QUALITÄTSRAHMEN KOMMUNALE GESAMTSTRATEGIE - GELINGENDES AUFWACHSEN ERMÖGLICHEN

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QUALITÄTSRAHMEN KOMMUNALE GESAMTSTRATEGIE - GELINGENDES AUFWACHSEN ERMÖGLICHEN
Vera Deffte, Eva-Maria Frühling, Dr. Heinz-Jürgen Stolz

QUALITÄTSRAHMEN
KOMMUNALE
GESAMTSTRATEGIE
G E L I NG E N DES AUFWACH SE N ERMÖGLIC HEN
QUALITÄTSRAHMEN KOMMUNALE GESAMTSTRATEGIE - GELINGENDES AUFWACHSEN ERMÖGLICHEN
Vera Deffte, Eva-Maria Frühling, Dr. Heinz-Jürgen Stolz

QUALITÄTSRAHMEN
KOMMUNALE
GESAMTSTRATEGIE
G E L I N G E NDES AUFWACH SE N ERMÖGLICHEN

I N H ALTSV E RZ EICHNIS
Vorwort zur Neuausgabe .......................................................................................... 5

Fachliche Rahmung ................................................................................................... 6

Sinnfokussierung . ................................................................................................... 10

     „WHY?“ – Kommunale Daseinsvorsorge als Gemeingut                                                                         11

     „HOW?“ – Die Präventionskette als Gestaltungsansatz                                                                     14

     „WHAT?“ – Formate der kommunalen Handlungsstrategie                                                                     16
     Die Basis des Qualitätsrahmens                                                                                         20

Der Qualitätskreislauf ............................................................................................. 22

     Allgemeine Präventionsleitlinien                                                                                        23

     Die vier Stationen des Qualitätskreislaufs                                                                              27

		             Station 1: Kommunales Präventionsleitbild                                                                     28

		             Station 2: Strategische Steuerung und Zielentwicklung                                                         32

		             Station 3: Zielkonkretisierung und -umsetzung                                                                 39

		             Station 4: Reflexion und Neuausrichtung                                                                       44

Wissensbasiertes Handeln ..................................................................................... 52

Literatur . .................................................................................................................. 57
4   Vorwort zur Neuausgabe
Vorwort zur Neuausgabe    5

VORWORT ZUR
NEUAUSGABE
Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen          Diese drei neuen Elemente werden in der Prozesslogik
gelingendes Aufwachsen zu ermöglichen, ist das Ziel      des Qualitätsrahmens miteinander verknüpft: Das
des Landesprogramms „kinderstark – NRW schafft           Wechselspiel von Sinnfokussierung und Wissensbasie-
Chancen“. Die Programmkommunen arbeiten mit die-         rung hält dabei die innovative Dynamik des Gestaltungs-
sem klaren Ziel und einem darauf aufbauenden Leitbild    ansatzes wach. Die stärkere konzeptionelle Ausrichtung
an der Umsetzung und Übersetzung in die Praxis. Der      von Zielen an kommunalen Handlungsmöglichkeiten
Auf- und Ausbau der dazu benötigten Präventionsket-      lässt dann konkrete Umsetzungsschritte und darauf
ten zeichnet sich durch eine intensive, bereichs- und    bezogene Wirkungsannahmen – aber auch realistisch
trägerübergreifende Netzwerkarbeit aus, die auf einen    zu bewältigende Herausforderungen – sichtbarer werden.
gemeinsamen Sinn fokussiert: Jungen Menschen ein         Und ein erweitertes Wirkungsverständnis ermöglicht
chancengerechtes Aufwachsen zu gewährleisten.            auf eben diese Wirkungsannahmen bezogene, klein-
                                                         schrittige Erfolgskontrollen und befördert somit orga-
Aus der fünfjährigen Begleitung von 18 Modellkom-        nisationales Lernen. Wie dies alles jeweils geschehen
munen (2012–2016) im Vorgänger-Projekt „Kein Kind        kann, ist Gegenstand der weiteren Ausführungen. Dass
zurücklassen“ wurde in enger Abstimmung mit den          es geschieht, dient einer Absicherung der Nachhaltig-
teilnehmenden Kommunen ein empirisch belastbarer         keit der kommunalen Gesamtstrategie.
Qualitätsrahmen erarbeitet. Dieser diente den 22 neuen
Kommunen der zweiten Projektphase (2017–2019) als        Auch dieser Qualitätsrahmen liefert keine „Schritt-für-
Arbeitsgrundlage – und allen 40 Programmkommunen         Schritt-Anleitung“ für den Aufbau von Präventions-
als Arbeitsinstrument. Nicht zuletzt auf der Grundlage   ketten, sondern vielmehr eine fachliche Rahmung und
der breiten Rückmeldungen aus der Praxis in Kommu-       theo­retische Grundlage. Das „Handbuch für Kommu-
nen konnte der Qualitätsrahmen weiterentwickelt und      nen“ bietet zudem praxisbezogene Umsetzungshilfen
aktualisiert werden, sodass er nun als Neuausgabe        und Tools, etwa in Form von Checklisten und Praxis-
vorliegt. Wesentliche Änderungen beziehen sich auf die   handreichungen. Sie dienen als ergänzende Arbeitsma-
                                                         terialien und schlagen so die Brücke von der Theorie in
 	Hervorhebung der Sinnfokussierung und Wissens-        die Praxis – oder von der strategischen auf die operative
   basierung in jedem Umsetzungsschritt,                 Ebene.

 	stärker an den kommunalen Handlungsmöglich-
   keiten orientierte Zielkonkretisierung sowie

 	die Erarbeitung eines erweiterten Wirkungs­­ver­
   ständnisses.
6     Fachliche Rahmung

    FACHLICHE RAHMUNG
    Das primäre Ziel im Landesprojekt „kinderstark – NRW        gemeinsame Gestaltungsaufgabe explizit, viele andere
    schafft Chancen“, allen Kindern und Jugendlichen            Elemente des Qualitätsrahmens (z.B. die Präventions-
    ein chancengerechtes, gelingendes Aufwachsen zu             leitlinie „Soziale Inklusion“) implizit.
    ermöglichen, ist nur durch enge Zusammenarbeit zu
    erreichen.                                                  Zur Umsetzung des Aufbaus kommunaler Präven­
    In den Kommunen wird vor Ort daran gearbeitet, ein          tionsketten versammeln sich die Programmkommunen
    bereichsübergreifendes Netzwerk aufzubauen, um              unter der Leitprogrammatik eines gelingenden
    Kindern, Jugendlichen und Familien durch passgenaue         Aufwachsens. Sie fassen diese Leitorientierung in
    und aufeinander abgestimmte Angebote wirksame               strategische Zieldimensionen wie Bildungs- und
    Unterstützung anbieten zu können.                           Chancengerechtigkeit, gesundes Aufwachsen, um-
    Die „Servicestelle Prävention“ reflektiert und verdichtet   fassende Teilhabe sowie Förderung einer kinder- und
    die einzelkommunalen Erfahrungen und die vor Ort            familienfreundlichen Gesellschaft. Sie müssen dabei –
    jeweils eingeschlagenen Wege mithilfe von Methoden          ungeachtet der oftmals hoch gesteckten strategischen
    der Qualitätsentwicklung, speist im Lernnetzwerk den        Ziele – ihre durchaus begrenzten kommunalen Hand-
    wissenschaftlichen und fachdiskursiven State of the         lungsmöglichkeiten berücksichtigen, um zu praxis­
    Art ein, stellt zielführende Formate für den interkom-      relevanten Lösungen zu gelangen. Dennoch wollen
    munalen Wissenstransfer zur Verfügung und bildet die        sie die Chance ergreifen, die sich ihnen durch das
    Schnittstelle zu Landespolitik und zu themenrelevanten      gemeinsame Wirken („Collective Impact“) ihrer jewei-
    landesweiten Institutionen und Programmen.                  ligen institutionellen und persönlichen Beiträge bietet:
                                                                das Finden passgenauer Lösungen für eine Überwindung
    Um das gemeinsame Ziel zu erreichen, müssen alle            ungleicher Lebenslagen. Lösungen, die der Lebenswirk-
    beteiligten Institutionen, Träger und Einrichtungen ler-    lichkeit der vor Ort lebenden Menschen entsprechen.
    nen, gemeinsam „vom Kind her zu denken“ und noch            Dies ist nur durch die umfassende und zielgenaue Betei-
    besser koordiniert zusammenzuarbeiten. Dabei ist zu         ligung eben dieser Menschen an kommunalen Planungen
    berücksichtigen, dass es ungeachtet übergreifender          und eine breite Trägerschaft auf allen Ebenen möglich.
    Entwicklungsherausforderungen und institutioneller          Dies ist immer noch eine große und herausfordernde
    Regulierungen (z.B. Schulpflicht) keine einheitlich         Aufgabe, für die der überarbeitete Qualitäts­rahmen
    geprägte „Lebensphase Kindheit“ gibt (vgl. Betz 2008).      grundlegende Herangehensweisen aufzeigt!
    Die Startchancen und Lebenslagen von Kindern und
    Jugendlichen sind durch gesellschaftliche Ungleich­         Mit den konzeptionellen Neuerungen des überarbei-
    heiten geprägt. Diese drücken sich in vielen, sich          teten Qualitätsrahmens soll erreicht werden, dass der
    überschneidenden Ausprägungen aus, z.B. Sozialmi­           Präventionskettenansatz zum einen Wirkung in der un-
    lieu­zugehörigkeit, sozialräumliche Segregation,            mittelbaren Praxis mit den Adressat*innen zeigt – und
    Stadt-Land-Differenz, Familienform und Kinderzahl, Ge-      zum anderen eben diese Praxis konzeptionell reflektiert
    schlecht, (Selbst-)Ethnisierung, sexuelle Orientierung,     weiterentwickelt wird.
    psychische und/oder physische Beeinträchtigung. Die
    Überschneidungen sind vielschichtig und bündeln sich        Der Weg zwischen strategischer und operativer Ebene
    oftmals zu mehrfach benachteiligenden Lebenslagen.          erscheint aus Sicht der „Servicestelle Prävention“
    Aus der Ungleichheit ergeben sich Herausforderungen,        in der kommunalen Praxis oft langwierig und häufig
    die sich sämtlich in der kommunalen Lebenswirklichkeit      auch als Einbahnstraße etabliert zu sein, in der Praxis­
    niederschlagen, ohne aber im Wirkungsfeld Kommune           erfahrungen nicht immer hinreichend strategisch
    umfassend bearbeitbar zu sein. Die Präventionsleitlinie     reflektiert werden. Auch das Planen und Handeln mit
    „Ungleiches ungleich behandeln“ erfasst diese               Adressat*innen anstatt für Zielgruppen soll deutlicher
Fachliche Rahmung   7

Collective Impact/Gemeinsam Wirken                        Machtpromotor*innen treiben Veränderungs-
                                                          prozesse qua Amts- und Entscheidungskompe­tenz
Komplexe gesellschaftliche Probleme können nur            aktiv voran. Um Innovationen durchzusetzen,
durch eine bereichsübergreifende Kooperation              muss die Macht allerdings nicht ausgeübt werden,
all jener Akteure, die von ihnen tangiert sind,           viel mehr ist allein die Möglichkeit ausreichend.
erfolgreich bearbeitet werden. Um ein entspre-
chendes gemeinsames Wirken zu erzielen, muss              Fachpromotor*innen verfügen über das nötige
man dabei                                                 Fach- und Methodenwissen, um Innovationspro-
                                                          zesse intensiv zu fördern. Im Prozess entwickeln
    eine gemeinsame Vision und Zielsetzung                sie sich immer mehr zu Spezialist*innen und
    erarbeiten,                                           geben ihre Kenntnisse an die anderen Beteilig-
                                                          ten weiter, ihre hierarchische Position ist dabei
   sich auf realistische und praxisnahe Wir-             unerheblich.
    kungsannahmen verständigen,
                                                          Quelle: vgl. Wienzek, T. (2014)
    Maßnahmen so konzipieren, dass sich ihre
    intendierten Effekte wechselseitig verstärken
    und jeder Akteur seine besondere Stärke und
    Expertise einbringen kann,
                                                       Für ein solches Vorhaben kann es keinen universellen
    miteinander im transparenten Wirksamkeits-         Masterplan geben, denn keine kommunal und so­
    dialog stehen und                                  zialräumlich geprägte Lebenswirklichkeit ist wie die
                                                       andere. Jede Kommune hat auf institutioneller Ebene
    das gemeinsame kommunale Handlungskon-             ihre eigene Ausgangslage, Kultur der Zusammenarbeit
    zept durch eine hauptamtliche, verbindliche        und Ressourcenausstattung. Umso wichtiger ist es,
    Koordinierung begleiten und absichern.             einen verbindenden Orientierungsrahmen zur Verfü-
                                                       gung zu stellen, mit dem die Kommunen einzeln – und
Die Lokomotivfunktion von Fach- und                    gemeinsam im Lernnetzwerk – arbeiten können, um
Machtpromotor*innen ist bei der Umsetzung              ihren individuellen Weg beim Aufbau der kommunalen
von großer Bedeutung.                                  Gesamtstrategie mit den eingeschlagenen Routen
                                                       anderer Programmkommunen zu vergleichen.
Quelle: vgl. FSG/Bertelsmann Stiftung (2016)
                                                       Als zentrale Lesehilfe zur Nutzung des Qualitätsrah-
                                                       mens wird im ersten Teil das Konzept der Sinnfo-
                                                       kussierung als Charakteristikum für die Gestaltung
                                                       kommunaler Präventionsketten erläutert: Soll deren
                                                       Innovationskraft in den Routinen von Kommunalverwal-
                                                       tung und anderen beteiligten Institutionen dauerhaft
in den Fokus gestellt werden. Denn nur so kann das     bestehen bleiben, muss man sich im Netzwerk fort-
Alltagswissen der von ungleichen Lebenslagen Betrof-   während vergegenwärtigen und ggf. neu orientieren.
fenen hinreichend in die Maßnahmenplanungen ein-       Welche Ziele wollte und will man eigentlich gemeinsam
fließen. Angebote und Maßnahmen werden so passge-      erreichen? Und warum soll dies effizienter in Koope-
nauer und den Bedarfen der Adressat*innen gerechter.   ration mit anderen gelingen? Im Qualitätskreislauf
8     Fachliche Rahmung

    selbst (zweiter Teil) werden zunächst die allgemeinen      Praxisformen (und nichts anderes sind Präventions-
    Präventionsleitlinien vorgestellt, die sich als primär-    ketten) vornehmen: Demnach formen nicht Men-
    präventive Hintergrundfolie auf die Präventionskette       schen soziale Praxis, vielmehr werden Letztere als
    als Ganzes beziehen. Aufbauend auf den Leitlinien wird     „Partizipand*innen“ (vgl. Bollig/Kelle 2014) durch ihr
    der Aufbau einer kommunalen Gesamtstrategie im             Einbezogensein in diese Praxis erst in spezifischer
    Detail beschrieben. Die vier Stationen formatieren den     Weise zu Individuen geformt bzw. umgeformt. Und
    Prozess des Auf- und Ausbaus von Präventionsketten         deshalb ist es etwas grundlegend anderes, in defizito-
    und bieten fachliche Orientierung für die inhaltliche      rientierter Weise „Zielgruppen“ (z.B. Alleinerziehende,
    Ausgestaltung. In einem dritten Teil wird dann das         Mehrkindfami­lien, Migrant*innen) zu definieren – und
    Konzept der „Wissensbasierung“ als fachlich leitende       für diese dann Angebote zu konzipieren – als sie als
    Gesamt­perspektive dargestellt.                            Adressat*innen zu verstehen, von deren artikulierten
                                                               Bedarfen her eben diese Angebote entwickelt werden.
    Der so entstehende konzeptionelle Rahmen umfasst           Je nachdem, wie diese Basisentscheidung (z.B. fach-
    die Prozesslogik des Aufbaus kommunaler Präven­            planerisch) getroffen wird, bekommt man eine andere
    tionsketten als eine aus Sicht der Qualitätsentwicklung    soziale Wirklichkeit – im Sinne einer in Ko-Konstruktion
    sinnvolle und auch notwendige Herangehensweise.            von Institutionen und Betroffenen erzeugten Praxis-
                                                               form „Präventionskette“ – in den Blick.
    Dazu ein Beispiel: Die von einer Architektin bei der
    Planung eines sehr individuell gestalteten Hausbaus        Zusätzlich zu dem hier vorgelegten Qualitätsrahmen
    zu beachtende Prozesslogik umfasst zum Beispiel die        findet sich ein detaillierteres Qualitätshandbuch, das
    Prüfung der Tragfähigkeit des Untergrundes, die Konzi-     Einzelthemen und Gestaltungsherausforderungen
    pierung eines stabilen Fundaments und die Befolgung        methodisch-fachlich vertiefend aufarbeitet und Ar-
    der Gesetze der Statik; auch wird sie gewisse Leitlinien   beitshilfen zur Umsetzung bereitstellt.
    und Standards der Bauzeichnung berücksichtigen.
    Vor allem aber wird sie die Koordination der Gesamt-       Diese Qualitätsmaterialien der „Servicestelle Präven-
    planung, das „Big Picture“, im Auge behalten müssen,       tion“ leiten die landesweite Umsetzung des als erfolg-
    denn niemand wird sie für ihre Arbeit entlohnen, wenn      reich nachgewiesenen1 Aufbaus kommunaler Präven­
    sie zwar alle Standards und Normen befolgt hat, die        tionsketten im Sinne einer Gesamtstrategie­entwicklung
    Gesamtplanung aber im wahrsten Sinne des Wortes            in Nordrhein-Westfalen an.
    „nicht tragfähig“ ist.

    Beim Aufbau kommunaler Präventionsketten sind
    es die hauptamtlichen Koordinator*innen, die als
    Architekt*innen dieses „Big Picture“ vornehmlich im
    Auge behalten müssen – auch wenn die Vorgaben vom
    „Bauherren“ (kommunale Spitze, Steuerungsgruppe)
    sowie aus dem Netzwerk kommen. An eben diese
    Koordinationsfachkräfte richtet sich der vorliegende
                                                                                           1
                                                                                               Siehe externe Programm­
    Qualitätsrahmen daher an erster Stelle. Darüber hinaus
                                                                                               evaluation von Ramboll
    soll er aber auch in den übergreifenden Fachdiskurs                                        Management Consulting GmbH.
    einfließen und Brücken zu wissenschaftlichen Debat-                                        Online: www.kinderstark.nrw/
    ten (sogenannte Praxistheorien) schlagen, die eine                                         toolbox/publikationen
    alltagspraktisch sehr ungewohnte Analyse sozialer
Fachliche Rahmung    9

Vom Zielgruppenansatz zum Einbezug von Adressat*innen

Die Frage der Adressat*innenbeteiligung markiert         Outcome und Impact zu artikulieren. Und sie können
eine grundlegende Richtungsentscheidung in der           dies kleinschrittig, z.B. schon während der Auswahl
Gestaltung eines kommunalen Netzwerks. Ohne das          von Angebotsschwerpunkten und -formaten sowie der
kleinschrittige, an den einzelnen Prozessschritten       Formulierung entsprechender Wirkungsannahmen
von Angebotsplanung und -umsetzung orientierte           tun. An diesen Rückmeldungen kann sich die Lern­
Einholen von Feedbacks der Adressat*innen sind           kurve der gemeinsamen Optimierung dann ausrichten.
die am Netzwerk beteiligten Institutionen bei der
objektivierenden Definition von Zielgruppen auf die      Damit verändert sich die Prozesslogik des Netzwerks,
Einschätzung ihrer Fachkräfte sowie auf sozialstatis-    weil sich dessen Erfolgskontrolle an einem anderen
tische Analysen beschränkt. Feedback erhält man im       Maßstab ausrichtet. Sozial konstruierte Zielgruppen
Netzwerk dann nur voneinander bzw. über das Maß an       sind keine Partizipand*innen der Präventionskette,
(Nicht-)Inanspruchnahme, Outcome und Impact bei          Adressat*innen sind dies durchaus. Zugleich defi-
der Zielgruppenerreichung. Dieses Feedback bezieht       niert das Präventionsnetzwerk als Ganzes, welcher
sich immer auf fertig vorkonzipierte und durchgeführte   Akteurstatus Letzteren dabei zugewiesen wird. In
Angebote und Maßnahmen. Zur sozialen Realität des        diesem spezifischen Sinne wird im Weiteren der Begriff
Netzwerks gehört lediglich das verwendete Zielgrup-      „Adressat*innen“ verwendet.
penkonzept und darauf bezogene Wirkungsannahmen
– ­als Akteur im Netzwerk tritt die Zielgruppe dabei
aber dann nicht auf.

Werden die Menschen, um die es geht, hingegen als
Adressat*innen in die Gestaltung des Netzwerks
einbezogen, so werden sie auch in die Lage versetzt,
sich selbst zu Gründen von (Nicht-)Inanspruchnahme,
10    Sinnfokussierung

     SINNFOKUSSIERUNG
     Das Ziel, dass alle Kinder und Jugendlichen in Nordrhein-   das WIE (› HOW) und das WAS (› WHAT). Ein jedes
     Westfalen in einer gesunden sowie lernförderlichen          Vorhaben soll demnach nicht mit den Überlegungen
     Umgebung aufwachsen sollten, ist unumstritten. Es           zum Ergebnis, zum Produkt oder zu einer konkreten
     bleibt aber die Frage, weshalb dieses anspruchsvolle        Handlung beginnen, sondern mit jener inneren Über-
     Vorhaben mit dem Präventionskettenansatz auf der            zeugung und Motivation, die überhaupt erst legitimiert
     Ebene der Kommunalverwaltungen angegangen wer-              und motiviert, dass etwas getan wird. Erst im zweiten
     den sollte. Diese Frage wird nachfolgend anhand des         Schritt wird dann erarbeitet, wie was umgesetzt und
     „Golden-Circle“-Modells von Simon Sinek beantwortet.        implementiert werden kann, um etwas zu erschaffen,
                                                                 das dem fokussierten Sinn entspricht.
     Simon Sinek entwickelte 2009 den „Golden Circle”, der
     besagt, dass jeder Mensch, jeder Konzern, jedes Pro-        Im Folgenden werden die drei Ebenen des „Golden
     jekt erfolgreicher ist, wenn am Beginn eine Überzeu-        Circle“ der Präventionskette im Detail erläutert, um die
     gung, ein höherer Sinn, eine Vision steht. Diese Wurzel     Sinnfokussierung der Gesamtstrategie zu verdeutlichen.
     der Leidenschaft und Inspiration nennt er das WARUM
     bzw. WOFÜR (› WHY). Erst aus dem WHY entstehen

                                                                    Sinnfokussierte Strukturierung

                                                                    Eine sinnfokussierte Strukturierung kommunaler
                                                                    Präventionsketten zeichnet sich im Anschluss an
                                                                    dieses Modell dadurch aus, dass sie

                                                                     	das Warum und Wofür (› WHY) des gemein-
                                     WHAT?                             samen Handelns grundwertorientiert beant-
                                                                       wortet: „Ein kinder- und familienfreundliches
                                                                       Gemeinwesen sein zu wollen, prägt uns als
                          HOW?                                         Kommune“;

                                                                     	das Wie (› HOW) am Modell der „lernenden
                                                                       Organisation“ (Senge 2011) in Kategorien von
                WHY?
                                                                       Qualitätsentwicklung orientiert: „Über
                                                                       getrennte Zuständigkeiten und Organisa­
                                                                       tionsinteressen hinaus wollen wir gemeinsam
                                                                       besser werden“; und

                                                                     	das Was (› WHAT), also die Entwicklung kon-
                                                                       kreter Netzwerkstrukturen und Maßnahmen,
                                                                       wissensbasiert ausrichtet: „Das vorhandene,
                                                                       verteilte Wissen bündeln wir, um unsere ge-
                                                                       meinsamen Ziele zu erreichen.“

                                                                    Literaturtipp: Sinek/Mead/Docker (2019)
Sinnfokussierung   11

»WHY?« – KOMMUNALE DASEINSVORSORGE
ALS GEMEINGUT

„Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen“ –      Commons
mit diesem Sprichwort wird häufig auf die Bedeutung
des Gemeinwesens für gelingendes Aufwachsen ver-             Der angelsächsische Fachbegriff wird im Deut-
wiesen. Ungeachtet der die Dorfgemeinschaft unge-            schen häufig als „Gemeingut“ oder „Gemein-
rechtfertigt romantisierenden Anklänge überschneiden         schaftseigentum“ übersetzt. Als Commoning
sich dabei mehrere Bedeutungsebenen, und zwar die            bezeichnet er den Prozess der Erzeugung von
Betonung der Rolle                                           als „Gemeingütern“ geltenden Produkten.
                                                             Man lenkt den Blick dabei auf Nutzungs- und
 	kommunaler Daseinsvorsorge im Grund­verständnis           Zugangsregeln zu eben diesen Produkten und
   von Kommune als einem über die Kommunalverwal-            Dienstleistungen. Durch Gebührenerhebung für
   tung hinausreichenden Gemeinwesen,                        die Nutzung von Allgemeingütern können diese
                                                             zur Ware werden (z.B. Maut für die Straßennut-
 	der gemeinschaftlich getragenen Verantwortung im          zung). Andersherum kann der Warencharakter
   Sinne einer kinder- und familienfreundlichen Gesell-      auch (eingeschränkt) aufgehoben werden (z.B.
   schaft,                                                   Lernmittelfreiheit, kostenloser Kitazugang).

 	eines bereichsübergreifenden und multiprofessio-          Literaturtipp: Helfrich/Heinrich-Böll-Stiftung
   nellen Handelns und                                       (Hrsg.) (2014). Freier Volltextzugang unter:
                                                              www.transcript-verlag.de/978-3-8376-2835-7/
 	der subjektorientierten Perspektive auf die Einma-        commons/
   ligkeit und Unverwechselbarkeit eines jeden Kindes.

Nicht ganz unproblematisch ist dabei die Dorf­
metapher: Gemeinschaftsaufgaben und die damit
zusammenhängende Produktion von Gemeingütern              für alle sowie die umfängliche Gestaltung anregender
(„Commons“) stellen nämlich permanente Herausfor-         Lern- und Lebensumgebungen im Nahraum der Men-
derungen für moderne Gesellschaften dar, sind also        schen voranbringen. Damit wird die Präventionskette
keineswegs ein Überbleibsel in einer im Kern markt-       zum „Common“ – und das adressat*innenorientierte
und profitorientierten Gesellschaftsordnung. Gerade       Netzwerken in ihr zum „Commoning“. Auch zwischen
Erziehung ist das Musterbeispiel für ein Handlungsfeld,   den an der Präventionskette beteiligten Institutionen
das sich nicht markt- und organisationsförmigen Hand-     und Organisationen sucht man nicht nur nach einer
lungslogiken unterordnen lässt, sondern die Gemein-       Win/Win-Situation im Sinne der interinstitutionellen
schaft (vor allem im Familienkontext) voraussetzt. Die    Schnittstellenoptimierung, sondern versucht, gemein-
institutionell fokussierte Gestaltung kommunaler Prä-     sam vom Kind her zu denken und die jeweiligen Res-
ventionsketten sollte diese zentrale Funktion lebens-     sourcen entsprechend zu bündeln. Schon der gemein-
und alltagsweltlich fundierter Gemeinschaften immer       same ernsthafte Versuch, sich diesem Ziel anzunähern,
im Blick behalten, da sonst eine wesentliche Quelle von   irritiert dabei sehr stark das eingeschliffene Denken
Chancenungleichheit – aber auch eine zentrale Res-        in getrennten Zuständigkeiten und die vorrangige
source zu deren Abbau – aus dem Blick geraten kann.       Orientierung auf den Vorteil der eigenen Organisation,
                                                          Einrichtung oder Verwaltungseinheit.
Unter Leitbegriffen wie Primär- und Verhältnispräven-
tion will man bei der Gestaltung kommunaler Präven-       In der Präventionskette sollten daher Gemeinschaf-
tionsketten niedrigschwellige Zugänge zu Angeboten        ten wie Familien, Peer Groups, Communities etc. die
12    Sinnfokussierung

     pädagogisch inszenierten Settings stützen. Dafür ist es   Möglichkeit nicht rein additiv zu diesen hinzugefügt
     wichtig, dass Angebote und Maßnahmen                      werden. Kommunale Präventionsketten eignen sich
                                                               dazu, diese verhältnispräventive Gestaltungsperspek-
      	möglichst stigmatisierungsfrei im Kontext gemein-      tive aufzunehmen. Denn auf dieser Ebene braucht man
        samen Lebens und Lernens,                              in der Tat das „ganze Dorf“, um Rahmenbedingungen
                                                               gelingenden Aufwachsens zu gestalten und zu verbes-
      	vorrangig primärpräventiv mit Zugang für alle          sern. Dies macht einen wesentlichen Teil des Sinns (des
        Kinder, Jugendlichen und Familien,                     › WHY) der kommunalen Netzwerkbildung zur Gestal-
                                                               tung der kommunalen Gesamtstrategie aus.
        mit dem Schwerpunkt Verhältnisprävention sowie
                                                               Das Wirkungsfeld Kommune eignet sich besonders
        beteiligungsorientiert und wertschätzend               gut, um Verhältnisprävention systematisch, kleinräu-
                                                               mig gestaffelt und einrichtungsnah umzusetzen. Im
     in diese Gemeinschaften eingebettet werden. Er-           Unterschied zu häufig bereits sozial stark entmischten
     schwert wird dies mitunter durch hohe Zugangsvor-         Quartieren und Einrichtungen sind die Ressourcen der
     aussetzungen zu den Angeboten. Diese können dann          Gesamtkommune in der Regel groß genug, um der
     (ungewollt) zu sozialen Sortier- und Stigmatisierungs­    fachlichen Leitlinie „Ungleiches ungleich behandeln“
     effekten führen und Teilhabe verhindern (z.B. teure       folgen zu können. Kommunen verfügen zudem in der
     Schulausflüge; ungünstige Angebotszeiten; das Sicht-      Regel über präventionsrelevante Infrastrukturen und
     barwerden von Kostenbefreiungen; Beschaffungskos-         Helfersysteme (z.B. alle weiterführenden Schulstufen;
     ten für Equipment und Instrumente bei sportlichen und     pädiatrische Praxen). Außerdem erlaubt die einzel­
     musisch-kulturellen Aktivitäten).                         kommunale Ebene einen fachplanerischen Überblick
                                                               über konkrete Lebenslagen, Ausgangs- und Problem-
     Es ist schwer, in einer vorwiegend verhaltens­            konstellationen.
     präventiven, am einzelnen Kind ansetzenden Pers-
     pektive diese Zugangsbarrieren vollständig zu vermei-     Welche Voraussetzungen und Gelingensbedingungen
     den. Hilfreich ist es daher, wenn solche Barrieren im     lassen sich im Sinne der weiter oben ausgeführten Pro-
     vertrauensvollen Zusammenspiel von Eltern, Kindern        zesslogik benennen, um kommunale Präventionsketten
     und Fachkräften schon im Vorfeld beseitigt und            als Gemeingut zu verankern? Zunächst muss dafür das
     entsprechende Unterstützungsmöglichkeiten (z.B.           Gemeinwesen versammelt werden und sich zu diesem
     im Kontext „Bildungs- und Teilhabe­paket“) stigmati-      gemeinsamen Vorhaben bekennen. Neben der Ver-
     sierungsfrei zugänglich gemacht werden. Kommunale         waltungsspitze, den präventionsrelevanten Bereichen
     Präven­tionsketten gehen daher einen anderen, stärker     der Kommunalverwaltung und Repräsentant*innen
     verhältnispräventiv ausgerichteten Weg. Dabei folgt       aus Zivilgesellschaft, Schulaufsicht und weiteren
     man einer Strategie der Kontextbeeinflussung, deren       Akteuren, wie z.B. aus Wirtschaft, Sport und Kultur,
     Potenziale bislang bei Weitem nicht ausgeschöpft sind:    braucht es dafür auch das konkrete Fachkräftewis-
     Anstatt unmittelbar auf das individuelle Verhalten der    sen. Ein wichtiges künftiges Entwicklungsfeld ist die
     Adressat*innen einzuwirken, verändert man relevante       systematische und zielführende Einbeziehung der
     Umfeldbedingungen, um anregende Lern- und Le-             Adressat*innenperspektiven, sei es im Rahmen
     bensumgebungen zu schaffen und so indirekt auf das        direkter Beteiligung bei der Entwicklung von Ange-
     Verhalten einzuwirken. So sollten neue Angebote und       boten, der Quartiersgestaltung sowie bei themen­
     Strukturen systematisch mit Regeleinrichtungen,           relevanten Planungsvorhaben oder auch in der Form
     Quartieren und Netzwerken verknüpft und nach              des Einbezugs zivilgesellschaftlicher Organisationen
Sinnfokussierung   13

und Interessenvertretungen (z.B. Eltern-/                  Heterogen zusammengesetzte Versammlungen
Schüler*innenvertretungen, Vereine, Kinder- und            können sich nur dann auf eine kommunale Agenda ver-
Jugendgremien, Migrant*innenselbstorganisatio­nen).        ständigen und diese über einen längeren Zeitraum mit
Wo dies nicht möglich oder zielführend erscheint,          Engagement verfolgen, wenn sie sich dafür auf einen
sollten Adressat*innenperspektiven zumindest durch         gemeinsamen, handlungsleitenden Sinn fokussieren.
entsprechende Befragungen und Bedarfsermittlungen          Unabhängig vom konkreten Inhalt muss eine Vertrau-
in den Blick geraten. Weniger zielführend ist es, in       ensbasis entstehen und die Idee eines kommunalen
Planungsämtern und Gremien auf der Basis (klein-           Gemeinwesens und einer kommunalen Daseinsvorsor-
räumiger) sozialstatistischer Analysen von objektiven      ge als gemeinsamer Aufgabe lebendig sein.
Risikolagen direkt auf daraus vermeintlich resultierende
subjektive Belastungssituationen der Betroffenen
zu schließen.
14    Sinnfokussierung

     »HOW?« – DIE PRÄVENTIONSKETTE ALS
     GESTALTUNGSANSATZ

     Ist die grundlegende Entscheidung gefallen, im Sinne          benendifferenzierung in der Präventions-
                                                                  E
     einer kommunalen Gesamtstrategie die kommunale               kette: In den strategisch als prioritär ausgewählten
     Präventionskette als Gemeingut zu etablieren, dann           Gebietskulissen, Altersgruppen und Schwer-
     gilt es diese mit dem notwendigen „Equipment“ aus-           punktthemen muss sichergestellt werden, dass
     zurüsten. Dieses umfasst mindestens die folgenden            präventionsrelevante Maßnahmen passgenau und
     Elemente:                                                    beteiligungsorientiert aufeinander abgestimmt
                                                                  sind und weiterentwickelt werden. Es sind also
      	Hauptamtliche Koordinierung: Das sehr an-                 auch wiederum auf diesen konkreteren, operativen
        spruchsvolle Aufgabenspektrum und -profil erfor-          Handlungsebenen Strukturen und Verfahrensschrit-
        dert eine Personalressource von mindestens einer          te zu etablieren, die eine träger- und bereichsüber-
        Vollzeitstelle.                                           greifende Gleichsinnig­keit der Angebotsentwicklung
                                                                  ermöglichen, um so ein gemeinsames Wirken zu
         teuerungsstruktur: Ein hochrangig besetztes
        S                                                         ermöglichen. Wesentlich sind die Vernetzung und
        Steuerungsgremium auf mindestens Amtsleitungs-            die enge Kommunikation zwischen strategischen
        und Fachplanungsebene bietet die Voraussetzung            und operativen Handlungsebenen in beide Richtun-
        für eine verwaltungs­bereichs- und ggf. auch träger-      gen („Gegenstromprinzip").
        übergreifende Zusammenarbeit auf allen nachge-
        ordneten Ebenen der Linienorganisation sowie eine      Während am › HOW der Umsetzung des Präven­
        zielführende Kommunikation und Vertretung des          tionskettenansatzes gearbeitet wird, darf das › WHY,
        fokussierten Sinns auf höheren Ebenen. Die Steue-      also der Sinn und Zweck, nicht aus den Augen verloren
        rungsstruktur ist strategischer Teil eines umfassen-   werden. Daher ist es wichtig, dass die hauptamtliche
        den Netzwerks, das in geteilter Verantwortung am       Koordinierung dafür Sorge trägt, dass sich das Netz-
        gemeinsamen Sinn des Vorhabens arbeitet.               werk immer wieder auf die Gemeingutorientierung
                                                               fokussiert und sich bewusst bleibt, dass das Ziel nur
      	Ablauforganisation und verbindliches Projekt-          gemeinschaftlich und sinnfokussiert erreicht werden
        management: Die bereichsübergreifende Zusam-           kann. Schnell verselbstständigen sich die Aktivitäten
        menarbeit muss sich auf eine Beschlusslage (z.B.       zu einem auf Verwaltungs- und Organisationslogiken
        des Verwaltungsvorstands und der zuständigen           fixierten Ansatz der ämterübergreifenden und inter­
        Ausschüsse) stützen können: Leitbilderstellung,        institutionellen Schnittstellenoptimierung.
        Ausarbeitung von Zielkaskaden und Optimierung
        der Datengewinnungsstrategien zur Ermöglichung         Eine gute Möglichkeit, diesen Ansatz zu erweitern,
        wissensbasierten Handelns sind dann Schritte zur       besteht darin, Fachkräfte, Eltern, Kinder und Jugendli-
        Erarbeitung einer kommunalen Gesamtstrategie.          che angemessen und strukturbildend zu beteiligen, also
                                                               keine starre „Systemgrenze“ zwischen Institutionen und
         ormate und Tools zur Erarbeitung einer kom-
        F                                                      Adressat*innen entstehen zu lassen bzw. fortzuschrei-
        munalen Gesamtstrategie: Das Spektrum reicht           ben. Wie bereits erwähnt, ist diese direkte Beteiligung
        von Veranstaltungsformaten (Auftakt-, Zwischen­        auf der gesamtstrategischen Ebene nicht immer mög-
        bilanzworkshop etc.) über IT-Tools zur verwaltungs-    lich (bzw. häufig eher durch den Einbezug von Ergeb-
        übergreifenden Datennutzung (z.B. einheitliches        nissen aus Adressat*innenbefragungen als durch die
        Geoinformationssystem) bis zu Apps zur (nutzer-        direkte Interaktion), im stärker operativen Bereich wird
        freundlichen und planungskompatiblen) Erfassung        sie dann aber zur Gelingens­bedingung, insbesondere
        und Reflexion des Angebots­spektrums.                  mit Blick auf eine verstärkte Wirkungsorientierung.
Sinnfokussierung    15

Handlungsfelder sind:                                       	(Kleinräumig gestaffelte) Vernetzung von Einrich-
                                                              tungen und Helfersystemen im Sinne des Aufbaus
 	Weiterentwicklung von Regeleinrichtungen (z.B.            von Präventionsketten und Bildungslandschaften.
    Kitas, Familienzentren und Schulen) mit den
    Schwerpunkten                                          Die Prozesslogik zur Weiterentwicklung der kommunalen
                                                           Gesamtstrategie kann dann im Rahmen des Qualitäts-
    	Stärkung lebensweltbezogener, beteiligungs­          managements als Qualitätskreislauf immer wieder
      orientiert zu entwickelnder Aktivitäten der Kinder   durchlaufen werden. In der Praxis umfasst dies (zumin-
      und Jugendlichen (z.B. im Ganztag)                   dest zu Beginn) häufig auch Parallelaktivitäten an den
                                                           einzelnen Stationen des Qualitätskreislaufs. Die Prozess-
    	Verankerung fachlicher Präventionsperspektiven       logik übersetzt sich also nicht zwingend in ein chronologi-
      direkt in der (pädagogischen) Grundversorgung        sches Durchlaufen der einzelnen Stationen. Dabei werden
      (z.B. durch gezielte didaktische Förderung per-      zunächst die als relevant gesetzten kommunalen Akteure
      sonaler und sozialer Kompetenzentwicklung im
      Schulunterricht)                                        zur Fixierung eines Leitbilds (Station 1) und

    	Vernetzung und Bündelung in der Einrichtung be-       	einer Steuerung und Zielentwicklung zur Gestal-
      reits vorhandener Helfersysteme (z.B. Schul- und        tung der Präventionskette (Station 2) versammelt,
      Kita-Sozialarbeit, Personal im Ganztag, Integra­        um den so gewonnenen strategischen Bezugsrah-
      tionshelfer*innen)                                      men dann

    	Intensivierung und Einbindung primär verhält-         	auf die realen Handlungsmöglichkeiten und
      nispräventiv ausgerichteter Angebote und Maß-           entsprechende Wirkungsannahmen im kommu-
      nahmen im Bereich Gesundheitsförderung                  nalen Gemeinwesen hin zu konkretisieren und ein
                                                              entsprechendes kommunales Handlungskonzept
   Quartiersentwicklung als                                   umzusetzen (Station 3), um schließlich

    	Schaffung von Ankerpunkten im Nahraum mit             	die aufgestellten Wirkungsannahmen so engma-
      Unterstützungsangeboten auch für Eltern (z.B.           schig wie möglich auf sachliche Angemessenheit
      Familienbüros, Familienzentren)                         und Erfüllungsgrad hin zu analysieren, um den
                                                              Gesamtansatz daraufhin zu reflektieren und ggf.
    	Etablierung von Clearing- und Lotsensystemen            neu auszurichten bzw. anzupassen (Station 4).
      zur passgenauen Bedarfsermittlung und be-
      reichsübergreifenden Weitervermittlung inner-        Diese umfassende Wissensbasierung transformiert
      halb der Präventionskette                            den eher konventionellen Ansatz des Qualitätsmanage-
                                                           ments in einen Institutions- und Organisationsgrenzen
    	Einbindung offener Angebote und Einrichtungen        überschreitenden, innovativen Netzwerkansatz. Man
      der Jugendarbeit, von Vereinsaktivitäten und         konzentriert sich dabei im Netzwerk nicht auf sich
      bürgerschaftlichem Engagement                        selbst, sondern darauf, gemeinsam „vom Kind her zu
                                                           denken“. Eine der wichtigsten Entwicklungsherausfor-
    	enge Verknüpfung pädagogisch und gesundheits-        derungen ist es dabei, Kinder und Jugendliche selbst
      fördernd ausgerichteter Aktivitäten mit der Stadt-   altersgemäß an allen sie betreffenden Angelegenheiten
      und Raumplanung                                      zu beteiligen.
16     Sinnfokussierung

     »WHAT?« – FORMATE DER KOMMUNALEN
     HANDLUNGSSTRATEGIE

     Aufbauend auf dem Sinn der kommunalen Präven­                uftakt- und Zwischenbilanz-Workshops: Die
                                                                 A
     tionskette, geht es im › WHAT um die sinnfokussierte        kommunalen Entscheidungsträger*innen versam-
     Erstellung einer kommunalen Handlungsstrategie.             meln sich in Abstimmung mit der hauptamtlichen
     Dies bedeutet zum einen, dass in jedem Umsetzungs-          Koordination als relevant gesetzten Akteure der
     schritt die gemeinsame Bindung („Commitment“) der           strategischen Ebene zu einem Kreativprozess, um
     beteiligten Akteure an die Leitorientierung der Förde-      eine gemeinsame Trägerschaft zur Gestaltung der
     rung gelingenden Aufwachsens sichtbar bleibt. Und es        Präventionskette zu erarbeiten bzw. zu erneuern.
     bedeutet zum anderen, das verteilte (implizite) „Wissen     In den dazu durchzuführenden Workshops werden
     im System“ zielführend zu objektivieren und zusam-          strukturelle wie auch inhaltliche Rahmensetzungen
     menzubringen. Alle Gremien (z.B. Steuerungs- und            zur Entfaltung bzw. Weiterentwicklung der Ge-
     Arbeitsgruppen), Funktionsstellen (z.B. hauptamtliche       samtstrategie erarbeitet.
     Koordination), Veranstaltungsformate und Tools (z.B.
     Geoinformationssysteme, Präventionsmonitoring, El-        	Gremienentwicklung und Beschlusslage:
     ternsuchmaschinen für Angebote) sollten so gestaltet        Die konkrete Umsetzung der Gesamtstrategie im
     und dialogisch eingebunden sein, dass der zusammen-         Sinne einer entsprechenden Aufbau- und Ablauf­
     führende Blick auf das Ganze erhalten bleibt.               organisation muss durch die Herbeiführung von
                                                                 Rollenklarheit für alle Akteure und (Entscheidungs-)
                                                                 Gremien begleitet sein. Dabei empfehlen sich Me-
                                                                 thoden des agilen Managements, in deren Rahmen
                                                                 sich Selbstbeauftragung und Zuständigkeitsrege-
                                                                 lungen für die Akteure nachvollziehbar miteinander
      Commitment                                                 explizieren und vereinbaren lassen. Dies kann z.B.
                                                                 in eine Visualisierung der konkreten Steuerungs-,
      Als Commitment bezeichnet man (im Kontext                  Koordinierungs- und Arbeitsstrukturen überführt
      der Präventionsketten)                                     werden, die für alle Akteure (selbst-)bindend ist.

       	die freiwillige Selbstbindung von Personen an         	Planung:
         eine Organisation oder ein Netzwerk,                    Das Herunterbrechen der allgemeinen Leitbild-
                                                                 und Zielorientierung auf die konkreten Handlungs-
       	eine dort getroffene gemeinsame Vereinbarung            möglichkeiten im kommunalen Gemeinwesen erfor-
         (z.B. in Form eines Leitbilds) sowie                    dert reflexive Planungsformate, sowohl hinsichtlich
                                                                 eines gesamtkommunalen Rahmenplans als auch
       	die in diesen Kontexten per Selbstbeauftra-             bezüglich seiner Spiegelung auf die eher operativen
         gung übernommenen Verpflichtungen, Rollen               Ebenen (kleinräumige bzw. themen- und alters-
         und Aufgaben.                                           gruppen bezogenene Handlungsebenen):

      Diese Bindewirkung kann sich als emotionale                 	Für den Einsatz kleinräumiger Visualisie­­­rungen
      Identifikation, normative Übereinstimmung mit                 von Lebenslagen (umgesetzt per Geoinforma-
      dem Organisationszweck und/oder als rationales                tionssystem oder durch Stadtkarten im Be-
      Kalkül ausdrücken, insofern ein Verlassen der                 richtswesen) bedeutet dies, dass man sich der
      Organisation oder des Netzwerks zu hohe Trans-                Funktion des Wissens bewusst ist, das damit er-
      aktionskosten mit sich brächte.                               zeugt wird: eines Wissens, das für die empirische
                                                                    Analyse ungleicher Lebens- und Belastungslagen
Sinnfokussierung   17

    genutzt werden kann, nicht aber als Instru-            Agilität
    ment zur Wirkungsmessung präventiver Ak-
    tivitäten taugt. Dieses Wissen muss dann in            Mit „Agilität“ wird eine netzwerkförmige Orga-
    dialogische Formate mit Fachkräften und ggf.           nisationsgestaltung bezeichnet, die vor allem
    Adressat*innengruppen eingebunden werden:              bei sehr dynamischen Organisationsumwelten
    „Was sehen wir hier? Wie sind diese Befunde zu         (z.B. Märkten) mit dem prioritären Ziel einer
    verstehen?“ – Objektive Daten weisen auf priori-       Ausrichtung an den Kundenwünschen eingesetzt
    täre Handlungsbedarfe hin, erklären aber nicht,        wird. Ein agiles Management erfordert von den
    was diesbezüglich zu tun ist.                          Entscheidungsträger*innen einen wertschätzen-
                                                           den Kommunikationsstil sowie eine Ausrichtung
   	Konkrete Handlungskonzepte (z.B. im Quartier)         der Ablauforganisation an beteiligungsorientier-
     sollten in einer Weise mit Einrichtungen, Fachkräf-   ten, kurzen Feedbackschleifen und kurzfristigen
     ten und Adressat*innen erarbeitet werden, dass        (Teil-)Ergebnissen. Man erstellt also nicht „ins
     man nicht nur deren Expertise nutzt, sondern zu-      Leere hinein“ ein fertiges Produkt, sondern ver-
     gleich auch aktivierende Beteiligungsformate          gewissert sich in wiederholten, sich schrittweise
     schafft. Sie alle sind nicht nur „Informant*innen“    annähernden Prozess- und Kommunikations-
     zum Zwecke der fachplanerischen Bedarfsermitt-        schritten der kundenorientierten Passgenauigkeit
     lung, sondern auch Umsetzungsakteure – und            des eingeschlagenen Wegs.
     auch von vorne­herein in dieser Funktion zu adres-    Agilität und klassisches Qualitätsmanagement
     sieren.                                               stehen in hierarchieorientierten Organisationen
                                                           wie der Kommunalverwaltung derzeit noch weit-
   	Wichtig ist die zielführende Zusammenarbeit           gehend unverbunden nebeneinander. In Präven-
     aller kommunalen Detailplanungsprozesse (z.B.         tionsketten drückt sich dies als Spannungsver-
     Jugendhilfe-, Bildungs-, Schulentwicklungs-,          hältnis von (verwaltungs- und trägerbezogenen)
     Sozial- und Stadtplanung), etwa im Rahmen             Linienorganisationen und kommunal koordinier-
     regel­mäßiger Fachplanungskonferenzen                 ten Netzwerken aus.
     auf der Basisämter- und bereichsübergreifend
     kompatibel aufbereiteter Planungsdaten.               Weiterführende Information: https://www.
                                                           haufe.de/personal/hr-management/agilitaet/
   rfolgskontrolle: Um dies bei Planung und Umset-
  E                                                        definition-agilitaet-als-hoechste-form-der-anpas-
  zung zu gewährleisten, braucht es prozessbeglei-         sungsfaehigkeit_80_378520.html (letzter Abruf:
  tende Rückmeldesysteme, etwa durch Formate wie           15.08.2019)
  Wirksamkeitsdialoge, kommunale Qualitätszirkel
  oder auch Sozialraumkonferenzen.

	Lernende Organisation: Im Rahmen eines jeg-              einbeziehenden vertrauensvollen Arbeitsbündnis
  lichen Qualitätsmanagements geht es darum, Rück-         auch Misserfolge kommuniziert werden können,
  meldungen zur Erfolgskontrolle nach der Maßgabe          ohne deshalb um die Ressourcenausstattung
  „Gemeinsam besser werden“ einzusetzen. Wichtig           fürchten zu müssen. Lernprozesse und Optimie-
  ist also nicht nur die Erfolgskontrolle selbst, son-     rungen innerhalb der Präventionskette können nur
  dern ebenso deren zielführende und sinnkonkreti-         durch einen offenen Umgang mit Fehlern und die
  sierende Kommunikation im Netzwerk. Dies ist nur         Möglichkeit, auch (partielle) Fehlschläge zu kom-
  möglich, wenn in einem Fach- und Finanzcontrolling       munizieren, gelingen.
18     Sinnfokussierung

     Charakteristisch und innovativ wird das › WHAT der       hierarchischer Beauftragung und netzwerkförmig-
     Präventionskettengestaltung dadurch, dass jedes          konsensualer Selbstbeauftragung abhängig. Diese
     Format zur partizipativen und reflexiven Bündelung des   doppelte Verortung von Rollen im Spannungsfeld von
     im jeweiligen System bislang nur verteilt vorhandenen    getrennter Zuständigkeit und gemeinsamer Verant-
     Wissens beiträgt.                                        wortung ist für die Akteure durchaus anspruchsvoll.
                                                              So gehört es z.B. zu den Aufgaben der hauptamtlichen
     Mit der die Leitbild- und Zielentwicklung mitumfassen-   Koordination, dafür Sorge zu tragen, dass alle zur Ent-
     den Dimension des Versammelns, der Ausrüstung der        wicklung und Umsetzung der Gesamtstrategie erfor-
     Präventionskette im Sinne der Etablierung einer          derlichen Aufgaben und Rollen auch wahrgenommen
     verbindlichen Aufbau- und Ablauforganisation sowie       werden. Dieses „Wächteramt“ muss ihr dazu auch von
     der reflexiven, möglichst kleinschrittigen Überprüfung   hierarchiehöheren Akteuren (etwa den Mitgliedern des
     des Handlungserfolgs sind die Grundzüge einer quali-     Steuerungsgremiums) zugestanden werden. Umge-
     tätsorientierten Prozesslogik skizziert.                 kehrt sollten die Mitglieder des Steuerungsgremiums
                                                              als Mitglieder des Netzwerks der Handlungslogik der
     Deren Maß an Sinnfokussierung wiederum ist von           Selbstbeauftragung folgen. Die hochrangig aufgestellte
     einem Wechselspiel zwischen zuständigkeits­orientiert-   strategische Steuerung ist auch deshalb so wichtig,

     Lernende Organisation
                                                                  emeinsame Vision: Gelingt es, an persönliche
                                                                 G
     Lernende Organisationen basieren auf fünf Prinzipien:       Visionen zusammenwirkend anzuknüpfen, um
                                                                 etwas Gemeinsames zu schaffen, so entstehen
     	Individuelles Wachstum: Die Fach- und Führungs-           dadurch neue Denkweisen und persönliches
       kräfte zeichnet es aus, über eine persönliche Vision      Commitment mit der Organisation.
       zu verfügen und allgemeine Maßstäbe persönlicher
       Reife wie Mitgefühl, Verbundenheit mit der Welt,       	Lernen im Team: Anknüpfend an die gemeinsame
       Integration von Intuition und Vernunft sowie die         Vision kann in moderierten Teamprozessen eine
       Nutzung unterbewusster Prozesse einzulösen.              gemeinsame Ausrichtung entstehen, die das Team
       Diese persönlichen Qualitäten gelten als Selbst-         zu mehr als der Summe seiner Mitglieder macht.
       zweck, der Nutzen für die Organisation gilt als
       abgeleitet.                                                enken in Systemen: Eine systemische Orientie-
                                                                 D
                                                                 rung kann Problem­lösungen und Wirkungsan-
     	Mentale Modelle: Grundannahmen über Leben                 nahmen generieren, die sich nicht in Teufelskreis-
       und Arbeiten prägen individuelles Handeln und             Handlungslogiken wie z.B. „Mehr vom Selben“
       Selbstwirksamkeitserleben. Es ist wichtig, diese          verfangen.
       Kernüberzeugungen kritisch zu reflektieren und
       sich ihrer Relativität und Bedingtheit bewusst zu      Um eine lernende Organisation zu schaffen, müssen
       werden, um Lernen zu befördern. Führungskräfte         immer alle fünf Disziplinen im Gesamtzusammenhang
       müssen diese Reflexion vorleben und Mitarbeiten-       umgesetzt werden.
       den entsprechende Räume eröffnen und Reflexions­
       prozesse ermutigen.                                    Literatur: Senge (2017)
Sinnfokussierung   19

weil diese Dynamik der Selbstbeauftragung von der         (z.B. Sozialpädagogik, Kinder- und Jugendärzt*innen)
Amtshierarchie – bis hin zum Verwaltungsvorstand –        sowie Ressourcen der beteiligten Akteure erheblich
legitimiert sein muss. Wie sich diese Ambivalenz von      voneinander. Brücken der Verständigung müssen
amtshierarchiebezogener Beauftragung und Selbst-          daher auf ein gemeinsames Drittes zwischen den
beauftragung optimal austarieren lässt, muss vor Ort      Akteuren bezogen werden – in diesem Fall also den
passgenau erprobt und ausgehandelt werden; dafür          oben erläuterten Aufbau der örtlichen Gesamtstrategie
gibt es kein allgemeingültiges strukturelles und/oder     als Gemeingut. Dafür sollten Präventionsketten als
funktionales Modell.                                      kulturelles Projekt betrachtet werden, das als zentrales
                                                          Element zur Schaffung eines kinder- und familien-
Ganz generell gehört die Bewältigung von Ambivalen-       freundlicheren kommunalen Gemeinwesens fungiert.
zen und Paradoxien zu den großen Herausforderungen
beim Aufbau kommunaler Präventionsketten. Neben
dem soeben Genannten unterscheiden sich auch
die jeweiligen institutionellen Handlungslogiken (z.B.
Jugendhilfe, Schule, Jobcenter), Einzelinteressen (z.B.
freie und öffentliche Träger), Professionshintergründe
20    Sinnfokussierung

     DIE BASIS DES QUALITÄTSRAHMENS

     Wissensbasierung und Sinnfokussierung ergänzen               zum Beispiel sozialstatistische Analysen ohne erfah-
     einander und bilden die Basis des Qualitätsrahmens.          rungsbasierte Interpretation wenig wert. Durch eine
                                                                  intelligente Kombination dieser Wissensformen lassen
     Nur durch einen gemeinsam                                    sich derartige Fehlschlüsse häufig vermeiden.

     fokussierten Sinn wird deutlich,
                                                                  Mit dem Begriff „Wirkungsorientierung“ soll ausge-
     welche Wissensbestände überhaupt                             drückt werden, dass sich das Handeln immer wieder
                                                                  anhand von Rückmeldungen zu wahrgenommenen
     relevant und wie aufeinander zu                              Handlungsfolgen neu orientiert. So werden Anpas-
     beziehen sind.                                               sung und Lernen möglich. Diese Rückmeldekreisläufe
                                                                  (Feedbackschleifen) werden allerdings immer dann
     Neben dem Einbezug von Betroffenenperspektiven               unterbrochen,
     (z.B. zum Zweck der Bedarfsermittlung) geht es dabei
     insbesondere um die Verknüpfung von Fachkräfte-               	wenn Ereignisse nicht mehr als konkrete Hand-
     perspektiven und quantitativen Daten, wie sie etwa              lungsfolgen erkennbar sind, weil die Handelnden
     durch Sozial­statistiken geliefert oder auch in Sozial-         den Gesamtzusammenhang aufgrund der
     raumanalysen eigens erhoben werden. Voneinander                 Komplexität des Geschehens nicht mehr durch-
     isoliert betrachtet können beide Wissensformen in die           schauen oder
     Irre führen!
                                                                   	sich (wie etwa im Fall der Primärprävention) die
     Auf der einen Seite ist Fachkräftewissen wichtig, aber          Abfolge von Handlungsursache und erzielter
     keineswegs unfehlbar, was auch für die Fachkräf-                Wirkung zeitlich zu weit auseinanderzieht;
     tewahrnehmung statistischer Analysen gilt. Selbst
     erfahrene Fachkräfte können durch Sozialstatistiken           	umgekehrt lassen sich auch Ereignisse kausal als
     überrascht werden und diese in ihr Praxiswissen                 „Handlungsfolgen“ zurechnen, die in Wirklichkeit
     integrieren. Auf der anderen Seite sind auch Statistiken        ganz anders verursacht sind und nur zufällig zeitlich
     allein nicht aussagekräftig genug. Statistische Daten           mit der vermeintlichen Handlungsursache koinzi-
     können auf den ersten Blick z.B. nahelegen, dass das            dieren oder aber gemeinsam mit dieser auf einen
     gemessene Merkmal „Migrationshinter­grund“ Armut                anderen, dritten Faktor zurückzuführen sind.
     und Bildungsbenachteiligung erkläre, und dafür dann
     vorschnell „kulturelle Differenzen“ verantwortlich           Je komplexer diese Gesamtkonstellationen sind – und
     machen. Bei näherer sozialstatistischer Analyse und          im Fall der „Verursachung“ von Kinderarmut sind sie
     durch vertiefende wissenschaftliche Studien kann aber        sehr komplex –, desto stärker schlägt dieser Zurech-
     gezeigt werden, dass der Effekt auf die sozioökono-          nungsfehler zu Buche.
     mische Lage zurückzuführen ist – und Menschen mit
     Migrationshintergrund, die der Mittelschicht angehö-         Mit dem Konzept des wissensbasierten Handelns wird
     ren, ungeachtet ihrer „Herkunft“, diese Probleme nicht       ein Neuansatz gewählt, der diesen Zurechnungsfehler
     haben. Der Fokus läge dann auf Armutsbekämpfung,             durch dialogische Verfahren minimieren soll. Dabei
     nicht auf Kulturfragen.                                      bringt man objektivierte Daten (z.B. aus einem klein-
                                                                  räumigen Präventionsmonitoring) mit den Interpreta-
     Die Beispiele zeigen: Professionelles Erfahrungswissen       tionen verschiedener Bezugsgruppen (Politik, Fachpla-
     ist wichtig, es ist aber auch anfällig für vorschnelle und   nung, Fachkräfte, Adressat*innen) zusammen – und
     sachlich falsche Kategorisierungen. Umgekehrt sind           verständigt sich in entsprechenden Austauschformaten
Sinnfokussierung   21

(z.B. Sozialraumkonferenzen, Wirksamkeitsdialogen)         primärpräventive Strategien und Maßnahmen häufig
auf gemeinsame Ursachenanalysen, Bedarfsermitt-            unter Legitimations­druck, da sie ihre Wirkungen an-
lungen, Wirkungsannahmen und Handlungskonzepte.            hand von Kenngrößen nicht nachweisen können.
Wird dieser partizipative Ansatz nicht nur punktuell als
einmaliges Beteiligungsformat, sondern als Partizipa-      Um in dieser Hinsicht weiterzukommen, braucht es
tionsprozess aufgebaut, erhalten die Akteure zudem         ein erweitertes Wirkungsverständnis, das sich an einer
verhältnismäßig kleinschrittige Rückmeldungen zu           engmaschigen, handlungsnahen Erfolgskontrolle als
ihrem Handeln, was die Zurechnung von Sachverhalten        Voraussetzung der fehlerfreundlich-reflexiven Hand-
als „Handlungsfolgen“ objektiviert und somit Lernen        lungsoptimierung orientiert.
fördert.
                                                           Im Idealfall bindet man in jedem Planungs-,
In dieser wissensbasierten Perspektive werden die
Adressat*innen nicht zur Zielgruppe objektiviert und
                                                           Umsetzungs- und evaluativen Prozessschritt
dadurch schon bei der Bedarfsermittlung als reine          kontinuierlich das Fachkräftewissen und
Informant*innen auf Distanz gebracht. Vielmehr sucht
man nach Wegen zu einer partizipativen, aktivierenden      die Adressat*innenperspektiven ein
Angebotsentwicklung, bei der valide Informationen
zur Bedarfsermittlung quasi nebenbei anfallen. Dazu        – und vermeidet so eine starre Systemgrenze
braucht es eine große Praxisnähe der Angebotsent-          zwischen Entscheidung, Planung, Ausführung und
wicklung, d.h., dass Fachkräfte vor Ort bei der Konzi-     adressat*innenbezogener Wirkungsanalyse. Mit dem
pierung maßgeblich involviert sein müssen. Anderswo        Fokus Reflexivität wird somit auf eine beteiligungs­
bereits bewährte und ggf. evaluierte Programme und         orientierte Art der Erfolgskontrolle rekurriert, die über
Angebote (etwa die auf der „Grünen Liste Prävention“       das klassische Wirkungsverständnis hinausweist, die
aufgeführten) können dabei zwar durchaus einbezo-          Überprüfung plausibler, handlungsschrittnaher Wir-
gen, müssen aber immer auf ihre konkrete Passgenau-        kungsannahmen aber mit umfasst. In diesem erweiter-
igkeit hin analysiert werden.                              ten Verständnis sollte die Gestaltung der kommunalen
                                                           Präventionskette wissensbasiert erfolgen.
Beteiligung ist eine unabdingbare
Voraussetzung, um das nötige Maß
                                                               Grüne Liste Prävention – CTC
an Reflexivität in die Gestaltung der
Präventionskette einfließen zu lassen.                         Die „Grüne Liste Prävention“ des Landesprä-
                                                               ventionsrats Niedersachsen listet evaluierte
Denn globale (vermeintliche) Wirkungsindikatoren               Programme, die auf dem Weg zum Ziel der
sind für sich genommen oft nicht aussagekräftig. So            Erlangung „kausaler Beweiskraft“ auf der Basis
kann beispielsweise eine Steigerung der Fallzahlen             von Zufalls­experimenten mit Kontrollgruppen
bei den „Hilfen zur Erziehung“ sowohl auf ein Versa-           sind.
gen von Präventionsmaßnahmen als auch auf eine
effektivere Erreichung institutionsferner Gruppen von          Quelle: www.gruene-liste-praevention.de/nano.
Adressat*innen hinweisen. Ohne den Einbezug des                cms/datenbank/information (letzter Zugriff:
Kontextwissens der Fachkräfte lässt sich dies kaum             16.08.2019)
interpretieren. In Politik und Fachcontrolling geraten
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