pflege aus?                                           anderen Akteuren in der Pflege?
                 Die Krankenkassen engagieren sich in der Pflege             Auf politischer Ebene haben wir häufig die Debat-
                 mit Maßnahmen der betrieblichen Gesundheits-                te, wie schwierig, schlimm und furchtbar alles ist.
                 förderung. Mit diesen Maßnahmen, die sich an                Stimmt, vieles ist schwierig. Doch wenn die Dinge
                 Beschäftigte richten, erreichen wir inzwischen rund         schwierig sind, dann ist es aus meiner Sicht umso
                 650 Pflegeeinrichtungen. Dabei sehen wir genau die          wichtiger, Dinge positiv zu verändern. Es geht also
                 damit verbundene Chance, aber auch das Problem,             darum, Ansatzpunkte für positive Veränderungen zu
                 das zu lösen ist: Viele der Einrichtungen sind davon        finden und diese konkret und nachhaltig umzuset-
                 überzeugt, dass betriebliche Gesundheitsförderung           zen. Ich bin sehr an Lösungen interessiert, die die
                 sinnvoll ist. Doch insbesondere jetzt in der Zeit der       Zukunft besser machen, als die Gegenwart ist.
                 Pandemie stehen sie vor der besonderen Herausfor-
                 derung, diese Maßnahmen tatsächlich in den Alltag
                 zu integrieren.
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GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION IN DER PFLEGE – EINFÜHRUNGSINTERVIEW   9

(v.l.n.r.)
Marco Seiffert, Moderator
Gernot Kiefer, GKV-Spitzenverband
Pr#ventionsforum 2020 - DOKUMENTATION - GKV-Spitzenverband
10   GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION IN DER PFLEGE – FACHVORTRAG

     Gesundheitsförderung und Prävention
     in der Pflege: Unsere Maßnahmen
     müssen schärfer werden!
     Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey, Charité – Universitäts-                erwartung nicht. Daher müssen unsere Maßnahmen
     medizin Berlin, beleuchtete aus wissenschaftlicher                 in Gesundheitsförderung und Prävention schärfer
     Perspektive, was die größten Herausforderun-                       werden. Solange wir diesen Aufholwettbewerb nicht
     gen in der Pflege sind und wie diese gemeistert                    schaffen, dürfte die größte Herausforderung also die
     werden können. Dabei ging sie sowohl auf die                       zunehmende Zahl an Pflegebedürftigen sein.
     Situation von pflegebedürftigen Menschen ein als                   Aber nicht nur die zunehmende Zahl an pflege-
     auch auf die von Pflegekräften und pflegenden                      bedürftigen Menschen fordert uns heraus, auch
     Angehörigen.1                                                      bestimmte belastende Krankheitsidentitäten, die die
                                                                        Pflege besonders erschweren. Demenzerkrankungen
     Die größte Errungenschaft von Gesundheitsförde-                    korrelieren beispielsweise mit einem wesentlich
     rung und Prävention wird gleichzeitig zur größten                  höheren Pflegegrad als andere Erkrankungen, die zu
     Herausforderung für das Pflegesystem: das Errei-                   Pflegebedürftigkeit führen können.
     chen eines hohen Alters und die Tatsache, dass
     jene, die schon alt geworden sind, immer länger                    13 Millionen Babyboomer
     leben. Natürlich haben Prävention, Rehabilitation                  Die Quantität wird gepusht von 13 Millionen Baby-
     und Gesundheitsförderung dazu geführt, dass die                    boomern, also Menschen, die zwischen den Jahren
     absolute Anzahl der Jahre ohne Pflegebedarf stetig                 1955 und 1965 geboren wurden. Sie mögen heute
     gestiegen ist, jedoch in einem geringeren Maß als                  größtenteils pflegende Angehörige sein, aber in den
     die Lebenserwartung. Daher haben wir es gerade in                  Jahren zwischen 2035 und 2050 werden sie selbst
     den letzten Jahren leider wieder damit zu tun, dass                möglicherweise Hilfe- und Pflegebedarf haben.
     der Anteil der Jahre mit Pflegebedarf steigt. Diese
     Daten sind eindeutig.                                              Auch der Fachkräftemangel fordert uns heraus.
                                                                        Das Bundesinstitut für Berufsbildung errechnete
     Zahl der Pflegebedürftigen steigt                                  erst kürzlich, dass bis zum Jahr 2035 mehr als eine
     Wir schaffen bislang den Aufholwettbewerb                          Viertelmillion Frauen und Männer in Pflege- und Ge-
     zwischen einerseits Gesundheitsförderung und                       sundheitsberufen fehlen werden. Zudem paart sich
     Prävention und andererseits der steigenden Lebens-                 die angespannte Personalsituation in der Pflege mit
                                                                        ganz bestimmten Arbeitsbelastungen. Dazu gehören
     1 Die Präsentation steht Interessierten unter folgendem Link zur
       Verfügung: www.praeventionsforum.org/2020/kuhlmey.pdf            psychische und physische Belastungen, manch-
                                                                        mal schwere körperliche Arbeit, häufig atypische
                                                                        Arbeitszeiten und noch immer der Tatbestand, für
                                                                        die Arbeit nicht ausreichend gratifiziert zu werden.
                                                                        Diese Tatsachen und Herausforderungen machen die
                                                                        Pflegenden selbst zu einer sehr wichtigen Zielgruppe
                                                                        von Gesundheitsförderung und Prävention.

                                                                        Etwa fünf Millionen pflegende Angehörige
                                                                        Die 3,6 Millionen pflegebedürftigen Menschen
                                                                        werden aber nicht nur von professionell Pflegenden,
                                                                        sondern auch von etwa fünf Millionen pflegenden
                                                                        Angehörigen versorgt. Der größte Pflegedienst sind
                                                                        noch immer die Familien selbst. Auch von den pfle-
                                                                        genden Angehörigen wissen wir, dass pflegerische
GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION IN DER PFLEGE – FACHVORTRAG                      11

Arbeit sehr belastet. Im Vergleich zu Nicht-Pflegen-   lität zu stärken. Durch diese Arbeit ist ein weiterer
den haben pflegende Angehörige stärkere körper-        Verlust an Ressourcen zu verhindern.
liche Beschwerden. Studien zeigen, dass sie eine
reduzierte subjektive Schlafqualität haben und an      Pflegebedarf vermeiden, Ressourcen erhalten,
psychosomatischen Beschwerden leiden. Und so           Versorgung präventiv ausrichten
wird auch die Gruppe der pflegenden Angehörigen        Für diese Herausforderungen gibt es verschiedene
zu einer Zielgruppe von Gesundheitsförderung und       Lösungsansätze:
Prävention, erst recht in diesen Zeiten der Pande-     1. Pflegebedarf ist zu vermeiden, hinauszuzögern,
mie. Einer aktuellen Studie zufolge hat sich aus der      zu mildern: Untersuchungen zeigen, dass soziale
Sicht von 41 Prozent der Befragten, die Angehörige        Aktivitäten im höheren Lebensalter ein Baustein
mit einer Demenz versorgen, die ohnehin schwierige        sind, um Demenzen vorzubeugen. Wer zum
Pflegesituation noch einmal verschlechtert. Dazu          Beispiel täglich Kontakt zu Freundinnen und
gehören natürlich das Wegfallen bestimmter Dienst-        Freunden hat, wird zu 12 Prozent weniger wahr-
leistungen, aber auch psychische und emotionale           scheinlich an einer Demenz im Alter erkranken.
Komponenten wie Gefühle von Hilflosigkeit.                Darüber hinaus gibt es zahlreiche Studien, die
                                                          die Wirksamkeit von Ernährung und Bewegung
Herausforderungen für Gesundheitsförderung und            nachweisen. Das sind seit Jahren die präventi-
Prävention                                                ven Komponenten, die nachweislich für weniger
Wenn wir über die Herausforderungen für Gesund-           Pflegebedarf sorgen.
heitsförderung und Prävention in der Pflege spre-      2. Das Pflegesystem ist rigoros auf den Erhalt von
chen, heißt das:                                          Ressourcen auszurichten: Aktuell ist die Gesetzge-
1. Die gesundheitliche Vulnerabilität nimmt zu, und       bung nahezu exklusiv auf die Versorgung von De-
   die Verletzlichkeit der Betroffenen im Altersgang      fiziten pflegebedürftiger Menschen ausgerichtet.
   steigt.                                             3. Die Versorgung ist konsequent präventiv auszu-
2. Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen steigt,        richten: Schmerzmedikation und Schmerzprä-
   und die pflegerischen Versorgungsnotwendigkei-         vention bei pflegebedürftigen Menschen müssen
   ten werden komplexer.                                  sowohl in der Häuslichkeit als auch in Pflegeein-
3. Die Arbeitsbelastung der Pflegekräfte und der          richtungen ausreichend genutzt werden, um so
   pflegenden Angehörigen steigt.                         z. B. die soziale Teilhabe zu ermöglichen.

Natürlich ist das Ziel von Gesundheitsförderung und    Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation
Prävention in der Pflege, Gesundheit im Lebensver-     müssen zu starken Komponenten des pflegerischen
lauf und die Gesundheit der Helfendengruppen zu        Versorgungssystems werden, auch bei bereits einge-
erhalten, auch wenn das nicht die völlige Abwesen-     schränkter Gesundheit.
heit von Einschränkungen und Krankheitsprozessen
bis zum 100. Lebensjahr bedeuten kann. Damit           Ein kleiner Denkanstoß: Wenn wir auf Konferenzen
sind wesentliche Ansatzpunkte von Gesundheitsför-      über Gesundheitsförderung und Prävention reden,
derung und Prävention in der Pflege beschrieben:       schauen wir oft in die Zukunft. Dabei ist immer da­ran
Aus Sicht der Pflege sind vorhandene physische,        zu denken, dass sich Bedingungen ändern, Krank-
psychische und soziale Ressourcen einer beson-         heits- und Gesundheitsprozesse sich nicht einfach
ders vulnerablen Zielgruppe zu identifizieren und      fortschreiben und Betroffene andere Orientierungen
mit Blick auf den Erhalt von Selbstständigkeit und     und Eigenschaften haben. Zum Beispiel werden die
Selbstbestimmung, Wohlbefinden und Lebensqua-          13 Millionen Babyboomer andere Pflegebedürftige
12   GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION IN DER PFLEGE – FACHVORTRAG

     sein als die heute 80- bis 100-Jährigen. Und es             Frage aus dem Chat: Sie beschreiben die
     verändern sich natürlich auch die Bedürfnisse der       großen Herausforderungen, die mit der alternden
     Pflegenden und die Lebensentwürfe pflegender            Gesellschaft, dem erhöhten Bedarf an Pflegeper-
     Angehöriger.                                            sonal und den belasteten Angehörigen auf uns
                                                             zukommen werden. Sehen Sie denn ein Licht am
     Digitalisierung – ein Lösungsansatz?                    Ende des Tunnels? Sind Sie guter Hoffnung, dass
     Auch die Digitalisierung könnte ein Lösungsansatz       wir das werden meistern können?
     für mehr Gesundheitsförderung und Prävention in
     der Pflege sein. Immerhin wären laut Forsa-Umfrage      Gesundheitsförderung und Prävention zu ermögli-
     83 Prozent der Menschen in Deutschland bereit,          chen ist mehr, als einen pflegerischen Versorgungs-
     technische Hilfsmittel im Haushalt zu benutzen,         auftrag zu erfüllen. Es geht um die lebensweltliche
     wenn sie mit solchen Hilfen länger zu Hause woh-        Herausforderung der alt werdenden Gesellschaft.
     nen könnten. Also muss alles, was aus pflegerischer     Wir brauchen einerseits ein gutes System, anderer-
     Sicht gut ist an Digitalisierung, diesen gesundheits-   seits müssen wir aber auch konsequent etwas dafür
     förderlichen Aspekten entsprechen – also mehr           tun, dass wir länger selbstständig bleiben und der
     Selbstbestimmung, längerer Verbleib in der Woh-         Anteil der gesunden Lebensjahre wächst. Nur dann
     nung und weniger Pflegebedarf.                          wird es uns gelingen, die Herausforderungen in der
                                                             Pflege zu bewältigen.
GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION IN DER PFLEGE – DISKUSSIONSFORUM                                         13

Gesunde Pflegekräfte und optimal
versorgte Pflegebedürftige: Welchen
Beitrag kann und sollte die NPK leisten?
Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey, Rudolf Herweck und            Frage aus dem Chat: Brauchen sorgende              Wortbeiträge
                                                                                                             wurden
Andreas Westerfellhaus diskutierten unter der         und pflegende Angehörige nicht einen eigenen           nachträglich
                                                                                                             redaktionell
Moderation von Marco Seiffert darüber, welche         Anspruch auf Pflegeberatung mit der Zielsetzung        bearbeitet und
Anstrengungen nötig sind, damit pflegebedürf-         „Prävention“?                                          gekürzt.

tige Menschen optimal versorgt werden und
Pflegende gesund bleiben. Seiffert fragte die drei    Wir fordern schon lange, pflegenden Angehörigen
unter anderem, welche Fortschritte sie in Sachen      einen eigenen Anspruch auf Pflegeberatung mit dem
Gesundheitsförderung und Prävention bereits           Ziel der Prävention zukommen zu lassen. Denn diese
wahrnehmen, welchen Stellenwert das Thema in          Gruppe hat andere Bedürfnisse als die pflegebedürf-
den politischen Ressorts einnehme und welchen         tigen Menschen. Pflegende Angehörige haben unter       (v.l.n.r.)
                                                                                                             Rudolf Herweck,
Beitrag die NPK leisten sollte.                       Umständen Familie, einen Beruf, einen Arbeitsplatz     Bundesarbeits-
                                                                                                             gemeinschaft
                                                      und müssen mit der Pflege ihres Angehörigen ganz       der Senioren­
   Rudolf Herweck, Bundesarbeitsgemeinschaft          andere Interessen unter einen Hut bringen.             organisationen;
                                                                                                             Marco Seiffert,
   der Seniorenorganisationen (BAGSO)                                                                        Moderator;
                                                                                                             Prof. Dr. Adelheid
Ich denke schon, dass die Entwicklung in der Pflege   Denkbar wäre, dass Krankenkassen und Kommunen          Kuhlmey,
insgesamt vorangeschritten ist. Wir haben inzwi-      zusammenarbeiten und pflegende Angehörige, die         Charité-
                                                                                                             Universitäts­
schen zum Beispiel neue Berufsausbildungen in der     oft schleichend in eine schwere Pflegesituation hin-   klinikum Berlin;
                                                                                                             Andreas
Pflege, in denen die präventiven Anteile wie Ernäh-   einrutschen, von Anfang an beratend unterstützen,      Westerfellhaus,
rung und Bewegungsförderung eine größere Rolle        beispielsweise in von der Kommune organisierten        Pflegebevoll­
                                                                                                             mächtigter der
spielen.                                              Gesprächskreisen.                                      Bundesregierung
14   GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION IN DER PFLEGE – DISKUSSIONSFORUM

     Mein Eindruck ist, dass das Thema Pflege in vielen      in den Lebenswelten findet. Auf diese Art und Weise
     Kommunen politikfeldübergreifend angekommen             könnte auch die Zusammenarbeit zwischen Kranken-
     ist. Weitgehend wird dort die Strategie „Health in      kassen und Kommunen viel besser funktionieren,
     All Policies“ gelebt. In ganz vielen gut geführten      weil alle Beteiligten viel konkreter kommunizieren
     Kommunen arbeiten viele Ressorts zusammen,              und agieren könnten.
     wenn es um neue Projekte geht.
                                                                Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey,
     Eine unserer Forderungen ist es, jede Pflegeeinrich-       Charité – Universitätsmedizin Berlin
     tung mit WLAN auszustatten. Idealerweise sollten        In der Pflegeausbildung sehe ich seit vielen Jahren,
     alle Bewohnenden einen Internetzugang haben, um         dass Gesundheitsförderung und Prävention in die
     die soziale Teilhabe in Pflegeeinrichtungen gewähr-     Konzeptentwicklung Eingang gefunden haben. Die
     leisten zu können. Auch muss das Personal in den        Profession hat einen Sprung gemacht, anders zu
     Einrichtungen in die Lage versetzt werden und die       denken und zu wirken. Über aktivierende Pflege zum
     Fähigkeiten haben, die älteren Menschen in diese        Beispiel hat vor 50 Jahren noch keiner gesprochen.
     Techniken einzuweisen. Wir bräuchten also Digita-
     lisierungsbeauftragte in den Einrichtungen, die sich    Studien zeigen eindeutig, dass heute die Kinder der
     den Überblick verschaffen über das, was technisch       Hochbetagten, die in eine Pflegesituation kommen,
     insgesamt möglich ist.                                  überlegen, wie sie diese herausfordernde Situation
                                                             absichern können. Doch eine Gesellschaft, die so alt
     In der Coronavirus-Krise haben wir gelernt, wie         wird, sollte sich künftig im Vorhinein überlegen, wie
     wichtig soziale Teilhabe ist und wie wichtig Kon-       sie diesen Abschnitt gestalten will. Jede und jeder
     takte sind. So hat sich der Gesundheitszustand          sollte sich im Sinne von Prävention einer solchen
     vieler Bewohnender durch die Besuchsverbote und         Situation mit diesem Thema beschäftigen und mit
     fehlenden Kontakte verschlechtert. Mir ist klar, dass   den Kindern darüber reden. Auch gibt es zahlreiche
     wir bei dieser Aufgabe nicht um die Ehrenamtlichen      andere Möglichkeiten, zum Beispiel eine Patienten-
     herumkommen. Die BAGSO betreut viele Projekte,          verfügung. Wir brauchen auch ganz viele präventive
     auch in Pflegeeinrichtungen, in denen Ehrenamtliche     Ansätze. Alten-WGs sind beispielsweise ein Ansatz
     älteren Menschen helfen, mit dem Internet zurecht-      der Prävention par excellence.
     zukommen.
                                                             In größeren Betrieben ist das Thema Pflege auf jeden
     Von der NPK fordern wir, die Zielgruppen, die in den    Fall ressortübergreifend angekommen. Wer sich
     Bundesrahmenempfehlungen (BRE) benannt sind,            um die älter werdenden Beschäftigten kümmert,
     stärker auszudifferenzieren. Dort kommen nur „Per-      muss die pflegenden Angehörigen und jene, die in
     sonen nach der Erwerbsphase in Kommunen“ und            Familien­zeit gehen, immer mit bedenken.
     „Bewohner von stationären Pflegeeinrichtungen“ vor.
     Hinzukommen müssten einerseits pflegebedürftige             Frage aus dem Chat: Gesundheitsförderung
     Menschen, die zu Hause gepflegt werden und ande-        und Prävention enden häufig an der Tür der sta-
     rerseits pflegende Angehörige sowie erwerbstätige       tionären Einrichtungen. Wo sehen Sie hier einen
     pflegende Angehörige. Mit dieser Ausdifferenzierung     Bedarf und Handlungsansätze?
     würde es einen Weg zu mehr Bedarfsgerechtigkeit
     und Passgenauigkeit geben. Denn dann könnte man         Fast eine Million Menschen werden in den Pflege-
     weiter differenzieren, welche Zielgruppe jeweils        einrichtungen versorgt. Dort sehe ich einen großen
     welchen Bedarf hat oder wo man diese Zielgruppe         Bedarf, was die Schmerzprävention angeht. Auch
GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION IN DER PFLEGE – DISKUSSIONSFORUM                          15

fehlen wirklich gute Mobilitätskonzepte. Beide                Frage aus dem Chat: Stichwort angespannte
Ansätze müssen viel mehr in den Pflegeeinrichtun-         Pflegesituation – Wie können wir den Zusatzauf-
gen verankert werden. Gesundheitsförderung und            wand für Prävention und Gesundheitsförderung
Prävention fallen in der Tat oft der Ausstattung mit      nicht zu einer weiteren Belastung vor allem auf
Pflegepersonal zum Opfer. Dabei könnte man gerade         Mitarbeitenden-Ebene werden lassen?
dort so viel erreichen.
                                                          Dreh- und Angelpunkt ist der Faktor Zeit. Wir brau-
    Frage aus dem Chat: Welchen Beitrag kann              chen natürlich mehr Menschen, die in der Pflege
eine ausgewogene Ernährung in Pflegeeinrichtun-           arbeiten. Darüber hinaus ist aber auch die Qualität
gen für die Gesundheit der Bewohnenden sowie              wichtig und die Frage, wer eigentlich was macht in
der Beschäftigten leisten?                                diesem System. Da sehe ich im neuen Pflegeberufe-
                                                          gesetz die richtigen Ansätze. Auch brauchen wir ein
Wir können über Ernährung so viel regeln. Doch ha-        Zusammenspiel unterschiedlicher Strukturen und
ben wir noch viel zu wenig Wissen, was Ernährung          Kompetenzen, auch innerhalb der Pflege. In der Kon-
gerade bei Pflegebedürftigkeit leisten könnte. Ich        zertierten Aktion Pflege (KAP) haben dazu drei Minis-
wünsche mir eine gute, wissenschaftlich fundierte         terien einen umfangreichen Katalog an Arbeitspake-
Ernährung in den Heimen. Nötig sind dafür Studien,        ten erstellt, gegliedert nach den fünf Themen:
die uns mehr Auskunft darüber geben. Zudem ist            1. Ausbildungsoffensive Pflege
Ernährung auch Esskultur und schafft Begegnungs-          2. Personalmanagement, Arbeitsschutz und Gesund-
möglichkeiten – auch das ist ganz wichtig.                   heitsförderung
                                                          3. Innovative Versorgungsansätze und Digitalisierung
Aus der Coronavirus-Krise habe ich gelernt, dass wir      4. Pflegekräfte aus dem Ausland
die 14.000 Pflegeeinrichtungen in Deutschland wirk-       5. Entlohnungsbedingungen in der Pflege
lich verändern müssen. Das sind keine Stätten, in
denen lustiges Bewohnerleben stattfindet, sondern         Die Politik alleine kann und wird es jedoch nicht
Stätten, in denen in der Regel hochbetagte und sehr       schaffen, den Pflegenotstand zu bewältigen. Alle
kranke Menschen versorgt werden. Wir brauchen             Beteiligten in der Pflege müssen jetzt zeigen, dass
unbedingt einen Ansatz, der es ermöglicht, dass           sie es ernst meinen und die in der KAP verbindlich
diese Menschen dort auch in Krisensituationen in          gemachten Zusagen auch in die Praxis umsetzen.
Sicherheit leben können.
                                                          Wenn Pflegebedürftigkeit plötzlich auftritt, sind viele
    Andreas Westerfellhaus,                               Betroffene überfordert und wissen nicht, wer genau
    Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung            für was zuständig ist oder welche Hilfen es eigentlich
Eine positive Entwicklung in der Pflege ist sicherlich,   gibt – trotz aller Angebote, die wir haben. Sie fühlen
dass die Einführung des betrieblichen Gesund-             sich oft mit dieser neuen Herausforderung allein, weil
heitsmanagements (BGM) inzwischen einen großen            sie nicht wissen, worauf sie zurückgreifen können.
Stellenwert bekommen hat. Viele Ausbildungsstätten        Daher plädiere ich für einen sogenannten Ko-Piloten,
haben BGM als Thema erkannt. Insgesamt positiv            ähnlich der bekannten und bewährten Beratung und
ist auch, dass wir heute eine ganz anders gestaltete      Betreuung frischgebackener Eltern durch Hebammen.
Diskussion über das Thema Pflege haben als noch           Diese Person soll den Betroffenen insbesondere zu
vor Jahren. Heute reden wir nicht mehr nur über           Beginn einer Pflegesituation helfen, den Dschungel an
Skandale, sondern über Lösungen.                          verschiedenen Angeboten zu durchleuchten, und sie
                                                          kompetent und vertrauensvoll begleiten.
16   GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION IN DER PFLEGE – DISKUSSIONSFORUM

     Pflegebedürftigkeit ist nicht nur eine Frage des            Frage aus dem Chat: Gesundheitsförderung
     Alters. Das Thema muss insgesamt ein ganz anderes       und Prävention enden häufig an der Tür der sta-
     Bewusstsein in unserem Leben erhalten. Deswe-           tionären Einrichtungen. Wo sehen Sie hier einen
     gen müssen wir gesamtgesellschaftlich über Pflege       Bedarf und Handlungsansätze?
     reden, dann werden wir auch Lösungen finden.
                                                             In Sachen Gesundheitsförderung und Prävention in
         Frage aus dem Chat: Neue Lösungen sollten           stationären Einrichtungen haben wir einen guten
     die Dinge einfacher machen und nicht kompli-            Schritt getan hin zu den Pflegegraden und zur Res-
     zierter. Wie können einfache Lösungen durch den         sourcenorientierung. In diese Richtung müssen aber
     Gesetzgeber favorisiert werden und nicht immer          auch entsprechende Anreize gesetzt werden. Wenn
     kompliziertere?                                         es beispielsweise eine pflegebedürftige Person mit
                                                             Pflegegrad 3 schafft, durch gezielte Maßnahmen der
     Bei all dem, was der Gesetzgeber neu auf den            Gesundheitsförderung und Prävention, wie Physio-
     Weg bringt, muss er sich an den Bedürfnissen der        therapie, Logopädie oder Ergotherapie, in Pflege-
     Menschen orientieren. Neues muss einfach und            grad 2 zurückgestuft zu werden, muss das auch aner-
     individuell gestaltet sein – ohne zu viele Normen und   kannt werden. Der Schlüssel ist, die richtigen Anreize
     Kontrollmechanismen.                                    zu setzen und die Einrichtungen oder Pflegenden für
                                                             ihre gute Arbeit zu belohnen.

                                                             In der Coronavirus-Pandemie habe ich das erste Mal
                                                             erlebt und gelernt, dass Institutionen und Partner,
                                                             die sich sonst nicht immer so richtig „grün“ sind
                                                             und jeden Satz mit „Aber“ anfangen, sehr pragma-
                                                             tisch miteinander arbeiten können. Ich würde mir
                                                             wünschen, dass wir diese Form der Zusammenar-
                                                             beit beibehalten und uns darauf besinnen, welches
                                                             gemeinsame Ziel wir haben.
GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION IN DER PFLEGE – FACHFORUM                                        17

Von der Theorie in die Praxis:
Wie kann ein gesamtgesellschaftlicher und politikfeldübergreifender Aufbruch
bei Gesundheitsförderung und Prävention in der Pflege gelingen?

Prof. Dr. Corinna Petersen-Ewert, Prof. Dr. Günter      Ich finde es äußerst schwierig, die Frage der Prio-      Wortbeiträge
                                                                                                                 wurden
Meyer, Bernd Tews und Marika Lazar richteten            risierung nach Handlungsfeldern zu gliedern. Wir         nachträglich
                                                                                                                 redaktionell
den Blick auf die Praxis. Unter der Moderation von      denken Gesundheit ganzheitlich. Daher muss man           bearbeitet und
Prof. Dr. Martina Hasseler, Ostfalia Hochschule         aus den Bedarfen der Bewohnenden heraus argu-            gekürzt.
für angewandte Wissenschaften, diskutierten sie         mentieren. Diese können nicht getrennt voneinander
über die Herausforderungen, vor denen Pflegekräf-       abgearbeitet werden. Das ist ein Denken, das in der
te im Arbeitsalltag stehen. Hasseler fragte unter       Realität der Einrichtungen niemals umgesetzt würde.
anderem nach politischen Maßnahmen, die nötig
sind, damit Pflegekräfte Gesundheitsförderung und       Die Zukunft einer bedarfsgerechten Gesundheitsför-
Prävention im Arbeitsalltag nicht als Belastung,        derung und Prävention, die die präventiven Potenzi-
sondern als Bereicherung erleben.                       ale der pflegerischen Berufsgruppen integriert, stelle
                                                        ich mir so vor, dass die Kompetenzen und die Poten-
   Prof. Dr. Corinna Petersen-Ewert, Hochschule         ziale in Bezug auf eine Verantwortungsübernahme
   für Angewandte Wissenschaften Hamburg                der Pflegenden endlich anerkannt werden. Pflegende
Gesundheitsförderung und Prävention sollten             sollten ein zentraler Ansprechpartner sein, nicht nur
wichtige zentrale Bestandteile der Pflege sein. Diese   in den entsprechenden Einrichtungen, sondern in
Aufgabe sollte nicht an Dritte abgegeben werden.        den Lebenswelten insgesamt und dort dann auch die
Allerdings müssen dazu auch entsprechende Kompe-        Verantwortung für die Gestaltung gesundheitsförder-
tenzen vorhanden sein. Daher müssen die Rahmen-         licher Maßnahmen übernehmen.
bedingungen es auch zulassen, in diesem Sinne zu
handeln. Und sie müssen einen Handlungsspielraum           Prof. Dr. Günter Meyer, Deutscher Pflegerat
dafür schaffen, dass die Pflegenden auch Verantwor-     Wichtig ist mir, insbesondere auf die Arbeitsbedin-
tung übernehmen dürfen und können.                      gungen der Pflegekräfte einzugehen, die desaströs
                                                        sind. Es gilt radikale Veränderungsprozesse einzulei-
Ich plädiere für die Akademisierung der Pflege, um      ten, damit wir diese Bedingungen in der Praxis ver-
entsprechende Kompetenzen auch für den Bereich          bessern können. Denn momentan ist es schwierig,
der Gesundheitsförderung und Prävention entwickeln      überhaupt über Gesundheitsförderung und Präventi-
zu können. Doch mangelt es noch an politischem          on nachzudenken, weil es kaum Möglichkeiten gibt,
Willen. Oft heißt es, das sei viel zu komplex oder      diese Strategien in der Praxis umzusetzen.
nicht realistisch in Anbetracht des Mangels an
Pflegefachkräften. Aus meiner Sicht müssten wir im           Frage aus dem Chat: Was kann Politik oder
Bereich Gesundheitsförderung und Prävention auf         was können alle Beteiligten tun, damit die in der
der Verhältnisebene anfangen und die Rahmenbe-          Konzertierten Aktion Pflege (KAP) entwickelten
dingungen ändern. Wir brauchen eine Rückbesin-          Maßnahmen keine Papiertiger bleiben? Bis jetzt
nung darauf, was der Kern der Pflege ist und wie sie    tut sich noch viel zu wenig.
sich beispielsweise auch im Quartier verankern lässt.
                                                        Für bessere Arbeitsbedingungen brauchen wir auf
    Frage aus dem Chat: Stichwort Dilemma               der obersten Ebene zunächst den politischen Wil-
Pflege­prävention: Welche Ansätze gibt es be-           len. Verantwortung der Politik ist es beispielsweise,
züglich einer möglichen Priorisierung in den            ganz schnell etwas an der Vergütungsstruktur zu
Einrichtungen, zum Beispiel Ernährung, Hygiene,         ändern, damit die Berufe attraktiver werden. Auch
Kontakt?                                                die Kostenträger haben eine große Verantwortung.
                                                        Wenn sie in den Vergütungsverhandlungen bei-
18                   GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION IN DER PFLEGE – FACHFORUM

                     spielsweise Angebote für Lohnsteigerungen von        Gerade in der ambulanten Pflege gibt es eine große
                     1,9 Prozent machen, ist das lächerlich. Zudem        Misstrauenskultur. In Gesprächen mit den Kostenträ-
                     stehen die Kostenträger in der Verantwortung, mit    gern geht es immer darum, Pflegekräfte mit neuen
                     uns über eine noch breitere Entbürokratisierung      bürokratischen Hürden stärker zu kontrollieren,
(v.l.n.r.)
Prof. Dr. Corinna    zu sprechen, um zu einer Arbeitsentlastung zu        anstatt sie zu entlasten. Ansätze dafür gibt es viele,
Petersen-Ewert,
Hochschule für       kommen, die Stressoren im Alltag abbaut. Auch        zum Beispiel das Thema digitale Abrechnung.
Angewandte           appelliere ich an die Verantwortung der Arbeit-
Wissenschaften
Hamburg;             geber, die Arbeitsplätze so zu gestalten, dass sie   Für eine bedarfsgerechte Gesundheitsförderung
Prof. Dr. Günter
Meyer, Deutscher     attraktiver werden, damit wir Pflegekräfte für uns   und Prävention ist es nötig, dass die Pflegekräfte in
Pflegerat;           gewinnen können.                                     einem multiprofessionellen Setting auf Augenhöhe
Prof. Dr. Martina
Hasseler, Ostfalia                                                        mit den anderen Professionen diskutieren. Dafür
Hochschule für
angewandte                                                                brauchen die professionell Pflegenden nicht nur
Wissenschaften,          Frage aus dem Chat: In der ambulanten und        mehr Selbstverständnis und Selbstbewusstsein, son-
Moderatorin;
Bernd Tews,          stationären Pflege haben wir einen riesigen          dern auch mehr Akzeptanz von der Gesellschaft und
Bundesverband
privater Anbieter    Bürokratie-Apparat und einen Kontrollaufwand,        den anderen Professionen. Darüber hinaus kann ich
sozialer Dienste;
Marika Lazar,        der komplett übertrieben ist. Wie kann man an        mir vorstellen, dass man den Pflegekräften auch die
Diakonisches         die Stelle von Misstrauen und Kontrolle Vertrauen    Kompetenz einräumt, mit den dafür nötigen Freiräu-
Bildungszentrum
Lobetal              setzen?                                              men neue Konzepte zu realisieren.
GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION IN DER PFLEGE – FACHFORUM                       19

   Bernd Tews, Bundesverband privater Anbieter           das jetzt zu einer Auseinandersetzung darüber, wie
   sozialer Dienste                                      man bestimmte Maßnahmen in das Leistungs- und
Aus unserer Sicht spielen bei dem Thema Gesund-          Vergütungsgeschehen aufnehmen kann. Parallel
heitsförderung und Prävention die KAP und die            dazu berücksichtigt die neue Ausbildungsreform
dort vereinbarten Maßnahmen für die Praxis eine          erstmals Ansätze der Gesundheitsförderung und
zentrale Rolle. Die KAP hat die unterschiedlichsten      Prävention durch und für Pflegekräfte. Beides sind
Akteure zusammengeführt, einen Konsens erarbeitet        Schritte in die richtige Richtung. Als logische Konse-
und diesen in konkrete Maßnahmen überführt. Alle         quenz wollen die Auszubildenden und Studierenden
Beteiligten sind Verpflichtungen eingegangen, um         diese Kenntnisse auch anwenden. Dafür bedarf
beispielsweise die erforderlichen Rahmenbedingun-        es logischerweise auch eines Leistungsangebots.
gen zu schaffen und die Finanzierung zu sichern und      Insbesondere im ambulanten Setting haben wir
die Einrichtungen in die Lage zu versetzen, Gesund-      viele Möglichkeiten, den Verbleib in der Häuslichkeit
heitsförderung und Prävention nicht als zusätzliche      weiter zu stärken. Politik und Gesetzgeber sind also
Belastung, sondern als Entlastung zu erfahren. Der       gefordert, ein entsprechendes Leistungsangebot
Maßnahmenkatalog verknüpft Gesundheitsförderung          in das Leistungsrecht, als Anspruch der jeweiligen
für die Pflegebedürftigen mit den Herausforderun-        Versicherten bei vorliegenden Voraussetzungen, zu
gen für pflegende Angehörige und Pflegekräfte. Aus       implementieren.
unserer Sicht sind diese Maßnahmen daher ziel-
führend und eine Art Roadmap, die es jetzt konkret       Für eine bedarfsgerechte Prävention und Gesund-
umzusetzen gilt.                                         heitsförderung, die sowohl die Pflegekräfte als Ziel-
                                                         gruppe als auch die präventiven Potenziale der Pfle-
Wir als Verband sehen im Moment eine zentrale            geeinrichtungen und pflegerischen Berufsgruppen im
Herausforderung in den psychischen Belastungen           Fokus hat, brauchen wir das Zusammenwirken aller
der Pflegekräfte, auch resultierend aus der Versor-      Akteure und die Bereitschaft des Gesetzgebers, für
gung von Demenzkranken mit herausforderndem              die erforderlichen Maßnahmen entsprechende Rah-
Verhalten und den damit einhergehenden Anforde-          menbedingungen und leistungsrechtliche Regelun-
rungen. Zum Thema psychische Belastungen hat die         gen zu schaffen. Letztlich müssen die Einrichtungen
Universität München für uns eine groß angelegte          und die Pflegekräfte von der Gesundheitsförderung
Befragung mit dem Ziel durchgeführt, Stressfaktoren      als Instrument zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit
herauszufinden. Daraus haben wir Maßnahmen ab-           profitieren können und zudem – sowohl von ihrer
geleitet und ein Konzept entwickelt, um Pflegekräfte     Qualifikation als auch von den gesetzlichen und
verhaltenspräventiv in die Lage zu versetzen, mit die-   finanziellen Möglichkeiten her – in die Lage versetzt
sen Herausforderungen besser umgehen zu können.          werden, die Prävention als Regelangebot von Pflege-
Dieses Maßnahmenpaket nennt sich PFLEGEprevent           leistungen anbieten zu können.
und wurde in einem Pilotprojekt in Bayern zusam-
men mit dem Heilbäderverband umgesetzt, wissen-             Marika Lazar, Diakonisches Bildungszentrum
schaftlich evaluiert und befindet sich gegenwärtig in       Lobetal/Altenpflegeschule
der Zertifizierung.                                      Ich sehe das Thema Gesundheitsförderung und
                                                         Prävention in der Pflege aus zwei Perspektiven.
Institutionell hat die Einführung des neuen Pfle-        Vor meiner Tätigkeit als Schulleitung arbeitete ich
gebedürftigkeitsbegriffs den reduzierten Blick des       in einem Projekt, in dem wir Gesundheitsförde-
SGB XI auf Prävention und Gesundheitsförderung in        rung und Prävention in der stationären Altenpflege
der Pflege geöffnet und geweitet. In der Praxis führt    implementiert haben. Die Schwierigkeit dabei war,
20   GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION IN DER PFLEGE – FACHFORUM

     die Einrichtungen erst einmal davon zu überzeugen,          Frage aus dem Chat: Stichwort Dilemma Pfle-
     bei diesem Projekt mitzumachen. Doch haben wir          geprävention – Welche Ansätze gibt es bezüglich
     entsprechende Wege gefunden, inzwischen gibt es         einer möglichen Priorisierung in den Einrichtungen,
     auch schon die ersten Ergebnisse.                       zum Beispiel Ernährung, Hygiene, Kontakt?

     Als Schulleitung einer Pflegeschule habe ich im April   In dem Projekt, in dem wir Gesundheitsförderung
     dieses Jahres mit der generalistischen Pflegeausbil-    und Prävention in der stationären Altenpflege imple-
     dung begonnen. In dieser Ausbildung sind Gesund-        mentiert haben, war zum Beispiel die Prävention von
     heitsförderung und Prävention ein ganz großes           Gewalt ein großes Thema. Das erworbene Wissen
     Thema. Wir haben das neue Schulcurriculum so            können die Auszubildenden später in den Einrich-
     gestaltet, dass Gesundheitsförderung und Prävention     tungen, in denen sie arbeiten, nutzen.
     vom ersten Theorieblock an thematisiert werden.
     Nun stehe ich vor der Herausforderung, diese Inhalte    Um die präventiven Potenziale der pflegerischen
     auf der einen Seite in der betrieblichen Gesundheits-   Berufsgruppen künftig in eine bedarfsgerechte
     förderung in Bezug auf die Mitarbeitenden einzu-        Gesundheitsförderung und Prävention integrieren
     führen und auf der anderen Seite auch direkt den        zu können, bedarf es auch entsprechender Stellen.
     Pflegeauszubildenden näherzubringen.                    Gesundheitsförderung und Prävention als Arbeitsbe-
                                                             reich zu definieren, würde ich wichtig finden.
     Ich denke schon, dass die Kompetenzen der Auszu-
     bildenden für Gesundheitsförderung und Prävention
     inzwischen in den Pflegeeinrichtungen abgefragt
     werden. Meine Erfahrung aus dem oben genann-
     ten Projekt ist, dass Gesundheitsförderung dann
     positiv aufgenommen und umgesetzt wird, wenn
     beide Seiten involviert sind, also Mitarbeitende und
     Bewohnende.
GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION IN DER PFLEGE – ERGEBNISDISKUSSION                                      21

Auch wenn es bisher Trippelschritte sind:
Die Richtung stimmt
Gernot Kiefer, Dr. Stefan Hussy und Andreas Be-       halten. Wahrzunehmen ist, dass sich einiges bewegt.     Wortbeiträge
                                                                                                              wurden
sche reflektierten unter der Moderation von Marco     Dies verdeutlichen die folgenden Beispiele:             nachträglich
                                                                                                              redaktionell
Seiffert die vorherigen Diskussionen. Dabei ging                                                              bearbeitet und
es auch um die Frage, wie zuversichtlich die drei       Das Bundeskabinett hat soeben beschlossen,            gekürzt.
stimmberechtigten NPK-Mitglieder sind, dass der         20.000 zusätzliche Pflegehilfsstellen zu schaffen.
gesamtgesellschaftliche und politikfeldübergrei-        Die Pflegeversicherung wird diese Stellen finanzie-
fende Aufbruch in der Pflege tatsächlich gelingt.       ren, ohne die Eigenanteile der Betroffenen zu
                                                        erhöhen.
   Gernot Kiefer, GKV-Spitzenverband                    In den ersten beiden Jahrzehnten haben sich
Zuversicht kann man durchaus haben, auch wenn es        die Kommunen aufgrund der Pflegeversicherung
stimmt, dass das eine oder andere nicht läuft, dass     vielfach aus ihrer Verantwortung zurückgezogen.       (v.l.n.r.)
es schwierig ist und auch in den nächsten Jahren        Dieser Fehler wird zunehmend erkannt und von          Gernot Kiefer,
                                                                                                              GKV-Spitzen­
schwierig bleiben wird.                                 den Kommunen auch korrigiert. Der Irrtum, die         verband;
                                                                                                              Marco Seiffert,
                                                        Pflegeversicherung werde es schon richten, ist        Moderator;
Die inhaltliche Diskussion über das Thema Gesund-       gesellschaftlich auf dem Rückmarsch.                  Dr. Stefan
                                                                                                              Hussy, Deutsche
heitsförderung und Prävention in der Pflege gehört      In den politischen Konzepten aller Parteien steht     Gesetzliche
                                                                                                              Unfallversicherung;
für mich in einen gesellschaftlichen Kontext: Die       das Thema Pflege ganz oben. Auch die Debatte          Andreas Besche,
Pflege hat in Deutschland zunehmend inhaltliche,        zur angemessenen Vergütung von Pflegekräften          Verband der
                                                                                                              Privaten Kranken­
politische und gesellschaftliche Aufmerksamkeit er-     wird geführt und führt zu Konsequenzen.               versicherung
22   GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION IN DER PFLEGE – ERGEBNISDISKUSSION

     Das sind zwar alles Trippelschritte, aber sie gehen      Ausbildung und bei den jungen Menschen an, das
     in die richtige Richtung. Insofern appelliere ich sehr   Thema Prävention zu implementieren – angefangen
     daran, nach vorne zu blicken und, anstatt Defizite zu    von Hautschutz über psychische Belastung bis hin zu
     beschreiben, den Fokus auf das Gestalten zu legen.       richtigem Heben und Tragen.

        Dr. Stefan Hussy, Deutsche Gesetzliche                Die pflegenden Angehörigen wiederum sind für uns
        Unfallversicherung (DGUV)                             als Unfallversicherung nur schwer zu erreichen, und
     Wir sollten positiv in die Zukunft schauen, auch         hier brauchen wir die Vernetzung mit den Kranken-
     wenn für ein gesamtgesellschaftliches Handeln in         und Pflegekassen und auch mit den Kommunen,
     der Pflege im Kontext Prävention noch wichtige           damit wir für unsere Angebote überhaupt einen
     Akteure fehlen. Der Kreis der Sozialversicherungen       Zugang zu dieser Zielgruppe erhalten. Auch ist noch
     arbeitet bei der Gesundheitsförderung und Präven-        einiges zu tun, damit unsere Leistungen für pflegen-
     tion in der Pflege bereits sehr viel und intensiver      de Angehörige und überhaupt die Leistungen der
     zusammen. Hier nehme ich durchaus einen Auf-             verschiedenen Akteure bekannt sind. Hier sollten wir
     bruch wahr.                                              noch viel mehr die Möglichkeiten der Digitalisierung
                                                              angehen.
         Frage aus dem Chat: Was ist mit dem Aufbruch
     in der Pflege gemeint? Bis jetzt reden wir aus-          Was die Zielgruppe der zu Pflegenden angeht, kön-
     schließlich über politische Entscheidungen in der        nen wir als Unfallversicherung allein relativ wenig
     Pflege und wenig über die realen Bedingungen.            tun. Eine „gute und gesunde“ Pflege sowohl für Pfle-
                                                              gekräfte als auch für zu Pflegende bekommen wir
     Wir haben uns inzwischen deutlich stärker unter­         nur gemeinsam mit den Pflegekassen und weiteren
     einander vernetzt und Verständnis für die Belange        Akteuren hin.
     der anderen entwickelt. Als gesetzliche Unfallver-
     sicherung verfolgen wir die Zusammenarbeit mit           Wenn man sich die Situation in Deutschland an-
     anderen Sozialversicherungsträgern auch als ein          schaut, gibt es inzwischen schon ganz viele Netz-
     strategisches Ziel, damit die verschiedenen Hand-        werke im Bereich der Pflege. In jedem Bundesland
     lungsansätze ineinandergreifen. Aber die Situationen     gibt es zahlreiche kommunale Aktivitäten, die alle
     sind komplexer.                                          Betroffenen zusammenbringen. Das müssen wir
                                                              weiter ausbauen und voranbringen. Und das sind
     Was die Zielgruppe der Pflegekräfte betrifft, können     vielleicht nur Trippelschritte, aber ich gehe lieber
     wir über unseren Zugang zu den Pflegeeinrichtungen       mit kleinen Schritten in die richtige Richtung, als gar
     einiges regeln bzw. anstoßen, aber einiges auch          nicht voranzukommen.
     nicht. Wir können zum Beispiel nicht für höhere Löh-
     ne sorgen, sehr wohl aber bei der Arbeitsgestaltung,         Frage aus dem Chat: Was ist unserer Gesell-
     im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsma-             schaft gute Pflege wert? Eine gesamtgesellschaft­
     nagements oder der Qualifizierung von betrieblichen      liche Betrachtung findet nicht statt. Die Reduzie-
     Akteuren aktiv werden. Wir gehen in die Betriebe         rung auf die Sozialversicherung ist ungenügend.
     und beraten Führungskräfte über Arbeitsbedingun-         Pflege ist als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
     gen und wie sie gestaltet werden können. Inzwi-          umzusetzen.
     schen bieten wir auch den Pflegekräften viel mehr
     Schulungen rund um die Themen Sicherheit und             Aus meiner Sicht hat sich in der Pandemie die
     Gesundheit an und fangen schon im Rahmen der             Wahrnehmung der Gesellschaft für das Thema Pflege
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