Preisverleihung an Julie Froud, Michael Moran ( ), Sukhdev Johal, Angelo Salento und Karel Williams - Bibliothek der Friedrich-Ebert ...
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Preisverleihung an Julie Froud, Michael Moran (†), Sukhdev Johal, Angelo Salento und Karel Williams für ihr Buch „Die Ökonomie des Alltagslebens: Für eine neue Infrastrukturpolitik“ Preisverleihung an Hubertus Bardt, Sebastian Dullien, Michael Hüther und Katja Rietzler für ihren Artikel „Für eine solide Finanzpolitik: Investitionen ermöglichen!“ Berlin, 4. März 2020
Der Hans-Matthöfer-Preis für Wirtschaftspublizistik wird vergeben von der Hans-und-Traute-Matthöfer-Stiftung in der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die unselbstständige Hans-und-Traute-Matthöfer-Stiftung in der Friedrich- Ebert-Stiftung konzentriert sich – gemäß ihrem Stiftungsziel – auf die För- derung und Auszeichnung von Beiträgen, die grundsätzliche Probleme der Wirtschafts- und Sozialpolitik, der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, der Technologieentwicklung und ihrer Auswirkungen auf die Humanisierung der Arbeitswelt und die Gesellschaft insgesamt zum Gegenstand haben. Hans Matthöfer (1925–2009) war ein führender deutscher Gewerkschafter und Sozialdemokrat. Zwischen 1974 und 1982 war er Minister in mehreren Bundesregierungen, davon vier Jahre Finanzminister unter Helmut Schmidt, der selbst auch dem Beirat der Stiftung angehörte. Impressum: © Friedrich-Ebert-Stiftung Herausgeberin: Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung Godesberger Allee 149 53175 Bonn Fax 0228 883 9219; 030 26935 9229 www.fes.de/wiso Fotos: Mark Bollhorst ISBN 978-3-96250-632-2 Diese Publikation wurde vollständig aus Mitteln der Hans-und-Traute-Matthöfer-Stiftung finanziert.
Preisverleihung an Julie Froud, Michael Moran (†), Sukhdev Johal, Angelo Salento und Karel Williams für ihr Buch „Die Ökonomie des Alltagslebens: Für eine neue Infrastrukturpolitik“ Preisverleihung an Hubertus Bardt, Sebastian Dullien, Michael Hüther und Katja Rietzler für ihren Artikel „Für eine solide Finanzpolitik: Investitionen ermöglichen!“ Berlin, 4. März 2020
Vorwort Kurt Beck Ministerpräsident a. D., Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Ebert-Stiftung Die Hans-und-Traute-Matthöfer-Stiftung in der Fried- Die Verleihung des mit 10.000 Euro dotierten Haupt- rich-Ebert-Stiftung hat im Laufe des Jahres 2013 be- preises und des mit 5.000 Euro dotierten Sonderpreises schlossen, der gerade auch in Deutschland in der Wis- entspricht somit den Zielen der Stiftung, die von Hans senschaft, Politik und Presse zu einseitig geführten Matthöfer (1925–2009) – einem bekannten SPD-Politi- wirtschaftspolitischen Debatte durch die Auslobung ker und Gewerkschafter, der zwischen 1974 und 1982 eines Preises für Wirtschaftspublizistik zu mehr Plura- Minister in mehreren Bundesregierungen war – und sei- lität zu verhelfen. ner Frau Traute ins Leben gerufen wurde. Ich freue mich sehr, dass wir diese Preisverleihung dank des finanziellen Mit dem Hans-Matthöfer-Preis für Wirtschaftspubli- Engagements der Hans-und-Traute-Matthöfer-Stiftung zistik „Wirtschaft.Weiter.Denken.“ sollen Wirtschafts- auch in diesem Jahr wieder vornehmen können. und Sozialwissenschaftler_innen geehrt werden, die jenseits der volkswirtschaftlichen Standardtheorie oder Der Hans-Matthöfer-Preis für Wirtschaftspublizistik wird des makroökonomischen Mainstreams neue Antwor- im Jahr 2020 damit zum sechsten Mal verliehen. Heraus- ten auf die großen wirtschafts- und gesellschaftspoli- ragende ausländische Preisträger_innen, die der deut- tischen Herausforderungen unserer Zeit suchen und schen wirtschaftspolitischen Debatte wichtige Impulse entwickeln. geliefert haben, waren in den Vorjahren: 4 Kurt Beck
• Mark Blyth (Preisträger 2015), für sein Buch Wie • das Buch von Axel Stommel, Basics der Ökonomie: Europa sich kaputtspart: Die gescheiterte Idee der Aus- Wirtschaftspolitik, Staat und Steuern, Büchner Verlag, teritätspolitik; 03/2019; • Mariana Mazzucato (Preisträgerin 2016), für ihr Buch • das Buch von Julie Froud, Michael Moran (†), Suk- Das Kapital des Staates: Eine andere Geschichte von hdev Johal, Angelo Salento und Karel Williams, Die Innovation und Wachstum; Ökonomie des Alltagslebens: Für eine neue Infrastruk- turpolitik, Suhrkamp Verlag, 08/2019. • Oliver Nachtwey (Preisträger 2017), für sein Buch Die Abstiegsgesellschaft: Über das Aufbegehren in der Die Mitglieder der unabhängigen Auswahl-Jury: regressiven Moderne; • Frau Dr. Brigitte Preissl, ehemalige Chefredakteurin • Branko Milanovic (Preisträger 2018), für sein Buch der Fachzeitschriften Wirtschaftsdienst und Intereco- Die ungleiche Welt: Migration, das Eine Prozent und nomics beim ZBW – Leibniz-Informationszentrum die Zukunft der Mittelschicht; Wirtschaft, • Adam Tooze (Preisträger 2019), für sein Buch Cra- • Herr Prof. Dr. Peter Bofinger von der Universität shed: Wie zehn Jahre Finanzkrise die Welt verändert Würzburg, ehemaliges Mitglied des Sachverständi- haben, sowie Harald Schumann und Elisa Simantke genrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftli- (Sonderpreisträger_innen 2019), für ihren Artikel chen Entwicklung, Blackrock: Ein Geldkonzern auf dem Weg zur globalen Vorherrschaft. • Herr Thomas Fricke, ehemaliger Chefökonom der Financial Times Deutschland, heute u. a. Cheföko- Im Rahmen des Nominierungsverfahrens sind im nom der European Climate Foundation, Direktor Herbst vergangenen Jahres über 50 Vorschläge – neben des Forum New Economy und Kolumnist bei Der Büchern auch Blog-Beiträge, Kolumnen, Kommentare, Spiegel Reportagen und Artikel in Zeitungen sowie Fachzeit- schriften – bei uns eingegangen. Für diese rege Betei- haben dann im Rahmen eines intensiven Begutach- ligung möchte ich mich im Namen der Hans-und- tungsverfahrens aus den fünf Finalist_innen die Ge- Traute-Matthöfer-Stiftung und der Friedrich-Ebert- winner_innen ermittelt. Auch Ihnen möchte ich für Stiftung ebenfalls sehr herzlich bedanken. Die große Ihr Engagement und Ihre Mitwirkung sehr herzlich Anzahl an Einsendungen und auch die vielen posi- danken. tiven Rückmeldungen in den vergangenen Wochen zeigen, dass wir mit der Verleihung dieses Buchpreises Der Hauptpreis 2020 geht an: richtig liegen. • Julie Froud, Michael Moran (†), Sukhdev Johal, An- Auf die Shortlist für die diesjährige Verleihung des Hans- gelo Salento und Karel Williams, für ihr Buch Die Matthöfer-Preises für Wirtschaftspublizistik „Wirtschaft. Ökonomie des Alltagslebens: Für eine neue Infrastruk- Weiter.Denken.“ schafften es von den eingegangenen turpolitik. Einsendungen: Darüber hinaus hat sich die Jury entschieden, neben • das Buch von Lea Elsässer, Wessen Stimme zählt: dem Hauptpreis auch einen Sonderpreis für herausra- Soziale und politische Ungleichheit in Deutschland, gende und außerordentliche wirtschaftspublizistische Campus Verlag, 11/2018; Leistungen zu vergeben. • das Buch von Ulrike Herrmann, Deutschland, ein Der Sonderpreis 2020 geht an: Wirtschaftsmärchen: Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind, Westend Verlag, 09/2019; • Hubertus Bardt, Sebastian Dullien, Michael Hüther und Katja Rietzler, für ihren Artikel Für eine solide • das Buch von Lutz Raphael, Jenseits von Kohle und Finanzpolitik: Investitionen ermöglichen!, erschienen Stahl: Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach als IMK Report 152/2019 und als IW-Policy Paper dem Boom, Suhrkamp Verlag, 05/2019; 10/2019. 5
Die Jury begründet ihre Entscheidung folgendermaßen: Die Träger_innen des Hauptpreises legen in ihrem Buch dar, wie stark öffentliche Infrastruktur in den vergange- nen Jahren nur noch nach finanziellen Renditeaspekten angeboten worden ist, und zeigen die negativen Wir- kungen dieser Politik auf. Sie plädieren daher für neue Formen der Zusammenarbeit zwischen privaten und öffentlichen Akteur_innen, um funktionsfähige Infra- strukturen für Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen. Die Träger_innen des Sonderpreises demonstrieren, wie die Investitionsschwäche in Deutschland durch eine mutige Wirtschaftspolitik überwunden werden kann. Dabei gelang es den Ökonom_innen, frühere ideologi- sche Grenzen zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeber- interessen zu überwinden. Frau Brigitte Preissl und Herr Thomas Fricke erläutern in ihrer Laudatio auf die Preisträger_innen noch etwas genauer die Gründe, warum die Jury sich für die beiden Preisträger_innen entschieden hat. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre der Re- den, die während des Festaktes zur Preisverleihung am 4.3.2020 in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin gehal- ten wurden: die Festrede von Norbert Walter-Borjans, Bundesvorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die Laudatio von Brigitte Preissl und Thomas Fricke sowie die Dankesreden von den Preis- träger_innen Julie Froud, Sebastian Dullien und Michael Hüther. 6
Festrede Norbert Walter-Borjans Bundesvorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) Ich freue mich, mit dieser Festrede die Gelegenheit zu Jetzt hoffe ich, dass ich Sie neugierig gemacht habe. Wel- haben, zwei spannende Themen anzusprechen, die nicht che Schlüsse ich konkret aus der Lektüre gezogen habe, nur Politik und Ökonomie herausfordern, sondern un- erzähle ich Ihnen später. sere Partei zum Nachdenken anregen und uns helfen, unsere Wirtschaftspolitik weiterzuentwickeln. Zuallererst aber, und das ist das Wichtigste, gratulie- re ich den Preisträger_innen zu ihren Preisen. Bei der Sowohl das Buch Die Ökonomie des Alltagslebens und die Friedrich-Ebert-Stiftung bedanke ich mich für die Einla- daraus abgeleitete Forderung nach einer „neuen Infra- dung, die Rede halten zu dürfen. Denn wir haben zwei strukturpolitik“ sowie die Frage nach den notwendigen Preisträgerteams, und die ehren zu dürfen, ist auch für Investitionen für die Zukunft Deutschlands, die im mich eine große Ehre. Beide beschäftigen sich in ih- Zentrum des Debattenbeitrags des Instituts für Makro- rer Arbeit mit einer Thematik, die mich schon lange ökonomie und Konjunkturforschung (IMK) und des vor dem Amt des Vorsitzenden der Sozialdemokrati- Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) stehen, sollten schen Partei umgetrieben hat, und das war immer die nicht einfach nebeneinander betrachtet, sondern müssen Frage: Wie sichern wir eigentlich nachhaltig unseren zwingend zusammengedacht werden. Wohlstand? Wie sichern oder gewährleisten wir, dass Norbert Walter-Borjans 7
dieser Wohlstand möglichst vielen, möglichst allen zu- eine Richtungsfrage in der Politik, sondern es geht um gutekommt? Und wie gewährleisten wir auch, dass wir etwas ganz Grundlegendes. Wenn wir unsere Zukunft diesen Wohlstand nicht auf dem Rücken der Zukunft sichern wollen, dann müssen wir investieren – und das und auf dem Rücken anderer Regionen der Welt erwirt- muss der Staat in einem ganz großen Umfang tun. schaften? Beide Werke weisen uns Wege und geben An- regungen. Meine Glückwünsche gelten auch der Jury des Hans- Matthöfer-Preises. Diejenigen, die die diesjährigen Preis- Insofern gehen meine Glückwünsche an die Autor_in- träger_innen ausgewählt haben, hatten die kluge Idee, nen des Hauptpreises: Julie Froud, Michael Moran, beides zusammenzubringen und zusammenzudenken. Sukhdev Johal, Angelo Salento und Karel Williams. Sie Beide Themen sorgen für Aufmerksamkeit und werden zeigen, wie ich finde, in einer sehr interessanten Wei- die Perspektive der hoffentlich zahlreichen Leser_innen se, womit sich Politik, womit wir uns eigentlich alle be- verschieben und somit sehr wirkungsmächtig werden. schäftigen müssen, wenn wir das Richtige tun und dafür Das passt gut zum Motto des Preises und zum Namens- sorgen wollen, dass wir einen Wohlstand für alle haben, geber Hans Matthöfer: Wirtschaft.Weiter.Denken. Darum der so angelegt ist, dass er eben nicht nur einer Genera- geht es bei den Preisen: weiter denken. Und vor allem: tion dient. anders denken. Natürlich gratuliere ich auch ganz herzlich den Autor_ innen des Sonderpreises: Katja Rietzler, Hubertus Bardt, Hauptpreis – Fundamentalökonomie und neue Sebastian Dullien und Michael Hüther. Dadurch, dass Infrastrukturpolitik hier welche zusammenkommen, von denen man norma- lerweise denken würde, dass sie auf verschiedenen Seiten Beim diesjährigen Hans-Matthöfer-Preis steht die Funda- argumentieren, wird deutlich: Es geht nicht um irgend- mentalökonomie im Mittelpunkt. Gemeint ist ein the- 8
oretischer Ansatz, der auf die Bereitstellung von für das Das Buch beschert uns zugleich die Möglichkeit, ei- Alltagsleben wichtiger Infrastruktur abzielt. Wir erwarten, nen anderen Blick auf die Dinge unseres alltäglichen dass der Strom aus der Steckdose, das Wasser aus dem Lebens und der sich dahinter verbergenden Infra- Hahn kommt. Wenn wir uns verletzen, kommt ein Kran- struktur zu werfen: Es geht um die ökonomischen kenwagen – hoffentlich. Vom Bahnhof bringt uns ein Zug Voraussetzungen des Alltagslebens. Das meinen die zum gewünschten Ort – oder auch nicht. Erst wenn etwas Autor_innen mit „Fundamentalökonomie“: selbstver- mal nicht funktioniert, wird uns die Bedeutung dieser ständliche Dinge des täglichen Lebens, die nicht oder Voraussetzungen der modernen Zivilisation bewusst. kaum mehr wahrgenommen werden, aber enorme Be- deutung haben, wenn sie fehlen, eingeschränkt oder Die Entwicklung der Fundamentalökonomie, die gar begrenzt werden oder nur zu hohen Kosten zu er- Bereitstellung von Infrastruktur, um einmal ein mo- halten sind. dernes Vokabular zu benutzen, begann schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die wachsen- Diese Ökonomie des Alltagslebens und das Postulat einer den Städte Kanalisationen anlegten und für sauberes neuen Infrastrukturpolitik sind die Kernbestandteile des Trinkwasser sorgten. Das war eine gemeinsame Leis- Buches. Seine Botschaften sind klar und deutlich: tung der Gesellschaft und ein durchaus moralisches Projekt, das zweierlei im Blick hatte: Die Maßnahmen 1. Es zeigt den Ausweg auf aus der Falle der Profitorien- verbesserten das Leben der Menschen im Allgemei- tierung und Ökonomisierung aller Dinge des tägli- nen und machten sie zugleich produktiver. Dennoch, chen Lebens. das Thema ist äußerst aktuell. Und es geht bei dieser Perspektive auch nicht um öffentliche Infrastruktur, 2. Was die Infrastrukturen des täglichen Lebens betrifft, sondern darum, eine Ökonomie zu schaffen, die zu- sind Gewinnmaximierungsdenken und der Primat vorderst am Gemeinwohl orientiert ist. des Ökonomischen abzulehnen. 9
3. Gefordert ist eine Ökonomie und Infrastruktur im nem Vorwort zum Buch zu Recht den Ausverkauf der Dienste der Menschen. Grundlagen solidarisch-bürgerlichen Wirtschaftens. Interessant ist das Buch allein schon deshalb, weil es eine Das kennen wir auch in Deutschland, wenn der Neo- Form der Ökonomie beschreibt, die Wege in die Zukunft liberalismus sich im politischen und wirtschaftlichen weist und uns begreifen lässt, welche Bedeutung eine gut Denken durchgesetzt hat. Die Privatisierung von kom- funktionierende, bezahlbare und allen zur Verfügung munalen Wohnungsbeständen und von Angeboten der stehende Infrastruktur hat. Darüber hinaus wird dafür Daseinsvorsorge wie Gas und Wasser zeigt, dass Privati- plädiert, dass der Staat wieder mehr Verantwortung für sierung verteuert und die Qualität nicht unbedingt er- das Gemeinwohl übernimmt, und der Wirtschaft eine höht. Profitstreben bei diesen elementaren Infrastruk- dienende Rolle gegenüber der Gesellschaft zugewiesen. turen sind mehr als schädlich. Deshalb sollten wir das Buch als Mahnung begreifen und aus den aufgeführten Das Buch ist notwendig, da die Fundamentalökonomie negativen Beispielen lernen. als ein für die Politik handlungsleitendes Element in den vergangenen Jahren in den Hintergrund rückte und ihre Und nicht zuletzt schließen sich wichtige Fragen für die Kapitalisierung, besser die der Daseinsvorsorge, statt- Zukunft an: Sind Facebook und Google noch private fand. Zum Bruch mit der Fundamentalökonomie kam Anbieter von digitalen Medien? Oder sind es im Grunde es, als die großen Privatisierungswellen der Daseinsvor- schon fundamentalökonomische Institutionen, die eben- sorge begannen und staatliche Leistungen „verhökert“ falls einem öffentlichen Auftrag unterliegen sollten? wurden. Tafelsilber wurde verkauft. Das führte auch in der Folge schlichtweg zu höheren Preisen und Ein- Das Plädoyer für eine neue Infrastrukturpolitik bedarf schränkungen des Leistungsangebots, aber auch dazu, darüber hinaus auch der notwendigen Investitionen in dass Wettbewerb und Renditedenken in immer mehr diese Infrastruktur. Das verbindet auch beide Auszeich- Bereiche unseres Alltages vorgedrungen sind. Es wird nungen. Für den Vorschlag, massiv in die Infrastruktur nicht mehr gefragt, was dem Menschen, was der Allge- zu investieren, gibt es den diesjährigen Sonderpreis. meinheit dient, sondern vielmehr, wie sich der Gewinn maximieren lässt. Sonderpreis – Investitionen ermöglichen! Durch Rekommunalisierung und Reprivatisierung von Gas- und Wasserversorgung, Verkehrsinfrastruktur und „Investitionen“ ist für mich das Schlüsselwort für die Wohnungen wird nun seit einigen Jahren versucht, Zukunft unseres Landes. Wir haben einen Investitions- mühsam und mit viel Geld die Infrastruktur, das Tafel- stau, der dringend behoben werden muss. Unsere In- silber wieder zurückzukaufen. Langsam setzt sich wieder frastruktur ist marode und erneuerungsbedürftig. Diese der Gedanke durch: Die Daseinsvorsorge ist Staatsauf- Defizite gibt es auch, weil dem Prinzip der Fundamen- gabe und nicht Spielball von Privatinteressen und des talökonomie zu wenig Rechnung getragen wurde. Kapitals. Investorengruppen sollten nicht darüber be- stimmen und verfügen. Die Daseinsvorsorge muss für Wir sind deshalb gut beraten, dieses Thema anzupacken. die Menschen da sein und nicht umgekehrt. Ich freue mich sehr, dass die Gewerkschaften und die Wirtschaft in großer Einigkeit das auch so sehen. Es geht bei diesem Thema um die soziale Infrastruktur – nicht mehr und nicht weniger. Einige haben das ver- Die Berichte des Instituts für Makroökonomie und Kon- standen, aber leider noch nicht alle. Wir werden noch junkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung und des In- viel diskutieren und Überzeugungsarbeit leisten müssen. stituts der deutschen Wirtschaft zeigen sehr eindringlich die Notwendigkeit und nennen konkrete Zahlen. Gefor- Ein Hinweis sei noch erlaubt, weil er wichtig ist zum dert sind 450 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitio- Einordnen der Inhalte des Buches: Das Buch beschäf- nen für die nächsten zehn Jahre. tigt sich mit Großbritannien als paradigmatischem Bei- spiel dieses Privatisierungsfanatismus. Wir alle kennen Vor dem Hintergrund einer Vernachlässigung der öffent- die Geschichte des Landes und wie die Gier des Kapi- lichen Investitionen in den vergangenen beiden Jahr- tals nach Privatisierung und Profitmaximierung den zehnten muss es nun gelten, die Infrastruktur auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land erodieren neuesten Stand zu bringen und den aufgelaufenen Inves- 10 ließ und zerstörte. Wolfgang Streeck nennt es in sei- titionsrückstand schrittweise abzubauen. Die Bewälti-
gung der demografischen Alterung und die Dekarboni- In dem Zusammenhang möchte ich gerne den Namens- sierung der Volkswirtschaft erfordern zudem in den kom- geber des Preises, Hans Matthöfer, zitieren, der 1993 in menden Jahren einen gewaltigen Kraftakt. Die Infrastruk- seinem Buch Agenda 2000: Vorschläge zur Wirtschafts- tur muss an ein postfossiles Zeitalter und den für eine und Gesellschaftspolitik schrieb: „Es werden in Zukunft alternde Bevölkerung benötigten volkswirtschaftlichen nur dann zusätzliche Arbeitsplätze in ausreichender Zahl Strukturwandel angepasst werden. geschaffen und bestehende gesichert, wenn die Verwen- dungsseite des Sozialprodukts zugunsten von Investi- Die Autor_innen versprechen sich von der Initiative tionen umstrukturiert wird, um unter anderem die Wirt- wirtschaftliche Vorteile über Jahrzehnte hinweg. Investi- schaft umfassend zu modernisieren, Energie und Roh- tionen werden hier nicht als notwendiges Übel begriffen, stoffe sparsamer zu verwenden, mehr Umweltschutz zu sondern als ein Konjunkturprogramm, als ein Moderni- gewährleisten, die berufliche Aus- und Fortbildung zu för- sierungsprogramm für die Zukunft unserer Volkswirt- dern sowie humanere Arbeitsbedingungen zu schaffen.“ schaft, aber auch als ein stabilisierendes Element für den Erhalt unseres Wohlstandes. Wie weitsichtig, damals schon. Wir sind den Autor_innen dankbar, dass sie uns als Weitsichtigkeit schließt aber auch mit ein, das Corona- SPD in unserer Meinung bestärken, ein Investitionspro- Virus und dessen volkswirtschaftliche Folgen zu beden- gramm zu fordern, aber auch den Weg aufzeigen, wie es ken. Wir wissen letztlich noch nicht, welche Auswirkun- funktionieren wird. Wichtig ist es mir zu betonen, dass gen es auf die Volkswirtschaften global und national Investitionen auch die Grundlage für Innovationen sind. hat. Diese können reichen von eher schwachen bis ganz starken. Die internationalen Börsen reagieren schon. Innovationen sichern den Wohlstand von morgen, die- Der Arbeitsmarkt zeigt erste Anzeichen und manche nen aber auch der Umwelt und dem Klimaschutz. Und Branchen geben Alarm. zu guter Letzt sind Investitionen auch zentral für den Zusammenhalt in diesem Land. Solange wir weiterhin Wir müssen vorbereitet sein. Olaf Scholz redet deshalb fundamentale Ungleichheiten zwischen Stadt und Land zu Recht von einem vielleicht notwendigen Konjunk- haben, zwischen einzelnen Vierteln in unseren Städten, turpaket. Handeln der Bundesregierung ist gefordert. kann Zusammenhalt nicht wachsen und nicht bestehen. Das Geld für Investitionen muss aber irgendwo herkom- Schlussfolgerungen – Wirtschaftspolitik der SPD men. Gerade bei einer lahmenden Konjunktur und einer eher schwierigen wirtschaftlichen Perspektive ist das eine Welche Schlussfolgerungen leiten wir aus den Ideen und banale, aber wichtige Erkenntnis. Die Wachstumsprog- Forderungen der Preisträger_innen ab? Wie stellen wir nosen für dieses und nächstes Jahr zeigen eine deutliche uns als SPD eine zukunftsfähige Wirtschaft vor, die unse- Verlangsamung. Die neuesten Zahlen im Jahreswirt- ren Grundwerten folgt, unserem Anspruch nach sozialer schaftsbericht der Bundesregierung gehen von einer Gerechtigkeit genügt und auf Nachhaltigkeit setzt? leichten Erholung der Konjunktur von 1,1 Prozent für dieses Jahr aus. Das nach einem Wachstum von 0,6 Pro- Ziel muss es sein, eine progressive sozialdemokratische zent im vergangenen Jahr. 2021 soll es dann noch ein Wirtschaftspolitik zu entwerfen. Es geht darum, sozial- wenig besser werden mit 1,3 Prozent. Schauen und hof- demokratische Antworten auf die großen Herausforderun- fen wir, dass nichts dazwischenkommt und den Optimis- gen dieses Jahrzehnts wie Digitalisierung, Klimawandel, mus dämpft. Globalisierung, demografischer Wandel und die unglei- che Verteilung zu finden. Die Investitionen müssen verstetigt, ja sogar dynami- siert werden. Der Bund hat seine Investitionen für dieses Uns geht es auch darum, eine normative Orientierung Jahr schon deutlich gesteigert. Im Bundeshaushalt sind für eine Wirtschaftspolitik nach Überwindung des neo- die investiven Maßnahmen mit 160 Milliarden Euro liberalen Zeitalters zu finden. Es geht zudem darum, um ein Drittel höher als zwischen 2013 und 2017. Das Ideen für konkrete Handlungsfelder zu entwickeln wie wird aber nicht reichen. Deshalb darf auch die „schwarze u. a. für den gestaltenden und investierenden Staat, für Null“ nicht zum Fetisch werden und die Schuldenbremse strategische und ökologische Industriepolitik, für soziales nicht zur Zukunftsbremse – so haben wir es im Dezember und inklusives Wachstum, für Politik für einen starken 2019 auf unserem Bundesparteitag beschlossen. (digitalen) Mittelstand, für Rahmenbedingungen für 11
gutes, nachhaltiges Unternehmertum, für die Demokra- Beiträge leisten können, die der Gesellschaft dienen und tisierung der Wirtschaft und letztlich für Gute Arbeit. im Dienst für die Menschen eingesetzt werden können. Das ist gelebte Corporate Social Responsibility und Ver- Warum wir das wollen, haben wir mit unserem Beschluss antwortung von Unternehmen. Nur so erhalten wir auf dem Bundesparteitag im Dezember 2019 zur Halb- Wohlstand und den sozialen Frieden in unserem Land. zeitbilanz der Großen Koalition deutlich gemacht. Wir haben unsere Ziele für die Zukunft festgelegt und unsere Ich wiederhole mich, dazu braucht es Investitionen. Nur Orientierung formuliert. Ich nenne eine entscheidende so kann das Gemeinwohl erreicht werden. Passage aus dem Beschluss, um deutlich zu machen, was uns antreibt: „Wir wollen aus Wandel Fortschritt ma- Ich wünsche allen Preisträger_innen, dass Ihre Ideen chen: technischen Fortschritt, ökonomischen Fortschritt, und Vorschläge Gehör finden und dass es viele gibt, die ökologischen Fortschritt und sozialen Fortschritt. Unser sie auch umsetzen. Ich werde mein Möglichstes dazu Ziel ist ein nachhaltiger Wohlstand für die Vielen statt beitragen. immer mehr Reichtum für die Wenigen. Wir wollen, dass Menschen die Anerkennung erhalten, die sie verdie- Herzlichen Dank! nen. Den technologischen Fortschritt durch die Digitali- sierung und den Klimaschutz wollen wir dafür nutzen, dass es den Menschen bessergeht.“ Gemeinwohl Auf einen Aspekt möchte ich zum Schluss noch einge- hen, der mir besonders in diesem Kontext wichtig ist. Es geht um das Gemeinwohl als Ziel wirtschaftspolitischen Handelns. Uns geht es darum, die Menschen zu unterstützen, die hart arbeiten, z. B. als Pfleger_innen, Paketbot_innen oder als Erzieher_innen, als Feuerwehrmänner und -frauen oder als Polizist_innen. Diese Menschen brau- chen gute Löhne und anständige Arbeitsbedingungen. Uns geht es um eine gut ausgebaute Infrastruktur, Mo- bilität für alle zu bezahlbaren Preisen, funktionierende und gut ausgestattete Schulen und Zugang zu einem leis- tungsfähigen Internet überall. Uns geht es darum, dass Vermögende mehr als bisher herangezogen werden, um unser Land als Wirtschafts- standort auch für unsere Nachkommen zu sichern. Unser Land hat viele Unternehmer_innen, die das ge- nauso sehen und Verantwortung für unsere Gesellschaft übernehmen. Sie fühlen sich dem Gemeinwohl ver- pflichtet. Das ist gut so. Mit diesen Unternehmer_innen- Persönlichkeiten arbeiten wir zusammen für die Zukunft unseres Landes und für das Gemeinwohl. Das fordern übrigens auch unsere Preisträger_innen: Die Fundamentalökonomie bietet Ansätze, wie Genossen- 12 schaften, Familien-, aber auch Großunternehmer_innen
Laudatio Brigitte Preissl Mitglied der Jury des Hans-Matthöfer-Preises für Wirtschaftspublizistik Der Hans-Matthöfer-Preis 2020 wird für ein Buch verge- kret an der Erstellung des Manuskripts beteiligt waren ben, das eine neue Infrastrukturpolitik fordert. Bezug ge- von der Alliance Manchester Business School, Manches- nommen wird im Wesentlichen auf Beispiele aus Groß- ter University, die Professor_innen Julie Froud, Karel britannien und Italien. Wie die neuerdings lauter und Williams und der 2018 verstorbene Politikwissenschaft- grundsätzlicher werdenden Debatten in Deutschland ler Michael Moran, von der Queen Mary University in zeigen, ist das Thema aber auch hier von hoher Rele- London Professor Sukhdev Johal und von der Università vanz. Die Diskussion um Errichtung, Erhaltung und del Salento in Lecce Professor Angelo Salento. Weiterentwicklung von Infrastrukturen scheint an vie- len Stellen in einer Sackgasse zu stecken und droht dort Diese Liste steht für den im Buch konsequent durch- erst einmal zu verharren. Was ist schiefgelaufen, und wie gehaltenen interdisziplinären Anspruch. Die Expertise kommen wir da wieder heraus? Das vorliegende Buch reicht von Finanzinnovationen über Management, Orga- setzt sich weitsichtig und ebenso radikal innovativ wie nisation und Unternehmensstrategie bis hin zu Politik- pragmatisch konstruktiv mit diesen Fragen auseinander wissenschaft und Wirtschafts- und Arbeitssoziologie. Die und gibt wertvolle Anregungen zu deren Beantwortung. länderübergreifende Perspektive öffnet den Blick für die unterschiedlichen Voraussetzungen und Implikationen Es beruht auf der Forschungsarbeit von mehr als 20 For- eines fundamentalökonomischen Konzepts in verschie- scher_innen des Foundational-Economy-Projekts. Kon- denen Ländern. Brigitte Preissl 13
Das Buch Die Ökonomie des Alltagslebens plädiert für eine nachhaltigen Wirtschaften und vom Zusammenleben konsequent gemeinwohlorientierte Infrastrukturpolitik. im 21. Jahrhundert. Der Ansatz erscheint zunächst visionär und in hohem Maße idealistisch. Lässt man sich jedoch auf das Ge- dankenspiel ein und folgt den mutigen Plänen für eine Was ist schiefgelaufen? fundamental anders konzipierte Daseinsvorsorge, sind die Vorteile schnell zu erkennen. Das Konzept folgt In vielen Ländern Europas wurden in den vergangenen konsequent dem Anliegen des Hans-Matthöfer-Preises. Jahrzehnten öffentliche Dienstleistungsangebote privati- Wirtschaft wird hier in der Tat weitergedacht. Es geht um siert. Klagen über eine schwerfällige Staatsbürokratie und ein Verlassen des ausgetretenen Pfades und um ein „So die Überzeugung von der Notwendigkeit eines schlanken könnte es besser gehen“, was außerordentlich inspirie- Staates waren wesentliche Treiber dieses Prozesses. Der rend wirkt. Die Foundational Economy – oder Funda- Glaube an die Überlegenheit des Marktes war in der öko- mentalökonomie – ist aber kein reines Gedankenkon- nomischen Wissenschaft ebenso wie in der Politik und strukt. Sie entspringt einer sehr konkreten Analyse der den Medien so groß, dass viele Privatisierungsverfahren Fehler der Vergangenheit und entwickelt daraus eine weder innerhalb der Verwaltung sorgfältig geprüft noch alternativ aufgestellte Fundamentalökonomie. Und da demokratisch legitimiert wurden. „Geschäftsgeheim- wird es spannend. nisse“ verhinderten oft eine wirksame parlamentarische Kontrolle. Zwei Eigenschaften kennzeichnen diese neue Funda- mentalökonomie: Die Euphorie – auch und besonders unter Ökonom_in- nen – war groß, denn erwartet wurde, dass die Privatisie- 1. Sie umfasst materielle und immaterielle Infrastruk- rung zu Effizienzsteigerung, mit sinkenden Kosten und turgüter, die von essenzieller Bedeutung für das All- Preisen sowie zu einer Innovationswelle führen werde. tagsleben sind, etwa das, was man englisch unter Es ist unbestritten, dass in vielen Bereichen Produktivi- „utilities“ oder deutsch unter „Daseinsvorsorge“ tätsfortschritte erzielt wurden. Doch die Beispiele im fassen kann. Sie schließt Dienstleistungen ein, auf Buch Die Ökonomie des Alltagslebens zeigen, dass diese die wir alle im Laufe des Lebens irgendwann ange- weder im erwarteten Umfang in Form sinkender Preise wiesen sind, wie medizinische Versorgung, Bildung, weitergegeben noch für notwendige Investitionen in Kinderbetreuung oder Alterssicherung. Infrastruktur und Servicequalität genutzt wurden. Dies war nicht zuletzt Ergebnis überhöhter Renditeerwar- 2. Zweitens gilt: Es handelt sich um Güter, auf die alle tungen. Die sogenannte Finanzialisierung, das heißt die Bürger_innen – unabhängig von Status und Ein- Einbindung der Geschäftstätigkeit in komplexe Finanz- kommen – ein Recht haben sollten, da sie die Vor- produkte, deren einziges Ziel die Vermehrung der ein- aussetzung dafür sind, überhaupt wirtschaften und gesetzten Finanzmittel ist, führte zu einer Ablösung der ein Leben in der Gesellschaft führen zu können. Unternehmensstrategien vom Zweck der Leistungser- stellung. Ob die gelieferte Dienstleistung qualitativen Was Teil der fundamentalökonomischen Infrastruktur Ansprüchen genügt, die gewählte Umsetzung sachge- sein soll, ist Ergebnis demokratischer Abstimmung. Da- recht und kundenfreundlich ist oder die Arbeitsbedin- mit ist die neue Fundamentalökonomie ebenso ein po- gungen erträglich, ob die Investition langfristig zu einer litisches wie ein ökonomisches Projekt. Sie setzt voraus, besseren Versorgung führt, spielt dabei keine Rolle. dass die Versorgung mit fundamentalökonomischen Angeboten in ausreichender Quantität und Qualität als elementare Staatsaufgabe anerkannt wird. Wie kommen wir aus dieser Situation raus? Das Buch macht deutlich, dass es nicht darum gehen Die Schlussfolgerung des Autor_innenteams ist, dass es kann, endlich die Reparatur einer maroden Brücke in dringend geboten ist, die Aktivitäten der Fundamental- Gang zu bringen oder die Deutsche Bahn so auszustat- ökonomie dem Gemeinwohl zu verpflichten sowie die ten, dass sie für modernen Transport im Zeichen des Gestaltung der zugehörigen Angebote wieder näher an Klimawandels gerüstet ist. Es geht auch nicht um den die Bürger_innen heranzuführen. nächsten kleinen Rentenzuschuss für irgendeine beson- ders bedürftige Gruppe. Es geht um ein ganz neues Ver- Der Anspruch der Gesellschaft auf Leistungen der Funda- 14 ständnis vom Umgang mit kollektiven Ressourcen, vom mentalökonomie wird explizit auf Unternehmen ausge-
dehnt. Denn auch sie müssen darauf vertrauen können, 4. Hybride Allianzen: Die Politik alleine wird weder dass fundamentale Infrastrukturleistungen vorhanden die Konzipierung noch die Governance der neuen sind. Diese müssen nicht notwendig vom Staat selbst Systeme bewältigen können. Hier müssen neuarti- erbracht werden oder kostenlos sein. Wichtig ist aber, ge institutionelle und organisatorische Lösungen dass die beauftragten Agenten im Sinne des Gemein- gefunden werden. Selbst wenn Politiker_innen das wohls handeln und entsprechend kontrolliert werden. Konzept mittragen, ist zu bedenken, dass durch Spar- Zudem sollte die Finanzierung Kalkülen unterliegen, politik und Auslagerung die Kompetenzen für eine die die Kosten der Leistungserstellung plus einer ver- Erneuerung von Infrastrukturen in den Ministeri- handelten Rendite, die von den Autor_innen mit etwa en oft nicht mehr vorhanden sind. Auch besitzen fünf Prozent veranschlagt wird, widerspiegeln und nicht Kommunalverwaltungen in Zeiten rigider Spar- die Gewinnprojektionen abstrakter Finanzprodukte. In politik nicht die administrativen Ressourcen, um diesem Sinne ist das Financial Engineering als Leitlinie komplexe Neuerungen zur Stärkung der Fundamen- der Geschäftsmodelle durch die Orientierung an einem talökonomie zu realisieren. Die Heterogenität der moralischen Zweck zu ersetzen. politischen und institutionellen Strukturen in den Ländern Europas verlangt flexible Lösungen. Die Für die Fundamentalökonomie ergeben sich hieraus fol- Autor_innen sprechen von „hybriden Allianzen“, gende Prinzipien: die eingegangen werden müssen, um jeweils im konkreten Fall die richtige Mischung von zentraler 1. Bürgerbeteiligung: Die Bürger_innen stimmen über und dezentraler, genossenschaftlicher, privater oder die Prioritäten, nach denen die zu erbringenden Leis- öffentlicher Ausgestaltung zu finden. Daher werden tungen zu sortieren sind, ab. Es liegt auf der Hand, zunächst lokale und regionale Experimente vorge- dass dabei lokale und regionale Belange sowie örtlich schlagen, um die Tragfähigkeit der gefundenen Lö- verankerte Organisationsformen eine größere Rolle sungen zu testen. spielen werden, als dies gegenwärtig der Fall ist. Bür- gerbeteiligung verlangt aber auch, wie das Autor_in- Die zu bewältigenden Veränderungen scheinen gigan- nenteam klar betont, eine gute Balance zwischen tisch; die Lösungsvorschläge müssen für jedes Land und Rechten und Pflichten der Beteiligten und ein von jedes Element der Fundamentalökonomie erst durch- Solidarität getragenes Anspruchsmanagement. komponiert werden. Sie müssen sich im Experiment be- währen und sich auf verschiedenen Ebenen der demo- 2. Priorität der Politik: Die Politik muss die Gestal- kratischen Entscheidungsfindung durchsetzen. tungshoheit über die Leistungen der Fundamental- ökonomie zurückgewinnen. Werden private Betrei- Das alles sollte uns aber nicht davon abhalten, den Au- ber_innen beauftragt, muss der Staat mehr Einfluss tor_innen zu folgen, wenn sie die entscheidenden Fragen auf deren Geschäftsgebaren nehmen. Geheimver- stellen: Wie kann es sein, dass wir uns bei allen Produk- träge ohne demokratische Kontrolle passen nicht in tivitätsfortschritten, bei ständigem Wachstum des So- dieses Konzept. zialprodukts und immer weiter fortschreitender Technik fundamentalökonomische Güter immer weniger leisten 3. Finanzierung und Steuerreformen: Bezahlbare Ge- können? Wie kann es sein, dass Solidarität als Merkmal bühren für die Inanspruchnahme der Infrastruktur sozialer Marktwirtschaft heute so schlecht im Kurs steht, werden auch in Zukunft als eine wichtige Quelle obwohl die Gesellschaft doch insgesamt immer reicher der Finanzierung gesehen. Darüber hinaus ist es wird. Das Autor_innenteam des Buches Die Ökonomie des aber unumgänglich, die in den vergangenen Jahren Alltagslebens hat sich diesen Fragen gestellt. in fast allen Ländern sinkenden staatlichen Inves- titionen in materielle Infrastrukturen wieder zu er- Wir danken Ihnen für dieses Buch! höhen. Zudem bedürfen die geplanten Leistungen der Fundamentalökonomie erheblicher staatlicher In diesem Jahr wird neben dem Hans-Matthöfer-Preis Unterstützung. Um diese zu ermöglichen, wird eine für Wirtschaftspublizistik „Wirtschaft.Weiter.Denken.“ Reform der Steuersysteme vorgeschlagen. Gerechte- ein „Sonderpreis für außerordentliche wirtschaftspubli- re Steuern auf Kapitaleinkommen, die Bekämpfung zistische Leistungen“ vergeben. Dieser Preis geht an ein von Steuervermeidungspraktiken sowie höhere Ver- weiteres Autor_innenteam. Dazu gehören Hubertus Bardt mögen- und Bodenwertsteuern bieten hohe Poten- und Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirt- ziale zur Erschließung zusätzlicher Ressourcen. schaft (IW) sowie Sebastian Dullien und Katja Rietzler 15
vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturfor- der öffentlichen Infrastruktur. In vielen Punkten weisen schung (IMK). Ausgezeichnet wird ihr Policy Paper mit sie eine verblüffende Ähnlichkeit auf. Beide sehen erheb- dem Titel Für eine solide Finanzpolitik: Investitionen er- liche Mängel in der Wahrnehmung der Verantwortung möglichen! Es räumt mit dem Irrglauben auf, nur durch für die Grundlagen des Wirtschaftens durch die Politik. schwarze Nullen, rigide durchgesetzte Schuldenbremsen Während das Buch Die Ökonomie des Alltagslebens die und eisernes Sparen könne Generationengerechtigkeit Ursachen für die Schieflage in einer radikalen Privati- hergestellt werden. Hier erfahren wir, das Gegenteil ist sierung sieht, konstatiert das Policy Paper Für eine solide der Fall. Finanzpolitik: Investitionen ermöglichen! eine falsche Prio- ritätensetzung im politischen Handeln in Deutschland. Zunächst wird – kaum überraschend – ein gigantischer Hier werden die durch Finanzialisierung verzerrten pri- Nachholbedarf nicht nur bei klassischen Infrastruktur- vatwirtschaftlichen Anreize kritisiert und eine Orientie- aufgaben, Verkehr, Telekommunikation, Forschung und rung am Gemeinwohl gefordert; dort wird der einseitige Entwicklung oder Wohnen festgestellt, sondern auch in Fokus auf den Schuldenabbau mit langfristig negativen Bezug auf die Bewältigung von Zukunftsaufgaben wie Folgen für das Produktionspotenzial angeprangert und Dekarbonisierung, Bildung und die Erschließung unge- eine zukunftsorientierte Einbindung der Investitions- nutzter Arbeitskräftepotenziale. Die Politik hat hier den erfordernisse in die staatliche Finanzplanung verlangt. Abbau von Schulden höher bewertet als die Sicherung, Neue Organisationsformen, etwa durch neue Modelle Modernisierung und Zukunftsfähigkeit des Produktions- von öffentlich-privaten Partnerschaften, halten beide potenzials. Die Folge davon ist, dass zukünftige Genera- für notwendig, auch wenn diese wahrscheinlich sehr tionen nicht über hinreichende Voraussetzungen verfü- verschieden aussehen würden. gen werden, um effizient wirtschaften und den erreichten Lebensstandard halten zu können. Schlimmer noch, mit Der entscheidende Unterschied liegt wohl darin, dass das jedem Jahr, in dem die Erneuerung des Infrastruktur- englisch-italienische Autor_innenteam die Versorgung kapitals vernachlässigt wird, schrumpft der öffentliche mit Gütern und Leistungen der Fundamentalökonomie Kapitalstock unübersehbar. Dass bei extrem niedrigen durch rein marktorientierte Agenten für gescheitert hält Zinsen Verschuldung kaum negative und im Einzelfall und eine demokratische Verwaltung unter anderem mit sogar positive Auswirkungen auf die Staatsfinanzen hat, einem starken Engagement von Institutionen der Zivil- ist überall bekannt, außer in den Finanzministerien und gesellschaft für notwendig erachtet. Die Autor_innen bei erstaunlich vielen Ökonom_innen (unser Finanz- vom IMK und IW hingegen weisen dem Markt weiterhin minister überrascht uns hier gerade mit einigen späten die entscheidende Rolle zu, fordern aber eine Umkehr in Einsichten). der staatlichen Investitionspolitik. Was im Policy Paper steht, könnte bei entsprechenden Einsichten der Politik Die vom Autor_innenteam vorgelegte empirische Evi- übermorgen angepackt werden. Die Fundamentalöko- denz und die schlüssige Argumentation lassen ein Igno- nomie anders gestalten ist ein ungleich komplexeres rieren des Infrastrukturdebakels aber nun nicht mehr und radikaleres, aber vielleicht doch lohnenswertes Un- zu. Die Botschaft lautet: „Der Staat ist hier in der Ver- terfangen. Ob die beiden Ansätze sich trotz aller grund- antwortung.“ legenden Unterschiede gegenseitig befruchten können, wird sich vielleicht in der anschließenden Podiumsdis- Das Policy Paper lässt die Frage „Wie soll das denn ge- kussion zeigen. hen?“ nicht unbeantwortet. Es wird eine konzertierte Aktion zur Investitionswende vorgeschlagen. Investiti- onen in die Infrastruktur sollen unabhängig von kon- junkturellen und fiskalischen Motiven kontinuierlich über einen Investitionsfonds finanziert werden können. Eine langfristige Bedarfsplanung und die Ausstattung der Kommunen mit ausreichend finanziellen Mitteln sind weitere Elemente einer „Finanzierung mit ökono- mischer Vernunft“. Dies könnte ein Weg aus der Sack- gasse sein. Die beiden preisgekrönten Werke konstatieren gleicher- 16 maßen einen dringenden Handlungsbedarf im Bereich
Laudatio Thomas Fricke Direktor des Forum New Economy, Kolumnist bei Der Spiegel, Mitglied der Jury des Hans-Matthöfer- Preises für Wirtschaftspublizistik Vielen Dank an alle Vorredner_innen. Eine Kleinigkeit man das nicht unbedingt erwarten würde. Ich weiß nicht, würde ich gern noch ergänzen: Natürlich gab es für uns ob man das sagen kann, aber es ist historisch sicher das als Jury – Brigitte Preissl hat das sehr schön dargelegt – erste Mal gewesen, dass ein arbeitgeber- und ein gewerk- viele inhaltlich-fachliche Gründe, das Gutachten vom schaftsnahes Institut so ein gemeinsames, politisch rele- Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und dem Institut vantes Papier erstellt haben. Das ist im aktuellen Kon- für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) text hoch relevant. Und es entspricht dem Anspruch des mit dem Sonderpreis zu würdigen. Es ist eine großartige Hans-Matthöfer-Preises, „Wirtschaft.Weiter.Denken.“ zu Quelle für viele Daten und Argumente, etwa dahinge- würdigen, indem es alte dogmatische Grenzen bricht. hend, dass es sinnvoll ist, einen längerfristigen Investi- tionsplan zu machen, damit etwa in der Bauwirtschaft Jetzt ist das natürlich kein Selbstzweck. Es passt aber in die auch entsprechend dauerhaft neue Kapazitäten aufge- Zeit, in der viele lange gehegte ökonomische Wahrhei- baut werden, die in der Vergangenheit oft fehlten. ten wackeln – und wo vieles neu gedacht werden muss. Und wo mancher alte Reflex nicht mehr wirklich hilft. Eine Hauptmotivation für diese Preisvergabe war für uns Einfach stoisch auf die viel zitierten Kräfte des Marktes aber auch, dass wir ganz bewusst würdigen wollten, dass zu zählen, wie das lange Zeit als hohe Kunst galt, hilft sich da zwei Forschungsinstitute mit sehr unterschiedli- eben wenig, wenn der Markt es offenbar nicht schafft, chem Hintergrund zusammengetan haben, von denen wichtige langfristige Investitionen zu generieren – oder Thomas Fricke 17
private Investor_innen hinreichend dazu zu bewegen, in Was ich daran so interessant finde, ist die Botschaft, dass ein klimaneutrales Wirtschaften zu investieren. unterschiedliche Zeiten auch unterschiedliche Maßstä- be und Paradigmen haben – und teils auch brauchen –, Es ist vor diesem Hintergrund, glaube ich – und ich darf die auch ideologische Grenzen verschieben. In der Nach- das auch bei diesem festlichen Anlass ansprechen –, ein kriegszeit hat man die Lehren aus den Desastern gezo- offenes Geheimnis, dass Michael Hüther für die Arbeit gen, die der Marktliberalismus im 19. Jahrhundert und an diesem Gutachten nicht nur 100-prozentige uneinge- in seinen Spätfolgen in den 1920er und 1930er Jahren schränkte Zustimmung bekommen hat, um es vorsich- verursacht hat. Da lag eine viel stärker regulierende Po- tig auszudrücken. Es gab aus dem Lager der Unterneh- litik auf der Hand, und das war damals eben auch für mensverbände im Gegenteil sogar Protestbriefe. die CDU ganz offenbar. Und ich glaube, wir leben jetzt in einer Zeit, in der wir wieder einen solchen Wechsel Daher möchten wir mit der Verleihung des Preises ganz erleben und wo offenbar wird, dass viele Rezepte, die in ausdrücklich dieses Ausbrechen aus alten Reflexen wür- den vergangenen 20 bis 30 Jahren dominiert haben und digen und herausstellen – und dies auch für beide Sei- teilweise am Ende auch von Rot-Grün mitgetragen wur- ten. Ganz nach dem Motto: Wenn sich die Welt und ihre den, heute nicht mehr passen. Probleme ändern, brauchen wir auch andere Maßnah- men und Instrumente. Und wir leben einfach in einer Genau das spiegelt sich in dem Papier, das wir mit dem Zeit, in der sich ganz neue Herausforderungen ergeben Sonderpreis würdigen wollen: Die veränderten Umstän- und neue Fragen stellen, deren Antworten man aus den de, die neuen Herausforderungen, die wir haben, for- herrschenden Deutungsmustern der Ökonomie in den dern auch neue Antworten über die alten ideologischen vergangenen Jahrzehnten nicht mehr unbedingt ablei- Grenzen hinweg. Unsere Ambition war, genau das zu ten kann. loben. Dass sie sich zusammengesetzt und viel diskutiert und gefeilt haben, um unterschiedliche Positionen auf Das gilt, wenn es um den enormen Bedarf an Investiti- einen Nenner zu bringen. Und dadurch gezeigt haben, onen in die öffentliche Infrastruktur geht, ebenso wie dass es möglich ist, auf dem Wege für diese neuen Zei- bei dem Thema Ungleichheit von Einkommen und ten auch neue Antworten zu finden. Das hat natürlich Vermögen; oder was die Instabilität von Finanzmärkten Potenzial, in die politische Arbeit der Sozialdemokratie betrifft. Auch die Globalisierung ist nicht erst durch die einzufließen. Aber es ist auch gut, weil es die Debatte da- Corona-Krise in einer kritischen Phase. Und: Es gibt heu- rüber hinaus aufzubrechen verspricht – und schon auf- te einen ganz massiven Vertrauensverlust in die Globa- gebrochen hat. Immerhin ist das Ergebnis gemeinsam lisierung und die soziale Marktwirtschaft. All das wird vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und mit dem reflexartigen Ruf nach dem Markt nicht gelöst vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) vorgestellt werden können. Es macht vielmehr ein Umdenken über worden. die unmittelbaren politischen Grenzen hinaus nötig. Herzlichen Glückwunsch! Dass sich solche Paradigmen je nach historischer Lage über das politische Spektrum hinweg verschieben kön- nen, zeigt sehr schön das Beispiel der unmittelbaren Nachkriegszeit. Wenn man sich vor Augen führt, wie die deutsche Wirtschaft in der Nachkriegszeit organisiert war, ist das aus heutiger Sicht bemerkenswert: Damals gab es einen hochregulierten Bankensektor, hochregu- lierte Finanzmärkte, ein dirigistisches Währungssystem. Während der Wirtschaftswunderzeit wurde die Vermö- gensteuer eingeführt. Es gab einen Spitzensteuersatz von weit über 50 Prozent. All das würde man mit den markt- liberalen Denkmustern der jüngsten Vergangenheit bes- tenfalls am linken Rand der Linkspartei verorten. Nach damaligem Maßstab war das aber nicht besonders links. Es wurde in Deutschland umgesetzt von Konrad Ade- nauer und Ludwig Erhard, in Frankreich von Charles de 18 Gaulle – alles Konservative.
Dankesrede Julie Froud Foundational Economy Collective Vielen Dank! jede_n anführen, die oder der zu unserem Unterfan- gen beigetragen hat, sondern beschränken uns auf drei Ich freue mich sehr, diesen Preis für das Foundational Danksagungen an unsere verschiedenen Freund_innen Economy Collective entgegenzunehmen. Einige von und Unterstützer_innen, ohne die wir heute nicht hier uns sind heute hier: meine Mitautoren Leonhard Plank, wären: Angelo Salento und Karel Williams. Später werde ich noch etwas mehr zu unserem Kollektiv sagen, aber an Als Erstes danken wir der Friedrich-Ebert-Stiftung und dieser Stelle möchte ich zunächst unseres Freundes und ihrer Jury für diese Ehre. Nicht alle Überraschungen Mitautors Michael Moran gedenken, der an dieser Aus- sind gut, aber diese war eine wirklich erfreuliche Über- zeichnung seine Freude gehabt hätte. raschung. Wir hoffen, dass unser Buch zusammen mit seiner Auszeichnung durch Sie dazu beitragen wird, un- Üblicherweise beginnt man eine solche Rede mit Dan- ser gemeinsames Ziel zu erreichen, nämlich die Infra- kesbekundungen. Da das Kollektiv aber aus über 20 struktur, auf die unsere Gesellschaft angewiesen ist, in Mitgliedern besteht, die alle Mütter, Partner_innen, den Blickpunkt zu rücken. Besonders glücklich sind wir Kinder und so weiter haben, müssen wir hier politisch darüber, einen Preis zu gewinnen, mit dem der Versuch bleiben und uns kurz fassen. Daher können wir nicht gewürdigt wird, die Wirtschafts- und Sozialpolitik auf Julie Froud 19
konstruktive Weise zu beeinflussen. Denn genau das Gruppe den Hans-Matthöfer-Preis für „neue Antworten untermauert die Ziele des Foundational Economy Col- auf die großen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen lective. Herausforderungen“ gewinnen konnte. Unser nächster Dank gilt unserem deutschen Verleger, Als wir im Jahr 2013 ein Arbeitspapier schrieben, das dem Suhrkamp-Verlag, und unserem Lektor Heinrich wir ziemlich hochgestochen als „Manifest für die Fun- Geiselberger. Heinrich unterstützte uns unbekannte damentalökonomie“ bezeichneten, hatten wir eine Autor_innen, deren Buch gerade auf Englisch bei Man- große Idee. Sowohl die politisch Verantwortlichen chester University Press erschienen war, und unter- als auch andere Akteur_innen versuchten und ver- nahm dann zusammen mit unserem Kollegen Leonhard suchen immer, dafür zu sorgen, dass „die Wirtschaft große Anstrengungen, damit die Übersetzung auch bis funktioniert“. Aber es gibt verschiedene Formen von ins kleinste Detail richtig wurde. Wirtschaft – darunter eine marktfähige Wettbewerbs- wirtschaft und eine Fundamentalökonomie, bei der es Und nicht zuletzt danken wir Wolfgang Streeck, der das unter anderem um Rohrleitungen und Kabel für die Manuskript las, die Ideen unterstützte und ein wunder- Wasser- und Stromversorgung, um Verkehrsmittel, das bares Vorwort für das Buch schrieb, das ganz erheblich Wohnungs-, Gesundheits- und Bildungswesen geht. dazu beitrug, unsere Ideen der deutschen Leserschaft Und diese so wesentlichen Güter und Dienstleistun- näherzubringen. gen wurden vernachlässigt und abgebaut. Wir wollten nicht nur verstehen, warum und wie das passiert ist Oft gehen bei Büchern und Filmen der Sinngehalt und und welche Folgen das hat, sondern auch auf konstruk- die Relevanz in der Übersetzung und bei dem Versuch tive Weise darüber nachdenken, wie diese Infrastruktur verloren, ein neues Publikum zu erreichen. Aber dank des Alltagslebens erneuert werden könnte. Heinrich und Wolfgang gewann unser Buch durch die Übersetzung noch dazu, weshalb diese Auszeichnung Seitdem haben wir die Philosophie übernommen, die ihnen genauso gebührt wie uns. Vielen Dank also! VW beim Golf verfolgt: die Wiedererkennbarkeit des Produkts bewahren, es aber kontinuierlich mit neu- en Modellen weiterentwickeln – aus dem Golf Mk1 Nun aber einige Erklärungen dazu, wer wir sind und von 1974 wurde der Golf Mk8 von 2020. In Analogie was wir mit unserem Buch erreichen wollen dazu geht der diesjährige Hans-Matthöfer-Preis an das 2018er Modell der Fundamentalökonomie, das wie je- Normalerweise gehen Preise an Einzelpersonen oder des neue Modell mit zusätzlichen Funktionen ausge- an Institute. Deshalb werde ich zunächst erklären, was stattet wurde: das Foundational Economy Collective ist. Wir sind eine internationale, weitgehend informelle und ohne • mit einem kurzen historischen Abriss, wie sich die finanzielle Unterstützung arbeitende Gruppe von über Fundamentalökonomie (vom Leitungswasser über 20 Wissenschaftler_innen aus einem halben Dutzend Kanalisation bis hin zur universellen Gesundheits- europäischer Länder. Jedes Jahr treffen wir uns in ei- fürsorge) grob gefasst zwischen 1880 und 1950 nem anderen europäischen Land – vergangenes Jahr entwickelte – vielleicht halten wir all diese Dinge in Brüssel und dieses Jahr im walisischen Cardiff –, manchmal für selbstverständlich, aber sie haben um zusammen mit Fachleuten aus Praxis und Politik immerhin die Lebenserwartung der Menschen um unsere Themen zu debattieren und weiterzuentwi- 20 Jahre erhöht; ckeln. In der ersten englischen Ausgabe des Buches von 2018 wurden 22 Kollektivmitglieder namentlich • mit einem umfangreichen rechnerischen Argu- genannt. Inzwischen ist das Kollektiv noch größer ment darüber, wie Privatisierungen und Outsour- geworden. cing die Fundamentalökonomie durch profitorien- tierte Geschäftsmodelle verschlechterten und wie Die Kollektivmitglieder kommen aus den verschiedens- dabei auch die Kompetenzen und Fähigkeiten des ten Disziplinen – aus der Soziologie, der Sozio-Öko- Staates beeinträchtigt wurden; nomie, dem kritischen Controlling, der Politikwissen- schaft, der Wirtschaftsgeografie und vielen anderen –, • mit einem politischen Argument darüber, inwie- und wir alle interessieren uns für die Wirtschaft. Und weit die sozialen Bürgerrechte einen Anspruch auf 20 vielleicht fragen Sie sich, wie eine so bunt gemischte fundamentale Dienstleistungen begründen;
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