Erziehungskunst - Mensch und Kosmos - Waldorfpädagogik heute
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U1_U2_U3_U4_EK07/08_2018.qxp_EZK Cover 11.06.18 14:34 Seite 1 07/08 | 2018 Juli/August | 6,90 € erziehungskunst Waldorfpädagogik heute Mensch und Kosmos Mit erziehungskunst spezial zum Thema
U1_U2_U3_U4_EK07/08_2018.qxp_EZK Cover 11.06.18 14:34 Seite 2 2 INHALT 4 L. Bisterbosch: Himmelskunde für Zwölfjährige 5 H. U. Schmutz: Warum Astronomie in der 11. Klasse? 9 A. Hüttig: Kosmos und Kultur 14 I. Hoppe: Krieg der Götter. Die geheime Botschaft in »Star Wars« 22 29 30 S. Grünhage: Schmetterlinge im Klassenzimmer 30 33 Literatur kann den Menschen verändern. Im Gespräch mit dem Dramatiker und Regisseur Moritz Rinke 33 36 U. Hallaschka: Yep oder Nie! 36 H.-P. Zuther: Auch zur Bigband kann man tanzen 38 T. Zdrazil: Vater Molt 46 X. Ramin: »Mensch sein in der digitalen Zukunft«. Bundeselternratstagung in Darmstadt 47 48 F. Bott, M. Rapp & V. Boetschi: Die Junge Waldorf-Philharmonie wird 15! 48 51 W.-M. Auer: Die Schule der Zukunft 51 54 W. Held: Ordnung braucht Augenzwinkern. Andreas Pelzer im Porträt 54 56 Juli/August | 3,50 € 07/08 | 2018 k 57 59 63 Titel-Foto: PolaRocket / photocase.de 64 82 (in der Heftmitte zum Herausnehmen) 41 Mit erziehungskunst spezial zum Thema erziehungskunst Juli/August | 2018 Waldorf 100
03_04_EK07/08_2018.qxp_EZK 11.06.18 15:07 Seite 3 EDITORIAL 3 Kosmische Heimat Liebe Leserin, lieber Leser! »Weiß Du. Wie viel Sternlein stehen …« – ein Wiegenlied, das immer noch die Seelen von Groß und Klein berührt, denn es vermittelt das Gefühl von Geborgenheit, Aufgehoben- und Beheimatetsein als Mensch im Großen und Ganzen. Man kann das als kindliche Sentimentalität abtun. In mir weckte es den Forschergeist und so machte ich mich gleich an eine nichtrepräsentative Umfrage. Die Probanten: Wieder einmal die jüngsten Mitglieder und Freunde des familiären Umkreises. Die Frage: Was fällt Dir ein, wenn Du in den Sternenhimmel guckst?« Noel (7 Jahre): »Äh, gar nichts, dunkel ...« – Michi (8 Jahre): »Ich will Sternenforscher werden!« – »Warum?« – »Wegen der Farben und Sternbilder.« Andi (9 Jahre): »Die Sterne sind doch alle gleich.« Evi (11 Jahre): »Der Himmel ist so groß und es gibt so viele Sterne.« – »Ja und ...?« – »Ich habe dann ein unendliches, frei- heitliches Gefühl. Hört der Himmel denn nie auf?« – Es hat mich verblüfft, wie unterschiedlich die Aus- sagen schon bei Kindern im Blick auf den Himmel sein könnrn. Diese Unterschiedlichkeit schließt sich übergangslos an große (erwachsene) Denker an: »Man fühlt sich fast wie hinausgeschleudert in einen kalten, lichtlosen und lebensfeindlichen Kosmos. Was sind da meine Sorgen und Hoffnungen, meine Wünsche? Ist da meine Existenz? Alleingelassen empfindet man sich da, und was man sieht, ist einem fremd« (Gerhard Fasching). Oder: »Hört die Pracht des Sonnenaufgangs auf, eine leibhaftige, immer neue, beschwingende Wirklichkeit zu sein, eine mythische Gegenwart, auch wenn wir wissen, dass wir mit der Erde uns bewegen, also von Aufgang keine Rede sein kann?« (Karl Jaspers). In einer Rede vor dem Deutschen Bundestag sprach Václav Havel über das »Erlebnis namens Heimat« – wider Erwarten nicht über die nationale Heimat, sondern als eine elementare menschliche Erfahrung des Stehens zwischen Himmel und Erde: »Die Heimat und das Zuhause (...) sondern uns nicht von dem Uni- versum ab, im Gegenteil, sie verbinden uns mit ihm.« Heimat bezeichne »eine Struktur, die öffnet, eine Brücke zwischen dem Menschen und dem Weltall, einen Leitfaden, der vom Bekannten auf das Unbe- kannte, vom Sichtbaren auf das Unsichtbare, vom Verständlichen auf das Geheimnisvolle, vom Konkreten auf das Allgemeine weist«. Rudolf Steiner charakterisierte die Anthroposophie als einen »Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltall führen möchte«. Und in der Allgemeinen Menschenkunde leitet er den dritten Vortrag mit der grundlegenden Anmerkung ein, dass der »gegenwärtige Lehrer (...) im Hinter- grund von allem, was er schulmäßig unternimmt, eine umfassende Anschauung über die Gesetze des Wel- tenalls haben« müsse. Steiner meinte damit nicht nur die äußeren, sondern auch die inneren Beziehungen zwischen Mikro- und Makrokosmos, die in Erziehung und Unterricht ihre Berücksichtigung finden müssen. Mit »Ich will Sternenforscher werden!« ist Michi auf einem ganz guten Weg, um ein »unendliches, freiheitliches Gefühl« als Mensch ins sich zu entwickeln. ‹› Aus der Redaktion grüßt Mathias Maurer 2018 | Juli/August erziehungskunst
05_06_07_08_09_10_11_12_13_EK0708_2018.qxp_EK 12.06.18 13:46 Seite 5 THEMA: KOSMOS 5 Himmelskunde für Zwölf jährige von Liesbeth Bisterbosch Gerade am Ende der Kindheit im Übergang in das Jugend- und Erwachsenenalter, wenn Unsicherheiten und Umbrüche das Selbstverständnis prägen, können die ewigen Sterne, der Lauf der Sonne und des Mondes Sicherheit und Gewissheit vermitteln. Himmelskunde in der siebten Klasse Orientierungshilfe beim Wahrnehmen des Nachthimmels – idealerweise bei klarem Sternenhimmel. Dann bekom- Viele Kinder möchten gerne am Himmel das eigene Stern- men die Schüler ein Empfinden dafür, wie schnell die Sterne bild finden. Sie erwarten das in der Himmelskunde-Epoche auf ihren Bögen vorwärtsziehen. Sie erfahren, dass sie die der siebten Klasse. Ähnlich wie etwa 1200-700 v. Chr. die helleren Sterne, die während der Dämmerung als erste in Babylonier fähig wurden, am Himmel Sternbilder zu Erscheinung treten, immer früher wiedererkennen. Die erkennen, so sind die Zwölfjährigen reif geworden, das Sternenwelt ist ganz zuverlässig und die Sterne tun das, was Auf- und Untergehen der Sternbilder zu beobachten und die ich schon ahne! monatlichen Veränderungen am Himmel zu verfolgen. Und es tut ihnen gut, dass sie den Erwachsenen, die oft keine »Es stimmt, ich sehe den Steinbock« Ahnung haben wie riesig groß ein Sternbild sein kann, zeigen können, wo am Himmel welches Sternbild funkelt. Um dann am Himmel ein Sternbild das erste Mal wahr- Wenn ein Zwölfjähriger zum ersten Mal »seine Sternen- nehmen zu können, braucht es also mehreres. Zuerst ist ein gruppe«, die helleren und lichtschwächeren Sterne und das inneres Bild der (nachgezeichneten!) Gestalt eine große Bild als Ganzes sieht, ist die Freude groß. Das Erleben der Hilfe. Auch hat man viel davon, wenn man vorher sich ori- Schönheit eines funkelnden Sternenhimmels wird vertieft, entiert, wie die hellsten Sterne sich zueinander verhalten. wenn der Schüler es schätzen lernt, dass dieses Sternbild in Die große Frage, wo an der Himmelskuppel das Sternbild diesem Monat dort zu sehen ist und in dieser Stellung auf- sein könnte, ist im Sommer 2018 leicht zu beantworten: leuchtet. Mit einer Smartphone-App die Sternbilder zu fin- Schaut man Richtung Mars, sieht man das Himmelsgebiet den, ist eine komplett andere Erfahrung. Die zu einem Bild des Steinbocks. Die Sterne im rechten Horn sind relativ gehörigen Sterne werden einzeln gesucht, Lichtpunkte wer- leicht zu entdecken. den gebündelt, eine Ganzheit kann so kaum entstehen. Nach ein wenig hin und her schauen, entsteht auf einmal Ein Siebtklässler ist auf der Schwelle, die Kinderwelt zu ver- Sicherheit: »Ich sehe den Steinbock!«. Es ist, als würde man lassen. Er geht auf die Welt der Erwachsenen zu und wird in von einem inneren Lichtblitz durchzuckt. Dann kann man der Oberstufe Unterrichtsstoff bekommen, mit dem geübt seinem Mitschüler räumliche Orientierungshilfe geben: werden kann, Prozesse innerlich nachzuvollziehen und »Der Fischschwanz ist dort, ja, so weit von den Hörnern ent- Entwicklungen zu denken. Die Himmelskunde-Epoche er- fernt. Das Sternbild ist recht groß.« Das weckt auch bald die möglicht ein Eintauchen in die Objektivität der Denkwelt Entdeckerfreude des anderen. auf bildhafte Weise. Die örtlichen Sonnenrhythmen, die bis- Beim Suchen nach einem Sternbild entsteht ein lebendiges her mehr träumerisch erlebt wurden, werden zum Unter- Zusammenspiel zwischen dem nach außen tätigen Wahr- richtsstoff. Die Bewegungen der Sonne im Jahreslauf bieten nehmungsorgan und dem inneren Auge. Das In-sich-Auf- › < Foto: Gunar's / photocase.de Juli/August | 2018 erziehungskunst
05_06_07_08_09_10_11_12_13_EK0708_2018.qxp_EK 11.06.18 15:09 Seite 6 Der Himmelsbogen von Steinbock und Mars Oslo in der Nacht von 27. auf 28. Juli Mars und Steinbock in Gebieten mit einer nördlichen Breite von 60° N.Br. (Oslo) – am 27. Juli geht Mars um etwa 23 Uhr auf und bleibt fünf Stunden tief am südlichen Himmel. Kassel Mars und Steinbock von Kassel (51° N.Br.) aus gesehen – Mars geht in der Oppositionsnacht etwa um 22 Uhr auf und leuchtet knapp acht Stunden am Himmel. Je südlicher das Gebiet, desto mehr ändert sich Athen der Anblick von Stunde zu Stunde. Der Beobach- ter hat es schwerer im sinkenden Ziegenfisch den aufsteigenden wieder- zuerkennen. Von wo man auch zum Mars schaut, der Planet befindet sich bei den gleichen Sternen des Steinbocks. Athen (38° N.Br.), wo Mars um 21 Uhr aufgeht und gut neun Stunden am Himmel prangt – wie anders sieht der Steinbock beim Aufgang aus, als beim Untergang. › nehmen wird durch die Fragen gefördert, die aus dem In- es«, ist wie eine Kommunion zwischen dem Blick nach nern aufsteigen. Man versucht, Zusammenhänge zu denken außen und dem ins Innere schauen. Der Moment des Selber- und diese am Himmel bestätigt zu bekommen. »Einem sol- Entdeckens schenkt Vertrauen in das eigene innere Auge. chen Suchen, das sich früh schon im Unterbewussten regt, Schon nach kurzer Zeit wird man die Sternbilder an ihren kann ein Astronomieunterricht gerade in der Mittelstufe ent- unverwechselbaren Lichteigenschaften wiedererkennen. Die gegenkommen. Denn im Schüler etwa der 6. und 7. Klasse Lichtkomposition eines auffälligen Sternbildes prägt sich viel dämmert ein erstes Bewusstsein seines individuellen Schick- leichter ein, als es das geometrische Muster in der Lage wäre. sals auf, ein Ahnen des eigenen, ungewissen Lebens. Gegen- über mancher Eigenwilligkeit des jugendlichen Umbruchs Steinbock und Ziegenfisch wird das von Ewigkeit für die Erde Gefügten wohltuend er- lebt werden« (Manfred von Mackensen). Der Steinbock ist gezeichnet als ein Ziegenkopf mit einem Die aktuellen Beobachtungen erwecken frühere, durchlebte Fischschwanz. Die Gestalt ist babylonischen Ursprungs. Eindrücke. Aus diesen sind inzwischen zuverlässige neue Einer der Götter trug den Namen SUHUR.MAS (»Suhur« Wahrnehmungsorgane entstanden. Der Moment des Zu- bedeutet Ziege, »Mas« Fisch). Die Hörner des Ziegenfisches sammentreffens von Wiederentdecken und »Jetzt sehe ich gehen als erstes auf, der Fischschwanz geht als letzter unter. erziehungskunst Juli/August | 2018
05_06_07_08_09_10_11_12_13_EK0708_2018.qxp_EK 11.06.18 15:09 Seite 7 THEMA: KOSMOS 7 Der Anblick zeigt, ob er steigt oder sinkt und sogar auch in Abb. 1 welche Richtung das Sternbild sich bewegt. Die Babylonier schauten am Ende der Nacht, welches Sternbild untergeht und welches sichtbar wurde. Ihre Bilder sind insbesondere beim Aufgehen schön und stimmig. Die Altgriechen haben spätestens 430 v. Chr. den Ziegen- fisch von den Babyloniern übernommen. Sie nannten ihn Aigo-keros – »Ziegen-Horn«. Der lateinische Name lautet capri-cornus. Mars flammt im Steinbock auf Mars machte sich im Frühling auf den Weg, die ganze Nacht über im größten Glanz zu leuchten. Bei zunehmender Helligkeit bekommt sein Licht einen anderen Farbton, es wird orange. 2018 wird er so hell, dass sein Licht am klaren dunklen Nachthimmel gelborange ist. Kein anderer Planet zeigt so viele Farbnuancen. In der Nacht vom 27. auf den Abb. 2 28. Juli erreicht Mars um Mitternacht die höchste Stelle seines Himmelsbogens und leuchtet im größten Glanz. Er steht der Sonne gegenüber, dann kommt für die Stern- freunde alles Gute zusammen. Je südlicher man sich nun befindet, umso früher geht die Juli-Sonne unter und umso früher haben Steinbock und Mars ihren Aufgang am südöstlichen Himmel. Und je näher zum Äquator, desto kürzer dauert die Abenddämme- rung. Der Anblick vom Mars verwandelt sich bei Einbruch der Dunkelheit rascher von einem Lichtpünktchen am blauen Himmel zum großen und hohen Herrscher der Ster- nenwelt. Steinbock und Mars steigen schräger, schneller und auch länger empor als in den nördlicheren Gebieten. Sie leuchten um Mitternacht viel höher. › Abb. 1: Der Moment nach der Verfinsterung, wenn Vollmond und Mars beide im Süden auf der höchsten Stelle ihrer Himmelsbögen stehen. Abb. 2: Der babylonische Ziegenfisch, unser Steinbock Juli/August | 2018 erziehungskunst
05_06_07_08_09_10_11_12_13_EK0708_2018.qxp_EK 11.06.18 15:10 Seite 8 › Der verfinsterte Vollmond Am Mars-Oppositionstag findet noch etwas statt: Der Mond übergehen. Nur in den Stunden, in denen der Mond total zieht weit nördlich an ihm vorbei. Er tritt in Opposition zur verfinstert ist, leuchtet Mars am schwarzen (!) Himmel be- Sonne und wird zum Vollmond. Der Schein des Vollmon- sonders! Eine rostbraune Scheibe in einem intensiven gelb- des erhellt die Umgebung und die Sterne und Planeten ver- orangen Licht – ein seltenes und dramatisches Schauspiel, blassen. Gerade wenn Mars seinen größten Glanz in 15 das am 27. Juli abends stattfindet.‹› Jahren erreicht, wird er im Mondenschein verblassen. Der Vollmond wird jedoch am 27. Juli ab 20.24 Uhr immer Zur Autorin: Liesbeth Bisterbosch studierte Ernährungswissen- mehr verfinstert und geht etwa eine halbe Stunde später schaft und begegnete der Himmelskunde am Emerson College in unsichtbar auf. Die totale Finsternis dauert von 21.30 bis England; sie schloss ein naturwissenschaftliches Studienjahr am 23.14 Uhr (MESZ). Während der Abenddämmerung stei- Goetheanum an und wurde Lehrerin für Himmelskunde und gen der (teilweise) verfinsterte Mond und Mars gemeinsam Chemie an der Waldorfschule. Heute ist sie freiberuflich tätig und gibt den jährlich erscheinenden Sternen- und Planetenkalender empor. heraus (Verlag Urachhaus). www.liesbethbisterbosch.org Der Vollmond kann in bestimmten Zeiten aussehen wie eine dunkle rostbraune Scheibe und in anderen Zeiten Literatur: L. Bisterbosch: Himmelskunde mit geschichtlichen Betrach- leuchten wie ein Kugel mit kupferroten, orangen, gelben tungen über Namen und Gestalten der Sternbilder, Pädagogische und zartroten Farben, die subtil und fließend ineinander Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen, Kassel 2005 erziehungskunst Juli/August | 2018 Foto: colourbox.de
05_06_07_08_09_10_11_12_13_EK0708_2018.qxp_EK 11.06.18 15:10 Seite 9 THEMA: KOSMOS 9 Warum Astronomie in der 11. Klasse ? von Hans Ulrich Schmutz Lebenskunde soll aller Unterricht in den oberen Klassen sein – das ist eine immer wieder aufgestellte Forderung Rudolf Steiners. Welche lebenskundliche Bedeutung hat die Astronomie für den Elftklässler? In einem Fortbildungskurs für die Lehrer der ersten Wal- von innen (siehe Menschenfigur im Zentrum der Darstel- dorfschule in Stuttgart 1921 führt Steiner aus, dass ein lung) nach außen beobachtend im Weltall die Zusammen- Verständnis der embryologischen Vorgänge oder des Lebens hänge erfasst. Diese Selbstbeobachtung ist ein wichtiger einer Zelle nur zu erreichen sei, wenn ein Bezug zur Astro- Schritt in der Entwicklung des Selbstbewusstseins und des nomie hergestellt werde. Und umgekehrt seien die biologi- Standortbewusstseins. Der Schüler beginnt, sich beim Un- schen Vorgänge ohne die Beziehung zur Astronomie nicht tersuchen der Welt als Beobachter zu beobachten! Darum zu entschlüsseln. Wie kann das gemeint sein? ist es fatal, wenn in vermeintlicher Modernität das abstrakte Die Himmelsbewegungen zeigen rhythmische Abläufe, die Modell des kopernikanischen Weltbildes zur Erklärung der immer wieder durch Einflüsse von Kometenereignissen ver- Himmelsbewegungen verwendet wird. ändert werden. Somit gibt es keine exakte mathematische Wie in Abbildung 2 (siehe S.10) dargestellt, müsste der Schü- Berechenbarkeit der Himmelsbewegungen. Diese Tatsache ler entsprechend der vorgängig beschriebenen Übung sich ergibt die Möglichkeit, dass das Himmelsgeschehen sich von außen betrachten, wie er von der Erde aus den Him- entwickeln kann. Rhythmus und Entwicklung sind zentrale mel beobachtet. Dann könnte er die auf der Erde wirklich Merkmale des Lebens. Sowohl in Lebensvorgängen wie gemachten Beobachtungen mit dem Gesamtzusammen- auch im Sonnen- und Fixsternsystem findet man charakte- hang verbinden. Was aber bedeuten würde, dass er sich er- ristisch vergleichbare Bewegungsbeziehungen, die rhyth- leben müsste, wie er – auf dem eingezeichneten Rechteck misch und veränderbar ablaufen. als Standort in Abb. 2 – quasi taumelnd um die schiefge- stellte Erdachse täglich einmal rundherum bewegt und zu- Das geozentrische Weltbild in homozentrischer sätzlich einmal im Jahr um die Sonne gedreht wird! Dies ist Betrachtung eine Überforderung. Folge davon ist, dass der Schüler das kopernikanische Modell als von sich getrennt, als etwas Bevor aber Wechselbezüge denkend hergestellt werden Abstraktes erlebt und damit die Astronomie rein intellek- können, müssen die Himmelsbewegungen als solche ken- tuell, wissensmäßig lernt. nengelernt und bedacht werden. Dies geschieht auch noch Zu Kopernikus muss man natürlich im Verlauf der Epoche in einer 11. Klasse am besten so, dass man, auf der Erde ste- vordringen. Eine wissenschaftsgeschichtliche Betrachtung hend, die laufende Veränderung der Stellung von Sonne, kann aufzeigen, wie Kopernikus zu der heliozentrischen Dar- Mond und Planeten zu den Fixsternen beobachtet und be- stellung kam. Er hatte das Ziel, rechnerisch den päpstlichen denkt. Abbildung 1 (siehe S.10) zeigt die Aufzeichnungen Auftrag der Kalenderreform zu lösen. Er hatte zunächst ver- der über Tag und das Jahr aufsummierten Beobachtungs- sucht, mit dem ptolemäischen, also geozentrischen Weltbild ergebnisse. Da kann etwas Bedeutungsvolles bemerkt wer- und den ihm zur Verfügung stehenden Beobachtungsdaten den: Der Elftklässler schaut sich von weit außen zu, wie er ans Ziel zu kommen. Der Rechenaufwand war aber so groß, › Juli/August | 2018 erziehungskunst
Abb. 1: Geozentrische Betrachtung des täglichen und jähr- lichen Sonnenlaufs mit Tierkreis und Ekliptik. Es ist von weit außen zeichnerisch dargestellt, was der Himmelsbetrachter von innen nach außen gewendet sieht. Die Tierkreislage, aus graphischen Gründen aus der Himmelskugel herausgezogen, ist für den 21.3. um 18 Uhr gezeichnet. Die Jahresbahn der Sonne (als Ekliptik mit dicker Linie gezeichnet), wurde zeich- nerisch entwickelt, indem der Stand der Sonne von Monat zu Monat jeweils um 18 Uhr astronomische Zeit eingetragen wurde. Die Normale zur Ekliptik-Ebene (Lot der Ekliptik) umläuft täglich und jährlich einen Kegelmantel mit 23,5 Grad Öffnungswinkel. P = Polarstern, KS = Kreuz des Südens, Z = Zenit. Abb. 2: Die nicht maßstäbliche heliozentrische Erdbewegung von einem Standpunkt weit außen im Weltall betrachtet. Man beachte besonders das tägliche und jährliche Pendeln des Horizontes des Betrachters auf der Erde, mit Standort 47 Grad nördlicher Breite. Die Zahlenangaben an den als Rechtecken gezeichneten Horizonten geben den Winkel an, welcher zwischen dem Horizont und der als fix vorzustellenden Ekliptik gemessen wird. Die Stundenzeiten sind die gerundeten Auf- und Untergangszeiten der Sonne für 47 Grad nördliche Breite. Abb. 1 und 2 aus H.U. Schmutz: Erdkunde in der 9. bis 12. Klasse an Waldorfschulen. 7. Kap. Eine Gesamtkonzeption, Stuttgart 2001
THEMA: KOSMOS 11 Die kosmischen Rhythmen geben Anregungen, die von der Erde wie einem Organ innerhalb eines himmlischen Organismus aufgegriffen werden. › dass er nicht genügend Lebensjahre zur Lösung der Aufgabe weg von der Erde steht. Die Ausprägung der Ellipsengestalt zur Verfügung gehabt hätte. So bildete er rein vorstellungs- variiert nun auch in einem Rhythmus. Alle 100.000 Jahre mäßig ein himmelsmechanisches Modell, in dem der Re- etwa zeigt die Ellipse den Wechsel von fast kreisförmig zu chenaufwand bedeutend kleiner war. Da er wusste, dass diese deutlich ellipsenförmig. Konstruktion gegen die kirchliche Weltanschauung gerich- Diese drei Rhythmen bewirken in ihrer gegenseitigen Über- tet war, ließ er erst, als er auf dem Totenbett lag, sein Rechen- lagerung auf der Erde rhythmische Schwankungen der jah- resultat dem Papst überreichen. reszeitlich sich ändernden Sonneneinstrahlung. Rechnerisch resultieren Rhythmen von 21.000 Jahren und 105.000 Jah- Astronomie und Eiszeitzyklen ren. Das bedeutet, dass während Jahrtausenden auf kühle Sommer milde Winter folgen. Dann wieder sind einige Tau- Die Schüler lernen im Verlauf der Epoche verschiedene send Jahre lang heiße Sommer mit kalten Wintern gepaart. Rhythmen kennen. Beispielsweise entsteht aus der Bespre- In dieser Zeitperiode bekommen die Gletscher den Impuls, chung der drei von Kopernikus postulierten Bewegungen zu schmelzen, während in der erstgenannten Periode eine das platonische Weltenjahr. Die dritte kopernikanische Be- Eiszunahme zu erwarten ist. wegung, die Drehung der Erdachse auf einem Kegelmantel Wenn man nun meint, diese von Milankovic´ schon 1920 pos- in einem Jahr, unterscheidet sich – nebst dem umgekehr- tulierten Rhythmen seien die Ursachen der Eiszeiten und ten Umlaufsinn – um ganz wenig von der auch jährlichen Warmzeiten, dann hat man sich getäuscht. Es handelt sich Umlaufzeit der Erde um die Sonne in der zweiten koperni- hier nicht um eine Ursache, die zu einer bestimmten Wir- kanischen Bewegung. Diese zwei gegenläufigen Bewegun- kung führen muss, sondern um einen Anregungsimpuls. gen gleichen sich nach 25.920 Jahren wieder aus. Das nennt Wenn weitere günstige Bedingungen auf der Erde da waren, man das platonische Weltenjahr. Ein weiterer Rhythmus ist entstand eine Eiszeit, wenn nicht, blieb sie aus. Begünsti- die Veränderung der Öffnung des Kegelwinkels bei der oben gende Erdbedingungen für eine Eiszeitbildung waren bei- genannten Kegelmanteldrehung. Dieser Winkel variiert zwi- spielsweise die Hebung des Hochplateaus von Tibet, die schen 22,1 und 24,5 Grad in rund 41.000 Jahren. Zeiten mit Vitalität des Planktons in den Weltmeeren in Verbindung mit großem Winkel bedeuten extremere Jahreszeitenunter- der Absenkung des atmosphärischen Kohlendioxidgehaltes, schiede. Wie schon durch Ptolemäus bekannt geworden und die Umstellung der Meeresströmungen, die vorübergehend durch Kepler mathematisch formuliert, ist die Bewegungs- zur verstärkten Einlagerung von Kohlendioxid in die Tiefsee- beziehung zwischen Erde und Sonne nicht kreisartig, son- böden führte, oder die Bildung einer Landbrücke zwischen dern ellipsenförmig. Dies bedeutet, dass im halbjährlichen Nord- und Südamerika. Die kosmischen Rhythmen geben Wechsel die Sonne einmal näher und dann wieder weiter also Anregungen, die von der Erde in ihren Konstellationen › Juli/August | 2018 erziehungskunst
Die Erde verändert ihr Aussehen in einem Rhythmus von 230 Millionen Jahren: Zwischen einem Einheits- kontinent mit einem Weltmeer und vielen Kontinenten mit vielen Meeren pendelt sie hin und her. › und mit ihren Lebensprozessen wie einem Organ innerhalb eines übergeordneten Organismus – hier dem Kosmos – auf- gegriffen werden können, aber nicht müssen. An diesem Bei- spiel kann der Schüler den Unterschied zwischen der Ursache-Wirkung-Folge im Leblosen und der im Lebendigen herrschenden befördernden oder behindernden Bedingung denken lernen. Die Besprechung der Eiszeitzyklen bekommt erst in der 12. Klasse ihre tiefere Bedeutung, wenn bespro- chen wird, wie durch den mehrfachen Wechsel von Warm- und Kaltzeiten die Bedingungen für eine immer wieder er- frischende Weiterentwicklung des Lebens entstanden. Aus dem mehrfachen Wechsel von Schwund und Wachs- tum der Gletscher heraus wurden die weitläufigen Wande- rungsbewegungen der Pflanzen, Tiere und nicht zuletzt auch der Vorläufer des Homo Sapiens impulsiert. Diese Kli- bale Erdtemperatur mazyklen beförderten die Erscheinung der modernen Tier- um mehr als 1,7 Grad und Pflanzenwelt. Dazu kam die für den Menschen be- angestiegen und der atmo- deutsame Umbildung des Landschaftsreliefs, aufgrund des- sphärische Kohlendioxidgehalt sen er die Kultivierung dazusetzte. wurde zur Hauptsache durch Verbren- nung von Kohle, Öl und Gas im selben Zeit- Sachgerechte Urteilsbildung raum auf 400 ppm erhöht. Nach gut abgesicherten Abschätzungen der Klimaforschung kann die Temperatur in Im Wechsel der Eiszeitzyklen innerhalb der letzten zwei Mil- den nächsten 100 Jahren um minimal zwei Grad oder bei lionen Jahre schwankte die mittlere Jahrestemperatur nur weltweit weiter steigender Verbrennung von Öl, Gas und um 4 bis 5 Grad und begleitend variierte der atmosphärische Kohle sogar um mehr als vier Grad ansteigen. Kohlendioxidgehalt zwischen 180 ppm (Millionstel Teile) und Wenn die Prognosen einträfen, hieße dies, dass die Tem- 290 ppm. Bezogen auf die oben besprochenen kosmischen peraturveränderung um vier bis sechs Grad im Vergleich Rhythmen sollte die nun schon mehr als 11.000 Jahre lang zu den Ereignissen der letzten Eiszeitzyklen auf die ver- währende Warmperiode langsam wieder von rund 15 Grad kehrte Seite und in einer nie dagewesenen Geschwindig- auf 11 Grad abklingen und einer nächsten Kaltperiode Platz keit ablaufen würde. Die industrialisierte Menschheit mit machen. Eine solche Abkühlung setzte im ausgehenden ihrer heutigen technologischen Praxis ist also in der Lage, Mittelalter langsam ein und führte zur sogenannten kleinen das Gleichgewicht der kosmischen Rhythmen in Bezie- Eiszeit, die nach Beginn des industriellen Zeitalters um 1850 hung zu den natürlichen Erdenverhältnissen in doppeltem wieder abklang. In den nachfolgenden 150 Jahren ist die glo- Maße zu stören: durch Temperaturumkehr und durch erziehungskunst Juli/August | 2018
THEMA: KOSMOS 13 wie die Bewegung der Kontinente auf der Erde im Lauf der Erdgeschichte gelenkt sei durch Kräfte der Fixsterne. Damals war durch Alfred Wegener die Idee der Wanderung der Kon- tinente ganz frisch zur Debatte gestellt worden. Wegener wurde aber von der Fachwelt total abgelehnt. Fast 100 Jahre später ist es dank umfangreicher Forschungsresultate mög- lich, die gegenseitige Lage der Kontinente und Form sowie die Größe der Ozeane bis in die weite geologische Vergangenheit zu rekonstruieren. Es entsteht das Bild, dass das Antlitz der Erde mehrfach in einem Rhythmus von etwa 230 Millionen Jahren wechselte von einem Getrenntsein der vielen Konti- nente mit vielen Ozeanen dazwischen, hin zu einem Ein- heitskontinent mit einem einzigen Ozean. Und diesen massive Beschleuni- Rhythmus von 230 Millionen Jahren kennt auch der Astro- gung der Veränderung. nom. Es handelt sich um die Umlaufzeit der Eigendrehung Ein gediegen gestalteter der Milchstraßengalaxie um ihren Zentralpunkt. Unterricht in Astronomie kann Natürlich ist mit diesem Hinweis noch nicht die Möglichkeit eine wichtige Grundlage abgeben vorhanden, dem Gestaltungswunsch Steiners für die 12. für eine sachgerechte Urteilsbildung in Klasse nachzukommen. Es steht die Aufgabe vor uns, eine der hochpolitisierten Auseinandersetzung um die große Forschungsaufgabe zu leisten. Aber die Richtung ist ge- Veränderung des Klimas. geben: Irdisch-kosmische Beziehungen zu erforschen mittels der Zusammenführung der modernen Naturwissenschaft mit Eine große Forschungsaufgabe der Geisteswissenschaft, deren Grund Steiner gelegt hat. ‹› Als vier Jahre nach der Gründung der ersten Waldorfschule in Stuttgart durch staatlichen Druck die Einführung des Abi- Zum Autor: Hans-Ulrich Schmutz, Geologe, ehemaliger Oberstufen- turs am Ende der 12. Klasse notwendig wurde, entstand das lehrer für Erdkunde und Technologie an der Rudolf-Steiner-Schule Problem der intellektuellen Verschulung und damit in der Wetzikon. Heute tätig in der Lehrerbildung und in der Forschung. 12. Klasse der Zwang der Verleugnung des Waldorfschul- Literatur: R. Steiner: Das Verhältnis der verschiedenen naturwissen- Prinzips (Konferenz vom 25.4.1923). schaftlichen Gebiete zur Astronomie. Dritter naturwissenschaftlicher In dieser Lehrerkonferenz entwickelte Steiner Gesichtspunkte Kurs: Himmelskunde in Beziehung zum Menschen und zur einer Unterrichtsgestaltung ohne Abitur. Er zeigte das am Bei- Menschenkunde, 1.-18. Januar 1921, (GA 323), Dornach 1983; spiel des Geographieunterrichts der 12. Klasse auf: Es wäre R. Steiner: Konferenzen mit den Lehrern der Freien Waldorfschule sehr schön, so führte er aus, mit den Schülern zu behandeln, in Stuttgart; 1919 bis 1924, 3 Bände, GA300a-c, Dornach, 41993 Foto: ©1xpert/stock.adobe.com Juli/August | 2018 erziehungskunst
14_15_16_17_18_19_20_21_EK0708_2018.qxp_EK 11.06.18 15:10 Seite 14 Kosmos und Kultur Wie das eine aus dem anderen hervorgeht von Albrecht Hüttig Hat der Kosmos für die gegenwärtige Kultur eine Bedeu- veränderung hat bewirkt, dass der Blick für die ökologischen tung? Diese Frage stellt insofern eine Vereinfachung dar, Bedingungen geweitet wurde. Somit macht sich ein Be- als die gegenwärtige Kultur ein globaler Plural ist. In west- wusstsein dafür bemerkbar, dass natürlich auch die Erde in lich orientierten Kulturen spielt der Kosmos eine unterge- einem kosmisch-ökologischen Zusammenhang steht, der ordnete Rolle. Interessant ist die – astronomisch gesehen – über das Sonnensystem hinausreicht. Sie isoliert begreifen unmittelbare Erdumgebung. Sie dient technischen und mi- zu wollen, ist ein Irrweg. Was dem Kosmos an aktueller Kul- litärischen Interessen für Satelliten zur Datenübertragung turprägung zugeordnet werden kann, sind ansonsten reli- oder GPS, für das Weltraumteleskop Hubble und Welt- giöse Jahresfeste, die jedoch die Kultur nur noch bedingt raumstationen. prägen. Schlagzeilen liefern Mitteilungen, es seien Gravitationswel- Nimmt man eine historische Perspektive ein, so kann un- len gemessen oder eine Supernova gesichtet worden – ver- sere Gegenwart als Ausnahme bezeichnet werden – das bunden mit den gängigen Erklärungsmodellen. Die Klima- zeigt ein Blick auf die Phänomene vergangener Kulturen. erziehungskunst Juli/August | 2018
14_15_16_17_18_19_20_21_EK0708_2018.qxp_EK 11.06.18 15:10 Seite 15 THEMA: KOSMOS 15 häufig der Bestimmung des richtigen Zeitpunkts für Kulte, damit göttliches und menschliches Handeln in Harmonie vonstatten gehen. Äußerlich gesehen finden wir dann sehr exakte Zeitanga- ben für die Revolutionen der Gestirne inklusive der Sonne mit ihrer zentralen Kulturbedeutung. Kein Planet soll in seiner physikalisch-mathematisch erklärbaren Bewegung erkannt werden, sondern die Bewegungsgesetzmäßigkeit der Gottheiten, mit denen existenzielle Wechselbeziehun- gen bestehen. Der aztekische Opferkult – Xiumolpili – erfolgt, wenn exakt vier mal 13 Jahre vergangen sind. Diese Zeit ergibt sich aus den Bewegungsverhältnissen der Himmelskörper, also Gottheiten Erde, Venus und Sonne: fünf synodische Ve- nusrevolutionen entsprechen exakt acht siderischen Son- nenrevolutionen, geozentrisch betrachtet. Dass es genau ausgerichtete Observatorien und eine ausgeprägte Ver- schriftlichung der astronomischen Zeitmessungen in die- ser Kultur gab, wird nicht verwundern. Sternbilder wie der Orion werden von unterschiedlichen Kulturen, die keine materielle Verbindung aufweisen, auf- grund des jeweiligen Mythos als Einheit gesehen –, und es Göttliches und menschliches Handeln sind eins gibt Varianten für die Sternbilder des Zodiak (Tierkreises), wobei die Unterschiede zwischen den uns geläufigen und Sobald wir Hochkulturen betrachten, ergibt sich eine radi- denen des alten China am bekanntesten sind. Man mag das kal andere Wechselbeziehung: Der Kosmos gestaltet die als Zufall bezeichnen, weil einem heute der Zusammen- Kultur – sichtbar an archäologischen Sakralbauten Mittel- hang der Sterne mit einem Sternbild willkürlich erscheint. amerikas, Mesopotamiens oder Ägyptens, an Kultanlagen Für die alten Kulturen ist diese Sichtweise falsch, denn für der Megalith-Epoche in Europa, an der Ausrichtung von sie manifestiert sich der Mythos auch am Sternenhimmel. Tempeln, was dann auch Synagogen oder Kirchen betrifft. Die Position der Sonne und der anderen Planeten im Zo- Der Mensch ist eingebettet in die Natur, in die Erde und diak bedingt eine spezifische Wechselbeziehung bei der Ge- den Kosmos, die alle als Gottheiten verstanden werden. As- burtsstunde jedes Menschen. Von dieser Erfahrung alter tronomie zu betreiben, wie das bei den Mayas, Azteken, Kulturen ist eine trivialisierte Astrologie mit rein hypotheti- Chinesen oder in Hochkulturen Europas der Fall war, dient schen Aussagen übriggeblieben. › Foto: obeyleesin/photocase.de Juli/August | 2018 erziehungskunst
14_15_16_17_18_19_20_21_EK0708_2018.qxp_EK 11.06.18 15:10 Seite 16 16 THEMA: KOSMOS Ohne Kosmos kann es für dieses Kulturbewusstsein weder den Menschen noch die Erde geben. Der Mensch ist aus dem Kosmos und durch ihn entstanden, gleichzeitig ist er ein Zentrum, das die kosmischen Wirkungen in sich konzentriert. › Wissenschaft und Religion widersprechen sich nicht ist aus dem Kosmos und durch ihn entstanden, gleichzeitig ist er ein Zentrum, das die kosmischen Wirkungen in sich In der griechischen Epoche entsteht die Philosophie als ein konzentriert. Jeder Planet ist sowohl am Himmel als auch neues Kulturphänomen mit weitreichenden Folgen – der im Menschen anwesend. In Reinform haben wir es mit der Beginn wissenschaftlichen Denkens in Europa. Für die As- Wechselbeziehung von Makrokosmos und Mikrokosmos zu tronomie sei auf Eratosthenes verwiesen, der den Erdum- tun. In allen mittelalterlichen Bildungseinrichtungen wer- fang anhand exakt vermessener Schattenwinkel errechnete. den neuplatonische Schriften studiert und gelegentlich auch Jetzt geht es um das Durchschauen der Welt – Religion al- kommentiert. Astronomie ist ein Lehrfach im Quadrivium lein reicht nicht mehr, aber die Spiritualität bleibt erhalten. der Universitäten. Schauen wir in die Renaissance, so fin- In der neuplatonischen Philosophie wirkt Macrobius’ Werk den wir auch da einen ausgeprägten Platonismus, der nicht »Commentarii in Somnium Scipionis« von der Spätantike als Widerspruch zum Christentum aufgefasst wird. über das Mittelalter bis in die Neuzeit. Dass die Erde eine Johannes Kepler ist hier zu nennen. Die Suche nach den von Kugel ist, wird nie bestritten. ihm entdeckten Gesetzen entspringt seiner Motivation, die Die Gravitation sorgt als auf den Erdmittelpunkt gerichtete göttliche Wirkungsweise geistig zu begreifen: Exakte Beob- Kraft dafür, dass es »Gegenfüßler« (»Antipoden« geben achtung unter Verwendung aller greifbaren Daten seiner kann) – unsere Antipoden befinden sich in Neuseeland. Im Vorgänger und die unentwegte Suche nach den geistigen von der Weltseele durchdrungenen Kosmos ist die Erde ein- Ideen, die dem Kosmos zugrunde liegen, führen ihn. Der gebettet und mit ihr der irdische Mensch. Schöpfungsgrund ist für Kepler eine lebendige Geometrie. Macrobius überliefert, wie jeder Mensch den Weg von sei- Deren Archetypus ist Teil des göttlichen Ursprungs. Der nem individuellen Stern durch die Galaxie, den Tierkreis Kosmos, genauer: das kopernikanische Sonnensystem, ist und dann durch die Planetensphären bis zu seiner Geburt ein Bild für die Trinität: Die Sonne entspricht dem Vater; die auf der Erde nimmt. In jeder Planetensphäre erhält er des- Peripherie jenseits der Planetenbahnen Christus, der erfüllte sen spezifische Qualität: die Logik vom Saturn, die Tatkraft Raum zwischen Zentrum und Peripherie dem Heiligen vom Jupiter, psychische Fähigkeiten des Männlichen vom Geist, neuplatonisch die Weltseele (Anima Mundi). Es gibt Mars, die Wahrnehmungsfähigkeit von der Sonne, psy- bei Kepler keinen Widerspruch zwischen Religion und Wis- chische Fähigkeiten des Weiblichen von der Venus, die senschaft, ebensowenig wie bei Giordano Bruno. Diesen ver- Sprachfähigkeit vom Merkur, das Wachstum und die Fort- brennt die katholische Kirche, weil seine Anschauungen pflanzung vom Mond und den materiellen Körper, der ihn über die Unendlichkeit des Kosmos, über Gott und den ihn zu einem sterblichen Wesen macht, von der Erde. Wie sich suchenden Menschen weit über die Vorstellungsgrenze der der Mensch reinkarnieren wird, hängt von seiner vorge- damaligen katholischen Kirche hinausgehen. Galileo Galilei burtlichen Wahl aus vorherigen Inkarnationen ab. Was zeigt ist ein weiteres Opfer kirchlicher Repression. sich hier? Ohne Kosmos kann es für dieses Kulturbewusst- Isaac Newton kann seine Forschungen ungestört in England sein weder den Menschen noch die Erde geben. Der Mensch betreiben – auch er ein tiefreligiöser Mensch und bahnbre- erziehungskunst Juli/August | 2018
THEMA: KOSMOS 17 Im Zeichen Wolfgang Held des Tierkreises Leben mit den Sternen im Verlag Freies Geistesleben Wolfgang Held chender Wissenschaftler in den Bereichen der Differenzialrechnung, der Gravita- Im Zeichen des Tierkreises tionswirkung, der absoluten mathematischen Bestimmung von Raum und Zeit, Leben mit den Sternen. falter 46 | 172 Seiten, mit s/w-Fotos deren Messbarkeit nur relativ ist. und Abb., Leinen mit Schutzumschlag € 18,– (D) | ISBN 978-3-7725-2546-9 auch als eBook erhältlich Mensch und Kosmos werden mechanisch www.geistesleben.com Was passiert in der Kulturentwicklung, wenn Wissenschaftler von der zum Macht- faktor gewordenen Religion ausgeschaltet oder massiv eingeschränkt werden? Was uns die Sterne erzählen Die Wissenschaft ordnet sich nicht in den engen Radius der katholisch definier- ten Religion ein und kommt ohne die darin konservierte Gottesvorstellung aus. Re- ligion und Wissenschaft trennen sich – eine Weichenstellung hin zum Sie geben jedem Monat ihre geistige Materialismus, der seinen Höhepunkt im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Prägung – die Tierkreiszeichen. Jahrhundert findet. Diese Kultur begreift den Kosmos konsequent mechanistisch, Wenn etwa im Frühling die Sonne im den Menschen ebenso, was seinen Niederschlag im Imperialismus und Sozial- Widder emporstürmt oder sie sich darwinismus findet. Zugleich manifestieren sich Gegenbewegungen im gleichen im Löwen nach ihrer Gipfelstellung Kulturraum. selbst feiert, geschieht anderes am Rudolf Steiner verweist bei der Begründung der biologisch-dynamischen Land- Firmament – und in uns. wirtschaft auf die Wechselwirkung der organischen Vorgänge mit dem Kosmos. Welche Qualitäten in den zwölf Tier- Einstein beseitigt mit seinen kühnen Betrachtungen die Sicherheit, es gebe Raum kreiszeichen zum Ausdruck kommen und Zeit absolut, denn sie gehören zusammen und sind nicht voneinander abs- und welche Geschichten wiederum trahierbare Größen. Die Relativitätstheorie wird durch astronomische Messungen die zwölf Tierkreisbilder als Lichter- bestätigt: Der gemessene Abstand der Sterne verändert sich in der Umgebung der scheinung am Himmel und in der Sonne bei totaler Sonnenfinsternis; die festgestellten Perihelbewegungen der Pla- Mythologie zu erzählen haben, neten stimmen mit klassischen Berechnungen nicht überein, denn der Raum das beschreibt Wolfgang Held in kann sich »krümmen«. seinem Buch und bringt dabei die Der Blick in die Geheimnisse der Materie eröffnet mit der Quantentheorie bis fernen Sterne nah ins Leben. dahin unbegreifliche Phänomene – ihr maßgeblicher Vertreter, Werner Heisen- berg, ist zutiefst von Kepler und Goethe beeindruckt. Deren ganzheitlicher Be- Was uns die fernen Sterne trachtungsweise und wissenschaftlicher Haltung schreibt er Schlüsselstellungen bedeuten können – das erzählt für die neue Ära der Wissenschaften zu. Wolfgang Pauli verglich die Spektren che- mischer Elemente mit der Sphärenharmonie – einem Forschungsgebiet Keplers. Wolfgang Held anregend nah Für den ebenfalls revolutionären Akt, das Fenster zum Kosmos unvorstellbar weit und kenntnisreich. geöffnet zu haben, kann Edwin Hubble stehen. Seine Methode ermöglichte, über › Juli/August | 2018 erziehungskunst Freies Geistesleben
18 THEMA: KOSMOS › die eine und uns visuell bekannte Galaxie hinaus unzählige Galaxien photographisch sichtbar zu machen. Er unter- suchte diese Galaxien spektralanalytisch und stellte zu sei- nem Erstaunen fest, dass sich das Spektrum eines bekannten chemischen Elementes wie zum Beispiel Helium in den langwelligen Bereich (Rot) verschob. Aus der An- nahme, die Rotverschiebung sei gleichzusetzen mit einer zunehmenden Entfernung der Galaxien voneinander, ergab sich linear gedacht, dass sich das Universum ausdehnen müsse. Also auch hier: kein absoluter Raum, sondern ein dynami- scher. Daraus hat sich dann das heute gängige Modell des »big bang« entwickelt. Heftig diskutiert, wie noch zu zeigen sein wird, spricht es dem Kosmos eine Geschichte zu. Auch er ist einmal entstanden und wird – je nach Modellannah- men – vergehen. Zeit, sich vom Reduktionismus zu verabschieden Dass mit solchen Sichtweisen der Kosmos aus unergründ- baren Anfangsmomenten und auch der Mensch quasi als Zufallsprodukt entstanden ist, hat zu Kontroversen geführt. In unserer Kultur ist daraus ein heftiger Kampf der Wissen- schaften entstanden. Denn es ist typisch, dass ein Modell, das aufgrund seiner linear-mechanistisch gedachten An- nahmen zu einer Erklärung führt, nach geringer Zeit sei- – Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption nen Modellcharakter verliert und dann fälschlicherweise als der Natur so gut wie sicher falsch ist«. – Die anschließenden reales Phänomen angesehen wird. Darwins Beobachtungen hitzigen Debatten waren beabsichtigt. waren dem gleichen Prozess unterworfen, an dessen Ende Der Astrophysiker Halton Arp hat bei seinen Galaxie-For- ein simplifiziertes Modell steht, das den Menschen zum hö- schungen Quasare einbezogen. Quasare sind Beinah- heren Säugetier erklärt – als ob das ausreichend wäre, um Sterne, also Sonnen, in einem besonderen radioaktiven den Menschen zu erfassen. Die Evolution ist viel komplexer. Zustand, die zu Galaxien gehören. Da sie eine enorme Rot- Thomas Nagel hat aus seiner Kritik an simplifizierenden Re- verschiebung aufweisen, die größer ist als diejenige der Ga- duktionismen einen Buchtitel gemacht: »Geist und Kosmos laxien selbst, zu denen sie gehören, interpretiert Arp die erziehungskunst Juli/August | 2018 Foto: n_toy/photocase.de
Rotverschiebung als Zeichen dafür, in welchem Maß Mate- bis zum Rang des kürzlich verstorbenen Stephen Hawking, rie entsteht. Stünde sie für Entfernungszunahme, dann er- der Theorien über Schwarze Löcher – ein hochinteressantes gäbe sich die paradoxe Situation, dass sich der Quasar mit Thema an sich – erstellte, würden sich in Hypothesen ver- einer wesentlich höheren Geschwindigkeit bewegen würde lieren und an reduktionistischen Modellen hängen, kriti- als die Galaxie, zu der er jedoch gehört. Arp ist mit seiner sierte Laughlin. Das gehe an der Realität vorbei. Deshalb hält Ansicht, die im Kosmos organische Qualitäten verortet, Laughlin nichts vom Modell des »big bang«. nicht durchgedrungen. Physiker, schreibt er, müssten bemerkt haben, dass Phäno- Ähnlich vehement ist der Nobelpreisträger Robert Laughlin mene gerade nicht aus ihren kleinsten Bestandteilen – der aufgetreten, und zwar aus dem gleichen Grund. Physiker atomaren Struktur – erklärbar seien, sondern vielmehr aus › Juli/August | 2018 erziehungskunst
20 THEMA: KOSMOS Das Bild des Kosmos unterliegt einem enormen kulturellen Wandel. In der Gegenwart überwiegt Kommen wir zum letzten Beispiel. Eine hypothetische Größe ist die bis heute nicht nachweisbare »Dunkle Mate- eine Haltung, die ihm rie« – sie wird deshalb als existent angenommen, weil die Rotationsbewegung von Galaxien ohne deren Hilfe nicht er- physikalische Relevanz klärbar ist. Grundlage ist die Annahme, die seit Newton gilt, dass sich die Gravitation konstant verhalte, das heißt, zwi- zuerkennt. Seine spirituelle schen zwei Körpern nimmt sie bei zunehmender Distanz mit dem Quadrat der Entfernung ab (r-2). Dimension hingegen Zur Zeit wird diskutiert, ob die Abnahme der Gravitation in bleibt latent. der großen kosmischen Raum-Zeit-Dimension auch linear verlaufen oder ein emergenter Quanteneffekt sein könnte. Auf die Lösungssuche darf man gespannt sein. Sie ist Aus- druck dafür, dass lineare Betrachtungsweisen an immer deutlichere Grenzen stoßen. › der Komplexität. Formen und Verhalten treten spontan und Der Kosmos ist – das zeigt sich an dieser Skizze – in den unprognostizierbar auf – Emergenz genannt –, und das verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlich bis konträr seien die realen Forschungsinhalte, behauptet Laughlin. Wir erfasst worden. Seine Bedeutung unterliegt einem enor- kennen diese Vorgänge aus der Meteorologie, aus der sich men kulturellen Wandel. In der Gegenwart überwiegt eine maßgeblich die Chaostheorie entwickelt hat: Das Wetter ist Haltung, die ihm physikalische Relevanz zuerkennt. Seine deswegen in einem nur sehr kurz bemessenen Zeitpunkt spirituelle Dimension hingegen bleibt latent. Der Dialog, vorhersagbar, weil es von unzähligen Faktoren abhängt, die die Wechselbeziehung zwischen beiden, darf intensiviert ineinander wirken. Mechanistische Methoden scheitern werden. ‹› auch hier. Sie tun es ebenfalls in der Astronomie. Nach den gleichen Messmethoden, aus deren Resultaten die Vertreter des »big bang« eine Expansion des Kosmos folgern – alles im Kos- Zum Autor: Dr. Albrecht Hüttig ist Dozent an der Freien Hoch- mos entfernt sich voneinander, der Raum expandiert – ist schule Stuttgart und im Vorstand der Internationalen Assoziation eine konträre Dynamik festgestellt worden. Zwischen unse- für Waldorfpädagogik in Mittel- und Osteuropa. rer Galaxie, der das Sonnensystem angehört, und der uns Literatur: W. Hutter, A. Preuß, A. Schad (Hrsg.): Astronomie. am nächsten befindlichen Galaxie, M31, wird der Abstand Aktuelle Perspektiven zur Himmelskunde und Kosmologie (Schriften kürzer. Nach dieser Berechnung oder Dateninterpretation des NMI), Baltmannsweiler 2017, darin u.a. A. Hüttig: Die wird es in einer Zeit, die astronomisch betrachtet über- gemeinsame Geschichte von Astronomie und Bewusstsein; schaubar ist (vier Milliarden Jahre), zu einer Durchdringung W. Hutter: Dynamische Verhältnisse im Kosmos, und A. Schad: beider Galaxien kommen. Auf der Suche nach dem Zentrum des Kosmos. erziehungskunst Juli/August | 2018
Wie klingt eigentlich ein JoghurtBecher? Jedem Objekt kann man unterschiedlichste Klänge entlocken. Workshops Auch einem Joghurtbecher! Ob leer oder voll – wie dieser genau Klanggeschichten – wonach klingt das? klingt, kann man leicht zuhause Ein Workshop zum kreativen Gestalten von Klanggeschichten ausprobieren. Weshalb uns jedoch Klassen 1–6, 120 Min, 60 €, für Willkommensklassen frei Klang so unmittelbar trifft, fordert und bewegt, das kann man nur in unserer Ausstellung [laut] Die Welt hören in Lebendes Archiv. Schüler erstellen ihr Lautarchiv der Humboldt-Box erleben. Klang ist Ein Workshop über Ethik und Klangtechnik flüchtig und löst tiefe Emotionen Sek I und II, 120 Min, 60 €, für Willkommensklassen frei aus. Er ist lebendiger Austausch. In der Ausstellung machen wir die Vom Mund zum Ohr Faszination von Klängen hörbar, Fünftägiger Ferienworkshop, bei dem Kinder und Jugendliche Klangtechniken geben Einblicke in die Entwicklung erlernen und Klangkollagen, Hörspiele oder Podcasts herstellen. von Aufnahmetechniken und gehen 9.7.–13.7.2018 und 13.8.–17.8.2018, jeweils Mo–Fr, 10–15 Uhr, der Frage des ethischen Umgangs mit 80 € pro Teilnehmer Lautarchiven nach. In Workshops und empfohlen für 11–15-Jährige, Anmeldung erforderlich Führungen für Schulklassen werden all diese Themen vertieft. Kinder und Buchung: Tel. +49 (0) 30-266 424242 (Mo–Fr, 9–16 Uhr) Jugendliche erlernen Techniken der oder service@smb.museum Tonaufzeichnung, diskutieren über Kulturen und ihre Klänge und erfahren Sie möchten weitere Informationen zum Vermittlungsprogramm zugleich, wie Archive mit ihren des Humboldt Forums erhalten? sensiblen Tonsammlungen umgehen. Schreiben Sie uns eine E-Mail: vermittlung@humboldtforum.com humboldtforum.com #diewelthören
22 THEMA: KOSMOS Krieg der Götter Die geheime Botschaft in »Star Wars« von Ingo Hoppe Wie entstand der Mythos »Star Wars«, das erfolgreichste Filmprojekt unserer Zeit? Seit vierzig Jahren zieht das Epos Kinder und Erwachsene in seinen Bann, in Form von Filmen, Comics und Games. Sogar als Religion ist »Jediismus« in manchen Ländern registriert. Warum diese beispiellose Faszination? Wer das Erfolgsgeheimnis der Weltraum-Saga entschlüs- nannten »Raphael-Kreis« und beteiligte sich kenntnisreich seln will, muss sich wie ihr Schöpfer George Lucas mit an der Diskussion anthroposophischer Themen. Gemäß Mythologie befassen, sagen Experten; denn Einfluss auf Aussagen des Waldorfpädagogen Douglas Gabriel wurde das sein Filmschaffen hatte vor allem Joseph Campbell, ein be- Drehbuch der ersten drei Filme (Episoden IV – VI) in den deutender Mythologe des 20. Jahrhunderts. Weniger be- 1970er Jahren ganz bewusst mittels der Anthroposophie ge- kannt ist, das auch Rudolf Steiners Anthroposophie Einfluss staltet; dies u.a. im Rahmen eines dreitägigen Thinktanks auf die Gestaltung von Star Wars hatte, wie neuere Enthül- auf Einladung von Marcia Lucas, der damaligen Frau von lungen nahelegen. George Lucas. Sie spielte eine bislang unterschätzte Rolle bei der Produktion der ersten Star Wars-Filme, wie biogra- Anthroposophie in Star Wars phische Studien zeigen. Gabriel zufolge hatte der bekannte Anthroposoph Werner Glas (1929-1991) den Thinktank ar- Zeugenaussagen zufolge pflegten George Lucas und einige rangiert (was kürzlich seine Tochter Fiona Glas bestätigte) nahstehende Kollegen zeitweise ernstliche Kontakte zur und mit den Worten eingeleitet: »Marcia ist vertraut mit der Waldorfschul-Bewegung und Anthroposophie. 1977 unter- Anthroposophie und der Arbeit Rudolf Steiners und braucht stützten sie die Highland Hall Waldorf School in Northridge unsere Hilfe für die Gestaltung des Drehbuchs.« Und sie mit einer Benefiz-Voraufführung des ersten Star Wars-Films hatte ergänzt, das Kino solle dazu benutzt werden, »dem Pu- Krieg der Sterne sowie 1978 die Marin Waldorf School durch blikum wichtige Botschaften zu vermitteln und eine spiri- mehrere Star Wars-Konzerte. Lucas selbst besuchte, laut Be- tuelle Geschichte zu erzählen, die eine gute Grundlage in richt einer Teilnehmerin, in den 1980er Jahren den soge- der Wahrheit hat«. erziehungskunst Juli/August | 2018
Der Todesstern – eine Welt aus lauter Maschinen, beherrscht von dem Maschinen- Gott Darth Vader, sehr ähnlich dem mythologi- schen Wesen Ahriman. Die Macht der Maschine spielt eine zentrale Rolle in Star Wars – dem »Mythos unserer Zeit«. Foto: Der Todesstern aus: Star Wars, Episode IV, Eine neue Hoffnung; ©1977/2006 Lucasfilm Ltd. & TM. Alle Rechte vorbehalten Dass es dabei vor allem um Anthroposophie geht, hat man passt insofern zur Anthroposophie, als auch sie eine zeitge- bisher weitgehend übersehen. Nur die NZZ schrieb 2015: mäße Wiedergeburt mythologischer Kultur (auf wissen- Um der »höheren, kosmischen Kraft« in Star Wars teilhaf- schaftlichem Niveau) sein will. Sie schuf mit Mythen tig zu werden »bedarf es der Disziplin und Anthroposophie, vergleichbare Werke wie die Mysteriendramen, zu denen Star wie sie nur ein kleiner Orden mustergültig verkörpert: die Wars etliche Parallelen zeigt, wenn man die unterschiedli- Jedi-Ritter«. Auch der Schriftsteller Frank Linde entdeckte chen Bilderwelten adäquat zu übersetzen versteht. Ähnlich 1994 Bezüge zwischen Star Wars und Anthroposophie. wie alte Mythen beschreibt auch die Anthroposophie das äu- ßere Geschehen als Ausdruck des Wirkens geistiger Wesen Der Mythos unserer Zeit und verwendet für tiefergehende Zusammenhänge eine imaginative Bildersprache. Wie antike Mythen versteht auch Es würde ein dickes Buch füllen, im Detail zu belegen, in- sie Planetennamen wie Jupiter, Venus oder Saturn zugleich wiefern Steiners spiritueller Kosmos in Lucas‘ virtuellem als Namen für Götter. Mythologisch betrachtet bedeutet Weltraumdrama enthalten ist. Einige Philosophen sind demnach »Krieg der Sterne« (Star Wars) dasselbe wie »Krieg schon auf einer heißen Spur. Sie bezeichnen Star Wars als der Götter«. Götter kämpfen gegeneinander, nicht Sterne den »Mythos unserer Zeit« (Philosophie Magazin 11/2015). als solche, die nur deren Wohnstätten sind. In Star Wars sind In Form moderner mythologischer Bilder werde hier das es übermenschliche Fantasy-Wesen wie Jabba the Hutt auf Drama der Gegenwart auf die Leinwand projiziert. Es han- dem heißen Wüstenplaneten »Tatooine« oder dessen Ge- delt sich folglich nicht um die bloße Reproduktion alter My- genpol Darth Vader auf dem kalten Maschinenplaneten then, sondern um die Schöpfung eines neuen Mythos. Das »Todesstern«. › Juli/August | 2018 erziehungskunst
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