Rohstoffe Gewinnung, Verarbeitung, Recycling - Eco-Fair-Trade-Gold Ein Schmuckatelier in Hamburg Sukzessive Vergiftung Interview mit Phyllis Omido ...

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Rohstoffe Gewinnung, Verarbeitung, Recycling - Eco-Fair-Trade-Gold Ein Schmuckatelier in Hamburg Sukzessive Vergiftung Interview mit Phyllis Omido ...
September 2016

                                                    Nachhaltiges
                                                    aus dem Öko-Institut

Rohstoffe
Gewinnung, Verarbeitung, Recycling

Eco-Fair-Trade-Gold Ein Schmuckatelier in Hamburg
Sukzessive Vergiftung Interview mit Phyllis Omido
Verzicht aufs Auto Ideen von Ruth Blanck
Rohstoffe Gewinnung, Verarbeitung, Recycling - Eco-Fair-Trade-Gold Ein Schmuckatelier in Hamburg Sukzessive Vergiftung Interview mit Phyllis Omido ...
2   IM FOKUS | JAN SPILLE

    Fair am Traualtar
    Nachhaltige Rohstoffe im Schmuckatelier
    Zwei Trauringe, das Design ist ausgewählt. Die Materialfrage      Um selbst einen Eindruck von den Arbeitsbedingungen
    taucht auf. Gold natürlich! Doch so einfach ist das im Atelier    vor Ort zu bekommen, reist Jan Spille immer wieder in die
    von Jan Spille nicht. „Wir arbeiten mit elf unterschiedlichen     Bergbauregionen, unterhält sich mit den Arbeitern vor Ort,
    Legierungen, etwa als Weiß-, Gelb- oder Orangegold“, erklärt      begleitet ihre Tage. Zuletzt hat er Bergbaukooperativen in
    der Goldschmied aus Hamburg, „zusätzlich haben wir vier un-       Südamerika besucht. „Der persönliche Austausch und die un-
    terschiedliche Goldkonzepte, unsere Kunden können daher           mittelbare Erfahrung sind wichtig“, sagt er, „ich möchte zum
    alleine beim Gold aus etwa vierzig Materialien auswählen.“        Beispiel wissen, was es bedeutet, auf 4.000 Höhenmetern
    Wenn er von Konzepten spricht, meint Spille die unterschied-      Gold abzubauen.“
    liche Herkunft des Materials, das sein Atelier nutzt. „Wir ver-
    wenden etwa Eco-Fair-Trade-Gold aus ökologisch und sozial         Jan Spille arbeitet intensiv für eine ökologische und sozial ge-
    gerechtem Bergbau – dieses wird von Goldschürfern mit der         rechte Gewinnung jener Rohstoffe, die er nutzt. Gold und Sil-
    Schwerkraftmethode an Flüssen ausgewaschen“, erklärt Spil-        ber zum Beispiel, Edelsteine und Diamanten. Sein Einsatz wur-
    le, „Kinderarbeit ist verboten und es werden keine giften Che-    de im März 2016 mit einem Fairtrade Award belohnt. Ebenso
    mikalien wie etwa Cyanid oder Quecksilber genutzt, die bei        freut er sich über die Einführung des Fairtrade Siegels für Gold
    der Goldgewinnung normalerweise zum Einsatz kommen.“              in Deutschland 2015 – „eine wesentliche Voraussetzung dafür,
    Darüber hinaus arbeitet sein Team mit Fairtrade Gold von          dass mehr Betriebe faires Gold verarbeiten.“ Doch wer mit Jan
    zertifizierten Bergbaukooperativen sowie mit einem ökolo-         Spille spricht, merkt schnell, wie viele Herausforderungen er
    gischen Gold aus Deutschland, das als Nebenprodukt in der         für seine Branche noch sieht. So etwa beim Thema Diaman-
    Kiesproduktion gewonnen wird. „Unser viertes Konzept heißt:       ten, die bei Spille aus Kanada und Australien stammen. „Ich
    Eco-Recycling Gold aus hauseigenem Upcycling. Wir haben           frage mich, warum bisher kein Diamantenhändler versucht
    eine Recyclinganlage, nicht größer als ein großer Drucker,        hat, auch hier eine anständige Lieferkette zu etablieren.“ Nur
    in der wir aus altem Schmuck, Münzen oder Barren, die wir         eine von vielen Fragen, die es noch zu lösen gilt. Klar aber ist:
    von unseren Kunden kaufen, Recyclinggold herstellen.“ Bei         Jeder Trauring, der das Atelier von Jan Spille verlässt, ist jenem
    den Preisen für den daraus gefertigten Schmuck orientiert         aus konventionell gewonnenen Rohstoffen sozial und ökolo-
    sich Jan Spille am regulären Goldpreis, die anderen Edelme-       gisch überlegen. Manchmal ist es eben doch so einfach.
    talle kosten etwas mehr: „Schmuck aus Fairtrade-Gold ist bei
    uns etwa acht Prozent teurer, aus Eco-Fair-Trade etwa 15 und                                                      Christiane Weihe
    aus deutschem Eco-Regional Gold etwa 20 Prozent teurer als        mail@oekofaire-trauringe.de
    wenn wir Schmuck aus konventionellem Gold herstellen wür-         www.oekofaire-trauringe.de
    den.“
Rohstoffe Gewinnung, Verarbeitung, Recycling - Eco-Fair-Trade-Gold Ein Schmuckatelier in Hamburg Sukzessive Vergiftung Interview mit Phyllis Omido ...
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4   INHALT

                                                                               12
                                                                  Mensch und Umwelt in Gefahr
                                                                  Das Lead Recycling Africa Project

                                                       		 IM FOKUS: ROHSTOFFE
                                                        2 Fair am Traualtar
                                                       		 Nachhaltige Rohstoffe im Schmuckatelier
                                                        8 Fahrplan zu einer nachhaltigen Rohstoffwirtschaft
                                                       		 Primärgewinnung von Rohstoffen
                                                       12 Die dunkle Seite des Recyclings
                                                       		 Sekundärgewinnung von Rohstoffen
                                                       14   „Wir mussten lange für das Eingeständnis
                                                       		   kämpfen, dass die Bevölkerung vergiftet wurde“
                                                       		   Im Interview: Phyllis Omido (Center for Justice,
                                                       		   Governance and Environmental Action)

                              8
                                                       15 Porträts
                                                       		Dr. Michael Priester (Projekt-Consult GmbH)
              Rohstoffwende Deutschland 2049              Stefanie Degreif (Öko-Institut)
             Für eine nachhaltige Rohstoffstrategie       Dr. Thomas Gäckle (BMWi)

                                                       		 ARBEIT
                       Jetzt ein Gesetz                 6	Vom nachhaltigen Konsum bis zum Stromsystem
         Zum Abschlussbericht der Endlagerkommission       Aktuelle Projekte, neue Ideen
               Eine Kolumne von Michael Sailer         16 Von gefährlichen Stoffen bis zu Energiekosten

                            18                         		 Kurze Rückblicke, abgeschlossene Studien

                                                       		 PERSPEKTIVE
                                                       18 Jetzt ein Gesetz
                                                       		 Zum Abschlussbericht der Endlagerkommission

                                                       		 EINBLICK
                                                       19 Vom Nachhaltigkeitsbericht bis zum Autoverzicht
                                                       		 Neuigkeiten aus dem Öko-Institut

                                                       		 VORSCHAU
                                                       20 Zurück auf Anfang
                                                       		 Nachhaltige Lieferketten
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EDITORIAL I IMPRESSUM                      5

                    Von Plinius bis heute –
                    Rohstoffe strategisch
                    nutzen
                     In meiner raren Freizeit lese ich gern die alten Gelehrten und Historiker. Plinius zum Beispiel.
                     Meine Sommerlektüre war seine Naturgeschichte, die das antike Wissen um die Naturwis-
                     senschaften zusammengetragen hat. In einem Teil seines Werkes berichtet Plinius über Me-
                     talle und Erze und ihre Bedeutung für die antike Gesellschaft. Und bereits hier, 77 Jahre nach
                     Christus, finden sich vereinzelt Gedanken zur nachhaltigen Rohstoffnutzung – Plinius be-
                     schreibt, wie gebrauchte Gerätschaften, etwa aus Kupfer, eingeschmolzen und die Rohstoffe
                     erneut benutzt werden sollten.

                     Der Recyclinggedanke ist heute zentraler Stützpfeiler für eine nachhaltige Rohstoffpolitik.
                     Doch geht ein strategischer Umgang mit Rohstoffen weit über die Wiederverwendung hi-
                     naus, wie wir Ihnen bereits im ersten Heft dieses Jahres („Kreisverkehr statt Einbahnstraße“)
                     darlegen konnten. Vor allem der Rohstoffbezug, häufig aus Ländern außerhalb Europas,
                     muss heute strategisch angegangen bzw. begleitet werden. Denn für uns Industrieländer
                     zählt nicht mehr nur die Frage, wo Rohstoffe für unsere Industrieproduktion herkommen,
                     sondern auch, unter welchen Bedingungen sie gewonnen werden. Eine nachhaltige Förde-
                     rung muss dabei sowohl Umweltstandards als auch soziale Kriterien erfüllen und einseitige
Michael Sailer       Abhängigkeiten vermeiden.
Sprecher der
Geschäftsführung     Die aktuelle eco@work beschreibt Herausforderungen und Lösungsansätze einer nachhal-
des Öko-Instituts
                     tigen Rohstoffpolitik sowohl für Deutschland als auch international. Sie gibt gleichzeitig
m.sailer@oeko.de
                     einen ersten tieferen Einblick in unser Projekt „Rohstoffwende Deutschland 2049“, das wir
                     mit eigenen Mitteln finanziert haben, um eine zukunftsfähige, nachhaltige Rohstoffstrategie
                     für Deutschland zu entwickeln. Dieses und weitere Forschungsprojekte stehen auch im Mit-
                     telpunkt unserer diesjährigen wissenschaftlichen Jahrestagung, zu der ich Sie sehr herzlich
                     einlade. Sie findet am 1. Dezember in Berlin statt – Informationen zum Programm und zur
                     Anmeldung finden Sie in unserer Rubrik Einblick.

                     Viel Freude beim Lesen wünscht Ihnen

                    Weitere Informationen zu unseren Themen finden Sie im Internet unter www.oeko.de/epaper

                    eco@work – September 2016 – ISSN 1863-2009 – Herausgeber: Öko-Institut e.V.
                    Redaktion: Mandy Schoßig (mas), Christiane Weihe (cw) – Verantwortlich: Michael Sailer
                    Weitere Autoren: Ruth Blanck, Alexa Hännicke, Michael Sailer
                    Druckauflage: 2.800; digitale Verbreitung: rund 7.000 Abonnenten – Im Internet verfügbar unter: www.oeko.de/epaper
                    Die Redaktion der eco@work verwendet die maskuline Form von Begriffen wie „Wissenschaftler“ oder „Verbraucher“, bezieht sich aber
                    immer auf beide Geschlechter. Wir wollen so den Lesefluss erleichtern und bitten um Verständnis für diese Verkürzung.
                    Gestaltung/Layout: Tobias Binnig, www.gestalter.de – Technische Umsetzung: Markus Werz – Gedruckt auf 100 Prozent Recyclingpapier
                    Redaktionsanschrift: Schicklerstr. 5-7, 10179 Berlin, Tel.: 030/4050 85-0, Fax: 030/4050 85-388, redaktion@oeko.de, www.oeko.de
                    Bankverbindung für Spenden:
                    GLS Bank, BLZ 430 609 67, Konto-Nr. 792 200 990 0, IBAN: DE50 4306 0967 7922 0099 00, BIC: GENODEM1GLS
                    Spenden sind steuerlich abzugsfähig.
                    Bildnachweis: S.2/3 © Jan Spille Schmuck; S.4 oben links © Fiedels - Fotolia.com, unten © dasglasauge - Fotolia.com; S.6 © storm -
                    Fotolia.com; S.7 links © Rafael Ben-Ari - Fotolia.com, Mitte © Thomas Otto - Fotolia.com, rechts © rcfotostock - Fotolia.com; S.8/9 ©
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                    com; S.12 © tunedin - Fotolia.com; S.16 © fotogestoeber - Fotolia.com; S.17 © Dmitriy Syechin - Fotolia.com; S.18 © Markus Mohr -
                    Fotolia.com; S.19 oben © corlaffra - Fotolia.com, unten © majorosl66 - Fotolia.com; S.20 © johny87 - Fotolia.com; andere © Privat oder ©
                    Öko-Institut, Ilja C. Hendel
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6   ARBEIT I AKTUELL

    Ressourceneffizienz
    durch Völkerrecht
    Der Schutz natürlicher Ressourcen und eine höhere Res-
    sourceneffizienz sind mit Blick auf die wachsende Weltbe-
    völkerung, aber auch hinsichtlich schwerwiegender sozialer
    und ökologischer Konsequenzen der Ressourcengewin-
    nung von großer Bedeutung. „Ressourceneffizienz ist ein
    wichtiges Instrument, um Nachhaltigkeitsprobleme zu min-
    dern“, sagt Franziska Wolff, Leiterin des Bereichs Umwelt-
    recht & Governance am Öko-Institut, „sie kann zudem einen
    Beitrag zur Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom
    Ressourcenverbrauch leisten.“ Die Vorteile der Ressour-
    ceneffizienz – auch mit Blick auf Kosteneinsparungen durch
    ressourceneffiziente Produkte und Produktionsprozesse –          Konzepte für eine nach-
    sind deutlich. Viele politische Initiativen haben sich ihr be-
    reits gewidmet, auch auf internationaler Ebene wie etwa bei      haltige Stadtentwicklung
    den Sustainable Development Goals (SDGs). Bislang jedoch
    haben sich diese Initiativen nicht in völkerrechtlichen Nor-     Mehr Verkehr, mehr Lärm und ein größerer Flächenver-
    men niedergeschlagen. „Bei anderen umweltrelevanten              brauch – besonders in schnell wachsenden Siedlungsgebie-
    Themen wie etwa Klimaschutz oder Biodiversität ist das an-       ten stehen Bürger, Politiker und Stadtentwickler vor vielen
    ders, hier gibt es zum Beispiel die UN-Klimarahmenkonven-        Herausforderungen. Gleichzeitig sollen nationale Aufgaben
    tion und das Übereinkommen über die biologische Vielfalt“,       wie der Klimaschutz auch und gerade in den Städten umge-
    so Wolff.                                                        setzt werden. Die Vision einer CO2-freien Stadt gehört mitt-
                                                                     lerweile zum Leitbild einer nachhaltigen Stadtentwicklung.
    Wie kann der Ressourcenschutzgedanke international bes-          Doch welchen Nachhaltigkeitsbeitrag leistet das Quartiers-
    ser verankert werden, welche politischen und juristischen        management zum Klimaschutz? Wie kann mit Konflikten
    Maßnahmen können dabei helfen? Diesen Fragen gehen               zwischen zwei Zielen – etwa Investitionen in den Klima-
    die Wissenschaftler des Öko-Instituts unter Leitung des Eco-     schutz und bezahlbarer Wohnraum – umgegangen werden?
    logic Institute sowie mit dem Experten für Ressourcen-           Wie unterscheiden sich dabei die Strategien in verschiede-
    schutzrecht Prof. Joachim Sanden im Projekt „Völkerrechtli-      nen Regionen? Und welche Konzepte müssen für ein res-
    che Handlungsoptionen zur Steigerung der Ressourceneffi-         sourcenfreundliches, gesundes und bezahlbares Wohnen
    zienz“ nach. Im Auftrag des Umweltbundesamts erfassen            angewendet werden? Um diese Fragen beantworten zu
    die Projektpartner unter anderem die bestehenden Völker-         können, haben sich unter der Leitung von Dr. Dietlinde
    rechtsnormen, die sich mit Ressourceneffizienz befassen,         Quack und Dr. Bettina Brohmann vom Öko-Institut verschie-
    und analysieren vorhandene Hemmnisse. „Zusätzlich wird           dene Institutionen zum Forschungsprojekt „Transformative
    das Projektteam nicht-rechtliche und nicht-staatliche Pro-       Strategien einer integrierten Quartiersentwicklung“ zusam-
    zesse und Instrumente wie zum Beispiel das UNEP Resource         mengeschlossen. Beispielhaft für die spezifische Problem-
    Efficient Cleaner Production Programme untersuchen sowie         stellung einer Wachstumsregion konnten sie die Partner-
    Governance-Instrumente identifizieren und bewerten“, so          kommunen Darmstadt und Griesheim gewinnen, mit ihnen
    Franziska Wolff. Teil des Projektes, das bis April 2019 Ergeb-   und den Bewohnern bis Mitte 2019 Zukunftsszenarien und
    nisse vorlegen wird, ist außerdem die Entwicklung von kon-       konkrete Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige
    kreten Handlungsempfehlungen mit Blick auf die völker-           Transformation in der Stadt zu entwickeln. Das Projekt wird
    rechtliche Verankerung der Ressourceneffizienz sowie wei-        ab Herbst 2016 vom Bundesministerium für Bildung und
    tere Governance-Instrumente.                               cw    Forschung gefördert.                                    alh
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                                                                                  Das Strom-
                                                                                  system 2035+
                                                                                  Für eine Dekarbonisierung des Ener-
                                                                                  giesystems wird sich der Stromsektor
                                                                                  grundlegend wandeln müssen. Er ist
                                                                                  für etwa 40 Prozent der Treibhausgas-
                                                                                  emissionen hierzulande verantwort-
                                                                                  lich, seine Umgestaltung ist damit ein
                                                                                  zentraler Baustein der Energiewende.
                                                                                  „Der Stromsektor muss seine Emissio-
                                                                                  nen schnell und verlässlich senken“,
                                                                                  sagt Charlotte Loreck, Wissenschaft-
                                        Strategien zum                            lerin am Öko-Institut, „enorme struk-
                                                                                  turelle Anpassungen sind notwendig,

Konfliktpotential                       nachhaltigen                              denn es wird einen Umstieg auf varia-
                                                                                  ble Stromerzeugung sowie unter an-

unter Tage                              Konsum                                    derem einen großen Flexibilitätsbe-
                                                                                  darf geben.“

Bergbau,      Trinkwassergewinnung,     Das gesellschaftliche Bedürfnis, um-      Wie sich der Übergang zu einem de-
Geothermie, Speichervorhaben: Die       weltbewusster zu leben und zu kon-        karbonisierten Stromsystem gestal-
Nutzung des unterirdischen Raumes       sumieren, steigt. Das zeigt sich mit      ten lässt, in dem dezentrale Elemente
wächst – genauso wie seine Belas-       Blick auf ökologische Landwirtschaft,     verstärkt eingesetzt werden oder so-
tung und die Auswirkungen der Nut-      fairen Handel oder auch alternative       gar dominieren, untersuchen die Wis-
zung auf die Umwelt. Konflikte sind     Mobilitätskonzepte. Die Bundesregie-      senschaftler des Öko-Instituts ge-
damit vorprogrammiert. Um eine          rung hat ein nationales Programm          meinsam mit der Prognos AG für den
ausgeglichene, öffentlich akzeptierte   beschlossen, um den nachhaltigen          WWF Deutschland. Unter der Über-
und nachhaltige Nutzung des unterir-    Konsum zu stärken und dabei die Teil-     schrift „Struktur des Stromsystems
dischen Raumes zu ermöglichen, hat      habe aller Bürger zu ermöglichen. Da-     2035+“ gehen die Experten der Frage
das Umweltbundesamt das For-            ran anknüpfend initiiert das Öko-Ins-     nach, wie dezentrale Elemente des
schungsprojekt „INSTRO – Instrumen-     titut unter der Leitung von Dr. Corinna   Stromsystems unter Berücksichti-
te zur umweltverträglichen Steue-       Fischer ein bereichsübergreifendes        gung des regulativen und politischen
rung der Rohstoffgewinnung“ in          Eigenprojekt, das effektive Strategien    Rahmens sowie der Verbraucherwün-
Auftrag gegeben. Unter der Leitung      zum nachhaltigen Konsum entwi-            sche gestaltet sein können. „Darüber
von Friedhelm Keimeyer untersucht       ckeln soll. Das Ziel: Eine fachlich un-   hinaus analysieren wir, bis wann wel-
das Öko-Institut gemeinsam mit Prof.    termauerte Stellungnahme zum Pro-         che Weichenstellungen im Stromsys-
Thomas Schomerus, Prof. Joachim         gramm der Bundesregierung zu erar-        tem erfolgt sein müssen, um Klima-
Sanden und Rechtsanwalt Dirk            beiten und diese mit politischen          schutzziele zu erreichen, und welche
Teßmer rechtliche und planerische       Entscheidungsträgern zu diskutieren.      Kosten durch den Umbau entstehen
Instrumente zur umweltverträglichen     Das Öko-Institut stellt voraussichtlich   – so etwa mit Blick auf die Stromer-
unterirdischen Nutzung. Das Projekt-    im Frühjahr 2017 die Ergebnisse in        zeugung, Infrastrukturen und Flexibi-
team legt konkrete Handlungsemp-        Veranstaltungen und Publikationen         litätsoptionen“, erklärt Loreck. Erste
fehlungen voraussichtlich Ende 2017     der interessierten Öffentlichkeit vor.    Ergebnisse legt das Projekt voraus-
vor.                             alh                                        alh   sichtlich im September 2016 vor. cw
Rohstoffe Gewinnung, Verarbeitung, Recycling - Eco-Fair-Trade-Gold Ein Schmuckatelier in Hamburg Sukzessive Vergiftung Interview mit Phyllis Omido ...
8   IM FOKUS

               Fahrplan zu einer
               nachhaltigen
               Rohstoffwirtschaft
Rohstoffe Gewinnung, Verarbeitung, Recycling - Eco-Fair-Trade-Gold Ein Schmuckatelier in Hamburg Sukzessive Vergiftung Interview mit Phyllis Omido ...
9

Primärgewinnung von Rohstoffen
Rund 40 Tonnen Quecksilber gelangen jedes Jahr durch den ille-
galen Goldabbau in das peruanische Amazonasgebiet. Allein die
weltweite Stahl- und Zementproduktion verursacht das Sechsfa-
che der Treibhausgasemissionen der Bundesrepublik, 5,7 Milliar-
den Tonnen CO2-Äquivalente. Nach Schätzungen des UN-Kinder-
hilfswerks UNICEF arbeiten in südkongolesischen Minen rund
40.000 Kinder. Der geschützte hessische Bannwald südlich des
Langener Waldsees wird für die Erweiterung des Kiesabbaus ge-
rodet.
Beispiele, die mehr als deutlich die     minium oder Kupfer sowie bei Tech-
ökologischen und sozialen Probleme       nologierohstoffen wie den Seltenen
im Zusammenhang mit der Primärge-        Erden ist Deutschland aber bei Primär-
winnung von Rohstoffen zeigen. Pro-      rohstoffen vollständig von Importen
bleme, denen sich auch die Bundesre-     abhängig. Mit Blick auf bestehende
publik stellen muss. Denn die globalen   Versorgungsrisiken und die oftmals
Minen- und Verarbeitungsaktivitäten      schwerwiegenden sozialen und ökolo-
decken unter anderem die Nachfrage       gischen Folgen der Förderung ist klar:
eines Industrielandes wie Deutschland.   So wie bisher kann Deutschland nicht
Viele der benötigten Rohstoffe werden    weitermachen, notwendig ist eine lang-
hierzulande gefördert – so etwa Kies.    fristig angelegte Rohstoffwende.
Vor allem bei Metallen wie Eisen, Alu-
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10 IM FOKUS

                                               Die ausgewählten Rohstoffe haben ein
                                               breites Spektrum an Eigenschaften mit              ROHSTOFFWENDE:
                                               Blick auf Primärgewinnung, Nutzung            BEISPIELE KIES UND NEODYM
                                               und Recycling. Für sie werden im Rah-
                                               men des Projektes Risiken und Auswir-
                                               kungen analysiert. „Das betrifft ökono-    Die Vorgehensweise des Projektes „Roh-
                                               mische Fragen wie Versorgungsrisiken,      stoffwende Deutschland 2049“ zeigt
                                               aber vor allem auch ökologische Folgen     sich exemplarisch an den Materialien
                                               wie Schadstoffemissionen, Flächenin-       Kies und Neodym. „Zwei sehr unter-
                                               anspruchnahme und das Risiko radio-        schiedliche Rohstoffe: Kies, das Massen-
                                               aktiver Stoffe. Ebenso wichtig sind so-    material, wird praktisch ausschließlich
                                               ziale Aspekte wie Arbeitssicherheit und    hierzulande gefördert. Das Technolo-
        40 Tonnen Quecksilber                  Kinderarbeit“, erklärt Stefanie Degreif.   giemetall Neodym wird hingegen voll-
       gelangen jährlich durch                                                            ständig importiert“, sagt Degreif, „auch
     illegalen Goldabbau in das                Die sogenannten HotSpots, besonders        die Herausforderungen der Förderung
                                               relevante negative Folgen der Rohstoff-    liegen in unterschiedlichen HotSpots
   ­ eruanische Amazonasgebiet.
   p
                                               gewinnung, zeigen sich bei den ver-        und erfordern daher unterschiedliche
                                               schiedenen Rohstoffen in unterschied-      rohstoffspezifische Ziele.“ Besonders
                                               lichen Kategorien. Daher entwickelt        negative Folgen der Primärgewinnung
                                               das Projektteam für die identifizierten    des Massenrohstoffs Kies sind etwa die
                                               rohstoffspezifischen HotSpots auch         Flächeninanspruchnahme und Zerstö-
   „Mit Blick auf eine langfristig wirksame,   rohstoffspezifische Ziele sowie Maß-       rung des Landschaftsbildes. Ein roh-
   nachhaltige Rohstoffstrategie müssen        nahmen und Instrumente zu ihrer Er-        stoffspezifisches Ziel muss daher den
   wir hierzulande noch viel tun“ sagt         reichung. Das können mit Blick auf das     absoluten Primärbedarf mittel- und
   Stefanie Degreif, Wissenschaftlerin am      Rohstoffangebot zum Beispiel Vorga-        langfristig verringern. Das Projektteam
   Öko-Institut. „Indikatoren wie die Roh-     ben für eine nachhaltige, ökologische      formulierte unter anderem das Ziel, den
   stoffproduktivität können zwar als eine     und soziale Primärgewinnung sein, mit      Einsatz von Recyclingmaterial von der-
   Art grober Pegelstandsmesser herange-       Blick auf die Rohstoffnachfrage hinge-     zeit 0,4 auf fast zehn Prozent zu steigern
   zogen werden. Sie geben aber keinerlei      gen eine längere Verwendung von In-        sowie die Neubauaktivitäten durch bes-
   Auskunft zu ökologischen und sozialen       frastrukturen und Produkten.               seren Bestandserhalt zu bremsen. „Wir
   Auswirkungen der Rohstoffbedarfe                                                       haben beispielhafte Maßnahmen iden-
   – und diese können bei den verschie-        „Wir haben zwei Szenarien entwickelt       tifiziert, die fast zu einer Halbierung des
   denen Rohstoffen grundlegend anders.        – das Business-as-usual-Szenario und       Primärkiesbedarfs führen“, so Degreif,
   ein.“ So unterscheiden sich etwa die        das Rohstoffwende-Szenario“, sagt          „dazu gehören die Einführung einer
   Auswirkungen von Massenrohstoffen           Degreif, „darin prognostizieren wir die    Primärbaustoffsteuer, das Vorschreiben
   wie Stahl oder Kies grundlegend von         Entwicklung des Rohstoffbedarfs bis        eines Mindesteinsatzes von Recycling-
   jenen der Nicht-Massenrohstoffe, so         2049. Zudem geben wir Handlungs-           beton bei öffentlichen Bauvorhaben
   etwa der Technologiemetalle Lithium         empfehlungen in unterschiedlichen          sowie die Verlängerung der Le-
   und Neodym. Daher können für Mas-           Bedürfnisfeldern wie Informations- und     bensdauer von Gebäuden.“
   sen- und Nicht-Massenrohstoffe nicht        Kommunikationstechnik, Wohnen, Ar-         Beim Vergleich des
   die gleichen Indikatoren und Ziele für      beiten oder Mobilität.“ Der Vergleich      primären         Roh-
   eine nachhaltige Rohstoffwirtschaft         der beiden Szenarien zeigt, in welchem     stoffbedarfs
   abgeleitet werden. Hier will das Öko-       Umfang eine Rohstoffwende möglich
   Institut ansetzen: Im eigenfinanzierten     ist. „Würde sich etwa beim Wohnen
   Projekt „Rohstoffwende Deutschland          alles so weiterentwickeln wie bisher,
   2049“ entwirft das Institut eine lang-      blieben die Anteile an flächen- und ma-
   fristige Strategie für eine nachhaltige     terialintensiven Bauformen sowie an
   Rohstoffwirtschaft für Deutschland. Für     Neubauten hoch. Es würde weiterhin
   die Analyse betrachtet das Projektteam      sehr wenig Recyclingbeton und we-
   75 abiotische Rohstoffe aus den Roh-        nig Holz eingesetzt sowie nur moderat
   stoffkategorien Erze, Industriemateria­     saniert“, so Stefanie Degreif. In einem
   lien und Baumaterialien. „Wir untersu-      Rohstoffwendeszenario          hingegen
   chen Edelmetalle wie Palladium oder         nimmt das Öko-Institut eine Verlänge-
   Gold und Industriematerialien wie Ka-       rung der Lebensdauer von Gebäuden
   lisalze oder Phosphat. Berücksichtigt       durch eine Erhöhung der Sanierungs-
   werden Rohstoffe wie Sand und Kies,         rate, vermehrtes Bauen von und Woh-
   die vor allem hierzulande gefördert         nen in Mehrfamilienhäusern sowie den
   werden, aber auch jene, die importiert      verstärkten Einsatz von Holz und Recy-
   werden müssen, so Neodym oder Zinn.“        clingbeton an.
11

in den entwickelten Szenarien zeigte        „Im Gegensatz zum Ziel der absoluten
sich, wie deutlich sich durch die for-      Verringerung des Primärbedarfs von                  NACHHALTIG IN EUROPA
mulierten Maßnahmen die Kiesnut-            Kies liegt der Fokus beim Technologie-
zung verringern lässt: Der Bedarf liegt     metall Neodym, das zum Beispiel für
in den betrachteten Sektoren Wohnen,        Elektromotoren in Elektrofahrzeugen            Mit einer nachhaltigen Rohstoffversor-
Arbeiten und Mobilität im Rohstoff-         eingesetzt wird, nicht auf einer Redu-         gung befassen sich Wissenschaftler des
wendeszenario bis 2049 um knapp die         zierung des Primärbedarfs“, so Degreif,        Öko-Instituts gemeinsamen mit inter-
Hälfte bzw. etwa 23 Millionen Tonnen        „das Seltenerdmetall hilft durch den           nationalen Partnern auch im Projekt
pro Jahr niedriger als im Business-as-      Einsatz in Umwelttechnologien, andere          STRADE (Strategic Dialogue on Sustai-
usual-Szenario.                             Ressourcen massiv einzusparen. Daher           nable Raw Materials for Europe). Das
                                            sollte eine Rohstoffstrategie hier vor         von der Europäischen Union geförderte
                                            allem Maßnahmen in der Primärkette             Forschungsvorhaben geht derzeit der
                                            und damit die Bereitstellung von zertifi-      Frage nach, wie eine langfristige Roh-
                                            ziertem Primärmaterial im Blick haben.“        stoffstrategie der EU ausgestaltet wer-
                                            Für entsprechend zertifiziertes Neodym         den kann, die mit Blick auf ökologische
                                            hat das Projektteam des Öko-Instituts          und soziale Fragen nachhaltig erfolgt.
                                            ambitionierte Kriterien definiert. „Sollte     Hierfür arbeiten die Wissenschaftler
                                            die freiwillige Zertifizierung mittelfristig   mit Projektpartnern aus rohstoffreichen
                                            nicht den gewünschten Erfolg erzielen,         Ländern wie Südafrika zusammen. „Die
                                            sind Importzölle und -verbote mögliche         Interessen dieser Länder sollen berück-
                                            Maßnahmen, um eine Zertifizierung zu           sichtigt werden, daher werden wir in
                                            unterstützen.“ Für Neodym beschreibt           Workshops über Erfahrungen bei Roh-
                                            das Projekt zudem das Ziel, den Ein-           stoffpolitik und -förderung sprechen“,
  Der Kiesbedarf der Sektoren               satz von Sekundärmaterial von heute            erklärt Stefanie Degreif, „die gewon-
                                            null auf 30 Prozent bis 2049 zu erhöhen        nenen Erkenntnisse werden wir zusam-
    Wohnen, Arbeiten und                    sowie die Nutzungsdauer von Infor-             men mit begleitenden Analysen für ein
  Mobilität kann bis 2049 um                mations- und Kommunikationstechnik             international anerkanntes Bewertungs-
   knapp die Hälfte gesenkt                 (IKT) um 50 Prozent zu verlängern. „Trotz      schema für Rohstoffförderung nut-
            werden.                         des ambitionierten Recyclings steigt im        zen.“ Dieses soll nachvollziehbare und
                                            Rohstoffwende-Szenario der primäre             transparente Kriterien für eine sozial
                                            Neodymbedarf der betrachteten re-              und ökologisch verträgliche Förderung
                                            levanten Sektoren Mobilität und IKT            von Rohstoffen enthalten. „So werden
                                            um 1.200 Tonnen jährlich beziehungs-           Politik, Wirtschaft und Investoren bei
Beim Technologiemetall Neodym gibt          weise knapp 60 Prozent“, sagt Stefanie         der Bewertung des Nachhaltigkeitsni-
es neben dem Versorgungsrisiko sowie        Degreif, „das Rohstoffwendeszenario            veaus einer Förderstätte unterstützt“,
dem Risiko der Korruption, der man-         zeigt aber auch, dass sich der Anteil          sagt Degreif. Zusätzlich behält das
gelnden Arbeitssicherheit und Kinder-       an zertifiziertem Neodym erheblich             Projektteam auch Fragen der Versor-
    arbeit vor allem sehr relevante Um-     steigern lässt: Er kann bis 2049 bei 80        gungssicherheit Europas sowie den eu-
            weltrisiken: die radioaktiven   Prozent des Gesamtbedarfs liegen und           ropäischen Bergbau im Blick: „Teil von
                  Rückstände sowie die      somit die negativen ökologischen und           STRADE ist es ebenfalls, Lösungsansät-
                      Schwermetalle bei     sozialen Auswirkungen absolut deut-            ze für die Sicherung der Wettbewerbs-
                          der Primärge-     lich reduzieren.“                              fähigkeit der europäischen Rohstoffför-
                              winnung.                                                     derung und -industrie zu entwickeln.“
                                            Wie sich die Rohstoffwende für diese
                                            und andere Rohstoffe verwirklichen                                         Christiane Weihe
                                            lässt, daran arbeitet das Projektteam
                                            noch bis Ende 2016: Auf der Jahresta-
                                            gung des Öko-Instituts am 1. Dezember
                                            werden die finalen Ergebnisse des Pro-
                                            jektes erstmals öffentlich vorgestellt.

                                                                                                Stefanie Degreif befasst sich seit 2010
                                                                                               im Bereich Ressourcen & Mobilität des
                                                                                                  Öko-Instituts mit dem Thema Res-
                                                                                               sourcen – so unter anderem im Projekt
                                                                                                 Rohstoffwende Deutschland 2049,
                                                                                                das sich einer umfassenden Strategie
                                                                                                    für eine nachhaltige Rohstoff-
                                                                                                          wirtschaft widmet.
                                                                                                           s.degreif@oeko.de
12 IM FOKUS

   Die dunkle Seite
   des Recyclings
   Sekundärgewinnung von Rohstoffen

   Der Begriff „Recycling“ ist hierzulande wahrscheinlich so positiv besetzt wie die Wörter „Bio“ oder „Nachhaltig“.
   Und die Rückgewinnung von Rohstoffen ist natürlich eine sinnvolle Sache: Ohne Recycling ist eine nachhaltige
   Rohstoffstrategie nicht denkbar. Es hat positive Auswirkungen auf die Umwelt und die verbliebenen Rohstoff-
   vorkommen. Doch Moment, jedes Recycling? Wie Experten des Öko-Instituts zeigen, gibt es in Entwicklungs-
   ländern auch eine andere, dunkle Seite des Recyclings: Katastrophale Folgen für Mensch und Umwelt hat zum
   Beispiel das unsachgemäße Bleirecycling aus Altbatterien in vielen afrikanischen Ländern. Damit hat sich im
   Mai 2016 auch die Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA2) befasst.

   Das Schrottaufkommen in Schwellen-            das Einschmelzen des Bleis wie Hand-       und ihre Recyclingpraktiken sowie über
   und Entwicklungsländern steigt konti-         schuhe oder Mundschutz fehlen. „Das        deren Auswirkungen in afrikanischen
   nuierlich an – so wächst etwa in Afrika       führt zu extremen Bleibelastungen der      Staaten zu verbreitern, Aufmerksamkeit
   der gesamte Kfz-Bestand jährlich um           Arbeiter ebenso wie der Anwohner von       für das Problem zu schaffen sowie nach-
   etwa fünf Prozent und damit auch die          Bleihütten, die lebensbedrohlich sein      haltige Lösungsansätze aufzuzeigen.
   anfallende Menge ausgedienter Fahr-           können“, erklärt Manhart, „dieses Risiko   „In Dakar im Senegal sind zum Beispiel
   zeuge. „Inzwischen liegen die Schwel-         ist den meisten Menschen übrigens gar      zwischen November 2007 und März
   len- und Entwicklungsländer beim ge-          nicht bewusst – sie halten die Sympto-     2008 insgesamt 18 Kinder unter fünf
   samten Schrottaufkommen mit den In-           me einer Bleivergiftung für Anzeichen      Jahren an einer akuten Bleivergiftung
   dustrieländern gleichauf“, sagt Andreas       einer Infektionskrankheit.“                gestorben“, sagt der Wissenschaftler.
   Manhart, Wissenschaftler am Öko-                                                         Schwerwiegende Folgen des unsach-
   Institut, „ein Problem, das dem Thema                                                    gemäßen Recyclings bestehen jedoch
   Recycling in den Entwicklungsländern                                                     nicht nur im direkten Umfeld der Blei-
   in Zukunft eine viel größere Relevanz                                                    hütten: „In Kamerun etwa wird ein Teil
   geben wird.“ Denn sachgerecht recycelt                                                   des Schwermetalls für die Produktion
   werden die Abfälle häufig nicht: „Dass                                                   von Kochtöpfen verwendet. Und auch
   es Recycling gibt, ist hier leider nicht                                                 die Wiederverwertung der Batteriege-
   per se positiv, denn die oft rudimen-                                                    häuse aus Plastik ist ein Problem, da der
   tären Verfahren gefährden Menschen                                                       Rohstoff meist nicht angemessen ge-
   und Umwelt“, so Manhart, „so etwa das                                                    reinigt wird und das verbleibende Blei
   Abfackeln von Autoreifen oder das Ab-                                                    damit in ziemlich gesundheitskritische
   brennen der Kunststoffummantelun-                                                        Anwendungen wie Trinkwassertanks
   gen von Kabeln, aus denen Kupfer ge-                                                     verschleppt wird.“
   wonnen werden soll.“                            Über 1,2 Millionen Tonnen
                                                    Altbatterien fallen 2016                Ein wichtiger Schritt, Menschen und
   Insbesondere die Rückgewinnung von                     in Afrika an.                     Umwelt besser vor diesen Gefahren zu
   Blei aus Autobatterien ist mit gravieren-                                                schützen, sind das Aufklären der Bevöl-
   den Problemen verbunden. „Mit dem                                                        kerung über die bestehenden Risiken
   Wachstum des Verkehrsaufkommens                                                          sowie die Informationsvermittlung an
   steigt die Zahl der Altbatterien in Afrika,                                              politische Entscheider. „Darüber hinaus
   für 2016 wird ihre Menge auf mehr als                                                    müssen die lokalen Recyclingunterneh-
   1,2 Millionen Tonnen geschätzt“, sagt           STANDARDS FÜR BLEIHÜTTEN                 men in einem ersten Schritt dringend
   der Experte vom Öko-Institut, „damit                                                     Maßnahmen ergreifen, damit die Men-
   fallen jährlich mehr als 800.000 Ton-                                                    schen dem Blei nicht mehr schutzlos
   nen Blei an, die vor allem in Ländern         Mit dem aktuellen, spendenfinanzier-       ausgeliefert sind“, fordert Manhart.
   südlich der Sahara meist unter sehr           ten „Lead Recycling Africa Project“ hat    Sinnvoll seien darüber hinaus Stan-
   problematischen Bedingungen wieder-           das Öko-Institut in Kooperation mit        dards zum umwelt- und gesundheits-
   verwertet werden.“ Die Batteriesäure          Umweltorganisationen aus Äthiopien,        gerechten Batterierecycling mit Vorga-
   wird unkontrolliert abgegossen, selbst        Kenia, Tansania und Kamerun dazu bei-      ben zur Gesundheitsüberwachung und
   die einfachsten Schutzmaßnahmen für           getragen, das Wissen über die Betriebe     Unternehmensführung, zu Emissionen
13

und zur Rückstellung von Kapital für die    Best of two Worlds (Bo2W) gemeinsam         Welche schwerwiegenden Probleme
Beseitigung von Umweltschäden. Dar-         mit lokalen Institutionen aus Ghana         bei der Gewinnung von Sekundärroh-
über hinaus brauche es Anreizsysteme        und Ägypten sowie mit Industriepart-        stoffen entstehen können, hat im Mai
für jene, die umweltgerecht recyceln.       nern aus Belgien und Deutschland be-        2016 nun auch die UN-Umweltver-
„Es darf nicht sein, dass diejenigen, de-   fasst. „Mit Fokus auf Altfahrzeuge und      sammlung in Nairobi betont: Sie sprach
nen die Auswirkungen ihres Tuns egal        E-Schrott haben wir analysiert, wie in      ihre tiefe Sorge über das Problem des
sind, die einfach auf dem billigsten Weg    Ghana und Ägypten nachhaltige Sam-          unsachgemäßen Recyclings von Blei-
an die Rohstoffe rankommen wollen,          mel- und Recyclingsysteme aufgebaut         Säure-Batterien aus und rief dazu auf,
mehr verdienen als jene, die sachge-        werden können“, erklärt Manhart. Das        Standards umzusetzen. „Das ist eine
recht recyceln.“ Dieses Prinzip müsse       vom Bundesministerium für Bildung           Aussage, auf die man sich in späteren
man durch Anreize für umweltgerech-         und Forschung geförderte Projekt sollte     Verhandlungen berufen kann und da-
tes Recycling umkehren.                     „Das Beste aus zwei Welten“ vereinen:       her ein wichtiger Schritt nach vorne“,
                                            die jeweiligen Vorteile bestehender         sagt Andreas Manhart. Nicht nur, um
Eine hohe Verantwortung hat nach            Recyclingstrukturen in Industrie- und       ein wenig Licht in die dunkle Seite des
Ansicht des Wissenschaftlers vom Öko-       Schwellenländern. „Der Grundgedanke         Bleirecyclings in Afrika zu bringen –
Institut zudem die Autoindustrie, die für   ist: Die Produkte werden lokal demon-       denn das Problem besteht auch auf
einen Großteil des weltweiten Bleiver-      tiert – natürlich unter Einhaltung an-      anderen Kontinenten: „Wir kennen zum
brauchs verantwortlich ist. Das in den      spruchsvoller Umwelt- und Sozialstan-       Beispiel Fälle aus Vietnam oder der Do-
afrikanischen Ländern zurückgewonne-        dards – und dann in hocheffizienten         minikanischen Republik, weltweit ist
ne Schwermetall wird zumeist nach Asi-      Anlagen in Industriestaaten weiterver-      – nach vorsichtigen Schätzungen – die
en und Europa exportiert, da es vor Ort     wertet“, sagt der Experte vom Öko-Ins-      Gesundheit von fast einer Million Men-
oft keine industrielle Verwendung dafür     titut, „so wurden zum Beispiel in Ghana     schen direkt bedroht.“
gibt – und landet über Bleiraffinerien      gesammelte Blei-Säure-Batterien nach
unter anderem bei den Produzenten           Europa gebracht, wo sie von Spezia-                                    Christiane Weihe
von Autobatterien. „Die europäische         listen recycelt wurden.“ Das Projekt
Autoindustrie muss Verantwortung            zeigte: Der Bo2W-Ansatz ist umsetzbar.
übernehmen, so durch deutlich stren-        Gleichzeitig haben die Experten aber
gere Standards für ihre Zulieferer vom      auch strukturelle Schwierigkeiten für
ersten Schritt an“, so der Experte.         seine breite Implementierung ermit-
                                            telt: „Auch in Ghana und Ägypten hat
                                            sich gezeigt, dass jene Recycler, die die
      BEST OF TWO WORLDS                    Kosten zum Beispiel für Sicherheit und          Sozial- und Umweltstandards in inter-
                                            Gesundheit der Arbeiter nicht externa-           nationalen Produktionsketten stehen
                                            lisieren, einen deutlichen Wettbewerbs-         im Mittelpunkt der Arbeit von Andreas
                                                                                            Manhart. Der Geograph ist seit 2005 im
Mit Lösungsansätzen für die Bekämp-         nachteil haben. Die informelle Abfall-
                                                                                              Bereich Produkte & Stoffströme des
fung von unsachgemäßem Recycling            wirtschaft trägt diese Kosten nicht                       Öko-Instituts tätig.
hat sich das Öko-Institut auch im Projekt   selbst und dominiert damit den Markt.“                   a.manhart@oeko.de
14 IM FOKUS I INTERVIEW

                                  „Wir mussten lange für das
                                    Eingeständnis kämpfen, dass
                                      die Bevölkerung vergiftet wurde“
                                              Mitten in Owino Uhuru, einem Slum im kenianischen Mombasa, machte eine
                                              Bleihütte die Menschen krank. Auch King David, den Sohn von Phyllis Omido. Sie
                                               war angestellt in dem Unternehmen, das die Gemeinde durch verantwortungs-
                                               lose Praktiken sowie mangelnden Schutz von Arbeitern und Umwelt bei der Ge-
                                               winnung von Blei aus alten Autobatterien sukzessive vergiftete. Omido kämpfte
                                              jahrelang für die Schließung der Bleihütte, gründete dafür die NGO Center for
                                             Justice, Governance and Environmental Action. Sie brachte Schritt für Schritt die
                                            Gemeinde und betroffene Arbeiter auf ihre Seite, erhielt schließlich auch die Un-
                                           terstützung internationaler Organisationen. Im Jahr 2014 ihr erster großer Sieg: Die
                                         Bleihütte wurde geschlossen. 2015 gewann Phyllis Omido für ihr Engagement einen
                                       der weltweit wichtigsten Umweltpreise, den Goldman Environmental Prize, auch Um-
                                    welt-Nobelpreis genannt. Doch ihr Kampf gegen die Vergiftung von Menschen ist noch
                                 lange nicht vorbei.

   Am Anfang Ihres Kampfes gegen die           die Umweltverschmutzung durch die          von Blei-Säure-Batterien ausgesprochen
   Bleihütte – wie ist es Ihnen gelungen,      Bleihütte behoben wird. Hier leben         hat – ich war bei den Verhandlungen in
   Unterstützung zu mobilisieren?              schließlich nach wie vor sehr viele Men-   Nairobi dabei – ist außerdem ein großer
   Zu Beginn war es ein sehr einsamer          schen. Außerdem haben wir eine Klage       Sieg für unsere Sache.
   Weg, aber nach und nach konnte ich          auf Schadenersatz gegen die Leitung
   die Menschen überzeugen, dass sie sich      der Bleihütte und die Regierung erho-      Was bedeutet der Goldman Environ-
   wehren müssen. Die Frauen sahen ja,         ben. Die Menschen benötigen Geld           mental Prize für Sie?
   dass ihre Kinder krank wurden. Als ich      für die medizinische Behandlung. Und       Der Preis ist eine große Ehre und ein
   erreichen konnte, dass nach meinem          nicht zu vergessen: Die kenianische        wichtiger Meilenstein für unsere Arbeit.
   Sohn drei weitere Kinder auf Bleivergif-    Verfassung garantiert ihren Bürgern        Er hat uns außerdem sehr dabei gehol-
   tung getestet wurden – und die Tests        schließlich eine saubere, gesunde und      fen, noch mehr Aufmerksamkeit für das
   positiv ausfielen – fingen die Bewohner     nachhaltige Umwelt.                        Thema zu schaffen.
   an, zuzuhören. Als einer der Arbeiter an
   Bleivergiftung starb, hörten auch seine     Wie lange würde die Reinigung dau-         Was sagt Ihr Sohn zu Ihrem Engage-
   Kollegen zu und begannen, sich testen       ern?                                       ment?
   zu lassen.                                  Nicht lange, wahrscheinlich kürzer als     Er ist sehr stolz darauf und ermutigt
                                               einen Monat. Es handelt sich hier ja nur   mich ständig. King David ist jetzt zehn
   Wie ist die Situation heute, nach der       um eine Fläche von knapp sechs Hektar.     Jahre alt und möchte später auch Um-
   Schließung?                                 Und die Reinigung wäre mit etwa vier       weltaktivist werden. Allerdings inter-
   Noch immer leiden viele Menschen un-        Milliarden kenianischen Schilling auch     essiert er sich mehr für den Tierschutz
   ter den Nachwirkungen der Bleihütte.        nicht unbezahlbar, das entspricht gut      (lächelt).
   Unsere Böden und Gewässer sind nach         39 Millionen US-Dollar.
   wie vor verseucht, so gelangen die ge-                                                 Vielen Dank für das Gespräch.
   fährlichen Stoffe weiterhin in unsere       Was waren Ihre größten Erfolge bis-        Das Interview führte Christiane Weihe.
   Nahrung. Immer wieder beerdigen wir         lang?
   Menschen, die an Bleivergiftungen ster-     Die endgültige Schließung der Bleihüt-
   ben. 800 Menschen wurden bereits auf        te, natürlich, und dass die kenianische
   Bleivergiftung getestet, davon drei Vier-   Regierung endlich zugegeben hat, dass
   tel positiv.                                hier die Bevölkerung vergiftet wurde.
                                               Für dieses Eingeständnis mussten wir
   Was sind heute Ihre zentralen Forde-        sehr lange kämpfen, denn uns fehlten
   rungen?                                     lange konkrete Beweise. Zudem wurden
   Wir erwarten, dass endlich alle Men-        immer wieder wichtige Informationen,
   schen getestet werden – es fehlen noch      so etwa medizinische Testergebnisse,
                                                                                            Im Interview mit eco@work: Phyllis Omido,
   2.200 Tests. Außerdem verlangen wir         vor uns versteckt. Dass die UN-Um-
                                                                                          Gründerin und Geschäftsführerin des Center for
   von der Regierung, dass unsere Ge-          weltversammlung im Mai ihre Besorg-        Justice, Governance and Environmental Action
   meinde noch in diesem Jahr gereinigt,       nis über das unsachgemäße Recycling                    info@centerforjgea.com
IM FOKUS I PORTRÄTS 15

                                                       Stefanie Degreif
                                               Wissenschaftlerin am Öko-Institut
         Dr. Michael Priester
        Senior-Bergbauberater
                                            Sie brauchte Geduld und einen sehr di-
    bei der Projekt-Consult GmbH                                                                   Dr. Thomas Gäckle
                                            cken Mantel. Denn an der Hudson Bay
                                                                                                Leiter der Unterabteilung
                                            lagen die Temperaturen im November
                                                                                                 Rohstoffpolitik im BMWi
Wenn er von einer Reise zurückkommt,        bei minus 20 Grad. „Ich wollte schon
hat er oft ein Stück Holz im Gepäck.        lange Eisbären in ihrem natürlichen
Nicht für den heimischen Kamin an ei-       Lebensraum sehen“, erzählt Stefanie          Die sichere Versorgung mit wichtigen
nem kalten Wintertag, sondern für die       Degreif. An der Bucht im Nordosten Ka-       metallischen und mineralischen Roh-
Bildhauerei. 50 bis 100 Stunden bear-       nadas hat sich ihr Traum erfüllt: 15 Tiere   stoffen stand im Vordergrund, als das
beitet er den Rohstoff, schafft daraus      konnte die Wissenschaftlerin vom Öko-        Bundesministerium für Wirtschaft und
eine Skulptur. Gelegenheit für solch        Institut beobachten.                         Energie (BMWi) vor gut fünf Jahren die
ein Mitbringsel hat Dr. Michael Priester                                                 Unterabteilung Rohstoffpolitik einrich-
oft: In über 40 Ländern war der Berg-       Geduld braucht die Diplom-Geogra-            tete. „Nach der Verknappung von Roh-
bauingenieur mittlerweile unterwegs,        phin auch bei ihrer täglichen Arbeit im      stoffen und erheblichen Preissteigerun-
er berät und begleitet Projekte der in-     Bereich Ressourcen & Mobilität, etwa im      gen war klar: Wir müssen etwas tun“,
ternationalen Entwicklungszusammen-         Projekt „Rohstoffwende Deutschland           sagt Dr. Thomas Gäckle, der diese Unter-
arbeit. Sein Fokus liegt dabei auf dem      2049“. 75 unterschiedliche Rohstoffe         abteilung seither leitet. Nach zwölf Jah-
Kleinbergbau. „Weltweit arbeiten nach       analysiert das Projektteam dafür, ent-       ren Arbeit im Bundestag hat er die Auf-
Schätzungen etwa 12 bis 15 Millionen        wickelt Strategien für eine nachhaltige      gabe gerne übernommen: „Diese Arbeit
Menschen in diesem Bereich, 60 bis 75       Rohstoffnutzung. „Es besteht unter-          hat viele spannende Facetten, so etwa,
Millionen sind wirtschaftlich davon ab-     schiedlicher Handlungsbedarf, daher          dass wir ein aus politisch-administrati-
hängig“, sagt er.                           entwickeln wir konkrete Ziele und Maß-       ver Sicht recht junges Thema betreuen,
                                            nahmen für die einzelnen Rohstoffe.“         bei dem man viel gestalten kann.“
Die oftmals schwerwiegenden sozia-          Gerade das Industrieland Deutschland
len und ökologischen Probleme des           kann noch viel tun, so Stefanie Degreif:     Inzwischen gehören auch umweltpoli-
Kleinbergbaus in vielen Ländern kennt       „Wir brauchen dringend eine Rohstoff-        tische und zivilgesellschaftliche Frage-
Priester genau. Ein zentrales Instrument    wende, doch Deutschland ist hier leider      stellungen zum Arbeitsbereich des Un-
zu ihrer Lösung sieht er in Entwick-        kein Vorreiter. Das zeigt sich etwa am       terabteilungsleiters – so etwa mit Blick
lungspartnerschaften zwischen den           Beispiel der Primärbaustoffsteuer, die       auf das Thema Transparenz. „Es ist von
Bergleuten vor Ort und europäischen         Anreize dazu setzen kann, Rohstoffe zu       zentraler Bedeutung, dass wir bei kon-
Produzenten: „Viele positive Beispiele      sparen und Recyclingmaterial einzuset-       fliktbehafteten Rohstoffen wie Tantal
zeigen, dass solche Partnerschaften         zen. Baustoffsteuern unterschiedlicher       oder Gold wissen, wo sie herkommen
dabei helfen können, bessere Förder-        Art gibt es bereits in 15 EU-Ländern,        und dass die Verkaufserlöse nicht zur
standards umzusetzen, die Situation         hierzulande aber nicht.“                     Finanzierung von Konflikten genutzt
vor Ort zu verbessern.“ Die Hürden auf                                                   werden.“ Auch mit Versorgungssicher-
diesem Weg kennt Priester genau – „Die      Dass Stefanie Degreif neugierig neue         heit befasst sich Dr. Gäckle weiterhin,
Zwischenhändler etwa macht das na-          Länder entdeckt und auf Tiere warten         etwa mit Blick auf die zuverlässige Ver-
türlich nicht glücklich.“ Doch er ist eh    kann, bewies sie übrigens auch schon         sorgung von Zukunftstechnologien.
keiner, der es sich leicht macht. Weder     in Costa Rica. „Ich habe mir gewünscht,      Soziale und ökologische Themen haben
bei der Arbeit, noch bei der Bildhauerei.   einmal Meeresschildkröten dabei zu           aber eine ebenso große Bedeutung:
„Ich mag den Widerstand, den mir das        beobachten, wie sie an Land kommen           „Man kann nicht einfach nur durch die
Material entgegen bringt,“ sagt er dazu.    und ihre Eier legen.“ Ein weiterer Traum,    ökonomische Brille schauen und sagen:
Und zeigt nicht zuletzt mit seiner Kunst,   der sich erfüllt hat – mit Geduld und        Wenn die Märkte funktionieren, ist alles
dass er Hürden überwinden kann. cw          ohne dicken Mantel.                   cw     in Ordnung.“                         cw

michael.priester@projekt-consult.de         s.degreif@oeko.de                            thomas.gaeckle@bmwi.bund.de
16 ARBEIT I RÜCKBLICK

                                                                                         Macht
                                                                                       ihr eine
                                                                                    Ausnahme?

   Analysen zur RoHS- und ELV-Richtlinie
   Den Einsatz von gefährlichen Stoffen        Das Projektteam analysierte im Auftrag      zu diesem Thema ebenso „Die dunkle Sei-
   wie Schwermetallen oder bromierten          der Europäischen Kommission Anträge         te des Recyclings“ auf Seite 12), sie wurde
   Flammschutzmitteln in Elektro- und          für die Verlängerung der Ausnahmen,         vom Öko-Institut ebenfalls für die Eu-
   Elektronikgeräten zu beschränken, ist       so etwa für Quecksilber in Energiespar-     ropäische Kommission analysiert. „Die
   das Ziel der EU-Richtlinie „Restriction     lampen. Dafür wurden Daten und In-          Antragsteller argumentieren mit feh-
   of Hazardous Substances“ (RoHS). Da         formationen bewertet, die von Antrag-       lenden Alternativen auf dem Massen-
   bei manchen Geräten und technischen         stellern und Stakeholdern eingereicht       markt“, sagt Yifaat Baron, „andere Exper-
   Anwendungen auf diese verbotenen            wurden. „Zwei derzeit noch bestehende       ten betonen jedoch, dass Alternativen
   Stoffe technisch noch nicht verzichtet      Ausnahmen für Lampen im unteren             wie Lithium-Ionen-Batterien zumindest
   werden kann, sieht die Richtlinie zeit-     Leistungsaufnahmebereich sollten be-        einen teilweisen Ausstieg ermöglichen.“
   lich begrenzte Ausnahmen vor. Im Pro-       endet werden, denn inzwischen sind          Auf Blei in Fahrzeugbatterien kann
   jekt „Study to assess renewal requests      zahlreiche Alternativen auf Grundlage       bislang dort nicht verzichtet werden,
   for 29 RoHS 2 Annex III exemptions“         der sehr langlebigen LED-Technologie        wo sie für den Anlasser von Verbren-
   prüft das Öko-Institut gemeinsam mit        verfügbar, die zudem energieeffizien-       nungsmotoren benötigt werden, so
   dem Fraunhofer-Institut IZM diese Aus-      ter sind“, sagt Baron. Die drei weiteren    die Wissenschaftlerin. „Das könnte sich
   nahmen. „Eine RoHS-Ausnahme ist nur         Ausnahmen für Energiesparlampen             aber durch alternative Systeme in we-
   unter bestimmten Bedingungen ge-            für Einsatzbereiche mit höherer Leis-       nigen Jahren ändern.“ Das Projektteam
   rechtfertigt: Wenn der Ersatz des Stoffes   tungsaufnahme (über 150 W) sollten          empfiehlt daher, den Einsatz von Blei
   wissenschaftlich oder technisch nicht       zunächst für drei Jahre gelten, so die      in Fahrzeugbatterien in drei bis fünf
   möglich, die Alternative nicht zuverläs-    Wissenschaftlerin.                          Jahren erneut zu prüfen. „Wir regen
   sig ist oder der Ersatz zu negativen Fol-                                               außerdem an, künftig die Ausnahme
   gen für Umwelt und Gesundheit führen        Auch die End-of-life vehicles (ELV)-        zu unterteilen, um der Tatsache Rech-
   würde“, sagt Yifaat Baron, Wissenschaft-    Richtlinie beinhaltet Stoffverbote etwa     nung zu tragen, dass es Autotypen und
   lerin am Öko-Institut, „alle Ausnahmen      für bestimmte Schwermetalle, auch hier      Anwendungen gibt, bei denen bereits
   haben jedoch ein Ablaufdatum und            besteht die Möglichkeit, Ausnahmen zu       heute auf Blei-Säure-Batterien verzich-
   müssen regelmäßig neu beantragt wer-        beantragen. Eine Ausnahme besteht           tet werden kann“, erklärt Yifaat Baron.
   den.“                                       etwa für Blei in Fahrzeugbatterien (siehe                                           cw
17

Der Energiekosten-                                                 Kein
Indikator                                                          Weiterbetrieb
Trotz stetig steigender Produktion sind die Energiekosten          Kann das älteste Kernkraftwerk Europas, die Schweizer An-
für die deutsche Industrie in den vergangenen sechs Jah-           lage Beznau 1, wieder sicher in Betrieb gehen? Diese Frage
ren deutlich gefallen: Sie liegen heute etwa 320 Millionen         lässt sich nach Ansicht der Experten des Öko-Instituts der-
Euro im Monat niedriger als noch 2010, das zeigt der neue          zeit nicht mit „ja“ beantworten – denn noch immer hat der
Energiekosten-Indikator. Er wird vom Öko-Institut und dem          Betreiber Axpo keine technischen Berichte zu seinem bishe-
Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) be-       rigen Vorgehen oder Sicherheitsnachweise vorgelegt.
rechnet. „Damit gibt es nun erstmals ein übergreifendes Ins-
trument, das alle Energieträger von Öl bis Biomasse erfasst“,      2015 hatten Ultraschallbefunde über 1.000 Materialfehler
sagt Dr. Felix Matthes, Forschungskoordinator Energie- und         im Reaktordruckbehälter von Beznau 1 angezeigt. Dieser
Klimapolitik am Öko-Institut, „darüber hinaus werden darin         umschließt den Reaktorkern inklusive der Brennelemente
Steuern, Abgaben und Umlagen berücksichtigt, aber auch             und ist daher die wichtigste und nicht austauschbare Kom-
Kompensationsmaßnahmen, durch die die Energierech-                 ponente in einem KKW. „Diese Befunde sind für eine um-
nung der Industrieunternehmen verringert wird.“                    fassende Ursachenermittlung aber nicht ausreichend“, sagt
                                                                   Simone Mohr vom Öko-Institut, „mit Ultraschallverfahren
Die Analyse „EKI – Der Energiekostenindex für die deutsche         lassen sich im besten Fall die Lage in der Wand und die Ab-
Industrie“ im Auftrag der European Climate Foundation              maße der Materialfehler analysieren.“ In der Stellungnahme
benennt auch die Ursachen des Preisrückgangs. „Vor allem           „Ultraschallbefunde des Kernkraftwerks Beznau“ im Auf-
die teils drastisch gesunkenen Öl- und Gaspreise haben             trag von Greenpeace Schweiz betonen die Wissenschaftler,
hier einen Anteil“, so Matthes. Und: „Der starke Rückgang          dass ein qualifiziertes Urteil über die Materialfehler, ihre
der Stromgroßhandelspreise ist ebenfalls für die gefallenen        Ursachen und weitere Entwicklung nur durch spezifische
Kosten verantwortlich.“ Denn immerhin etwa die Hälfte der          Werkstoffprüfungen möglich sei. Bislang aber hat Axpo
industriellen Energiekosten wird vom Strom bestimmt, Öl            Probleme, geeignete Materialproben zu beschaffen. „Einem
und Gas haben einen Anteil von zusammen 36 Prozent.                Weiterbetrieb darf nicht zugestimmt werden, wenn die Si-
                                                         cw        cherheitsnachweise nicht den höchsten Anforderungen ge-
                                                                   nügen“, sagt Mohr.                                       cw

Klimaschutzbeitrag des dualen Systems
Das Recycling von Leichtverpackungen        Die Experten haben den Umwelt- und         das Leichtverpackungsrecycling zudem
hat hierzulande 2014 insgesamt 1,9 Mil-     Klimaschutzbeitrag des Verpackungsre-      noch viel Potenzial: „Bis 2030 könnte die
lionen Tonnen CO2-Äquivalente (CO2e)        cyclings in den Jahren 1990 sowie 2014     Umwelt dadurch um insgesamt 3,6 Mil-
eingespart, weitere 1,2 Millionen Ton-      untersucht und das Klimaschutzpoten-       lionen Tonnen Treibhausgase entlastet
nen weniger CO2e konnten durch das          zial in 2030 prognostiziert. „Die Stu-     werden. Das wären noch einmal 1,7 Mil-
Recycling von Verpackungspapieren           die zeigt, dass etwa das Recycling von     lionen Tonnen mehr als heute“, so die
und Glas erreicht werden. Dies ergab        Leichtverpackungen pro Tonne Abfall        Expertin, „ eine weitere Million Tonnen
die Analyse „Umweltpotenziale der ge-       im Vergleich zur Restmüllentsorgung        würden zudem eingespart, die heute
trennten Erfassung und des Recyclings       eine 19-mal bessere Klimabilanz hat“,      noch bei der Entsorgung der Kunststof-
von Wertstoffen im dualen System“ des       sagt Alexandra Möck, Wissenschaftle-       fe über den Restmüll entstehen.“
Öko-Instituts im Auftrag des Dualen         rin am Öko-Institut. Mit Blick auf einen                                         cw
Systems Deutschland (DSD).                  zukünftigen Klimaschutzbeitrag hat
18 PERSPEKTIVE

   Jetzt ein Gesetz
   Zum Abschlussbericht der Endlagerkommission
   Ein wichtiges Projekt wurde in diesem Sommer abgeschlos-         Drei Gesteinsarten kommen für das Endlager grundsätzlich in
   sen: Mit der 34. Sitzung und der Vorstellung des Abschluss-      Frage: Kristallin (zum Beispiel Granit), Salz und Tonstein. Für
   berichtes am 5. Juli 2016 endete die Arbeit der Endlager-        die Standortsuche hat die Endlagerkommission klare Kriteri-
   kommission, die etwa zwei Jahre zuvor begonnen hatte.            en formuliert, wie mögliche Standorte beurteilt werden sol-
   Bundestagsabgeordnete und Ländervertreter, Wissenschaft-         len, was bei der Auswahl zu berücksichtigen ist und welche
   ler und Repräsentanten von Umweltverbänden, Gewerk-              Punkte dabei vorrangig sind. So liegt zum Beispiel ein klarer
   schaften, Wirtschaft und Kirchen haben nun die Grundlagen        Fokus auf der Gewährleistung der Sicherheit. Viele Kriterien
   für die Auswahl eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle in   befassen sich daher mit der Frage, welche geowissenschaft-
   Deutschland gelegt.                                              lichen Voraussetzungen nötig sind, damit das Endlager dicht
                                                                    und stabil bleibt – so etwa mit Blick auf die Gebirgsdurchläs-
   Als Mitglied dieser Kommission muss ich zugeben: Es war          sigkeit. Auch der Ausschluss von Gebieten mit seismischer
   nicht immer einfach. Wir haben viel diskutiert und um Eini-      oder vulkanischer Aktivität gehört in diesen Kriterienkatalog.
   gungen gerungen, manchmal wurde intensiv gestritten.
   Aber, und das ist der weit wichtigere Punkt: Im Laufe der Ar-    Ein besonderer Fokus unserer Arbeit lag außerdem auf der
   beit ist ein wechselseitiges Verständnis entstanden, die zum     Frage, wie die Öffentlichkeit am Prozess der Endlagersuche
   Teil sehr unterschiedlichen Mitglieder haben sich gegensei-      beteiligt wird. Es wird keine Geheimverfahren mehr geben:
   tig zugehört. Wir haben einen tragfähigen Kompromiss ge-         Im Abschlussbericht ist ein umfassendes Verfahren beschrie-
   funden und einen Abschlussbericht vorgelegt, der mit nur         ben, wie die Öffentlichkeit partizipieren kann, zu welchen
   einer Gegenstimme verabschiedet wurde. Bundestag und             Zeitpunkten welche Informationen zur Verfügung gestellt
   Bundesrat sind nun gefragt. Die Novellierung des Standort-       werden müssen. Es wird Diskussionen geben und Konflikte,
   auswahlgesetzes (StandAG) möglichst noch in diesem Jahr ist      das ist uns allen klar. Doch ich bin der Überzeugung, dass wir
   der zentrale nächste Schritt. Dann kann endlich die Endlager-    einen Weg gefunden haben, mit ihnen umzugehen, die Öf-
   suche beginnen.                                                  fentlichkeit bestmöglich in die Endlagersuche einzubeziehen
                                                                    und ihre Anliegen zu berücksichtigen.
   Die Kommission hat die Grundlagen für diesen Prozess ge-
   legt, so etwa mit der Ausarbeitung eines neuen Modells für       Übrigens hatte die Arbeit der Kommission einen wertvollen
   die Organisation der Endlagersuche. Wir empfehlen eine Lö-       Nebeneffekt: Eine erhebliche Erweiterung des Wissensstan-
   sung, in der es neben einer Genehmigungs-, Aufsichts- und        des der Mitglieder zu fachlichen Details der Endlagersicher-
   Regulierungsbehörde, dem Bundesamt für kerntechnische            heit ebenso wie zur Methodik der Öffentlichkeitsbeteiligung.
   Entsorgung (BfE), einen privatwirtschaftlich organisierten       Als Wissenschaftler ist mir die Erhebung, Vertiefung und
   Endlagerbetreiber gibt, der in Besitz der öffentlichen Hand      Verbreitung von Wissen stets ein besonderes Anliegen. Dass
   ist. Diese Bundes-Gesellschaft für kerntechnische Entsor-        auch das im Rahmen der Endlagerkommission gelungen ist,
   gung (BGE) soll verantwortlich sein für die Suche nach einem     freut mich sehr – nicht nur mit Blick auf den weiteren Prozess
   Standort, aber auch für Errichtung, Betrieb und Stilllegung      der Endlagersuche.
   von deutschen Endlagern für atomare Abfälle. Sie soll unter-
   nehmerisch freie Hand haben, aber nur im Rahmen der Ge-                                                              Michael Sailer
   nehmigungen und der Aufsicht durch das BfE.

                                                                                                 Der Nuklearexperte Michael Sailer leitete
                                                                                                  16 Jahre lang den Bereich Nukleartech-
                                                                                                 nik & Anlagensicherheit des Öko-Instituts
                                                                                                  bevor er 1999 in die Geschäftsführung
                                                                                                   eintrat. 2014 wurde der Diplom-Inge-
                                                                                                   nieur in die Kommission zur Lagerung
                                                                                                   hoch radioaktiver Abfälle („Endlager-
                                                                                                   kommission“) berufen, die Anfang Juli
                                                                                                   2016 mit ihrem Abschlussbericht ihre
                                                                                                             Arbeit beendet hat.
                                                                                                              m.sailer@oeko.de
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