Rohstoffe Gewinnung, Verarbeitung, Recycling - Eco-Fair-Trade-Gold Ein Schmuckatelier in Hamburg Sukzessive Vergiftung Interview mit Phyllis Omido ...
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September 2016 Nachhaltiges aus dem Öko-Institut Rohstoffe Gewinnung, Verarbeitung, Recycling Eco-Fair-Trade-Gold Ein Schmuckatelier in Hamburg Sukzessive Vergiftung Interview mit Phyllis Omido Verzicht aufs Auto Ideen von Ruth Blanck
2 IM FOKUS | JAN SPILLE Fair am Traualtar Nachhaltige Rohstoffe im Schmuckatelier Zwei Trauringe, das Design ist ausgewählt. Die Materialfrage Um selbst einen Eindruck von den Arbeitsbedingungen taucht auf. Gold natürlich! Doch so einfach ist das im Atelier vor Ort zu bekommen, reist Jan Spille immer wieder in die von Jan Spille nicht. „Wir arbeiten mit elf unterschiedlichen Bergbauregionen, unterhält sich mit den Arbeitern vor Ort, Legierungen, etwa als Weiß-, Gelb- oder Orangegold“, erklärt begleitet ihre Tage. Zuletzt hat er Bergbaukooperativen in der Goldschmied aus Hamburg, „zusätzlich haben wir vier un- Südamerika besucht. „Der persönliche Austausch und die un- terschiedliche Goldkonzepte, unsere Kunden können daher mittelbare Erfahrung sind wichtig“, sagt er, „ich möchte zum alleine beim Gold aus etwa vierzig Materialien auswählen.“ Beispiel wissen, was es bedeutet, auf 4.000 Höhenmetern Wenn er von Konzepten spricht, meint Spille die unterschied- Gold abzubauen.“ liche Herkunft des Materials, das sein Atelier nutzt. „Wir ver- wenden etwa Eco-Fair-Trade-Gold aus ökologisch und sozial Jan Spille arbeitet intensiv für eine ökologische und sozial ge- gerechtem Bergbau – dieses wird von Goldschürfern mit der rechte Gewinnung jener Rohstoffe, die er nutzt. Gold und Sil- Schwerkraftmethode an Flüssen ausgewaschen“, erklärt Spil- ber zum Beispiel, Edelsteine und Diamanten. Sein Einsatz wur- le, „Kinderarbeit ist verboten und es werden keine giften Che- de im März 2016 mit einem Fairtrade Award belohnt. Ebenso mikalien wie etwa Cyanid oder Quecksilber genutzt, die bei freut er sich über die Einführung des Fairtrade Siegels für Gold der Goldgewinnung normalerweise zum Einsatz kommen.“ in Deutschland 2015 – „eine wesentliche Voraussetzung dafür, Darüber hinaus arbeitet sein Team mit Fairtrade Gold von dass mehr Betriebe faires Gold verarbeiten.“ Doch wer mit Jan zertifizierten Bergbaukooperativen sowie mit einem ökolo- Spille spricht, merkt schnell, wie viele Herausforderungen er gischen Gold aus Deutschland, das als Nebenprodukt in der für seine Branche noch sieht. So etwa beim Thema Diaman- Kiesproduktion gewonnen wird. „Unser viertes Konzept heißt: ten, die bei Spille aus Kanada und Australien stammen. „Ich Eco-Recycling Gold aus hauseigenem Upcycling. Wir haben frage mich, warum bisher kein Diamantenhändler versucht eine Recyclinganlage, nicht größer als ein großer Drucker, hat, auch hier eine anständige Lieferkette zu etablieren.“ Nur in der wir aus altem Schmuck, Münzen oder Barren, die wir eine von vielen Fragen, die es noch zu lösen gilt. Klar aber ist: von unseren Kunden kaufen, Recyclinggold herstellen.“ Bei Jeder Trauring, der das Atelier von Jan Spille verlässt, ist jenem den Preisen für den daraus gefertigten Schmuck orientiert aus konventionell gewonnenen Rohstoffen sozial und ökolo- sich Jan Spille am regulären Goldpreis, die anderen Edelme- gisch überlegen. Manchmal ist es eben doch so einfach. talle kosten etwas mehr: „Schmuck aus Fairtrade-Gold ist bei uns etwa acht Prozent teurer, aus Eco-Fair-Trade etwa 15 und Christiane Weihe aus deutschem Eco-Regional Gold etwa 20 Prozent teurer als mail@oekofaire-trauringe.de wenn wir Schmuck aus konventionellem Gold herstellen wür- www.oekofaire-trauringe.de den.“
4 INHALT 12 Mensch und Umwelt in Gefahr Das Lead Recycling Africa Project IM FOKUS: ROHSTOFFE 2 Fair am Traualtar Nachhaltige Rohstoffe im Schmuckatelier 8 Fahrplan zu einer nachhaltigen Rohstoffwirtschaft Primärgewinnung von Rohstoffen 12 Die dunkle Seite des Recyclings Sekundärgewinnung von Rohstoffen 14 „Wir mussten lange für das Eingeständnis kämpfen, dass die Bevölkerung vergiftet wurde“ Im Interview: Phyllis Omido (Center for Justice, Governance and Environmental Action) 8 15 Porträts Dr. Michael Priester (Projekt-Consult GmbH) Rohstoffwende Deutschland 2049 Stefanie Degreif (Öko-Institut) Für eine nachhaltige Rohstoffstrategie Dr. Thomas Gäckle (BMWi) ARBEIT Jetzt ein Gesetz 6 Vom nachhaltigen Konsum bis zum Stromsystem Zum Abschlussbericht der Endlagerkommission Aktuelle Projekte, neue Ideen Eine Kolumne von Michael Sailer 16 Von gefährlichen Stoffen bis zu Energiekosten 18 Kurze Rückblicke, abgeschlossene Studien PERSPEKTIVE 18 Jetzt ein Gesetz Zum Abschlussbericht der Endlagerkommission EINBLICK 19 Vom Nachhaltigkeitsbericht bis zum Autoverzicht Neuigkeiten aus dem Öko-Institut VORSCHAU 20 Zurück auf Anfang Nachhaltige Lieferketten
EDITORIAL I IMPRESSUM 5 Von Plinius bis heute – Rohstoffe strategisch nutzen In meiner raren Freizeit lese ich gern die alten Gelehrten und Historiker. Plinius zum Beispiel. Meine Sommerlektüre war seine Naturgeschichte, die das antike Wissen um die Naturwis- senschaften zusammengetragen hat. In einem Teil seines Werkes berichtet Plinius über Me- talle und Erze und ihre Bedeutung für die antike Gesellschaft. Und bereits hier, 77 Jahre nach Christus, finden sich vereinzelt Gedanken zur nachhaltigen Rohstoffnutzung – Plinius be- schreibt, wie gebrauchte Gerätschaften, etwa aus Kupfer, eingeschmolzen und die Rohstoffe erneut benutzt werden sollten. Der Recyclinggedanke ist heute zentraler Stützpfeiler für eine nachhaltige Rohstoffpolitik. Doch geht ein strategischer Umgang mit Rohstoffen weit über die Wiederverwendung hi- naus, wie wir Ihnen bereits im ersten Heft dieses Jahres („Kreisverkehr statt Einbahnstraße“) darlegen konnten. Vor allem der Rohstoffbezug, häufig aus Ländern außerhalb Europas, muss heute strategisch angegangen bzw. begleitet werden. Denn für uns Industrieländer zählt nicht mehr nur die Frage, wo Rohstoffe für unsere Industrieproduktion herkommen, sondern auch, unter welchen Bedingungen sie gewonnen werden. Eine nachhaltige Förde- rung muss dabei sowohl Umweltstandards als auch soziale Kriterien erfüllen und einseitige Michael Sailer Abhängigkeiten vermeiden. Sprecher der Geschäftsführung Die aktuelle eco@work beschreibt Herausforderungen und Lösungsansätze einer nachhal- des Öko-Instituts tigen Rohstoffpolitik sowohl für Deutschland als auch international. Sie gibt gleichzeitig m.sailer@oeko.de einen ersten tieferen Einblick in unser Projekt „Rohstoffwende Deutschland 2049“, das wir mit eigenen Mitteln finanziert haben, um eine zukunftsfähige, nachhaltige Rohstoffstrategie für Deutschland zu entwickeln. Dieses und weitere Forschungsprojekte stehen auch im Mit- telpunkt unserer diesjährigen wissenschaftlichen Jahrestagung, zu der ich Sie sehr herzlich einlade. Sie findet am 1. Dezember in Berlin statt – Informationen zum Programm und zur Anmeldung finden Sie in unserer Rubrik Einblick. Viel Freude beim Lesen wünscht Ihnen Weitere Informationen zu unseren Themen finden Sie im Internet unter www.oeko.de/epaper eco@work – September 2016 – ISSN 1863-2009 – Herausgeber: Öko-Institut e.V. Redaktion: Mandy Schoßig (mas), Christiane Weihe (cw) – Verantwortlich: Michael Sailer Weitere Autoren: Ruth Blanck, Alexa Hännicke, Michael Sailer Druckauflage: 2.800; digitale Verbreitung: rund 7.000 Abonnenten – Im Internet verfügbar unter: www.oeko.de/epaper Die Redaktion der eco@work verwendet die maskuline Form von Begriffen wie „Wissenschaftler“ oder „Verbraucher“, bezieht sich aber immer auf beide Geschlechter. Wir wollen so den Lesefluss erleichtern und bitten um Verständnis für diese Verkürzung. Gestaltung/Layout: Tobias Binnig, www.gestalter.de – Technische Umsetzung: Markus Werz – Gedruckt auf 100 Prozent Recyclingpapier Redaktionsanschrift: Schicklerstr. 5-7, 10179 Berlin, Tel.: 030/4050 85-0, Fax: 030/4050 85-388, redaktion@oeko.de, www.oeko.de Bankverbindung für Spenden: GLS Bank, BLZ 430 609 67, Konto-Nr. 792 200 990 0, IBAN: DE50 4306 0967 7922 0099 00, BIC: GENODEM1GLS Spenden sind steuerlich abzugsfähig. Bildnachweis: S.2/3 © Jan Spille Schmuck; S.4 oben links © Fiedels - Fotolia.com, unten © dasglasauge - Fotolia.com; S.6 © storm - Fotolia.com; S.7 links © Rafael Ben-Ari - Fotolia.com, Mitte © Thomas Otto - Fotolia.com, rechts © rcfotostock - Fotolia.com; S.8/9 © industrieblick - Fotolia.com; S.10 oben © marcel - Fotolia.com; S.10/11 unten © anyaivanova - Fotolia.com; S.11 oben © Smileus - Fotolia. com; S.12 © tunedin - Fotolia.com; S.16 © fotogestoeber - Fotolia.com; S.17 © Dmitriy Syechin - Fotolia.com; S.18 © Markus Mohr - Fotolia.com; S.19 oben © corlaffra - Fotolia.com, unten © majorosl66 - Fotolia.com; S.20 © johny87 - Fotolia.com; andere © Privat oder © Öko-Institut, Ilja C. Hendel
6 ARBEIT I AKTUELL Ressourceneffizienz durch Völkerrecht Der Schutz natürlicher Ressourcen und eine höhere Res- sourceneffizienz sind mit Blick auf die wachsende Weltbe- völkerung, aber auch hinsichtlich schwerwiegender sozialer und ökologischer Konsequenzen der Ressourcengewin- nung von großer Bedeutung. „Ressourceneffizienz ist ein wichtiges Instrument, um Nachhaltigkeitsprobleme zu min- dern“, sagt Franziska Wolff, Leiterin des Bereichs Umwelt- recht & Governance am Öko-Institut, „sie kann zudem einen Beitrag zur Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch leisten.“ Die Vorteile der Ressour- ceneffizienz – auch mit Blick auf Kosteneinsparungen durch ressourceneffiziente Produkte und Produktionsprozesse – Konzepte für eine nach- sind deutlich. Viele politische Initiativen haben sich ihr be- reits gewidmet, auch auf internationaler Ebene wie etwa bei haltige Stadtentwicklung den Sustainable Development Goals (SDGs). Bislang jedoch haben sich diese Initiativen nicht in völkerrechtlichen Nor- Mehr Verkehr, mehr Lärm und ein größerer Flächenver- men niedergeschlagen. „Bei anderen umweltrelevanten brauch – besonders in schnell wachsenden Siedlungsgebie- Themen wie etwa Klimaschutz oder Biodiversität ist das an- ten stehen Bürger, Politiker und Stadtentwickler vor vielen ders, hier gibt es zum Beispiel die UN-Klimarahmenkonven- Herausforderungen. Gleichzeitig sollen nationale Aufgaben tion und das Übereinkommen über die biologische Vielfalt“, wie der Klimaschutz auch und gerade in den Städten umge- so Wolff. setzt werden. Die Vision einer CO2-freien Stadt gehört mitt- lerweile zum Leitbild einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Wie kann der Ressourcenschutzgedanke international bes- Doch welchen Nachhaltigkeitsbeitrag leistet das Quartiers- ser verankert werden, welche politischen und juristischen management zum Klimaschutz? Wie kann mit Konflikten Maßnahmen können dabei helfen? Diesen Fragen gehen zwischen zwei Zielen – etwa Investitionen in den Klima- die Wissenschaftler des Öko-Instituts unter Leitung des Eco- schutz und bezahlbarer Wohnraum – umgegangen werden? logic Institute sowie mit dem Experten für Ressourcen- Wie unterscheiden sich dabei die Strategien in verschiede- schutzrecht Prof. Joachim Sanden im Projekt „Völkerrechtli- nen Regionen? Und welche Konzepte müssen für ein res- che Handlungsoptionen zur Steigerung der Ressourceneffi- sourcenfreundliches, gesundes und bezahlbares Wohnen zienz“ nach. Im Auftrag des Umweltbundesamts erfassen angewendet werden? Um diese Fragen beantworten zu die Projektpartner unter anderem die bestehenden Völker- können, haben sich unter der Leitung von Dr. Dietlinde rechtsnormen, die sich mit Ressourceneffizienz befassen, Quack und Dr. Bettina Brohmann vom Öko-Institut verschie- und analysieren vorhandene Hemmnisse. „Zusätzlich wird dene Institutionen zum Forschungsprojekt „Transformative das Projektteam nicht-rechtliche und nicht-staatliche Pro- Strategien einer integrierten Quartiersentwicklung“ zusam- zesse und Instrumente wie zum Beispiel das UNEP Resource mengeschlossen. Beispielhaft für die spezifische Problem- Efficient Cleaner Production Programme untersuchen sowie stellung einer Wachstumsregion konnten sie die Partner- Governance-Instrumente identifizieren und bewerten“, so kommunen Darmstadt und Griesheim gewinnen, mit ihnen Franziska Wolff. Teil des Projektes, das bis April 2019 Ergeb- und den Bewohnern bis Mitte 2019 Zukunftsszenarien und nisse vorlegen wird, ist außerdem die Entwicklung von kon- konkrete Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige kreten Handlungsempfehlungen mit Blick auf die völker- Transformation in der Stadt zu entwickeln. Das Projekt wird rechtliche Verankerung der Ressourceneffizienz sowie wei- ab Herbst 2016 vom Bundesministerium für Bildung und tere Governance-Instrumente. cw Forschung gefördert. alh
7 Das Strom- system 2035+ Für eine Dekarbonisierung des Ener- giesystems wird sich der Stromsektor grundlegend wandeln müssen. Er ist für etwa 40 Prozent der Treibhausgas- emissionen hierzulande verantwort- lich, seine Umgestaltung ist damit ein zentraler Baustein der Energiewende. „Der Stromsektor muss seine Emissio- nen schnell und verlässlich senken“, sagt Charlotte Loreck, Wissenschaft- Strategien zum lerin am Öko-Institut, „enorme struk- turelle Anpassungen sind notwendig, Konfliktpotential nachhaltigen denn es wird einen Umstieg auf varia- ble Stromerzeugung sowie unter an- unter Tage Konsum derem einen großen Flexibilitätsbe- darf geben.“ Bergbau, Trinkwassergewinnung, Das gesellschaftliche Bedürfnis, um- Wie sich der Übergang zu einem de- Geothermie, Speichervorhaben: Die weltbewusster zu leben und zu kon- karbonisierten Stromsystem gestal- Nutzung des unterirdischen Raumes sumieren, steigt. Das zeigt sich mit ten lässt, in dem dezentrale Elemente wächst – genauso wie seine Belas- Blick auf ökologische Landwirtschaft, verstärkt eingesetzt werden oder so- tung und die Auswirkungen der Nut- fairen Handel oder auch alternative gar dominieren, untersuchen die Wis- zung auf die Umwelt. Konflikte sind Mobilitätskonzepte. Die Bundesregie- senschaftler des Öko-Instituts ge- damit vorprogrammiert. Um eine rung hat ein nationales Programm meinsam mit der Prognos AG für den ausgeglichene, öffentlich akzeptierte beschlossen, um den nachhaltigen WWF Deutschland. Unter der Über- und nachhaltige Nutzung des unterir- Konsum zu stärken und dabei die Teil- schrift „Struktur des Stromsystems dischen Raumes zu ermöglichen, hat habe aller Bürger zu ermöglichen. Da- 2035+“ gehen die Experten der Frage das Umweltbundesamt das For- ran anknüpfend initiiert das Öko-Ins- nach, wie dezentrale Elemente des schungsprojekt „INSTRO – Instrumen- titut unter der Leitung von Dr. Corinna Stromsystems unter Berücksichti- te zur umweltverträglichen Steue- Fischer ein bereichsübergreifendes gung des regulativen und politischen rung der Rohstoffgewinnung“ in Eigenprojekt, das effektive Strategien Rahmens sowie der Verbraucherwün- Auftrag gegeben. Unter der Leitung zum nachhaltigen Konsum entwi- sche gestaltet sein können. „Darüber von Friedhelm Keimeyer untersucht ckeln soll. Das Ziel: Eine fachlich un- hinaus analysieren wir, bis wann wel- das Öko-Institut gemeinsam mit Prof. termauerte Stellungnahme zum Pro- che Weichenstellungen im Stromsys- Thomas Schomerus, Prof. Joachim gramm der Bundesregierung zu erar- tem erfolgt sein müssen, um Klima- Sanden und Rechtsanwalt Dirk beiten und diese mit politischen schutzziele zu erreichen, und welche Teßmer rechtliche und planerische Entscheidungsträgern zu diskutieren. Kosten durch den Umbau entstehen Instrumente zur umweltverträglichen Das Öko-Institut stellt voraussichtlich – so etwa mit Blick auf die Stromer- unterirdischen Nutzung. Das Projekt- im Frühjahr 2017 die Ergebnisse in zeugung, Infrastrukturen und Flexibi- team legt konkrete Handlungsemp- Veranstaltungen und Publikationen litätsoptionen“, erklärt Loreck. Erste fehlungen voraussichtlich Ende 2017 der interessierten Öffentlichkeit vor. Ergebnisse legt das Projekt voraus- vor. alh alh sichtlich im September 2016 vor. cw
9 Primärgewinnung von Rohstoffen Rund 40 Tonnen Quecksilber gelangen jedes Jahr durch den ille- galen Goldabbau in das peruanische Amazonasgebiet. Allein die weltweite Stahl- und Zementproduktion verursacht das Sechsfa- che der Treibhausgasemissionen der Bundesrepublik, 5,7 Milliar- den Tonnen CO2-Äquivalente. Nach Schätzungen des UN-Kinder- hilfswerks UNICEF arbeiten in südkongolesischen Minen rund 40.000 Kinder. Der geschützte hessische Bannwald südlich des Langener Waldsees wird für die Erweiterung des Kiesabbaus ge- rodet. Beispiele, die mehr als deutlich die minium oder Kupfer sowie bei Tech- ökologischen und sozialen Probleme nologierohstoffen wie den Seltenen im Zusammenhang mit der Primärge- Erden ist Deutschland aber bei Primär- winnung von Rohstoffen zeigen. Pro- rohstoffen vollständig von Importen bleme, denen sich auch die Bundesre- abhängig. Mit Blick auf bestehende publik stellen muss. Denn die globalen Versorgungsrisiken und die oftmals Minen- und Verarbeitungsaktivitäten schwerwiegenden sozialen und ökolo- decken unter anderem die Nachfrage gischen Folgen der Förderung ist klar: eines Industrielandes wie Deutschland. So wie bisher kann Deutschland nicht Viele der benötigten Rohstoffe werden weitermachen, notwendig ist eine lang- hierzulande gefördert – so etwa Kies. fristig angelegte Rohstoffwende. Vor allem bei Metallen wie Eisen, Alu-
10 IM FOKUS Die ausgewählten Rohstoffe haben ein breites Spektrum an Eigenschaften mit ROHSTOFFWENDE: Blick auf Primärgewinnung, Nutzung BEISPIELE KIES UND NEODYM und Recycling. Für sie werden im Rah- men des Projektes Risiken und Auswir- kungen analysiert. „Das betrifft ökono- Die Vorgehensweise des Projektes „Roh- mische Fragen wie Versorgungsrisiken, stoffwende Deutschland 2049“ zeigt aber vor allem auch ökologische Folgen sich exemplarisch an den Materialien wie Schadstoffemissionen, Flächenin- Kies und Neodym. „Zwei sehr unter- anspruchnahme und das Risiko radio- schiedliche Rohstoffe: Kies, das Massen- aktiver Stoffe. Ebenso wichtig sind so- material, wird praktisch ausschließlich ziale Aspekte wie Arbeitssicherheit und hierzulande gefördert. Das Technolo- 40 Tonnen Quecksilber Kinderarbeit“, erklärt Stefanie Degreif. giemetall Neodym wird hingegen voll- gelangen jährlich durch ständig importiert“, sagt Degreif, „auch illegalen Goldabbau in das Die sogenannten HotSpots, besonders die Herausforderungen der Förderung relevante negative Folgen der Rohstoff- liegen in unterschiedlichen HotSpots eruanische Amazonasgebiet. p gewinnung, zeigen sich bei den ver- und erfordern daher unterschiedliche schiedenen Rohstoffen in unterschied- rohstoffspezifische Ziele.“ Besonders lichen Kategorien. Daher entwickelt negative Folgen der Primärgewinnung das Projektteam für die identifizierten des Massenrohstoffs Kies sind etwa die rohstoffspezifischen HotSpots auch Flächeninanspruchnahme und Zerstö- „Mit Blick auf eine langfristig wirksame, rohstoffspezifische Ziele sowie Maß- rung des Landschaftsbildes. Ein roh- nachhaltige Rohstoffstrategie müssen nahmen und Instrumente zu ihrer Er- stoffspezifisches Ziel muss daher den wir hierzulande noch viel tun“ sagt reichung. Das können mit Blick auf das absoluten Primärbedarf mittel- und Stefanie Degreif, Wissenschaftlerin am Rohstoffangebot zum Beispiel Vorga- langfristig verringern. Das Projektteam Öko-Institut. „Indikatoren wie die Roh- ben für eine nachhaltige, ökologische formulierte unter anderem das Ziel, den stoffproduktivität können zwar als eine und soziale Primärgewinnung sein, mit Einsatz von Recyclingmaterial von der- Art grober Pegelstandsmesser herange- Blick auf die Rohstoffnachfrage hinge- zeit 0,4 auf fast zehn Prozent zu steigern zogen werden. Sie geben aber keinerlei gen eine längere Verwendung von In- sowie die Neubauaktivitäten durch bes- Auskunft zu ökologischen und sozialen frastrukturen und Produkten. seren Bestandserhalt zu bremsen. „Wir Auswirkungen der Rohstoffbedarfe haben beispielhafte Maßnahmen iden- – und diese können bei den verschie- „Wir haben zwei Szenarien entwickelt tifiziert, die fast zu einer Halbierung des denen Rohstoffen grundlegend anders. – das Business-as-usual-Szenario und Primärkiesbedarfs führen“, so Degreif, ein.“ So unterscheiden sich etwa die das Rohstoffwende-Szenario“, sagt „dazu gehören die Einführung einer Auswirkungen von Massenrohstoffen Degreif, „darin prognostizieren wir die Primärbaustoffsteuer, das Vorschreiben wie Stahl oder Kies grundlegend von Entwicklung des Rohstoffbedarfs bis eines Mindesteinsatzes von Recycling- jenen der Nicht-Massenrohstoffe, so 2049. Zudem geben wir Handlungs- beton bei öffentlichen Bauvorhaben etwa der Technologiemetalle Lithium empfehlungen in unterschiedlichen sowie die Verlängerung der Le- und Neodym. Daher können für Mas- Bedürfnisfeldern wie Informations- und bensdauer von Gebäuden.“ sen- und Nicht-Massenrohstoffe nicht Kommunikationstechnik, Wohnen, Ar- Beim Vergleich des die gleichen Indikatoren und Ziele für beiten oder Mobilität.“ Der Vergleich primären Roh- eine nachhaltige Rohstoffwirtschaft der beiden Szenarien zeigt, in welchem stoffbedarfs abgeleitet werden. Hier will das Öko- Umfang eine Rohstoffwende möglich Institut ansetzen: Im eigenfinanzierten ist. „Würde sich etwa beim Wohnen Projekt „Rohstoffwende Deutschland alles so weiterentwickeln wie bisher, 2049“ entwirft das Institut eine lang- blieben die Anteile an flächen- und ma- fristige Strategie für eine nachhaltige terialintensiven Bauformen sowie an Rohstoffwirtschaft für Deutschland. Für Neubauten hoch. Es würde weiterhin die Analyse betrachtet das Projektteam sehr wenig Recyclingbeton und we- 75 abiotische Rohstoffe aus den Roh- nig Holz eingesetzt sowie nur moderat stoffkategorien Erze, Industriemateria saniert“, so Stefanie Degreif. In einem lien und Baumaterialien. „Wir untersu- Rohstoffwendeszenario hingegen chen Edelmetalle wie Palladium oder nimmt das Öko-Institut eine Verlänge- Gold und Industriematerialien wie Ka- rung der Lebensdauer von Gebäuden lisalze oder Phosphat. Berücksichtigt durch eine Erhöhung der Sanierungs- werden Rohstoffe wie Sand und Kies, rate, vermehrtes Bauen von und Woh- die vor allem hierzulande gefördert nen in Mehrfamilienhäusern sowie den werden, aber auch jene, die importiert verstärkten Einsatz von Holz und Recy- werden müssen, so Neodym oder Zinn.“ clingbeton an.
11 in den entwickelten Szenarien zeigte „Im Gegensatz zum Ziel der absoluten sich, wie deutlich sich durch die for- Verringerung des Primärbedarfs von NACHHALTIG IN EUROPA mulierten Maßnahmen die Kiesnut- Kies liegt der Fokus beim Technologie- zung verringern lässt: Der Bedarf liegt metall Neodym, das zum Beispiel für in den betrachteten Sektoren Wohnen, Elektromotoren in Elektrofahrzeugen Mit einer nachhaltigen Rohstoffversor- Arbeiten und Mobilität im Rohstoff- eingesetzt wird, nicht auf einer Redu- gung befassen sich Wissenschaftler des wendeszenario bis 2049 um knapp die zierung des Primärbedarfs“, so Degreif, Öko-Instituts gemeinsamen mit inter- Hälfte bzw. etwa 23 Millionen Tonnen „das Seltenerdmetall hilft durch den nationalen Partnern auch im Projekt pro Jahr niedriger als im Business-as- Einsatz in Umwelttechnologien, andere STRADE (Strategic Dialogue on Sustai- usual-Szenario. Ressourcen massiv einzusparen. Daher nable Raw Materials for Europe). Das sollte eine Rohstoffstrategie hier vor von der Europäischen Union geförderte allem Maßnahmen in der Primärkette Forschungsvorhaben geht derzeit der und damit die Bereitstellung von zertifi- Frage nach, wie eine langfristige Roh- ziertem Primärmaterial im Blick haben.“ stoffstrategie der EU ausgestaltet wer- Für entsprechend zertifiziertes Neodym den kann, die mit Blick auf ökologische hat das Projektteam des Öko-Instituts und soziale Fragen nachhaltig erfolgt. ambitionierte Kriterien definiert. „Sollte Hierfür arbeiten die Wissenschaftler die freiwillige Zertifizierung mittelfristig mit Projektpartnern aus rohstoffreichen nicht den gewünschten Erfolg erzielen, Ländern wie Südafrika zusammen. „Die sind Importzölle und -verbote mögliche Interessen dieser Länder sollen berück- Maßnahmen, um eine Zertifizierung zu sichtigt werden, daher werden wir in unterstützen.“ Für Neodym beschreibt Workshops über Erfahrungen bei Roh- das Projekt zudem das Ziel, den Ein- stoffpolitik und -förderung sprechen“, Der Kiesbedarf der Sektoren satz von Sekundärmaterial von heute erklärt Stefanie Degreif, „die gewon- null auf 30 Prozent bis 2049 zu erhöhen nenen Erkenntnisse werden wir zusam- Wohnen, Arbeiten und sowie die Nutzungsdauer von Infor- men mit begleitenden Analysen für ein Mobilität kann bis 2049 um mations- und Kommunikationstechnik international anerkanntes Bewertungs- knapp die Hälfte gesenkt (IKT) um 50 Prozent zu verlängern. „Trotz schema für Rohstoffförderung nut- werden. des ambitionierten Recyclings steigt im zen.“ Dieses soll nachvollziehbare und Rohstoffwende-Szenario der primäre transparente Kriterien für eine sozial Neodymbedarf der betrachteten re- und ökologisch verträgliche Förderung levanten Sektoren Mobilität und IKT von Rohstoffen enthalten. „So werden um 1.200 Tonnen jährlich beziehungs- Politik, Wirtschaft und Investoren bei Beim Technologiemetall Neodym gibt weise knapp 60 Prozent“, sagt Stefanie der Bewertung des Nachhaltigkeitsni- es neben dem Versorgungsrisiko sowie Degreif, „das Rohstoffwendeszenario veaus einer Förderstätte unterstützt“, dem Risiko der Korruption, der man- zeigt aber auch, dass sich der Anteil sagt Degreif. Zusätzlich behält das gelnden Arbeitssicherheit und Kinder- an zertifiziertem Neodym erheblich Projektteam auch Fragen der Versor- arbeit vor allem sehr relevante Um- steigern lässt: Er kann bis 2049 bei 80 gungssicherheit Europas sowie den eu- weltrisiken: die radioaktiven Prozent des Gesamtbedarfs liegen und ropäischen Bergbau im Blick: „Teil von Rückstände sowie die somit die negativen ökologischen und STRADE ist es ebenfalls, Lösungsansät- Schwermetalle bei sozialen Auswirkungen absolut deut- ze für die Sicherung der Wettbewerbs- der Primärge- lich reduzieren.“ fähigkeit der europäischen Rohstoffför- winnung. derung und -industrie zu entwickeln.“ Wie sich die Rohstoffwende für diese und andere Rohstoffe verwirklichen Christiane Weihe lässt, daran arbeitet das Projektteam noch bis Ende 2016: Auf der Jahresta- gung des Öko-Instituts am 1. Dezember werden die finalen Ergebnisse des Pro- jektes erstmals öffentlich vorgestellt. Stefanie Degreif befasst sich seit 2010 im Bereich Ressourcen & Mobilität des Öko-Instituts mit dem Thema Res- sourcen – so unter anderem im Projekt Rohstoffwende Deutschland 2049, das sich einer umfassenden Strategie für eine nachhaltige Rohstoff- wirtschaft widmet. s.degreif@oeko.de
12 IM FOKUS Die dunkle Seite des Recyclings Sekundärgewinnung von Rohstoffen Der Begriff „Recycling“ ist hierzulande wahrscheinlich so positiv besetzt wie die Wörter „Bio“ oder „Nachhaltig“. Und die Rückgewinnung von Rohstoffen ist natürlich eine sinnvolle Sache: Ohne Recycling ist eine nachhaltige Rohstoffstrategie nicht denkbar. Es hat positive Auswirkungen auf die Umwelt und die verbliebenen Rohstoff- vorkommen. Doch Moment, jedes Recycling? Wie Experten des Öko-Instituts zeigen, gibt es in Entwicklungs- ländern auch eine andere, dunkle Seite des Recyclings: Katastrophale Folgen für Mensch und Umwelt hat zum Beispiel das unsachgemäße Bleirecycling aus Altbatterien in vielen afrikanischen Ländern. Damit hat sich im Mai 2016 auch die Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA2) befasst. Das Schrottaufkommen in Schwellen- das Einschmelzen des Bleis wie Hand- und ihre Recyclingpraktiken sowie über und Entwicklungsländern steigt konti- schuhe oder Mundschutz fehlen. „Das deren Auswirkungen in afrikanischen nuierlich an – so wächst etwa in Afrika führt zu extremen Bleibelastungen der Staaten zu verbreitern, Aufmerksamkeit der gesamte Kfz-Bestand jährlich um Arbeiter ebenso wie der Anwohner von für das Problem zu schaffen sowie nach- etwa fünf Prozent und damit auch die Bleihütten, die lebensbedrohlich sein haltige Lösungsansätze aufzuzeigen. anfallende Menge ausgedienter Fahr- können“, erklärt Manhart, „dieses Risiko „In Dakar im Senegal sind zum Beispiel zeuge. „Inzwischen liegen die Schwel- ist den meisten Menschen übrigens gar zwischen November 2007 und März len- und Entwicklungsländer beim ge- nicht bewusst – sie halten die Sympto- 2008 insgesamt 18 Kinder unter fünf samten Schrottaufkommen mit den In- me einer Bleivergiftung für Anzeichen Jahren an einer akuten Bleivergiftung dustrieländern gleichauf“, sagt Andreas einer Infektionskrankheit.“ gestorben“, sagt der Wissenschaftler. Manhart, Wissenschaftler am Öko- Schwerwiegende Folgen des unsach- Institut, „ein Problem, das dem Thema gemäßen Recyclings bestehen jedoch Recycling in den Entwicklungsländern nicht nur im direkten Umfeld der Blei- in Zukunft eine viel größere Relevanz hütten: „In Kamerun etwa wird ein Teil geben wird.“ Denn sachgerecht recycelt des Schwermetalls für die Produktion werden die Abfälle häufig nicht: „Dass von Kochtöpfen verwendet. Und auch es Recycling gibt, ist hier leider nicht die Wiederverwertung der Batteriege- per se positiv, denn die oft rudimen- häuse aus Plastik ist ein Problem, da der tären Verfahren gefährden Menschen Rohstoff meist nicht angemessen ge- und Umwelt“, so Manhart, „so etwa das reinigt wird und das verbleibende Blei Abfackeln von Autoreifen oder das Ab- damit in ziemlich gesundheitskritische brennen der Kunststoffummantelun- Anwendungen wie Trinkwassertanks gen von Kabeln, aus denen Kupfer ge- verschleppt wird.“ wonnen werden soll.“ Über 1,2 Millionen Tonnen Altbatterien fallen 2016 Ein wichtiger Schritt, Menschen und Insbesondere die Rückgewinnung von in Afrika an. Umwelt besser vor diesen Gefahren zu Blei aus Autobatterien ist mit gravieren- schützen, sind das Aufklären der Bevöl- den Problemen verbunden. „Mit dem kerung über die bestehenden Risiken Wachstum des Verkehrsaufkommens sowie die Informationsvermittlung an steigt die Zahl der Altbatterien in Afrika, politische Entscheider. „Darüber hinaus für 2016 wird ihre Menge auf mehr als müssen die lokalen Recyclingunterneh- 1,2 Millionen Tonnen geschätzt“, sagt STANDARDS FÜR BLEIHÜTTEN men in einem ersten Schritt dringend der Experte vom Öko-Institut, „damit Maßnahmen ergreifen, damit die Men- fallen jährlich mehr als 800.000 Ton- schen dem Blei nicht mehr schutzlos nen Blei an, die vor allem in Ländern Mit dem aktuellen, spendenfinanzier- ausgeliefert sind“, fordert Manhart. südlich der Sahara meist unter sehr ten „Lead Recycling Africa Project“ hat Sinnvoll seien darüber hinaus Stan- problematischen Bedingungen wieder- das Öko-Institut in Kooperation mit dards zum umwelt- und gesundheits- verwertet werden.“ Die Batteriesäure Umweltorganisationen aus Äthiopien, gerechten Batterierecycling mit Vorga- wird unkontrolliert abgegossen, selbst Kenia, Tansania und Kamerun dazu bei- ben zur Gesundheitsüberwachung und die einfachsten Schutzmaßnahmen für getragen, das Wissen über die Betriebe Unternehmensführung, zu Emissionen
13 und zur Rückstellung von Kapital für die Best of two Worlds (Bo2W) gemeinsam Welche schwerwiegenden Probleme Beseitigung von Umweltschäden. Dar- mit lokalen Institutionen aus Ghana bei der Gewinnung von Sekundärroh- über hinaus brauche es Anreizsysteme und Ägypten sowie mit Industriepart- stoffen entstehen können, hat im Mai für jene, die umweltgerecht recyceln. nern aus Belgien und Deutschland be- 2016 nun auch die UN-Umweltver- „Es darf nicht sein, dass diejenigen, de- fasst. „Mit Fokus auf Altfahrzeuge und sammlung in Nairobi betont: Sie sprach nen die Auswirkungen ihres Tuns egal E-Schrott haben wir analysiert, wie in ihre tiefe Sorge über das Problem des sind, die einfach auf dem billigsten Weg Ghana und Ägypten nachhaltige Sam- unsachgemäßen Recyclings von Blei- an die Rohstoffe rankommen wollen, mel- und Recyclingsysteme aufgebaut Säure-Batterien aus und rief dazu auf, mehr verdienen als jene, die sachge- werden können“, erklärt Manhart. Das Standards umzusetzen. „Das ist eine recht recyceln.“ Dieses Prinzip müsse vom Bundesministerium für Bildung Aussage, auf die man sich in späteren man durch Anreize für umweltgerech- und Forschung geförderte Projekt sollte Verhandlungen berufen kann und da- tes Recycling umkehren. „Das Beste aus zwei Welten“ vereinen: her ein wichtiger Schritt nach vorne“, die jeweiligen Vorteile bestehender sagt Andreas Manhart. Nicht nur, um Eine hohe Verantwortung hat nach Recyclingstrukturen in Industrie- und ein wenig Licht in die dunkle Seite des Ansicht des Wissenschaftlers vom Öko- Schwellenländern. „Der Grundgedanke Bleirecyclings in Afrika zu bringen – Institut zudem die Autoindustrie, die für ist: Die Produkte werden lokal demon- denn das Problem besteht auch auf einen Großteil des weltweiten Bleiver- tiert – natürlich unter Einhaltung an- anderen Kontinenten: „Wir kennen zum brauchs verantwortlich ist. Das in den spruchsvoller Umwelt- und Sozialstan- Beispiel Fälle aus Vietnam oder der Do- afrikanischen Ländern zurückgewonne- dards – und dann in hocheffizienten minikanischen Republik, weltweit ist ne Schwermetall wird zumeist nach Asi- Anlagen in Industriestaaten weiterver- – nach vorsichtigen Schätzungen – die en und Europa exportiert, da es vor Ort wertet“, sagt der Experte vom Öko-Ins- Gesundheit von fast einer Million Men- oft keine industrielle Verwendung dafür titut, „so wurden zum Beispiel in Ghana schen direkt bedroht.“ gibt – und landet über Bleiraffinerien gesammelte Blei-Säure-Batterien nach unter anderem bei den Produzenten Europa gebracht, wo sie von Spezia- Christiane Weihe von Autobatterien. „Die europäische listen recycelt wurden.“ Das Projekt Autoindustrie muss Verantwortung zeigte: Der Bo2W-Ansatz ist umsetzbar. übernehmen, so durch deutlich stren- Gleichzeitig haben die Experten aber gere Standards für ihre Zulieferer vom auch strukturelle Schwierigkeiten für ersten Schritt an“, so der Experte. seine breite Implementierung ermit- telt: „Auch in Ghana und Ägypten hat sich gezeigt, dass jene Recycler, die die BEST OF TWO WORLDS Kosten zum Beispiel für Sicherheit und Sozial- und Umweltstandards in inter- Gesundheit der Arbeiter nicht externa- nationalen Produktionsketten stehen lisieren, einen deutlichen Wettbewerbs- im Mittelpunkt der Arbeit von Andreas Manhart. Der Geograph ist seit 2005 im Mit Lösungsansätzen für die Bekämp- nachteil haben. Die informelle Abfall- Bereich Produkte & Stoffströme des fung von unsachgemäßem Recycling wirtschaft trägt diese Kosten nicht Öko-Instituts tätig. hat sich das Öko-Institut auch im Projekt selbst und dominiert damit den Markt.“ a.manhart@oeko.de
14 IM FOKUS I INTERVIEW „Wir mussten lange für das Eingeständnis kämpfen, dass die Bevölkerung vergiftet wurde“ Mitten in Owino Uhuru, einem Slum im kenianischen Mombasa, machte eine Bleihütte die Menschen krank. Auch King David, den Sohn von Phyllis Omido. Sie war angestellt in dem Unternehmen, das die Gemeinde durch verantwortungs- lose Praktiken sowie mangelnden Schutz von Arbeitern und Umwelt bei der Ge- winnung von Blei aus alten Autobatterien sukzessive vergiftete. Omido kämpfte jahrelang für die Schließung der Bleihütte, gründete dafür die NGO Center for Justice, Governance and Environmental Action. Sie brachte Schritt für Schritt die Gemeinde und betroffene Arbeiter auf ihre Seite, erhielt schließlich auch die Un- terstützung internationaler Organisationen. Im Jahr 2014 ihr erster großer Sieg: Die Bleihütte wurde geschlossen. 2015 gewann Phyllis Omido für ihr Engagement einen der weltweit wichtigsten Umweltpreise, den Goldman Environmental Prize, auch Um- welt-Nobelpreis genannt. Doch ihr Kampf gegen die Vergiftung von Menschen ist noch lange nicht vorbei. Am Anfang Ihres Kampfes gegen die die Umweltverschmutzung durch die von Blei-Säure-Batterien ausgesprochen Bleihütte – wie ist es Ihnen gelungen, Bleihütte behoben wird. Hier leben hat – ich war bei den Verhandlungen in Unterstützung zu mobilisieren? schließlich nach wie vor sehr viele Men- Nairobi dabei – ist außerdem ein großer Zu Beginn war es ein sehr einsamer schen. Außerdem haben wir eine Klage Sieg für unsere Sache. Weg, aber nach und nach konnte ich auf Schadenersatz gegen die Leitung die Menschen überzeugen, dass sie sich der Bleihütte und die Regierung erho- Was bedeutet der Goldman Environ- wehren müssen. Die Frauen sahen ja, ben. Die Menschen benötigen Geld mental Prize für Sie? dass ihre Kinder krank wurden. Als ich für die medizinische Behandlung. Und Der Preis ist eine große Ehre und ein erreichen konnte, dass nach meinem nicht zu vergessen: Die kenianische wichtiger Meilenstein für unsere Arbeit. Sohn drei weitere Kinder auf Bleivergif- Verfassung garantiert ihren Bürgern Er hat uns außerdem sehr dabei gehol- tung getestet wurden – und die Tests schließlich eine saubere, gesunde und fen, noch mehr Aufmerksamkeit für das positiv ausfielen – fingen die Bewohner nachhaltige Umwelt. Thema zu schaffen. an, zuzuhören. Als einer der Arbeiter an Bleivergiftung starb, hörten auch seine Wie lange würde die Reinigung dau- Was sagt Ihr Sohn zu Ihrem Engage- Kollegen zu und begannen, sich testen ern? ment? zu lassen. Nicht lange, wahrscheinlich kürzer als Er ist sehr stolz darauf und ermutigt einen Monat. Es handelt sich hier ja nur mich ständig. King David ist jetzt zehn Wie ist die Situation heute, nach der um eine Fläche von knapp sechs Hektar. Jahre alt und möchte später auch Um- Schließung? Und die Reinigung wäre mit etwa vier weltaktivist werden. Allerdings inter- Noch immer leiden viele Menschen un- Milliarden kenianischen Schilling auch essiert er sich mehr für den Tierschutz ter den Nachwirkungen der Bleihütte. nicht unbezahlbar, das entspricht gut (lächelt). Unsere Böden und Gewässer sind nach 39 Millionen US-Dollar. wie vor verseucht, so gelangen die ge- Vielen Dank für das Gespräch. fährlichen Stoffe weiterhin in unsere Was waren Ihre größten Erfolge bis- Das Interview führte Christiane Weihe. Nahrung. Immer wieder beerdigen wir lang? Menschen, die an Bleivergiftungen ster- Die endgültige Schließung der Bleihüt- ben. 800 Menschen wurden bereits auf te, natürlich, und dass die kenianische Bleivergiftung getestet, davon drei Vier- Regierung endlich zugegeben hat, dass tel positiv. hier die Bevölkerung vergiftet wurde. Für dieses Eingeständnis mussten wir Was sind heute Ihre zentralen Forde- sehr lange kämpfen, denn uns fehlten rungen? lange konkrete Beweise. Zudem wurden Wir erwarten, dass endlich alle Men- immer wieder wichtige Informationen, schen getestet werden – es fehlen noch so etwa medizinische Testergebnisse, Im Interview mit eco@work: Phyllis Omido, 2.200 Tests. Außerdem verlangen wir vor uns versteckt. Dass die UN-Um- Gründerin und Geschäftsführerin des Center for von der Regierung, dass unsere Ge- weltversammlung im Mai ihre Besorg- Justice, Governance and Environmental Action meinde noch in diesem Jahr gereinigt, nis über das unsachgemäße Recycling info@centerforjgea.com
IM FOKUS I PORTRÄTS 15 Stefanie Degreif Wissenschaftlerin am Öko-Institut Dr. Michael Priester Senior-Bergbauberater Sie brauchte Geduld und einen sehr di- bei der Projekt-Consult GmbH Dr. Thomas Gäckle cken Mantel. Denn an der Hudson Bay Leiter der Unterabteilung lagen die Temperaturen im November Rohstoffpolitik im BMWi Wenn er von einer Reise zurückkommt, bei minus 20 Grad. „Ich wollte schon hat er oft ein Stück Holz im Gepäck. lange Eisbären in ihrem natürlichen Nicht für den heimischen Kamin an ei- Lebensraum sehen“, erzählt Stefanie Die sichere Versorgung mit wichtigen nem kalten Wintertag, sondern für die Degreif. An der Bucht im Nordosten Ka- metallischen und mineralischen Roh- Bildhauerei. 50 bis 100 Stunden bear- nadas hat sich ihr Traum erfüllt: 15 Tiere stoffen stand im Vordergrund, als das beitet er den Rohstoff, schafft daraus konnte die Wissenschaftlerin vom Öko- Bundesministerium für Wirtschaft und eine Skulptur. Gelegenheit für solch Institut beobachten. Energie (BMWi) vor gut fünf Jahren die ein Mitbringsel hat Dr. Michael Priester Unterabteilung Rohstoffpolitik einrich- oft: In über 40 Ländern war der Berg- Geduld braucht die Diplom-Geogra- tete. „Nach der Verknappung von Roh- bauingenieur mittlerweile unterwegs, phin auch bei ihrer täglichen Arbeit im stoffen und erheblichen Preissteigerun- er berät und begleitet Projekte der in- Bereich Ressourcen & Mobilität, etwa im gen war klar: Wir müssen etwas tun“, ternationalen Entwicklungszusammen- Projekt „Rohstoffwende Deutschland sagt Dr. Thomas Gäckle, der diese Unter- arbeit. Sein Fokus liegt dabei auf dem 2049“. 75 unterschiedliche Rohstoffe abteilung seither leitet. Nach zwölf Jah- Kleinbergbau. „Weltweit arbeiten nach analysiert das Projektteam dafür, ent- ren Arbeit im Bundestag hat er die Auf- Schätzungen etwa 12 bis 15 Millionen wickelt Strategien für eine nachhaltige gabe gerne übernommen: „Diese Arbeit Menschen in diesem Bereich, 60 bis 75 Rohstoffnutzung. „Es besteht unter- hat viele spannende Facetten, so etwa, Millionen sind wirtschaftlich davon ab- schiedlicher Handlungsbedarf, daher dass wir ein aus politisch-administrati- hängig“, sagt er. entwickeln wir konkrete Ziele und Maß- ver Sicht recht junges Thema betreuen, nahmen für die einzelnen Rohstoffe.“ bei dem man viel gestalten kann.“ Die oftmals schwerwiegenden sozia- Gerade das Industrieland Deutschland len und ökologischen Probleme des kann noch viel tun, so Stefanie Degreif: Inzwischen gehören auch umweltpoli- Kleinbergbaus in vielen Ländern kennt „Wir brauchen dringend eine Rohstoff- tische und zivilgesellschaftliche Frage- Priester genau. Ein zentrales Instrument wende, doch Deutschland ist hier leider stellungen zum Arbeitsbereich des Un- zu ihrer Lösung sieht er in Entwick- kein Vorreiter. Das zeigt sich etwa am terabteilungsleiters – so etwa mit Blick lungspartnerschaften zwischen den Beispiel der Primärbaustoffsteuer, die auf das Thema Transparenz. „Es ist von Bergleuten vor Ort und europäischen Anreize dazu setzen kann, Rohstoffe zu zentraler Bedeutung, dass wir bei kon- Produzenten: „Viele positive Beispiele sparen und Recyclingmaterial einzuset- fliktbehafteten Rohstoffen wie Tantal zeigen, dass solche Partnerschaften zen. Baustoffsteuern unterschiedlicher oder Gold wissen, wo sie herkommen dabei helfen können, bessere Förder- Art gibt es bereits in 15 EU-Ländern, und dass die Verkaufserlöse nicht zur standards umzusetzen, die Situation hierzulande aber nicht.“ Finanzierung von Konflikten genutzt vor Ort zu verbessern.“ Die Hürden auf werden.“ Auch mit Versorgungssicher- diesem Weg kennt Priester genau – „Die Dass Stefanie Degreif neugierig neue heit befasst sich Dr. Gäckle weiterhin, Zwischenhändler etwa macht das na- Länder entdeckt und auf Tiere warten etwa mit Blick auf die zuverlässige Ver- türlich nicht glücklich.“ Doch er ist eh kann, bewies sie übrigens auch schon sorgung von Zukunftstechnologien. keiner, der es sich leicht macht. Weder in Costa Rica. „Ich habe mir gewünscht, Soziale und ökologische Themen haben bei der Arbeit, noch bei der Bildhauerei. einmal Meeresschildkröten dabei zu aber eine ebenso große Bedeutung: „Ich mag den Widerstand, den mir das beobachten, wie sie an Land kommen „Man kann nicht einfach nur durch die Material entgegen bringt,“ sagt er dazu. und ihre Eier legen.“ Ein weiterer Traum, ökonomische Brille schauen und sagen: Und zeigt nicht zuletzt mit seiner Kunst, der sich erfüllt hat – mit Geduld und Wenn die Märkte funktionieren, ist alles dass er Hürden überwinden kann. cw ohne dicken Mantel. cw in Ordnung.“ cw michael.priester@projekt-consult.de s.degreif@oeko.de thomas.gaeckle@bmwi.bund.de
16 ARBEIT I RÜCKBLICK Macht ihr eine Ausnahme? Analysen zur RoHS- und ELV-Richtlinie Den Einsatz von gefährlichen Stoffen Das Projektteam analysierte im Auftrag zu diesem Thema ebenso „Die dunkle Sei- wie Schwermetallen oder bromierten der Europäischen Kommission Anträge te des Recyclings“ auf Seite 12), sie wurde Flammschutzmitteln in Elektro- und für die Verlängerung der Ausnahmen, vom Öko-Institut ebenfalls für die Eu- Elektronikgeräten zu beschränken, ist so etwa für Quecksilber in Energiespar- ropäische Kommission analysiert. „Die das Ziel der EU-Richtlinie „Restriction lampen. Dafür wurden Daten und In- Antragsteller argumentieren mit feh- of Hazardous Substances“ (RoHS). Da formationen bewertet, die von Antrag- lenden Alternativen auf dem Massen- bei manchen Geräten und technischen stellern und Stakeholdern eingereicht markt“, sagt Yifaat Baron, „andere Exper- Anwendungen auf diese verbotenen wurden. „Zwei derzeit noch bestehende ten betonen jedoch, dass Alternativen Stoffe technisch noch nicht verzichtet Ausnahmen für Lampen im unteren wie Lithium-Ionen-Batterien zumindest werden kann, sieht die Richtlinie zeit- Leistungsaufnahmebereich sollten be- einen teilweisen Ausstieg ermöglichen.“ lich begrenzte Ausnahmen vor. Im Pro- endet werden, denn inzwischen sind Auf Blei in Fahrzeugbatterien kann jekt „Study to assess renewal requests zahlreiche Alternativen auf Grundlage bislang dort nicht verzichtet werden, for 29 RoHS 2 Annex III exemptions“ der sehr langlebigen LED-Technologie wo sie für den Anlasser von Verbren- prüft das Öko-Institut gemeinsam mit verfügbar, die zudem energieeffizien- nungsmotoren benötigt werden, so dem Fraunhofer-Institut IZM diese Aus- ter sind“, sagt Baron. Die drei weiteren die Wissenschaftlerin. „Das könnte sich nahmen. „Eine RoHS-Ausnahme ist nur Ausnahmen für Energiesparlampen aber durch alternative Systeme in we- unter bestimmten Bedingungen ge- für Einsatzbereiche mit höherer Leis- nigen Jahren ändern.“ Das Projektteam rechtfertigt: Wenn der Ersatz des Stoffes tungsaufnahme (über 150 W) sollten empfiehlt daher, den Einsatz von Blei wissenschaftlich oder technisch nicht zunächst für drei Jahre gelten, so die in Fahrzeugbatterien in drei bis fünf möglich, die Alternative nicht zuverläs- Wissenschaftlerin. Jahren erneut zu prüfen. „Wir regen sig ist oder der Ersatz zu negativen Fol- außerdem an, künftig die Ausnahme gen für Umwelt und Gesundheit führen Auch die End-of-life vehicles (ELV)- zu unterteilen, um der Tatsache Rech- würde“, sagt Yifaat Baron, Wissenschaft- Richtlinie beinhaltet Stoffverbote etwa nung zu tragen, dass es Autotypen und lerin am Öko-Institut, „alle Ausnahmen für bestimmte Schwermetalle, auch hier Anwendungen gibt, bei denen bereits haben jedoch ein Ablaufdatum und besteht die Möglichkeit, Ausnahmen zu heute auf Blei-Säure-Batterien verzich- müssen regelmäßig neu beantragt wer- beantragen. Eine Ausnahme besteht tet werden kann“, erklärt Yifaat Baron. den.“ etwa für Blei in Fahrzeugbatterien (siehe cw
17 Der Energiekosten- Kein Indikator Weiterbetrieb Trotz stetig steigender Produktion sind die Energiekosten Kann das älteste Kernkraftwerk Europas, die Schweizer An- für die deutsche Industrie in den vergangenen sechs Jah- lage Beznau 1, wieder sicher in Betrieb gehen? Diese Frage ren deutlich gefallen: Sie liegen heute etwa 320 Millionen lässt sich nach Ansicht der Experten des Öko-Instituts der- Euro im Monat niedriger als noch 2010, das zeigt der neue zeit nicht mit „ja“ beantworten – denn noch immer hat der Energiekosten-Indikator. Er wird vom Öko-Institut und dem Betreiber Axpo keine technischen Berichte zu seinem bishe- Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) be- rigen Vorgehen oder Sicherheitsnachweise vorgelegt. rechnet. „Damit gibt es nun erstmals ein übergreifendes Ins- trument, das alle Energieträger von Öl bis Biomasse erfasst“, 2015 hatten Ultraschallbefunde über 1.000 Materialfehler sagt Dr. Felix Matthes, Forschungskoordinator Energie- und im Reaktordruckbehälter von Beznau 1 angezeigt. Dieser Klimapolitik am Öko-Institut, „darüber hinaus werden darin umschließt den Reaktorkern inklusive der Brennelemente Steuern, Abgaben und Umlagen berücksichtigt, aber auch und ist daher die wichtigste und nicht austauschbare Kom- Kompensationsmaßnahmen, durch die die Energierech- ponente in einem KKW. „Diese Befunde sind für eine um- nung der Industrieunternehmen verringert wird.“ fassende Ursachenermittlung aber nicht ausreichend“, sagt Simone Mohr vom Öko-Institut, „mit Ultraschallverfahren Die Analyse „EKI – Der Energiekostenindex für die deutsche lassen sich im besten Fall die Lage in der Wand und die Ab- Industrie“ im Auftrag der European Climate Foundation maße der Materialfehler analysieren.“ In der Stellungnahme benennt auch die Ursachen des Preisrückgangs. „Vor allem „Ultraschallbefunde des Kernkraftwerks Beznau“ im Auf- die teils drastisch gesunkenen Öl- und Gaspreise haben trag von Greenpeace Schweiz betonen die Wissenschaftler, hier einen Anteil“, so Matthes. Und: „Der starke Rückgang dass ein qualifiziertes Urteil über die Materialfehler, ihre der Stromgroßhandelspreise ist ebenfalls für die gefallenen Ursachen und weitere Entwicklung nur durch spezifische Kosten verantwortlich.“ Denn immerhin etwa die Hälfte der Werkstoffprüfungen möglich sei. Bislang aber hat Axpo industriellen Energiekosten wird vom Strom bestimmt, Öl Probleme, geeignete Materialproben zu beschaffen. „Einem und Gas haben einen Anteil von zusammen 36 Prozent. Weiterbetrieb darf nicht zugestimmt werden, wenn die Si- cw cherheitsnachweise nicht den höchsten Anforderungen ge- nügen“, sagt Mohr. cw Klimaschutzbeitrag des dualen Systems Das Recycling von Leichtverpackungen Die Experten haben den Umwelt- und das Leichtverpackungsrecycling zudem hat hierzulande 2014 insgesamt 1,9 Mil- Klimaschutzbeitrag des Verpackungsre- noch viel Potenzial: „Bis 2030 könnte die lionen Tonnen CO2-Äquivalente (CO2e) cyclings in den Jahren 1990 sowie 2014 Umwelt dadurch um insgesamt 3,6 Mil- eingespart, weitere 1,2 Millionen Ton- untersucht und das Klimaschutzpoten- lionen Tonnen Treibhausgase entlastet nen weniger CO2e konnten durch das zial in 2030 prognostiziert. „Die Stu- werden. Das wären noch einmal 1,7 Mil- Recycling von Verpackungspapieren die zeigt, dass etwa das Recycling von lionen Tonnen mehr als heute“, so die und Glas erreicht werden. Dies ergab Leichtverpackungen pro Tonne Abfall Expertin, „ eine weitere Million Tonnen die Analyse „Umweltpotenziale der ge- im Vergleich zur Restmüllentsorgung würden zudem eingespart, die heute trennten Erfassung und des Recyclings eine 19-mal bessere Klimabilanz hat“, noch bei der Entsorgung der Kunststof- von Wertstoffen im dualen System“ des sagt Alexandra Möck, Wissenschaftle- fe über den Restmüll entstehen.“ Öko-Instituts im Auftrag des Dualen rin am Öko-Institut. Mit Blick auf einen cw Systems Deutschland (DSD). zukünftigen Klimaschutzbeitrag hat
18 PERSPEKTIVE Jetzt ein Gesetz Zum Abschlussbericht der Endlagerkommission Ein wichtiges Projekt wurde in diesem Sommer abgeschlos- Drei Gesteinsarten kommen für das Endlager grundsätzlich in sen: Mit der 34. Sitzung und der Vorstellung des Abschluss- Frage: Kristallin (zum Beispiel Granit), Salz und Tonstein. Für berichtes am 5. Juli 2016 endete die Arbeit der Endlager- die Standortsuche hat die Endlagerkommission klare Kriteri- kommission, die etwa zwei Jahre zuvor begonnen hatte. en formuliert, wie mögliche Standorte beurteilt werden sol- Bundestagsabgeordnete und Ländervertreter, Wissenschaft- len, was bei der Auswahl zu berücksichtigen ist und welche ler und Repräsentanten von Umweltverbänden, Gewerk- Punkte dabei vorrangig sind. So liegt zum Beispiel ein klarer schaften, Wirtschaft und Kirchen haben nun die Grundlagen Fokus auf der Gewährleistung der Sicherheit. Viele Kriterien für die Auswahl eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle in befassen sich daher mit der Frage, welche geowissenschaft- Deutschland gelegt. lichen Voraussetzungen nötig sind, damit das Endlager dicht und stabil bleibt – so etwa mit Blick auf die Gebirgsdurchläs- Als Mitglied dieser Kommission muss ich zugeben: Es war sigkeit. Auch der Ausschluss von Gebieten mit seismischer nicht immer einfach. Wir haben viel diskutiert und um Eini- oder vulkanischer Aktivität gehört in diesen Kriterienkatalog. gungen gerungen, manchmal wurde intensiv gestritten. Aber, und das ist der weit wichtigere Punkt: Im Laufe der Ar- Ein besonderer Fokus unserer Arbeit lag außerdem auf der beit ist ein wechselseitiges Verständnis entstanden, die zum Frage, wie die Öffentlichkeit am Prozess der Endlagersuche Teil sehr unterschiedlichen Mitglieder haben sich gegensei- beteiligt wird. Es wird keine Geheimverfahren mehr geben: tig zugehört. Wir haben einen tragfähigen Kompromiss ge- Im Abschlussbericht ist ein umfassendes Verfahren beschrie- funden und einen Abschlussbericht vorgelegt, der mit nur ben, wie die Öffentlichkeit partizipieren kann, zu welchen einer Gegenstimme verabschiedet wurde. Bundestag und Zeitpunkten welche Informationen zur Verfügung gestellt Bundesrat sind nun gefragt. Die Novellierung des Standort- werden müssen. Es wird Diskussionen geben und Konflikte, auswahlgesetzes (StandAG) möglichst noch in diesem Jahr ist das ist uns allen klar. Doch ich bin der Überzeugung, dass wir der zentrale nächste Schritt. Dann kann endlich die Endlager- einen Weg gefunden haben, mit ihnen umzugehen, die Öf- suche beginnen. fentlichkeit bestmöglich in die Endlagersuche einzubeziehen und ihre Anliegen zu berücksichtigen. Die Kommission hat die Grundlagen für diesen Prozess ge- legt, so etwa mit der Ausarbeitung eines neuen Modells für Übrigens hatte die Arbeit der Kommission einen wertvollen die Organisation der Endlagersuche. Wir empfehlen eine Lö- Nebeneffekt: Eine erhebliche Erweiterung des Wissensstan- sung, in der es neben einer Genehmigungs-, Aufsichts- und des der Mitglieder zu fachlichen Details der Endlagersicher- Regulierungsbehörde, dem Bundesamt für kerntechnische heit ebenso wie zur Methodik der Öffentlichkeitsbeteiligung. Entsorgung (BfE), einen privatwirtschaftlich organisierten Als Wissenschaftler ist mir die Erhebung, Vertiefung und Endlagerbetreiber gibt, der in Besitz der öffentlichen Hand Verbreitung von Wissen stets ein besonderes Anliegen. Dass ist. Diese Bundes-Gesellschaft für kerntechnische Entsor- auch das im Rahmen der Endlagerkommission gelungen ist, gung (BGE) soll verantwortlich sein für die Suche nach einem freut mich sehr – nicht nur mit Blick auf den weiteren Prozess Standort, aber auch für Errichtung, Betrieb und Stilllegung der Endlagersuche. von deutschen Endlagern für atomare Abfälle. Sie soll unter- nehmerisch freie Hand haben, aber nur im Rahmen der Ge- Michael Sailer nehmigungen und der Aufsicht durch das BfE. Der Nuklearexperte Michael Sailer leitete 16 Jahre lang den Bereich Nukleartech- nik & Anlagensicherheit des Öko-Instituts bevor er 1999 in die Geschäftsführung eintrat. 2014 wurde der Diplom-Inge- nieur in die Kommission zur Lagerung hoch radioaktiver Abfälle („Endlager- kommission“) berufen, die Anfang Juli 2016 mit ihrem Abschlussbericht ihre Arbeit beendet hat. m.sailer@oeko.de
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