PRESS REVIEW Friday, May 21, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal

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PRESS REVIEW Friday, May 21, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal
PRESS REVIEW

         Daniel Barenboim Stiftung
Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal

           Friday, May 21, 2021
PRESS REVIEW Friday, May 21, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal
PRESS REVIEW                                                              Friday, May 21, 2021

Jazzthing, PBS
Der Pierre Boulez Saal in Berlin hat eine Filmdokumentation über den legendären Jazz-
Saxofonisten Charles Lloyd in Auftrag gegeben

Berliner Zeitung
Komische Oper gibt Saison auf. Andere Berliner Häuser machen noch Pläne

Berliner Morgenpost
Christoph Eschenbach und Sebastian Nordmann präsentieren das Jubiläumsprogramm „200 Jahre
Konzerthaus“

Der Tagesspiegel
200 Jahre Konzerthaus ohne Publikum im Saal

Berliner Zeitung
Nach schweren Vorwürfen steht die Zukunft des Humboldt-Fo rums auf dem Spiel

Süddeutsche Zeitung
Wie das Berliner Theatertreffen Nähe herzustellen versucht, obwohl es komplett digital stattfindet

Der Tagesspiegel
Berliner Theatertreffen: Lucy Wilke von den Münchner Kammerspielen kämpft für mehr Diversität

Berliner Zeitung
Kammeroper Frankfurt spielt im Impfzentrum

Der Tagesspiegel
Die Media Convention diskutiert über ProSieben, ARD und Lokaljournalismus

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Bundestag beschließt Urheberrechtsreform
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Charles Lloyd: Neuer Dokumentarfilm

                               Der Pierre Boulez Saal in Berlin hat eine
                               Filmdokumentation über den legendären Jazz-
                               Saxofonisten Charles Lloyd in Auftrag gegeben.
                               „Love Longing Loss“ entstand nach der Corona-
                               bedingten Absage zweier Konzerte Lloyds in Berlin
                               und ist noch bis zum 11. Juni exklusiv auf der
                               Website des Pierre Boulez Saals zu sehen. Lloyds
Charles Lloyd ‚Love            Ehefrau, die Malerin und Videokünstlerin Dorothy
Longing Loss‘                  Darr, filmte ihren Mann während der
                               gemeinsamen Isolation über mehrere Monate in
ihrem gemeinsamen Haus in Santa Barbara, Kalifornien.

In „Love Longing Loss“ teilt Lloyd neben musikalischen Kindheitserinnerungen
auch Reflexionen über den Kampf seiner indigenen und schwarzen Vorfahren
für Freiheit, Unabhängigkeit und soziale Gerechtigkeit. Diese Einblicke sind mit
musikalischen Passagen verwoben, in denen Lloyd Neukompositionen und
Klassiker auf dem Saxofon, dem Klavier, der Flöte und dem Tarogato
interpretiert. Der Film ist eine Einladung an alle Zuschauer, sich mit der eigenen
Biografie auseinanderzusetzen. Zugleich ist er eine künstlerische Reaktion auf
die Herausforderungen der letzten Monate – eine Meditation über Einsamkeit
und Widerstandskraft.

Weiterführende Links
„Love Longing Loss“

Text Stefan Franzen, Martin Laurentius & Rolf Thomas

Foto Dorothy Darr

 Veröffentlicht am 21. Mai 2021 um 06:28 Uhr unter News
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KULTUR                                                                  SEITE 9 | FREITAG 21. MAI 2021

  „Freischütz“ mit Eutin-Connection
  Christoph Eschenbach und Sebastian Nordmann
  präsentieren das Jubiläumsprogramm „200 Jahre
  Konzerthaus“

  Intendant Sebastian Nordmann (l.) und Chefdirigent Christoph Eschenbach bei der
  Pressekonferenz im Großen Saal des Konzerthauses. Felix Löchner/Sichtkreis

  Von Volker Blech

 Das Königliche Schauspielhaus war am 26. Mai 1821 eingeweiht worden. Zum 200. Geburtstag
 wäre jetzt eine anständige Jubiläumsfeier angemessen gewesen, aber das Konzerthaus am
 Gendarmenmarkt muss geschlossen bleiben. Ersatzweise wird eine „ortsspezifische Installation“ an
 der Hauptfassade gezeigt. Die Vorbereitungen laufen. Intendant Sebastian Nordmann erzählte bei
 der Pressekonferenz am Donnerstag, er hätte ein vorbeilaufendes älteres Ehepaar belauscht. Deren
 knappe Anmerkung lautete: „Schon wieder ein Gerüst!“ Vom 26. Mai bis 30. Juni wird die
 Fotoarbeit
 „Amplifier“ (Verstärker) der Berliner Künstlerin Bettina Pousttchi zu sehen sein. Es ist quasi ein
 Festakt für Flaneure.

 Die Feste soll man feiern wie sie fallen, aber manchmal fallen Jubiläen in ungute Zeiten. Vieles ist
 gerade in der Schwebe, und das Konzerthaus hat einiges vom Programm vorsorglich verschoben.
 Intendant Sebastian Nordmann und Chefdirigent Christoph Eschenbach gaben sich bei der digitalen
 Jubiläumsvorschau redlich Mühe, facettenreich das Hauptereignis des Jubiläums vorzustellen. Am
 18. Juni wird Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“, die vor 200 Jahren am
 Gendarmenmarkt uraufgeführt wurde, in einer Neuinszenierung vorgestellt. Christoph Eschenbach
 dirigiert sein Konzerthausorchester.

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Das Königliche Schauspielhaus war am 26. Mai 1821 eingeweiht worden. Zum 200. Geburtstag
wäre jetzt eine anständige Jubiläumsfeier angemessen gewesen, aber das Konzerthaus am
Gendarmenmarkt muss geschlossen bleiben. Ersatzweise wird eine „ortsspezifische Installation“ an
der Hauptfassade gezeigt. Die Vorbereitungen laufen. Intendant Sebastian Nordmann erzählte bei
der Pressekonferenz am Donnerstag, er hätte ein vorbeilaufendes älteres Ehepaar belauscht. Deren
knappe Anmerkung lautete: „Schon wieder ein Gerüst!“ Vom 26. Mai bis 30. Juni wird die
Fotoarbeit
„Amplifier“ (Verstärker) der Berliner Künstlerin Bettina Pousttchi zu sehen sein. Es ist quasi ein
Festakt für Flaneure.

Die Feste soll man feiern wie sie fallen, aber manchmal fallen Jubiläen in ungute Zeiten. Vieles ist
gerade in der Schwebe, und das Konzerthaus hat einiges vom Programm vorsorglich verschoben.
Intendant Sebastian Nordmann und Chefdirigent Christoph Eschenbach gaben sich bei der digitalen
Jubiläumsvorschau redlich Mühe, facettenreich das Hauptereignis des Jubiläums vorzustellen. Am
18. Juni wird Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“, die vor 200 Jahren am
Gendarmenmarkt uraufgeführt wurde, in einer Neuinszenierung vorgestellt. Christoph Eschenbach
dirigiert sein Konzerthausorchester.

Hinter den Kulissen offenbart sich eine generationsübergreifende Eutin-Connection. In der
Stadt Eutin war der Komponist Carl Maria von Weber 1786 geboren worden, nachdem sein
Vater als fürstbischöflicher Hofkapellmeister dorthin gezogen war. In Eutin hat Eschenbach
seinen ersten „Freischütz“ erlebt, da war er acht oder neun Jahre alt. Bei einem Festival
wurde die Oper auf einer Freilichtbühne im Schlosspark gezeigt. „Das hatte großen Charme“,
erzählte Eschenbach,
„außer dass die Aufführung total verregnet war. Weber hätte nichts dagegen gehabt, er
kannte das ja aus seiner Heimat.“ Schleswig-Holstein eben. Die verregnete
„Wolfsschluchtszene“ sei für einen kleinen Jungen nicht sehr aufregend gewesen. Aber der
Auftritt des Eremiten am Ende, womit sich alles zum Guten wendet, hat Eschenbach
beeindruckt. Das ist typisch Eschenbach.
Aber damit ist die Eutin-Geschichte noch nicht zu Ende erzählt. Intendant Nordmann gibt
sich als Eutiner zu erkennen. „Auch ich habe die ganzen Melodien pfeifen und zwitschern
können. ‚Der Freischütz‘ ist in Eutin einfach angeboren.“ Die Neuinszenierung des
„Freischütz“ im Konzerthaus wird von der katalanischen Theatergruppe La Fura dels Baus
vorbereitet. Da gegenwärtig kein Publikum in den Großen Saal darf, hatte man sich
entschieden, die Stühle auszuräumen und die Oper im ganzen Raum spielen zu lassen. Die
Premiere wird am 18. Juni auf Arte Concert live gestreamt. Regisseur Carlus Padrissa
erläuterte in einem Videoeinspieler am Donnerstag seine Idee für den
„Freischütz“. Regisseure sind von Amts wegen nicht so harmoniesüchtig wie Dirigenten.
„Der Mensch zeigt klar und deutlich das Verhalten eines Raubtiers“, teilte Padrissa mit:
„Alles, was wir anfassen, zerstören wir. Irgendwie ist es ein faustischer Akt, der Akt mit
dem Teufel, die magischen Kugeln, die immer treffen. Aber eine schlägt fehl. Das passiert
immer, wenn wir einen Pakt mit Maschinen eingehen.“ Der Fehlschuss hinterlässt immer
eine totale Zerstörung. Padrissa möchte, dass unsere Wälder erhalten bleiben. „Wir wollten
ein interaktives 360-Grad-Stück konzipieren, in dem wir uns als Bäume fühlen, aber auch als
Elemente der Umweltverschmutzung.“ Dann drehte Padrissa die Kamera auf die Straße, auf
der ein Auto vorbeifuhr. Dazu zeigte der Regisseur sein faustisches Lächeln.
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Das Publikum muss sich also auf eine eigenwillige Inszenierung einstellen. Intendant Nordmann
betonte, dass der Regisseur und der Dirigent gemeinsam hinter der Regieidee stehen. In dieser
Angelegenheit musste er nichts vermitteln. Und Eschenbach fügte hinzu: „Ich bin ein Grüner par
excellence.“

Ab Januar 2022 wird der normale Spielbetrieb geplant

In die neue Saison will das Konzerthaus mit dem bekannten Schachbrett-Muster starten. Damit
könnten fast 700 Plätze angeboten werden, so Nordmann. Auf der Bühne dürfen 60 bis 65 Musiker
spielen. Ab Januar 2022 plant man den normalen Spielbetrieb. Zahlreiche abgesagte Konzerte und
Veranstaltungen werden ab August nachgeholt, darunter das Jubiläumskonzert mit Christoph
Eschenbach und dem Konzerthausorchester, in der das Jubiläums-Auftragswerk
„XYLO“ von Samir Odeh-Tamimi erklingt (26./27. August), sowie das Open-Air-Konzert für
Berlin (28. oder 29. August). Die Uraufführung eines Kompositionsauftrags an Johannes Kalitzke
zu Max Neufelds Stummfilm „Hoffmanns Erzählungen“ von 1923 steht am 5. September beim
Musikfest Berlin auf dem Programm. Thorsten Enckes Stück „technología“ für das
Konzerthausorchester und das vision string quartet wird am 26. November uraufgeführt.

Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2021 - Alle Rechte vorbehalten.
Freitag, 21.05.2021, Tagesspiegel / Kultur

Was vom Jubiläum übrig bleibt

200 Jahre Konzerthaus ohne Publikum im Saal

Von Frederik Hanssen

Am 26. Mai, dem Tag, an dem vor genau 200 Jahren Carl Friedrich Schinkels
Schauspielhaus eröffnet wurde, sollte es einen Festakt geben und dann ein
Freiluftkonzert für alle Berlinerinnen und Berliner. Doch daraus – wie auch aus
fast allen weiteren Jubiläumsplänen – wird erst einmal nichts, Corona sei’s
geklagt. Als kleinen Trost gibt es nun wenigstens eine Installation an der
klassizistischen Fassade. Bettina Pousttchi hat eine haushohe Fotomontage
erstellt, die hinter den Säulen des Portikus sowie unterhalb des Giebels installiert
wird und vom 26. Mai bis zum 30. Juni zu sehen ist. „Amplifyer“ nennt sie ihre
Arbeit, also Verstärker: Ihr Ziel war es, das Akustische, das sich hinter den
Konzerthaus-Mauern abspielt, ins Optische zu übertragen.

Ohne Publikum muss auch das zweite 200-jährige Jubiläum stattfinden, das
Gedenken an die Uraufführung von Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ am
Gendarmenmarkt. Wie Carlos Padrissa von „La Fura dels Baus“ die Oper
inszeniert, wird am 18. Juni nur als Stream auf der Website von „Arte Concert“ zu
verfolgen sein. Padrissa will aus der Not eine Tugend machen und den Saal zum
360- Grad-Erlebnisraum machen, mit realen
Darsteller:innen sowie Videos. Dabei soll es auch um Probleme wie Waldsterben
und Umweltzerstörung gehen.

Beim digitalen Pressegespräch zum Jubiläum verrieten sowohl Intendant
Sebastian Nordmann als auch Chefdirigent Christoph Eschenbach ihre ganz
persönlichen Bezüge zu Carl Maria von Webers Geburtsort, dem schleswig-
holsteinischen Städtchen Eutin. Nordmann kam ebenfalls dort zur Welt,
Eschenbach erlebte in Eutin als Neunjähriger seine allererste Opernaufführung,
einen verregneten Freiluft-„Freischütz“.

Auf Fragen zur Zukunft reagierte der Intendant extrem zurückhaltend: Sollte das
Bezirksamt Mitte zustimmen, würde er gerne im August ein Open Air-Konzert
veranstalten, für den Herbst plant er derzeit noch mit halbierter
Platzauslastung, Masken und Tests. Im Januar 2022 erhofft er sich dann eine
Rückkehr zum Normalbetrieb. Frederik Hanssen
Freitag, 21. Mai 2021, Berliner Zeitung /

Vieles im Verborgenen
Nach schweren Vorwürfen steht die Zukunft des Hum-
boldt-Forums auf dem Spiel

HARRY NUTT

D
             as Schweigen der Verantwortlichen ist dröhnend, und das kleinlau‐
             te Eingeständnis, man nehme die Angelegenheit sehr ernst, ver‐
             weist auf das Dilemma, in dem sich das kulturpolitische Prestige‐
             objekt Humboldt- Forum befindet.

Was immer auf dem Weg zu einem musealen Normalbetrieb anfallen mag, wird
künftig auf eine empfindlich austarierte Waage gelegt werden. Noch ehe das
Humboldt-Forum für Publikum zugänglich ist, kämpft es bereits um seine Exis‐
tenz als Leuchtturm für eine angemessene Darstellung der Weltkulturen und
deren Vorbildcharakter bei der Bewältigung internationaler Konflikte.

Fürs Erste ist das Humboldt-Forum am hohen Anspruch seiner eigenen Ideale
hängengeblieben. Die Servicegesellschaft HFS jedenfalls, die den künftigen Be‐
suchern als Orientierung gebender Dienstleister hätte zur Seite stehen sollen,
hat sich als ein straff nach neoliberalen Prinzipien organisiertes Subsystem ei‐
ner zweifelhaften Effizienz erwiesen, das paternalistisch und herablassend mit
zum Teil prekär beschäftigten Mitarbeitern umgesprungen ist. Von Demütigung
war die Rede, es herrsche dort ein Betriebsklima der Angst. Dass eine verant‐
wortliche Geschäftsführerin nach Bekanntwerden der Vorwürfe, in deren Zen‐
trum die systematische Überwachung von Mitarbeitern steht, umgehend freige‐
stellt wurde, zeigt nur, wie sehr man hinter den Kulissen um Schadenbegren‐
zung bemüht ist.

Die Erklärungsnot ist groß

Die beschämenden Vorgänge in der Servicegesellschaft HFS treffen ins Mark
des Selbstverständnisses des Humboldt-Forums, das auf Verständigung, Trans‐
parenz und eine Kultur des gegenseitigen Zuhörens im Weltmaßstab setzt. Die
Vorwürfe, dass in der HFS Mitarbeiter nach privaten Verhalten taxiert worden
seien, kann nicht als arbeitsrechtliche Petitesse abgetan werden, die mühelos
zu beheben ist. Die Erklärungsnot von Humboldt-Chef Hartmut Dorgerloh ist
groß, Kulturstaatsministerin Monika Grütters geht es nicht zuletzt auch um den
Schlussstein ihrer kulturpolitischen Karriere. In der Mitte Berlins, so scheint es,
sind zuletzt erhebliche Legitimationsprobleme verbaut worden.

Aber ist das nicht annähernd aufgeklärte Desaster in der HFS geeignet, den
Daumen über das Humboldt- Forum zu senken, das zuletzt doch so wichtige
Fragen nach den Prinzipien des Kulturbesitzes im postkolonialen Zeitalter auf‐
geworfen hat?

Mit seinem Buch „Das Prachtboot. Wie Deutsche Kunstschätze der Südsee
raubten“ hat der Berliner Historiker und Kolumnist der Berliner Zeitung Götz
Aly deutlich markiert, wie sehr eine einfache Präsentation von Museumsbestän‐
den aus den Kulturen der Welt an seine Grenzen gestoßen ist. Mit vergleichs‐
weise einfachen Recherchen hat Aly, der dabei ausdrücklich nicht als Fachhis‐
toriker angetreten ist, den Nachweis erbracht, dass große Bestände der ethnolo‐
gischen Museen als Raubgut zu betrachten seien, die mit brutaler Gewalt er‐
beutet und nach Europa gebracht wurden.

Darauf mit Fantasien über den Abriss des gesamten Projektes Humboldt-Forum
zu reagieren, wäre eine infantile Reaktion, die einer aufgeklärten Bürgergesell‐
schaft nicht gerecht wird. Vielmehr werden das Humboldt-Forum und die darin
reüssierenden Institutionen unter Beweis zu stellen haben, dass sie in der Lage
sind, ein modernes Verständnis von Kulturaustausch und dessen Präsentation
zu repräsentieren. Es geht um weit mehr als bloß eine pflichtgemäße Proveni‐
enzforschung zu den vorhandenen Kulturgütern.

Wie wenig die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) als zentraler Mitgestalter
des Humboldt-Forums zu seiner inneren Bestandsaufnahme bereit ist, hat un‐
längst die spät ans Licht gekommene NS-Biografie eines Granden der Berliner
Kulturpolitik gezeigt.
Die innere Verfasstheit

Durch Recherchen des Documenta-Instituts in Kassel war bekannt geworden,
dass Werner Haftmann, der zwischen 1967 und 1974 Direktor der Neuen Natio‐
nalgalerie auf dem heutigen Kulturforum war, eine frühe Mitgliedschaft in der
nationalsozialistischen Kampforganisation SA verschwiegen hatte. Während
man in Kassel intensiv an der Aufarbeitung von Haftmanns Rolle in der Entste‐
hungsphase der Kunstausstellung Documenta bemüht ist, steht eine Betrach‐
tung seiner Berliner Aktivitäten im Lichte der neuen Erkenntnisse noch aus.
So wenig die Beispiele direkt miteinander zu tun haben mögen, verweisen sie
doch auf eine innere Verfasstheit kultureller Einrichtungen, in denen zuletzt
vieles offenbar im Verborgenen geblieben ist – und schlimmer: vielleicht auch
bleiben sollte. Das kulturelle Erbe, so ließ Kulturstaatsministerin Monika Grüt‐
ters gerade in einer Mitteilung verlauten, habe eine herausragende Bedeutung

für unsere Identität. Ohne die Bereitschaft zur permanenten Selbstaufklärung
läuft diese Gefahr, in Selbstbetrug zu versinken.
Freitag, 21. Mai 2021                   FEUILLETON                                        Artikel 9/17

Berliner Theatertreffen

Ach, diese Lücke ... diese
entsetzliche Lücke
Plaudern, lachen und prosten - ein herrlicher Sound, lange nicht gehört: Wie das
Berliner Theatertreffen Nähe herzustellen versucht, obwohl es komplett digital
stattfindet.
VON CHRI ST INE DÖS S EL

Theater als Lebens- und Überbrückungskunst: "Show Me A Good Time" des deutsch-britischen
Künstlerkollektivs Gob Squad ist eine 12-stündige Livestream-Performance, die die Sehnsucht nach
Nähe stillt. Foto: Eike Walkenhorst

Eintritt in den Garten der Berliner Festspiele, diesen schönen Ort, wo traditionell
die Hollywoodschaukeln stehen und das Lagerfeuer knistert. Kein Theatertreffen
ohne Zusammenkunft hier im Grünen. Es erklingt auch schon das
Stimmengewirr der Besucher, ein Plaudern, Lachen und Prosten. Ein herrlicher
Sound, lange nicht gehört. Ihm nach! Aber, rums, der Avatar läuft erst mal gegen
die Wand. Mit welchen Tasten lenkt man ihn gleich noch mal geradeaus und dann
nach links? Und wo sind all die Leute, deren Smalltalk-Gemurmel zu hören ist?
Da: zwei Avatare beim Magnolienbaum. Doch die Kontaktaufnahme scheitert an
einem Problem mit dem Mikro. Dabei war die Verheißung des "digitalen
Festspielgartens" doch, mit anderen Menschen tatsächlich ins Gespräch zu
kommen. Das scheint meistens auch zu klappen. Wenn es aber nicht klappt, ist es
frustrierend, weil der Garten als solcher ja schnell erkundet ist.

Mozilla Hubs heißt die Wundertechnik, mit der sich solche digitalen -D-Räume
erstellen und ohne großen Aufwand betreten lassen. Man kann sich da in Form
von Avataren treffen, braucht dafür nur einen Computer und Kopfhörer - für das
Theater in Zeiten geschlossener Bühnen und vereinsamter Zuschauer eine
verlockende Sache. Die Dramaturgische Gesellschaft hat im Januar bereits ihre
Jahrestagung in so einem virtuellen Begegnungsraum abgehalten. Und auch das
Berliner Theatertreffen, das in diesem Jahr komplett online stattfindet, nutzt
Hubs zur Simulation räumlicher Nähe.

"Festivals sind das Gegenteil von Lockdown und Distanz", sagt die Theatertreffen-
Leiterin Yvonne Büdenhölzer. Ja. Sofern nicht eine Pandemie dem gemeinsamen
Erlebnis schon zum zweiten Mal einen Strich durch die Rechnung macht.
Ausfallen lassen wollten sie in Berlin die jährliche Leistungsschau des
deutschsprachigen Theaters aber auf keinen Fall, schon der "Sichtbarkeit" halber,
um zu zeigen, was es trotz Corona und Lockdown Herausragendes auf den
Bühnen gab und gibt. Von all dem, was in den letzten zwölf Monaten theatralisch
möglich war, sei es analog oder rein digital, hat eine Kritiker-Jury wie üblich die
ihrer Ansicht nach zehn "bemerkenswertesten" Inszenierungen nominiert.

Ein Vorteil des digitalen Festivalangebots ist eine neue Art der
Barrierefreiheit

Normalerweise reisen dann alle nach Berlin und erleben das, was ein Festival
ausmacht: Nähe, Austausch, Begegnung. In diesem Jahr muss man sich mit
Ersatzbefriedigungen begnügen. Etwa der Möglichkeit eines Live-Chats während
der Übertragungen. Da können die einsam vor ihren Bildschirmen sitzenden
Zuschauer dann nach Herzenslust reinquatschen - schriftlich natürlich nur -,
Fragen stellen und Emojis verschicken. Ermöglicht wird das auf der neu
eingerichteten Plattform "Berliner Festspiele Digital". "Ich habe noch nie Karten
für das Theatertreffen bekommen, endlich darf ich mit dabei sein", schreibt eine
Hannah im Chat zur Eröffnungsinszenierung "Einfach das Ende der Welt" von
Christopher Rüping, live gestreamt aus Zürich. Sie formuliert damit einen Vorteil
des digitalen, kostenlos verfügbaren Festivalangebots: seine im Prinzip
unbeschränkte Reichweite und Zugänglichkeit, eine neue Art der Barrierefreiheit.
"This thing is super cool", jubelt Ashley aus New York, andere mosern, weil der
Stream hängt. "Psst ..!", macht ein Scherzkeks namens Hotzi, aber er hat ja auch
recht: Wie soll man sich da auf die Vorstellung konzentrieren?

Also besser den Chat ausmachen und erst zur Nachdiskussion wieder einschalten.
Sich auf den Stream einzulassen, ohne nebenher anderes zu tun, ist ohnehin nicht
einfach, da mag die Geschichte eines schwulen Videokünstlers, der nach zwölf
Jahren in der Großstadt sterbenskrank zu seiner Familie in der Provinz
zurückkehrt und dort ein Gefühlsbeben auslöst, noch so intensiv gespielt sein.
Rüping hatte sich zu Beginn live aus Zürich zu Wort gemeldet und erklärt, warum
sie sich bei der Übertragung aus der riesigen Schiffbauhalle für eine einzige
Kamera entschieden haben, "eine personalisierte Handkamera". Sie solle es den
Schauspielern erleichtern, uns ferne Zuschauer zu imaginieren, uns zu "spüren".
Der Blick wurde dadurch radikal subjektiv vorgegeben. Aber das ist ja
grundsätzlich ein Problem bei der Theaterübertragung vom analogen in den
digitalen Raum: Es ist durch die Kameraführung und Schnitte immer ein
Director's Cut.

Ein Clou der Inszenierung ist die von Jonathan Mertz gestaltete Raumbühne. Sie
zeigt in der ersten halben Stunde in detailseliger Ausstattung das Elternhaus des
verlorenen Sohnes wie dieser es in Erinnerung hat, die Zimmer eingerichtet wie
damals. Die alten Kassetten und Poster, die Blümchentapete, der Teddy. Auf der
Digitalplattform des Theatertreffens gibt es die Möglichkeit, dieses Bühnenbild
virtuell zu betreten und genau anzuschauen - auch das eine Vorgaukelung von
Anwesenheit, Nähe. Dasselbe gilt für das imposante Bühnenbild, das Olaf
Altmann für "Graf Öderland" entworfen hat: ein monumentaler schwarzer
Trichter, der ausschaut wie ein ins Bühnenportal des Münchner Residenztheaters
gepresstes Giga-Grammofon. Digitalisiert und aufbereitet in -D-Ästhetik lässt
sich dieser Trichter per Mausklick in      Grad erkunden. Man kann
durchschlüpfen bis auf die Hinterbühne. Dreht man sich nach vorne, tut sich wie
ein tiefer Schlund das überleere Resi-Parkett auf. Geisterhaft.
Im Trichter: Barbara Horvath und Thiemo Strutzenberger in "Graf Öderland". Foto: Birgit Hupfeld

"Graf Öderland" ist ein selten gespieltes, als gescheitert geltendes, in der Regie
von Stefan Bachmann soghaft faszinierendes Stück von Max Frisch über einen
Ausbruch, der zum Aufstand wird. Ein Staatsanwalt namens Martin bekommt es
vor Gericht mit einem Bankangestellten zu tun, der völlig grundlos einen
Hauswart erschlug. Ein Mord ohne Motiv, aus purer Langeweile. Das verstört den
Staatsanwalt so sehr, dass er selber aus seinem Leben fällt. Statt zu den Akten
greift er zur Axt, wird zum Amokläufer und zieht als Schreckgespenst Graf
Öderland durchs Land. Ein Heer dubioser Gestalten schließt sich ihm an. Was sie
antreibt, bleibt unklar - wie so vieles in dieser wüsten Horror-Parabel, die sich auf
rechtsnationale Wutbürger à la Pegida oder die amerikanischen Kapitol-Stürmer
ebenso beziehen lässt wie in Corona-Zeiten auf die Querdenkerbewegung.

Bachmann legt keine Deutung nahe, er inzeniert ohnehin nicht scharfkonturig-
hart, sondern folgt der bizarren Dramaturgie des Traumes und den Stilelementen
einer Brecht'schen Moritat. Die Trichterbühne zwingt die Figuren zu grotesken
Verrenkungen, und Thiemo Strutzenberger spielt den rasenden Juristen so
somnambul vergeistigt, gekrümmt und verzweifelt, dass er für seine Leistung den
 sat-Preis bekam. Im Residenztheater konnte "Graf Öderland", diese
Koproduktion mit dem Theater Basel, noch nicht gezeigt werden. Die Aufführung
gibt es als Fernsehaufzeichnung von sat und ist dort in der Mediathek bis zum .
September abrufbar; ebenso wie zwei weitere Inszenierungen der Berliner Best-
of-Schau: Schillers "Maria Stuart", in einem riesigen Setzkasten inszeniert von
Anne Lenk (Deutsches Theater Berlin), und das wiederentdeckte Stück
"Automatenbüffet" von Anna Gmeyner in der Regie von Barbara Frey (Burgtheater
Wien).

Der Film "Was verloren sein könnte" zeigt die coronabedingte
Leere am Theater. Ein trauriger Anblick

Eine eigene, wehmütig schöne Theatertreffen-Produktion ist der Film "Was
verloren sein könnte" über die Leerstellen, die die coronabedingten Ausfälle
verursacht haben. Theater, Produktionshäuser und freie Gruppen haben sich
mit kurzen Videos daran beteiligt. Sehr lustig das Ensemble des Hamburger
Schauspielhauses, das stellvertretend zeigt, wie ein Theater baden geht - indem
es kurios kostümiert in die eiskalte Alster springt, Goethe rezitierend: "Ach diese
Lücke ... diese entsetzliche Lücke!" Wie tief diese Lücke in den Theatern klafft,
zeigen Videos von leeren Zuschauerräumen, verwaisten Spielstätten, Garderoben,
Foyers. So geballt ist das ein trauriger Anblick. Der ganze Betrieb steht still.

Ein leeres Theater, nämlich das Haus der Berliner Festspiele, ist auch die
Schaltzentrale für die ansonsten weitschweifig durch Berlin streifende Produktion
"Show Me A Good Time" des deutsch-britischen Künstlerkollektivs Gob Squad.
Eine zwölfstündige Livestream-Performance, die als Koproduktion des Berliner
HAU mit mehreren anderen Theaterhäusern komplett unter
Pandemiebedingungen entstanden ist. Jeweils einer oder eine aus der Truppe
betätigt sich als Alleinunterhalter auf der Bühne, während die anderen sieben mit
Kameras durch die Stadt schwirren. Einer funkt aus dem leeren Flughafen BER,
eine aus einer Schwulenbar, andere aus ihren Wohnungen. Zugeschaltet werden
sie per Zoom, meist einzeln, manchmal alle gleichzeitig. Was sie berichten, ist
banal wie der Alltag, vieles persönlich, manchmal baden sie oder putzen.
Regelmäßig brechen sie - aus Prinzip - in Gelächter aus, Lachen ist ansteckend
wie das Virus. Auch Aufgaben für die Zuschauer gehören dazu, etwa Verstorbener
gedenken. Und zu jeder vollen Stunde wird auf der Straße ein Mensch
angesprochen und live auf die Bühne zugeschaltet. Dann passiert etwas Tolles
oder nicht.

Von all den Versuchen, mit dem Publikum in Kontakt zu treten, Gemeinschaft
herzustellen, war diese performative Dauer-Liveschalte der bisher
unangestrengteste, tröstlichste (das Theatertreffen geht noch bis . .). Diese
Künstler waren einfach da, sie machten was und machten immer weiter. Man
konnte nebenher ohne schlechtes Gewissen andere Dinge tun, kochen, aufräumen
- und sich dann wieder bei ihnen einfinden, zum gemeinsamen Lachen oder
Gedenken. Zum Feiern der Lebens- und Überbrückungskunst.
Freitag, 21.05.2021, Tagesspiegel / Kultur

Viele Arme und Beine
Berliner Theatertreffen: Lucy Wilke von den Münchner
Kammerspielen kämpft für mehr Diversität
Von Sandra Luzina

                                                       © Martina Marini-Misterioso
     Gemeinsame Stärke. Szene aus „Scores that shaped our friendship“ von und mit Lucy Wilke
                                      und Pawel Dudus.

Lucy Wilke spricht gleich Tacheles. Sie sei genervt von Artikeln, die mit
„trotz Behinderung“ beginnen. Fragt man sie, wie sich selbst bezeichnet,
entgegnet sie: „Ich definiere mich als Künstlerin, als Sängerin,
Schauspielerin, Tänzerin, Regisseurin, Autorin, und ich benutze einen
Rollstuhl.“ Für Lucy Wilke, die 1984 mit spinaler Muskelatrophie geboren
wurde, ist der Kampf um Akzeptanz noch nicht beendet, auch wenn sie jetzt
im Rampenlicht steht.
Die Performance „Scores that shaped our friendship“, die sie gemeinsam mit
dem queeren polnischen Tänzer Pawel Dudus erarbeitet hat, wurde zum
Berliner Theatertreffen eingeladen. Im November wurde den beiden bereits
der Theaterpreis „Faust“ in der Kategorie Darsteller/Darstellerin Tanz
verliehen. Das Stück ist eine Feier von Freundschaft, zärtlich, verspielt und
sehr sinnlich. Mehr Sein als Schein, Ausdruck einer gelebten Erfahrung.
Zugleich formulieren die beiden eine Art Utopie, wie Menschen sich liebevoll
und vorurteilsfrei begegnen können.

Lucy Wilke und Pavel Dudus bringen unterschiedliche Voraussetzungen mit
und haben doch etwas gemeinsam: „Wir beide haben diese nicht-normativen
Aspekte: Pavels queere Identität und meine körperliche Beschaffenheit“, sagt
Wilke. Ihre Freundschaft, die sie in „Scores“ in sieben Kapiteln erkunden,
überwindet Grenzen; das Schöne ist, dass diese Entgrenzungen ohne den
Gestus der Provokation daherkommen. Auch wenn manche Szenen zu
irritieren vermögen, etwa wenn Lucy Wilke sagt: „My body also gives me
pleasure.“ Ihren Körper anders zu definieren als es der vorherrschenden
Sichtweise entspricht, dem normierenden Blick ihre subjektiven
Empfindungen entgegenzusetzen, darin besteht die befreiende Kraft der
Performance.

Kennengelernt haben die beiden sich 2017 in der freien Szene Münchens bei
der Produktion „Fucking Disabled“ von David von Westphalen, die sich um
das Tabuthema Sex und Behinderung drehte. Mit einer Debütförderung der
Stadt München konnte Wilke dann „Scores“ realisieren, kurz bevor Corona
alles lahmlegte. Sie erzählt, wie sie mit Pavel überlegte, was für ein Stück sie
entwickeln könnten, bis ihnen klar wurde, dass sie schon genug Material
hatten. „Wir haben so viele Qualitäten und Farben in unserer Freundschaft.
Sich inhaltlich auf Lucys Behinderung zu fokussieren, dazu hatten beide
keine Lust. Sie haben sich auf einen körperpositiven Ansatz konzentriert.
„Wir haben uns viel mit Aktivität und Passivität beschäftigt“, erzählt Wilke.
„Und sind zu dem Schluss gekommen, dass Aktivität nicht nur Kraft ist,
sondern eine aktive innere Haltung.“

Anfangs sitzen die beiden im Schneidersitz nebeneinander und führen
synchron kleine Bewegungen des Kopfes aus. Wenn Pavel sie dann stützt und
sehr achtsam bewegt, gibt sie sich vertrauensvoll hin. Oft ist sie es aber, die
winzige Impulse gibt, die er dann vergrößert. Die Körpererkundung wird
immer forscher, bis beide dann symbiotisch verschmelzen. „Unsere
Bewegung gehört nicht länger nur einem von uns, sie wird eine unabhängige
Kreatur, ein atmendes Tier mit vielen Armen und Beinen“, sagt sie in ihrem
Monolog.

Die beiden konzentrieren sich primär auf die positiven Energien ihrer
Freundschaft. Wenn er in einem Solo seiner queeren Identität Ausdruck
verleiht, unterstützt, sie ihn mit ihrer Aufmerksamkeit. Doch Ausgrenzung
und Abwertung werden auch thematisiert. In einer starken Szene berichtet
Lucy Wilke von ihren Erfahrungen mit der Dating-Plattform Tinder: „Du
hast ein so hübsches Gesicht, aber …“, so fasst sie die Zurückweisungen
zusammen. Mit einer Strumpfmaske und Farbklecksen verfremdet sie ihre
Gesichtszüge zu einer Fratze.

Lucy Wilke ist im intimen „Scores“-Duett nicht die Passive, die Abhängige,
die Defizitäre und Pavel Dudus nicht der Autonome, der starke Retter und
Ritter. Den beiden gelingt es spielerisch, sich all diesen Zuschreibungen zu
entziehen. Durch die Einladung zum Theatertreffen hat Lucy Wilke viel
Aufmerksamkeit bekommen. Sie hat immer wieder betont, dass in der
Behinderung ein großes kreatives Potential liegt, und hofft, dass dies endlich
ankommt in der Kunstwelt.

Aber so ganz kann sie es noch nicht fassen, dass sich jetzt auf einmal die
Türen für sie öffnen. Denn lange Jahre ist sie gegen Mauern gerannt. Lucy
Wilke ist in einer Wohnwagensiedlung im Norden Münchens aufgewachsen.
Nach dem Abitur absolvierte sie eine Bühnenausbildung am International
Munich Art Lab, sie war drei Monate in London und machte danach
verschiedene Regie-Assistenzen. Um „einen Fuß in die Tür zu bekommen“,
hat sie an unzugänglichen Orten gearbeitet und viele Strapazen auf sich
genommen. Jeden Abend schrieb sie in ihr Tagebuch: „Ich möchte
Schauspielerin werden.“

Seit dieser Spielzeit gehört Lucy Wilke dem neuen inklusiven Ensemble der
Münchner Kammerspiele an. Sie besetzen neutral, was die Behinderung
betrifft. Und seit Anfang Mai probt sie mit Jessica Glause für die Aufführung
von „Bayerische Sufragetten“, auch in Jan Bosses Inszenierung „Effingers“ ist
sie dabei. Neulich hat Lucy Wilke an einer baulichen Begehung der
Kammerspiele teilgenommen: „Es müssen schon noch einige Dinge
umgesetzt werden, aber es sind alle dort sehr bemüht und respektvoll.“

Sie ist eine Vorkämpferin für mehr Diversität, doch betont auch: „Ich mache
Kunst nicht in erster Linie als Form des Aktivismus.“ Sie will nicht für alle
Menschen mit Behinderung sprechen. „Es ist mir wichtig, als Individuum
wahrgenommen zu werden, auch wenn ich provokante Dinge mache. Es ist
hoffentlich meine Art des Seins und Tuns, die etwas bewirkt.“

„Scores ...“ ist ab 24. Mai, 19 Uhr, als Aufzeichnung im Streaming zu sehen,
berlinerfestspiele.de

Gemeinsame Stärke. Szene aus „Scores that shaped our friendship“ von und
mit Lucy Wilke und Pawel Dudus. Foto: Martina Marini-Misterioso
Freitag, 21. Mai 2021, Berliner Zeitung /

Kammeroper Frankfurt spielt im Impfzentrum

Klassische Klänge zur Corona-Impfung: Impfwillige können sich im Frankfurter
Impfzentrum ab Pfingstmontag über eine musikalische Begleitung ihrer Immu‐
nisierung freuen. Musiker der Kammeroper Frankfurt spielen vom ersten Rang
der Festhalle aus mehr als ein Dutzend Solo- und Duo-Konzerte, wie es in einer
Mitteilung von Donnerstag heißt. Bis Juli soll an mehreren Terminen „ausge‐
suchte klassische Musik“ erklingen. (dpa)
Freitag, 21.05.2021, Tagesspiegel / Medien

Mit dem Bähnle in die Zukunft
Die Media Convention diskutiert über ProSieben, ARD und
Lokaljournalismus
Von Kurt Sagatz

       Unter Corona-Bedingungen: Die beiden re:publica-Gründer Andreas Gebhard (Mitte) und
      Johnny Haeusler (r.) eröffnen am Donnerstag die Digitalkonferenz samt Media Convention
           aus einer Halle in Neukölln. Live am Bildschirm: MABB-Chefin Eva Flecken und
              Medienboard-Geschäftsführer Helge Jürgens. Screenshot: re:publica/Tsp

Was hat die Informationsoffensive des Privatfernsehens mit der ARD im Jahr
2030 und der Umstellung der Heidekrautbahn auf Wasserstoffbetrieb
gemeinsam? Alle diese Dinge waren am Donnerstag Thema der Media
Convention Berlin 2021, mit der die diesjährige Digitalkonferenz re:publica
begann. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass der Journalismus sowohl bei
den Privatsendern als auch bei den Öffentlich-Rechtlichen eine große, ja
sogar zunehmende Bedeutung hat – und das gilt auch für das Bähnle
nördlich von Berlin.
Wegen der Corona-Pandemie können Media Convention und re:publica
erneut nur als reine Online-Konferenz stattfinden. Die beiden re:publica-
Gründer Andreas Gebhard und Johnny Haeusler begrüßten die
Konferenzteilnehmer zwar von einer realen Bühne in einer alten
Industriehalle in Neukölln, wo auch ein Teil der Sessions zuvor
aufgezeichnet wurde. Doch den Zuschauern blieb nur der Platz an den
Computermonitoren.

Hinter der Media Convention steht neben der Medienanstalt Berlin-
Brandenburg das regionale Medienboard als Förderer der Veranstaltung,
aber auch der regionalen Medienwirtschaft. Diese hat sich durch Corona
insgesamt verändert. Streaminganbieter wie Disney, HBO und Paramount,
die durch die Lockdowns besonders profitiert haben, verwerten ihre Inhalte
nun verstärkt selbst. Wenn weniger Lizenzware zur Verfügung steht,
müssen die TV-Sender stärker in eigene Inhalte investieren, hat Helge
Jürgens, Geschäftsführer des Medienboard Berlin-Brandenburg, beobachtet.
Mit einer interessanten Folge: „Die Privaten wildern nun ein bisschen in
Doku, Politik und diesen traditionellen Gebieten der Öffentlich-
Rechtlichen.“

Gemeint ist damit unter anderem die Informationsoffensive von ProSieben.
Ihr erstes Interview als frisch gekürte Kanzlerkandidatin gab Annalena
Baerbock dem Münchener Privatsender und nicht etwa der ARD oder dem
ZDF. „Es gibt ja kein Gesetz, wie politische Interviews auszusehen haben,
und vor allem wo sie stattzufinden haben“, sagte dazu ProSieben-Senderchef
Daniel Rosemann. „Wir müssen mit unserer Reichweite über das
Entertainment hinaus etwas machen“, sieht er ProSieben im
Bundestagswahljahr in der Pflicht.

Alles halb so schlimm, heißt es bei der ARD. Konkurrenz belebe das
Geschäft, meint WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn und verweist
darauf, dass die ARD ihren Schwerpunkt gerade darauf legt, mehr Zuschauer
im nicht-linearen Bereich – Stichwort TikTok, Youtube, Instagram – zu
erreichen. „Wenn uns jemand noch stärker antreibt, dann laufen wir noch
schneller.“

RTL sieht ProSieben eher in der Rolle des Herausforderers. Mit den 750
Journalisten und vier Millionen Zuschauern von „RTL aktuell“ komme RTL
von einem „etwas größeren Niveau“, sagte Stephan Schmitter,
Geschäftsführer RTL News. „Haltung, Verantwortung und Qualität, gemixt
mit der Quote, dann sind wir alle glücklich“, meint Schmitter zur
Informationsschiene seiner Sendergruppe.

Die Öffis können nach der Verweigerung der Beitragserhöhung nicht so
richtig glücklich sein. ARD-Chef Tom Buhrow will aber nicht nur auf aktuelle
Herausforderungen achten, sondern etwas weiter in die Zukunft schauen.
„Wir befinden uns in der größten Transformation seit Erfindung des
Buchdrucks“, so Buhrow. Für die ARD ergebe sich daraus ein kompletter
Rollenwechsel. Mehr Geld will die Gesellschaft den Öffentlich-Rechtlichen
allerdings nicht geben, darum müsse man an den Reglern drehen. Wachstum
sieht man bei der ARD in den Feldern Mediathek, Audiothek, Tagesschau,
Sportschau und Kika. Der linearen und analogen Ausstrahlung wird für das
Jahr 2030 keine große Zukunft beigemessen, vom Regionalen abgesehen.

Doch genau darum ist es zumindest in der Fläche nicht immer zum Besten
bestellt. Das gilt auch für den Lokaljournalismus in Brandenburg, weiß
Medienstaatssekretär Benjamin Grimm. Als erstes Bundesland fördert
Brandenburg lokaljournalistische Inhalte, in diesem Jahr mit einer Million
Euro, die aus Gründen der Staatsferne von der Medienanstalt Berlin-
Brandenburg zugeteilt werden – unter anderem für den FluxFM-Podcast
Luckenkien für die Region Luckenwalde und Teltow-Fläming. Warum es die
Förderung des Lokaljournalismus braucht? Da kommt Staatssekretär
Grimm zur Heidekrautbahn. Der Wasserstoff kommt aus einem speziellen
Kraftwerk. Für die Debatte, wo dies stehen soll, würden regionale Medien
benötigt. „Der Bedarf an lokaljournalistischer Förderung ist jedenfalls da,
das Antragsvolumen übertraf die Fördersumme um das 2,5-Fache“, sagte die
neue MABB-Chefin Eva Flecken.
21.05.21

                 Bundestag beschließt Urheberrechtsreform

F.A.Z. FRANKFURT. Der Bundestag hat die Reform des Urheberrechts beschlossen. Mit den
Stimmen der schwarz-roten Koalition machte das Parlament am Donnerstag den Weg frei für die
neuen Regeln für Urheber, Presseverlage, Internetplattformbetreiber und Nutzer. Die Grünen
enthielten sich. AfD, Linke und FDP stimmten dagegen. Deutschland muss eine entsprechende EU-
Richtlinie zum Urheberrecht bis Juni in nationales Recht umgesetzt haben. Bei der Reform geht es
unter anderem darum, die bisherigen Urheberregeln an den Gebrauch im Internet anzupassen.

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