Summa summarum - DAS OPERNHAUS - Theater an der Wien
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Hauptsponsor Das Theater an der Wien wird aus Mitteln der Kulturabteilung der Stadt Wien gefördert. 1
AGRANA.COM ZUM GELEIT Dieses Programmbuch entsteht in einer Zeit, in der die Theater der Verei- SEHEN nigten Bühnen Wien abgesehen von einer kurzen Öffnungszeit im Herbst 2020 seit mehr als einem Jahr für unser Publikum geschlossen sind. Des- sen ungeachtet werden im Theater an der Wien Opernproduktionen auf höchstem szenischen wie musikalischen Niveau mit unseren Künstler- ensembles erarbeitet und für Sie, wertes Publikum, für Fernsehen, Strea- Sie, WARUM mings, DVD und Radio dokumentiert. Aber was fehlt, ist das Live-Erlebnis des Musiktheaters, mit allem was dazu gehört: Das gemeinsame Erleben eines Opernabends in historischem The- Kultur aterambiente, mit Menschen, die das Geschehen auf der Bühne und das UNS Gehörte sehnsuchtsvoll aufnehmen. Um Ihnen dieses Erlebnis wieder zu ermöglichen, bietet Ihnen das Saisonprogramm 2021/22 eine große Viel- ? falt an faszinierenden Opernprojekten. Wir laden Sie ein, mit uns auf diese wichtig ist spannende Opernreise zu gehen, um den „Sehnsuchtsort“ Theater an der Wien wieder für sich zurückzugewinnen oder neu zu entdecken! Diese Spielzeit kennzeichnet aber auch die letzte Saison von Intendant Roland Geyer, dem es in den vergangenen fünfzehn Jahren sehr erfolg- Frucht. Stärke. Zucker. - Mit diesen reich gelungen ist, das Theater an der Wien national wie international zur drei Standbeinen ist AGRANA weltweit Top-Adresse für zeitgemäßes Musiktheater zu machen. Dem Credo des erfolgreich tätig. Qualität steht bei uns an Hauses entsprechend „immer die Nase vorn zu haben“ und „offen für das erster Stelle, auch wenn es um Bereiche Neue zu sein“ ist Intendant Geyer mit seinem herausragenden Gespür außerhalb unseres Unternehmens für außergewöhnliche Opernwerke in Kombination mit Top-Künstleren- geht. Damit das auch so bleibt, braucht sembles und deren ausdrucksstarken Interpretationen stets gefolgt. Dafür es Engagement und Förderung. Mit danken wir ihm sehr herzlich. unserem Kultursponsoring unterstützen wir einen wesentlichen Teil unseres Um das Neue weiterhin zu ermöglichen und gleichzeitig das historische, gesellschaftlichen Lebens und sorgen denkmalgeschützte Haus zu bewahren, wird das Theater an der Wien ab dafür, dass diesem auch Aufmerksamkeit März 2022 einer Renovierung unterzogen. Daher endet die vorliegende geschenkt wird. Spielzeit bereits früher als gewohnt. Lassen Sie uns gemeinsam in dieser herausfordernden Zeit zuversichtlich AGRANA ist Hauptsponsor des in die Zukunft blicken! Ich wünsche mir, dass Sie uns, wertes Publikum, Theater an der Wien. auch weiterhin die Treue halten und freue mich auf ein Wiedersehen in unseren Häusern, Franz Patay Geschäftsführer Vereinigte Bühnen Wien 2 Der natürliche Mehrwert 3
Vor vier Jahren habe ich mein Konzept präsentiert, die abschließenden Füße! Versucht, dem, was ihr seht, Sinn zu geben, und fragt euch, was vier Saisonen meiner Intendanz dramaturgisch als Tagesablauf zu ge- das Universum existieren lässt. Seid neugierig. Wie schwierig das Le- stalten. Wir sind 2018 unter dem Motto tabula rasa im Morgengrau- ben auch erscheinen mag, es gibt immer etwas, was ihr tun könnt und en aufgebrochen, um 2021/22 summa summarum in die SCHWARZE worin ihr erfolgreich sein könnt.“ NACHTHELLE einzutauchen. Die Nacht als Ende des Tages schien mir das richtige Symbol für den Abschluss meiner künstlerischen Tätigkeit Als das Theater an der Wien 2006 als neues Opernhaus der Stadt Wien für das Theater an der Wien zu sein, weil ich in dieser prinzipiell die wiedereröffnet wurde, haben wir uns auf einen langen Weg durch das Reminiszenz an den vergangenen Tag vor dem nächsten Morgen sehe. Opernuniversum begeben. Der mediale Applaus und die durchgehend hohe Wertschätzung seitens unserer Besucher*innen bestätigen die er- Ich konnte damals nicht einmal ansatzweise erahnen, wie sehr folgreiche Ausrichtung, und ich möchte mich aufrichtig bei Ihnen, wer- wir 2020/21 alle von Dunkelheit umschlungen werden wür- tes Publikum, bedanken, dass Sie uns durch diesen Zeitraum so en- den, aber ich spüre meine Aufgabe, darauf hinzuwei- gagiert begleitet haben. Wer Neues wagt, wird auch manchmal sen, dass diese Veränderung kein Ende, sondern ei- scheitern, ganz wie es der große Nikolaus Harnoncourt gefor- nen Aufbruch darstellt. „Die Dogmen wechseln dert hat, aber ich habe Ihnen stets versprochen, dass wir im und unser Wissen ist trüglich; aber die Natur irrt Theater an der Wien unsere Aufgabe mit Engagement und nicht: ihr Gang ist sicher und sie verbirgt ihn Aufrichtigkeit wahrnehmen werden, und freue mich, dass nicht“, ermahnt uns Arthur Schopenhauer zu wir diese Ankündigung erfüllen konnten. tiefem Respekt vor jenen Vorgängen, die wir nicht erklären können. Er gibt uns aber auch Nun im letzten Jahr meiner rund 16-jährigen Intendanz PROLOG SUMMA Mut: „Die Erde wälzt sich vom Tage in die steht der finale Tagesabschnitt meiner „atmosphärischen Nacht; das Individuum stirbt; aber die Son- Programmdramaturgie“ – sozusagen summa summa- SUMMARUM ne selbst brennt ohne Unterlass ewigen Mit- rum des abgelaufenen Tages – am Programm. Die Dun- tag. Die Abwesenheit des Lichtes macht uns kelheit ermöglicht uns in ihrer Schwarzen Nachthelle augenblicklich traurig; seine Wiederkehr be- den Blick auf jene Sterne, die unser Universum bilden. glückt: die Farben erregen unmittelbar ein leb- Die kommende Saison wird daher grafisch als Blick in den haftes Ergötzen, welches, wenn sie transparent Musikkosmos dargestellt, in dem sich auch unsere Opern- sind, den höchsten Grad erreicht. Das Licht ist welt befindet. Der Programmstrom fließt vom Anfang der das Symbol alles Guten und Heilbringenden. Dem Operngeschichte bis in die Gegenwart, vom allerersten Werk Willen zum Leben ist das Leben gewiss: die Form des bis zur neuesten Kreation. Lebens ist Gegenwart ohne Ende.“ Gleich zu Beginn der Saison gehen wir zurück bis zur „Geburt“ je- Wir haben seit dem Ausbruch der COVID 19-Pandemie 2020 ein ner Gattung, die damals noch verschiedene Namen trug, und die erst Jahr erlebt, in dem es uns allen an Licht, an alltäglichem Vergnügen später als Oper bekannt und beliebt werden sollte. Wir ehren heute und an menschlichen Begegnungen gefehlt hat. Wir haben eines der Claudio Monteverdi als ersten epochalen Opernkomponisten und ha- schwierigsten Jahre seit Jahrzehnten erlitten, daran hege ich keinen ben uns auch im Theater an der Wien mit seinen drei stilprägenden Zweifel, und wir werden weiterhin lernen müssen, mit dieser schwie- Werken L’Orfeo, Il ritorno d’Ulisse in patria und L’incoronazione di Pop- rigen Ausnahmesituation umzugehen. Lassen wir unsere Köpfe nicht pea ausführlich in den letzten 15 Jahren beschäftigt. Aufgrund der ra- hängen, und ich meine diese zum Klischee geronnene Floskel wort- dikalen Modernität Monteverdis ist dieser Zugang auch berechtigt, nur wörtlich, ganz wie Stephan Hawking uns auffordert: „Erinnert euch da- historisch korrekt ist er nicht. Denn bereits sieben Jahre vor der Urauf- ran, nach oben in die Sterne zu blicken und nicht nach unten auf eure führung des L’Orfeo in Mantua wurde 1600 Emilio de’ Cavalieris Spiel 4 5
von Seele und Körper, Rappresentatione di Anima et di Corpo, in Rom im Theater an der Wien uraufgeführt wurde. Nikolaus Habjan wird Ih- aufgeführt, als „Singend vorzutragende Darstellung“. Dieses frühe Werk nen diese Oper zusammen mit seiner berühmten Puppe „Charlotte“ des Musiktheaters war noch gänzlich einem geistlichen Thema gewid- amüsant präsentieren. met, gilt heute aber zu Recht als früheste vollständig erhaltene – und gedruckte! – Oper. Dirigent Giovanni Antonini wird diese Rarität seiner Zwischen 1892 und 1904 entstanden drei Opern, die alle dem Schicksal italienischen Heimat erstmals im Theater an der Wien erklingen lassen. ihrer weiblichen Hauptfiguren nachspüren und die wir in der kommen- den Saison in exklusiven Neuproduktionen vorstellen wollen. Regisseurin Ich möchte damit auch mein jahrelanges Postulat „1607 = Urknall der Barbora Horáková wird einen unromantischen Blick auf Alfredo Catala- Oper“ korrigieren und – dem wissenschaftlichen Forschungsstand ent- nis La Wally werfen, die im deutschsprachigen Raum zwar nichts von sprechend – mich zum „wahren Opernbeginn in 1600“ bekennen. Sollte ihrer faszinierenden Geschichte verloren hat, aber dennoch als Geier- ich Sie in den letzten Jahren mit dem Orfeo tatsächlich in die Irre ge- wally für eine zumeist kitschige Deutung herhalten muss. Puccinis Tosca führt haben, ersuche ich um Nachsicht. bedarf keiner weiteren Einführung. Doch wenn der Regisseur der Pro- duktion im Theater an der Wien Martin Kušej heißt, dann kann ich Die frühen Pioniere der Oper kämpften mit einem Problem, das uns garantieren, dass diese Tosca völlig neue Wege einschlagen wird. Last heute nicht mehr beschäftigt, vielmehr sogar fremd erscheint. Der but not least wird die niederländische Regisseurin Lotte de Beer einen Mensch singt nicht, wenn er kommuniziert. Bei Cavalieri sind es da- ebenso kritischen wie stets eigenwilligen Blick auf Leoš Janáčeks Jenů- her noch allegorische Figuren, die auftreten – spätere Komponisten wie fa werfen. Nina Stemme wird dabei zugleich ihr Debüt am Theater an Monteverdi lösten diese Frage elegant, in dem sie zum Beispiel die my- der Wien wie in der Rolle der Küsterin geben, worüber ich mich sehr thologische Gestalt des Sängers Orpheus zur Hauptfigur erkoren. Denn freue, weil es zugleich meine allerletzte Neuproduktion am großen dass ein Sänger singt, überzeugte auch ein Publikum, dem singende Haus ist. und handelnde Figuren auf einer Bühne absurd vorkamen. In unserem Programm 21/22 darf daher der „Orpheus“ auch heuer nicht fehlen. Zuvor kann ich Ihnen nochmals den allergrößten internationalen Er- In der Kammeroper wird Glucks Orphée et Eurydice szenisch erarbeitet, folg des Theater an der Wien in meiner Ära zeigen. 2016 haben wir und im Theater an der Wien werden sowohl Nicola Porporas als auch für Christof Loys Interpretation von Benjamin Brittens Peter Grimes den Monteverdis Orfeo-Fassungen konzertant mit exzellenten Besetzungen Award für die weltbeste Neuproduktion des Jahres 2015 erhalten. Die zu erleben sein. Mit auserlesenen Werken von vier weiteren Großmeis- Preisübergabe in London war ein Ereignis, das auch für mich einer der tern (Lully, Caldara, Albinoni, Vivaldi) wollen wir Sie noch tiefer in die schönsten Momente als Intendant gewesen ist. barocke Opernwelt eindringen lassen. Das 20./21. Jahrhundert ist noch mit zwei weiteren Werken in unserem Auch Georg Friedrich Händel, dem wir uns seit der Wiedereröffnung Opernkosmos szenisch vertreten: 2006 als neues Opernhaus verpflichtet fühlen, muss in unserem Kosmos In seinem Heimatland, den Vereinigten Staaten, ist Tobias Picker ein be- prominent vertreten sein: Keith Warner wird unter der musikalischen kannter Name in der aktuellen Musikwelt, während er in Europa kaum Leitung von Ivor Bolton Händels wohl berühmtestes Dramma per mu- aufgeführt wird. Bereits vor über zehn Jahren habe ich den zeitgenössi- sica Giulio Cesare in Egitto neu interpretieren, und die konzertanten Auf- schen amerikanischen Opernkomponisten Jake Heggie und André Previn führungen der beiden Oratorien Theodora und Messiah würdigen den eine Plattform im Theater an der Wien gegeben. Es war rückblickend größten Musiktheaterkomponisten des Barock. ein schwieriges Unterfangen. Trotzdem wollen wir noch einmal den Kul- turstrom zwischen Europa und der Neuen Welt umdrehen und in der Dem 19. Jahrhundert begegnen wir mit einer spannenden, neuen Inter- Kammeroper die Österreichische Erstaufführung von Pickers Oper pretation von Rossinis Barbiere und einem außergewöhnlichen Jubilä- Thérèse Raquin nach dem gleichnamigen Roman von Émile Zola vor- umskonzert von Lortzings Der Waffenschmied, der vor 175 Jahren (1846) stellen. 6 7
Und zum Abschluss meiner Intendanz im Mai/Juni 2022 habe ich aber- mals eine absolute Rarität ausgegraben: Ottmar Gerster hat im Jahr 1936 die damals berühmte Ballade von Alfred Tennyson, Enoch Arden, veropert (die Jahrzehnte zuvor auch Richard Strauss als Melodram ver- tonte). Wir planen Gersters Enoch in einer faszinierenden Doppelebene Bühne-Film umzusetzen, wofür David Haneke gewonnen wurde. Kurz vor Druckschluss fällt ein weiteres wichtiges Projekt von 20/21 der Corona-Theatersperre im Mai zum Opfer. John Neumeiers Beethoven Projekt kann aber glücklicherweise kurzfristig an den Anfang der Saison 21/22 verlegt werden. Es wird somit als INTRADA den Aufführungs- reigen im Theater an der Wien einleiten. Neumeiers aktuellste Ballett- Kreation umfasst unter anderem Beethovens 7. Sinfonie und „Meine Seele ist erschüttert“ aus dem Oratorium Christus am Ölberge, das 1803 im Theater an der Wien uraufgeführt wurde. Das Gegenstück zur eröffnenden Intrada, nämlich die RETIRADA [Rück- zug, Abmarsch] findet im März 2022 statt: Im Theater an der Wien werden dann für einige Zeit die Scheinwerferlichter ausgehen, da eine umfassende Renovierung des Hauses notwendig wurde, und ich freue mich, dass die Stadt Wien das nötige Kapital für diese essentielle Sanie- rung in den nächsten Jahren zur Verfügung stellen wird. Mein Nachfolger Stefan Herheim kann dann – wie ich 2006 – in ein „neues“ Opernhaus einziehen und den zukünftigen Spielbetrieb starten. Ich wünsche ihm dafür gutes Gelingen und dem Theater an der Wien viele weitere erfolgreiche Jahrzehnte als „Oper an der Wien“. Ich danke Ihnen, wertes Publikum, für Ihre Treue in den letzten 16 Jahren und wünsche Ihnen auch in 21/22 faszinierende und beglückende Theaterstunden, denn die Magie der Oper wird weiter leben. „Die Nacht, die uns der Augen Dienst entzieht, macht, dass dem Ohr kein leiser Laut entflieht.“ * Herzlichst Ihr Intendant Roland Geyer * Aus Ein Sommernachtstraum von William Shakespeare, der das europäische (Musik)Theater so umfassend und nachhaltig wie kein zweiter geprägt hat. 8
PROGRAMMKOSMOS 2006 THÉRÈSE RAQUIN 2021/22 1980 THE LIGHTHOUSE 1945 PETER GRIMES 1904 1936/2022 ENOCH ARDEN JENŮFA 1900 1892 LA WALLY TOSCA 1846 DER WAFFENSCHMIED 1828 WINTERREISE 1803 1816 BARBIERE DI SIVIGLIA CHRISTUS AM ÖLBERGE 1774 ORPHÉE ET EURYDICE 1724 1750 THEODORA GIULIO CESARE 1712 DEIANIRA 1694 ZENOBIA 1678 PSYCHÉ 1607 L’ORFEO 1600 RAPPRESENTATIONE summa summarum
MUSIKTHEATER Der Programmzyklus „4-Tageszeiten 2018-22“ wird diese Saison mit dem vierten Teil SCHWARZE NACHTHELLE beendet. Ein letztes Mal breiten INTRADA – Neumeier: HAMBURG BALLETT 14 wir unseren die Jahrhunderte überspannenden Opernkosmos mit seinen Cavalieri: RAPPRESENTATIONE ewig strahlenden Werken aus und laden Sie auf eine Reise in diese Welt DI ANIMA ET DI CORPO 16 ein. Unser Programm 21/22 umfasst insgesamt 24 Premieren – davon 11 szenische Musiktheaterproduktionen plus 10 konzertante Opern und 3 Gluck: ORPHÉE ET EURYDICE 20 halbszenische Sonderprojekte unseres Jungen Ensembles des Theater an Britten: PETER GRIMES 24 der Wien in der Kammeroper (JET). Davies: THE LIGHTHOUSE 28 Mit unserem vielgestaltigen Programm konnten wir Ihnen seit Catalani: LA WALLY 32 2006 höchste Qualität spannenden Musiktheaters, Konzerte mit bekannten und außergewöhnlichen, wiederzuentde- Picker: THÉRÈSE RAQUIN 36 ckenden Opern sowie eine Vielzahl besonderer Pro- Händel: GIULIO CESARE IN EGITTO 40 jekte präsentieren. Unser treues Publikum möchte ich daher mit einer letzten, wie immer, sorg- Puccini: TOSCA 44 sam zusammengestellten Auswahl von Werken Janáček: JENŮFA 48 von 1600 bis 2022 erfreuen und fesseln. Dazu kommen das 13. Kabarett „in der Hölle“ und Rossini: IL BARBIERE DI SIVIGLIA 52 SCHWARZE eine Ausstellung über die vergangenen 15 Gerster: ENOCH ARDEN 56 INHALT Jahre meiner Intendanz. NACHTHELLE OPER KONZERTANT 60 AUSBLICK Bei diesem Saisonausblick werde ich wie im- KONZERTSZENE WINTERREISE 82 mer auch Künstler*innen, Weggefährt*innen der letzten Jahre und neue Gäste dieser Saison RETIRADA – JugendOpernAir 84 präsentieren. JET – Specials & Unser Ensemble 86 Musikalisches Programm: SONDERPROJEKTE 90 Arnold Schönberg: Verklärte Nacht Jugend / Kinder an der Wien 98 Hartmann Quartett, Künstler*innen 104 gemeinsam mit Theresa Strasser & Josef Hundsbichler Freunde Theater an der Wien 108 Freundeskreis der Kammeroper 110 Franz Schubert: Nachthelle Abonnements 112 Andrew Morstein, Tenor | Elizabete Šīrante, Klavier Abonnement-Bedingungen 136 Mitglieder des Arnold Schoenberg Chors Karten & Informationen 138 Musikalische Leitung: Erwin Ortner Führungen 143 Präsentation: Intendant Roland Geyer Spielplan 144 Organisation 150 Franz Schwarzinger 156 Preise & Saalplan 162 Freitag, 24. September 2021, 20.00 Uhr Abo-Bestellkarte 165 Impressum 167 12
Ludwig van Beethovens Musik begann in der Arbeit des Choreografen John Neumeier erst spät eine Rolle zu spielen. 2018 kam sein Beethoven- Projekt I zur Uraufführung, und es sollte im Gedenkjahr zu Beethovens 250. Geburtstag 2020 fortgesetzt werden. In diesem Beethoven-Projekt II – das pandemiebedingt erst 2021 in neuer Konzeption uraufgeführt wurde – versammelt Neumeier im ersten Teil Werke aus der Zeit des Hei- „MEINE SEELE IST ERSCHÜTTERT“ ligenstädter Testaments (1802), die Violinsonate Nr. 7 c-moll und die Kla- viersonate Nr. 21 C-Dur, kombiniert mit Ausschnitten aus Christus am Öl- HAMBURG BALLETT berge. Der zweite Teil ist der Siebten Sinfonie (1812) gewidmet. Neumeier JOHN NEUMEIER wollte Beethovens Musik jenseits des Mythos begreifen: „Ich hole sie BEETHOVENPROJEKT II von diesem Sockel herunter – die Musik wird intim. Sie ist nicht mehr Ballett von John Neumeier (UA 2021) nur das Werk eines bewunderten Meisters, sie muss etwas ganz Nahes Musik von Ludwig van Beethoven werden – für mich persönlich, damit ich damit arbeiten kann. Genau wie mein erstes abendfüllendes Beethoven-Ballett betrachte ich die neue Choreografie & Lichtkonzept John Neumeier Kreation als Projekt: Es gibt keine nacherzählbare Handlung, es ist kein Musikalische Leitung Constantin Trinks IM THEATER AN DER WIEN Bühne Heinrich Tröger Kostüm Albert Kriemler INTRADA – A-K-R-I-S Tenor Klaus Florian Vogt Violine Anton Barakhovsky Klavier NN choreografisches Porträt, auch kein rein sinfonisches Werk. Beethoven- Wiener KammerOrchester Projekt II basiert auf der Faszination und Verbindung eines Choreogra- fen zu einem großen Musiker, mit einer Auswahl von Werken, die ihm Beethoven zusagen. Diese Werke lassen eventuell biografische Fragmente erahnen; Violinsonate Nr. 7 c-moll, Op. 30 durch die Improvisation zu dieser Musik erfahre ich sie zugleich als ge- aus Christus am Ölberge, Op. 85 niale Tanzmusik – eine Musik für Tanz in seiner reinsten Form.“ In seine aus Klaviersonate Nr. 21 C-Dur, Op. 53 Deutung der Teile aus Christus am Ölberge flossen Bezüge zu Beethovens Sinfonie Nr. 7 A-Dur, Op. 92 Biografie ein: „Das Oratorium stellt einen innerlichen Kampf und ein Gebet Jesu dar, dass die Passion bitte nicht stattfinden möge. Das kann Eine Kooperation zwischen Hamburg Ballett John Neumeier man interpretieren als Beethovens eigenes Gebet, komponiert zu einer und Theater an der Wien Zeit, als ihm klar wurde, dass er sein Gehör endgültig verlieren würde. Wie Christus scheint er in seiner Musik darum zu bitten, dass dieser Kelch an ihm vorübergehen möge.“ Die Siebte Sinfonie hingegen ist für Neumeier frei von konkreten Bedeutungen: „Das Werk gilt als Beetho- vens tänzerischste Sinfonie, die am meisten auf rhythmischen Impulsen Premiere: 28. August 2021 basiert. Daher sind alle Gedanken an eine narrative Handlung abwegig. Aufführung: 29. August 2021 | 19.00 Uhr Meine Choreografie ist eine Hommage an den Ursprung des Tanzes.“ 14
Der Anfang der Oper stellt existentielle Fragen in den Raum: Wie soll man richtig leben? Warum hängen die Menschen so sehr am Leben? Was ist gut an diesem Erdendasein? Seine Schönheit ist doch nur Schein, es steckt voller Eitelkeit, Beschwerden und Gefahren. Da die EMILIO DE’ CAVALIERI Blicke der Menschen durch Sünde getrübt sind, soll ihnen ein Schau- RAPPRESENTATIONE DI ANIMA ET DI CORPO spiel vorführen, dass nur die Wendung zu Gottes Liebe glücklich ma- chen kann. Zu Beginn des Spiels mahnt TEMPO, die Zeit, das Jüngste Rappresentatione per recitar cantando Gericht sei nahe, man müsse sein Herz zu Gott lenken. INTELLETTO, in einer Vorrede und drei Akten (1600) der Verstand, ist davon bereits überzeugt; CORPO und ANIMA, Körper Libretto von Agostino Manni und Seele, sind sich jedoch noch nicht einig. ANIMA findet in der Welt nicht, wonach sie sich sehnt, während CORPO den Verdacht nicht los- In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln wird, dass weltliche Genüsse Befriedigung bringen könnten. Als ANIMA darauf insistiert, Gott nachzustreben, preist der Chor zur Festigung ih- Musikalische Leitung Giovanni Antonini rer Ansicht Gottes Güte. CORPO stimmt ANIMA nun zu. Ihre Einigkeit Inszenierung, Bühne & Licht Robert Carsen wird aber noch auf die Probe gestellt. Dabei steht ihnen CONSIGLIO, Ausstattung Luis F. Carvalho Choreografie Lorena Randi IM THEATER AN DER WIEN Licht Peter van Praet RAPPRESENTATIONE Dramaturgie Anima, die Seele Ian Burton Anett Fritsch DI ANIMA ET DI CORPO Corpo, der Körper Intelletto, der Verstand Daniel Schmutzhard Cyril Auvity Consiglio, der gute Rat Florian Boesch Tempo, die Zeit / Mondo, die Welt Georg Nigl der gute Rat, zur Seite. PIACERE, das Vergnügen, schildert die Schönheit Piacere, das Vergnügen Margherita Maria Sala von Natur und Liebe und führt CORPO und ANIMA damit in Versu- Angelo custode, der Schutzengel Carlo Vistoli chung. Beinahe fällt CORPO darauf herein, aber ANIMA bleibt standhaft. Vita mondana, das weltliche Leben / Da CORPO murrt, befragt ANIMA den Himmel. Durch ein Echo bekräf- Anima beata, die glückliche Seele Giuseppina Bridelli tigt eine himmlische Stimme ANIMAS Haltung. Zur weiteren Stärkung erscheint ein Schutzengel, denn nun tritt ihnen MONDO, die Welt, per- Il Giardino Armonico sönlich entgegen und verspricht Glanz und Reichtum. CORPO will sich Arnold Schoenberg Chor (Ltg.: Erwin Ortner) ihr schon unterwerfen, selbst ANIMA sinnt auf einen Kompromiss zwi- schen Welt und Gott, da greift der Schutzengel mahnend ein. Die Welt Neuproduktion des Theater an der Wien schickt daraufhin VITA MONDANA, das weltliche Leben, mit all seiner verlockenden Lieblichkeit ins Treffen. Aber unter dem äußeren Glanz von Welt und weltlichem Leben verbirgt sich elende Hässlichkeit. Als sich diese enthüllt, wendet sich auch CORPO endgültig Gott zu. COR- PO und ANIMA werden als Vorbilder für die Menschen in den Him- mel eingeladen, wo ihnen bei einer Befragung der Verdammten und der Premiere: 19. September 2021 Seligen deren Leid und Glück noch einmal direkt offenbart wird. Mit Aufführungen: 21. | 23. | 25. | 27. und 29. September 2021 | 19.00 Uhr einem Fest zum Preise Gottes endet die Vorführung. Einführungsmatinee: Sonntag, 19. September 2021 | 11.00 Uhr 16
Emilio de’ Cavalieri pendelte sein Leben lang wie die allegorischen Fi- guren seines Stückes zwischen weltlichem Glanz und frommer Ein- kehr. Als er 1600 für die Feierlichkeiten zum Heiligen Jahr in Rom die Rappresentatione di Anima et di Corpo schrieb, hatte er die vielfältige Tätigkeit als Intendant der Feste am Hof von Ferdinando de’ Medici in Florenz hinter sich, wo in einer Intellektuellenrunde, der Florentiner Camerata, Ideen zur Wiederbelebung der griechischen Tragödie erson- nen wurden, die schließlich zur Erfindung der Oper führten. In Cavalie- ris Rappresentatione verbinden sich das mittelalterliche Mysterienspiel, das Jesuitendrama der Gegenreformation und jene Überlegungen der Florentiner Camerata. Cavalieri verwendet für sein dialo- gisches, allegorisches Spiel den dort entwickelten „Stile recitando“, ein gesungenes Sprechen. Somit ist die Rappresentatione weder Oper noch Oratorium, aber Keimzelle für beides und auf jeden Fall das erste vollständig überlieferte Stück Musiktheater. Die Uraufführung fand im Betsaal der Bruder- schaft des Heiligen Filippo Neri statt, der – erst 1595 verstorben – eine anschauliche RAPPRESENTATIONE Laienunterweisung mit Musik ergänzend zur DI ANIMA lateinischen Predigt kultiviert hatte. Die Rap- ET DI CORPO presentatione ist in diesem Sinne als eine ausgefeilte, ineinander geschachtelte allego- rische Abstraktion angelegt: Der gesprochene Prolog stellt eine These auf, deren Richtigkeit in den folgenden drei, durch Musik kunstvoll stilisierten Akten bewiesen wird. Cavalieris kom- positorische Stärke liegt in der abwechslungsreichen Gestaltung der Chöre, der Instrumentalstücke, der En- sembles und der Verwendung von Tanzrhythmen. Höhe- punkte sind das Echo vom Himmel, der Auftritt von Piacere und die Befragung der Verdammten und der Seligen. Der Partitur ist ein Vorwort beigegeben, worin Cavalieri sein Ziel, die geistige Erbauung so unterhaltend wie möglich gestalten zu wollen, vertritt: Ein Libretto solle nicht länger als 700 Verse sein, die Sänger sollen wenig verzie- ren und auf ihre saubere Aussprache achten, denn Musik ohne Text- verständlichkeit sei langweilig und die Zuschauer würden abspringen. Zur Besetzung der Instrumente gibt Cavalieri Empfehlungen, aber er lässt den jeweiligen Ausführenden diesbezüglich große Freiheit, dadurch wird der musikalische Leiter zum maßgeblichen Mitgestalter der Produktion. 18
Der apollinische Sänger Orpheus hat durch den Biss einer giftigen Schlange seine geliebte Gattin Eurydike verloren. In einem Zypressenhain beklagen Hirten und Nymphen mit ihm diesen frühen Tod und schmü- cken Eurydikes Grab mit Blumen. Die Winde tragen Orpheus’ Klagen zu den Göttern, die ihm seine Angebetete so grausam geraubt haben. Orpheus ist nicht bereit, sich dem ihm auferlegten Schicksal zu fügen und will in die Unterwelt gehen, um dort Eurydike zu suchen. Da er- CHRISTOPH WILLIBALD GLUCK scheint Amor und verkündet ihm, was Jupiter, gerührt von seinem ORPHÉE ET EURYDICE Schmerz, beschlossen hat: Der Sänger darf wirklich in die Unterwelt hin- absteigen. Sollte es ihm mit seinem Gesang gelingen, die Furien und Oper in drei Akten (1774) Ungeheuer des Hades milde zu stimmen, wird ihm Eurydike zurück- Libretto von Pierre-Louis Moline gegeben. Allerdings darf er Eurydike nicht ansehen, bevor sie den Styx und Ranieri de’ Calzabigi überquert haben, und ihr auch Jupiters Gebot nicht verraten. Beglückt macht sich Orpheus unter den Ermahnungen Amors auf den Weg in In französischer und italienischer Sprache die Unterwelt. Dort bedrängen ihn Furien und Wächter und wollen ihm mit deutschen Übertiteln ORPHÉE ET Musikalische Leitung Raphael Schluesselberg IN DER KAMMEROPER Inszenierung Philipp M. Krenn Ausstattung Christian Andrè Tabakoff EURYDICE Licht Franz Tscheck Orphée Sofia Vinnik * Eurydice Ekaterina Protsenko L’amour Miriam Kutrowatz */ den Zutritt in den Hades verwehren. Durch einen ergreifenden, um Er- Anita Rosati barmen flehenden Klagegesang gelingt es Orpheus aber, diese zu be- sänftigen. Es wird ihm der Weg ins Elysium, zu den Gefilden der Seligen Bach Consort Wien freigegeben, wo ihm von den scheuen Geistern Eurydike zugeführt wird. Arnold Schoenberg Chor (Ltg.: Erwin Ortner) Gemeinsam treten sie durch die labyrinthischen Gänge des Hades den Weg in die Oberwelt an. Beunruhigt vom abgewandten Blick Orpheus’ * Junges Ensemble Theater an der Wien kommen in Eurydike jedoch Zweifel auf, ob es wirklich ihr Mann ist, dem sie da durch die finsteren Klüfte folgt. Sie bedrängt ihn mit Fragen Neuproduktion des Theater an der Wien in der Kammeroper und Vorwürfen und beginnt, an seiner Liebe zu zweifeln, kann sie sich doch sein abweisendes, zur Eile mahnendes Verhalten nicht erklären. Angsterfüllt will Eurydike lieber erneut sterben und in die Ruhe des Ely- siums zurückkehren als ungeliebt ein neues, freudloses Leben begin- nen. In höchster Verzweiflung bricht Orpheus das ihm auferlegte Gebot und wendet sich Eurydike zu, die tot in seine Arme sinkt. Voll Schmerz will sich Orpheus das Leben nehmen, was von Amor verhindert wird. Premiere: 2. Oktober 2021 Beschämt von der Größe dieser Liebe, erweckt er Eurydike noch ein- Aufführungen: 4. | 6. | 8. | 10. | 12. | 15. | 17. | 19. und 21. Oktober 2021 | 19.00 Uhr mal zum Leben. Glücklich vereint huldigt das Paar dem Liebesgott. Einführungsmatinee: Sonntag, 26. September 2021 | 11.00 Uhr 20
Christoph Willibald Gluck und Ranieri de’ Calzabigi haben sich 1762 in ihrer Bearbeitung des Orpheus-Mythos (fast) auf die Personen des Lie- bespaares Orpheus und Eurydike beschränkt und die Handlung auf scharf kontrastierende Bilder verdichtet. Anstatt auf die üblichen, unü- berschaubaren Intrigen zu bauen, vertrauten die Autoren der Einfachheit und Klarheit des Handlungsverlaufs. Mit Hilfe von dramatisch schlag- kräftigen, psychologisch motivierten und vom Orchester begleitenden Rezitativen wurde die starre Trennung von Secco-Rezitativ und Arie ver- mieden und so ein bruchloser, organischer Übergang in ariose Passa- gen ermöglicht. Die lediglich die Virtuosität der Sängerinnen und Sänger zur Schau stellenden Da-Capo-Arien wurden durch schlichte, aber zu Herzen gehende Lied- und Chorstro- phen ersetzt. Allein das übliche „lieto fine“ – also das glückliche Ende – blieb im Gegensatz zu Ovids Vorlage als einzige Konzession an den Publi- kumsgeschmack noch unangetastet. Zweifels- ohne stellt Glucks erste Reformoper einen bedeutenden Wendepunkt in der Opernge- schichte dar, bricht sie doch radikal mit den ORPHÉE ET zur Konvention erstarrten Normen, wie sie von Metastasio für die italienische Opera EURYDICE seria vorgegeben waren. Dieser Bruch mit der Konvention ist allerdings keineswegs aus dem Nichts entstanden. Bereits 1754 – also acht Jahre vor der Wiener Erstaufführung von Glucks erster, italienischer Fassung 1762, Or- feo ed Euridice – veröffentlichte der Kunstkritiker Francesco Algarotti ein eher schmales Büchlein, in dem er gnadenlos mit der gängigen Theaterpraxis sei- ner Zeit abrechnete und sich Gedanken über eine Reform der Kunstgattung Oper machte. Er löste damit zeitgleich nicht nur in Wien, sondern auch in Parma, Stuttgart, Mannheim und St. Petersburg Bestrebungen aus, die Opera seria durchgreifend zu refor- mieren. Es erscheint nicht verwunderlich, dass Glucks Orfeo ed Euridice der durchschlagende Erfolg in Wien versagt blieb. Zu ungewohnt, zu re- volutionär war die neue Oper für das Publikum. Dieser stellte sich erst zwölf Jahre später, 1774, mit einer neuen, leicht veränderten, franzö- sischen Fassung in Paris ein, was insofern nicht überraschend ist, weil Gluck darin zusammen mit seinem französischen Librettisten Pierre- Louis Moline auf die Tradition der Tragédie-lyrique zurückgreift. 22
Der Fischer Peter Grimes wird in seinem Dorf gemieden. Er ist ein ver- BENJAMIN BRITTEN schlossener Außenseiter, dem bereits zum zweiten Mal ein Lehrjunge PETER GRIMES gestorben ist. Die Dorfgemeinschaft argwöhnt, Grimes könnte an diesen Oper in einem Prolog und drei Akten (1945) Todesfällen schuld sein. Bei einer Untersuchung kann man ihm nichts beweisen, aber er erhält den Rat, zukünftig einen Erwachsenen als Libretto von Montagu Slater Hilfskraft einzustellen. Nur die Lehrerin Ellen Orford hält zu Grimes. nach der Verserzählung The Borough von George Crabbe Der ehemalige Kapitän Balstrode empfiehlt ihm, Ellen zu heiraten, da- In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln mit das Gerede ein Ende fände, aber der Fischer weicht aus, erst will er es zu Geld und Ansehen bringen. Um die viele Arbeit zu schaffen, Musikalische Leitung Thomas Guggeis sucht er doch wieder nach einem Jungen als Lehrling. Wie immer orga- Inszenierung Christof Loy nisiert ihm der Apotheker Keene einen aus dem Armenhaus. Fuhrmann Bühne Johannes Leiacker Hobson weigert sich zunächst, Grimes ein neues Opfer zuzuführen. Kostüm Judith Weihrauch Erst als Ellen bereit ist, den Jungen mitabzuholen, nimmt er den Auf- Choreografie Thomas Wilhelm trag an. Von nun an steht Grimes unter noch genauerer Beobachtung. Licht Bernd Purkrabek An einem Sonntag einige Wochen später bemerkt Ellen vor der Kirche Peter Grimes Eric Cutler PETER IM THEATER AN DER WIEN John, sein Gehilfe Gieorgij Puchalski Ellen Orford, die Lehrerin Agneta Eichenholz Balstrode, ein ehemaliger Kapitän Andrew Foster-Williams GRIMES Auntie, die Kneipenwirtin Hanna Schwarz Ihre beiden Nichten Miriam Kutrowatz *, Valentina Petraeva * Bob Boles, ein Methodist Rupert Charlesworth an dem Jungen einen Bluterguss. Als sie Grimes damit konfrontiert, gerät Swallow, ein Rechtsanwalt Thomas Faulkner sie mit ihm in Streit. Grimes nimmt den Jungen und will mit ihm zum Mrs Sedley, eine Witwe Rosalind Plowright Fischen hinausfahren. Aber die Dorfleute haben nach dem Gottesdienst Reverend Horace Adams Erik Årman mitbekommen, dass wieder etwas mit Grimes und seinem Lehrling nicht Ned Keene, der Apotheker Tobias Greenhalgh stimmt. Sie rotten sich zusammen, um Grimes zur Räson zu bringen. Hobson, der Fuhrmann Lukas Jakobski Gerade als sich Grimes mit dem Jungen zum Ausfahren bereit macht, hört er die wütenden Bürger. Mit dem Jungen flieht er Richtung Boot, aber ORF Radio-Symphonie-Orchester Wien in der Panik rutscht der Junge auf den Felsen ab. Als die Bürger die Hüt- Arnold Schoenberg Chor (Ltg.: Erwin Ortner) te erreichen, ist sie leer. Tage später entdecken Ellen und Balstrode den * Junges Ensemble Theater an der Wien Pullover des Jungen. Nun sind die Dorfleute überzeugt, dass Grimes ei- nen neuen Mord begangen haben muss und ziehen wieder los, um ihn Neueinstudierung der Theater an der Wien-Produktion von 2015 für seine Verbrechen bezahlen zu lassen. Ellen und Balstrode finden Grimes vor der wütenden Meute, aber er ist verwirrt und hört sie nicht. Verzweifelt hat er erkannt, dass es ihm nie gelingen kann, so zu leben, wie er muss und will. Schließlich gibt Balstrode Grimes einen letzten Rat: Premiere: 16. Oktober 2021 Er soll aufs Meer hinausfahren und sich dort versenken. Als man im Dorf Aufführungen: 18. | 20. | 23. und 25. Oktober 2021 | 19.00 Uhr hört, ein Boot sei gesunken, geht das Leben wieder ungestört weiter. Einführungsmatinee: Sonntag, 10. Oktober 2021 | 11.00 Uhr 24
Benjamin Britten floh 1939 mit seinem Lebenspartner, dem Tenor Pe- ter Pears, vor dem drohenden Krieg, einer Ausbreitung des National- sozialistischen Regimes und vielleicht auch vor der bürgerlichen Enge in England nach Amerika. Sie ließen sich in New York nieder und hofften auf Freiheit von Gewalt und auf Toleranz gegenüber ihrer Homosexualität, die dort zumindest in Künstlerkreisen offener gelebt werden konnte als in Europa. In dieser Zeit bekam Britten George Crabbes (1754-1832) Versroman The Borough (1810) in die Hände. Darin werden die Einwoh- ner eines kleinen Fischerdorfes in Suffolk geschildert – Britten stammte aus der gleichen Gegend. Bei der Lektüre entwickelte der Kompo- nist schnell die Idee, aus der Geschichte des Fischers Peter Grimes eine Oper zu machen, und außerdem erwachte in ihm großes Heimweh sowie die Sorge um Freunde und Familie zu Hause. Deshalb fuhren Pears und Britten 1942 mitten im Krieg wieder zurück nach England. Brittens erste große Oper Peter Grimes ist somit Ausdruck sehr privater Themen: der Sehnsucht nach seiner Heimat, nach den englischen Städten am Meer und dem Au- ßenseitergefühl als ein zu Heimlichkeit ge- PETER GRIMES zwungener Homosexueller. In England wurde Homosexualität erst 1967 entkriminalisiert. Der Schriftsteller Charles Montagu Slater ad- aptierte die Grimes-Episode aus The Borough als Libretto, Britten komponierte 1944/45 die Musik. Die ambivalente Titelpartie des innerlich zerrissenen Fischers gestaltete er genau für die Fähigkeiten von Peter Pears’ Stimme. Am 7. Juni 1945 fand die Uraufführung im Sadler’s Wells Theatre in London mit überwältigendem Erfolg statt. Die Dorfge- meinschaft, das Meer, die seelischen Nöte des mit sich selbst und seiner Umwelt in stetem Missverständnis lebenden Grimes sind von Britten prägnant und mitreißend geschildert. Die mit einem Ope- ra Award ausgezeichnete Inszenierung von Christof Loy spürt dem von Britten angedeuteten Außenseitertum von Grimes als Homosexuellem in einer konservativen Gemeinschaft genau nach. Die Inszenierung aus der Saison 2015/16 zeigen wir als Neueinstudierung auf Wunsch un- seres Publikums, das sie als eine der drei besten Theater an der Wien- Produktionen auswählte. 26
Ein sonderbarer Vorfall wird gerichtlich untersucht: Als ein Versorgungs- schiff einen einsamen Leuchtturm erreichte, fanden die drei Offiziere den Leuchtturm bis auf eine Schar Ratten verlassen vor. Von den drei Leuchtturmwärtern fehlte jede Spur. Es gab trotz stürmischen Wetters keine Anzeichen eines Kampfes oder einer Flutkatastrophe, alles sah aus, als ob die drei nur kurz den Turm verlassen hätten: Der Tisch war gedeckt, das Abendessen stand bereit. Vor Gericht werden die drei Of- fiziere nun verdächtigt, mit dem Verschwinden der Wärter etwas zu tun zu haben. Ihre Aussagen erhellen die Umstände aber nicht, alles wird PETER MAXWELL DAVIES nur geheimnisvoller, da sie die Situation unterschiedlich wahrgenom- THE LIGHTHOUSE men haben, aber übereinstimmend die Atmosphäre als spukhaft schil- dern. Aus der Verhandlung wird eine Vision der Ereignisse: Die drei Wär- Kammeroper in einem Prolog und einem Akt (1980) ter, die dort seit Monaten in Einsamkeit lebten, waren sehr verschieden: Libretto von Peter Maxwell Davies Arthur war augenscheinlich ein selbstgerechter Glaubenseiferer, Blazes und Sandy hingegen hatten eine moralisch zweifelhafte Vergangenheit. In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln THE Musikalische Leitung Michael Zlabinger IN DER KAMMEROPER Szenische Einrichtung Georg Zlabinger Ausstattung Martin Zlabinger LIGHTHOUSE Licht Franz Tscheck Sandy / Officer 1 Andrew Morstein * Blazes / Officer 2 Sebastià Peris * Arthur / Officer 3 Ivan Zinoviev * Aber alle drei versteckten sich vor ihrer Vergangenheit auf der Insel. Kartenspielen war ihr einziger Zeitvertreib. Eines Abends lud sich die Wiener KammerOrchester Atmosphäre aggressiv auf. Sie versuchten sich zu beruhigen, indem sie jeweils ein Lied sangen, das ihnen etwas bedeutete – bald stellte sich * Junges Ensemble Theater an der Wien heraus, dass sie damit in ihr eigenes Schicksal blicken ließen: Blazes er- zählte, wie er eine alte Frau wegen ihres Geldes erschlug, sein Vater wurde Neuproduktion des Theater an der Wien in der Kammeroper dafür gehenkt. Er schien keinerlei Gewissensbisse zu haben. In Sandys Lied spiegelte sich eine verhängnisvolle Liebesgeschichte, und Arthur ließ seinen Zwangsfantasien vom goldenen Kalb und dem Morden um es herum freien Lauf. Mit dem steigenden Nebel krochen auch die Geister der Vergangenheit aus dem Meer und griffen nach den Dreien, bis sie – mittlerweile völlig wahnsinnig – aus dem Sturm eine strafende Bestie mit leuchtenden Augen auftauchten sahen, die sie holen wollte. Die ge- richtliche Untersuchung endet mit einem Freispruch für die drei Offi- ziere. Das Schicksal der Wärter bleibt ein ungeklärter Unglücksfall. Man Premiere: 28. Oktober 2021 erfährt noch, dass sich keine neuen Wärter für diesen Leuchtturm ge- Aufführung: 29. Oktober 2021 | 19.30 Uhr funden haben und dort nun alles automatisiert vonstatten geht. Einführungsmatinee: Sonntag, 17. Oktober 2021 | 11.00 Uhr 28
Peter Maxwell Davies lebte seit Beginn der 1970er Jahre auf den Or- kney-Inseln nördlich von Schottland. Gute und böse Geister können einem begegnen in dieser wilden Verlorenheit inmitten des Meeres. Für Davies waren es inspirierende Geister, für seine Figuren in The Light- house, furchteinflößende und tödliche. Anlass zur Entstehung der Oper war ein realer Fall: Im Jahre 1900 sind wirklich drei Leuchtturmwärter von einer der einsamen Flannan-Inseln, die im Nordwesten Schott- lands liegen, spurlos verschwunden. Bis heute ist ihr Verbleib nicht geklärt worden. Davies entwarf mit seiner Oper eine eigene erschre- ckende Lösung für das Rätsel. Seine Figuren versuchen, auf dieser Insel ihrer Vergangenheit zu entfliehen, verdrängen aber, dass sie stets in ihnen verborgen ist. Wir erleben in die- ser Kammeroper, wie ihre innersten Ängste in den beengten Verhältnissen des Leuchtturms, umge- ben von Nebel, Sturm und Meer, erwachen. In einem Crescendo von Grauen endet das Stück. Davies (1934-2016) ist heute ein Klassiker des 20. Jahrhunderts, seine Orchesterwerke und Opern prägten die zeitgenössische Musik THE seit den 1960er Jahren. Begonnen hat er als junger Wilder, der die klassische englische LIGHTHOUSE Musik nach dem Vorbild der Neuen Musik revolutionieren wollte, die nach dem Krieg auf dem Kontinent u.a. von Stockhausen, No- no und Boulez geschaffen wurde. 1980 war er ein kompositionstechnischer Meister auf der Höhe der Zeit. Nie hat er aber seine Anfänge als Musiklehrer vergessen und wollte immer, dass die Menschen auch ohne Vorbildung seine Stücke for- mal erfassen und verstehen können. In dieser Kammer- oper für drei Solisten und sieben Instrumentalist*innen kon- zentriert er all sein Können und spannt in der nur ungefähr 70 Minuten langen Oper den Bogen vom kammermusikalischen Stil der Gerichtsszene über die sehr individuellen, parodistischen Lieder der drei Wärter bis hin zu der bedrohlichen Gespensteratmosphäre am Schluss. Für Instrumentalensemble wie Solisten ist das kleine Werk gleicherma- ßen eine Herausforderung. Man braucht scheinbar wenig: Nur eine Handvoll wirklich guter Musiker*innen. Die sehr erfolgreiche Urauffüh- rung fand am 2. September 1980 im Moray House Gymnasium beim Edinburgh Festival statt und wurde schnell vielfach nachgespielt. 30
Im Bergdorf Hochstoff feiert der reiche Stromminger seinen 70. Ge- burtstag. In das Fest platzt der Jäger Giuseppe Hagenbach und gibt mit einem soeben erlegten Bären an. Stromminger gerät mit dem selbst- bewussten jungen Mann in handgreiflichen Streit. Erst Strommingers Tochter Wally kann die Männer voneinander trennen, was Hagenbach ALFREDO CATALANI nachhaltig verwirrt, noch nie wurde er von einer Frau körperlich in die LA WALLY Schranken verwiesen. Wally ist stark und mutig ohne jede weibliche Eitel- keit: Als Strommingers einziges Kind wurde sie wie ein Junge erzogen, Dramma lirico in vier Akten (1892) aber ohne Liebe. Männern ist sie unheimlich, nur Vincenzo Gellner liebt Libretto von Luigi Illica nach dem Roman Die Geier-Wally sie. Er weiß, dass Wally heimlich in Hagenbach verliebt ist und verrät es von Wilhelmine von Hillern seinem Freund Stromminger. Wütend lässt er seine Tochter wählen, ent- weder Gellner zu heiraten oder sein Haus zu verlassen. Mit ihrem ein- In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln zigen Freund, dem jungen Zitherspieler Walter, flieht Wally in die Berge. Einige Zeit später stirbt ihr Vater, sie kehrt zurück und genießt ihre Frei- Musikalische Leitung Andrés Orozco-Estrada heit als reiche, schöne Frau, lässt aber keinen Verehrer an sich heran. Inszenierung Barbora Horáková Ausstattung Eva Maria van Acker IM THEATER AN DER WIEN Licht Michael Bauer LA WALLY Video Tabea Rothfuchs Dramaturgie Bettina Auer Wally Izabela Matula Giuseppe Hagenbach Leonardo Capalbo Vincenzo Gellner Jacques Imbrailo Stromminger Alastair Miles Auf einem Fest trifft sie Hagenbach wieder. Gellner, immer noch glück- Afra Sofia Vinnik * los bei ihr, schürt ihre Eifersucht, als Hagenbach vertraulich mit der Walter Ilona Revolskaya Wirtin Afra plaudert. Als Wally Afra daraufhin schikaniert, rächt Hagen- Il Pedone Igor Bakan bach seine Freundin: Beim traditionellen Kusstanz suggeriert er Wally, dass er sie liebt und raubt ihr einen Kuss. Am Ende des Tanzes lachen Wiener Symphoniker alle sie aus, und sie versteht entsetzt, dass sie getäuscht wurde. So ge- Arnold Schoenberg Chor (Ltg.: Erwin Ortner) demütigt verspricht sie Gellner die Ehe, wenn er Hagenbach tötet. Al- lein zu Hause bereut Wally ihren Mordauftrag, aber Gellner stößt den * Junges Ensemble Theater an der Wien Rivalen noch in der gleichen Nacht in eine Schlucht. Hagenbach wollte zu Wally und sie um Verzeihung bitten, denn er hatte sich beim Tanz Neuproduktion des Theater an der Wien wirklich in sie verliebt. Als Gellner den Mord meldet, ist Wally verzwei- felt, aber sie kann Hagenbach bewusstlos aus der Schlucht bergen. Dann übergibt sie all ihren Besitz Afra und geht zur Buße allein in die Berge. Als Hagenbach wieder gesund ist, kommt er zu ihr, um ihr seine Liebe zu gestehen, sogar den Mordanschlag vergibt er ihr. Ein gemein- Premiere: 12. November 2021 sames Leben gibt es jedoch nicht für sie: Eine Lawine reißt Hagenbach Aufführungen: 15. | 17. | 19. | 22. und 25. November 2021 | 19.00 Uhr mit, Wally springt ihm in den Abgrund nach. Einführungsmatinee: Sonntag, 7. November 2021 | 11.00 Uhr 32
Alfredo Catalani wählte mit Wilhelmine von Hillerns Erfolgsroman Die Geier-Wally (1873) über eine Frau jenseits aller damaligen Geschlechter- klischees, deren einziger Freund ein zahmer Geier ist, einen außer- gewöhnlichen Stoff: Vom Vater wie ein Junge erzogen, ist Wally stark und unbeugsam und kann ihrem Vater nicht gehorchen, als er sie an einen Ungeliebten verheiraten will. Wally sucht nicht, wie viele Opern- heldinnen vor ihr, die gegen ihren Willen verheiratet werden sollen, in- nerhalb der Gesellschaft nach einer Lösung, sondern sie flieht in die schroffe Natur des Hochgebirges. Sie kann nur einen Ebenbürtigen lieben, der sich Bär und Vater entgegenstellt. Hagenbach ist ein Gegenentwurf zum alten Stromminger: Zuerst arrogant, zeigt er sich dann als treuer Freund von Afra und als ein Mann, der eine Frau wie Wally lieben kann. Aber ein solches Paar darf es in der Oper um 1892 nicht geben – anders als im Roman. Die Naturgewalt vernichtet ihre Möglichkeit auf Glück, damit der Schlussak- kord in wuchtiger Tragik erklingen kann. Oft wird die am 20. Jänner 1892 an der Mailänder Scala uraufgeführte Oper dem Verismo zugeordnet, aber Catalani orientierte sich eher an Wag- LA WALLY ner, der deutschen Romantik sowie an den Opern seines Zeitgenossen Massenet. Das Orchester ist mit differenzierter Harmonik und farbenreicher Instrumentation sehr aufmerk- sam behandelt, es gibt Leitmotive, aber kaum feste Nummerngrenzen und Arien, nur Wallys „Ebben, ne andrò lontano“. Die Titelrolle schrieb Catalani für die rumänische Sopranistin Hariclea Darclée, damals bekannt als „Nachtigall der Karpaten“, sie war auch Puccinis erste Tosca. Eine musikalische Evo- kation der Tiroler Bergwelt strebte Catalani nicht an, natura- listische Elemente wie der rustikale Walzer in der Kusstanz-Szene erscheinen immer der Situation der Figuren angemessen verarbeitet. Da- her schildert die Musik keine Genreszenen, sondern psychische Vorgän- ge. Nur das Edelweißlied erzeugt anfangs Lokalkolorit. Der Zitherspieler Walter, der das Lied zuerst singt, obwohl Wally es geschrieben hat, wirkt wie ihr poetisches zweites Ich. Er verkörpert, was sie verdrängt: Die Sprache der Liebe, Kunst, Fröhlichkeit und Weiblichkeit. Leider ging Wallys ursprünglicher Freund, der Geier, beim Transfer des Romans in ein Opernlibretto zugunsten von Walter verloren. 34
Thérèse ist mit Camille Raquin, ihrem kränklichen Cousin, mit dem sie aufgewachsen ist, verheiratet. Ihr Vater hatte sie nach dem Tod ihrer ei- genen Mutter bei der Tante einfach abgegeben. Von klein an wurde sie zur Betreuung des schwachen Buben eingesetzt, ihn zu heiraten, war logische Folge – dabei ist sie mehr Pflegerin als Ehefrau. Beider Leben wird weiter von der stets um ihren Sohn besorgten Madame Raquin TOBIAS PICKER bestimmt. Camille ist inzwischen immerhin kräftig genug, zusammen THÉRÈSE RAQUIN mit seinem Jugendfreund Laurent in einem Büro Dienst zu tun. Anders Oper in zwei Akten (Kammerfassung 2006) als Camille ist Laurent mit der Büroarbeit unzufrieden, er will ein gro- ßer Maler werden. Deshalb hat er mit seinem Vater gebrochen und ist Libretto von Gene Scheer finanziell ständig knapp. Derzeit malt er an einem Portrait von Camille nach dem gleichnamigen Roman von Emile Zola und ist oft bei den Raquins. Thérèse gibt vor, dass ihr seine Anwesen- In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln heit missfällt, aber in Wahrheit hat sie ein obsessives sexuelles Verhält- nis mit dem vitalen Möchtegernkünstler. An dem Abend, an dem er das Musikalische Leitung Jonathan Palmer Lakeland Porträt vollendet, will er sich von Thérèse trennen, denn er hat keine Zeit Inszenierung Christian Thausing THÉRÈSE Ausstattung Christoph Gehre IN DER KAMMEROPER Licht Franz Tscheck Thérèse Raquin Valentina Petraeva * RAQUIN Camille Raquin Andrew Morstein * Madame Raquin Juliette Mars Laurent Sebastià Peris * Suzanne Miriam Kutrowatz * mehr für heimliche Treffen, da er Geld verdienen muss. Thérèse verzwei- Olivier Ivan Zinoviev * felt. Ein paar Tage später machen Thérèse, Laurent und Camille einen Monsieur Grivet Botond Ódor Ausflug an die Seine. Spontan entsteht zwischen Thérèse und Laurent die Idee, dass sie Camille loswerden müssen, um offen glücklich zu- Wiener KammerOrchester sammen sein zu können – mithilfe des kleinen Vermögens, das Camille * Junges Ensemble Theater an der Wien zu vererben hat. Sie fahren mit einem Boot auf den Fluss hinaus, und Laurent ertränkt Camille. Elf Monate später heiraten Thérèse und Laurent Neuproduktion des Theater an der Wien in der Kammeroper endlich. Das ersehnte Glück bleibt jedoch aus, in der Hochzeitsnacht kann Thérèse Laurent nicht mehr lieben, sie ist längst von Gewissens- Österreichische Erstaufführung bissen zerfressen. Madame Raquin ahnt inzwischen, dass Camille nicht versehentlich ertrunken ist. Zufällig belauscht sie das schuldige Paar, als es von der Tat redet und erleidet vor Schreck einen Schlaganfall. Ge- lähmt überlebt sie als mahnende Erinnerung an den Mord, und das Paar reibt sich zusehens aneinander auf, die Liebe wird zu Hass. Als Thérèse Premiere: 6. Dezember 2021 es nicht mehr aushält und Laurent bei der Polizei als Mörder anzeigen Aufführungen: 9. | 11. und 16. Dezember 2021 | 19.00 Uhr will, bereitet er Gift für sie vor. Aber wahnsinnig vor Schuld ersticht sie 10. | 13. | 17. und 20. Jänner 2022 | 19.00 Uhr sich vor seinen Augen, voll Entsetzen trinkt Laurent sein eigenes Gift. Einführungsmatinee: Sonntag, 5. Dezember 2021 | 11.00 Uhr 36
Tobias Picker, Jahrgang 1954, ist einer der erfolgreichsten zeitgenössi- schen US-amerikanischen Komponisten. Ab seinem achten Lebensjahr erhielt er eine klassische Musik- und Kompositionsausbildung, die er an der renommierten Juilliard School in New York vollendete. Für seine dritte Oper wählte Picker als Vorlage Emile Zolas Roman Thérèse Ra- quin, der als ein Initialwerk des literarischen Naturalismus gilt. Zola wollte die „Bestie Mensch“ unter den verschiedenen sozialen und in- dividuellen Bedingungen analysieren. In Thérèse Raquin kollidieren in beengten räumlichen, finanziellen und sozialen Verhältnissen unerfüllte Träume und unterdrückte Leidenschaften in explosiver Weise. Zo- la selbst hatte den Roman bereits in ein Bühnenstück um- gewandelt, es folgten zahllose Versionen für Bühne und Film. Picker komponierte seine Thérèse Raquin 2001 zunächst für großes Orchester, 2006 adaptierte er sie als Kammerfassung, sehr entsprechend dem Inhalt mit seinen sich steigernden inneren Qualen: Die Ängste, Halluzinationen und im- mer beklemmender werdende Bedrängnis der Figuren entwickeln eine regelrechte Sogwir- THÉRÈSE kung. Zwar übernahm Picker die Handlung von Zola, aber nicht dessen distanzierten RAQUIN Blick. In seiner Oper sind die Figuren keine tierischen Bestien, sondern Menschen, die uns nahe kommen sollen. Er will Sympathie für sie, denn er ist kein Moralist wie Zola. Das aus elf Bildern, die dem Ende zu immer kürzer werden, bestehende Libretto soll laut Picker mit „beschleunigtem Tempo eine Höllenfahrt“ beschrei- ben. Das frühe Schaffen des Komponisten ist dodeka- phonisch geprägt und in der Instrumentalmusik verhaftet. Er erweiterte später seine musikalische Sprache um Elemente der Tonalität – so entstand eine eigene Idee des modernen Musik- dramas, das sich auch in Thérèse Raquin wiederfindet. Die zunehmende Sprengung von Tonalität zeigt hier, wie das Vertraute und Geordnete von der schrecklichen Tat mehr und mehr untergraben wird. Ein har- monisches Glück ist unmöglich. Die Komposition ist durch Leitmotive geprägt, Arien, Ensembles und Duette bestimmen die große Struktur. Mit diesen bekannten formalen Elementen und der Tonalität zu Beginn holt Picker das Publikum ab und nimmt es dann musikalisch mit in einen Abgrund von Schuld und Reue. 38
Giulio Cesare hat seinen politischen Widersacher Pompeio besiegt und den Flüchtenden nach Ägypten verfolgt. Als Cesare dort ankommt – be- gleitet von Pompeios Frau Cornelia und deren Sohn Sesto –, wird er vom Volk gefeiert. Aber er betritt ein zerrissenes Land. Die Geschwister Tolomeo und Cleopatra sollten gemeinsam Ägypten beherrschen, beide beanspruchen jedoch die Alleinherrschaft für sich. Tolomeo glaubt, den starken Mann aus Rom für sich gewinnen zu können, indem er ihm GEORG FRIEDRICH HÄNDEL den Kopf des Pompeio überreichen lässt. Der Schutzsuchende fiel so- GIULIO CESARE IN EGITTO fort Tolomeos Machtbestrebungen zum Opfer. Das Geschenk hat nicht Dramma per musica in drei Akten (1724) den gewünschten Effekt: Cesare ist angeekelt, Cornelia und Sesto for- dern Rache. Dabei verliebt sich Tolomeos intriganter Ratgeber Achilla in Libretto von Nicola Francesco Haym Cornelia und schmiedete finstere Pläne, sie in seinen Besitz zu bringen. nach Giacomo Francesco Bussani Auch Cleopatra versucht Cesare für sich zu nutzen, sie aber setzt ihre In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln Schönheit ein: Inkognito als von Tolomeo bedrängte „Lydia“ appelliert sie an Cesares Beschützerinstinkt. Dabei belauscht sie Cornelias und Musikalische Leitung Ivor Bolton IM THEATER AN DER WIEN Inszenierung Keith Warner GIULIO CESARE Ausstattung Licht Video Ashley Martin-Davis Mark Jonathan Alex Uragallo IN EGITTO Giulio Cesare Cleopatra Tolomeo Bejun Mehta Louise Alder Christophe Dumaux Sestos Rachepläne und verschafft ihnen Zugang zu Tolomeo. Ihr An- Cornelia Patricia Bardon schlag misslingt jedoch, und die beiden werden festgenommen. Achilla Sesto Jake Arditti will Cornelia und Sesto freilassen, wenn Cornelia sich ihm hingib. Sie Achilla Günther Groissböck lehnt ab. Indessen ist auch Tolomeo für Cornelia entbrannt und will sie Nireno Konstantin Derri für sich. Mit einem großartigen Auftritt erobert Cleopatra Cesare endgül- tig: Kostümiert als Personifikation der Tugend singt sie ihm ein berü- Concentus Musicus Wien ckendes Liebeslied. Cesares und „Lydias“ Rendezvous wird brutal gestört, denn Tolomeo greift mit seinen Truppen Cesares Armee an. Cleopatra Neuproduktion des Theater an der Wien enthüllt aufgebracht ihre wahre Identität und ihre nun echte Liebe, und der verblüffte Cesare eilt in den Kampf. Zunächst scheint alles schief zu gehen: Cesare kann sich nur durch einen Sprung ins Hafen- becken seinen Feinden entziehen, Cleopatra wird gefangengenommen und Cornelia von Tolomeo sexuell bedrängt. Aber Sesto erdolcht Tolo- meo, und Achilla wechselt mitten in der Schlacht die Seiten – aus Wut darüber, dass Tolomeo ihm Cornelia nicht gönnte. Cesare kann sich Premiere: 14. Dezember 2021 schwimmend retten, er geht als Held an Land, setzt Cleopatra als Kö- Aufführungen: 17. | 19. | 22. | 29. und 31. Dezember 2021 | 19.00 Uhr nigin ein und die Liebenden werden vom Volk gefeiert. Einführungsmatinee: Sonntag, 12. Dezember 2021 | 11.00 Uhr 40
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