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WIRTSCHAFT & ERZIEHUNG BUNDESVERBAND DER LEHRERINNEN UND LEHRER AN WIRTSCHAFTSSCHULEN E.V. H 22113 · Heckner Druck und Verlag, Wolfenbüttel · ISSN 0174-6170 Wie erkläre ich den Schuldensog? 2/2013 • Vermittlungsansätze eines schwierigen und zugleich spannenden Themas • Inklusion und Gewaltprävention – warum schließen sich diese Begriffe nicht aus? • Neue Wege in der Lehrerausbildung durch Wissens- und Innovationstransfer
IMPRESSUM WIRTSCHAFT UND ERZIEHUNG Herausgeber: Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e. V., ehemals Verband Deutscher Diplom-Handelslehrer Bundesgeschäftsstelle: Ellernstraße 38, 30175 Hannover, Tel: 0511 21556070, Fax:0511 21556071, www.vlw.de, E-Mail: vlw-bund@vlw.de, Geschäftsführerin: Anita Staub Bundesvorsitzende: Dr. Ernst G. John, 37520 Osterode a. H., Dr. Angelika Rehm, 63801 Kleinostheim Begründet von Dipl. Hdl. Dr. phil. Anton Pfeiffer †, Aachen Schriftleitung/ StD Detlef Sandmann, Alte Försterei 9, 33142 Büren, Telefon: 02955 7474572, Geschäftsführung: Mobil: 0175 1504524, E-Mail: sandmann@vlw.de Redaktion: StR Stefan Werth, Peter-Hille-Weg 36, 33098 Paderborn Telefon: 05251 2057182, Mobil: 0170 8391401, E-Mail: werth@vlw.de Beiträge und Zuschriften werden an die Schriftleitung gern per E-Mail an redaktion@vlw.de erbeten. Für unver- langt eingeschickte Manuskripte wird keine Haftung übernommen. Buchbesprechungen: Dipl.-Hdl. Dr. h.c. Rudolf Hambusch, Postfach 1130, 59505 Bad Sassendorf, Tel.: 02921 53226, E-Mail: vlw.hambusch@t-online.de Bücher zur Besprechung bitte senden an Dipl.-Hdl. Dr. h.c. Rudolf Hambusch. Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers oder der Redaktion wieder. Offizielle Äußerungen des Bundesverbandes der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e. V. wer- den als solche gekennzeichnet. Autoren LRSD Dipl.-Hdl. Jochen Bödeker, Brönninghauser Straße 44, 33729 Bielefeld; E-Mail: Jo-Ur@web.de JProf. Dr. Alexandra Eberhardt, Universität Paderborn, Institut für Germanistik, Warburgerstraße 100, 33100 Paderborn, E-Mail: Alexandra.Eberhardt@uni-paderborn.de Dr. Peer Egtved, Universität Flensburg, Auf dem Campus 1, 24943 Flensburg, Tel.: 0461 - 805 2181, E-Mail: Peer.Egtved@uni-flensburg.de JProf. Dr. Karl-Heinz Gerholz, Kardinal-Jaeger-Str. 9, 33098 Paderborn, E-Mail: Karl-Heinz.Gerholz@notes.uni-paderborn.de Dr. h.c., Dipl.-Hdl. Rudolf Hambusch, Postfach 1130, 59505 Bad Sassendorf, Tel.: 02921 53226, E-Mail: vlw.hambusch@t-online.de StD Dieter Kerstingtombroke, Waldweg 18, 33758 Schloß Holte-Stukenbrock StR Dirk Langeleh, Von-Vincke-Weg 20, 33098 Paderborn, E-Mail: Dirk.Langeleh@wiwi.upb.de StD Detlef Sandmann, Alte Försterei 9, 33142 Büren, Tel.: 02955 747572, E-Mail: sandmann@vlw.de StD Georg Senn, Augustin-Wibbelt-Straße 11, 33106 Paderborn, E-Mail: senn@vlw.de MR Dipl.-Hdl. Christian Schräder, Nikolausberger Weg 144, 37075 Göttingen, E-Mail: schraederc@t-online.de JProf. Katrin Temmen, Am Tiergarten 21, 59581 Warstein, E-Mail: katrin.temmen@upb.de StR Stefan Werth, Peter-Hille-Weg 36, 33098 Paderborn, Tel.: 05251 2057182, E-Mail: werth@vlw.de Dr. Karl Wolff, Berufskolleg Kaufmännische Schulen des Kreises Düren, Euskirchener Str.124 – 126, 52351 Düren, Tel.: 02421 958080, E-Mail: karlwolff@gmx.de Bezug: Bezug der Zeitschrift durch Heckner Druck- und Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Postfach 1559, 38285 Wolfenbüttel, oder Buchhandlungen. Erscheinungsweise: Die Zeitschrift erscheint monatlich. Bezugspreis jährlich (ab 1. Januar) 30,17 Euro, Einzelheft 3,22 Euro, jeweils zuzüglich Porto. Der Bezugspreis für Mitglieder des Bundesverbandes der Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V. ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Kündigungen: Abonnementskündigungen müssen bis zum 10. Dezember beim Verlag eingegangen sein, sonst muss das nächste Jahr bezahlt werden. Verlag und Druck: Heckner Druck- und Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Harzstraße 22–23, 38300 Wolfenbüttel. Moderation: Dr. Hans-Georg Reuter, 05331 904048, E-Mail: reuter.wf@gmail.com Anzeigenverwaltung: Heckner Druck- und Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Postfach 1559, 38285 Wolfenbüttel, 05331 800840, Fax 05331 800820, E-Mail: dankemeier@hecknerdruck.de. W&E 2013 | Ausgabe 1 | 65. Jahrgang
LEITARTIKEL W&E 2013 | AUSGABE 2 | 65. JAHRGANG Georg Senn | Stefan Werth Inklusion Ja – Aber mit Augenmaß und Professionalität Der Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirt- Bekannte Hilfen – Gebärdendolmetscher – reichen bei spe- schaftsschulen bekennt sich uneingeschränkt zu den Forderun- zialisierten Ausbildungsberufen wie Steuerfachangestellten gen der Politik, den seit März 2009 in Kraft gesetzten Artikel 24 oder Speditionskaufleuten nicht aus, hier sind technische Lö- der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behin- sungen durch geeignete Softwareprogramme zur Verfügung zu derung in der Bundesrepublik Deutschland, der das Recht auf stellen. Andere Forderungen in Bezug auf Akustik, Schallschutz, eine bestmögliche inklusive Lernsituation anerkennt und ein- technische Ausstattung sowie Raumgeometrie in Klassenräu- fordert, fristgerecht umzusetzen. men für hörgeschädigte Auszubildende, usw. fallen ebenfalls Berufliche Schulen sind in den vergangenen Jahren – auch ins Gewicht. ohne diese politische Forderung – immer wieder vor die Auf- Zu verhindern gilt, dass sich die Kommunen und Länder ge- gabe gestellt worden, Jugendliche mit Behinderungen in ihren rade in der Frage der Schulorganisation die finanzielle Verant- Schulen zu unterrichten. Sie haben es nach bestem Wissen, im wortung gegenseitig „in die Schuhe“ schieben. Das ist unver- Rahmen der an schulischen Ressourcen begrenzten Möglich- antwortlich im Sinne der Zielgruppen, die Professionalität im keiten und mit viel Engagement getan, auch ohne durch Fort- Umgang mit ihnen erwarten, wie sie sie in Förderschulen und bildungen darauf vorbereitet zu sein. -einrichtungen in der Vergangenheit erfahren haben. Der Bun- Die Forderung der Politik, Inklusion zu einem bestimmten desverband des VLW appelliert hier an die Vernunft der Verant- Datum für alle Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen wortlichen! umzusetzen, weist aus Sicht des Verbandes erhebliche Schwä- Als Partner der Dualen Ausbildung und Anbieter von Wei- chen und Defizite auf. terbildungsmaßnahmen sind nach Meinung des VLW aber in ers- Grundlegend gilt: Eine gelingende Inklusion im beruflichen ter Linie die Sozialpartner in der Wirtschaft und die Politik ge- Schulwesen erfordert eine vorherige Inklusion in der Kita, der fordert. Grundschule und den weiterführenden Schulen. Da diesen Bedin- gungen bei einem einheitlichen Umsetzungstermin für alle Schul- − Die Wirtschaft muss ihrer sozialen Verantwortung für die systeme nicht Rechnung getragen werden kann, ergeben sich aus Ausbildung behinderter Menschen nachkommen und ihnen der Sicht der berufsbildenden Schulen wesentliche Forderungen eine Anschlussbeschäftigung ermöglichen. an die Verantwortlichen der Bildungspolitik in drei Dimensionen: − Die Gewerkschaften müssen in ihren Tarifverträgen die Aus- bildung und Weiterbeschäftigen behinderter Menschen ein- Schulorganisation: fordern, der dann verpflichtend zur Ausbildung und Be- – Anpassung der schulischen Rahmenbedingungen (Behin- schäftigung behinderter Menschen führt. dertengerechte Einrichtung in Klassenräumen, sanitären − Die Politik wird aufgefordert, die Ausgleichsabgabe für die Anlagen, Aufzügen usw.) Nichtbeschäftigung von Menschen mit Behinderung stärker – Notfallmanagement: Erste-Hilfe-Ausstattung, medizinische zu reglementieren – besser sie ganz abzuschaffen. Ausstattung, Kompetenzen in diesem Bereich etc. − Die Arbeitgeber sind aufgefordert, kreative Lösungen zur – Die Verschiedenartigkeit der Ausbildungsberufe erfordert Ausbildung und Beschäftigung behinderter Menschen zu zielführende Organisationsstrukturen bei den einzelnen entwickeln. Schulträgern – Angepasste Unterstützungen für Schwerbehinderte Ju- Ein inklusives Bildungssystem fördert die interpersonelle Ak- gendliche zeptanz und lebenslange, gesamtgesellschaftliche Verantwor- tung. Sie wird damit unerlässlich für ein gemeinsames, würdi- Unterrichtsorganisation: ges Zusammenleben, aber sie kann nicht in Kita, Primar- und Se- – Anpassung der unterrichtlichen Rahmenbedingungen (Klas- kundarstufe vorgedacht und an den Schulen für berufliche Bil- sengrößen, Stundentafeln, Unterrichtsgestaltung, usw.). dung ohne Vordenken und Investition vorausgesetzt werden. – Regelung des krankheitsbedingten Ausfalls von Auszubil- Auch hier ist erhebliche Vorarbeit zu leisten. Der Bundesverband denden und Schülerinnen und Schülern mit Behinderung. des VLW appelliert erneut an die Vernunft der politisch Verant- − Kooperation mit Eltern, Therapeuten und derzeit leider vie- wortlichen! lerorts noch spärlich vorhandenen Schulsozialpädagogen, sowie oft fehlenden Schulpsychologen. Personalentwicklung: – Ausstattung der Schulen mit qualifizierten Personal. − Fachliche und methodische Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte nicht im unzumutbaren und unwirksamen Schnellverfahren. − Unterstützung von Arbeit in Netzwerken und Arbeitskrei- sen in den Regionen durch die Schulbehörden in Koopera- tion mit den Schulen. Georg Senn Stefan Werth Äußerst komplex wird der Sachverhalt im Aspekt der Ver- Bundesvorstand VLW Bundesvorstand VLW schiedenartigkeit der Ausbildungsberufe und bedarf daher aus senn@vlw.de werth@vlw.de Sicht des VLW noch einiger Erläuterungen: W&E 2013 | Ausgabe 2 | 65. Jahrgang 37
INHALT EDITORIAL Leitartikel Die Titelfrage ist essentiell: Wie erkläre ich ahnungslosen G EORG SENN /STEFAN WERTH Dritten die Schuldenfalle, in die unser Staat wie viele andere Inklusion Ja – Aber mit Augenmaß und hochindustrialisierte und vermeintlich wohlhabende Staaten Professionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 droht hineinzugeraten, wenngleich er sich vielleicht bereits un- umkehrbar im Strudel von Neuverschuldung und Zins und Zin- Inhalt/Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 seszins befindet? Dabei wird es sehr schwierig, beim Gegen- Fokus über auf Verständnis zu stoßen, besonders wenn es um die Be- PEER EGTVED gründung für die stetig ansteigende Neuverschuldung geht. Die Vermittlung der Staatsverschuldung durch Natürlich wurde das Thema in allen Medien ausführlich disku- Diagramme, Kennziffern und Vergleiche, sowie tiert und bewertet. Und natürlich ist man immer gemeinsam die Anwendung des didaktischen Prinzips der zum Schluss gekommen, warum das in der Form nicht gut war. inhaltlichen Kontroversität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Bedenklich ist jedoch, dass neben der Begebenheit, dass der Staat kein gutes Vorbild für eine ausgewogene Haushaltsfüh- Aktuelles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 rung war, die Begründung schwer fällt, warum unser Gegen- Spektrum über im privaten Umfeld seine eigene Haushaltslage nachhal- K ARL WOLFF tig und weitsichtig planen soll. In Zeiten der Niedrigzinspolitik Inklusion und Gewaltprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 und regelmäßigen Inflationsraten, die über den Zinsen für Spar- einlagen liegen, stellen sich viele Konsumenten die entschei- K ARL-H EINZ G ERHOLZ | J OCHEN B ÖDEKER | dende Frage: Wohin mit meinem Geld, wenn nicht ausgeben? A LEXANDRA EBERHARDT | D IRK L ANGELEH | Wer lernt da noch aus den Fehlern des Staates? D IETER K ERSTINGTOMBROKE | K ATRIN TEMMEN „Wie viele Nullen hat die Zahl 500 Milliarden?“ Um Ausmaße Lehrerbildung praxisorientiert gestalten – einer schier unermesslichen Verschuldung unserer Staaten in der Das Projekt InnoTrans Uni-BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Europäischen Union im Unterricht zu verdeutlichen, könnte so der Aus der Verbandsarbeit Einstieg in das neue Thema Schuldensog lauten. Der Beitrag „Die In Kürze: Der Bundesvorstand berichtet . . . . . . . . . . . . . 70 Vermittlung der Staatsverschuldung durch Diagramme, Kennzif- fern und Vergleiche, sowie die Anwendung des didaktischen Prin- Aus den Landesverbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 zips der inhaltlichen Kontroversität“ unseres Autors. PEER EGDVET Der Bundesverband VLW nimmt Stellung zu fragt nach den Möglichkeiten und den Fallstricken von Vermitt- den Berufsgruppen/Berufsfamilien in der lungsstrategien der Milliarden- und Billionenbeträge der natio- kaufmännischen Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 nalen Verschuldungskrise im Wirtschafts- und Politikunterricht. Als Lösungsweg sieht er in einer Möglichkeit die Visualisierung Informationen zu Recht und Besoldung: der Zahlen in Form von Diagrammen und stellt exemplarisch kon- Fahrtkosten im Rahmen eines Vollzeitstudiums . . . . . . 73 textbezogene Aufgaben mit zielführender Internetrecherche vor. Aus dem DL Inklusion und Gewaltprävention – warum schließen sich die- M IRIAM H OLLSTEIN se Begriffe nicht aus? Gibt es einen Sinnzusammenhang? Diesen „Warum das Sitzenbleiben in der Schule human ist“ stellt K ARL WOLFF in seinem Beitrag „Inklusion und Gewaltpräven- Interview mit DL-Präsident Josef Kraus. . . . . . . . . . . . . . 74 tion“ her, sachlich und unvoreingenommen. Bei der Inklusion geht es darum, dass alle Schülerinnen und Schüler unabhängig Buchbesprechungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 von ihrem Leistungsvermögen, ihrer Herkunft und einer Behin- derung an Schulen gemeinsam unterrichtet werden. Inklusion bedeutet also auch, dass neue Konflikte frühzeitig erkannt wer- den müssen und ihnen präventiv entgegengesteuert werden muss. Denn immer dort, wo beidseitige Andersartigkeit sich an- einander gewöhnen muss, entstehen anfangs schnell Missver- ständnisse. In der Realisierung einer gelungenen Inklusion kommt es auf uns Lehrerinnen und Lehrer an! Ohne zusätzlich Aus- und Weiterbildung ist dies kaum möglich. WOLFF zeigt in diesem Zusammenhang erste Lösungsansätze auf. Neue Wege in der Lehrerausbildung geht das Autorenteam K ARL-H EINZ G ERHOLZ , J OCHEN B ÖDEKER , A LEXANDRA EBERHARDT, D IRK L ANGELEH, D IETER K ERSTINGTOMBROKE, K ATRIN TEMMEN . In ihrem Bei- trag „Lehrerbildung praxisorientiert gestalten – Das Projekt In- noTrans Uni-BK“ stellt es ein Projekt vor, das zum Ziel hat, den Wissens- und Innovationstransfer zwischen der Universität und den Berufskollegs zu intensivieren. Den Studierenden wird im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Abschlussarbeiten ermög- licht, ihre Bachelor- oder Masterarbeiten an die Problemstellun- gen der Berufskollegs anzudocken. Eine Win-Win-Situation! Ihre WuE-Redaktion 38 W&E 2013 | Ausgabe 2 | 65. Jahrgang
FOKUS Peer Egtved Die Vermittlung der Staatsverschuldung durch Diagramme, Kennziffern und Vergleiche, sowie die Anwendung des didaktischen Prinzips der inhaltlichen Kontroversität Stand der Staatsverschuldung Januar 2013: Zwei Billionen fünfundsechzig Milliarden vierhundert fünfundneunzig Millionen einhundertzwölf Tausend neunhundert achtundachtzig Tausend (Bild: Bund der Steuerzahler) 1 Einleitung und Problemstellung Dieser Aufsatz fragt nach den Möglichkeiten und den Fallstricken von Vermittlungsstrategien der Milliarden- und „Wie viele Nullen hat die Zahl 500 Milliarden?“, zitierte die Billionenbeträge der nationalen Verschuldungskrise im Wirt- SÜDDEUTSCHE ZEITUNG am 07.03.2012 aus einer Befragung und schafts- und Politikunterricht. Als Lösungsweg wird vorge- führte weiter aus: „Eine jüngst veröffentliche Umfrage zeigte: schlagen, die „großen Zahlen“ durch die Schüler/-innen mit 47 Prozent der Deutschen können das spontan nicht beantwor- Hilfe von Kennziffern in Form von Diagrammen zu visualisie- ten.“ (vgl. U EBBING 2012). Es ist zwar aus mathematischer Sicht ren und zu interpretieren. Diagramme und Vergleiche unter- bedauerlich, dass lediglich die Hälfte der Befragten die Anzahl liegen in diesem Zusammenhang jedoch keinem Selbst- der Nullen kannten, aber aus alltagstauglicher Sicht verständ- zweck, sie sollen der Realisierung von politischer Mündig- lich. Es handelt sich um Werte, mit denen Menschen in der Re- keit dienen. Zur folgenden Interpretation von Diagrammen gel nicht arbeiten. wird die Orientierung am didaktischen Prinzip der Kontro- In der europäischen Schuldenkrise geht es um Zahlenwer- versität vorgeschlagen. Der Aufsatz ist im Rahmen von eige- te, die die Vorstellungskraft des Menschen übersteigen, da man nen Unterrichtserfahrungen an der Städtischen Handelslehr- in der Realität keinen Bezug zu den genannten Werten hat. Der anstalt Flensburg und des Seminars „Politische Handlungs- Gießener Mathematiker B EUTELSPACHER bemerkte zu den „unvor- und Urteilsfähigkeit durch die Bearbeitung der Finanz- und stellbar großen Zahlen“ in einem Interview mit dem Deutsch- Schuldenkrise“ (Sommersemester 2012) an der Uni Flensburg landfunk (2010): „Wir Menschen sind einfach nicht dafür ge- entstanden. Im Folgenden werden sowohl Aufgabenvor- macht, solche großen Zahlen uns vorstellen zu können, das ist schläge wie auch die erwarteten Schülerantworten darge- weder in unseren Genen von Anfang an angelegt, noch haben stellt. Stand der recherchierten Daten Juni 2012. wir das durch die Evolution gelernt. Offenbar war der Umgang mit so riesigen Zahlen weder für das Überleben notwendig (…) Dr. Peer Egtved war Studienrat an und deswegen haben wir das einfach nicht gelernt.“ In der Ver- der „HLA – Die Flensburger Wirt- gangenheit war der Umgang mit großen Zahlen nicht „überle- schaftsschule“ und Lehrbeauftragter benswichtig und heute gilt der „Euro-Rettungsschirm“ als alter- für Bildungsökonomie und Wirt- nativlos für das Überleben des Euros und Europas. schaftsdidaktik am Institut für Politik Die Fragestellung des Aufsatzes lautet, mit Hilfe welcher und Wirtschaft und ihre Didaktik der Vermittlungsmethoden die „großen Zahlen“ im Unterricht the- Universität Flensburg. Seit August matisiert werden können. Diagramme und Kennziffern sind bei 2011 ist er als abgeordnete Lehrkraft der Einordnung von „großen Zahlen“ hilfreich. Absolute Werte mit dem Schwerpunkt Politikdidaktik verlieren durch die Umwandlung in Kennziffern ihren „überwäl- ausschließlich für das oben genannte tigenden Charakter“, Kennziffern ermöglichen anschließend Institut an der Universität Flensburg Vergleiche. Durch einen Vergleich werden schülerseitige Bewer- tätig. tungen möglich. Bildungsziel ist des Wirtschafts- und Politikun- W&E 2013 | Ausgabe 2 | 65. Jahrgang 39
FOKUS terrichtes ist die Förderung der politischen Mündigkeit des Summe von 440 Mrd. Euro, die nicht nur an Euro-Staaten verlie- Schülers. hen werden können, sondern auch an notleidende Banken. Deutschland haftet maximal mit 27 % der beiden genannten Rettungsfonds. 2 Inhaltliche und methodische Die Vermittlung der „großen Zahlen“ aus der nationalen Kurzeinführung: Schuldenstand, bzw. europäischen Schuldenkrise und dem „Rettungsschirm“ ist eine Vermittlungsaufgabe des Politik- und Wirtschaftsunterrich- „europäischer Rettungsschirm“ und tes. Im Folgenden werden als Unterrichtsmethode die Erstel- methodische Interpretationsschema lung und Interpretation von Diagrammen, sowie die Berech- für Diagramme nung von Kennziffern vorgeschlagen. Für die Erstellung und die Interpretation der Diagramme ist die schülerseitige Nutzung ei- Der öffentliche Schuldenstand ist im Vertrag von Maastricht nes Interpretationsschemas hilfreich. Abb. 1 zeigt ein Interpre- definiert als Brutto-Gesamtschuldenstand des gesamten Staats- tationsschema für Diagramme, auf das im folgenden Text ver- sektors zum Nominalwert am Jahresende nach Konsolidierung.1 wiesen wird. Der Staatssektor umfasst Bund, Länder, Gemeinden und Sozial- versicherung. Von 1950 bis 2011 sind die öffentlichen Schulden in Deutschland von fast 10 Mrd. auf mehr als 2 Billionen Euro ge- 3 Vermittlungsstrategien für „große stiegen (EUROSTAT 2012a). 2 Die Staatsschulden der 27 europäi- Zahlen“ der Staatsverschuldung schen Länder belaufen sich auf 10,3 Billionen Euro, die Staats- schulden der 17 Euro-Länder summieren sich auf 8,3 Billionen Euro (vgl. EUROSTAT 2012b). 3.1 Visualisierungen von „großen Zahlen“ Hinzu kommen „große Zahlen“ aus den unterschiedlichen durch Diagramme Euro-Rettungsbemühungen, sollten Risiken aus den Bürgschaf- ten und bilateralen Hilfen (Griechenland) schlagend werden. Eine Möglichkeit, „große Zahlen“ begreifbar(er) zu machen, ist Der Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) verfügt das Visualisieren von Zahlenkolonen durch das Erzeugen von Dia- über ein Volumen von 700 Mrd. Euro (80 Mrd. Euro Einlage, 620 grammen. Mit Hilfe von Langzeitdiagrammen kann man Entwick- Mrd. Euro Bürgschaftsgarantien), davon können 500 Mrd. Euro lungen darstellen. Durch das Tabellenkalkulationsprogramms Ex- an Euro-Staaten als Kredit verliehen werden. Die Europäische cel und den Datenimport-Button auf der Seite des Statistischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) garantiert bzw. bürgt für die Bundesamtes oder EUROSTAT ist die Visualisierung von Schulden- Abb.1: Mögliches Analyseschema für Diagramme und Schaubilder (Quellen: In Anlehnung an SEEBER (1993, S. 40 ff.), BURGHARD (1998, S. 36 ff.), KOLOSSAR (2000, S. 55 ff.) ISB 2012, eigene Darstellung) 40 W&E 2013 | Ausgabe 2 | 65. Jahrgang
FOKUS ständen in Form von Diagrammen kein großes medientechnisches aus der in der Aufgabe 1 genannten Publikation des Statisti- Problem. Zusammen mit den Statistikkenntnissen aus dem Ma- schen Bundesamtes in Excel, dann können die Zahlen wie in thematikunterricht (vgl. K RÄMER 2010) und den Gestaltungsgrund- Abb. 2 in ein Diagramm verwandelt werden. Stehen den Schü- sätzen für Diagramme und Schaubilder (vgl. u. a. WONG 2011) kön- lerinnen und Schülern keine digitalisierten Daten und kein Ta- nen „große Zahlen“ in Abbildungen verwandelt werden. bellenkalkulationsprogramm zur Verfügung, können ausge- wählte Jahreswerte und Maßstabsangaben (z. B. 10 Milliarden Euro entsprechen einem Zentimeter) vorgegeben werden und von den Schülerinnen und Schülern im Heft oder auf einem Pla- Aufgabenvorschlag 1 kat visualisiert werden. Geben Sie die Staatsverschuldung der Bundesre- publik Deutschland von 1950 bis 2010 in einem Aufgabenvorschlag 2 Diagramm wieder. Nutzen Sie als Datenquelle die Ermitteln Sie mit Hilfe der Internetseite Publikation: www.bundeskanzlerin.de, welche(r) Kanzler(in) in „Steuern und Finanzen, Fachserie 14, Reihe 5“ (2010) des welcher Koalitionsregierung die Bundesrepublik Statistische Bundesamtes, S. 5 Deutschland von 1950 bis 2010 regiert hat. Wel- sowie Excel als Tabellenkalkulationsprogramm. chen finanz- und wirtschaftspolitischen Proble- Interpretieren Sie anschließend Ihre Abb. mit Hilfe men mussten sich diese Regierungen stellen? des Interpretationsschemas. Abb. 2 stellt die Entwicklung der Staatsverschuldung in Deutschland von 1950 bis 2011 dar und ist damit gleichzeitig der Zu den möglichen Datenquellen: Das Statistische Bundes- Erwartungshorizont für die Schülerantwort. Abb. 2 stellt die amt und EUROSTAT stellen die Datensätze kostenlos bereit. Mitt- Staatsverschuldung in absoluten Zahlen dar. Diagramme selbst lerweile kann man sich auch durch google/publicdata die Ver- zu erstellen, vor allem aber diese lesen und interpretieren kön- schuldungsdaten in Form von Diagrammen visualisieren lassen. nen (in der PISA-Studie wurde in diesem Zusammenhang von Dabei ermöglicht google/publicdata jedoch keinen direkten Zu- der „Lesekompetenz von diskontinuierlichen Texten“ gespro- griff auf die Primärdatensammlung der entsprechenden statis- chen), stellt eine Kompetenz dar, die auch durch den Wirt- tischen Quellen. Lädt man die Schuldenwerte seit 1950 bis 2010 schafts- und Politikunterricht vermittelt werden kann. Staatsschulden der Bundesrepublik Deutschland (in Mio. Euro) 2500000 2000000 1500000 1000000 500000 0 1958 1968 1978 1950 1952 1954 1956 1960 1962 1964 1966 1970 1972 1974 1976 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 Prognose 2012 Abb. 2: Entwicklung der Staatsschulden der Bundesrepublik Deutschland. (Quelle: Steuern und Finanzen, Fachserie 14, Reihe 5 (2010) Sta- tistisches Bundesamt, sowie Prognosen der Bundesregierung (erwartete Schülerdarstellung/eigene Darstellung) W&E 2013 | Ausgabe 2 | 65. Jahrgang 41
FOKUS Doch was sagt das Diagramm aus, das absolute Zahlenwer- tisierbare Schuldenabbaubeispiele, um den fiskalpolitischen Fa- te visualisiert? Um eine systematische Informationserfassung talismus, der durch Diagramme mit absoluten Werten ausgelöst und Interpretation zu ermöglichen, ist es sinnvoll, das bereits werden kann, zu überwinden. Man kann die nationale Schul- beschriebene Analyseschema für Diagramme zu nutzen. Das densumme nicht mit dem Schuldenstand anderer europäischer Analyseschema soll vor einer vorschnellen, intuitiven Interpre- Länder vergleichen, dazu müsste man die wirtschaftliche Stär- tation von Schaubildern schützen und stattdessen die Datenin- ke und/oder die Einwohnerzahl in Relation zum Schuldenstand terpretation auf eine seriöse Grundlage stellen. Aufgrund des setzen. Diese Kennzifferberechnung stellt eine Lösungsmög- begrenzten Umfangs dieses Aufsatzes kann die Analyse der fol- lichkeit des Dilemmas der Abb. „großen Zahlenwerte“ dar. genden Diagramme nur partiell diskutiert werden. In diesem Zusammenhang ist zu betonen: Gleiches gilt für die „erwarte- ten Schülerantworten“ auf die Aufgabenvorschläge, auch diese 3.2 Kennziffern berechnen und auswerten können aufgrund des Textumfangs nicht vollständig abge- druckt werden. Die Visualisierung der absoluten Schuldenhöhe sagt wenig Folgende Fragen könnten bei der Interpretation des Dia- über das Ausmaß der Staatsverschuldung aus, diese ist nur mit gramms „Schuldenentwicklung“ eine Rolle spielen: „Welche Hilfe der Wirtschaftskraft und der Einwohnerzahl bewertbar. Aussage wird dem Betrachter nahegelegt?“ und „Will die Abb. Erst die Bildung von Vergleichen und Kennziffern macht die eu- zur Handlung aufrufen?“ Es scheint, als ob es eine ökonomische ropäische und die deutsche Staatsverschuldung kognitiv bear- Gesetzmäßigkeit zur unaufhaltsamen Verschuldung in Deutsch- beitbar. Die Defizitquote gibt den Anteil des öf-fentlichen Defi- land gibt. Mit der Rückzahlung der Kredite haben die Generati- zits am Bruttoinlandsprodukt innerhalb eines Haushaltsjahres onen aus den 60er- bis 90er-Jahren die kommende (demogra- wieder. Die „Maastricht-Kriterien“ (u. a. EU-Konvergenz-Kriteri- fisch schrumpfende) Generation alleingelassen. Die Rückzah- um) liegen bei einer Defizitquote in Höhe von 3 %. Die Schul- lungsaufgabe stellt sich aufgrund der unvor-stellbaren Summe denstandquote gibt das Verhältnis zwischen der Höhe der Ge- als kaum zu bewältigen dar. samtverschuldung und dem jährlichen Bruttoinlandsprodukt an Bereits an dieser Stelle wird sichtbar, dass eine Visualisie- und sollte laut EU-Konvergenzkriterium die Höhe von 60 % nicht rung in absoluten Werten nur einen geringen didaktischen Nut- überschreiten. zen mit sich bringt. Im Unterricht kann diese Deutung zu einer unerwünschten fiskalpolitischen Fassungslosigkeit bis hin zur politischen Gleichgültigkeit führen. Die Werte sind unbegreif- lich hoch, Milliarden Euro-Beträge werden nicht dadurch ein- Informationsvorschlag für die Berechnung von fach zu bearbeiten, dass man diese statt in „Berge“, wie der CDU/ Kennziffern CSU-Finanzpolitiker FRANZ-J OSEF STRAUSS in einer Rede in den 70er-Jahren vor dem Deutschen Bundestag, in Säulendiagram- me verwandelt (vgl. S CHÄFERS 2005). Säulendiagramme können Defizitquote= nur einen kleinen Erkenntnisbeitrag im Unterricht liefern: Die ä Milliarden Euro Staatsschulden haben sich seit 1950 entwickelt, ä die Entwicklung verlief nicht linear, sondern in Schüben. Aber warum diese Schuldenschübe auftraten, wird aus der Grafik nicht ersichtlich. Schuldenstandquote = Die Analyse von Diagrammen mit Hilfe des Interpretations- schemas macht deutlich: Kontextuales Wissen kann nicht im ä ausreichenden Maße aktiviert werden, die Schüler/-innen be- nötigen weitere Informationen zur Wirtschafts- und Finanzpo- litik. Eine politikwissenschaftliche Fragestellung wäre in diesem Pro-Kopf Verschuldung = Zusammenhang interessant: „Does potitics matter?“ Spielt die politische Ausrichtung der Regierung bei der Entstehung von ö Staatsverschuldung eine Rolle? Oder anders formuliert: Gibt es einen Unterschied in der Verschuldungspolitik von Links/ Rechts-Regierungen? Welche Links/Rechts-Regierungen haben wann regiert und mussten sich welchen wirtschaftspolitischen Herausforderungen stellen? Der Aufgabenvorschlag 2 gibt die- Die Berechnung von einzelnen Kennziffern ist keine mathe- se Frage an die Schüler/-innen weiter. matische Herausforderung und kann von Schülerinnen und Welche Erkenntnis kann man aus der Bildung von Diagram- Schülern mit erweiterten Grundschulkenntnissen sofort durch- men mit absoluten Werten hinsichtlich der Bearbeitung von geführt werden. Die Interpretation der Kennziffern stellt die ei- „großen Zahlen“ ziehen? Der Wert des absoluten Schuldenstan- gentliche Herausforderung im Politikunterricht dar. Werden des ist weitgehend informationsfrei, außer man möchte mit der Kennziffern mit Zielvorgaben, beispielsweise den beiden Maas- „unbegreiflichen“ Schuldensumme von 2 Billionen Euro Fas- tricht-Kriterien, verglichen, können beispielsweise zu folgen- sungslosigkeit hervorrufen. Der Wert sagt weder etwas über die dem Urteil kommen: Die Schuldenstandquote der Bundesrepu- mit dem Geld getätigten Ausgaben (Investitions- oder Konsum- blik Deutschland liegt mit über 80 % des BIP deutlich über der ausgaben) aus, noch lässt sich die Schuldensumme mit dem ge- Maastricht-Vorgabe, die Defizitquote in Höhe von -1 % des jähr- genüberstehenden Vermögen vergleichen. Auch fehlen thema- lichen BIP ist innerhalb der Zielvorgabe (vgl. Abb. 4 und 5). 42 W&E 2013 | Ausgabe 2 | 65. Jahrgang
FOKUS Der schnellste Weg „große Zahlen“ zu verkleinern ist die Staatseinnahmen lagen. Abb. 3 sagt aber nicht aus, für welche pro-Kopf Umrechnung der Staatsschulden (Abb. 3). Der Schul- Investitionen, bzw. Konsum die Ausgaben verwendet wurden denstand jedes Bundesbürgers beträgt zurzeit 24.720,00 Euro. und welcher Nutzen dabei entstanden ist. Wurde von einem Teil 15.750,00 Euro betragen die Bundesschulden, 7.340,00 Euro die angelaufenen Verschuldung Investitionen in Schulen und Hoch- durchschnittliche Landesschulden und 1.630,00 Euro betragen schulen getätigt, dann steht den Ausgaben ein gesellschaftli- durchschnittlich die Kommunalschulden. cher Nutzen und ein privater Nutzen gegenüber. Den staatli- chen Schulden steht ein staatliches und privates Vermögen ge- genüber: Das staatliche Vermögen leitet sich aus den getätig- ten staatlichen Investitionen ab, das private Vermögen aus an- Aufgabenvorschlag 3 gesparten und reinvestierten Vermögen, welches nicht durch Steuern und Abgaben abgeschöpft wurde, aber auch staatli- Im Jahr 2011 betrug das Bruttoinlandsprodukt chen Zahlungsversprechen, wie Pensionen und dem bisherigen Leistungsniveau der Sozialversicherungen. Entsprechend wäre 2.570,8 Mrd. Euro; 81,8 Millionen Menschen der pro-Kopf Verschuldung das pro-Kopf Vermögen gegenüber leben in Deutschland. Die Einnahmen des Bundes zustellen. Unabhängig von der Vermögensfrage wird sichtbar, dass die Kennzifferbildung „große Zahlen“ kognitiv greifbarer betrugen 257,4 Mrd. Euro, die Bundesrepublik machen können. Deutschland nahm insgesamt 527 Mrd. Euro ein. Der Schuldenstand der Bundesrepublik Deutsch- land betrug 2.011 Mrd. Euro, davon entfielen auf Aufgabenvorschlag 4 den Bund 1.287 Mrd., auf die Länder 600 Mrd. Visualisieren Sie die Schuldenstandquote der Bun- und auf die Gemeinden 123 Mrd. Euro. Berech- desrepublik Deutschland von 2000 bis 2011 mit nen Sie die genannten Verschuldungskennziffern. Hilfe der Daten des Statistischen Bundesamts: Für die Staatsschulden und das jährliche Defizit: Abb. 3 zeigt, dass Milliarden und Billionen Euro Beträge in https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/ Kennziffern umgerechnet, ihren „Überwältigungscharakter“ LangeReihen/SteuernFinanzen/lrfin01.html verlieren, Fragen bleiben jedoch. Jeder Bundesbürger, egal wel- ches Alter er erreicht hat, hat statistisch gesehen, 24.720,00 Eu- ro Schulden. Dabei ist unberücksichtigt, dass die Höhe der und für das BIP: Schulden der jeweiligen Bundesländer unterschiedlich hoch ist. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/ Bremer und Berlin hätten die höchste pro-Kopf Verschuldung, GesamtwirtschaftUmwelt/VGR/ Bayern und Sachsen die geringste. Aber was sagen solche pro- VolkswirtschaftlicheGesamtrechnungen.html Kopf Kennziffern aus: Die vorheri-gen Generationen haben seit der Gründung der Bundesrepublik Ausgaben für den Staatskon- sum und Staatsinvestitionen getätigt, die über den jährlichen Pro-Kopf Verschuldung in Euro (gerundete Werte) Verschuldung des Bundes Verschuldung der Länder Verschuldung der Gemeinden Verschuldung Bund, Länder und Gemeinden (pro Kopf) 15750 7340 1630 Verschuldung Bund und Länder (pro Kopf) 15750 7340 Verschuldung des Bundes (pro Kopf) 15750 Abb. 3: Berechnete und visualisierte Pro-Kopf Verschuldung (erwartete Schülerdarstellung) (Quelle: Destatis 2012) W&E 2013 | Ausgabe 2 | 65. Jahrgang 43
FOKUS Schuldenstandquote der Bundesrepublik Deutschland von 2000 bis 2011 90 85 Schuldenstandquote in % 80 75 70 65 60 55 50 45 40 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Abb. 4: Schuldenstandquote Bundesrepublik Deutschland von 2000 bis 2011 (erwartete Schülerdarstellung/eigene Darstellung) (Quelle: Datenausschnitt EUROSTAT 2012) Wie haben sich die Schuldenstandquoten oder die Defizit- licht einen relativen Blick auf die Entwicklung der nationalen quote über einen Zeitraum von beispielsweise zehn Jahren ent- und europäischen Schuldenkrise. Wirkungsvoller sind Kennzif- wickelt? Dazu bietet sich eine weitere Aufgabe zwecks Darstel- fernberechnungen im internationalen Vergleich. Kennziffern lung der Entwicklung der Schuldenquote und Defizitquote an. machen „große Zahlen“ zwar nicht automatisch begreifbarer, Diese kann sowohl mithilfe von Excel durchgeführt werden als mit ihnen kann man jedoch (begrenzt) auf haushaltspolitische auch mit Hilfe des Taschenrechners und einer Visualisierung auf Schwierigkeiten schließen. einem Plakat. Die zur Auswertung nötigen Daten des Bruttoin- landsproduktes, der jeweiligen Schuldensumme und des Finan- zierungssaldos liefert das Statistische Bundesamt auf seiner In- 3.3 Ländervergleiche mit Hilfe von Kennziffern ternetseite www.destatis.de oder EUROSTAT. Fairerweise muss man an dieser Stelle auch erwähnen, dass das Statistische Bun- desamt natürlich die jeweiligen Quoten bereits berechnet hat, gleiches gilt für EUROSTAT. Auch google/publicdata hält bereits Aufgabenvorschlag 5 aufgearbeitete Daten bereit, diese stammen aus der europäi- schen Quelle EUROSTAT. Es liegt im pädagogischen Ermessen der jeweiligen Lehrkraft, zur Dateninterpretation auf bereits Vergleichen Sie die Defizitquote Deutschlands ausgewertete Daten zurückzuzugreifen. mit denen der Euro-Länder für den Zeitraum Durch Abb. 4 werden zusätzliche Informationen im Vergleich zur zu der Abb. 2 sichtbar: Die Staatsverschuldung, gemessen 2002 bis 2011. Nutzen Sie als Datenquelle an der wirtschaftlichen Leistungskraft der Bundesrepublik EUROSTAT Deutschland, war zwischen 2000 und 2011 insgesamt 4 Jahre lang rückläufig. Die Abb. 2 zeigt dagegen einen kontinuierlichen http://appsso.EUROSTAT.ec.europa.eu/nui/show.do?d Anstieg der Staatsverschuldung. Diese Rückgänge hatten nichts mit einem Rückgang der Staatsverschuldung in absolu-ten Zah- ataset=gov_dd_edpt1&lang=de len zu tun, der Rückgang der Schuldenquote hatte ein steigen- des Bruttoinlandsprodukt bei gleichzeitig reduzierter Netto- und visualisieren Sie die Daten mit Hilfe von neuverschuldung zur Ursache. Die Verbindung von wirtschaft- lichem Wachstum und Schuldenabbau bedeutet im Umkehr- Excel und interpretieren Sie die Grafik. schluss, dass ein Rückgang der wirtschaftlichen Aktivitäten in der Regel auch die Schuldenstandquote ansteigen lässt. Müs- sen dann die Schulden durch Sparen weiter reduziert werden, werden wahrscheinlich die wirtschaftlichen Aktivitäten weiter In diesem Unterkapitel werden die bisherigen Methoden eingeschränkt, was die Schuldenstandquote nicht sinken, son- des Umgangs mit den „großen Zahlen“, die Berechnung von dern (temporär) steigen lässt. Kann man mit der Berechnung Kennziffern, in einem Ländervergleich angewandt. Statt ein von Kennziffern die „Großen Zahlen“ der Staatsverschuldung unübersichtliches Diagramm aus allen EU-Mitgliedsstaaten begreifbarer machen? Die Berechnung von Kennziffern ermög- oder Euro-Staaten zu erstellen, sollten die Schüler/-innen ei- 44 W&E 2013 | Ausgabe 2 | 65. Jahrgang
FOKUS Jährliche Defizitquote (in %) Deutschlands und weiterer 16 Länder des Euro-Raums Euroraum (17 Länder) Deutschland 0,2 -0,1 -0,7 -1,0 -1,3-1,6 -2,6 -2,5 -2,1 -3,1 -2,9 -3,3 -3,2 -3,8 -4,2 -3,8 -4,3 -4,1 -6,4 -6,2 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Abb. 5: Die Entwicklung der jährlichen Defizitquote der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu 17 Euro-Ländern (erwartete Schü- lerabbildung/eigene Darstellung) (Quelle: EUROSTAT 2012) nen Kennziffervergleich zwischen den 16 Euro-Staaten und der „Sparen“ zwar den Schuldenanstieg mildert, bestenfalls sogar Bundesrepublik Deutschland (insgesamt 17 Euro-Staaten) vor- die absoluten Staatsschulden reduziert, aber gleichzeitig das nehmen. Die Daten können die Schüler/-innen mithilfe eines Wirtschaftswachstum auf Jahre abwürgt, wem ist mit diesem Downloadbuttons direkt in Excel öffnen und anschließend im Lösungsweg geholfen? Ist es besser, zu sparen oder die Wirt- Tabellenkalkulationsprogramm eine Datenauswahl vorneh- schaft mit staatlichen Maßnahmen anzukurbeln, um die Schul- men. Die erwartete Schülerantwort sieht dann wie in Abb. 5 denstandquote zu reduzieren? aus. Die visualisierten Daten der Abb. 5 zeigen eine „gespaltene“ Defizitquotenentwicklung: Von 2002 bis 2006 liegt die Bundes- 3.4 Zur Bildung der wirtschaftspolitischen republik über den europäischen Durchschnittswerten. Von 2002 Mündigkeit das didaktisches Prinzip der bis 2005 verfehlt sie permanent das Defizitkriterium von 3 %. Im Jahre 2007 können mit den Einnahmen der Bundesrepublik Kontroversität im Politik- und die Ausgaben vollständig gedeckt werden, es entsteht sogar ei- Wirtschaftsunterricht nutzen ne „Überschuss“ in Höhe von 0,2 % des BIP. Danach hält die Bun- desrepublik das Defizitkonvergenzkriterium erst 2011 wieder Kontroversität zu erzeugen ist eines der didaktischen Prin- ein. Nach dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise stei- zipien des Politikunterrichtes (vgl. G RAMMES 2005, S. 126 ff.). gen sowohl die Defizite der Euro-Länder als auch der Bundes- Wirtschafts- und Politikunterricht sollte nicht aus einer Daten- republik Deutschland stark an, wobei das jährliche Defizit der recherche und der Anwendung von Excel zwecks Vis ualisie- Bundesrepublik deutlich hinter dem der anderen Euro-Länder rung der Daten bestehen. Im Gegenteil: Ein Ziel des Wirt- zurückbleibt. 2009 ist das Defizit der Euro-Länder doppelt so schafts- und Politikunterricht ist es, die Entwicklung der Schü- hoch im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland, im Jahre lerinnen und Schüler zur politischen Mündigkeit und demo- 2011 sogar vier Mal so groß. kratischer Handlungsfähigkeit zu fördern. Die Befähigung zum Die Reduzierung der jährlichen Defizitquote fiel zusammen politischen Handeln entspringt aus der eigenen Urteilsfähig- mit der guten europäischen Konjunkturentwicklung bis 2008. keit sowie der reflektierten und abgewogenen Entscheidun- Der sprunghafte Schuldenanstieg in Europa resultiert aus den gen (vgl. KÖTTERS -KÖNIG 2001, S. 6). Die Politikdidaktik kann hier Bankenrettungspaketen und der antizyklischen Konjunkturpo- durch den Beutelsbacher-Konsens einen wichtigen Impuls ge- litik, die mit der Wirtschaftskrise einherging. Die aktuelle euro- ben: das Überwältigungs-verbot (durch zu „große Zahlen“), das päische Schuldenkrise scheint ihren Ursprung in der Finanz- und Kontroversitätsgebot (es existieren unterschiedliche Bearbei- Bankenkrise zu haben. Dabei kann durch die vorliegenden tungsansätze der europäischen Schuldenkrise) und die Stär- Kennziffern nicht auf die bereits vorhandene Gesamtverschul- kung der Analysefähigkeit der Schülerinnen und Schüler („was dung der einzelnen Länder geschlossen werden. Kennziffern re- ist in meinem Interesse“). Die Bearbeitung der nationalen und lativieren „große Zahlen“, sie stellen die Staatsschulden in ein europäischen Schuldenkrisen demnach nicht nur eine statisti- Verhältnis zur Wirtschaftsleistung einer Volkswirtschaft. Da- sche, sondern auch eine normative Aufgabe. Was in der Wis- durch wirken die Werte nicht mehr „überwältigend“, sie verlie- senschaft kontrovers diskutiert wird, das soll auch im Unter- ren ihre Eindimensionalität und ermöglichen es, über Lösungen richt als gegensätzlich dargestellt werden, so befürwortet es der Schuldenkrise kontrovers zu diskutieren. Mögliche Diskus- der Beutelsbacher-Konsens aus der Politikdidaktik. Kontrover- sionspunkte wären: Welcher Zusammenhang besteht zwischen sen und gar Streit über den zielführenden Weg oder gar das den Wirtschaftswachstum und dem Defizitkriterium? Wenn Ziel von Wirtschaftspolitik dürfen nicht durch die Erklärung W&E 2013 | Ausgabe 2 | 65. Jahrgang 45
FOKUS der „Alternativlosigkeit“ verdrängt werden. Realisierungsmög- des Drucks zur Arbeitsaufnahme bei gleichzeitiger auskömmli- lichkeiten bestehen generell in Fächern wie Gemeinschafts- cher finanzieller Absicherung bei Arbeitslosigkeit ein (vgl. B RAUN kunde/Sozialkunde und Politikunterricht, aber eben auch in 2001). Die nachfolgende liberalkonservative Regierung setzte den Lernfeldern, die eine Schnittmenge mit politischen Inhal- dagegen auf Ausgabenbegrenzung: Zusätzliche Ausgaben soll- ten bilden. Wenden wir uns im Folgenden der Kontroversität ten „nachhaltig“, durch Einsparungen in den bestehenden Res- und der politischen Urteilsbildung, also der normativen Kom- sorts, gegenfinanziert werden. Gleichzeitig sei daran erinnert, ponente von Politik- und Wirtschaftsunterricht, zu. Im Folgen- dass die Bürger des Königreichs Dänemark weiterhin mit sehr den wird der „erfolgreiche Schuldenabbau mit durch Refor- hohen Steuersätzen auf Kapital, Konsum und Arbeit der EU be- men und Haushaltskonsolidierung“, der „Fiskalpakt“ sowie die lastet werden. Die Kombination von Wirtschaftsreformen, Haus- „Verbindung von Staatsschulden und privatem Vermögen“ dis- haltskonsolidierung, Wirtschaftswachstum und „auskömmli- kutiert. cher“ Besteuerung machten den Erfolg der Schuldensandsen- kung aus. Die erfolgreiche Reduzierung der Schuldenstandquo- te wurde erst durch den Ausbruch der amerikanischen Schul- 3.4.1 Schuldenabbau durch Wirtschaftsreformen, denkrise und dem folgenden Rückgang des Wirtschaftswachs- Haushaltskonsolidierung und tums gestoppt. „Große Zahlen“ werden durch die Erfolgsge- Wirtschaftswachstum? schichte Dänemarks nicht kleiner, die Zahlen zeigen jedoch, dass es pragmatische Auswege aus der Verschuldungsproble- „Welches Land hat jemals seine Staatsschulen abbauen kön- matik gibt. nen?“, diese Frage wurde (mir) im Wirtschafts- und Politikunter- richt der Berufsschule gestellt. Beispielsweise das Land Däne- mark, so eine mögliche Antwort. Das (kleine) skandinavische Land, mit seinen 5,5 Millionen Einwohnern, konnte seine Staats- Aufgabenvorschlag 6 verschuldungsquote seit Anfang der 90er Jahre von 100 % des Bruttoinlandproduktes kurzfristig auf unter 30 % senken. Die Vergleichen Sie die Schuldenstandquote Deutsch- folgende Abbildung zeigt die Entwicklung der Schulden- standquote, wie sie durch die Schülerinnen und Schüler visua- lands mit der Dänemarks für den Zeitraum 1995 lisiert werden könnte. bis 2011. Nutzen Sie als Datenquelle EUROSTAT, Als ursächlich für die dänische Entwicklung werden die so- zialdemokratischen Arbeitsmarktreformen und die Haushalts- visualisieren Sie die Daten mit Hilfe von Excel und konsolidierungspolitik der liberalkonservativen Nachfolgeregie- interpretieren Sie die Grafik. rung angesehen. Die sozialdemokratische Regierung setzte sich für Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt (minimaler Kündigungs- schutz und private Arbeitsvermittlung), sowie die Verstärkung Entwicklung der Schuldenstandquoten (in %) von Dänemark und Deutschland (1995 bis 2011) Datenquelle: EuroStat 90 74,5 82,5 80 80,5 65,2 66,8 70 64,4 66,2 68,5 68 72,6 69,4 65,4 60,5 61,3 60,2 59,1 60,7 60 59,8 61,4 50 55,6 58,5 58,1 52,4 49,6 46,6 40 49,5 47,2 45,1 40,6 42,9 30 37,8 33,4 Dänemark 32,1 27,1 20 Deutschland 10 0 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Abb. 6: Die Entwicklung der Schuldenstandquote in Dänemark und Deutschland zwischen 1995 und 2011 (Quelle: EuroStat 2012) 46 W&E 2013 | Ausgabe 2 | 65. Jahrgang
FOKUS 3.4.2 Sparen mit Hilfe der Schuldenbremse und des Die Staatseinnahmen steigen ab dem Jahr 2011 stärker an, Fiskalpaktes? und zwar um 300,3–257,4 5 Mrd. Euro in etwa 8,58 Mrd. Euro pro Jahr. Nach x Jahren betragen die Einnahmen E (x) = 257,4 + 8,58 x (in Die Abb. 7 zeigt die Einnahmen und die Ausgaben des Bun- Mrd. Euro). Fragt man nach dem Jahr, in dem die Einnahmen und deshaushalts von 2004 bis 2015 (Prognose). Es handelt sich um die Ausgaben mathematisch betrachtet deckungsgleich sein Angaben und Prognosen, die das Bundesministerium bereitge- werden, dann sind A (x) und E (x) gleichzusetzen. 305,8 + 1,84 x stellt hat. Die Schülerinnen und Schüler können zunächst die Ein- = 257,4 + 8,58 x. Löst man die Gleichung auf, dann beträgt der nahmen und die Ausgaben in einer Grafik darstellen. Anschlie- Wert x = 7,2 Jahre. Oder anders ausgedrückt: Frühestens im Lau- ßend können sie mit Hilfe zweier Gleichungen den Zeitpunkt be- fe des Jahres 2018 kann die Bundesregierung mit einem ausge- stimmen, zu dem die Einnahmen und die Ausgaben deckungs- glichenen Haushalt rechnen. Das gilt natürlich nur dann, wenn gleich sein könnten, und den Weg zur Einnahmen- und Ausga- die wirtschaftlichen Rahmendaten unverändert bleiben. Es ist bendeckung anschließend interpretieren und bewerten. davon auszugehen, dass die Schülerinnen und Schüler kritisch auf den „Ceteris Paribus“-Umstand, dass die wirtschaftlichen Rahmendaten nur aus mathematischer Sicht weiter fortge- schrieben werden dürfen, verweisen werden. Diese Feststellung Aufgabenvorschlag 7 ist wichtig, immerhin hätte man bereits von 2004 bis 2008 ei- nen ausgeglichenen Haushalt innerhalb der kommenden drei Interpretieren Sie die Abbildung „Einnahmen und Jahre realisieren können, wäre die Finanz- und Wirtschaftskrise ausgeblieben. Ausgaben des Bundes“. Berechnen Sie, wann die Im Zusammenhang mit der Berechnung eines ausgegliche- Einnahmen ausreichen, die Ausgaben vollständig zu nen Staatshaushaltes, so die Erwartung, werden die Schülerin- nen und Schüler darauf hinweisen, dass für steigende Steuerein- decken. Welche wirtschaftlichen Bedingungen müs- nahmen eine gute Konjunkturlage die Voraussetzung ist, wenn sen dabei erfüllt werden? Welchen Nutzen und wel- nicht die Steuern erhöht oder Steuern neu geschaffen werden sollen. Gleiches gilt für die Staatsausgaben: Eine anhaltend gu- che Problematik bringt in diesem Zusammenhang te Konjunktur senkt beispielsweise die Ausgaben der Arbeitslo- eine „Schuldenbremse“ mit sich? senversicherung, bzw. die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt zu Transfereinkommen. Will oder muss die Bundesrepublik Deutschland bereits zu einem früheren Zeitpunkt einen ausge- glichenen Haushalt realisieren, dann gibt es im Wesentlichen Die Berechnung des Zeitpunktes eines ausgeglichenen zwei Möglichkeiten: Die Staatsausgaben werden gesenkt oder Haushaltes kann der Schüler mit Hilfe einer linearen Funktion die Steuereinnahmen, entweder durch Steuererhöhungen oder lösen. Ein Rechenbeispiel: Die Staats-ausgaben nehmen ab dem durch die Steigerung des Wirtschaftswachstums, erhöhen sich. Jahr 2011 leicht zu, in etwa linear mit 315–305,8 5 Mrd. Euro also 1,84 Ab dem Jahr 2009 gilt die im Grundgesetz der Bundesrepublik Mrd. Euro pro Jahr. Nach x Jahren (ab 2011) betragen die Ausga- Deutschland verankerte „Schuldenbremse“, diese wird ab dem ben A(x) = 305,8 + 1,84 x (in Mrd. Euro). Jahr 2016 wirksam. Die strukturell begründete Defizitquote darf Einnahmen und Ausgaben des Bundeshaushaltes in Mrd. Euro 311,5 309,9 315 320 303,7 305,8 306 293,3 282,3 290 300,3 270,4 259,8 261 286,6 291,2 260 251,6 278,8 270,8 Einnahmen 256,1 258,2 259,7 257,4 230 Ausgaben 228,6 233,1 200 212,1 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Abb. 7: Einnahmen und Ausgaben des Bundeshaushalts (Quelle: BMF 2011: 3 (eigene Darstellung) W&E 2013 | Ausgabe 2 | 65. Jahrgang 47
FOKUS dann nicht höher als – 0,35 % ausfallen. Eine konjunkturell be- 3.4.3 Die Verbindung von Staatsverschuldung und dingte höhere Staatsverschuldung ist temporär möglich, muss privaten Vermögen? jedoch in den Folgejahren, gemäß den Vorstellungen einer an- tizyklischen Fiskalpolitik, wieder zurückgeführt werden. Ein Sta- Im Februar 2012 veröffentlichten Medien (vgl. u. a. WELT 2012) bilitätsrat überwacht und koordiniert die Finanzplanung von eine Meldung (bzw. Infografik) des Deutschen Bankenverban- Bund, Ländern und Gemeinden. Auch in Notsituationen können des, dass das Geld- und Immobilienvermögen der Deutschen Bund und Länder eine stärkere Neuaufnahme von Krediten be- trotz Finanz- und Schuldenkrise die Summe von 10 Billionen Eu- treiben, wenn sie gleichzeitig einen Tilgungsplan erstellen und ro erreicht hat (Bankenverband 2012). Bei dem angegebenen die Neuaufnahme von Krediten die Billigung der Parlamente er- Vermögenswert handelt es um einen Bruttovermögenswert, hält. Weiterhin gültig bleibt eines der Maastricht-Kriterien: dass von dem die Verschuldung der Deutschen in Höhe von 1,5 Billi- die Defizit-quote nicht höher als 3 % sein darf. onen Euro nach abgezogen werden muss. Das Nettovermögen An dieser Stelle sei an das Kontroversitätsgebot des Beutels- der Deutschen beläuft sich demnach auf ca. 8,5 Billionen Euro. bacher-Konsenses der Politikdidaktik erinnert: Was in der Poli- Die Tageszeitung „Die Welt“ (vgl. Welt 2012) stellte beispielswei- tik und in der Wissenschaft kontrovers diskutiert wird, das soll se fest, dass das Nettovermögen der Deutschen die Summe der auch in der Schule kontrovers diskutiert werden. Die „Schulden- Schulden um das Vierfache übersteige. Weiter errechnete die bremse“ (BT-Drucksache 16/12410, BT-Drucksache 16/1321), die Zeitung, dass das Nettovermögen der Deutschen ausreichen von der CDU/CSU und der SPD eingebracht wurde und mit ei- würde, die Schulden aller Euroländer zu begleichen, bzw. das ner verfassungsändernden 2/3-Mehrheit gegen die Stimmen Bruttovermögen der Deutschen den Schulden aller 27 EU-Mit- der Linken am 29. Mai 2009 im Bundestag beschlossen wurde gliedsländer entspreche. (vgl. Plenarprotokoll 16/225 2009), scheint nur auf den ersten Der Vergleich zwischen dem Vermögen und den Schulden Blick ein weitgehender politischer Konsens zu sein. Bereits zum entspricht der ökonomischen Gleichgewichtslogik: Der Euro, Beschlusszeitpunkt warnten Teile der Gewerkschaften, Sozial- mit dem der Staat sich ver-schuldet, ist von jemandem gelie- verbände, der SPD und der Grünen vor den Folgen der Schul- hen, der den gleichen Euro zuvor gespart hat. Oder anders aus- denbremse. Gleiches gilt für befragte Wirtschaftswissenschaft- ge-drückt: Wenn das Vermögen (Y) durch Konsum (C) und Spa- ler: Laut Umfrage der ‚Financial Times Deutschland‘, in Zusam- ren (S) verteilt werden kann, dann wird das „Gesparte“ für den- menarbeit mit dem Verein für Socialpolitik, meinten fast 56 % jenigen, der es ausleiht, zur „Verschuldung“. Für den gespar- von 1.158 befragten Ökonomen, dass die Schuldenbremse ein ten Euro, den der Sparer durch den Kauf von Staatsanleihen an nur bedingt wirksames Mittel zur Begrenzung der Staatsver- den Staat ausgeliehen hat, bekommt der Sparer Zinsen, die die schuldung sei. Den (fast) 16 % der Befragten, die die Schulden- Steuerzahler aufbringen müssen. Mittelfristig kommt es zu ei- bremse für eine geeignetes Mittel hielten, stand mehr als jeder ner monetären Umverteilung zu Lasten der (späteren) Steuer- vierte Ökonom entgegen, der die Schuldenbremse für uneinge- zahler und zu Gunsten der Sparer. Ein Effekt, der in den Wirt- schränkt ungeeignet hält (FTD 30.06.2010, zit. n. wiwi-treff schaftswissenschaften auch als intergenerationale Umvertei- 2012). Stellvertretend für eine kontroverse Diskussion über das lung bekannt ist. Dass die heutigen Staatsausgaben in Form Für und Wider der „Schuldenbremse“ sei an dieser Stelle auf ei- von Staatsinvestitionen und Konsum auch das Vermögen der nen Aufruf der Professoren Bofinger und Horn der Hans Böck- folgenden Generation erhöhen werden, soll ebenfalls nicht un- ler-Stiftung verwiesen, die dazu aufriefen, die Schuldenbremse erwähnt bleiben. nicht im Grundgesetz zu verankern (vgl. Bofinger/Horn 2009). Dagegen befürwortet das Institut der Deutschen Wirtschaft die Schuldenbremse und schlägt zur Umsetzung Kürzungen im Aufgabenvorschlag 8 Bundeshaushalt vor (vgl. IW 2012). Eine vergleichbare Chance zur thematischen Kontroverse er- gibt sich aus der europäischen Parallele zur deutschen Schul- Visualisieren Sie das Bruttovermögen der privaten denbremse, dem sogenannten europäischen „Fiskalpakt“ (vgl. Haushalte in Deutschland. Wie setzt es sich zusam- SKS-Vertrag 2012). Am 2. März 2012 haben die Staats- und Re- gierungschefs aller EU-Mitgliedsstaaten mit Ausnahme des Ver- men? Nutzen Sie als Quelle die Veröffentlichung der einigten Königreichs und der Tschechischen Republik den Ver- Bundesbank und des Statistischen Bundesamtes trag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirt- schafts- und Währungsunion (SKS-Vertrag) unterzeichnet. http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Statisti Wichtig ist, dass sich die Kontroverse an die unterrichtliche ken/sektorale_und_gesamtwirtschaftliche_vermoegensbilanzen Visualisierung der nationalen und europäischen Staatsverschul- .pdf?__blob=publicationFile dung anschließen sollte. Schließlich kann es kein ausschließli- ches Ziel des Wirtschafts- und Politikunterrichts sein, „große Zahlen“ in Kennziffern zu verwandeln, nur um diese nachvoll- Welche politische Forderung könnte sich ergeben? ziehbarer zu machen. Natürlich, Statistiken in Form von Dia- grammen zu visualisieren und zu interpretieren ist eine Kompe- tenz, die durch den Unterricht begünstigt werden kann. Aber die (wirtschafts-) politische Urteilsfähigkeit von Schülerinnen Schulden und Vermögen sind „siamesische Zwillinge“, so der und Schülern zu fördern, das ist eine mindestens ebenso wich- österreichische Finanzmathematiker S CHACHERMAYER (2011). Und tige kompetenzfördernde Aufgabe von Wirtschafts- und Poli- weiter stellt er fest, dass der hohen Staatsverschuldung ein gro- tikunterricht. ßes Vermögenswachstum in Teilen der Bevölkerung gegenüber- 48 W&E 2013 | Ausgabe 2 | 65. Jahrgang
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