Trauer Wie sich die Gedenkkultur der Bundeswehr entwickelt hat - Krise

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Trauer Wie sich die Gedenkkultur der Bundeswehr entwickelt hat - Krise
Zeitschrift für Innere Führung              Nr. 2 | 2020

                               Trauer
Krise
Die Auswirkungen
der Tötung von
Qassem Soleimani                Wie sich die Gedenkkultur
                                der Bundeswehr entwickelt hat
Erbe
Der lange Schatten
der deutschen
Kolonialgeschichte

Ethik
Moralisch handeln
im Cyber war
Trauer Wie sich die Gedenkkultur der Bundeswehr entwickelt hat - Krise
Inhalt

if - Zeitschrift für Innere Führung wurde 1956 als IFDT Information für die Truppe gegründet.

       Führung                                             Bürger und Staat
 Sebastian Nieke                                        Harald Stutte

 Die Trauerfeiern des                                   Schwieriges Erbe des
 Afghanistaneinsatzes                              5    deutschen Kolonialismus                 27
 Schritte zu einem öffentlichen Soldatengedenken        Unerfüllte Forderungen

       Innere Führung                                      Welt
Florian Schreiner                                       Simon Klingert

Tradition erleben                                 12    Der Tod des Generals                    34
    Regionale Ausstellungen als Aspekt                  Die Auswirkungen der Tötung von
    soldatischer Persönlichkeitsbildung                 Qassem Soleimani

Roger Mielke

Cyber war - Moral
im virtuellen Raum                                20
Brauchen wir eine neue Ethik für den Cyber war?

2       Zeitschrift für Innere Führung 2|2020
Trauer Wie sich die Gedenkkultur der Bundeswehr entwickelt hat - Krise
Inhalt

                             Gedenken: Mit der Trauerfeier für die am Karfreitag 2010 in Afghanistan
                             gefallenen Fallschirmjäger hat sich das Soldatengedenken in Deutschland
                             gewandelt. Die militärischen Trauerfeiern für im Einsatz gefallene Soldaten
                             werden heute als öffentliches Soldatengedenken mit ministerieller Beteiligung, in
                             einer Kirche und, soweit es die Pietät zulässt, mit Medienberichterstattung
                             begangen.                                                                 (rhl)

Titel: picture alliance/dpa/Marius Becker

     Geschichte                                                                                       Rubriken
Frank Bauer                                                                                     Meinung                                                                 4
König und Kaiser                                                     41                         Die Innere Führung stärkt den Einsatzwert

Kaiser Wilhelm I. als Projektionsfläche eines
Jahrhunderts deutscher Geschichte                                                               Aufgeschlagen                                                         58
                                                                                                Krieg in Korea

     Essay                                                                                      Mediale                                                               60

Christoph Karich                                                                                Impressum                                                             65
Die Angsthasen                                                       50
                                                                                                Schlaglicht                                                           66
Vom verantwortungsvollen Umgang                                                                 Brexit
mit dem Risiko

Fotos von links nach rechts: Bundeswehr/Sebastian Wilke, Bundeswehr/Patrik Bransmöller, picture alliance/ullstein bild/Haeckel Archiv, Bundeswehr/Andrea Bienert, picture
alliance/akg-images, stock.adobe.com/Peshkova

                                                                                                                              Zeitschrift für Innere Führung 2|2020         3
Trauer Wie sich die Gedenkkultur der Bundeswehr entwickelt hat - Krise
Meinung

                      Die Innere Führung
                      stärkt den Einsatzwert
                      Führungskultur ist genauso wichtig wie Ausbildung oder Material

 Mit dieser Ausgabe wechselt nicht              Werte und Normen des Grundgeset-        stellen. Das Karfreitagsgefecht 2010
 nur die Herausgeberschaft der „if              zes. Die Innere Führung ist jedoch      steht im Mittelpunkt dieser Aus-
 – Zeitschrift für Innere Führung“              kein Selbstzweck. Sie stärkt den        gabe. Die Geschehnisse und deren
 vom Presse- und Informations-                  Einsatzwert der Bundeswehr und          Auswirkungen habe ich seinerzeit
 stab im Bundesministerium der                  trägt damit substanziell zu ihrer       als Referent für Einsätze im Büro
 Verteidigung an das Zentrum                    Einsatzbereitschaft im Rahmen des       des beamteten Staatssekretärs erlebt.
 Innere Führung. Zugleich erhält                internationalen Krisenmanagements       Das bis dahin verlustreichste Ge-
 das Zentrum Innere Führung                     sowie der Landes- und Bündnisver-       fecht seit Bestehen der Bundeswehr
 einen neuen Kommandeur:                        teidigung bei. Ich bin zutiefst davon   als zentraler Bestandteil unserer
 Brigadegeneral André Bodemann.                 überzeugt, dass unsere Führungs-        Bundeswehrgeschichte ist Anlass
                                                kultur, die Charakter- und Per-         genug, sich diesem auch in Bezug
                                                sönlichkeitsentwicklung sowie das       auf unsere Erinnerungskultur zu

 Z        ur Bundeswehr kam ich 1985 als
          Wehrpflichtiger. Mein Zugfüh-
    rer und mein Kompaniechef haben
                                                Selbstverständnis der Soldatinnen
                                                und Soldaten ebenso wichtig sind
                                                wie Ausbildung und einsatzfähiges
                                                                                        widmen. Denn vor allem: Verges-
                                                                                        sen dürfen wir nie! Als ehemaliger
                                                                                        Kommandeur des Deutschens Ein-
    mich damals mit ihrer Professionali-        Material.                               satzkontingents Resolute Support
    tät, ihrem Auftreten und Führungs-          Moderne Technologien, Medien,           und COM TAAC N war für mich
    verhalten beeindruckt, ja begeistert        gesellschaftliche Trends und vieles     gerade der Ehrenhain im Camp
    – Innere Führung pur, meine ich.            mehr beeinflussen die Einstellung       Marmal in Mazar e-Sharif immer
    Und letztlich hat mich dies davon           und das soziale Verhalten von Men-      ein besonderer Ort der Erinnerung,
    überzeugt, Zeit- und Berufssoldat           schen. Daher muss auch die Innere       der Besinnung und des Gedenkens.
    werden zu wollen. Seitdem war ich           Führung ständig weiterentwickelt
    wechselnd in Stabs- und Führungs-           werden, um neu und verbindlich          Auf künftige Begegnungen und
    verwendungen im Grundbetrieb                Orientierung zu bieten. Die Grund-      Gespräche mit Ihnen am Zentrum
    oder im Einsatz sowie in ministeri-         sätze der Inneren Führung gelten        Innere Führung in Koblenz oder an
    ellen Verwendungen vorrangig mit            jedoch unverändert. Sie sollen, ja      anderer Stelle freue ich mich. Bis da-
    Einsatzbezug eingesetzt. Jetzt stehe        sie müssen allerdings aus innerer       hin wünsche ich Ihnen viel Freude
    ich als Kommandeur des Zentrums             Überzeugung gelebt werden. Das          bei der Lektüre dieser Ausgabe!
    Innere Führung in der Linie der             Bewährte zu wahren und zu leben
    Herren Generale Artur Weber und             sowie – wo angebracht – die Innere
                                                                                                                                 Foto: picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka

    Ulrich de Maizière bis hin zu mei-          Führung zeitgemäß zu gestalten und
    nem direkten Vorgänger Reinhard             weiter zu entwickeln, das möchte ich
    Zudrop. Eine große Verantwortung,           mit Ihnen gemeinsam tun. So hoffe           André Bodemann
    Führungsaufgabe und Ehre, die               ich, dass es uns – im „if- Team“ – in       Jahrgang 1965, Brigadegeneral, ist
    ich mit Demut, Dankbarkeit und              dieser Ausgabe gelungen ist, für Sie        seit 27. März 2020 Kommandeur
                                                                                            des Zentrums Innere Führung.
    großer Freude annehme. Die Innere           interessante und aktuelle Themen
                                                                                            Zuvor war er Unterabteilungsleiter
    Führung war für mich stets ein              aus Politik, Gesellschaft, Zeitge-
                                                                                            Strategie und Einsatz II im Bun-
    bewährtes und beständiges Funda-            schichte und Ethik rund um die              desministerium der Verteidigung
    ment für verantwortliches soldati-          Innere Führung auch als Anstoß              in Berlin.
    sches Handeln unter Bindung an die          für eine Diskussion zusammenzu-

4       Zeitschrift für Innere Führung 2|2020
Trauer Wie sich die Gedenkkultur der Bundeswehr entwickelt hat - Krise
Führung

           Die Trauerfeiern des
           Afghanistaneinsatzes
               Schritte zu einem öffentlichen Soldatengedenken bei Todesfällen im Einsatz

                                                                                                Deutsche Fallschirmjäger vor
                                                                                                einem Allschutz-Tranportfahr-
                                                                                                zeug (ATF) Dingo, das bei einem
                                                                                                Anschlag zerstört wurde.
Foto: privat

               Der Afghanistaneinsatz konfrontierte die Bundesrepublik unausweichlich
               mit der Frage, wie sie ihrer verstorbenen Soldaten gedenken soll. Eine
               wachsende Bedeutung nahmen dabei die militärischen Trauerfeiern
               für die Gefallenen in Deutschland ein. Dass diese sich zu einem
               öffentlichen Soldatengedenken entwickeln würden – mit ministeriel-
               ler Beteiligung, in einer Kirche und, soweit es die Pietät zulässt, mit
               Medienberichterstattung – war zunächst keineswegs zu erwarten.

               I m April 2010 bietet sich der Bun-
                 desrepublik ein seit langem unge-
               kanntes Bild. In einer Dorfkirche im
                                                      Die Kirche ist voll besetzt; unter den
                                                      Gästen im Schiff und auf der Empore
                                                      befinden sich ebenfalls zahlreiche
                                                                                                  Wortwahl aber betritt zu Guttenberg
                                                                                                  Neuland. „Was wir am Karfreitag
                                                                                                  bei Kundus erleben mussten, das
               niedersächsischen Selsingen stehen     Soldaten. Hinter den Särgen tritt           bezeichnen die meisten verständli-
               drei flaggenbedeckte Särge flan-       Verteidigungsminister Karl-Theodor          cherweise als Krieg. Ich auch“, lautet
               kiert von drei Soldaten je Seite und   zu Guttenberg an ein Pult. Und hält         die in der Folge vielzitierte Passage.
               einem auf dem Kopfende ruhenden        eine Trauerrede. Es ist nicht die erste     Krieg – sowohl Kritiker als auch
               Gefechtshelm. Die Särge füllen den     eines deutschen Verteidigungsmi-            Befürworter des Bundeswehrein-
               Altarraum nahezu vollständig aus.      nisters in einer Kirche. Mit seiner         satzes in Afghanistan hatten

                                                                                                        Zeitschrift für Innere Führung 2|2020   5
Trauer Wie sich die Gedenkkultur der Bundeswehr entwickelt hat - Krise
Führung

Das Ehrenmal der Bundeswehr in
Berlin würdigt seit 2009 ausdrück-
lich alle in Folge ihres Dienstes ver-
storbenen Bundeswehrangehörigen.
Der 2014 bei Potsdam eingeweihte
Wald der Erinnerung (Foto) dient
als Ort der persönlichen Trauer.

Foto: Bundeswehr/Sebastian Wilke

         diesen Begriff aus jeweils eigenen             die Soldaten eines gewaltsamen         eingeweihte Wald der Erinnerung
         Motiven über mehrere Jahre hinweg              Todes für das deutsche Volk gestor-    als Ort der persönlichen Trauer
         von der Bundesregierung gefordert.             ben sind, war in der Bundesrepublik    dient, hat sich im Laufe des Afgha-
         Der Minister hatte sich ihm zuvor              jedoch kein einfacher.                 nistaneinsatzes mit den zentralen
         angenähert, von „kriegsähn-                    Zwar waren in Auslandseinsätzen        Trauerfeiern für gefallene Soldaten
         lichen Zuständen“ in Afghanistan               vor 2010 Soldaten der Bundeswehr       ein weiterer wichtiger Teil des Sol-
         gesprochen und davon, dass man                 gefallen und weitere durch Unfälle     datengedenkens etabliert. Der Weg
        „umgangssprachlich von Krieg reden“             und andere Umstände im Zusam-          dahin folgte jedoch keinem Automa-
         könne. Wirklich ausgesprochen hatte            menhang mit dem Dienst uns Leben       tismus, sondern er beruht auf mehre-
         er den Begriff Krieg jedoch erstmals           gekommen.                              ren Weichenstellungen.
         in seiner Trauerrede für die drei              Der ISAF-Afghanistaneinsatz, in
         deutschen Fallschirmjäger, die im              dem 35 deutsche Soldaten fielen,       Militärische Trauerfeiern. Das
         Gefecht am 2. April 2010 nahe Kun-             bedeutete für die Bundesrepublik,      Soldatengedenken in Demokratien
         dus gefallen sind.                             die sich bislang in militärischer      ist nicht selbstverständlich, sondern
         Die rechtlichen Folgen des Kriegs-             Zurückhaltung übte, allerdings eine    ist untrennbar mit der Herausbil-
         begriffs, die im Grundgesetz                   Zäsur. Der Einsatz stellte die Bun-    dung des Nationalstaats und der
         festgelegt sind, und ob er der kom-            desregierung vor die Frage, wie die    Aufstellung von Wehrpflichtarmeen
         plexen Einsatzrealität Afghanistans            Bundesrepublik der verstorbenen        verbunden. Zuvor war das militä-
         gerecht wurde, können hier nicht               Soldaten gedenken soll. Während        rische Handwerk „Angelegenheit
         erörtert werden. Bemerkenswert                 das seit 2009 bestehende Ehrenmal      eines eigenen Standes“ gewesen, „bei
         ist allerdings, dass sein erstmaliger          der Bundeswehr in Berlin ausdrück-     dem der Tod gewissermaßen zum
         Gebrauch durch den Minister an den             lich alle in Folge des Dienstes ver-   Berufsrisiko gehörte“, so die Histo-
         Särgen getöteter Soldaten erfolgte.            storbenen Bundeswehrangehörigen        riker Michael Jeismann und Rolf
         Der Weg zu der Anerkennung, dass               würdigt und der 2014 bei Potsdam       Westheider. Das änderte sich erst

       6        Zeitschrift für Innere Führung 2|2020
Trauer Wie sich die Gedenkkultur der Bundeswehr entwickelt hat - Krise
Führung

  Während einer Gedenkveranstal-
  tung am Volkstrauertag im Bun-
  desverteidigungsministerium
  tragen Soldaten am 18. Novem-
  ber 2018 Kränze in das Ehrenmal
  der Bundeswehr in Berlin.

  Foto: Bundeswehr/Uwe Grauwinkel

                                                                                        zahlreiche Soldaten der Bundes-
Lesetipps:
                                                                                        wehr durch Unfälle ihr Leben und
Hettling, Manfred; Echternkamp, Jörg (Hg.): Bedingt erinnerungsbereit. Soldatengeden-
                                                                                        vielen von ihnen wurde mit einer
ken in der Bundesrepublik. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2008.
                                                                                        militärischen Trauerfeier gedacht.
De Libero, Loretana: Tod im Einsatz. Deutsche Soldaten in Afghanistan. Zentrum für
                                                                                        Eine Formensprache dafür wurde
Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam, 2014.
                                                                                        seit den Sechzigerjahren in der Zen-
Nieke, Sebastian: Gefallene Helfer. Das Soldatengedenken der Bundesrepublik zwischen
                                                                                        tralen Dienstvorschrift 10/8, heute
militärischer Zurückhaltung und professionsethischer Würdigung der Bundeswehr. Zeit-
                                                                                        der Zentralrichtlinie „Formen und
schrift für Außen- und Sicherheitspolitik 9(1), S.79-100. Verlag VS, Wiesbaden, 2016.
                                                                                        Feiern der Bundeswehr“ gefunden.
                                                                                        Voraussetzung einer solchen Trauer-
                                                                                        feier ist stets das Einverständnis der
mit der Französischen Revolution             nationalsozialistischen Militarismus       Angehörigen. Das Zeremoniell sieht
und den Befreiungskriegen gegen              durch eine gewisse Zurückhaltung           die Bedeckung des aufgebahrten
Napoleon. Da nun Staatsbürger zum            im militärischen Zeremoniell. Die          Sarges mit der Bundesdienstflagge
Dienst an der Waffe verpflichtet             Bundeswehr tritt insbesondere am           und einer militärischen Kopfbede-
wurden, verlangte auch der Solda-            Volkstrauertag mit Kranzniederle-          ckung vor. Auf einem Ordenskissen
tentod nach Anerkennung durch das            gungen öffentlich in Erscheinung.          werden zudem die Ehrenzeichen
Gemeinwesen.                                 Laut der Friedensforscherin Sabine         des Toten präsentiert. Der Sarg wird
Das Soldatengedenken in der                  Mannitz sei dieses Zeremoniell für         von Ehrenposten flankiert und bei
Bundesrepublik unterscheidet sich            die Bundeswehr selbst „als Mahnung         zentralen Trauerfeiern auch bei
ganz bewusst von der Überhöhung              vor dem Einsatz des militärischen          der Überführung von Soldaten des
des soldatischen Opferkultes im              Instrumentariums schlechthin“              Wachbataillons getragen. Die spätere
Nationalsozialismus. Die Bun-                gedacht.                                   Bestattung des Toten erfolgt zivil. Je
desrepublik distanziert sich vom             Auch im Kalten Krieg verloren              nach Wunsch und Absprache

                                                                                              Zeitschrift für Innere Führung 2|2020   7
Trauer Wie sich die Gedenkkultur der Bundeswehr entwickelt hat - Krise
Führung

              mit den Angehörigen kann auch                           auf dem Fliegerhorst Wunstorf.                         Sichtbarkeit mangele, steht er in der
              diese von militärischem Geleit                          Zuletzt hielt Verteidigungsminis-                      Kritik. Die ministeriellen Trauereden
              begleitet werden. Den musikalischen                     terin Ursula von der Leyen im                          sind somit ein wichtiges Element für
              Schlusspunkt der Trauerfeier bildet                     August 2017 die Trauerrede für zwei                    die Öffentlichkeit des Gedenkens
              das üblich mit der Trompete into-                       Soldaten, die beim Absturz ihres                       und koppeln dieses zugleich zurück
              nierte Lied vom guten Kameraden.                        Kampfhubschraubers Tiger in Mali                       an den politischen Auftrag.
              Neben der Ansprache eines Geist-                        ums Leben gekommen waren. Eine                         Der Afghanistaneinsatz war in der
              lichen gibt es eine Trauerrede eines                    ministerielle Rede gibt einer Trauer-                  deutschen politischen Öffentlichkeit
              militärischen Vorgesetzten. Schon                       feier „zwangsläufig einen politischen                  lange als Friedenssicherungs- und
              vor 1990 übernahm in einigen Fällen,                    Charakter“, so die Historikerin                        Wiederaufbaumission wahrgenom-
              wenn beispielsweise ein schwerer                        Loretana de Libero. Sie unterstreicht                  men worden. Die Lage im Verant-
              Unfall öffentliche Aufmerksamkeit                       die politische Verantwortung für den                   wortungsbereich der Bundeswehr in
              auf sich zog, der Bundesminister                        Einsatz der Bundeswehr und erzeugt                     Nordafghanistan änderte sich aller-
              der Verteidigung diese weltliche                        gleichzeitig eine gesteigerte Auf-                     dings spätestens 2007 durch ein ver-
              Trauerrede.                                             merksamkeit in Politik und Medien.                     mehrtes Einsickern Aufständischer
                                                                      Die Tatsache, dass eine Mehrheit                       drastisch. Die deutschen Kräfte
              Politische Verantwortung. An die-                       der Deutschen die Bundeswehr vor                       waren zunehmenden Angriffen
              ser Praxis wurde später festgehalten.                   allem durch die Medien wahrnimmt,                      ausgesetzt, erlitten steigende Verluste
              So hielt bereits Verteidigungsmi-                       verschafft dem Gedenken eine                           und mussten sich ab 2009 regelmä-
              nister Volker Rühe für den 1993 in                      überregionale Sichtbarkeit. Weil es                    ßig im offenen Gefecht durchsetzen.
              Kambodscha erschossenen Feldwe-                         dem Standort des Ehrenmals der                         Die offiziellen Verlautbarungen
              bel Alexander Arndt eine Trauerrede                     Bundeswehr am Bendlerblock an                          wurden dieser veränderten Einsatz-

            Verstorbene Bundeswehrangehörige im Auslandseinsatz
            Deutschland beteiligte sich seit 1992 mit insgesamt 431.421 Soldatinnen und Soldaten in bisher 53 Einsätzen, Stand Januar 2019

                                                  Adria   Georgien
                         1             Sharp Guard        UNOMIG United Nations Observer Mission in Georgia      1
                                              Irak         Kambodscha
                         1 Ausbildungsuntertützung         UNTAC United Nations Transitional Autority in Cambodia    1
                                               Mali         Litauen
               2      MINUSMA Multidimensionale             EFP Enhanced Forward Presence    1                              35
                                                                                                                                        Gefallene                         Verstorbene
                                                                                                                                                                                              24
                   Integrierte Stabilisierungsmission                                                                                 durch Fremd-                        deutsche Soldaten
                      der Vereinten Nationen in Mali                                                                                    einwirkung
                                                                                  Afghanistan
                         Bosnien
                                                                                  ISAF International Security Assistance Force/                             59
19      SFOR Stabilisation Force/
                                                                                  Resolute Support

     EUFOR European Union Force

                                                                                                                         Gefallen
                                                        114                                      37       durch militärischen oder
                                                                                                         paramilitärischen Einfluss

                          Kosovo
       29      KFOR Kosovo Force

                                                                                                                           114
                                                                                                  Verstorben
                                                                               77 durch Unfall, natürlichen
                                                                                               Tod oder Suizid

                                                                                                                                                Grafik: Bundeswehr/Daniela Hebbel

          8         Zeitschrift für Innere Führung 2|2020
Trauer Wie sich die Gedenkkultur der Bundeswehr entwickelt hat - Krise
Führung

 realität jedoch lange nicht gerecht         Kirchen, Gewerkschaften und der          Kundus getöteten Hauptfeldwebel
– der Historiker Klaus Naumann               Wirtschaft ein klares Bekenntnis zur     Mischa Meier hingegen nicht mehr
 spricht von einem „Vermeidungsdis-          Bundeswehr, die „in Afghanistan in       am Flughafen, sondern in einer Kir-
 kurs“. Insbesondere Verteidigungs-          einem schweren Kampf “ stehe. Der-       che am Stationierungsort des Fall-
 minister Franz-Josef Jung sah sich          weil sprach sich in Umfragen eine        schirmjägers in Zweibrücken abzu-
 ab 2008 zunehmend in der Kritik,            wachsende Mehrheit der Deutschen         halten. Die ehrenvolle Aufnahme des
 weil er die gewaltsame Realität des         für die Beendigung des Einsatzes aus.    Toten am Flugzeug blieb bestehen.
 Einsatzes nicht anerkannte. Da Jung                                                  Der Wechsel in eine Kirche kam dem
 am Begriff „Stabilisierungseinsatz“         Ortswechsel. Im Verteidigungsmi-         privaten Trauerbedürfnis entgegen.
 festhielt, wurde von ihm mehrfach           nisterium fiel die Entscheidung für      Viele Angehörige deutscher Soldaten
 gefordert, den Krieg in Afghanistan         einen Ortswechsel der Trauerfeiern.      hatten die Atmosphäre des Hangars
 ausdrücklich als solchen zu benen-          Bis 2007 hatten sie in einem Han-        als wenig pietätvoll empfunden.
 nen. „In Deutschland besteht ein            gar auf dem militärischen Teil des       Während bereits der Ortswechsel
 großes Bedürfnis nach einer Kriegs-         Flughafens Köln/Bonn stattgefun-         selbst einen großen symbolischen
 erklärung“, spitzte es der Journalist       den. Die Toten werden hier nach          Schritt in die Öffentlichkeit bedeu-
 Stefan Kornelius Mitte 2009 zu,             der Überführung aus Afghanistan          tete, ließ das zuständige Presse- und
„und zwar im Sinne von: Den Krieg            bereits mit militärischen Ehren in       Informationszentrum des Heeres in
 erklären, ihn in Worte fassen.“ Der         Empfang genommen, wie es auch in         Zweibrücken den Medien erstmals
 Wehrbeauftragte Reinhold Robbe              vielen verbündeten Staaten üblich ist.   Zugang zu den Trauerfeiern. Presse,
 kritisierte zur selben Zeit, dass die       Im Sommer 2008 entschied Minister        Fernsehen und Hörfunk wurden
 Einsatzrealität in der Öffentlichkeit       Jung allerdings, die Trauerfeier für     aktiv zur Berichterstattung eingela-
 verdrängt werde und forderte von            den durch eine Sprengfalle nahe          den und erschienen in wachsen-

                                         Trauerfeier für den bei einem Anschlag
                                         am 27. August 2008 in Kundus getöte-
                                         ten Soldaten Hauptfeldwebel Mischa
                                         Meier. Der Bundesminister der Ver-
                                         teidigung, Dr. Franz Josef Jung, nahm
                                         zusammen mit dem Generalinspek-
                                         teur der Bundeswehr, General Wolfgang
                                         Schneiderhan, an der Trauerfeier teil.

                                         Foto: Bundeswehr/Andrea Bienert

                                                                                           Zeitschrift für Innere Führung 2|2020   9
Trauer Wie sich die Gedenkkultur der Bundeswehr entwickelt hat - Krise
Führung

      Der Bundesminister der Vertei-
      digung Karl-Theodor zu Gutten-
      berg bei der Trauerfeier für die im
      Karfreitagsgefecht 2010 in Afgha-
      nistan gefallenen Soldaten in der
      St.-Lamberti-Kirche in Selsingen
      bei Seedorf in Niedersachsen.

      Foto: Bundeswehr/Sebastian Wilke

 der Zahl. An der Trauerfeier nach             von Premier Stephen Harper nach        tung dar. In Folge der Forderungen
 dem Karfreitagsgefecht nahmen über            breiter öffentlicher Kritik wieder     nach mehr Anerkennung der
 100 Medienvertreter teil. Zugleich            zurückgenommen.                        getöteten Soldaten, sprach Minister
 wurde sichergestellt, dass der pie-           In einer Phase der zunehmend           Jung bei der Trauerfeier in Zwei-
 tätvolle Rahmen gewahrt bleibt. So            kontroversen Diskussion über den       brücken Ende 2008 erstmals von
 finden bis heute die Akkreditie-              Afghanistaneinsatz, entwickelte        Gefallenen. Insbesondere der Bun-
 rungen der angereisten Journalisten           die Bundesrepublik das Soldaten-       deswehrverband hatte diese Wort-
 abseits der Trauerfeier statt, und die        gedenken zu einer Geste mit mehr       wahl zuvor öffentlich gefordert. Im
 Bundeswehr stellt einen Bustrans-             Öffentlichkeit. An den Trauerfeiern    amtlichen Sprachgebrauch war der
 port zur Kirche bereit. Vor Ort               nahmen jetzt auch häufiger weitere     Gefallenenbegriff stets vermieden
 sendet ein regionaler Fernsehsender           Mitglieder des Bundeskabinetts,        worden, doch seit der Zweibrücker
 live aus der Kirche, der das Signal           Bundestagsabgeordnete, Minister-       Trauerfeier findet er auch über den
 anderen Medien zur Verfügung                  präsidenten der Bundesländer und       Gedenkkontext hinaus in der Kom-
 stellt. Wegen des häufig begrenzten           andere politische Mandatsträ-          munikation der Bundeswehr und
 Platzes wird die Trauerfeier auch auf         ger teil. Bundeskanzlerin Angela       des Verteidigungsministeriums
 eine Großleinwand nahe der Kirche             Merkel hielt nach dem Karfreitags-     offiziell Verwendung. Jahrzehn-
 übertragen.                                   gefecht im April 2010 selbst eine      telang war der Begriff den Toten
                                               vielbeachtete Trauerrede für die       vergangener Kriege vorbehalten
 Öffentlichkeit. In Demokratien                drei getöteten Fallschirmjäger und     gewesen. Auf die Trauerfeiern fol-
 zeigt sich eine mediale Sensibilität          nahm noch an zwei weiteren Trau-       gend wurde er von zahlreichen Zei-
 in Bezug auf den Soldatentod im               erfeiern teil, bei denen Minister zu   tungen in ihrer Berichterstattung
 Auslandseinsatz. In den USA etwa              Guttenberg sprach.                     übernommen. Anderthalb Jahre
 war die Rückführung getöteter Sol-                                                   später bei der Trauerfeier nach
 daten auf der Dover Air Force Base            Anerkennung. Erstmals fielen           dem Karfreitagsgefecht sprach
 für Medien lange tabu, und erst               wichtige Worte aus der Diskussion      Minister zu Guttenberg von Krieg.
 Präsident Barack Obama hob den                über den Einsatz in den Trauer-        Auch Bundeskanzlerin Merkel
 sogenannten „Dover Ban“ 2009 auf.             reden. Die Trauerfeier nach dem        ging in ihrer Trauerrede darauf
 Der in Kanada 2006 erlassene Bann             Karfreitagsgefecht stellte nur einen   ein. Viele Medien interpretierten
 für den Stützpunkt Trenton, wurde             Schritt von mehreren in diese Rich-    die Wortwahl als Anerkennung des

10     Zeitschrift für Innere Führung 2|2020
Führung

                                                                            Die Bundeskanzlerin Dr. Angela
                                                                            Merkel bei der Trauerfeier für
                                                                            die in Afghanistan gefallenen
                                                                            Soldaten in Selsingen.

                                                                            Foto: Bundeswehr/Dana Kazda

soldatischen Dienstes unter zuneh-    ziehung kirchlicher Symbolik der
mender Gewalterfahrung. Andere        jeweiligen Konfession hielt sich in
Aspekte der Reden blieben weniger     Grenzen. Gleichzeitig hatte es vor

                                                                                                                                Foto: privat
beachtet, darunter die vermehrte      dem Ortswechsel keine vernehm-
Bezugnahme auf den Diensteid.         bare Kritik am nichtöffentlichen             Sebastian Nieke
                                                                                   Jahrgang 1985, Poli-
Bereits Minister zu Guttenberg        Raum des Gedenkens oder Forde-
                                                                                   tikwissenschaftler und
verwies in mehreren Trauerreden       rungen nach mehr Sichtbarkeit und            Redakteur an der Bundesakademie
ausdrücklich auf die Eideserfüllung   einem einfacheren Medienzugang               für Sicherheitspolitik (BAKS) in
der Gefallenen. Sein Nachfolger       gegeben, wie es in Kanada der Fall           Berlin, befasst sich mit sicherheits-
Thomas de Maizière stellte bei der    gewesen war.                                 politischer Kommunikation. Als
Trauerfeier für einen Mitte 2011      Gleichwohl deutet die Nüchtern-              Staatsbürger in Uniform setzt er sich
durch eine Sprengfalle getöteten      heit darauf hin, dass die Bundes-            seit 2007 mit dem Soldatengeden-
Fahrer eines Schützenpanzers          bevölkerung entgegen mancher                 ken der Bundesrepublik auseinan-
Marder auch die Singularität die-     Behauptung auch angesichts des               der. Der Autor gibt seine persönliche
                                                                                   Meinung wieder.
ses Eides heraus: „Niemand sonst      Soldatentodes zwischen Anerken-
als Soldaten leisten diesen Eid,      nung der Bundeswehr und Kritik
                                                                                   Kurz gefasst:
und niemandem sonst verlangen         an einem Einsatz differenziert –             Mit dem Afghanistaneinsatz
wir diesen Eid ab. Er war bereit,     ein Befund, der sich regelmäßig              entwickelten sich die zentralen
dafür das Äußerste zu geben: sein     in Umfragen zeigt. Dass das                  Trauerfeiern für Verstorbene zu
eigenes Leben.“ Bevölkerung           Gedenken gerade in Zeiten kontro-            einem wichtigen Teil des Soldaten-
und Medien nahmen das sich            verser Diskussion erkennbar in die           gedenkens in Deutschland. Dass
entwickelnde Gedenken mit einer       Öffentlichkeit geholt wurde, wird            diese Trauerfeiern gerade in Zeiten
ausgesprochenen Nüchternheit auf.     zugleich dem Leitbild des Staats-            kontroverser Diskussion um die
Einerseits blieb der Vorwurf einer    bürgers in Uniform in besonderem             Anwendung des Kriegsbegriffes und
                                                                                   die Benennung Gefallener erkennbar
vermeintlichen Militarisierung des    Maße gerecht. Mit den zentralen
                                                                                   in die Öffentlichkeit gerückt sind,
öffentlichen Raumes aus. Auch die     Trauerfeiern für Gefallene bekam
                                                                                   wird dem Leitbild des Staatsbürgers
Kritik an der Verknüpfung von         ein wichtiger Teil des Soldatenge-           in Uniform in besonderem Maße
Trauer und Politischem oder mili-     denkens in Deutschland eine ange-            gerecht.
tärischen Formen und unter Einbe-     messene Würdigung.

                                                                                        Zeitschrift für Innere Führung 2|2020   11
Innere Führung

 Tradition erleben
 Regionale Ausstellungen als Aspekt soldatischer Persönlichkeitsbildung

                                                                                                 Die Streitkräftebasis ist seit Jahren
 „Eine Armee entsteht nicht aus dem Nichts. Sie ist wie ein Baum, des-
                                                                                                 um eine eigene selbstbewussten
  sen Wurzeln tief in die Vergangenheit hineinreichen. Schnitte man die                          Traditionsfindung bemüht. Den
  Wurzeln ab, stürbe der Baum“, so beschrieb der ehemalige General-                              Anfang hat sie mit der Regionalen
  inspekteur Ulrich de Maizière die Bedeutung von Tradition und Tradi-                           Ausstellung Streitkräftebasis auf
  tionspflege für moderne Streitkräfte. Gleichermaßen stellte er jedoch                          der Hardthöhe in Bonn gemacht.
  auch klar: „Abgestorbene oder kranke Wurzeln sind abzuschneiden,
  gesunde Wurzeln zu erhalten, neu wachsende Wurzeln zu kräftigen.“

 D         ie Stärkung und Weiterentwick-         Auch die Bundeswehr des 21. Jahr-        für die sie mit der „Regionalen
                                                                                                                                         Foto: Bundeswehr/Roland Alpers

           lung der eigenen Identität und         hunderts kennt neu wachsende Wur-        Ausstellung Streitkräftebasis“ auf
     die Vertiefung des vertrauensgelei-          zeln. Dies gilt insbesondere für die     der Hardthöhe in Bonn den ersten
     teten Verhältnisses von Streitkräften        jüngeren Organisationsbereiche, wie      großen Schritt gegangen ist.
     und Gesellschaft gehören zu den              die Streitkräftebasis oder den Bereich
     bestimmenden Merkmalen im                    Cyber- und Informationsraum, die         Tradition und Identität in der
     Selbstverständnis der Bundeswehr             ihren Platz innerhalb der Tradition      Streitkräftebasis. Die Streitkräf-
     seit ihrer Gründung. Die Wert-               der Bundeswehr etablieren. Die Streit-   tebasis wurde im Oktober 2000
     schätzung des Auftrags, des eigenen          kräftebasis – immerhin der personell     als eigenständiger militärischer
     Dienstes und nicht zuletzt die Aner-         zweitstärkste Organisationsbereich       Organisationsbereich aufgestellt. Sie
     kennung der eigenen Leistungen für           der Bundeswehr – arbeitet seit eini-     bündelt Aufgaben, die zuvor von
     und durch die Öffentlichkeit spielen         gen Jahren intensiv an einer eigenen,    den Teilstreitkräften Heer, Luftwaffe
     hierbei eine entscheidende Rolle.            selbstbewussten Traditionsfindung,       und Marine in Eigenverantwortung

12        Zeitschrift für Innere Führung 2|2020
Innere Führung

      Deutschland ist für die NATO als Transit-
      land eine strategische Drehscheibe: Die 3.
      Brigade der 4. US-Infanteriedivision ver-
      legt über Bremerhaven nach Polen. Im
      Rahmen des sogenannten Host Nation
      Support organisiert die Streitkräfteba-
      sis große Teile der logistischen Unter-
      stützung. Schwere Fahrzeuge wie Pan-
      zer werden auf der Bahn transportiert.

      Foto: Bundeswehr/Alyssa Bier

Das Traditionshaus                                                                                           oder in den zentralen militärischen
der Streitkräftebasis                                                                                        Dienststellen wahrgenommen
                                                                                                             wurden.
                                                                                                             Die Streitkräftebasis vereint in ihrem
                                                                                                             Portfolio einzigartige Unterstüt-
                                                                                                             zungsleistungen für die Bundeswehr
                                                                                                             und ihre ressortübergreifenden
                                                                                                             sowie multinationalen Partner.
               TRADITION DER STREITKRÄFTEBASIS                                                               Zudem ist der Inspekteur der Streit-
                                                                                                             kräftebasis in Personalunion der
          VIELFALT               UNTER-        TRADITION            DREHSCHEIBE                              Nationale Territoriale Befehlshaber.
                               STÜTZUNG           DER               DEUTSCHLAND                              Als dieser verantwortet er den Hei-
                                  UND         FÄHIGKEITEN
                              BEFÄHIGUNG                                                                     matschutz und übernimmt eine für
                                                                                                             die Bündnisverteidigung besondere
                                                                                                             Verantwortung: als mögliches Auf-
                          TRADITION DER BUNDESWEHR                                                           marschgebiet und vor allem Transit-
                                                                                                             land ist Deutschland für die NATO
                                 WERTE UND NORMEN                                                            zur strategischen Drehscheibe und
                           des Gundgesetzes/Soldatengesetzes                                                 zum Träger der Bündnisverteidi-
                                                                                                             gung in Europa geworden. Dies wird
                          DEUTSCHE GESCHICHTE                                                                wesentlich gestützt durch die
                                           Grafik: KdoSKB Referat Innere Führung/Bundeswehr/Daniela Hebbel

                                                                                                                  Zeitschrift für Innere Führung 2|2020   13
Innere Führung

 unter dem Dach der Streitkräftebasis            sowohl die Geschichte als auch                Lernorte der historisch-politischen,
 vereinten Dienststellen mit ihren               die Leistungen der Bundeswehr                 wie auch der ethischen Bildung wer-
 einzigartigen Fähigkeiten. Dies sind            und ihrer Dienststellen vor Ort               den, das Bewusstsein für die eigene
 zum einen die spezifischen, langen              darzustellen. Dabei soll, im Sinne            Tradition schärfen und dadurch
 Traditionen der Logistik, der Feldjä-           des Traditionsverständnisses, „der            die soldatische Identität stärken.
 ger, der ABC-Abwehr und des Streit-             Stolz der Angehörigen der Bundes-             Gegenwärtig verfügt die Bundeswehr
 kräfteamtes. Zum anderen bilden                 wehr auf die erbrachten Leistungen            flächendeckend über 19 Regionale
 auch das Kommando Territoriale                  im Grundbetrieb und im Einsatz“               Ausstellungen unterschiedlichster
 Aufgaben und das Multinationale                 gefördert werden. Im Einklang mit             Couleur und Qualität.
 Kommando Operative Führung                      neu erlassenen Richtlinien zum Tra-
 eigene Identitäten aus, die die Streit-         ditionsverständnis und zur Traditi-            Einbindung in die Persönlichkeits-
 kräftebasis nachhaltig prägen.                  onspflege sollen diese standort- und           bildung. Die Regionale Ausstellung
 Gemeinsam ist dem Organisations-                verbandsbezogenen Ausstellungen                Streitkräftebasis in Bonn zeigt, wie sich
 bereich Streitkräftebasis jedoch seit
 jeher der Zweck der Unterstützung
 und Befähigung sämtlicher Orga-

                                                          „ Generalleutnant Schelleis :
                                                                                                                               Fo
 nisationsbereiche und damit der                                                                                                    t

                                                                                                                                o:
 gesamten Bundeswehr im Grund-

                                                                                                                                        Bu
                                                                                                                                        nd
 betrieb ebenso wie als wichtiger

                                                                                                                                         es w
                                                        „Wir bieten hier eine Fülle von

                                                                                                                                         ehr/Jonas Web
 Bestandteil der Auslandseinsätze.                         Anregungen, wie man sich
 Dies seit nunmehr 20 Jahren täglich                      dem Thema Tradition in der
 zu leisten, ist Tradition der Streit-                 Streitkräftebasis nähern kann."

                                                                                                                                         er
 kräftebasis. Damit einher geht auch                 Generalinspekteur Eberhard Zorn
 der Auftrag, dieses Selbstverständnis                resümierte nach einem Rundgang
 im Dienstalltag aktiv zu vermitteln                         durch die Ausstellungsräume:
 und zu leben. Die Tradition der                     "Mit dieser Regionalen Ausstellung hat
 Streitkräftebasis speist sich daher                             die SKB deutlich vorgelegt."
 ebenso wie die der gesamten Bun-
 deswehr in einem integrativen Pro-
 zess aus der deutschen Geschichte.
 Basierend auf den Werten und Nor-
 men des Grund- sowie des Soldaten-
 gesetzes und zentral geprägt durch
 die Tradition der Bundeswehr ent-
 wickelt sie jedoch auch ein eigenes,
 spezifisches Traditionsverständnis.
 Dabei soll die Tradition der Streit-
 kräftebasis nicht als statisch, sondern
 vielmehr als dynamisch und sich ste-
 tig weiterentwickelnd wahrgenom-
 men werden. Sie lässt sich mit einem
 Bauwerk vergleichen, das mit weite-
 ren tragenden Elementen verstärkt
 wird. Diese veranschaulicht das auf
 S.13 abgebildete Traditionshaus".
                    "
     Regionale Ausstellungen: Stolz                                    Der Seminarraum dient für Ver-
     fördern – Identität stärken –                                     tiefungsseminare im Rah-
     Unterstützung geben. Im Rahmen                                    men der Inneren Führung.
     der „Agenda Attraktivität“ wurde
     eine Möglichkeit geschaffen, über                                 Foto: Bundeswehr/Sahir Kermani

     sogenannte Regionale Ausstellungen

14       Zeitschrift für Innere Führung 2|2020
Innere Führung

           die Zielsetzung der Traditionsstiftung    pflege rückt: Damit bekommt die Aus-       Spezialisten, ihre Aufgabe kompetent
           in den Teilstreitkräften und Organi-      einandersetzung mit Geschichte einen       wahrzunehmen. „Vertrauen, Ver-
           sationsbereichen umsetzen lässt und       individuellen Charakter und trägt zur      antwortung, Vorbild und Vielfalt im
           welche Aspekte besondere Beachtung        Persönlichkeitsbildung bei.                gemeinsamen Dialog“ soll daher nicht
           finden müssen, um sie auch mittelfris-    Der vielfältige kulturelle Ursprung der    nur Wahlspruch, sondern Organisa-
           tig zum Erfolg zu führen.                 Bundeswehr ist ihr Kapital, das es jetzt   tionsprinzip der Streitkräftebasis und
           Sie distanziert sich daher von einem      und zukünftig auszugestalten gilt. Die     damit ein eigener Traditionswert wer-
           rein historisch geprägten Traditionsbe-   unterschiedlichsten Fähigkeiten, die       den und sein, den es künftig zu leben
           griff, sondern versteht Tradition und     gelebte Vielfalt und die dauerhafte        und weiter zu gestalten gilt.
           deren Pflege vielmehr als Katalysator,    Bereitstellung und Unterstützung zen-      Das fordernde und multiple Ein-
           der Fortschritt ermöglichen muss, in      traler militärischer Fähigkeiten sind      satzspektrum der Gegenwart stellt
           dem er auf Gegenwart und Zukunft          Eigenschaften, die ein Fortschritts-       hohe Ansprüche an die Psyche und
           des Dienstes in der Bundeswehr aus-       denken erfordern und das Nutzen            die Physis der Soldatinnen und
           gerichtet wird. „Wo kommen wir her?“      verschiedenster Erfahrungshorizonte        Soldaten. Im multinationalen oder
          „Wer sind wir?“ aber auch „Wer wollen      und Kenntnisse von Menschen mit            zivil-militärischen Umfeld und in
           wir (künftig) sein?“ Diese Fragen         unterschiedlichen Prägungen nach           fernen Einsatzländern mit fremden
           bestimmen maßgeblich die Identität        sich ziehen. Nur dadurch können            Kulturen reicht es nicht mehr aus,
           der Streitkräftebasis. Dieses Konzept     bestimmte Denkansichten und Verhal-        fachlich und körperlich gut aufge-
           wurde deshalb gewählt, weil es die ein-   tensweisen zur Tradition werden.           stellte Soldatinnen und Soldaten
           zelnen Angehörigen der Bundeswehr         Die Vielfalt der Fähigkeiten verlangt      entsenden zu können. Vielmehr
           in den Mittelpunkt der Traditions-        Vertrauen in die Spezialistinnen und       kommt einer gefestigten und

Fachwissen rund um die Streitkräf-
tebasis war gefragt. Viel Anklang
fand das Brettspiel "Kennen Sie
unsere Streitkräftebasis?" Gene-
ralinspekteur Eberhard Zorn und
Generalleutnant Martin Schelleis
probierten das Spiel bei der Aus-
stellungseröffnung persönlich aus.

Foto: Bundeswehr/Roland Alpers

                                                                                                     Zeitschrift für Innere Führung 2|2020   15
Innere Führung

     belastbaren Persönlichkeit zuneh-            mit den Teilnehmerinnen und               Ausstellungen seinen stetigen Beitrag
     mende Bedeutung zu. Über die Ein-            Teilnehmern ist zugleich Impulsge-        zur Identitätsstiftung und zur Tradi-
     bindung in ein bedarfsorientiertes,          ber für die Weiterentwicklung der         tionspflege der Bundeswehr.
     methodisch-didaktisches Konzept,             Identität der Streitkräftebasis. So
     dem „Lernort Bonn“, wird unterstri-          entwickelt sich Tradition nicht zu        Tradition in der Bundeswehr –
     chen, wie sich Regionale Ausstel-            einer erzwungenen Einbahnstraße,          Eine historische Herausforderung.
     lungen im Rahmen der soldatischen            sondern zu einem sich gegenseitig         Traditionspflege und historisch-
     Persönlichkeitsbildung nutzbar               beeinflussenden, wiederholenden           politische sowie ethische Bildung
     machen lassen, um historische, poli-         Prozess.                                  sind dementsprechend nicht nur
     tische und ethische Kompetenzen zu           Dies unterstreicht die Notwendigkeit,     Führungsaufgaben. Alle Angehörigen
     schaffen und Sensibilität zu schärfen.       die Sammlungen und Regionalen             der Bundeswehr tragen gemeinsam
     Dazu werden im Kontext von dreitä-           Ausstellungen aktiv in die tägliche       die Verantwortung dafür, dass die
     gigen Programmen mittels Modulen             Aus- und Weiterbildung von Solda-         Tradition in den Köpfen der Men-
     Schwerpunktthemen vertieft, die              tinnen und Soldaten einzubinden.          schen verankert bleibt. Eine lebendige
     von der historisch-politischen Aus-          Denn dieser Austausch mit den             von Menschen getragene Tradition ist
     einandersetzung am authentischen             Teilnehmerinnen und Teilnehmern           Ausdruck eines selbstbewussten Tra-
     Lernort über ethische Bildung bis            ist dabei explizit Teil der Traditions-   ditionsverständnisses der Bundeswehr.
     hin zu modernem Vielfaltsmanage-             arbeit. Nur durch eine dauerhafte         Der neue Traditionserlass betont
     ment reichen.                                Nutzbarmachung und Nutzung als            nicht nur die Führungsverantwortung
     Dies soll jedoch kein Selbstzweck            Lernorte zur Persönlichkeitsbildung       der Vorgesetzten in der Traditions-
     sein, im Gegenteil: Der Austausch            leistet das Konzept der Regionalen        pflege, er gibt auch konkrete Aufträge

                                                                                              Soldaten von Heer und Marine des
                                                                                              Wachbataillons sind im Ehrenhof
                                                                                              des Kanzleramtes in Berlin anläss-
                                                                                              lich des Besuchs des peruani-
                                                                                              schen Staatspräsidenten am ange-
                                                                                              treten. Das Antreten gehört zu den
                                                                                              Traditionen in der Bundeswehr.

                                                                                             Foto: picture alliance/dpa/Hans-Joachim Rech

16        Zeitschrift für Innere Führung 2|2020
Innere Führung

für die Ausgestaltung einer leben-        trollierter deutscher Streitkräfte eine    antwortung und soldatische Motiva-
digen Tradition vor. Hierzu zählen        dauerhafte Herausforderung dar.            tion deutlich heraus. Entsprechend
 • die fortlaufend schöpferische          Der erste, heute weniger bekannte          ambivalent ist daher aus heutiger
   Gestaltung einer wertegebundenen       Traditionserlass entstand in diesem        Perspektive der sprachliche Duktus,
   Bildung,                               Kontext bereits 1965 unter Ägide           wenn mit Bezug zum Zeitalter der
 • die ständige Überprüfung und           des damaligen Verteidigungsminis-          Weltkriege festgestellt wurde: „Rechte
   Fortentwicklung der Tradition mit      ters Kai-Uwe von Hassel (CDU). Er          Traditionspflege ist nur möglich
   dem Ziel der Gegenwarts- und           wurde wesentlich von ehemaligen            in Dankbarkeit und Ehrfurcht vor
   Zukunftsorientierung,                  Angehörigen aus Reichswehr und             den Leistungen und Leiden der
 • die nachhaltige Vermitt-               Wehrmacht verfasst und geprägt, die        Vergangenheit.“ (TradErl 1965, II 8)
   lung von Identitäts- und               sich der Defizite in der politischen       Andererseits wurde jedoch bereits
   Traditionsverständnis,                 Kontrolle früherer deutscher Armeen        die feste Verankerung des mündigen
 • die Würdigung und Entfaltung der       sehr bewusst waren. Als Produkt des       „Staatsbürgers in Uniform“ in einem
   bundeswehreigenen Geschichte           Wandels von Weltkrieg und Nach-            neuen, demokratischen Deutsch-
   in den Teilstreitkräften und           krieg zum Kalten Krieg stellte er in       land unterstrichen und eine rein an
   Verantwortungsbereichen.               vielerlei Hinsicht einen Kompromiss        soldatisches Kriegerethos geknüpfte
Durch die zahlreichen Brüche, Dis-        dar. Einerseits transportierte er noch     Dienstausübung kritisiert: „Der
kontinuitäten und Besonderheiten          die Vorstellungen vom „loyalen deut-       Soldat der sich, als unpolitischer
der deutschen Militärgeschichte stellt    schen Landser“, stellte andererseits       Soldat einer falschen Tradition fol-
die Traditionsfindung und -pflege         jedoch bereits zentrale Prinzipien der     gend, auf das militärische Handwerk
demokratischer, vom Parlament kon-        Inneren Führung wie Führungsver-           beschränkt, versäumt einen

  Der Stellvertreter des Generalin-
  spekteurs der Bundeswehr, Vize-
  admiral Joachim Rühle, trägt beim
  vierten Workshop zur Überarbeitung
  des Traditionserlasses im Novem-
  ber 2017 in der Bundesakademie
  für Sicherheitspolitik in Berlin vor.

  Foto: Bundeswehr/Oliver Lang

                                                                                          Zeitschrift für Innere Führung 2|2020   17
Innere Führung

                                                                                                                               Foto: Bundeswehr/Patrik Bransmöller
      Am interaktiven Medientisch werden zusätzliche Inhalte zugänglich gemacht.

  wesentlichen Teil seiner beschwo-            das Ende des Kalten Krieges, zahl-        eine permanente, kritische Ausei-
  renen Dienstpflicht als Soldat einer         reiche Auslandseinsätze als Armee         nandersetzung mit der deutschen
  Demokratie.“ (TradErl 1965, II 17)           im Bündnis oder die Aussetzung            Militärgeschichte erfordert. Im
  Seit dem grundlegend moderni-                der Verpflichtung zur Ableistung          Mai 2017 hat die damalige Vertei-
  sierten Folgeerlass, der „Richtlinie         des Grundwehrdienstes haben der           digungsministerin Dr. Ursula von
  zum Traditionsverständnis und                Truppe ein neues, verändertes Gesicht     der Leyen (CDU) daher die erneute
  Traditionspflege in der Bundeswehr“          gegeben. Frauen und Männer dienen         Überarbeitung des Traditionser-
  vom 20. September 1982 unter Ver-            nunmehr gleichberechtigt, neue zivile      lasses angewiesen und die neuen
  teidigungsminister Hans Apel (SPD),          und militärische Organisationsbe-        „Richtlinien zum Traditionsver-
  unterlag die deutsche Verteidigungs-         reiche wurden geschaffen, um den          ständnis und zur Traditionspflege
  politik und somit auch ihr wesent-           sicherheits- und verteidigungspoli-        2018" in Kraft gesetzt.
                                                                                        "
  licher Akteur wiederum starken               tischen Herausforderungen des 21.         Den Resonanzraum der Traditions-
  strukturellen und sozio-politischen          Jahrhunderts gerecht zu werden. Die       findung bildet seither die gesamte
  Veränderungen.                               Bundeswehr ist stetig und ständig ein-    deutsche Geschichte. Der Traditi-
  Die Bundeswehr hat sich nach dem             gebunden in internationale Einsätze       onserlass lässt damit ausdrücklich
  Mauerfall 1990 und dem Ende der              der NATO, der EU sowie der UN; sie        einen ganzheitlichen Betrachtungs-
  bipolaren Weltordnung über die               ist fest integriert in multinationale     rahmen der Militärgeschichte zu
 „Armee der Einheit“ schließlich               Bündnisstrukturen.                        und fordert die kritische Auseinan-
  zur „Armee im Einsatz“ wesentlich            Gleichermaßen sind demokratische          dersetzung mit deren Höhen und
  weiterentwickelt. Neue sicherheits-          Streitkräfte als Teil der Gesellschaft    Tiefen auf Grundlage der Werte und
  politische Voraussetzungen, wie              deren Wandel unterworfen, was             Normen des Grundgesetzes, sowie

18     Zeitschrift für Innere Führung 2|2020
Innere Führung

                                                                  Das Traditionshaus
                                                                  der Bundeswehr
Grafik: KdoSKB Referat Innere Führung/Bundeswehr/Daniela Hebbel

                                                                                                     TRADITION DER BUNDESWEHR

                                                                                              INNERE            TSK/         GESCHICHTE         PERSÖNLICH-
                                                                                             FÜHRUNG           OrgBer           DER                 KEITS-
                                                                                                                            BUNDESWEHR            BILDUNG

                                                                                                              WERTE UND NORMEN
                                                                                                                des Soldatengesetzes

                                                                                                              WERTE UND NORMEN
                                                                                                                  des Gundgesetzes

                                                                                                         DEUTSCHE GESCHICHTE

                                                                  des darauf aufbauenden Soldaten-       Aufgabe aller Angehörigen der Bun-         Florian J. Schreiner
                                                                  gesetzes: „Die Ursprünge der Werte     deswehr. Die Bundeswehr verfügt            ist Historiker beim Komman-
                                                                  und Normen des Grundgesetzes           selbst über einen breiten Fundus,          do Streitkräftebasis (SKB) und
                                                                  reichen weit in die Vergangenheit      um mit Stolz Tradition zu stiften.“        als Sammlungsbeauftragter für
                                                                                                                                                    die Sammlungen und Ausstellungen
                                                                  zurück. In diesem Verständnis las-     (TradErl 2018, 3.2)
                                                                                                                                                    in der SKB zuständig.
                                                                  sen sich aus allen Epochen der deut-   Eingerahmt wird diese Traditi-
                                                                  schen Militärgeschichte vorbildliche   onsfindung durch das bewährte              Volker Böcker
                                                                  soldatisch-ethische Haltungen und      Selbstverständnis und die Füh-             Oberstleutnant und Grundsatz-
                                                                  Handlungen sowie militärische For-     rungskultur der Inneren Führung            referent im Referat Innere
                                                                  men, Symbole und Überlieferungen       sowie von einer umfassenden                Führung des Kommandos
                                                                  in das Traditionsgut der Bundes-       Persönlichkeitsbildung, sowohl für         SKB. Zusammen mit Florian J.
                                                                  wehr übernehmen.“ (TradErl 2018,       Soldatinnen und Soldaten als auch          Schreiner war er maßgeblich an
                                                                  3.1)                                   für die zivilen Mitarbeiterinnen und       der Konzeption und dem Aufbau
                                                                                                                                                    der Regionalen Ausstellung der SKB
                                                                                                                                                                                                Fotos: Bundeswehr/Roland Alpers
                                                                  Weiterhin wurde insbesondere die       Mitarbeiter. Hieraus erwächst die
                                                                                                                                                    beteiligt.
                                                                  Geschichte der Bundeswehr und          Tradition der Bundeswehr mit ihren
                                                                  ihrer Organisationsbereiche als        greifbaren und identitätsstiftenden
                                                                                                                                                    Kurz gefasst:
                                                                  zentraler Bezugspunkt der Tradi-       Vorbildern. Es ist eine Führungs-          Regionale Ausstellungen sind ein
                                                                  tionspflege etabliert. Die von ihr     aufgabe dieses Traditionsverständ-         wertvolles Mittel, die Ausprägung
                                                                  in nunmehr 65 Jahren erbrachten        nis im Bewusstsein der Menschen            bundeswehreigener Traditionslinien zu
                                                                  militärischen Leistungen bilden        zu stärken und im Dienstalltag zu          stärken. Die Regionale Ausstellung der
                                                                  das Rückgrat der eigenen Identi-       vergegenwärtigen.                          Streitkräftebasis greift ein zukunftsori-
                                                                  tät: „Zentraler Bezugspunkt der        Ob und wie die Ziele der Persön-           entiertes Traditionsbild auf und bindet
                                                                  Tradition der Bundeswehr sind ihre     lichkeitsbildung konkretisiert, ope-       die Traditionspflege über ein eigens
                                                                  eigene, lange Geschichte und die       rationalisiert, und schlussendlich         dafür konzipiertes Seminarangebot
                                                                                                                                                    "Lernort Bonn" in die soldatische Per-
                                                                  Leistungen ihrer Soldatinnen und       implementiert und nutzbar gemacht
                                                                                                                                                    sönlichkeitsbildung ein. Dafür werden
                                                                  Soldaten, zivilen Angehörigen sowie    werden können, zählt zu den zen-
                                                                                                                                                    sowohl historische, politische als auch
                                                                  Reservistinnen und Reservisten.        tralen Herausforderungen für die           ethische Inhalte vertieft und für die
                                                                  […] Diese Geschichte zu würdigen       Führungskultur der Bundeswehr in           Truppe nutzbar gemacht.
                                                                  und ihr Erbe weiterzuentwickeln ist    den nächsten Jahren.

                                                                                                                                                        Zeitschrift für Innere Führung 2|2020   19
Innere Führung

 Cyber war –
 Moral im virtuellen Raum?
 Brauchen wir eine
 neue Ethik für den Cyber war?

                                                                                                     Beim Cyber war handelt es sich um eine
                                                                                                     kriegerische Auseinandersetzung zwischen
                                                                                                     Staaten mit Mitteln der Informationstech-
                                                                                                     nologie im virtuellen Raum, die zum Ziel
                                                                                                     hat, Ländern, Institutionen oder der Gesell-
                                                                                                     schaft auf elektronischem Weg zu schaden
                                                                                                     und wichtige Infrastrukturen zu stören.

     Die Anzahl der digitalen Angriffe auf deutsche Netze lässt vermuten,
     Deutschland befinde sich im Kriegszustand – im Cyber war. Die Schwelle
     zur völkerrechtlichen Bewertung von Cyber-Angriffen als bewaffnete
     Konflikte zur Legitimierung militärischer Gewalt ist bisher nicht defi-
     niert. Erheblich größere Datenmengen und genauere sowie effektivere
     Waffen stellen die Leistungsfähigkeit der "alten Ethik" auf die Probe.

 S   ind wir eigentlich schon                    das nächste „Pearl Harbor“ werde       bislang noch unscharf. Das zeigt

                                                                                                                                      Foto: Bundeswehr/Andrea Bienert
     im „Cyber war“? Wenn man die                eine Cyber-Attacke sein. Mit diesem    auch das 2013 im NATO-Rahmen
 bloße Zahl der digitalen Angriffe               Ausspruch vom „Cyber Pearl Har-        (Cooperative Cyber Defence Center
 auf die deutschen Netze und Infra-              bor“ aber stehen wir schon mitten      of Excellence) erarbeitete „Tallinn
 strukturen ansieht, könnte man                  in einem Problem, das viel mehr ist    Manual“ und sein Nachfolger „Tal-
 einen Kriegszustand vermuten. Im                als eine Frage der Definition. Steht   linn 2.0“ von 2017. Beide sollen der
 Frühjahr 2019 wurden allein im                  Deutschland als angegriffenes Land     völkerrechtlichen Bewertung von
 Netz der Deutschen Telekom 46 Mil-              also bereits in einem Kriegszustand?   Cyber-Konflikten dienen. Der Cyber
 lionen Angriffe pro Tag registriert.            Oder anders gefragt: Wann verdich-     war ist demnach zunächst auch nur
 Die weit überwiegende Zahl der                  ten sich Cyber-Attacken zu einem       eine semantische Eskalation - die
 Attacken richtete sich gegen zivile             Cyber war? Wo liegt die Schwelle       allerdings markiert, wie dringlich die
 Ziele. Entsprechend der Vorgaben                jenseits derer „Cyber-Angriffe“ so     Klärung der Fragen ist. In diesem
 des Grundgesetzes werden die nati-              gravierend sind, dass sie im völker-   Zusammenhang wird auch die Frage
 onalen Cyber-Sicherheitsstrukturen              rechtlichen Sinne als bewaffnete       nach einer Cyber-Ethik plausibel.
 auch nicht militärisch koordiniert,             Konflikte bewertet werden kön-         Konflikte im Cyber-Raum stellen
 sondern zivil – durch das BMI.                  nen – und damit auch den Einsatz       uns vor derart neue Fragen, dass
 Schon 2011 befand der damalige US-              militärischer Gewalt legitimieren?     herkömmliche ethische Orientierung
 Verteidigungsminister Leon Panetta,             Die Definition dieser Schwelle ist     nicht mehr ausreicht. In einer Cyber-

20       Zeitschrift für Innere Führung 2|2020
Innere Führung

                                            FCAS ist ein Waffensystem der nächs-
                                            ten Generation. Ein Kampfflugzeug der 6.
                                            Generation schließt sich mit sogenann-
                                            ten Remote Carriern (RC) im Verbund
                                            als Kampfkraftmultiplikatoren zusam-
                                            men. Bemannte und unbemannte Platt-
                                            formen fügen den kollektiven Fähig-
                                            keiten ihre Einzelfähigkeiten hinzu.

                                            Grafik: Eurofighter GmbH

  „ Mariarosaria Taddeo, Ethikerin
                                                                                                  F o t o: F i s h e r

                                                                                                                         einer „Arbeitsgruppe Technikverant-
       am Oxford Internet Institute:                                                                                     wortung“ als Teil der Entwicklung
                                                                                              St u d

       „In einem Informationskrieg                                                                                       des deutsch-französischen Großpro-
                                                                                                     io

     werden ICTs (Informations- und                                                                                      jektes „Future Combat Air System“
                                                                                              sL
                                                                                          td/

   Computer-Technologien) innerhalb                                                                                      (FCAS).
                                                                                          a   D

                                                                                    vid

       einer offensiven oder defensiven
                                                                             F is
                                                                       her

      Militärstrategie durch einen Staat mit                                                                              Militärethik für das Informations-
    dem Ziel der sofortigen Störung oder Kontrolle der                                                                    zeitalter. Die Frage nach einer Mili-
  Ressourcen des Feindes eingesetzt. Der Kampf wird                                                                       tärethik für das Informationszeitalter
   im Informationsumfeld sowohl mit physischen und                                                                        umfasst allerdings mehr als „Cyber-
 nicht-physischen Akteuren und Zielen geführt, deren                                                                      Attacken“. Hilfreich sind Überle-
  Gewaltschwelle je nach Umständen variieren kann.“                                                                       gungen der am Oxford Internet
                                                                                                                          Institute lehrenden Ethikerin Maria-
                                                                                                                          rosaria Taddeo. Sie spricht 2014 von
                                                                                                                         „Information warfare“ und definiert
Ethik geht es nicht nur um Konflikte      dem Amt für Heeresentwicklung                                                   diese folgendermaßen: Information
                                                                                                                                                  “
im digitalen Raum. Sie stellen ledig-     gegenwärtig ein eher technischer                                                warfare is the use of ICTs (Informa-
lich eine Dimension des viel umfas-       und anwendungsorientierter Zugang                                               tion and Computer Technologies)
senderen Wandels dar, der mit dem         zum Digitalen, der auf Bedarfe und                                              within an offensive or defensive mili-
Eintritt in das Informationszeitalter     Einsatzszenarien, Beschaffung und                                               tary strategy endorsed by a State and
begonnen hat. Von einer kritischen        Implementierung ausgerichtet ist.                                               aiming at the immediate disruption
Öffentlichkeit, in der über Folgen der    Ethische Fragen spielen dabei kaum                                              or control of the enemy´s resources,
Digitalisierung diskutiert wird, kom-     eine Rolle. Immerhin: Im Podcast                                                and which is waged within the infor-
men Überlegungen zu einer Ethik          „sicherheitshalber“ berichtete Ende                                              mational environment, with agents
für das Informationszeitalter. Inner-     Januar 2020 der Münchner Poli-                                                  and targets ranging both on the phy-
halb der Bundeswehr dominiert laut        tikwissenschaftler Frank Sauer von                                              sical and non-physical domains

                                                                                                                               Zeitschrift für Innere Führung 2|2020   21
Innere Führung

   and whose level of violence may               die computergestützte Vernetzung          Schauen wir uns an, was ethische
  vary upon circumstances.” Diese                unserer Lebenswelt sind mehr als          Reflexion an Orientierung bieten
  Definition richtet sich auf staatliches        nur technische Mittel. Sie setzten        kann, dann fragt Ethik nach Grün-
  Handeln, markiert Grenzüberschrei-             überkommene Lebensformen unter            den und Folgen von Handlungen in
   tungen zwischen physischer und                Druck, veränder Wissensformen             Bezug auf ihre moralische Qualität.
  nicht-physischer Domäne und bleibt             und Wissensordnungen, veränderten         Es geht erstens um Entscheidungen:
   im Bezug auf das – für die Verwen-            Ökonomien und Arbeit und bewirk-         „Was soll ich tun?“ mit Blick auf
  dung des Kriegsbegriffes entschei-             ten obendrein eine umfassende             Rechte und Pflichten einerseits und
  denden – Gewaltniveau unscharf.                Mobilisierung. Schritt für Schritt        mit Blick auf Handlungsziele („Güter“
  Taddeo gliedert in drei Bereiche: 1.           führt dies zu einer neuen „Vermes-        oder auch „Werte“) andererseits. Es
   Robotic weapons" mit autonomen                sung der Welt“. Machtverteilungen         geht zweitens um Grundhaltungen
 "
  Waffensystemen, KI (Künstliche                 ändern sich und Plausibilitäten wer-      (oder Tugenden): „Wie sollen wir
  Intelligenz), und den Fragen von               den verschoben. In den Sozialwis-         leben?“ Und Ethik fragt drittens
  remote warfare; 2. „Communication              senschaften spricht man von einem         nach „Ver-Antwortung“ im Sinne
  Management“ mit den Fragen der                „Dispositiv“ und bezeichnet damit          von Rechtfertigungen: „Welche guten
  Informationssicherheit, der Sensoren           die im Wesentlichen unbewusst             Gründe kann ich für mein Handeln
  und des Datentransfers; und 3. den             wirksamen Annahmen der sozialen           geben?“ Die Frage nach der Moralität
  Bereich der „Cyber attacks“.                   Wirklichkeit. Sie beschreiben den         und der Legitimität des Handelns
  Im Rahmen der Information warfare              Raum des überhaupt Möglichen,             muss in ihrer Eigenständigkeit beach-
  wird deutlich, dass die Fragen einer           die Ideen (Diskurse) und Praktiken,       tet und bedacht werden, so Taddeo.
  Cyber-Ethik den angesprochenen                 die Verhalten im Kern bestimmen.          Die Frage kann weder in Bezug auf
  umfassenden Wandel betreffen:                  Ist „Digitalisierung“ ein solches         Effektivität noch auf Legalität beant-
  Digitalisierung verändert unsere               neues „Dispositiv“? Oder ist das,         wortet werden. Nicht alles, was unter
  soziale Wirklichkeit tiefgreifend.             was gegenwärtig geschieht und an          dem Gesichtspunkt der Effektivität
  Dieser Wandel hat viele Facetten               Dynamik immer weiter zunimmt,             sinnvoll ist, muss rechtskonform
  und die Abstraktion „Digitalisierung“          eine Weiterentwicklung der Instru-        sein. Und was rechtlich gestattet ist,
  wird dieser Vielfalt der Phänomene             mente, die auch bislang zur Verfü-        ist damit nicht unbedingt auch
  nicht gerecht. Sie benennt vor allem           gung standen – jetzt allerdings mehr,     legitim oder moralisch richtig.
  die technische Außenseite. Der                 schneller und weiter? Ist Digitalisie-    Konfliktszenarien erkunden –
   zunehmende Datenaustausch sowie               rung ein quantitativ beschreibbarer       explorative Ethik. Wie sehen
  die Datensammlung im Rahmen                    Trend – oder geschieht etwas quali-       Konflikte im digitalen Raum aus?
  gesellschaftlicher Prozesse und                tativ Neues auf einer Metaebene?          Was verändert sich in ihnen? Wir

     Der wachsende Datenaustausch
     im Rahmen gesellschaftlicher
     Prozesse und die computerge-
     stützte Vernetzung setzten über-
     kommene Lebensformen unter
     Druck, verändern Wissensfor-
     men, Ökonomien und Arbeit.

     Foto: stock.adobe.com/Peshkova

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