RECHTSGUTACHTEN ZUR AUSGESTALTUNG EINES LIEFERKETTEN-GESETZES - Ein Gutachten der Initiative Lieferkettengesetz mit Unterstützung von ...
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RECHTSGUTACHTEN ZUR AUSGESTALTUNG EINES LIEFERKETTEN- GESETZES Ein Gutachten der Initiative Lieferkettengesetz mit Unterstützung von Rechtsanwalt Robert Grabosch, Kanzlei Schweizer Legal
RECHTSGUTACHTEN ZUR AUSGESTALTUNG EINES LIEFERKETTEN- GESETZES Ein Gutachten der Initiative Lieferkettengesetz mit Unterstützung von Rechtsanwalt Robert Grabosch, Kanzlei Schweizer Legal
Inhaltsverzeichnis 5 Abkürzungsverzeichnis 6 e) Der Angemessenheitsbegriff als zentrales Kriterium der Sorgfalt 47 I. Vorwort 8 f) Rechtssicherheit, Harmonisierung und fairer Wettbewerb durch grenzüber- II. Einleitung 10 schreitenden Rechtsanwendungsbefehl 49 1. Zentrale Anforderungen an ein 5. Dokumentations- und Lieferkettengesetz 12 Offenlegungspflichten 50 2. Überblick: Das Rechtsgutachten der 6. Durchsetzungsmechanismen 50 Initiative Lieferkettengesetz 14 a) Ordnungswidrigkeit 52 b) Zivilrechtliche Haftung 53 3. Gründe für ein Lieferkettengesetz 14 aa) Rechtsgutsverletzung 53 bb) Verursachung 54 4. Deutsche Unternehmen und die cc) Verschulden 55 Menschenrechte – Negativbeispiele 17 dd) Kein Verstoß gegen das gesellschafts- rechtliche Trennungsprinzip 56 III. Mögliche Ausgestaltung eines ee) Vergleichbarkeit mit bereits Lieferkettengesetzes entsprechend der bestehenden Haftungsgrundlagen, Anforderungen der Initiative 20 insbesondere der Haftung für Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) 56 1. Ausgangslage im deutschen Recht 21 ff) Möglichkeiten der Haftungsbefreiung (Beweislast) 56 2. Persönlicher Anwendungsbereich: Für welche c) Anwendung deutschen Zivilrechts bei INHALTSVERZEICHNIS Unternehmen soll das Gesetz gelten? a) Große Unternehmen b) Unternehmen in Hochrisikobranchen 23 24 25 Auslandssachverhalten d) Verknüpfung mit dem Vergaberecht e) Verknüpfung mit dem 58 59 c) Sitz oder Geschäftstätigkeit in Außenwirtschaftsrecht 61 Deutschland 28 d) Nicht in Hochrisikosektoren tätige 7. Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz, Unternehmen und die Ausnahme für Europarecht und Wirtschaftsvölkerrecht 63 Kleinstunternehmen 30 a) Gesetzgebungskompetenz 63 b) Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit 3. Schutzgüter 31 und Eigentumsgarantie 64 a) Menschenrechte und c) Bestimmtheit der Anforderungen 65 Arbeitnehmerbelange 31 d) Europäische Warenverkehrsfreiheit 65 b) Schutzrichtung und Bestimmtheit e) Wirtschaftsvölkerrecht (GATT und GATS) 66 der Menschenrechte 34 c) Umwelt 36 8. Institutioneller Rahmen 66 4. Sorgfaltspflicht 38 9. Stärkung von Governance-Strukturen und a) Hintergrund zur Sorgfalt 39 Hilfsangeboten 67 b) Notwendigkeit von Vorgaben für die Regelung einer Sorgfaltspflicht 40 IV. Quellen 68 c) Besonderheiten in der umweltbezogenen Sorgfalt 44 V. Impressum 74 d) Extraterritorialer Geltungsanspruch der Sorgfaltspflicht 45
Abkürzungsverzeichnis 7 ACT Action, Transformation, Collaboration (Initiative für IMA Interministerieller Ausschuss existenzsichernde Löhne in der Bekleidungsindustrie) IPbpR Internationaler Pakt über bürgerliche und politische AdV Archiv des Völkerrechts (Zeitschrift) Rechte (1966) AktG Aktiengesetz IPWSKR Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und AWG Außenwirtschaftsgesetz kulturelle Rechte (1966) AWE Agentur für Wirtschaft und Entwicklung ISO International Organization for Standardization (Inter- BAFA Bundesamt für Ausfuhrkontrolle nationale Organisation für Normung) BB Betriebs-Berater (Zeitschrift) KJ Kritische Justiz (Zeitschrift) BDA Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberver- MSI Multi-Stakeholder-Initiative bände e.V. NACE Statistische Systematik der Wirtschaftszweige in der BGB Bürgerliches Gesetzbuch Europäischen Gemeinschaft BGH Bundesgerichtshof NAP Nationaler Aktionsplan (hier: Nationaler Aktionsplan BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales „Wirtschaft und Menschenrechte“) BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammen- NGO Non-Governmental Organization (Nichtregierungs- arbeit und Entwicklung organisation) BVT Beste verfügbare Techniken NJW Neue Juristische Wochenschrift BVerwG Bundesverwaltungsgericht NUR Natur und Recht (Zeitschrift) CCZ Corporate Compliance Zeitschrift NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht CESCR Committee on Economic, Social and Cultural Rights NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (UN-Komitee für wirtschaftliche, soziale und kulturel- OECD Organisation for Economic Cooperation and le Rechte) Development (Organisation für wirtschaftliche CMS Compliance-Management-System Zusammenarbeit und Entwicklung) ABKÜRZUNGS- CSR Corporate Social Responsibility OHCHR United Nations Office of the High Commissioner DGB Deutscher Gewerkschaftsbund for Human Rights (Hoher Kommissar der Vereinten DIMR Deutsches Institut für Menschenrechte Nationen für Menschenrechte) VERZEICHNIS ECOSOC EMRK Economic and Social Council (Wirtschafts- und So- zialrat der Vereinten Nationen) Europäische Menschenrechtskonvention OwiG RabelsZ Ordnungswidrigkeitengesetz Rabels Zeitschrift für ausländisches und internatio- nales Privatrecht EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte RdTW Recht der Transportwirtschaft (Zeitschrift) ETI Ethical Trade Initiative SEC United States Securities and Exchange Commission EU Europäische Union UFK Ungebundene Finanzkredite EuGH Europäischer Gerichtshof UN United Nations (Vereinte Nationen) EuR Europarecht (Zeitschrift) UNGP United Nations Guiding Principles on Business and EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Human Rights (UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und FES Friedrich-Ebert-Stiftung Menschenrechte, 2011) GATS Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienst- UNHRC United Nations Human Rights Council (UN-Men- leistungen schenrechtsrat) GATT Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen UVPG Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung GG Grundgesetz VO Verordnung GIZ Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit WRegG Wettbewerbsregistergesetzes GmbH irtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte WSK-Rechte w GTAI Germany Trade and Invest GmbH WTO World Trade Organization (Welthandelsorganisation) GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und HGB Handelsgesetzbuch Völkerrecht HHG Haushaltsgesetz ZD Zeitschrift für Datenschutz HRQ Human Rights Quarterly (Zeitschrift) ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht IDW Institut der Wirtschaftsprüfer zfmr Zeitschrift für Menschenrechte IDW PS IDW-Prüfungsstandards ZPO Zivilprozessordnung ILO International Labour Organization (Internationale ZUR Zeitschrift für Umweltrecht Arbeitsorganisation)
I. Vorwort 9 Ob brennende Textilfabriken, vergiftete Flüsse oder zeigt: Für die Bundesregierung ist ein Lieferkettenge- ausbeuterische Kinderarbeit auf Kaffeeplantagen: Viel setz machbar – und für Unternehmen ist menschen- zu oft nehmen deutsche Unternehmen die Risiken ihrer rechtliche und umweltbezogene Sorgfalt umsetzbar. globalen Geschäfte für Umwelt und Menschen nicht Kein Verantwortlicher eines Unternehmens, das sich ernst genug. Der Grund dafür ist einfach: Für Schäden, zu seiner Verantwortung bekennt und entsprechende die sie verursachen oder in Kauf nehmen, müssen sie Maßnahmen einleitet, steht „bereits mit beiden Beinen bislang meist keine Verantwortung übernehmen. im Gefängnis“, wie es Ingo Kramer, Präsident des Bun- desverbandes Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) Mehr als 90 Menschenrechts-, Umwelt- und Entwick- kürzlich als Schreckensszenario ausmalte.1 Im Gegen- lungsorganisationen, kirchliche Akteure und Gewerk- teil: Ein Lieferkettengesetz schafft Rechtssicherheit für schaften sind der Meinung: Es ist höchste Zeit, dass sich Unternehmen. das ändert. Deswegen haben sie sich zur Initiative Liefer- kettengesetz zusammengeschlossen. So unterschied- Neun Jahre sind vergangen, seit der Menschenrechts- lich die Akteure dieses Bündnisses sind, so einig sind sie rat der Vereinten Nationen die UN-Leitprinzipien für sich in der Überzeugung: Wer Schäden anrichtet, muss Wirtschaft und Menschenrechte (UN Guiding Princip- Verantwortung übernehmen. Verstöße deutscher Unter- les on Business and Human Rights, UNGP) verabschie- nehmen gegen Menschenrechte, Arbeitnehmerbelange det hat. Laut der UNGP sind Staaten dazu verpflichtet, und Umweltstandards müssen Konsequenzen haben. Menschen vor wirtschaftsbezogenen Verstößen gegen Das geht nur mit einem Lieferkettengesetz. die Menschenrechte zu schützen. In Deutschland ist I. Konkret fordert die Initiative: Unternehmen müssen ge- setzlich dazu verpflichtet werden, menschenrechtliche seitdem wenig passiert. Im Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“ (NAP) zur Umsetzung der UNGP aus dem Jahr 2016 formuliert die Bundesre- VORWORT und umweltbezogene Sorgfalt walten zu lassen. Das gierung lediglich die Erwartung, dass alle Unterneh- heißt: Sie müssen analysieren, wo in ihrem Geschäfts- men ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nach- bereich und entlang ihrer Wertschöpfungsketten Schä- kommen. Die Teilnahme ist freiwillig, die Umsetzung den für Mensch und Umwelt drohen. Sie müssen diese schleppend. Risiken bewerten und priorisieren, um anschließend wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Darüber und Dabei gibt es zahlreiche Staaten, die sich längst für über die Wirksamkeit der Maßnahmen müssen sie be- einen anderen Weg entschieden haben: Ob Großbritan- richten. Versäumen sie diese Pflichten, müssen Sank- nien, Frankreich oder die Niederlande – sie alle machen tionen folgen. Und: Betroffene von Menschenrechtsver- ihren Unternehmen verbindliche menschenrechtliche letzungen im Ausland müssen die Möglichkeit haben, bzw. umweltbezogene Vorgaben. Deutschland hinkt auch vor deutschen Gerichten Schadensersatz von den diesem internationalen Trend weit hinterher. Es ist an verantwortlichen Unternehmen einzuklagen. der Zeit, dass sich das ändert. Denn mittlerweile ist klar: Gegen Gewinne ohne Gewissen hilft nur noch ein Doch wie können diese zentralen Anforderungen an ein gesetzlicher Rahmen. Lieferkettengesetz im deutschen Rechtssystem umge- setzt werden? Zur Beantwortung dieser Frage legt die Johanna Kusch & Johannes Heeg Initiative das nachfolgende Rechtsgutachten vor. Es Koordinationsteam Initiative Lieferkettengesetz 1 Specht (2019): Arbeitgeber machen Front gegen geplantes Lieferkettengesetz, https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/ menschenrechte-arbeitgeber-machen-front-gegen-geplantes-lieferkettengesetz/25332602.html, letzter Zugriff 28.01.2020.
II. Einleitung 11 WARUM ES NOTWENDIG IST, UNTERNEHMERISCHE SORGFALT IN GLOBALEN WERTSCHÖPFUNGSKETTEN ZU REGULIEREN Deutschland hat die völkerrechtliche Pflicht, inter- sein könnte, um Mensch und Umwelt dauerhaft vor national anerkannte Menschenrechte mit geeigne- Schäden durch Unternehmen zu bewahren. ten Maßnahmen zu schützen – auch vor Verstößen durch Dritte wie Unternehmen. Ein Lieferkettengesetz Viele deutsche Unternehmen profitieren von den nied- ist eine geeignete und erforderliche Maßnahme, mit rigeren sozialen Standards oder geringeren Kosten ei- II. der die Bundesregierung dieser staatlichen Schutz- pflicht gerecht werden kann. Zweck eines solchen Gesetzes ist es sicherzustellen, dass deutsche und ner Produktion im Ausland. Ihnen entstehen hierdurch wirtschaftliche Vorteile, die aber oft mit erheblichen Nachteilen für die Menschen und die Umwelt vor Ort EINLEITUNG in Deutschland tätige Unternehmen die international verbunden sind. anerkannten Menschenrechte, Arbeitnehmerbelan- ge und grundlegende Umweltstandards einhalten. Dürfen Unternehmen negative Auswirkungen auf die Um die Frage, wie ein solches Lieferkettengesetz in Menschenrechte und die Umwelt entlang ihrer globa- Deutschland aussehen kann, ist zuletzt eine lebhafte len Wertschöpfungskette einfach in Kauf nehmen? Oder Debatte entbrannt. Die Initiative Lieferkettengesetz müssen sie sich dafür einsetzten, sie vorauszusehen und möchte mit dem vorliegenden Rechtsgutachten einen abzuwenden? Das regelt das deutsche Recht bisher nicht Beitrag zu dieser Debatte leisten. Das Gutachten zeigt explizit.2 Ein Lieferkettengesetz würde diese Gesetzeslü- auf, welche zentralen Anforderungen ein Lieferketten- cke schließen und damit nicht nur den Betroffenen, son- gesetz erfüllen muss und wie ein Gesetz ausgestaltet dern auch den Unternehmen Rechtssicherheit bieten. 2 Paschke (2016): Extraterritoriale Sorgfaltspflichten von Außenwirtschaftsunternehmen zur Achtung von Menschenrechten ante portas?, in: Recht der Transportwirtschaft – RdTW 2016, S. 121-131.
12 II. Einleitung Ein Lieferkettengesetz muss vorsehen, dass UNTERNEHMEN GEGENÜBER 1. ZENTRALE ANFORDERUNGEN AN EIN DEN BETROFFENEN AUF SCHADENSERSATZ HAFTEN für Men- LIEFERKETTENGESETZ schenrechtsverletzungen, die durch ihre Missachtung von Sorgfaltspflichten entstan- den sind (siehe dazu Kapitel III.6). Aus Sicht der Initiative Lieferkettengesetz muss ein Liefer- und Wertschöpfungsketten zu verhindern sowie wirksames Gesetz für menschenrechtliche Sorgfalt ei- die Rechtssicherheit von Betroffenen, deren Interessen- Ein Lieferkettengesetz muss regeln, dass es AUCH FÜR FÄLLE GILT, IN DE- nige zentrale Anforderungen erfüllen, um Menschen- vertretungen, Verbraucher*innen und Unternehmen zu NEN nach internationalem Privatrecht AUSLÄNDISCHES RECHT ANZU- rechtsverletzungen und Umweltschäden entlang von erhöhen: WENDEN WÄRE (siehe dazu Kapitel III.6). Diese Anforderungen an ein Lieferkettengesetz basie- Die Anforderungen der Initiative Lieferkettengesetz um- ren auf der langjährigen Erfahrung und Expertise der im fassen keine Vorschläge für eine ebenfalls notwendige Bündnis vertretenen Organisationen. Sie entsprechen Änderung strafrechtlicher Vorschriften. Die Initiative ver- Ein Lieferkettengesetz muss ALLE GROSSEN UNTERNEHMEN ERFAS- zudem den Kernelementen einer wirksamen Regelung weist diesbezüglich auf den am 15.08.2019 vom Bundes- SEN, DIE IN DEUTSCHLAND ANSÄSSIG ODER GESCHÄFTS- zum Schutz vor Menschenrechtsverletzungen durch ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) TÄTIG SIND. Darüber hinaus muss es auch für kleine und mittelständische Un- Unternehmen, wie sie die europäische Zivilgesellschaft vorgelegten Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Sank- ternehmen gelten, wenn ihre Geschäftstätigkeit besondere Menschenrechts- oder im Jahr 2018 erarbeitet hat.3 tionierung von verbandsbezogenen Straftaten“. Umweltrisiken birgt (siehe Kapitel III.2). Die Unternehmen müssen dazu verpflichtet werden, bei ihren Geschäften und Ge- schäftsbeziehungen im Inland wie im Ausland MENSCHENRECHTLICHE UND UMWELTBEZOGENE SORGFALT walten zu lassen – entsprechend der UNGP und der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen (OECD Guidelines for Multinational Enterprises, OECD Guidelines) (siehe dazu Kapitel III.3 und III.4). Die Unternehmen müssen gesetzlich verpflichtet werden, ANGEMESSENE MASSNAHMEN zu ergreifen, abhängig von ihrer Größe, dem Kontext der Ge- schäftstätigkeit, ihrem Einflussvermögen, der Schwere der drohenden Menschen- rechtsverletzungen und Umweltschäden sowie der Zahl der potenziell davon Betrof- fenen (siehe dazu III.4). Unternehmen müssen die Einhaltung der Sorgfaltspflichten intern DOKUMEN- TIEREN sowie regelmäßig in einem Sorgfaltsplan darüber BERICHTEN (siehe dazu Kapitel III.5). Die Missachtung der Sorgfaltspflichten (einschließlich der Dokumentations- und Be- richtspflicht) muss an ÖFFENTLICH-RECHTLICHE SANKTIONEN wie Abbildung 1: Ein wirksames Lieferkettengesetz schafft ein Gleichgewicht. Bussgelder in Höhe von bis zu 10 Prozent des Umsatzes, den Ausschluss von öffent- lichen Vergabeverfahren und der Außenwirtschaftsförderung geknüpft werden (siehe dazu Kapitel III.6). 3 European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) (2018): Key Features of Mandatory Human Rights Due Diligence Legislation.
14 II. Einleitung II. Einleitung 15 2. ÜBERBLICK: DAS RECHTSGUTACHTEN terne Aufklärung zu unterlassen, wenn sie den Ruf des beiter*innen, die an der Umfrage teilgenommen hatten, Unternehmens gefährden könnten.8 eine ausreichende Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten.12 DER INITIATIVE LIEFERKETTENGESETZ Für die relativ wenigen ernsthaft um Nachhaltigkeit be- Hinzu kommt: Geschäftsführer*innen und Vorstände mühten Unternehmen ist es offenbar kostspielig, sich von Unternehmen sehen sich persönlichen Haftungs- im Alleingang um eine angemessene Handhabung von Wie können diese zentralen Anforderungen an ein Lie- den persönlichen Anwendungsbereich eines Lieferket- risiken ausgesetzt, wenn sie kostspielige Konzepte zu Nachhaltigkeitsrisiken in den globalen Wertschöp- ferkettengesetz im deutschen Rechtssystem umgesetzt tengesetzes, also die Frage, für welche Unternehmen CSR-Zwecken erproben oder implementieren wollen, fungsketten zu bemühen. Gegen Konkurrenten, die werden? Das zeigt das Gutachten der Initiative Liefer- das Gesetz gelten sollte. Abschnitt 3 erörtert die rele- die nicht gesetzlich vorgeschrieben sind. Ein weiteres sich darum nicht kümmern, können sie auf dem Markt kettengesetz: vanten Fragen, die mit den Schutzgütern Menschen- Risiko sind unklare rechtliche Anforderungen im Aus- nur mühevoll ankommen.13 Das ist nur einer der Grün- rechte, Arbeitnehmerbelange und Umwelt zusammen- land. Zweifellos muss die Geschäftsleitung dafür sor- de, weshalb sich derzeit 61 deutsche Unternehmen Ein Lieferkettengesetz würde Unternehmen nichts hängen. Daran anschließend befasst sich Abschnitt 4 gen, dass sich ihre Unternehmen auch bei Auslandsge- öffentlich in einem gemeinsamen Statement für eine Unmögliches abverlangen, sondern eine der Schwere mit der Sorgfaltspflicht und stellt unter anderem den schäften an die geltenden rechtlichen Vorgaben halten. Sorgfaltspflichten-Gesetzgebung in Deutschland und der drohenden Verletzung und der Größe des Unter- Angemessenheitsbegriff als zentrales Kriterium der Doch die sind im Kontext globalisierter Lieferketten Europa aussprechen.14 nehmens angemessene Sorgfalt festschreiben. Un- Sorgfalt vor. Abschnitt 5 befasst sich mit den Regelun- vielfach ungeklärt und kaum überschaubar.9 ternehmen haften nur dann, wenn sie durch mangeln- gen zu Dokumentations- und Berichtspflichten, die mit Zwar kann die Implementierung einer nachhaltigkeits- de Sorgfalt Schäden mitverursachen, die sie hätten einem Lieferkettengesetz einhergehen müssen. Mit den So zeigt sich: Kein einziges der 20 größten deutschen bezogenen Sorgfalt in Unternehmen auch erhebliche vorhersehen und vermeiden können. Durchsetzungsmechanismen, die ein Lieferkettenge- Unternehmen erfüllt zufriedenstellend die Mindest- Prozessoptimierungen bewirken. Mit umweltfreundlich Nicht alle unternehmensbezogenen Menschenrechts- setz braucht, um wirksam zu sein, setzt sich Abschnitt anforderungen der UNGP an die gebotene menschen- und fair gehandelten Produkten kann ein Unternehmen verletzungen sind von den im deutschen Recht be- 6 auseinander: Neben der Einführung von Ordnungs- rechtliche Sorgfalt.10 Zu demselben Ergebnis kommen in der Regel außerdem höhere Verkaufspreise erzielen. stehenden Deliktsnormen abgedeckt. Daher ist eine widrigkeitstatbeständen, wenn Unternehmen zum Bei- Germanwatch und Misereor in einer Untersuchung 15 Doch umso mehr sind dessen Konkurrenten dazu verlei- menschenrechtsbasierte Ausweitung der Delikts- spiel Anforderungen an die Offenlegung missachten, großer Unternehmen im deutschen Agrarsektor.11 Und tet, ein anderes, billigeres Marktsegment abzudecken norm notwendig. gehört zu einem wirksamen Gesetz auch die zivilrecht- auch der Ende 2019 bekannt gewordene Entwurf des und nach Produktionsstätten in Regionen mit niedrigen Menschenrechte und Umweltschäden sind häufig liche Haftung vor deutschen Gerichten. Anderenfalls zweiten Zwischenberichts des NAP-Monitorings im Auf- Standards und schwachen Institutionen zu suchen.15 eng miteinander verbunden. Umweltschäden führen wäre den Betroffenen von Menschenrechtsverletzun- trag der Bundesregierung bescheinigte lediglich einem Dies wiederum hemmt Staaten des Globalen Südens häufig auch zu Verletzungen der Menschenrechte auf gen, um die es vor allem geht, wenig geholfen. Dieses Fünftel der deutschen Unternehmen mit über 500 Mitar- häufig, höhere Schutzstandards durchzusetzen. Gesundheit, Wasser, Nahrung und einen angemesse- Kapitel macht auch Vorschläge, wie Regelungen im Ver- nen Lebensstandard. gaberecht und bei der Außenwirtschaftsförderung auf die Einhaltung der Sorgfaltspflicht hinwirken können. Das Gutachten (Kapitel III) ist wie folgt gegliedert: Ab- Abschnitt 7 prüft die Vereinbarkeit eines Lieferketten- schnitt 1 beschreibt die Grundsätze und Entwicklungen gesetzes mit dem Grundgesetz, dem Europarecht und 4 Andrew (1979): Teaching Ethics, in: The Wall Street Journal; Hetherington (1969): Fact and Legal Theory; Hopt/Teubner (1984): Corpo- der deutschen Rechtsordnung, die für die Debatte um dem Wirtschaftsvölkerrecht. Die Abschnitte 8 und 9 be- rate Governance and Directors‘ Liabilities. ein Lieferkettengesetz von Bedeutung sind. Die In- fassen sich schließlich mit dem institutionellen Rah- 5 EMEIA Fraud Survey – Ergebnisse für Deutschland (2017), https://acfe.de/wp-content/uploads/0073f20171006_012_Studie_2017_EY_ itiative Lieferkettengesetz legt Wert darauf, dass ein men und betonen, dass die Bundesregierung weiterhin EMEIA-Fraud-Survey-Ergebnisse-fuer-Deutschland.pdf, zuletzt abgerufen am 04.02.2020. Lieferkettengesetz an bestehende Grundsätze des Anleitungen und Hilfestellungen für die Erfüllung der 6 Hauschka (2008): Compliance – Praktische Erfahrungen und Thesen, S. 57-59. deutschen Rechts anknüpft. Abschnitt 2 untersucht Sorgfaltspflicht bereitstellen muss. 7 Hauschka (2008), S. 59 f. 8 Klöhn/Schmolke (2015): Unternehmensreputation: Ökonomische Reputation und ihre Bedeutung in Gesellschafts- und Kapitalmarkt- recht, S. 689-697. 3. GRÜNDE FÜR EIN LIEFERKETTENGESETZ 9 Vgl. Hauschka (2008), S. 57-59, und Paschke (2016), S. 128. Einen EU-weiten Handlungsbedarf sieht Jeffwitz (2018): Redefining direc- tors’ duties in the EU. 10 Winistörfer (2019): Respect for Human Rights – A Snapshot of the largest German Companies: https://www.business-humanrights.org/ Schon seit den 1970er Jahren ist die freiwillige Achtung manipulierte Diesel-Abgastechnik, die Panama Papers sites/default/files/Respect%20for%20Human%20Right_Full%20Report_PUBLIC.pdf, zuletzt abgerufen: 04.02.2020. von Menschenrechts- und Umweltbelangen unter der oder die Cum-Ex-Steuerhinterziehungen zeigen: Der 11 Heydenreich/Paasch (2020): Globale Agrarwirtschaft und Menschenrechte. Deutsche Unternehmen und Politik auf dem Prüfstand: Bezeichnung Corporate Social Responsibility (CSR) Teil „ehrbare Kaufmann“ ist in Deutschland kein bestim- https://germanwatch.org/sites/germanwatch.org/files/Webansicht%20Bericht%202020%20Globale%20Agrarwirtschaft%20 von Managementausbildungen, Unternehmensprakti- mendes Leitbild für Unternehmensführung. Die Füh- und%20Menschenrechte_0.pdf, zuletzt abgerufen: 04.02.2020. ken und wissenschaftlichem Diskurs.4 Dennoch steht rungsorgane deutscher Unternehmen befassen sich zu 12 BMAS: Pressekonferenz vom 11.12.2019: https://www.bmas.de/DE/Presse/Meldungen/2019/wir-brauchen-mehr-fairness-in-globa- es um die Wirtschaftsethik in Deutschland nicht be- wenig mit unethischen Produktionsbedingungen bei len-lieferketten.html, zuletzt abgerufen: 03.02.2020. sonders gut. Laut einer Studie von Ernst & Young aus ausländischen Tochterunternehmen, gerade in Hochri- 13 Wettstein (2012): Corporate Responsibility beyond the Business Case, S. 20; Wieland (2012): CSR-Engagement und Wettbewerbsfähig- dem Jahr 2017 halten 43 Prozent der Manager*innen sikoländern.6 Nicht selten werde an Aufklärung interes- keit, S. 41. unlauteres Geschäftsgebaren hierzulande für verbrei- sierten Vorstandsmitgliedern das Vertrauen entzogen.7 14 Stand: Mai 2020, die Liste der Unterzeichner wird laufend aktualisiert, www.business-humanrights.org/en/statement-für-eine-gesetz- tet. Fast jede*r vierte wäre aus Karrieregründen zu un- Es wird häufig für zulässig und unter Umständen gar liche-regelung-menschenrechtlicher-und-umweltbezogener-sorgfaltspflichten. ethischem Verhalten im Job bereit.5 Die Skandale um für geboten gehalten, interne Nachforschungen und ex- 15 Rodet (2017): Poor institutions as a comparative advantage.
16 II. Einleitung II. Einleitung 17 4. DEUTSCHE UNTERNEHMEN UND DIE Auch die UN Working Group on the Issue of Human nagement von Lieferketten bewältigen. Hier ist die Rights and Transnational Corporations beschreibt meh- Bundesregierung gefordert, sich dem internationalen MENSCHENRECHTE – NEGATIVBEISPIELE rere Ursachen, die auf ein Marktversagen zurückgehen Trend19 anzuschließen. und Unternehmen von einer menschenrechtlichen Sorgfalt abhalten.16 Die völkerrechtliche Pflicht der Das Europäische Parlament hat 2016 die EU und auch die Bundesrepublik zum Schutz der Menschenrechte und einzelnen Mitgliedstaaten aufgerufen, eine menschen- Ob der Chemiekonzern BASF beim Bergbau in Süd- oder in der Umgebung leben, besteht damit ein be- die Verantwortung der Unternehmen zu deren Achtung rechtliche Sorgfalt transnational agierender Unterneh- afrika, die Bekleidungsmarke KiK in Textilfabriken in sonderes Gesundheitsrisiko. Pro Jahr werden in Bra- dürfen daher nicht unter den Vorbehalt der Rentabilität men gesetzlich festzuschreiben und eine entsprechende Bangladesch und Pakistan oder Supermarktketten wie silien mehr als 6.000 Fälle von Pestizidvergiftungen gestellt werden.17 Ob Unternehmen Beeinträchtigungen Haftung zu regeln.20 Im Oktober 2018 hat sich der Aus- Edeka, Rewe, Lidl und Aldi beim Anbau von Bananen registriert, pro Jahr sterben daran durchschnittlich von Menschenrechten und der Umwelt vermeiden, darf schuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rech- in Ecuador: Deutsche Unternehmen sind häufig direkt 148 Menschen.25 In vielen brasilianischen Städten nicht davon abhängen, ob sie sich davon einen wirt- te der Vereinten Nationen (CESCR) besorgt geäußert in oder indirekt an Menschenrechtsverletzungen in ande- finden sich Rückstände von mehreren Pestiziden im schaftlichen Erfolg versprechen. Bezug auf den ausschließlich freiwilligen Charakter der ren Ländern beteiligt.23 Hierfür werden sie jedoch auf- Trinkwasser, darunter u. a. der Wirkstoff Carbenda- im deutschen NAP enthaltenen menschenrechtlichen grund von komplexen Lieferketten und Gesetzeslücken zim von Bayer, der Wasserorganismen vergiftet und Für Verbraucher*innen ist es kaum möglich, grundsätz- Sorgfaltspflichten von Unternehmen und das Fehlen in den seltensten Fällen zur Rechenschaft gezogen. Die das Erbgut von Ungeborenen im Mutterleib schädigen lich nur fair und ökologisch hergestellte Produkte zu diesbezüglicher Überwachungsmechanismen. Er emp- Initiative Lieferkettengesetz hat einige Fälle von Men- kann.26 Am 14.08.2019 hat das UN-Menschenrechts- kaufen. Hierzu fehlt es ihnen an vergleichbaren und fahl Deutschland ausdrücklich, eine menschenrechtliche schenrechtsverletzungen im Kontext deutscher Unter- komitee befunden, dass Staaten gegen ihre Pflicht verlässlichen Informationen und oft auch an Zeit oder Sorgfalt und Haftung von Unternehmen gesetzlich zu re- nehmensaktivitäten exemplarisch dargestellt: zum Schutz des Menschenrechts auf Leben und auf finanziellen Mitteln.18 Dennoch wälzen Regierungsver- geln.21 Auch die UNGP enthalten die Erwartung an alle Privat- und Familienleben verstoßen, indem sie die treter*innen die Verantwortung gerne an die Verbrau- Staaten, auf Freiwilligkeit setzende Anreize sinnvoll mit Der Vertrieb von Pestiziden der Bayer AG verdeut- großflächige Behandlung landwirtschaftlicher Flä- cher*innen ab und ermahnen sie zu einem achtsamen gesetzlicher Regulierung zu kombinieren, um Menschen- licht die Notwendigkeit eines Lieferkettengeset- chen mit agrochemischen Stoffen ohne gefahrenmin- Konsumverhalten. Stattdessen sollten sie ihrer eigenen rechte effektiv zu schützen.22 zes. Der deutsche Konzern verkauft in Brasilien dernde Maßnahmen zulassen.27 Ungeachtet dieses Verantwortung nachkommen entsprechende Gesetze Glyphosat sowie fünf weitere Pestizide, die in der EU Staatsversagens führt die Bayer AG ihr gefährliches zu schaffen, sodass Verbraucher*innen gar nicht mehr Mit einem Lieferkettengesetz würde die Bundesre- nicht mehr zugelassen sind. Darunter ist auch das Pestizidgeschäft weiter fort. Der Fall zeigt: Umwelt- Gefahr laufen, Produkte zu kaufen, in deren Produktion gierung diesem Auftrag der Vereinten Nationen nach- Insektizid Larvin, welches das krebserregende Ner- verschmutzungen können mit Menschenrechtsverlet- Menschenrechte oder die Umwelt gefährdet wurden. kommen und dazu beitragen, international gleiche vengift Thiodicarb enthält.24 Auch in anderen Ländern zungen einhergehen, und eine Sorgfaltspflicht muss Das Recht muss sicherstellen, dass alle Unternehmen Wettbewerbsfähigkeit sowie Rechtssicherheit für Un- Lateinamerikas, Afrikas und Asiens verkauft Bayer gif- sich auf die gesamte Wertschöpfungskette beziehen, – gemeinsam oder selbständig – das nachhaltige Ma- ternehmen voranzubringen. tige Pestizide, die in der EU nicht auf den Markt dür- also nicht nur auf die Produktionsprozesse, sondern fen. Für Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten auch auf die Vertriebsseite. 16 UN Working Group, Bericht A/73/163 vom 16.07.2018, Nr. 36. 17 Wettstein (2012). 18 Buerke (2016): Nachhaltigkeit und Consumer Confusion. Im Rahmen eines Monitorings stellte das Institut für Ökologische Wirtschafts- forschung (IÖW) fest, dass 63 % der CSR-berichtspflichtigen deutschen Unternehmen noch immer keine Angaben zu nichtfinanziellen Risiken machen, vgl. Hobelsberger (2019): Monitoring der Nicht-Finanziellen Berichterstattung, S. 28. Dies dürfte an der schwachen Umsetzung der CSR-Richtlinie in Deutschland liegen, vgl. Humber (2019): Critical Assessment of the CSR Directive. 19 Grabosch (2019): Unternehmen und Menschenrechte. 20 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 25.10.2016 zur Verantwortlichkeit von Unternehmen für schwere Menschenrechtsver- letzungen in Drittstaaten, P8_TA(2016)0405. 21 CESCR (2018): Abschließende Bemerkungen bzgl. Deutschlands sechstem periodischen Bericht vom 12. Oktober 2018, Abs. 7-11. 22 Kommentar zu UN-Leitprinzip 3. 23 Vgl. Menschenrechtsverletzungen durch deutsche Unternehmen: www.oxfam.de/unsere-arbeit/themen/menschenrechtsverletzun- gen-fuer-profite; www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/user_upload/_Broschu__re_Unternehmen_zur_Verantwotung_zie- hen_D_1609_98dpi.pdf. 24 Initiative Lieferkettengesetz, Fallbeispiel Pestizide in Brasilien (2019); Bombardi, A Geography of Agrotoxins Use in Brazil (2019), S. 46. 25 Ebd.; Bombardi (2019), S. 48. 26 Ebd. 27 UN Human Rights Committee, Cáceres v. Paraguay (14.08.2019). Der EGMR sieht ähnliche Verknüpfungen zwischen Umwelt- und Men- Abbildung 2: Ohne ein wirksames Lieferkettengesetz fehlt der Wertschöpfungskette der gesetzliche Rahmen. schenrechtsschutz bereits seit längerem, Meyer-Ladewig, Umweltrecht in der Rechtsprechung des EGMR (2007).
18 II. Einleitung II. Einleitung 19 Am Beispiel der Kakaoernte zeigt sich, dass Scho- Das Flussbett ist seitdem mit Schwermetallen ver- koladenhersteller wie Ferrero, Nestlé, Mars und seucht. Anwohner*innen fehlt der Zugang zu saube- Mondelez, die Niederlassungen in Deutschland rem Trinkwasser. Das Sicherheitsrisiko war laut der haben, von Kinderarbeit profitieren.28 Etwa 70 Pro- brasilianischen Staatsanwaltschaft Vertreter*innen zent der globalen Kakaoernte kommt aus Westafrika, von Vale wie auch TÜV Süd Brasilien bereits seit No- insbesondere den beiden wichtigsten Anbauländern vember 2017 bekannt.36 Ein Urteil des Gerichts im Côte d´Ivoire und Ghana. Rund zwei Millionen Kinder brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais wirft TÜV arbeiten hier auf Kakaoplantagen unter Bedingun- Süd Brasilien Korruption und Irreführung der Behör- gen, die teilweise nach den ILO-Übereinkommen Nr. den vor.37 Die brasilianische Staatsanwaltschaft er- 138 und 182 verboten sind. Die Kinder tragen oftmals hob im Januar 2020 gegen 15 Mitarbeiter*innen von zu schwere Lasten, arbeiten mit gefährlichen Werk- Vale und TÜV Süd, darunter auch ein Mitarbeiter der zeugen oder versprühen ohne Schutzkleidung gifti- TÜV-Süd-Zentrale in München, sogar Anklage wegen ge Pestizide. Zudem können viele Kinder wegen der Umweltverbrechen und wegen Mordes. Der Fall zeigt: Arbeit nicht zur Schule gehen. Rund 16.000 Kinder Sorgfaltspflichten im Sinne einer menschenrechtli- im Kakaosektor sind von Zwangsarbeit betroffen.29 chen und umweltbezogenen Risikoanalyse entlang Deutschland gehört zu einem der wichtigsten Abneh- der Wertschöpfungskette sind unabdinglich, um prä- mer von Kakaobohnen. Keiner der großen Schokola- ventive Schutzmaßnahmen zu ergreifen. denhersteller, der Kakao aus Westafrika bezieht und eine Niederlassung in Deutschland hat, kann bisher Der Fall des Textilunternehmens KiK zeigt, dass ausschließen, dass in seinen Produkten Kinderarbeit ein Lieferkettengesetz in Deutschland sowohl für steckt.30 Betroffene als auch für Unternehmen Rechtssi- cherheit schaffen würde. Im September 2012 starben Der Fall der Marikana-Mine in Südafrika ist ein 258 Arbeiter*innen bei einem Brand in der Textilfa- Beispiel für schwerwiegende Menschenrechts- brik Ali Enterprises in der Stadt Karatschi in Pakis- verletzungen im Bergbau. Der deutsche Chemie- tan. Die Arbeiter*innen erstickten oder verbrannten, 28 Initiative Lieferkettengesetz, Fallbeispiel Kinderarbeit in Westafrika (2019); Washington Post (5. Juni 2019): „Hershey, Nestle and Mars konzern BASF kauft jährlich Platin im Wert von rund weil viele Fenster vergittert und Notausgänge ver- broke their pledges to end child labour in chocolate production”, siehe: https://www.washingtonpost.com/graphics/2019/business/ 600 Millionen Euro aus der Marikana-Mine und be- schlossen waren.38 Hauptkunde der abgebrannten hershey-nestle-mars-chocolate-child-labor-west-africa/??noredirect=on. schichtet damit Abgaskatalysatoren für die deut- Fabrik war das deutsche Textilunternehmen KiK, das 29 Ebd. sche Autoindustrie. Der deutsche Konzern war der nach eigenen Angaben im Jahr 2011 bis zu 75 Pro- 30 Ebd. Washington Post (5. Juni 2019). Hauptkunde der Mine, als im August 2012 34 Arbei- zent der Produktion kaufte.39 Man habe regelmäßig 31 Initiative Lieferkettengesetz, Fallbeispiel Marikana (2019); Brot für die Welt (2018): Edles Metall – Unwürdiger Abbau. Platin aus Süd- ter erschossen wurden, die für bessere Arbeits- und die Arbeitsplatzsicherheit und sonstige Arbeitsbe- afrika und die Verantwortung deutscher Unternehmen, S. 14-18. Lebensbedingungen gestreikt hatten.31 Auf Druck dingungen durch Audit-Firmen begutachten lassen, 32 Ebd.: Vgl. Stellungnahme von BASF zu den Reaktionen auf das Massaker: https://www.basf.com/us/en/who-we-are/organization/sup- zivilgesellschaftlicher Organisationen sandte BASF versicherte KiK.40 Damit kannte das Unternehmen die pliers-and-partners/sustainability-in-procurement/ensuring-sustainability-in-the-supply-chain.html. Unternehmensvertreter*innen nach Südafrika, führ- Arbeitsbedingungen und baulichen Details der Fabrik 33 Initiative Lieferkettengesetz (2019); Seoka, Rede von Bischof Jo Seoka bei der BASF-Aktionärsversammlung im Mai 2019. Veröffentlicht te Audits beim Minenbetreiber durch und versuchte – oder hätte sie kennen müssen. Wenige Mittel hät- unter: http://basflonmin.com/home/wp-content/uploads/2019/04/Rede_Seoka_AGM_BASF2019_final.pdf. eine Nachhaltigkeitsinitiative anzustoßen.32 Den- ten ausgereicht, um bei dem Brand vielen Menschen 34 Tribunal de Justiça de Minas Gerais (2019): Decisão do Poder Judiciário do Estado de Minas Gerais do 9 de maio de 2019, Processo No. noch ist keine messbare Verbesserung der Situation das Leben zu retten. Dies belegt unter anderem eine 5000218-63.2019.8.13.0090. Réu: TÜV Süd Bureau de Projetos e Consultoria Ltda., TÜV Süd SFDK Laboratório de Análise de Produtos der Betroffenen vor Ort eingetreten.33 Konsequenzen Computersimulation.41 Als Hauptkunde wäre es für Eirele [Gerichtsurteil]. wie die Aussetzung des Vertrages oder die Verhän- KiK einfach gewesen, bessere Brandschutzvorkeh- 35 Globo (2019): Lista de mortos na tragédia em Brumadinho. Veröffentlicht unter: https://g1.globo.com/mg/minas-gerais/noti- gung von Vertragsstrafen hat BASF nicht gezogen. rungen durchzusetzen. 2015 reichten vier Betroffene cia/2019/01/26/veja-quem-sao-as-vitimas-da-tragedia-em-brumadinho.ghtml, letzter Zugriff am 01.08.2019 beim Landgericht Dortmund Zivilklage gegen KiK ein 36 Gude/Hecking (2019): Brasilianische Richterin wirft TÜV Süd Versagen vor. Veröffentlicht unter: https://www.spiegel.de/wirtschaft/ Ein Dammbruch in Brasilien zeigt, dass Sorg- und forderten je 30.000 Euro Schmerzensgeld. Die brasilien-richter-werfen-tuev-sued-versagen-vor-a-1269145.html, letzter Zugriff am 01.08.2019. faltspflichten entlang der Wertschöpfungskette Klage war die erste dieser Art in Deutschland. 37 Tribunal de Justiça de Minas Gerais (2019). für die Achtung von Menschenrechten und Um- 38 Forensic Architecture (2018): The Ali Enterprises Factory Fire. Veröffentlicht unter: https://forensic-architecture.org/investigation/the- weltstandards unverzichtbar sind. Im September Im Januar 2019 wies das Gericht die Klage jedoch ali-enterprises-factory-fire, letzter Zugriff am 01.08.2019. 2018 zertifizierte TÜV Süd Brasilien, ein Tochter- wegen Verjährung nach pakistanischem Recht ab. 39 Kazim/Klawitter (2012): Zuverlässiger Lieferant, in: Der Spiegel 43/2012, S. 78. unternehmen der deutschen TÜV-Süd-Gruppe, die Nicht inhaltliche, sondern formale Gründe entschie- 40 KiK (2013): KiK-Nachhaltigkeitsbericht 2013: https://www.kik.de/unternehmen/wp-content/uploads/2018/05/2.-Nachhaltigkeitsbe- Stabilität eines Damms für Minenschlämme einer den somit den Fall. Die eigentlichen Fragen zur Unter- richt.pdf sowie KiK (2017): Nachhaltigkeitsbericht 2017, S.11-13. Veröffentlicht unter: http://www.kik-textilien.com/unternehmen/file- Eisenerzmine des Bergbaukonzerns Vale S.A. in der nehmenshaftung blieben unbeantwortet. Ein Liefer- admin/user_upload_de/Kategorien/Verantwortung/Nachhaltigkeitsbericht/Nachhaltigkeitsbericht_2017_deutsch.pdf, letzter Zugriff Gemeinde Brumadinho.34 Als am 25. Januar 2019 der kettengesetz würde hier Rechtssicherheit schaffen. am 01.08.2019. Damm brach, kamen 272 Menschen ums Leben.35 41 Forensic Architecture (2018): The Ali Enterprises Factory Fire.
III. Mögliche Ausgestaltung eines Lieferkettengesetzes 21 1. AUSGANGSLAGE IM DEUTSCHEN RECHT Die Gewährleistung des Schutzes von Menschen- weil er eine Gefahrenlage herbeiführt, und umso mehr, rechten, von Arbeitnehmerbelangen und der Umwelt weil die Gefährdeten selbst die Gefahrenlage nicht und die Sanktionierung von Verstößen gegen die ge- vermuten würden. Gerade weil der Veranstalter den schützten Rechte und Rechtsgüter erfolgt in der deut- technischen Ablauf des Feuerwerks einem (als zuver- schen Rechtsordnung mittels verwaltungsrechtlicher lässig bekannten) Experten überlässt und selbst nicht und strafrechtlicher Vorschriften. Daneben bietet die kontrollieren kann, müsse er im Vorfeld überprüfen, ob zivilrechtliche Haftung Geschädigten die Möglichkeit der Experte besondere Gefahren hinreichend bannen auf Ausgleich eines erlittenen Schadens. Deutsche wird. Da Rohrkrepierer bei einem Großfeuerwerk kein Unternehmen sind außerdem bereits jetzt in gewis- Einzelfall sind, müsse auch der Veranstalter als Laie sem Umfang verpflichtet, gegenüber der Öffentlich- erkennen, dass das beauftragte Fachunternehmen das keit regelmäßig Berichte vorzulegen: Besonders große Publikum vor den Gefahren eines Feuerwerkskörpers kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften müssen mit 150 mm Durchmesser (sog. Bombe) durch eine Ab- III. gemäß § 289b HGB bereits regelmäßig gegenüber der schirmung schützen muss. Obwohl das selbstständige Allgemeinheit über ihren Umgang mit Nachhaltigkeits- Unternehmen seinem Auftraggeber gegenüber nicht belangen Rechenschaft ablegen. weisungsgebunden ist, könne und müsse er ihm die Anweisung zur Installation eines entsprechenden MÖGLICHE Die zivilrechtliche Haftung ist in der deutschen Rechts- ordnung der vorgezeichnete Weg, um bei Rechtsguts- Schutzes erteilen. Unterlässt er dies, verletzt er eine ihm selbst obliegende Sorgfaltspflicht und muss Drit- AUSGESTALTUNG EINES verletzungen den Geschädigten zu angemessenem ten, deren Körper und Gesundheit geschädigt werden, Ausgleich zu verhelfen.42 Bei einer schuldhaften – vor- gemäß § 823 Abs. 1 BGB Schadensersatz zahlen.43 sätzlichen oder fahrlässigen – Verletzung von geschütz- 1965 fällte der BGH ein Urteil über die Sorgfaltspflicht LIEFERKETTENGESETZES ten Rechten und Rechtsgütern bietet das in den §§ 823 ff. BGB geregelte Deliktsrecht den von der Verletzung in einer Wertschöpfungskette. Grundsätzlich könne sich eine Bauherrin (hier: die BRD) darauf verlassen, ENTSPRECHEND DER Betroffenen die Möglichkeit, einen Schadensersatzan- dass ihre (ordnungsgemäß ausgewählten und über- spruch gegen den oder die Schädiger geltend zu machen. wachten) Vertragspartner keine Schäden verursachen. Bei besonders großen Vorhaben mit für sie erkennba- ANFORDERUNGEN DER Die von der Rechtsprechung zur deliktsrechtlichen ren Gefahren habe sie aber ihre Möglichkeiten der Ein- Sorgfaltspflicht entwickelten Grundsätze sind für eine wirkung auf die Wertschöpfungskette zu gebrauchen. Fortentwicklung bezogen auf den grenzüberschreiten- So müsse sie ihre Auftragnehmer dazu anhalten, die INITIATIVE den Geschäftsverkehr geeignet. Bereits jetzt ist an- erkannt, dass Unternehmen für einen Schaden haften können, den ein von ihnen beauftragtes selbständiges von diesen wiederum beauftragten Transportunterneh- men zu verpflichten, umfangreiche Mengen Erdaus- hubs aus der Mosel entweder durch enge Ortsdurch- Unternehmen verursacht hat. Nämlich dann, wenn dem fahrten nur langsam oder aber auf alternativen Routen auftraggebenden Unternehmen ein eigenes Verschul- zu entsorgen. Andernfalls hafte sie für entstandene den gem. § 823 Abs. 1 BGB vorgeworfen werden kann. Verunreinigungen gemäß § 823 Abs. 1 BGB.44 Der Bundesgerichtshof (BGH) hat insoweit grundlegen- 1975 führte der sechste Zivilsenat des BGH aus, dass de Urteile gefällt: die Anforderungen an die Sorgfalt besonders hoch seien, wenn der Auftraggeber erkennen kann, dass 1964 entschied der BGH den sog. Rohrkrepierer-Fall: das dem Auftragnehmer übertragene Geschäft beson- Der Veranstalter eines Großfeuerwerks treffe die ders gefährlich ist. Wenn ein Großunternehmen der Pflicht, Dritte sorgfältig vor Gefahren zu bewahren, Petrochemie große Mengen gefährlicher Mineralöl- 42 Klinger/Krajewski/Krebs/Hartmann (2016): Verankerung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen, S. 70. 43 BGH, Urteil vom 14.10.1964 – Ib ZR 7/63, NJW 1965, 197, insbes. III.2, 44 BGH, Urteil vom 30.11.1965 – VI ZR 145/64; ebenso der fünfte Zivilsenat: BGH, Urteil vom 23.2.200 – V ZR 389/99, II.1.
22 III. Mögliche Ausgestaltung eines Lieferkettengesetzes III. Mögliche Ausgestaltung eines Lieferkettengesetzes 23 abfälle von einem Unternehmen entsorgen lässt, das grenzen (Gefahrgeneigtheit einer Tätigkeit; Erkennbar- pitel 2 genannten Anforderungen aufgreifen und einen stützung erhalten, oder mit denen der Staat im Rahmen über die erforderlichen Fachkenntnisse und Betriebs- keit der Gefahr; Schutzmöglichkeit; Vorhersehbarkeit; Ordnungswidrigkeitstatbestand verbunden mit einer der öffentlichen Auftragsvergabe geschäftliche Trans- anlagen eindeutig nicht verfügt, handelt es sorgfalts- Schwere der Schädigung; Zumutbarkeit der Gefahrab- Legalitätspflicht schaffen. aktionen tätigt. Dieser sog. Staat-Wirtschaft-Nexus ist widrig. Es muss einem Wasserwerk den durch die wendungsmaßnahmen), eignen sich für eine Anwen- bei der öffentlichen Beschaffung und der Außenwirt- entstehende Grundwasserverseuchung verursachten dung auf den globalen Geschäftsverkehr.48 Sie sind Eine Möglichkeit der öffentlich-rechtlichen Durchset- schaftsförderung gegeben und verlangt, dass Nachhal- Schaden gemäß § 823 Abs. 1 BGB ersetzen.45 allerdings bisher nicht entsprechend durch den Gesetz- zung von Nachhaltigkeitsbelangen ist, über das Ver- tigkeitsbelange durch ein zukünftiges Lieferkettenge- geber verankert worden. gaberecht (Recht der öffentlichen Beschaffung) Nach- setz stärker gesetzlich verankert werden. Diese von der Rechtsprechung entwickelte deliktsrecht- haltigkeitsbelange im Verfahren der Auftragsvergabe liche Sorgfaltspflicht bezüglich Dritter ist bis heute an- § 823 Abs. 1 BGB ist nicht die einzige deutsche Rechts- zu berücksichtigen. Das Volumen der öffentlichen Auf- Im Vordergrund der zivilrechtlichen Haftung steht die erkannt.46 Sie überspannt nicht die an Unternehmen norm, gemäß der ein Unternehmen für das Verhalten tragsvergabe in Deutschland wird auf bis zu 450 Mrd. Vermeidung der Verletzung von Rechten und Rechtsgü- gestellten Anforderungen, sondern führt zu einem von Auftragnehmern haften kann. So begründet § 831 € pro Jahr geschätzt.50 Sie hat somit eine entscheiden- tern sowie die Möglichkeit der Wiedergutmachung und gerechten Interessenausgleich. So hat der Bundesge- BGB die Haftung für Verrichtungsgehilfen, die der Auf- de, prägende Wirkung auf die Wirtschaftspraxis. Die Schadenskompensation für die Betroffenen. Solche richtshof 2005 in einem Urteil ausgeführt: traggeber nicht sorgfältig ausgewählt, überwacht und Außenwirtschaftsförderung hingegen ist im deutschen deliktsrechtlichen Sorgfaltspflichten schaffen nichts angewiesen hat.49 Recht bisher weitgehend von nicht gesetzlichen, son- Systemfremdes, sondern knüpfen an bereits etablierte Nicht jeder abstrakten Gefahr [kann] vorbeugend be- dern behördlichen Richtlinien geprägt. Die UNGP 4-6 Rechtsgedanken an. Die Pflichten werden mit dem öf- gegnet werden. Ein allgemeines Verbot, andere nicht Auch in verschiedenen besonderen Rechtsgebieten gibt sehen vor, dass Staaten zusätzliche Maßnahmen zum fentlich-rechtlichen Teilgebiet des Vergaberechts und zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, es spezifische Sorgfaltspflichten (z. B. im Gesetz über Schutz vor Menschenrechtsverletzungen durch Wirt- der Außenwirtschaftsförderung kombiniert, welche be- die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen die Umweltverträglichkeitsprüfung, die Generalunter- schaftsunternehmen ergreifen, die von staatlichen Stel- reits jetzt eine Berücksichtigung von Nachhaltigkeits- Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine nehmerhaftung nach dem Arbeitnehmer-Entsendege- len wie u. a. Exportkreditagenturen erhebliche Unter- belangen zumindest zulassen. Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil setz, in § 3 Abs. 1 Arbeitsschutzgesetz). Eine Haftung die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter für die Verletzung einer unternehmerischen Sorgfalts- 2. PERSÖNLICHER ANWENDUNGS- anderer verletzt werden können. Deshalb muss nicht für pflicht ist daher keineswegs systemfremd. Auf beson- alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts deren Gebieten ist sogar eine strengere Haftung als die BEREICH: FÜR WELCHE UNTERNEHMEN Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die (verschuldensabhängige) Haftung für Sorgfaltspflicht- Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schä- verletzungen etabliert. Nach dem Produkthaftungsge- SOLL DAS GESETZ GELTEN? digung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr setz (ProdHaftG) haftet der Hersteller eines Produktes erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis für Schäden, die durch Produktfehler entstanden sind, derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem unabhängig davon, ob ihm Fahrlässigkeit vorgeworfen entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffas- werden kann. Die Anforderungen der Initiative Liefer- Die Vorgaben der UNGP und anderer soft law-Rahmen- sein und kleine und mittelständische Unternehmen sung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkann- kettengesetz beinhalten jedoch nicht eine ähnlich werke sind von allen Unternehmen zu beachten. Das nur dann erfasst sein, wenn ihre Geschäftstätigkeit be- termaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu strenge Haftung, sondern verfolgen einen Ansatz, der sollte auch für ein zukünftiges Lieferkettengesetz gel- sondere Risiken für die Umwelt oder Menschenrechte treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger Unternehmen Entlastungsmöglichkeiten einräumt. ten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet je- birgt. Im folgenden Unterkapitel 2.b. sind Branchen auf- und gewissenhafter Angehöriger dieser Berufsgruppe doch Ausnahmen für bestimmte Unternehmen. Als Kri- geführt, bei denen davon auszugehen ist, dass solche für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Neben der Pflichtverletzung muss im deutschen De- terien für die Einschränkung des Anwendungsbereichs Risiken gegeben sind. Räumlich sollte ein Lieferketten- Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen liktsrecht auch ein konkreter Schaden gegeben sein, sollten die Unternehmensgröße und die Gefahrgeneigt- gesetz – im Einklang mit völkerrechtlichen Prinzipien nach zuzumuten sind; Voraussetzung für eine Verkehrs- um eine Haftung zu begründen. Die Steuerungswir- heit der jeweiligen Branche, in der das Unternehmen tä- – für alle Unternehmen gelten, die in Deutschland an- sicherungspflicht ist, dass sich vorausschauend für ein kung einer deliktischen Haftung erreicht ihre Grenze tig ist, berücksichtigt werden. So sollten Kleinstunter- sässig oder geschäftstätig sind. sachkundiges Urteil die nahe liegende Gefahr ergibt, dann, wenn Menschenrechte oder die Umwelt in einer nehmen von einem Lieferkettengesetz ausgenommen dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Weise betroffen sind, bei der ein individueller Schaden Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutz- schwer bestimmbar ist und in Form eines finanziellen maßnahmen getroffen werden mussten, weil eine Ge- Schadensersatzes kaum oder gar nicht eingeklagt wer- fährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, den kann. Dies betrifft kollektive Rechte wie beispiels- aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter weise die Koalitionsfreiheit. Ebenso umweltbezogene 45 BGH, Urteil vom 07.10.1975 – VI ZR 43/74. liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahms- Sorgfaltspflichten, wenn bei deren Verletzung nicht 46 Vgl. Kötz (2017). Für Haftungsfragen in anderen Bereichen (Haftung von Geschäftsleitern gem. §§ 93 AktG, 43 GmbHG oder im Außen- weise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Ge- zugleich Gesundheit und Eigentum verletzt werden. verhältnis) mögen hingegen andere Grundsätze gelten. schädigte – so hart dies im Einzelfall sein mag – den Verstöße im Umweltrecht werden im deutschen Rechts- 47 BGH, Urt. v. 08.11.2005 – VI ZR 332/04, unter II.1. Ergebnis dieser Ausführungen des BGH war, dass ein Besucher einer Aufführung Schaden selbst tragen. Er hat ein ,Unglück‘ erlitten und system primär durch das Einschreiten von Behörden auf von Goethes »Faust«, in der eine Schreckschusspistole abgefeuert wird, von dem Theaterveranstalter für die Verschlechterung seines kann dem Schädiger kein ‚Unrecht‘ vorhalten.47 Grundlage des Gewerbe-, Umwelt- und sonstigen Ver- Tinnitus keinen Schadensersatz verlangen kann. waltungsrechts sowie des Ordnungswidrigkeitenrechts 48 Grabosch/Scheper (2015): Sorgfaltspflichten. Die aufgeführten deliktsrechtlichen Kriterien, die eine reguliert und sanktioniert. Auch diese Systematik sollte 49 Kötz (2017); Grunewald (2018). Sorgfaltspflicht begründen, gleichzeitig aber auch be- ein zukünftiges Lieferkettengesetz im Sinne der in Ka- 50 Eßig (2016): Beschaffungsvolumen des öffentlichen Sektors, S. 8.
24 III. Mögliche Ausgestaltung eines Lieferkettengesetzes III. Mögliche Ausgestaltung eines Lieferkettengesetzes 25 nehmen zur Sorgfalt im Umgang mit Konfliktmineralien diese unterhalten typischerweise komplexe interna- aus der Große-Seen-Region in Afrika und zur Veröffent- tionale Wertschöpfungsketten. Sie haben eine enorme lichung von Berichten über diese Sorgfalt verpflichtet.53 Marktmacht und können, wenn sie auf dem ausländi- schen Markt auftreten, veranlasst durch ein Lieferket- Eine Berichtspflicht zu Nachhaltigkeitsbelangen sieht tengesetz auch den dort aufsteigenden Global Playern auch die geltende Rechtslage schon für einige unter eine nachhaltigkeitsbezogene Sorgfalt abverlangen. den großen Unternehmen vor, nämlich für kapitalmarkt- Gleichzeitig haben sie die meisten finanziellen und per- orientierte Gesellschaften mit mindestens 500 Beschäf- sonellen Mittel, um die Sorgfaltspflichten zu erfüllen. tigten. Diese müssen seit 2017 jährlich gemäß § 289c Zudem sind viele kleine und mittelständische Unter- HGB über ähnliche Nachhaltigkeitsbelange wie die in nehmen ihre Geschäftspartner; bei Einführung eines diesem Gesetz genannten und ihren Umgang mit ihnen Lieferkettengesetzes ist zu erwarten, dass die großen berichten. Unternehmen bei der Erfüllung ihrer Sorgfaltspflicht auch diese Geschäftspartner zur Sorgfalt anhalten, sie Es ist wichtig und gerechtfertigt, alle großen Unterneh- entsprechend anleiten und mit Informationen unter- men in den Anwendungsbereich einzuschließen, denn stützen werden. b) UNTERNEHMEN IN HOCHRISIKO- BRANCHEN Abbildung 3: Ein wirksames Lieferkettengesetz erfasst deutsche und in Deutschland tätige Unternehmen. a) GROSSE UNTERNEHMEN Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sollten zu den daher vorgesehen werden, dass das Gesetz auf KMU, Adressaten eines Lieferkettengesetzes zählen, wenn die in diesen Branchen tätig sind, Anwendung findet. ihre Geschäftstätigkeit besondere Risiken für Men- Die Branchen sollten sich an der aktuellen Studie zu Ein Gesetz sollte zunächst für alle großen Unternehmen Gesellschaft“ gilt. Kapitalmarktorientierte Gesellschaf- schenrechte, Arbeitnehmerbelange und die Umwelt Risikobranchen54 des Bundesministeriums für Arbeit gelten, die – unabhängig von ihrer Rechtsform – große ten im Sinne des § 264d HGB sind solche, die von ihnen birgt. und Soziales (BMAS), die im Februar 2020 erschei- Gesellschaften i. S. d. § 267 HGB sind. Gemäß § 267 ausgegebene Wertpapiere an einem Börsenplatz oder nen soll, und der NACE-Verordnung der Europäischen Abs. 3 HGB handelt es sich bei großen Gesellschaften einem anderen organisierten Markt handeln lassen. Bei der rechtlichen Verankerung von menschenrecht- Union55 orientieren. Darüber hinaus sollten in der Liste um all jene, die mindestens zwei der drei folgenden Erfüllt ist diese Voraussetzung auch, wenn an einem lichen Sorgfaltspflichten im deutschen Recht sollte weitere Branchen aufgeführt sein, die hohe menschen- Merkmale überschreiten: deutschen Handelsplatz aktienähnliche Anteile an aus- ländischen Gesellschaften zum Handel zugelassen sind 1. 20.000.000 Euro Bilanzsumme; (Anleihen).52 Insofern würde ein Lieferkettengesetz also 2. 40.000.000 Euro Umsatzerlöse in den zwölf Mona- auch für in- und ausländische Unternehmen gelten, die ten vor dem Abschlussstichtag; lediglich auf dem deutschen Kapitalmarkt auftreten. 51 Schätzungen gehen von etwa 11.200 große Kapitalgesellschaften mit Sitz in Deutschland (so Karin Binder (Die Linke) in ihrer Rede im 3. im Jahresdurchschnitt zweihundertfünfzig Arbeit- Völkerrechtlich ist diese extraterritoriale Geltungser- Bundestag zum CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz am am 20. Oktober 2016 (https://www.linksfraktion.de/parlament/reden/detail/ nehmer*innen. weiterung auf auch ausländische Gesellschaften zuläs- karin-binder-unternehmen-zu-gesellschaftlicher-verantwortung-verpflichten/) aus. sig. Denn mit der Beantragung der Zulassung zum Han- 52 Koller/Kindler/Roth/Drüen/Morck/Drüen (2019): HGB § 264d Rn. 3. § 267 HGB bezieht sich auf Kapitalgesellschaften wie del hat das jeweilige ausländische Unternehmen selbst 53 Grabosch (2019), S. 13. die GmbH und die Aktiengesellschaft.51 Darüber hin- einen Inlandsbezug zum deutschen Markt geschaffen. 54 Das BMAS hat eine Untersuchung bei den Beratungsagenturen Ernst & Young und adelphi in Auftrag gegeben, um zu ermitteln, in aus sollte ein wirksames Lieferkettengesetz den An- welchen deutschen Branchen menschenrechtliche Risiken besonders häufig oder in schwerwiegendem Maße auftreten. Die Branchen wendungsbereich durch den Zusatz „unabhängig von Ferner dient ein mögliches Lieferkettengesetz dem wurden auch danach ausgewählt, ob sie eine besondere Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland haben und sich damit für ihrer Rechtsform“ auch auf Personengesellschaften Schutz bedeutender Gemeinschaftsgüter der interna- einen der Branchendialoge eignen, die vom BMAS im Rahmen der Umsetzung des NAP Wirtschaft und Menschenrechte durchgeführt erweitern. Dies ist insbesondere relevant, damit auch tionalen Staatengemeinschaft. Es stellt materielle Ver- werden. Die Studie soll Anfang im Februar 2020 erscheinen. die offenen Handels- und die Kommanditgesellschaften haltensanforderungen (Sorgfalt) und verlangt diesbe- 55 Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 des Europäischen Rates und des Rates vom 20.12.2006 zur Aufstellung der statistischen Systematik mitumfasst sind. Denn die Gefährdung von Nachhaltig- züglich Publizität (Berichte), was wiederum dem Schutz der Wirtschaftszweige NACE Revision 2 und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3037/90 des Rates sowie einiger Verordnungen keitsbelangen durch Wirtschaftstätigkeiten hängt nicht der Interessen von Investor*innen und Verbraucher*in- der EG überbestimmte Bereiche der Statistik. Die Europäische Union hat die Wirtschaftszweige in der NACE-Verordnung systematisch von der Rechtsform des Unternehmens ab. nen an deutschen Börsen dient. Insoweit entsprechen klassifiziert, aus ihnen Gruppen gebildet und diese wiederum in 99 Abteilungen zusammengefasst. Diese Klassifizierung wurde zwecks Konzeption und Adressatenkreis denen der Section einer Harmonisierung EU-weiter statistischer Arbeiten vorgenommen und entsprechend vom deutschen Statistischen Bundesamt Darüber hinaus regelt § 267 Abs. 3 S. 2 HGB, dass eine 1502 des US-amerikanischen Dodd-Frank Acts, wel- übernommen. Zweifelsfragen, welcher oder welchen Branchen ein Unternehmen zuzuordnen ist, werden sich nicht gänzlich vermeiden kapitalmarktorientierte Gesellschaft stets als „große cher alle in- und ausländischen börsennotierten Unter- lassen. Sie dürften aber im Rahmen des EU-Klassifizierungssystems, welches seit 2008 gilt, zu einem großen Teil geklärt sein.
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