Religion? Braucht Gemeinschaft - Evangelische Kirche in Niederösterreich

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Religion? Braucht Gemeinschaft - Evangelische Kirche in Niederösterreich
NR. 4/2020

                Braucht Gemeinschaft
                  Religion?    THEMA
                               THOMAS
                               SCHEIWILLER:
                               RELIGION UND
                               GESELLSCHAFT

                               FOCUS
                               ERWIN PRÖLL:
                               BRAUCHEN
                               MENSCHEN
                               RELIGION?

                               SCHAUPLATZ
                               HUBERT
                               GAISBAUER:
                               KUNST UND
                               RELIGION –
                               EINE
                               ENTFREMDUNG?

                               ANDERSWO
                               ADVENT UND
                               WEIHNACHTEN IN
© Needpix.com

                               DER SCHWEDISCHEN
                               KIRCHE IN WIEN
Religion? Braucht Gemeinschaft - Evangelische Kirche in Niederösterreich
E   D   I   T   O   R I   A   L

    ▶ unter uns …                                                 Liebe zu uns her­
                                                                  ab in die Niede­
                                                                  rungen menschli­
        Adventzeit – endlich Zeit, den Wunsch­                    chen Lebens, um
        zettel an das Christkind zu schreiben. Auf                uns nahe zu sein

                                                                                                                Foto: epd/ uschmann
        der Rückseite der Wunschzettel stehen                     und aufzurichten
        immer die heimlichen Wünsche, heißt                       zum Guten hin.
        es: wonach wir uns wirklich sehnen, was                   „Braucht Gesell­
        wir wirklich brauchen. Das, was einen in                  schaft Religion?‟
        der Früh zuversichtlich aufstehen und am                  – in den unter­
        Lebensabend zufrieden gehen lässt. Für                    schiedlichen Ru­
        mich ist das der Schatz, den Religion uns                 briken von superNews wird diese Frage
        schenkt: die Qualität von Leben – die Le­                 beleuchtet. Im thema theologisch von
        bensfreude – die Haltung mit dem Guten                    Thomas Scheiwiller, im focus im Gespräch
        zu rechnen.                                               mit Erwin Pröll, und in den standpunk­
        „Braucht Gesellschaft Religion?‟ So lau­                  ten von unseren superNews-­Redakteuren
        tet die vor Ihnen liegende Ausgabe von                    Ulrike Wüstenhagen und Erich Witzmann.
        superNews. Ich bin überzeugt, dass                        Nach „Kunst und Religion – eine Entfrem­
        unsere Gesellschaft, seien es Gläubige                    dung?‟ fragt weiters Hubert Gaisbauer, zu
        oder Atheisten oder gar Zweifler und Kri­                 lesen im schauplatz.
        tiker, den Wunsch nach dieser erfüllten                   Anderswo stimmt uns auf das vor uns
        Lebenshaltung hat.                                        liegende Weihnachtsfest mit Einblicken
        Das Gleichnis vom barmherzigen Sama­                      von „Lichterfesten, Weihnachtskobolden
        riter gibt mir diese Sicht. Einerseits die                und Knut‟ in der Schwedischen Kirche
        Handlung eines Menschen, der berührt                      Wien ein, der blick von außen zeigt das
        ist vom Jammer des anderen. Dem es                        Engagement der Mitarbeiter des Fonds
        nicht egal ist und der fragt, ob dieser                   Soziales Wien für obdachlose Menschen,
        nicht selber schuld an seinem Elend sei.                  gerade jetzt vor dem Weihnachtsfest in
        Andererseits die Bewegung, die Haltung,                   Zeiten der Pandemie. Und wie kann Weih­
        ohne die Nächstenliebe nicht möglich ist.                 nachten ohne religiösen Kontext gefeiert
        Der Samariter steigt vom Esel ab. Abstei­                 werden, das erzählt auch das noch.
        gen – Verzicht auf eigene Bedeutung und                   Auf der Rückseite meines Wunschzettels
        eigenen Anspruch. Herabbeugen vor lau­                    steht die Hoffnung, dass erfüllt bleibe die
        ter Liebe, denn nur von unten kann man                    Zusage:
        aufrichten. Daran werden wir Christen zu                  „Denn das Wort ward Fleisch und ­wohnte
        Weihnachten erinnert: Gott steigt in seiner               unter uns, und wir sahen seine Herr­
                                                                  lichkeit.‟
                                     FESTHALTEN AN DER            Im Namen der gesamten Redaktion wün­
                                          VON GOTT ANGE­
                                                                  sche ich ein gesegnetes Fest,
                                     BOTENEN HOFFNUNG
                                  „Diese haben wir als einen
                                   sicheren und festen Anker      Ihre/Eure
                                      unserer Seele, der auch
                                    hineinreicht bis in das In­                  Pfarrerin Birgit Lusche
                                  nere hinter dem Vorhang.‟
                                                Hebräer 6, 19
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S   U   P   E   R   I   N   T   E   N   D   E   N   T

▶ Der Wert unserer Arbeit
 Jahr für Jahr schrumpft unsere Kirche.        den Fußstapfen
 Prozentuell sogar schneller als unsere        des gekreuzigten
 römisch-katholische Schwesterkirche. Im       Messias gegan­
 vergangenen Jahr 2019 war es beson­           gen sind.‟ (Miro­
 ders schlimm. Die evangelische Kirche         slav Volf, A public
 in Österreich hat 2,5 Prozent ihrer Mit­      faith, Grand Ra­
 glieder verloren. In Niederösterreich war     pids, 2013; S. 78,
 der Prozentsatz fast identisch. Gleichzei­    ÜS LMM)
 tig war 2019 auch die Art und Weise er­       Der kroatisch-amerikanische Theologe
 nüchternd, wie in der Öffentlichkeit mit      Miroslav Volf zeigt die Richtung auf, in die
 dem Verlust des Karfreitags umgegangen        ich gehen möchte: Wissend, dass wir als
 wurde. Der traurige Spitzensatz kam von       Organisation immer auch die Zahlen im
 Bundeskanzler Kurz, der geäußert hatte,       Blick haben müssen, weil sich mit verän­
 dass sich „für 96 Prozent der Österreicher    dernden Zahlen auch die Strukturen der
 eh nichts ändert‟. Das ist mathematisch       Organisation verändern werden, und wis­
 korrekt. Aber für das Selbstwertgefühl        send, dass wir uns als Menschen immer
 der evangelischen Minderheit doch ein         auch ein gewisses Maß an Resonanz für
 Schlag ins Gesicht.                           unser Tun wünschen, möchte ich, dass
 Ich frage mich: Was kann uns als evan­        sich alle im Klaren sind: Die Relevanz und
 gelischer Kirche Mut machen? Womit mo­        der Wert unserer Arbeit kann sich niemals
 tivieren wir uns für unsere Arbeit, wenn      an Zahlen und an öffentlicher Wahrneh­
 wir uns voll einsetzen und sowohl die         mung messen. Noch viel weniger unser
 Zahlen als auch die öffentliche Relevanz      Christ- und Christinsein. Es bemisst sich
 trotzdem so aussehen? Was macht unse­         – wie Volf am Ende des Zitats sagt – an
 re Arbeit sinnvoll und wertvoll?              der Hoffnung, an der Verkündigung und
 „Für alle, die eine Ahnung von der Ge­        am Gehen des christlichen Weges. Seit
 schichte der frühen Kirche haben – und        seiner Klausur im Jänner 2020 arbeitet
 für diejenigen, die die jungen und leben­     der Superintendentialausschuss daran,
 digen christlichen Gemeinschaften außer­      wie es gelingen kann, dieses Selbstbild
 halb der westlichen Welt im Blick haben       zu stärken. Das heißt: Wie wir trotz frus­
 – ist das gegenwärtige Krisengefühl im        trierender Zahlen und Tiefschlägen in Be­
 Westen seltsam. Die frühen christlichen       zug auf die öffentliche Relevanz unserer
 Gemeinden waren absolut keine großen          Kirche fröhlich und erfüllt in Niederöster­
 öffentlichen Player! (...) Als verleumdete,   reich evangelische Christinnen und Chris­
 diskriminierte, ja sogar verfolgte Minder­    ten sein können.
 heit waren sie bestenfalls ein Stachel im
 Fleisch der Gesellschaft. Dennoch, unge­      Ihr/Euer
 achtet ihrer Marginalität, haben die frühen                          Superintendent
 christlichen Gemeinden ihre Hoffnung auf                     Lars Müller-Marienburg
 Gott gefeiert und fröhlich den auferstan­
 denen Herrn verkündet, während sie in
                                                                                                      3
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    ▶ Braucht Gesellschaft Religion?
                                        Thomas Scheiwiller
        Um die Antwort gleich vorwegzunehmen: Heutige Gesellschaften brauchen
        keine Religion! Religion übernimmt zwar gesellschaftliche Funktionen,
        aber diese sind für eine gelingende Teilhabe an Gesellschaft nicht mehr
        notwendig.

        Immerhin wird die Frage, ob Gesell­
        schaft Religion braucht, spätestens seit
        der Aufklärungszeit um 1800 kontrovers
        diskutiert. Mit ihr gehen weitere Fragen
        einher, die allesamt strittig sind: Gibt es
        einen Konsens darüber, was Gesellschaft
        ist? Oder kann die Frage „Was ist Reli­
        gion?‟ abschließend und einstimmig be­
        antwortet werden. Auch die Gegenfrage
        muss erlaubt sein: Braucht Religion Ge­
        sellschaft? Oder negativ formuliert: Wird
        Religion von Gesellschaft nicht nur be­
        einflusst, sondern oft gar manipuliert?
        Bedient sich die Gesellschaft religiöser
        Themen, Überzeugungen und „Werten‟,
        um ihre weltlichen Interessen durchzu­
        setzen? Abschließend ist zu fragen, was
        denn „brauchen‟ in diesem Zusammen­                 Thomas Scheiwiller (Foto: privat)
        hang bedeutet? Wenn gemeint ist, dass
        Religion notwendige Funktionen für unse­      sprochen, das Individuum in die Gesell­
        re aktuelle Gesellschaft übernimmt, fällt     schaft einzubinden – es zu sozialisieren
        die Antwort negativ aus! Anhand einiger       (Émile Durkheim). Demgegenüber steht
        Punkte soll auf diesen Widerspruch ein­       die sog. ­„Säkularisierungsthese‟ (Niklas
        gegangen werden, warum Religion (fast)        Luhmann), die einer gesamtgesellschaft­
        überall fester gesellschaftlicher Bestand­    lichen Funktion der Religion kritisch ge­
        teil ist, ohne dass ihr eine notwendige       genübersteht. Mit Säkularisierung ist nicht
        gesamtgesellschaftliche Funktion zuge­        gemeint, dass im Übergang zur Moderne
        schrieben werden kann.                        christliche Inhalte „verweltlicht‟ wurden.
                                                      Vielmehr unterscheiden und entfalten
        Religion und Gesellschaft                     sich moderne Gesellschaften zusehends
                                                      in verschiedene soziale Bereiche, wie z. B.
        In der um 1900 aufkommenden mo­               Wirtschaft, Politik, Bildung oder Religion.
        dernen Religionssoziologie wird von der       Diese stehen zwar in einem kommunika­
        sog. „Integrationsthese‟ ausgegangen.         tiven Verhältnis, aber keinem dieser sog.
        Der Religion wurde die Funktion zuge­         „sozialen Systeme‟ kommt mehr eine all­
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gemeine Begründungshoheit zu. Auch die         aus Antrieb für das Einhalten von tradier­
in der Moderne problematisierten Fragen        ten Normen. Die religiöse Überzeugung
zum Subjekt und zur gesellschaftlichen         in Form von Werten als Voraussetzung für
Vielfalt können aufgrund der Säkularisie­      die Einhaltung des säkularen Gesetzes­
rung nicht mehr allein von der Religion        rahmen zu verlangen, ist hingegen unzu­
erklärt werden. Es ist nicht mehr Religion,    lässig. In diesem Zusammenhang werden
welche die Individuen in die Gesellschaft      die „christlichen Werte‟ von politischen
aufnimmt, sondern die Individuen haben         Akteur*innen zu einem Kampfbegriff he­
unabhängig von der Religion (oder jedem        rabgesetzt, indem sie beispielsweise in
anderen Gesellschaftsbereich) freien Zu­       der Migrationspolitik gegen die christliche
gang zu allen Lebensbereichen. Damit die       Ethik ausgespielt werden. „Werte‟ können
einzelnen Gesellschaftssysteme erfolg­         durchaus als Leitbegriffe für gesellschaft­
reich in sich und miteinander kommuni­         liche Orientierung herangezogen werden.
zieren, ist die Religion als übergeordneter    Als Bedingung für „gelungene‟ Integrati­
Kommunikationspartner irrelevant ge­           on eignen sie sich nicht. „Werte‟ sind zu­
worden. Kurzum: Gesellschaft funktio­          fällig, austausch- und beeinflussbar (Falk
niert auch ohne religiöse Begründung.          Wagner). Im Gegenteil: Der Rechtsrah­
                                               men ist vollkommen ausreichend, um die
Wertlose Werte                                 Vorstellung einer (in diesem Fall) demo­
                                               kratischen Gesellschaft zu repräsentieren
Religionen im Allgemeinen und das              und zu garantieren. Auch eine religiöse
­Christentum im Besonderen sehen ihren         Begründung von gesellschaftlichen Mo­
 gesellschaftspolitischen Einflussrahmen       ralvorstellungen und gesellschaftlicher
 zunehmend eingeschränkt. Trotzdem             Hilfseinrichtungen wie der Diakonie oder
 werden religiöse Werte in Politik, Bildung,   Caritas ist strittig. Moral und Hilfe kön­
 Moral oder Recht immer wieder disku­          nen zwar religiös begründet werden, aber
 tiert. Allerdings ist die Begründung von      für gesellschaftlich anerkanntes Handeln
 Demokratie, Humanismus, Ethik oder            oder für die Hilfe am Nächsten ist Reli­
 Menschen- und Verfassungsrechten mit­         gion ebenso wenig zwingend erforderlich.
 tels „religiöser Werte‟ und „christlichem
 Erbe‟ äußerst problematisch. Oft wird         Wozu denn noch Religion?
 übersehen, dass die Suche nach religiö­
 sen Begründungen in modern-säkularen          Religion übernimmt weiterhin wichtige
 Errungenschaften ein Blick vor die Aufklä­    gesellschaftliche und v. a. individuelle
 rung ist. Will doch die Aufklärung aufzei­    Funktionen. Die individuelle Funktion von
 gen, dass weltliche Bestimmungen vom          Religion wird gerne mit ‚Sinn‘ überschrie­
 Menschen selbst gesetzt werden und            ben. Oft zeigt sich die ‚Sinnsuche‘ als das
 nicht durch Gott begründet sind. In Form      menschliche Dilemma, ständig Entschei­
 von „Zivilreligion‟ und sog. „Grundwer­       dungen treffen zu müssen. Das mensch­
 ten‟ werden Debatten über den Werte-­         liche Leben besteht aus unzähligen
 Konsens und religiöse Überzeugungen           Handlungsmöglichkeiten, aus denen wir
 geführt, die für das Funktionieren von        auswählen müssen und die wir verwirk­
 Gesellschaften förderlich oder sogar für      lichen können. Jede Entscheidung bringt
 notwendig erklärt werden. Individuen fin­     wieder eine Vielzahl neuer Möglichkeiten
 den in ihrer religiösen Motivation durch­     hervor. Sinn ist innerhalb der Religion der
                                                                                                 5
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        Reflexionsort, der diese Gedankenkette          wenn sie das spannungsreiche Verhält­
        mit der Identität und dem eigenen Ge­           nis von Individuen und sozialen Bereichen
        sellschaftsentwurf zu harmonieren sucht.        kritisch zum Thema macht. Zieht sie sich
        Religion ist demnach ein Ort, wo indivi­        hingegen als fundamentales Besinnen auf
        duelle und gesellschaftliche Spannungen         abgeschlossene Glaubenssysteme zurück,
        reflektiert werden. Sowohl die individuelle     verwehrt sie einerseits den offenen Dis­
        Religiosität als auch die institutionalisier­   kurs mit anderen Religionen und bringt
        ten Formen wie Theologie und Kirche sind        sich andererseits gegen gesellschafts­
        Erfahrungsorte: sie bedenken die Ambiva­        politische Dynamiken in Stellung. Religion
        lenzen von Vorgaben und Veränderungen,          kommt daher in der Gesellschaft die Funk­
        Ausgrenzung und Toleranz, Scheitern und         tion zu, die subjektive und gesellschaft­
        Gelingen, Fremdbestimmung und Auto­             liche Spannung innerhalb einer offenen
        nomie, Verallgemeinerung und Einzig­            und unabgeschlossenen Gesellschaft zu
        artigkeit sowie von Macht und Ohnmacht.         reflektieren und auszuhalten.
        Im Rahmen einer demokratischen und
        pluralistischen Gesellschaft kann Religion
        diese Funktion nur dann übernehmen,             Thomas Scheiwiller hat Theologie, Geschichte
                                                        und Geografie in Bern, Tübingen und Wien studiert;
        wenn sie sich den gesellschaftspolitischen
                                                        von 2015 – 2019 Prae-Doc-Assistent am Institut für
        Problemen stellt und öffnet – und nicht in      Systematische Theologie und Religionswissenschaft
        sich zurückzieht. Religion hat die Chance,      an der evangelisch-theologischen Fakultät der Uni­
        sich als Teil der Gesellschaft zu zeigen,       versität Wien; seit 2019 Religionslehrer in Wien.

             SIGGIS SIGILLUM
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F   O   K                   U   S

▶        „Sich in den Andersdenkenden
      hineinversetzen, ihn ernst nehmen‟
    Verträgt eine religiös heterogene Gesellschaft unterschiedliche Religionen?
    Und wie ist es mit dem Bekenntnis zu einer Religion in der gegenwärtigen
    aufgeklärten Gesellschaft bestellt? Erich Witzmann sprach mit Erwin Pröll
    über verschiedene Fragen der Religiosität. Erwin Pröll, Niederösterreichs
    Landeshauptmann von 1992 bis 2017, kommt aus einer Weinbauernfamilie
    in Radlbrunn bei Ziersdorf.

                                                                                            Fotos: privat

    Braucht eine Gesellschaft, brauchen Men­   noch mehr geben. Die Antwort, auf ei­
    schen in ihrem Leben Religion?             nen einfachen Nenner gebracht: Ich bin
    Der Mensch braucht Religion, aus einem     überzeugt davon, der Mensch braucht
    einfachen Grund: Im Blick nach vorne       Religion, um sich am Weg seines Lebens
    wird das immer notwendiger, weil die Ge­   anhalten zu können, einen Leitfaden zu
    sellschaft immer mehr und mehr von ma­     finden, der ihm über den Materialismus
    terialistischen Werten überwuchert wird.   hinaus eine Genugtuung gibt.
    Der Mensch kommt aber im Laufe seines
    Lebens zu einem Punkt, wo er merkt,        Das entspricht der europäischen Werte­
    Materialismus ist nicht das Nonplusultra   studie 2018, da bezeichnen sich fast zwei
    in seinem Leben, sondern da muss es ja     Drittel der Menschen als religiös, aller­
                                                                                                                7
Religion? Braucht Gemeinschaft - Evangelische Kirche in Niederösterreich
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        dings nimmt die Bindung zu einer Kirche     Menschen selbst als „der Gott-auf-Erden‟
        ab. Die Leute sagen „ich bin religiös‟,     fühlen. Ich habe schon oft das Beispiel
        aber ich habe mit meiner Konfession so­     geprägt: Wir sind im Laufe der Genera­
        zusagen nichts am Hut.                      tionen durch die technische Entwicklung
        Mit dem Phänomen der abnehmenden            in die Lage versetzt worden, im wahrs­
        Bindung zur Kirche hat schon Papst Jo­      ten Sinne des Wortes Berge zu versetzen.
        hannes Paul II. gekämpft. Das ändert al­    Der Mensch verfügt heute über so viele
        lerdings nichts daran, dass der Einzelne,   Werkzeuge, die zur Selbstherrlichkeit
        wenn er in sich geht, trotzdem merkt, es    verleiten und zur Denkweise führen, wir
        ist wichtig, Halt im Leben zu finden. Der   richten uns die Welt schon selber. Und
        Mensch ist nun einmal so geartet, dass      das ist etwas sehr Gefährliches. Ich glau­
        er dann, wenn es ihm gut geht, zuneh­       be, man sollte sehen, dass nicht alles für
        mend in den Materialismus und Egoismus      uns machbar und zu richten ist. Das muss
        verfällt. Wenn er im Leben an schwierige    letztlich zu mehr Realismus im Alltagsle­
        Situationen kommt, dann besinnt er sich     ben und zu mehr Spiritualität in unserer
        darauf, dass es doch ganz gut ist, jeman­   Gesellschaft führen.
        den anrufen zu können in der Hoffnung
        auf Unterstützung.
                                                    Die als stärker religiös ausgewiesenen
                                                    Zuwanderer sind Orthodoxe und vor al­
        Kann eigentlich die Kirche wieder Men­      lem Moslems. Wie verträgt unsere Gesell­
        schen zurückholen?                          schaft das Nebeneinander, auch das Mit­
        Ich glaube, dass wir einer Zeit entgegen­   einander der verschiedenen Religionen?
        gehen, wo die Religionsgemeinschaften       Zuerst hoffe ich auf das Miteinander,
        die Chance nutzen müssen, ihren eigenen     aber zumindest auf ein sehr vernünftiges
        Glauben und die Glaubensgrundsätze zu       menschliches Nebeneinander. Dabei muss
        bewerben. Die Aushöhlung unserer Ge­        ich auf eine Gefahr hinweisen: Man darf
        sellschaft ist sehr deutlich spürbar. Der   die religiöse Frage nicht mit der Migra­
        deutlichste Beweis besteht darin, dass      tionsfrage auf eine Ebene stellen, denn
        Sekten an Oberhand gewinnen in der Su­      das verleitet zu Vorurteilen und letzt­
        che nach einem Sinn des Lebens. Dieses      endlich auch zu Abgrenzungen und Aus­
        Vakuum, das offensichtlich das Sekten­      grenzungen. Die generelle Frage, wie sich
        tum nutzt, müssten nach meinem Dafür­       mehrere Religionen miteinander vertra­
        halten die Religionsgemeinschaften aus­     gen, muss man in drei Grundsätzen zu­
        füllen.                                     sammenfassen: Erstens, die Freiheit des
                                                    Gewissens und der Person als oberste
        Nach Umfragen und Studien sind die Zu­      Maxime anerkennen; zweitens, den Dia­
        wanderer religiöser als die Österreicher.   log hochhalten, wobei der Dialog auch
        Wo mangelt es denn da bei den autoch­       entsprechend praktiziert werden muss;
        thonen Österreichern?                       und das Dritte, es erfordert ein hohes
        Ich glaube, dass der steigende Wohl­        Maß an Toleranz gegenüber den Anders­
        stand für viele Menschen mehr und mehr      denkenden, ohne deswegen die eigenen
        das Alleinig-Seligmachende ist. Das führt   Grundsätze über Bord werfen zu müssen.
        zum Abdriften aus den Religionsgemein­      Die Voraussetzung, um diese Grundsätze
        schaften und dazu, dass sich immer mehr     auch praktizieren zu können, ist, sich in
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Religion? Braucht Gemeinschaft - Evangelische Kirche in Niederösterreich
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den Andersdenkenden hin­                                 Beitrag leisten muss, um den
einzuversetzen und ihn ernst                             Dialog und vor allem das Mit­
zu nehmen. Denn nur dann,                                einander und Nebeneinander
wenn sich der Andersden­                                 der Religionsgemeinschaften
kende ernst genommen fühlt,                              zu stärken.
ist er immun gegen Extremis­
mus. Das ist der entscheiden­                               Vielfach wird auch das
de Punkt, denn die Gefahr für                               Schlagwort vom „christlichen
das pluralistische Nebenein­                                Abendland‟ strapaziert.
ander der Religionsgemein­                                  In dieser Diktion muss man
schaften ist Extremismus,                                   sehr aufpassen, denn das
Fanatismus und Fundamen­                                    Christentum ist zwar die
talismus. Es kommt darauf                                   Grundlage der europäischen
an, ob jemand bereit ist, auf den anderen    Kultur, aber nicht ausschließlich. Man
zuzugehen. Hier ist Johannes Paul II. ein    muss schon sehen, dass die europäi­
großes Beispiel, er hat im Jahre 1986 in     sche Identität religiös-plural ist, nämlich
Assisi quasi eine Friedenskonferenz einbe­   christlich-jüdisch. Natürlich ist die Mehr­
rufen. 150 Vertreter von zwölf Religions­    heitsreligion etwas, das deutlich zutage
gemeinschaften hat er gebeten, für den       tritt und auch zutage treten soll. Daraus
Frieden einzutreten. Und die 150 Vertre­     leitet sich das Bewusstsein ab, dass es
ter sind zusammengekommen in der Re­         notwendig ist, die gegenseitige Akzep­
flexion, in der Meditation und im Gebet.     tanz und die Toleranz auch zu praktizie­
Das zeigt, wie unterschiedliche Religions­   ren. Es gibt nichts Gefährlicheres, als die
gemeinschaften mit den unterschiedlichs­     historischen Wurzeln zu kappen. Dort,
ten Ideologien auf ein Gemeinsames in        wo man das versucht, entsteht jenes Va­
der Welt kommen können.                      kuum, das letztendlich zu zunehmender
                                             Gott­ losigkeit, zu zunehmendem Werte­
                                             schwund führt.
Bei dem angesprochenen Dialog dürfte
es in Österreich noch Entwicklungspoten­
zial geben.                                  Ist eigentlich Religion Privatsache?
Der Dialog hat immer Entwicklungs­           Nein, Religion ist nicht Privatsache, weil
potenzial und wird es immer haben,           der Glaube in der Gemeinschaft prakti­
weil er ständig weiterentwickelt werden      ziert wird.
muss. Ich glaube, dass der Dialog in Ös­
terreich zwischen den Religionsgemein­       Hat sich also eine öffentliche Person, ein
schaften funktioniert. Wenn ich auf mei­     Politiker zu deklarieren?
ne Zeit zurückblicke, habe ich stets als     Jein. Er muss sich nicht deklarieren. Ich
Landeshauptmann das Gespräch mit den         habe mich deklariert, und zwar aus tiefer
verschiedenen      Religionsgemeinschaf­     Überzeugung heraus. Ich glaube auch,
ten gesucht und geführt, für mich war        dass es gut ist, wenn sich öffentliche Per­
die Ökumene das Nonplusultra aus der         sonen zu ihren religiösen Einstellungen
Überzeugung heraus, dass ein Land wie        bekennen.
Niederösterreich im Herzen Europas mit
entsprechender Überzeugung auch einen
                                                                                               9
Religion? Braucht Gemeinschaft - Evangelische Kirche in Niederösterreich
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      H XAX XU X X
                 PXX
                   LXA
                     X   T   Z

     ▶              Kunst und Religion –
                     eine Entfremdung
                                        Hubert Gaisbauer

      Religion und Glaube werden der Tradition zugerechnet, geht es doch auch
      um Überliefertes. Überliefert wird im Hören von Erzähltem, im Lesen des
      Geschriebenen, im Betrachten des Bebilderten und Geformten. Was aber,
      wenn das Alphabet nicht mehr gekannt und die Piktogramme nicht mehr
      verstanden werden?

      Es heißt, Religion vermöge die Gesell­       Kunst war bis ins 18. Jahrhundert das an­
      schaft kulturell nicht mehr zu prägen.       schaulichste Transportmittel der Weiter­
      Was im sogenannten „christlichen‟ Wes­       gabe religiöser Inhalte, war der Anschau­
      ten vor sich geht, wäre „Enttraditionali­    ung und sogar der Belehrung verpflichtet,
      sierung‟ oder gar „Entsakralisierung‟,       man denke an die „Biblia Pauperum‟ mit
      und diese wären die Folge von Pluralis­      ihren Bildern für das leseunkundige Volk.
      mus, Relativismus, Individualismus und       Sakrale Kunst war – besonders im Mittel­
      Globalisierung.                              alter – Sprache, Sinnbild, Offenbarung.
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                     Caspar David Friedrich (1774 – 1840): „Der Mönch am Meer‟
S   C   H   A KUK KPK KL XAX XT X X
                                                                                                    Z

Unsere althergebrachten und mitunter          findet man – kaum Notiz von dem, was
recht problematischen Gottesbilder sind       sich in Glaubenswelten abspielt, wird vor­
nahezu unausrottbar von der bildenden         nehmlich ästhetisch rezipiert, und sie ig­
Kunst geprägt worden. Ob wir wollen oder      noriert, was für Kunst über Jahrtausende
nicht: Sie haben sich eingenistet und ver­    vornehmstes Anliegen war, nämlich eine
stellen bildlich den Paradigmenwechsel,       Berührung mit dem Numinosen herzu­
der in der Theologie längst stattgefunden     stellen. Im Mittelalter etwa war das Hei­
hat. Für Andreas Bodenstein Karlstadt,        lige im Profanen verbreitet, das Geistige
einen der Protagonisten des Wittenber­        im Material.
ger Bildersturms 1521/22, hatten Bilder
im Glaubenszusammenhang eine gera­            Dennoch: Könnten Kunstwelt und Glau­
dezu dämonische Wirkung. Er schreibt:         benswelt nicht doch zu einer neuen und
„Ich weiß, dass ich mich vor keinem Bild      lebendigen Begegnung finden? Vielleicht
fürchten soll (...), aber, Gott klag ich’s,   sogar, um einander vor einseitiger Ver­
mein Herz ist von Jugend auf in Ehrerbie­     ödung zu retten? Der Theologe Philipp
tung und Wohlachtung gegenüber den            Harnoncourt hat gegen Ende seines Le­
Bildern erzogen und aufgewachsen.‟ Für        bens noch behauptet, dass ihm die Theo­
Martin Luther waren Bilder an sich weder      logie zu langweilig geworden wäre. Er
gut noch böse; ihm käme es nur darauf         erwarte sich nicht mehr viel von ihr. Das
an, ob sie dem Glauben (und damit meint       Gottesbild stecke doch mitsamt dem Kir­
er: der Barmherzigkeit Gottes) oder dem       chenbild in einer Krise! Und er hatte den
Unglauben (mit dem Bild vom rächenden,        Mut, heutige Künstlerinnen und Künstler
richtenden, zornigen Gott) dienten. „Das      zu motivieren, „etwas Neues zum Gottes­
macht alles der leidige Teufel, der uns die   bild‟ zu machen. Das Echo in der Kunst­
schönsten Farben des Herrn Christi aus        welt war überraschend, provokant und
den Augen zeucht und die schwarze Far­        spannend – und setzte Dialoge in Be­
be darüber gestrichen hat.‟                   wegung. So könnte es gehen: ohne Be­
                                              rührungsangst, in einem kundigen und
Mit Caspar David Friedrichs großem Bild       empathischen Dialog. Dann lassen sich
„Der Mönch am Meer‟ (1810) beginnt in         vielleicht Kunstwerke wieder als Orte ei­
der Malerei eine geradezu mystische spi­      ner Verwandlung von Welt wahrnehmen,
rituelle Askese ohne personale Gottesvor­     als verbindliche Gestalt des Neubeginns.
stellung.
                                              Über Kunst und Religion nachzudenken,
Heute gibt gegenwärtige Kunst keine           heißt auch, über Blasphemie zu reden,
Antworten mehr auf Katechismusfragen,         dem ewigen Konfliktfeld zwischen Kunst
sie bestärkt nicht „im Glauben und in der     und Religion. Es ist und bleibt subjektiv,
Andacht‟ und führt keine Marter- und          was als Gotteslästerung oder als Verlet­
Höllenvisionen zur Besserung der Men­         zung religiöser Gefühle zu benennen ist,
schen vor Augen. Vielmehr stellt Kunst        vor allem in einer pluralistischen säkula­
heute – in einer säkularen Gesellschaft –     ren Gesellschaft. Gewiss muss es Kriteri­
permanent Fragen. Meist unangenehme           en geben, die in erster Linie mit der Wür­
und schonungslose, auch an Religionen         de des Menschen zu tun haben, von der
und Kirchen. Sie nimmt heute – so emp­        religiöse Menschen überzeugt sind, dass
                                                                                                   11
KKC
 S KKK
     H XAX XU X X
                P X LX X A
                         X T   Z

       sie in der Gottbezogenheit des Menschen             giöse Erfahrung aus, die man auch
                                                       reli­
       eine triftige Begründung hat. Doch sehr         „grace‟, Gnade, nennen könnte. Die fran­
       oft ist von Blasphemie auch dann schon          zösische Philosophin Simone Weil ­   sagte
       die Rede, wenn vertraute reli­giöse Inhal­      einst: „Jede Kunst ersten Ranges ist
       te oder Symbole schockierend mit gesell­        Zeugnis für die Inkarnation. Reale Gegen­
       schaftlichen Realitäten verquickt werden,       wart Gottes in einer griechischen Statue.‟
       wenn Künstlerinnen und Künstler die „an­        Das ist das Geheimnis guter Bilder und
       gebliche Gottesebenbildlichkeit‟ des Men­       Skulpturen. Bedroht ist dieses Geheimnis,
       schen mit dargestellter Unmenschlichkeit        wenn eine rigide und frigide Kunstwissen­
       attackieren. Es wird immer zu fragen            schaft alles verachtet, was mit Empathie,
       sein, ob z. B. ein Bild nur leichtfertige und   mit Berührung, mit Verzauberung und mit
       um Aufmerksamkeit
       buhlende Verhöh­
       nung ist – oder ob
       es sich nicht doch
       lohnt, den Aussa­
       gen nachzugehen,
       um vielleicht sogar
       zu überraschenden
       Einsichten zu ge­
       langen.

       Ein spektakuläres
       Beispiel aus unserer
       Zeit ist die berühmt-
       berüchtigte Serie gekreuzigter Frösche          Liebe zu tun hat. Oder um es mit Tra­
       unter dem Titel „Zuerst die Füße‟ von           cey Emin, *1963, einer britischen Avant­
       Martin Kippenberger, die zahllose Pro­          garde-Künstlerin zu formulieren: „Like I
       teste ausgelöst hat. Ein gekreuzigter grü­      need Art I need God.‟
       ner Frosch – wer denkt da nicht an die
       gequälte Kreatur in ­einer schonungslos
       umweltzerstörenden Wachstumsgesell­                                                        Prof. Hubert Gais­
                                                                                                  bauer war Mitbegrün­
       schaft!
                                                                                                  der der ORF-Radiopro­
                                                                                                  gramme Ö1 und Ö3,
       Der amerikanische Kunsthistoriker James                                                    Leiter der legendä­
                                                                                                  ren Jugendredaktion
       Elkins hat Menschen nach ihrer emotio­
                                                                                                  („Musicbox‟,     „Zick­
       nalen Erfahrung mit Kunst gefragt, z. B.:
                                                       © Stadt Krems

                                                                                                  zack‟ u. v. m.) und ab
       „Wann haben Sie vor einem Kunstwerk                                                        1989 Leiter der Haupt­
       zum letzten Mal geweint – und warum?‟                                                      abteilung Religion im
       In der Analyse der Antworten nennt er                                                      ORF-Radio. Seit 1999
       das, was Menschen im Innersten bei                              ist der Autor zahlreicher Bücher freier Publi­
                                                                       zist und begehrter Vortragender in Fragen von
       einem Kunstwerk anrührt, „presence‟,                            Kunst, Literatur und Religion. Hubert Gaisbauer
       Gegenwart. Elkins drückt mit diesem Be­                         ist verheiratet und lebt in der Nähe von Krems.
       griff eine – so meint er – unzweifelhaft
12
B   L   I   C   K   V   O   N   A   U   S   S   E   N

   „Wir versuchen
    Weihnachten‟
Das Jahr 2020 verlangt uns viel ab: die Corona-Pandemie, zwei Lockdowns,
ein Terroranschlag, Unsicherheiten, Sorgen und Ängste um Gesundheit und
Zukunft. Wie aber gehen Menschen mit all dem um, die obdachlos sind?
Darüber hat sN-Redakteur Werner Sejka mit Jakob Reisinger vom Fonds
Soziales Wien (FSW) gesprochen.

„Die notwendige Distanz, um                             che Situation wir haben. Was
das Ansteckungsrisiko zu mi­                            bedeutet eine Ansteckung,
nimieren, bedeutet nicht not­                           welche Maßnahmen gibt es,
wendigerweise auch soziale                              wie kann ich mich und ande­
Distanz!‟                                               re schützen.‟
Der Fonds Soziales Wien bie­                            Im ersten Lockdown im
tet gemeinsam mit Partner­                              März gab es auch Freiwillige
organisationen regulär 6.800                            wie etwa einen Bundesliga-
Wohn- und Betreuungsplätze                              Schiedsrichter-Assistenten.
an. In der schlechten Jahres­                           „Er meinte, jetzt, da es keine
zeit kommen mit dem „Win­                               Fußballspiele gibt, würde er
terpaket‟ 900 Notfallplätze                             gerne für obdachlose Men­
dazu. Üblicherweise als Nachtquartiere      schen kochen und hat das dann tatsäch­
gedacht, wurden diese während der Pan­      lich einige Zeit in einem Nachtquartier
demie auf einen 24-Stunden-Betrieb um­      gemacht.‟
gestellt.                                   Das kommende Weihnachtsfest jedenfalls
„Betroffene Menschen sind für diese Un­     wird anders. „Große Weihnachtsfeiern
terkünfte grundsätzlich dankbar‟, sagt      wird es wohl nirgendwo geben können.
Reisinger, „durch den 24-Stunden-Betrieb    Aber Einrichtungen wollen gespendete
jedoch haben einige begonnen, die Ein­      Weihnachtsbäume schmücken oder et­
richtung als ihr Zuhause zu sehen. Man      was Besonderes kochen!‟
hat selbstständig Putzarbeiten übernom­     „Auf die Wichtelchallenge möchte ich Sie
men und aus Individuen ist eine Familie     noch hinweisen. Hier können Kinder von
entstanden.‟                                obdachlosen Familien, auch die gibt es,
Ich hätte mir erwartet, dass die Pande­     Wünsche bekanntgeben. Und Wienerin­
mie obdachlosen Menschen verstärkt          nen und Wiener können sie erfüllen. Das
„Kälte‟ entgegenbringt. Reisinger kann      sind Wünsche, für die die Eltern oft kein
das nicht bestätigen. Mitarbeiterinnen      Geld haben, etwa Spielsachen, Buntstifte
und Mitarbeiter der Straßen-Sozialarbeit    oder Fenstermalfarben!‟
versuchten, möglichst viele Obdachlose      Ich denke an „Geben ist seliger denn
im öffentlichen Raum zu erreichen.          Nehmen!‟ und mache mir über diese
„Obdachlose Menschen haben einen an­        Weihnachten keine Sorgen mehr …
deren Medienkonsum als Sie und ich.
                                                                                                 13

Hier galt es schnell zu informieren, wel­
KKT
 S KKA
     K XNX XD X P
                XXU
                  X X XN   K T

       In der jüngeren politischen Geschichte Österreichs haben
       sich ein Langzeitbundeskanzler und ein Bundespräsident –
       nicht von selbst, sondern auf Nachfrage – als Agnostiker
       bezeichnet. Das bedeutet: keine Mitgliedschaft bei einer
       Religionsgemeinschaft, kein eindeutiges Bekenntnis zu (ei­
       nem) Gott. Der Agnostiker schließt das Vorhandensein ei­
       nes höheren Wesens bzw. von etwas Göttlichem nicht aus,
       er nimmt dazu keine Stellung.

       Das Motto „Es kann sein oder auch nicht sein‟ scheint der­
       zeit in vielen Lebensbereichen modern zu sein. Sieht man
       von einem Gottesdienst ab, so wird heute in den christ­
                                                                                 KIRCHE UND
       lichen Konfessionen eher nicht von oder über Gott gespro­
       chen. Das scheint Sache des Pfarrers, in den Schulen des      Brauchen wir beides in unsere
       Religionsunterrichts zu sein. In Staaten wie Albanien, China  Zusammenleben, unserem De
       und auch Frankreich ist der Säkularismus festgeschrieben,    gewisses Maß an Spiritualität?
       in der seinerzeitigen DDR hatte man die Konfirmation (bzw.     in der Säkularismus und Laiz
       Firmung) durch die staatliche Jugendweihe ersetzt. Der          sind, Religion zur Privatsach
       Gegenschlag blieb da nicht aus. Die Friedensgebete in der     einer allgemeingültigen, für a
       Leipziger Nikolaikirche waren der Anfang vom Ende dieses     als Maßstab   für unser Zusamm
       Staates, und eine Pastorentochter aus der DDR ist seit ein­  scheidung, die wohl nur jeder
       einhalb Jahrzehnten Bundeskanzlerin ganz Deutschlands.
       Auch in Frankreich hat der verheerende Brandanschlag auf
       Notre-Dame am 15. April 2019 gezeigt, wie tief verankert diese Kathedrale im Be­
       wusstsein der Bevölkerung ist.

       Es geht also doch ohne Kirche nicht, auch nicht ohne Religion. Die Menschen brauchen
       einen Anker, einen Halt – und die Religion bietet einen solchen. Das sollten sich all jene
       vor Augen führen, die ihre Kirche verlassen haben, sei es wegen des Kirchenbeitrags,
       weil ihnen die Art des Pfarrers, der Pfarrerin nicht behagt oder weil viel von kirchen­
       internen Skandalen die Rede ist (und es werden noch viele andere Gründe angeführt).
       Kirche und Religion sind aber mehr als profane Gegebenheiten.

       Natürlich kann man Kirche und Religion nicht gleichsetzen. Natürlich kann jemand, der
       die Kirche verlassen hat, sich weiter zu Gott bekennen. Aber machen wir uns nichts
       vor: Unsere Kirche trägt die Religion und gibt sie weiter. Unsere Kirche hat als Sprach­
       rohr der Religion Maßstäbe gesetzt und setzt sie noch heute. Maßstäbe, die unsere
       Werte und unser Zusammenleben bestimmen. Erst wenn es Kirche und Religion nicht
       geben sollte, würden die Menschen schmerzlich erkennen, was ihnen fehlt.

                                 Erich Witzmann ist Wissenschaftsjournalist
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S   T   A N   D
                                                                                            KKK
                                                                                              PKK
                                                                                                U XNX XK X T
                                                                                                           X

                                        A  ngesichts der vielen Probleme und Herausforderungen
                                        auf der Welt brauchen wir eine menschliche, säkulare Ethik,
                                        eine Ethik unabhängig von Religion. Denn die Probleme sind
                                        von Menschen gemacht, und sie setzen sich bis in die Religi­
                                        onen hinein fort. „… im Namen der Religion gibt es Konflikte,
                                        Menschen töten in ihrem Namen, was dem Sinn der Religion
                                        völlig widerspricht‟, meinte der Dalai Lama vor einigen Jah­
                                        ren in einem Interview.

                                        Wenn Religion also wie so oft in der Menschheitsgeschich­
                                        te dazu instrumentalisiert wird, Kriege zu entfachen, ganze
                                        Landstriche zu verheeren, autokratische Systeme zu stützen
ND RELIGION
                                        und die Bevölkerung zu spalten – ist es dann nicht wirklich
serer Gesellschaft, in unserem          vernünftiger, auf die völlige Trennung von Staat und Kirche
 Denken? Oder reicht nicht ein          zu setzen, Religion endgültig zur Privatsache zu erklären?
ät? Sollten wir in einer Epoche,
 aizismus auf dem Vormarsch             Kritiker/innen werden einwenden, dass viele religiöse Werte
ache erklären und eher nach             längst ein Teil unserer Kultur sind und unser Weltbild – vor
 r alle nachvollziehbaren Ethik         allem in Bezug auf moralische Grundsätze – beeinflussen.
mmenleben streben? Eine Ent­
 er für sich selbst treffen kann.       Sie meinen, eine Gesellschaft könne nicht funktionieren,
                                        wenn sie sich nicht auf diese Maßstäbe berufen kann. Denn
                                        natürlich sind in allen großen Weltreligionen die positiven
             menschlichen Werte des Zusammenhalts verankert, im Christentum zum Beispiel die
             Idee der Nächstenliebe. Der moderne säkulare Staat hat aber dafür gesorgt, dass unse­
             re Wert- und Moralvorstellungen in Gesetzen festgeschrieben sind.

             „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen‟, besagt
             Artikel 1 der Europäischen Grundrechtecharta, und in Artikel 7 der österreichischen
             Bundesverfassung ist festgehalten: „Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vor­
             rechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses
             sind ausgeschlossen. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.‟
             Damit hat uns der Staat einen großen Vorteil verschafft: Die Grundwerte sind für jeden
             objektiv durchsetzbar – egal, welcher Religion er oder sie angehört.

             In Österreich nimmt der Staat eine Schutzfunktion gegenüber den anerkannten Reli­
             gionsgemeinschaften ein. Das bedeutet, jeder Mensch darf grundsätzlich glauben, was
             er oder sie möchte. Darüber hinaus hat aber auch jeder Mensch das Recht, gar nicht zu
             glauben. Und das halte ich für ein großes Zeichen der Toleranz in einer pluralistischen
             Gesellschaft.

                             Ulrike Wüstenhagen ist Journalistin
                                                                                                           15
K K KNK KD X XEX R
 A                X X XSX XW
                           X   O

     ▶ Von Lichterfesten, Weihnachts­
                               kobolden und Knut
                      Advent und Weihnachten in der
                       Schwedischen Kirche in Wien
                                        Ulrike Wüstenhagen

                                                                                                  © Anders Nilsson

        Ich war wohl selten so aufgeregt wie        ditionen mit dem Christentum. Bevor der
        damals, als ich als Jugendliche als Lucia   gregorianische Kalender im 16. Jahrhun­
        auftreten durfte und mit einem Kranz mit    dert eingeführt wurde, fiel die Winterson­
        Kerzen auf dem Kopf die Lucia-Prozession    nenwende auf diesen Tag, der aber auch
        anführte. Für jedes Mädchen in Skandi­      der Gedenktag an die Heilige Lucia ist‟,
        navien ist das eine große Ehre.             erklärt Peter Styrman, Pastor der Schwe­
                                                    dischen Kirche in Wien. „Hier feiern wir
        Das Lichterfest am 13. Dezember ist auch    das Lucia-Fest traditionell in der St.-Ger­
        in der Schwedischen Kirche in Wien einer    trud-Kirche in Währing mit Lucia-Prozes­
        der Höhepunkte des Advents. „Es ist wie     sion und Konzert‟. Die Lucia-Lieder be­
16

        so vieles eine Verknüpfung von alten Tra­   schwören dabei die Rückkehr des Lichtes.
A   N   D KEK K R
                                                                                    K K SX X W
                                                                                             X XO
                                                                                                X

                      Nicht weit entfernt     Weihnachten selbst feiern die Schweden
                      von St. Gertrud liegt   als großes Familienfest mit Julgran (wört­
                      das Haus Gentz­         lich Weihnachtsfichte) und Julbord (Weih­
                      gasse 10. Wenig         nachtstisch) – ein Buffet mit zahlreichen
                      deutet darauf hin,      verschiedenen Speisen. Die Geschenke
                      dass sich im Inne­      bringt übrigens der Jultomte (der Weih­
                      ren ein Sakralbau       nachtskobold), von dem Pastor Styrman
                      befindet – die evan­    meint, er sei wohl eine Mischung aus dem
                      gelisch-lutherische     Heiligen Nikolaus und dem alten Glauben
                      Schwedische Kirche      an den Hauskobold, der über den Hof
                      in Wien. Seit 2018      wacht und dem man zu Weihnachten als
                      ist Peter Styrman       Dank Brei vor die Tür stellt.
                  © Magnus Aronsson

                      hier Pastor. Für ihn
                      und seine Frau Ka­      Peter Styrman feiert mit der Gemeinde
                      tharina Hieke, der      am Nachmittag des Heiligen Abends ei­
                      Kantorin der Kirche,    nen Kindergottesdienst, später dann die
  Peter Styrman
                      ist der Dezember        Mitternachtsmette und am Morgen des
eine intensive Zeit, denn Advent und Jul,     25. Dezember die traditionelle „Julotta‟,
wie Weihnachten auf Schwedisch heißt,         den Morgengottesdienst zur Feier der Ge­
„sind sicher für alle Schwedinnen und         burt Christi.
Schweden die wichtigste Festzeit im Jah­
reskreis‟, meint Peter Styrman.               Und sollte übrigens jemand glauben, dass
                                              IKEA „Knut‟ erfunden hat, dann irrt er
Es gibt in Österreich rund 3.000 Men­         oder sie gewaltig. Zu Knut, benannt nach
schen, die in irgendeiner Form eine An­       dem Heiligen Knut IV., König von Däne­
bindung an Schweden haben. Für sie ist        mark, wirft man am 13. Jänner Weih­
seit Jahrzehnten der Beginn des Advents       nachten nach 20 Tagen endgültig hinaus
untrennbar mit dem schwedischen Weih­         – und das im wörtlichen Sinn. Nachdem
nachtsmarkt verknüpft. Hier verkauft man      die Kinder den Christbaum geplündert
traditionelles Kunsthandwerk, landestypi­     haben (vor allem alle Süßigkeiten dar­
sche Lebensmittel, schwedische Bücher         auf), wird der Baum tatsächlich aus dem
und vieles mehr. Bei Glögg (Weihnachts­       Fenster geworfen. Das macht man auch
punsch), Smörgåsar (belegte Brötchen),        in der Gentzgasse, aber bevor der Baum
Kaffee und Pepparkakor (Pfeffer­kuchen)       aus dem ersten Stock fliegt, „vergewis­
stimmt man sich auf Weihnachten ein.          sern wir uns, dass niemand dadurch zu
                                              Schaden kommt‟, erzählt Peter Styrman
Und offensichtlich kommen hierher auch        schmunzelnd.
Leute, die sonst keine Anbindung an
Schweden haben, denn im Vorjahr ström­        Weitere Informationen über die Schwedi­
ten mehr als 4.500 Besucher/innen in die      sche Kirche in Wien unter www.svenska­
Sofiensäle zum Schwedischen Basar. Das        kyrkan.se/wien.
wird heuer aufgrund der Covid-Pandemie
leider nicht möglich sein, aber alle Betei­
ligten arbeiten gerade an einem alterna­
                                                                                               17

tiven Konzept.
K K KI K KR X C
               X X HX X E
                        XXXX
                           I                          N    N Ö

                                           Abschied nach über 100 Jahren
                                                       Ingesamt haben die                               tigkeit in den Pfarrgemeinden. Sie haben
                                                       PensionistInnen die­                             die Gemeinden mit ihren Gaben und Fä­
                                                       ses Jahres weit mehr                             higkeiten, mit ihrer Menschlichkeit und
                                                       als 100 Jahre in Nie­                                                   ihrem Glauben ge­
                                                       derösterreich Dienst                                                    prägt. Wir danken
                                                       getan. Roswitha Petz                                                    aber auch für die
                                                       war 24 Jahre lang                                                       diözesanen      und
                                                       Pfarrerin in Krems.                                                     gesamtkirchlichen

                                                                                  © Robert Eipeldauer
                                                       Julian und Heidi Sar­                                                   Zusatzaufgaben,
                                                       torius sind gemeinsam                                                   die sie übernom­
                                     Roswitha Petz
                                                       vor 30 Jahren nach                                                      men haben. Ros­
                                    Klosterneuburg gekommen. Davor waren                                                       witha Petz war
                                    sie in Stockerau und in der Militärseelsor­                              Karl-Jürgen       Seniorin und Dele­
                                                                                                             Romanowski        gierte zur Synode.
                                                                                                        Julian Sartorius war Bundes- und Landes­
                                                                                                        kurat in der Polizeiseelsorge. Karl-Jürgen
                                                                                                        Romanowski war 24 Jahre lang Senior. In
                                                                                                        dieser Eigenschaft war er Hirschgrillmeis­
                                                                                                        ter bei den Herbstempfängen und hat die
                                                                                                        Finanzen der Superintendenz in guten und
                                                                                                        schweren Tagen betreut. Außerdem hat er
                                                                                                        nach dem Tod von Paul Weiland als dienst­
     © Lars Müller-Marienburg (2)

                                                                                                        ältester Senior für ein Jahr die Agenden
                                                                                                        des Superintendenten übernommen.

                                                                                                        Weiters ist Antonia Pointner nach 28 Jah­
                                                                                                        ren als Sekretärin der Superintendentur
                                                                                                        mit 1. Oktober in den Ruhestand ein­
                                             Julian und Heidi Sartorius
                                                                                                        getreten. Bei ihrem Dienstbeginn war
                                    ge tätig. Karl-Jürgen Romanowski war 21                             Franz Vranitzky
                                    Jahre in Bad Vöslau und vorher 19 Jahre                             Bundeskanzler,
                                    in St. Aegyd-Traisen. Trotz aller äußerer,                          Hellmut Santer
                                    virusbedingter Herausforderungen konn­                              war     Superin­
                                    ten würdige Entpflichtungsfeiern began­                             tendent,     und
                                    gen werden. Worte ehrlicher Wertschät­                              die     Superin­
                                    zung wurden gesprochen. Ehrungen der                                tendentur be­
                                    Kommunen wurden verliehen. Es wurde                                 fand sich in den
                                    gelacht. Und auch einige Tränen wurden                              Weinbergen
                                                                                                                                                     © Alice Maschek

                                    vergossen. So wie es sich bei solchen An­                           von Bad Vös­
                                    lässen gehört.                                                      lau. Wir danken
                                    Das evangelische Niederösterreich dankt                             auch für ihren
18

                                    den jungen PensionistInnen für die Tä­                              Dienst!                Antonia Pointner
K   I   R   C   H   EK K K IK K NX X XN X Ö
                                                                                                                            X

                               Neu in ...                         eingeschränkt,
                                                                  trotzdem habe
                              … Korneuburg                        ich in Gemein­
                                                                  de und Schu­
                     Seit 1. September 2020 bin ich in der        le schon ­   viele
                     Pfarrgemeinde Korneuburg Vikarin. Ich        Menschen ­aller
                     freue mich darauf, mit meiner Lehrpfarre­    Lebensalter
                     rin Anneliese Peterson zu entdecken, was     kennengelernt,
                     zum Alltag einer geistlichen Amtsträgerin    mit ihnen ge­
                     gehört, und das Gemeindeleben mitzuge­       feiert, getrauert
                     stalten.                                     und gelernt. Auch weiterhin mit vielen
                                                                  fröhlich zu glauben, zu hoffen und zu lie­
                                                                  ben – darauf freue ich mich.
                                                                                          Ihr Rainer Gottas

                                                                                … Krems
                                                                  So. Nun ist es also so weit, und ich darf
Alle Fotos: privat

                                                                  meine erste amtsführende Stelle als Pfar­
                                                                  rer übernehmen. Aufregung und Nervo­
                                                                                              sität wech­
                                                                                              seln sich ab,
                                                                                              wenn         ich
                     Ich bin in Deutschland aufgewachsen.                                     an die ver­
                     Nach Österreich hatte mich zuerst ein                                    schiedenen
                     theologisches und kirchliches Interesse                                  A u f­g a b e n ,
                     und dann die Liebe verschlagen. Während                                  Pflichten,
                     meines Studienjahres in Wien faszinierte                                 aber       auch
                     mich die Geschichte der evangelischen                                    Möglichkei­
                     Kirche(n) in Österreich. Schön, dass ich                                 ten     denke.
                     jetzt die Gegenwart kennenlernen und                                     Schon früh
                     mitgestalten darf!                                                       im Studium
                                         Ihre Lydia Lauxmann                                  habe ich ge­
                                                                  merkt, dass es mich besonders reizt,
                              … Bad Vöslau                        „kreativ‟ zu sein – sei es bei der Ge­
                                                                  staltung von Predigten oder dem Arbei­
                     Als gebürtiger Salzburger hat mich das Vi­   ten mit Kindern und Jugendlichen. Mein
                     kariat nach Wien-Floridsdorf und Wiener      bisheriger Stolz: Das kirchenhistorische
                     Neustadt geführt. Danach war ich Pfarrer     Pen&Paper-Rollenspiel zu Jan Hus, wobei
                     in Wien-Leopoldstadt und Brigittenau und     mir noch ganz andere Projekte im Kopf
                     14 Jahre in Klagenfurt. Jetzt hat meine      herumgeistern, sofern ich die Zeit dazu
                     Familie ihren Lebensmittelpunkt für einen    finde.
                     Neubeginn wieder in den Osten Öster­                                      Ihr Jörg Kreil
                     reichs verlegt. Die Möglichkeiten der
                                                                                                                           19

                     Begegnung sind zwar in diesen Tagen
K K KIK KL XIX XT X Ä
 M                   X XR
                        XXX
                          S E   E L   S O   R   G   E

     ▶                    Zehn Gebote
         Wenn wir von den Zehn Geboten hören,           So stellt sich die
         beziehen wir diese auf den Bibeltext des       Frage, sind Gebote
         Alten Testaments, wo Moses die Stein­          zu befolgen? Aus
         tafeln mit den Zehn Geboten von Gott           heutiger Sicht wur­
         ­erhalten hat.                                 den in den vergangenen Kriegen diese
                                                        Gebote weder befolgt noch eingehalten.
         Zehn Gebote fanden sich auch im Sold­
         buch der deutschen Soldaten des 2. Welt­       Kriegsgefangene wurden gefoltert, Oppo­
         kriegs – nachfolgend ein Auszug:               sitionspolitiker und Kritiker weggesperrt
         1. Der deutsche Soldat kämpft ritterlich       und zivile Opfer als Kollateralschaden
         für den Sieg seines Volkes. Grausamkei­        bezeichnet. Kriegsverbrechen an Minder­
         ten und nutzlose Zerstörung sind seiner        heiten wurden verübt. Kulturerbe wurde
         unwürdig.                                      gesprengt oder verbrannt.
         3. Es darf der Gegner nicht getötet wer­
         den, der sich ergibt. Dieser erhält seine      Gute Gedanken sind in Texten verfasst,
         gerechte Strafe durch die Gerichte.            geschrieben von Menschen, die guten
         4. Kriegsgefangene dürfen nicht misshan­       Willens sind. So stellt sich eine weitere
         delt oder beleidigt werden.                    Frage: Inwiefern sind solche Abkommen
         6. Das Rote Kreuz ist unverletzlich. Ver­      für uns Menschen sinnvoll, wenn sie nicht
         wundete sind menschlich zu behandeln.          eingehalten werden?
         Sanitätspersonal und Feldgeistliche dür­
         fen bei ihrer Tätigkeit nicht behindert        Und dennoch ist es notwendig, un­
         werden.                                        ser aller Zusammenleben zu regeln
         7. Die Zivilbevölkerung ist unverletzlich.     und Gebote zu erlassen und immer
         Der Soldat darf nicht plündern oder mut­       wieder darauf hinzuweisen, diese
         willig zerstören.                              einzuhalten.
                (Quelle: Bundesarchiv-Militärarchiv,
                                          Freiburg)     So wurden durch diese Gebote/Gesetze
                                                        Länder mit Sanktionen belegt und Kriegs­
         Diese oben angeführten Gebote für den          verbrecher verurteilt.
         Soldaten beziehen sich auf die ethische,
         moralische und menschliche Ebene.              Mit der Zuversicht und
                                                        der Hoffnung auf eine
         Dann gibt es noch die „Allgemeine Erklä­       bessere Welt wünsche
         rung der Menschenrechte‟ der UN-Voll­          ich allen Lesern mei­
         versammlung 1948. Ein Gebot ist eine           ner Gedankensplitter
         verbindliche Anweisung, die als Verbot         eine schöne Zukunft.
         gefasst sein kann. Gebote sind allgemein
         nicht einfach Gesetze, da nicht jedem Ge­                          Vzlt Johann Brunner
         bot auch Gesetzeskraft innewohnt oder
20

         zugeschrieben wird.
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          Berichte aus den Gemeinden
               Niederösterreichs
                              Redigiert von Birgit Lusche

                      Ein Fest der Frauen
St. Pölten. Anlässlich des 80-jährigen Bestandsjubiläums der „Evangeli­
schen Frauenarbeit‟ (EFA) lud Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner am
18. Septem­ber 2020 zu einem Empfang ins Niederösterreichische Landhaus
nach St. Pölten.

Die Landespolitikerin dankte der Frau­        Superintendent Lars Müller-Marienfeld
enorganisation für deren unermüdlichen        ortete in seiner Festrede in vielen Lebens­
Einsatz für Frauen in Gesellschaft und        bereichen noch genügend Handlungs­
Kirche. Trotz erschwerender „Corona-          bedarf hinsichtlich der Gleichstellung
Bedingungen‟ gestaltete die aktuelle          von Frauen. Er wünsche sich sowohl von
EFA-Vorsitzende Niederösterreichs, Ute        Männern als auch Frauen eine „Schär­
Kolck-Thudt, und ihr Team einen höchst        fung des feministischen Blicks‟. Seitens

  Im Rahmen des Festaktes ehrte Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner Mitarbeiterinnen
 der NÖ-Frauenarbeit, die durch ihr Engagement und ihr Wirken diese in besonderer Weise
                             geprägt haben. (Foto: Werner Pelz)

ansprechenden Festtag. So gab es Ein­         der EFA legt man großen Wert auf gute
blick in das jahrzehnte­  lange vielfältige   Beziehungen zur „katholischen Frauen­
Wirken der evange­   lischen Frauen. Dies     arbeit‟, was symbolisch in der gemeinsa­
reicht u. a. von diakonischer Arbeit über     men ökumenischen Morgenandacht zum
Frauenspiritualität, Gestaltung von Welt­     Ausdruck kam. Weitere Festrednerinnen:
gebets- und Frauentagen bis zur engen         Maria Katharina Moser (Direktorin Diako­
Kooperation mit dem bekannten Hilfs­          nie), Hannah Satlow (Brot für die Welt),
werk „Brot für die Welt‟.                     Brigitte Zinnburg (Weltgebetstag), Bun­
                                                                                                     21
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     desrätin Doris Berger-Grabner und Lan­             Jurkiewicz und Pfarrerin Baukje Leit­
     desrätin Ulrike Königsberger-Ludwig. Ein           ner-Pijl eingereiht. Eine weitere Novität:
     Gottesdienst in der Landhauskapelle mit            Zwei Chöre, der Evangelische Gospelchor
     den Pfarrerinnen Birgit Lusche und Ulrike          Melk-Scheibbs unter der Leitung von Sy­
     Nindler finalisierte den Festtag.                  bille von Both und das Obritzberger En­
                                          Werner Pelz   semble Ephata, Leitung Christiana Prager,
                                                        die (auch wirklich ökumenisch) sich ver­
     20 Jahre ökumenisches                              mischt positionierten und gemeinsam für
                                                        die musikalische Begleitung sorgten, von
          Abendgebet                                    Organisatorin Angelika Beroun-Linhart
     Großrust. Zu diesem besonderen                     am Keyboard begleitet.
     Jubiläum lud der Dorferneuerungs­                  Und noch eine Premiere gab es: Bei seiner
     verein „Zusammenhalten – Dorf                      Danksagung am Ende dieses von allen als
     gestalten‟ bei schönem Wetter auf                  sehr stimmig und berührend empfunde­
     den Kirchenplatz von Großrust ein,                 nen Gottesdienstes konnte der Obmann
     denn aufgrund der aktuellen Covid-                 des Dorferneuerungsvereines Helmut
     19-Maßnahmen wurde nicht – wie                     Beroun den druckfrischen Kirchenführer
     üblich – der Gottesdienst beim öku­                präsentieren, der gegen eine Spende für
     menischen Denkmal von Leo Pfis­                    die im nächsten Jahr geplante Renovie­
     terer begonnen und dann nach fei­                  rung des Gotteshauses überreicht wird.
     erlichem Einzug in der Filialkirche                Bei der anschließenden ökumenischen
     St. Georg fortgesetzt, sondern die                 Begegnung vorm Feuerwehrhaus zeigten
     ganze Feier fand im Freien statt.                  sich dann die einheimischen und auswär­
     Neu war auch, dass zu diesem 20. öku­              tigen Gäste als sehr interessiert und dem­
     menischen Abendgebet Diözesanbischof               entsprechend spendenfreudig.
     Alois Schwarz gekommen war und dies­                                  Angelika Beroun-Linhart
     mal die Predigt unter Bezug­
     nahme auf den ehemaligen
     Friedhof hielt. Seit Anbeginn
     war die Predigt sonst die
     „Aufgabe‟ des stets daran
     teilnehmenden Superinten­
     denten – zuerst immer von
     Paul Weiland, nun von Lars
     Müller-Marienburg.       Zum
     ersten Mal hat sich heuer
     Pastor Franz Strohmaier von
     der Freien Christengemein­
     de Großrust in die Gruppe       Der Kirchenplatz war nach Sonnenuntergang sehr stim­
     der Zelebranten Bischof        mungsvoll  beleuchtet worden und die zahlreichen Besu­
                                   cherinnen und Besucher, unter ihnen auch Bürgermeisterin
     Alois Schwarz, Superinten­
                                     Daniela Engelhart, Vizebürgermeister Franz Hirschböck
     dent Lars Müller-Marien­       und einige Gemeinderäte, konnten im vorgeschriebenen
     burg, Dechant P. Clemens                Abstand auf den Bänken Platz nehmen.
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     Reischl OSB, Pfarrer Marek                     (Foto: Franz Xaver Lahmer)
G   E   M E   I   N   D   E   M   O   S   A   I   K

  30 Jahre in Gloggnitz                     und des Feuerwehr-Peers ausübt. Weiters
                                            ist Pfarrer Andreas Lisson auch erster nie­
Naßwald: Einen Open-Air-Konfirma­           derösterreichischer Notfallseelsorger und
tionsgottesdienst feierte am 6. Sep­        stv. Landesleiter der Notfallseelsorge der
tember die Pfarrgemeinde Glogg­             Diözese NÖ. 		                 Heinz Drießler
nitz. Bei diesem Festgottesdienst
bedankte sich die Pfarrgemeinde
bei Pfarrer Mag. Andreas Lisson für
                                            „Der mit Abstand beste
30 Jahre Dienste und Seelsorge in             Bücherflohmarkt‟
Gloggnitz.                                  Traisen. Wirft man einen Blick in die
                                            Veranstaltungskalender im Bezirk,
Am 1. März 1990 kam Pfarrer Lisson für      so muss man leider feststellen, dass
voraussichtlich fünf Jahre als Pfarrvikar   sich bedingt durch Covid-19 nicht
von Hessen/Nassau nach Gloggnitz, so        sonderlich viel tut. Viele Veranstal­
Kurator Heinz Drießler in seiner Dankes­    tungen wurden wegen der schwie­
rede. 1998 wurde er mit der Leitung der     rigen     Umsetzungsmöglichkeiten
Gemeinde beauftragt und als Pfarrer in      der Sicherheitskonzepte gestrichen
                                            oder auf einen späteren Zeitpunkt
                                            verlegt.   Dementsprechend       an­
                                            spruchsvoll war auch die Planung
                                            des diesjährigen Bücherflohmarkts
                                            der evangelischen Kirche Traisen.
                                            „Wir haben ein Leitsystem installiert, An­
                                            wesenheitslisten aufgelegt, Desinfekti­
                                            onsmittel bereitgestellt und auf Abstands­
                                            regeln und die Besucherobergrenze von
                                            max. 50 Personen im Veranstaltungsraum
                                            geachtet‟, berichtet auch Heidi Fußthaler.
                                            Alles habe gut geklappt, und die Leute
Als Dankeschön wurden Pfarrer Lisson eine   seien sehr diszipliniert gewesen, so das
Dankesurkunde und das Buch „Der Weg des
      Buches‟ überreicht. (Foto: privat)

der Gloggnitzer Dreieinigkeitskirche von
Superintendent Paul Weiland eingeführt.
Nach der Zusammenlegung der Pfarr­
gemeinden Gloggnitz und Naßwald zu
einem Gemeindeverband wurde er für
beide Gemeinden als Pfarrer bestellt. Vor
einigen Jahren kam auch die Adminis­
tration der Pfarrgemeinde Ternitz dazu.
Heinz Drießler erwähnte auch, dass der
Jubilar neben dem Pfarramt auch aktiv         Auch für das Team um Erich Gravogl war
bei der FF Gloggnitz-Stadt im Einsatz ist     klar, dass die Sicherheit der Besucher an
                                                                                                   23

und die Funktionen des Feuerwehrkurats                erster Stelle stehen muss.
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