RUNDSCHREIBEN MITGLIEDER - Wahlen zum Vorstand und Beirat - DGHO

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RUNDSCHREIBEN MITGLIEDER - Wahlen zum Vorstand und Beirat - DGHO
Juni · 2/2021

    MITGLIEDER
RUNDSCHREIBEN

DGHO Intern
                      4   DGHO
                                            5   Veranstaltungen
                                                                  24
Wahlen zum                Neu: Onkopedia-       Hybride
Vorstand und Beirat       Webinare              Jahrestagung
RUNDSCHREIBEN MITGLIEDER - Wahlen zum Vorstand und Beirat - DGHO
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RUNDSCHREIBEN MITGLIEDER - Wahlen zum Vorstand und Beirat - DGHO
DGHO

                                                                        INHALT                                              Editorial
                                                                                                                            L   iebe Kolleginnen und Kollegen,
                                                                                                                                liebe Mitglieder der DGHO,
                                                                                                                            liebe Freundinnen und Freunde,
                                                                                                                                                                        Der Vorstand ruft die Mitglieder der
                                                                                                                                                                        DGHO auf, sich aktiv um die ab dem 1.
                                                                                                                                                                        Januar 2022 zu besetzenden Ämter in
                                                                                                                                                                        Vorstand und Beirat zu bewerben. Va-
                                                                                                                            seit einigen Ausgaben ist dieses das        kant wird das Amt der*des Vorsitzen-
                                                                                                                            erste Mitgliederrundschreiben, in dem       den für die Amtsperiode 2022 bis 2023,
                                                                                                                            Sie keinen Artikel zu COVID-19 fin-         an die sich laut Satzung automatisch
                                                                                                                            den. Der Grund ist selbstverständlich       das Amt der*des Geschäftsführenden
                                                                                                                            nicht, dass uns das Thema nicht mehr        Vorsitzenden für die Amtsperiode von
                                                                                                                            beschäftigt. Unsere Fachgesellschaft        2024 bis 2025 anschließt. Darüber hi-
                                                                        DGHO                                                ist weiterhin äußerst aktiv, wenn es        naus wird mit Beginn des nächsten
                                                                                                                            um COVID-19 geht. Die Schnellle-            Jahres die Position für ein weiteres
                                                                        Neu: Onkopedia-Webinare������ 5                    bigkeit des Themas erfordert von uns        Mitglied im Vorstand für die Amtspe-
                                                                        Stellungnahme Modell-                               sehr oft kurzfristiges Agieren. Diesem      riode 2022 bis 2025 vakant. Ebenfalls
                                                                        vorhaben Genom-                                     Tempo werden wir mit unserem digi-          zu besetzen sind ab dem 1. Januar
                                                                        sequenzierung���������������������������� 7        talen Angebot gerecht. So finden Sie        2022 fünf Positionen im Beirat unserer
                                                                                                                            auf unserer Website stets die aktuellen     Fachgesellschaft. Sowohl die Arbeit im
                                                                        Assistierte Selbsttötung bei                        Dokumente rund um COVID-19. Neben           Vorstand als auch im Beirat bietet – in
                                                                        Krebspatient*innen������������������ 10            der Lektüre des vorliegenden Mitglie-       enger Kooperation mit den vielen eh-
                                                                        Vergabe José Carreras-                              derrundschreibens laden wir Sie herz-       renamtlich engagierten Kolleg*innen
                                                                        DGHO-Promotions-                                    lich ein, sich regelmäßig auf unserer       unserer Fachgesellschaft – einen aus-
                                                                        stipendien��������������������������������� 12     Website zu COVID-19 und den vielen          gesprochen großen wissenschaftli-
                                                                                                                            weiteren Themen, bei denen sich unse-       chen, medizinischen und gesundheits-
                                                                                                                            re Fachgesellschaft intensiv engagiert,     politischen Gestaltungsspielraum in
                                                                        Historische Forschungsstelle                        zu informieren.                             einem der innovativsten Fachgebiete
                                                                                                                                                                        der Medizin!
                                                                        Der besondere Fall:                                 Onkopedia ist ein Leuchtturmprojekt
                                                                        PNH 1678����������������������������������� 14     der DGHO und hat sich seit seiner Initi-    Für die hybride Jahrestagung der Deut-
                                                                                                                            ierung zu einem Standard-Tool für unser     schen, Österreichischen und Schwei-
                                                                                                                            Fachgebiet entwickelt. Die Onkopedia-       zerischen Gesellschaften für Hämato-
                                                                        Deutsche Stiftung für junge                         Leitlinien zeichnen sich u. a. durch ihre   logie und Medizinische Onkologie vom
                                                                        Erwachsene mit Krebs                                komprimierte Darstellung, ihre große        1. bis 4. Oktober 2021 in Berlin wurden
                                                                                                                            Praxistauglichkeit im klinischen Alltag     535 Abstracts eingereicht. Durch Ihr
                                                                        Patient*innenbeirat mit                             sowie durch Ihre Aktualität aus. Daher      Engagement tragen Sie wesentlich
                                                                        neuer Zusammensetzung�������� 19
                                                                                                                            freuen wir uns ganz besonders, dass         zur Gestaltung eines spannenden Pro-
                                                                        Ausbau des                                          wir Ihnen – realisiert durch die DGHO       gramms bei. Dafür möchten wir uns
                                                                        Informationsangebots������������� 20               Service GmbH – ab sofort in zweiwö-         sehr herzlich bei Ihnen bedanken!
                                                                                                                            chigen Abständen kostenlose Onkope-         Unabhängig von den durch COVID-19
                                                                                                                            dia-Webinare anbieten können. Immer         bedingten konkreten Ausgestaltungen
                                                                        Veranstaltungen                                     freitags von 14:00 bis 15:00 Uhr geben      der Jahrestagung freuen wir uns ge-
                                                                                                                            die verantwortlichen Autor*innen der        meinsam mit dem diesjährigen Kon-
                                                                        Hybride Jahrestagung������������� 24               Onkopedia-Leitlinien, bei denen sich        gresspräsidenten Prof. Andreas Ma-
                                                                        Grußwort des                                        relevante Änderungen ergeben haben,         ckensen und seinem Team auf einen
                                                                        Kongresspräsidenten��������������� 25              einen entsprechenden Überblick. Im          intensiven fachlichen Austausch und
                                                                                                                            Anschluss bietet ein Chat Raum für Fra-     besonders – wenn möglich – auch auf
Titelbild: Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker; AdobeStock

                                                                        Veranstaltungs-                                     gen und Diskussionen. Zur Teilnahme         persönliche Gespräche – vor Ort und
                                                                        hinweise 2021���������������������������� 25       laden wir Sie ganz herzlich ein!            virtuell!

                                                                        DGHO Intern

                                                                        Wahlen zum Vorstand
                                                                        und Beirat������������������������������������ 4
                                                                                                                            Lorenz Trümper                              Hermann Einsele
                                                                        Bewerbung um die                                    Geschäftsführender Vorsitzender             Vorsitzender
                                                                        Mitgliedschaft��������������������������� 22

                                                                                                                            Maike de Wit                                Ingo Tamm
                                                                                                                            Mitglied im Vorstand                        Mitglied im Vorstand

                                                                                                                                                                              DGHO Mitgliederrundschreiben 2/2021   3
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O    nkopedia ist in den letzten 10 Jahren zu einem Standard
     in der Diagnostik und Therapie von Patient*innen mit
hämatologischen und onkologischen Erkrankungen gewor-
den. Ziel von Onkopedia ist es, Empfehlungen auf dem aktu-
ellen Stand des Wissens zu geben. Das erfordert kontinuier-
liche Aktualisierung der Leitlinien durch die Expert*innen,
aber auch die Bereitschaft der behandelnden Ärzt*innen,
diese Empfehlungen umzusetzen.
   Wann und wo muss ich meine Routine in der Diagnostik,
in der Therapie, im Nebenwirkungsmanagement oder in der
Nachsorge ändern bzw. anpassen? Hierzu starten wir jetzt
eine neue Reihe von Webinaren.

                     Inhalt                     Onkopedia Leitlinien, bei denen sich relevante Änderungen
                                                ergeben haben

                     Vortragende                verantwortliche Autor*innen der Onkopedia Leitlinien

                     Format                     Webinar über 45 Minuten, anschließend Diskussion über
                                                Chat-Funktion

                     Aufbau                     einheitlich: Grundlagen, Diagnostik, Therapie,
                                                ­Rehabilitation, Nachsorge, …

                     Zeitpunkt                  freitags 14:00 bis 15:00 Uhr, alle 2 Wochen

                     Daten, Themen und Referent*innen der ersten Webinare:
                         Datum               Thema                                   Referent*innen
                            28. Mai 2021     Akute Myeloische Leukämie1              Prof. Dr. med. Christoph Röllig,
                                                                                     Dresden
                            11. Juni 2021    ASCO Wichtig zu wissen1                 Prof. Dr. med. Bernhard
                                                                                     Wörmann, Berlin
                            25. Juni 2021    NSCLC1                                  Prof. Dr. med. Frank Griesinger,
                                                                                     Oldenburg
                              9. Juli 2021   Antibakterielle Prophylaxe1             Dr. med. Annika Claßen, Köln
                                                                                     Prof. Dr. med. Jörg Janne
                                                                                     Vehreschild, Frankfurt a. M.
                             23. Juli 2021   CLL                                     Prof. Dr. med. Clemens
                                                                                     Wendtner, München
                          6. August 2021     Ösophaguskarzinom                       Prof. Dr. med. Michael Stahl,
                                                                                     Essen
                         20. August 2021     DLBCL                                   Prof. Dr. med. Georg Lenz,
                                                                                     Münster

                     Die Organisation erfolgt über die DGHO Service GmbH. Voraussetzung für die
                     Teilnahme ist die vorherige Anmeldung unter https://www.dgho-service.de/veran-
                     staltungen/onkopedia-webinare. Teilnehmer*innen bekommen rechtzeitig einen
                     persönlichen Zugangslink zugesandt. Im Anschluss an die Webinare wird die Teil-
                     nahme bestätigt.
                       Die Webinare werden aufgezeichnet und können im Anschluss an die jeweilige
                     Veranstaltung unter www.onkopedia.com eingesehen werden.

                     1    Diese Webinare wurden von der Ärztekammer Berlin mit 1 Fortbildungspunkt in Kategorie A
                          ­zertifiziert. Für die weiteren Webinare wurde die Anerkennung als Fortbildung beantragt.

                                                                                                             DGHO Mitgliederrundschreiben 2/2021   5
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DGHO

Stellungnahme zum Modellvorhaben
Genomsequenzierung
Änderungsantrag 3 der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 18. März 2021
zum Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG)

Die vorliegende Stellungnahme wurde mit der Patient*innen-       mit den Ergebnissen, zeigt jedoch große Überlappungen. Das
Selbsthilfe sowie weiteren wissenschaftlichen medizinischen      ist der Hintergrund für die thematische Zusammenfassung
Fachgesellschaften und Institutionen verfasst und am Mittwoch,   in dem von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD ge-
21. April 2021 veröffentlicht.                                   meinsam eingebrachten Änderungsantrag unter dem Titel
                                                                 „Modellvorhaben Genomsequenzierung“.

Zusammenfassung                                                  In der Onkologie haben sich die betroffenen medizinischen
Diagnostik und Therapie seltener und maligner Erkrankun-         wissenschaftlichen Fachgesellschaften seit mehreren Jah-
gen befinden sich in einem tiefgreifenden Wandel. Ziel ist       ren angesichts der Vielfalt der molekulardiagnostischen
die Translation von Ergebnissen der Genomforschung in die        Möglichkeiten und der Angebote intensiv mit dem The-
Versorgung. Wir begrüßen die Bereitschaft aus der Politik        ma beschäftigt [1, 2]. Anfang 2019 hatten sie ihre Position
zur weiteren Unterstützung dieser in Deutschland bereits         zum Einsatz der Molekulardiagnostik in der Versorgung von
auf hohem Niveau durchgeführten Forschung.                       Krebspatient*innen in Deutschland definiert und das Posi-
Allerdings wird das vorgeschlagene Modellvorhaben zur Ge-        tionspapier „Qualitätsgesicherte Molekulardiagnostik in der
nomsequenzierung der Komplexität der Herausforderung             Onkologie: zielgerichtet – qualitätsgesichert – integriert“
nicht gerecht. So wie der Änderungsantrag jetzt formuliert       publiziert [3]. Zentrale Punkte sind:
ist, gefährdet dieses Modellprojekt
                                                                 • Zielgerichtete Indikation zur Anforderung von Molekular-
• die Qualität der Versorgung                                      diagnostik
• die Sicherheit der Patient*innen                               • Orientierung an aktuellen Leitlinien
• die zur Therapieverbesserung notwendige Verbindung von         • Integration der molekularpathologischen/tumorgeneti-
  Forschung und Versorgung                                         schen Analysen in die weitere Diagnostik und die Thera-
• die Kostentransparenz und -kontrolle                             pieempfehlung
• die Fortführung aktueller, mit öffentlichen Geldern geför-     • Qualitätssicherung von molekularpathologischer / tumor-
  derter Forschungsprojekte und deren konsequenter Um-             genetischer Diagnostik und daraus resultierender Thera-
  setzung in die qualitätsgesicherte Versorgung,                   pieempfehlung
• den Forschungsstandort Deutschland.                            • Datenschutz bei Verbleib von molekularen und klinischen
                                                                   Daten im öffentlichen Raum
Wir fordern, dieses Modellvorhaben in seiner vorgeschlage-       • Wissensgenerierende Versorgung.
nen Form nicht umzusetzen.
                                                                 Diese Forderungen sind nur im engen Verbund spezialisier-
Sinnvolle Alternativen sind Nutzung und weiterer Ausbau der      ter Zentren mit der entsprechenden Expertise umzusetzen.
bereits etablierten Strukturen, d.h. Sicherstellung einer qua-
litativ hochwertigen Durchführung von Genomsequenzie­
rung, klinischer Beratung und Evaluation in einer Hand auf       Änderungsantrag von CDU/CSU und SPD
der Basis hoher Qualitätsanforderungen in bereits zur Ver-       Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD haben einen umfang-
fügung stehenden hochspezialisierten Zentren. Damit kann         reichen Änderungsantrag zum Entwurf eines Gesetzes zur
sowohl den betroffenen Patient*innen effektiv geholfen als       Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) BT-
auch der Forschungsstandort Deutschland gestärkt werden.         Drs. 19/26822 eingebracht. Unsere Zusammenfassung ist:

Genomdiagnostik für seltene und maligne Erkrankungen ist         • Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen
kein wirtschaftlicher Selbstzweck, sondern integrativer Be-        (GKV-SV) soll für alle Kassen ein Modellvorhaben zur Ge-
standteil qualitativ hochwertiger und Patient*innen-zent-          nomsequenzierung mit geeigneten Leistungserbringern
rierter Versorgung.                                                verhandeln.
                                                                 • Geeignet sind alle Hochschulkliniken, Kliniken und ver-
                                                                   tragsärztlichen Labore, die die Kriterien der Zentrumszu-
Hintergrund                                                        schläge erfüllen [4].
Genetische Alterationen spielen eine zentrale Rolle in der       • Alle Institutionen/Anbieter, die diese Kriterien erfüllen,
Entstehung seltener angeborener und onkologischer Erkran-          verhandeln dann gemeinsam mit dem GKV-Spitzenver-
kungen. Grundsätzlich handelt es sich bei hereditären und          band über die Qualitätskriterien und über den Preis.
bei malignen Erkrankungen um unterschiedliche Fachgebie-         • Die Datenbank lässt das BMG erstellen. Zur Finanzierung
te. Vor allem die Art der Diagnostik, aber auch der Umgang         werden 10 Mill. Euro bereitgestellt.

                                                                                            DGHO Mitgliederrundschreiben 2/2021   7
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    Bewertung                                                          Onkologie
    Nach unserem Wissenstand wurde dieser Änderungsantrag              Das MASTER (Molecularly Aided Stratification for Tumor
    weder in der wissenschaftlichen Medizin noch in den Orga-          Eradication Research)-Programm ist ein präzisionsonkolo-
    nen der Selbstverwaltung im Vorfeld inhaltlich diskutiert. Bei     gisches Netzwerk, das 2012 am Deutschen Krebsforschungs-
    Durchsicht ergeben sich die folgenden, kritischen Punkte:          zentrum und am Nationalen Centrum für Tumorerkrankun-
                                                                       gen Heidelberg gegründet wurde und seit 2016 auch alle
    • Die Komplexität der Genomdiagnostik sowohl bezüg-                Standorte des Deutschen Konsortiums für Translationale
      lich der Interpretation der Sequenzierungsergebnisse als         Krebsforschung (DKTK) mit ihren jeweiligen Einzugsgebie-
      auch der klinischen Konsequenzen erfordert eine enge             ten umfasst. Zudem beteiligen sich auch die von der Deut-
      Verbindung von Grundlagenforschung, State-of-the-art             schen Krebshilfe geförderten Onkologischen Spitzenzen-
      – Diagnostik und klinischer Expertise. Diese kann nur in         tren, die zum Teil nicht dem DKTK angehören. Insgesamt
      spezialisierten, forschungsnahen akademischen Zentren            haben weit mehr als 100 Partner, die das gesamte Spektrum
      vorgehalten werden.                                              der Versorgung von Krebspatient*innen repräsentieren, zum
    • Die im Modellvorhaben geforderten Qualitätsanforderun-           Erfolg des Programms beigetragen. Seit seinem Bestehen hat
      gen entsprechen in keiner Weise diesen Notwendigkeiten.          das MASTER-Programm in technologischer und strukturel-
    • Das Modellvorhaben ermöglicht privaten Laborbetreibern           ler Hinsicht eine Vorreiterrolle für die Präzisionsonkologie in
      in Zusammenarbeit mit Kliniken / Klinikketten sowie der          Deutschland eingenommen. Einerseits hat es von Anfang an
      pharmazeutisch/diagnostischen Industrie die Durchfüh-            den systematischen klinischen Einsatz von Genom-, Exom-
      rung von Genomsequenzierung. Die Notwendigkeit der               und Transkriptomsequenzierungen realisiert. Darüber hin-
      engen Verbindung von Versorgung und klinischer For-              aus wurden wesentliche strukturelle Elemente der Präzisi-
      schung kann so nicht sichergestellt werden.                      onsonkologie in Deutschland pilotiert und kontinuierlich
    • Die Qualität der Beratung von Patient*innen / Zu­wei­ser*innen   weiterentwickelt (standortübergreifende molekulare Tumor-
      bezüglich der klinischen Konsequenzen ist nicht mehr sicher-     boards, gemeinsame Standards für die Evidenzgraduierung
      gestellt, da diese die interdisziplinäre Zusammenarbeit in       und Priorisierung sowie das Reporting von genetischen Va-
      spezialisierten forschungsnahen Zentren erfordert.               rianten im klinischen Kontext etc.). Eine weitere Errungen-
    • Für korrekte Diagnosen und Therapieempfehlungen auf              schaft des MASTER-Konsortiums besteht in der Entwicklung
      Grundlage von Genomsequenzierungen wird eine hoch-               eines stetig wachsenden Portfolios an molekular stratifizier-
      wertige Durchführung der Sequenzierung benötigt, die nur         ten klinischen Studien.
      wenige Einrichtungen erfüllen. Die Befundbewertung erfor-
      dert das Wissen über die neuesten Forschungsergebnisse           Das nationale Netzwerk Genomische Medizin (nNGM),
      sowie die Kooperation mit den klinischen Expert*innen. Die       unterstützt durch die Deutsche Krebshilfe (DKH) und die
      resultierenden Therapieempfehlungen benötigen einen en-          Krankenkassen, ist ein Modellvorhaben zur Implementie-
      gen Austausch von spezialisierten klinischen Expert*innen        rung von personalisierter Lungenkrebstherapie in Deutsch-
      und den molekulargenetischen Expert*innen.                       land. Aktuell werden hier Panelsequenzierungen für jährlich
    • Die Datenhaltung sollte in diesen Zentren angesiedelt sein       14.000 Lungenkrebspatient*innen bundesweit in einem Ver-
      als Voraussetzung für eine kontinuierliche Anwendungs-           bund von 20 Zentren, in der Mehrzahl onkologische Spitzen-
      nahe Evaluation und Weiterentwicklung. Erfahrungen in            zentren, und über 400 Krankenhäusern und onkologischen
      Deutschland und international haben gezeigt, dass kom-           Praxen durchgeführt. Zentralisiert in den nNGM Zentren
      merzielle Anbieter von Genomsequenzierung die versor-            findet hierbei die qualitätsgesicherte Sequenzierdiagnos-
      gungsfinanzierten Daten zum eigenen Nutzen unter Ver-            tik, die Beratung und interdisziplinäre Therapieempfehlung
      schluss halten und so den Prozess einer kontinuierlichen         sowie eine kontinuierliche Evaluation statt. Über besondere
      Verbesserung untergraben.                                        Versorgungsverträge mit den gesetzlichen Krankenkassen ist
    • Es bestehen Zweifel, ob die geplante zentrale Datenbank          die Bezahlung dieser Leistungen für über 80% der in Frage
      in absehbarer Zeit funktional sein wird. Somit besteht bei       kommenden Patient*innen geregelt. Die Optimierung der
      Aufsplitterung der Leistungserbringer auch die Gefahr ei-        digitalen Vernetzung der nNGM Zentren mit Krankenhäu-
      ner Aufsplitterung der Datenhaltung, teilweise im nicht          sern, Praxen und Patient*innen wird ab Sommer 2021 im
      mehr öffentlichen Bereich. Die einheitliche und zentrums-        DigiNet Projekt über den Innovationsfonds gefördert. Die im
      übergreifende Evaluation der hochwertigen klinischen und         nNGM aufgebauten Strukturen stellen eine Blaupause für die
      genomischen Daten ist nicht mehr gewährleistet, weil die-        Implementierung personalisierter Krebstherapie auch bei
      se angesichts der enormen (und zunehmenden) Komplexi-            anderen Tumorentitäten dar.
      tät nur in enger Verzahnung der Datenbankexpert*innen,
      der genomischen und der klinischen Arbeitsgruppen in             Die Zentren für personalisierte Medizin (ZPM) haben in
      den Zentren erfolgen muss.                                       Baden-Württemberg an den Universitätskliniken Strukturen
                                                                       zur zentralisierten und qualitätsgesicherten genetischen Di-
    Diese Forderungen sind nur im engen Verbund spezialisier-          agnostik, Beratung in interdisziplinären Expert*innenboards
    ter Zentren mit der entsprechenden Expertise umzusetzen,           und zur Evaluation individualisierter Therapien für
    eine Öffnung für eine Vielzahl von Leistungserbringern ist         Patient*innen mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen
    damit nicht vereinbar.                                             etabliert. Zudem sind die IT-Strukturen zur prospektiven Do-
                                                                       kumentation der klinischen und genetischen Daten etabliert
                                                                       worden. Die Ausweitung des Modells auf ganz Deutschland
    Alternativen                                                       im Deutschen Netzwerk Personalisierte Medizin (DNPM)
    In Deutschland gibt es bereits erfolgreiche Modellprojekte,        wird aktuell ebenfalls durch den Innovationsfonds gefördert
    die diese Forderungen umsetzen.                                    und wird zum Aufbau von ZPM-Strukturen an 20 Universi-

8   DGHO Mitgliederrundschreiben 2/2021
RUNDSCHREIBEN MITGLIEDER - Wahlen zum Vorstand und Beirat - DGHO
Stellungnahme zum Modellvorhaben Genomsequenzierung                                                                                 DGHO

tätskliniken führen. Sowohl die diagnostischen Leistungen      reits eine substanzielle Durchdringung der Versorgung
als auch die Beratung der Patient*innen und die individuali-   erreicht haben, weiter unterstützt und im Rahmen der
sierte Therapie werden durch Verträge mit den gesetzlichen     genom.DE Initiative integriert werden, um eine quali-
Krankenkassen in Baden-Württemberg finanziert. Die ZPM-        tativ hochwertige, forschungsnahe und Evidenz-gene-
BW und das DNPM-Netzwerk stehen somit für eine quali-          rierende molekulargenetische Diagnostik allen hierfür
tätsgesicherte und evidenzbasierte wissensgenerierende         in Frage kommenden Patient*innen in Deutschland zu-
Versorgung im Bereich der personalisierten Onkologie und       kommen zu lassen.
perspektivisch auch weiterer Krankheitsentitäten.

Humangenetik
Das TranslateNamse Projekt zentralisiert für seltene ge-       Referenzen

netische Erkrankungen eine Beurteilung der bislang un-         1. Dietmaier W, Hummel M: Qualitätssicherung in der Molekularpathologie. Pa-
                                                                  thologe 39:178-180, 2018. DOI: https://doi.org/10.1007/s00292-018-0423-0;
gelösten Fälle in interdisziplinären und – wenn notwendig         https://quip.eu/wp-content/uploads/2018/04/Qualit%C3%A4tssicherung-in-
– zentrumsübergreifenden Fallkonferenzen. Viele Fälle kön-        der-Molekularpathologie.pdf
nen bereits so gelöst werden und identifizieren dabei auch     2. Schirmacher P, Stenzinger A, Kirchner T: Zentralisierte Molekula-
                                                                  re Tumordiagnostik durch kommerzielle Anbieter – Konsequenzen für
bisher unentdeckte häufige Erkrankungen. Bei allen anderen
                                                                  Patient*innen, Krankenversorgung und Forschung. Pathologe 39:583-586,
Patient*innen erfolgt eine Exomdiagnostik, deren Ergebnis-        2018. DOI: 10.1007/s00292-018-0523-x
se in einem Expertenpanel mit dem klinischen Spezialisten      3. https://www.dgho.de/publikationen/stellungnahmen/gute-aerztliche-praxis/
bewertet werden. Das Projekt wurde durch eine Förderung           molekulare-diagnostik/molekulare-diagnostik-positionspapier-2019-1.pdf
des Innovationsfonds entwickelt und wird durch Selektiv-       4. https://www.g-ba.de/richtlinien/117/ §136c
verträge mit den Krankenkassen weitergeführt.

Diese Projekte bringen in der genom.DE Initiative auf Ein-     Dieses Positionspapier wurde von Prof. Dr. Jürgen Wolf (Köln)
ladung des BMG ihre Expertise ein. Sie betreiben eine Da-      und Prof. Dr. Bernhard Wörmann (Berlin) in Kooperation mit
tensammlung und -auswertung, die mit der Medizininforma-       Prof. Dr. Reinhard Büttner (Köln), Bernd Crusius (Bonn), Prof.
tik-Initiative des BMBF abgestimmt ist. Basierend auf ihren    Dr. Justus Duyster (Freiburg), Prof. Dr. Hermann Einsele (Würz-
Vorarbeiten, erarbeiten sie aktuell in regelmäßigen Treffen    burg), Prof. Dr. Stefan Fröhling (Heidelberg), Prof. Dr. Michael
Empfehlungen für das BMG zur qualitätsgesicherten und          Hallek (Köln), Prof. Dr. Heiko Krude (Berlin), Prof. Dr. Nisar
forschungsfreundlichen Implementierung von Genomse-            P. Malek (Tübingen), Dr. Christine Mundlos (Berlin), Prof. Dr.
quenzierung in die klinische Routine in Deutschland. Das       Stefan Mundlos (Berlin), Dr. Martina Nothacker (Berlin, Mar-
aktuelle Modellvorhaben ignoriert diese Arbeit der eingela-    burg), Prof. Dr. Peter Schirmacher (Heidelberg), Prof. Dr. Bri-
denen Experten und zerstört diese Bemühungen.                  gitte Schlegelberger (Hannover), Prof. Dr. Thomas Seufferlein
                                                               (Ulm), Dr. Reiner Siebert (Ulm), Bärbel Söhlke (Köln), Jessica
Zusammenfassend schlagen wir daher vor, das Modell-            Stoltze (Bonn), Prof. Dr. Robert Thimme (Freiburg), Prof. Dr. Lo-
vorhaben nicht in der vorgeschlagenen Form umzuset-            renz Trümper (Göttingen), Prof. Dr. Christof von Kalle (Berlin),
zen. Alternativ sollten die o.g. Modellprojekte, die be-       Markus Wartenberg (Wölfersheim) erstellt.

   DGHO-Preisausschreibungen 2021
   (MO) Auch in diesem Jahr schreibt die DGHO folgende Preise aus:

   Artur-Pappenheim-Preis                                      Doktoranden-Förderpreis

   Der Preis ist für eine wissenschaftliche Arbeit bestimmt,   Der Preis ist für studentische Arbeiten zu klinischen,
   die sich mit klinischen, experimentellen oder               experimentellen oder theoretischen Fragen der
   theoretischen Fragen der Hämatologie befasst.               Hämatologie und Onkologie bestimmt.
   Dotierung: 7.500 Euro                                       Dotierung: 3.000 Euro
   Einsendeschluss: 31. Juli 2021                              Einsendeschluss: 31. Juli 2021

   Vincenz-Czerny-Preis

   Der Preis ist für eine wissenschaftliche Arbeit bestimmt,
   die sich mit klinischen, experimentellen oder
   theoretischen Fragen der Onkologie befasst.
   Dotierung: 7.500 Euro
   Einsendeschluss: 31. Juli 2021                              https://www.dgho.de/aktuelles/preisausschreiben

                                                                                                  DGHO Mitgliederrundschreiben 2/2021         9
RUNDSCHREIBEN MITGLIEDER - Wahlen zum Vorstand und Beirat - DGHO
DGHO

     Assistierte Selbsttötung bei
     Krebspatient*innen: Regelungsbedarf und
     Ermessensspielraum
     Dieser Text wurde am Mittwoch, 28. Juni 2021 als Pressemittei-     stellvertretender     Vorsit-
     lung veröffentlicht.                                               zender des Arbeitskrei-
                                                                        ses Medizin und Ethik der
     Seit das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 den              DGHO und Direktor des
     § 217 StGB zum Sterbehilfe-Verbot für verfassungswidrig            Instituts für Geschichte
     erklärt hat, steht die Regelung der assistierten Selbsttö-         und Ethik der Medizin der
     tung und insbesondere die Rolle von Ärzt*innen dabei               Medizinischen Fakultät der
     im Mittelpunkt gesellschaftlicher, politischer, medizini-          Martin-Luther-Universität
     scher und berufspolitischer Debatten. Die DGHO Deut-               Halle-Wittenberg:       „Ent-
     sche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische                 sprechend der gesellschaftli-
     Onkologie e. V. hatte sich bereits 2015 nach einem in-             chen Debatte ist auch unter
     tensiven Austausch innerhalb der Fachgesellschaft in die           den Mitgliedern der DGHO
     Diskussion um die damals vorgelegten Gesetzesentwür-               die Haltung zur ärztlich
     fe eingebracht. Angesichts des nun bestehenden Rege-               assistierten     Selbsttötung
     lungsbedarfs hat die DGHO erneut eine Diskussion un-               heterogen. Interessant ist
     ter ihren Mitgliedern angestoßen. Die aktuelle Umfrage,            allerdings die geringe Unter- Prof. Dr. med. Jan Schildmann
     an der 750 Mitglieder teilgenommen haben, gibt einen               stützung für ein berufsrecht-
     Einblick in die aktuelle Situation in der Onkologie und            liches Verbot.“ Während die Anzahl der Kolleg*innen, die eine
     schafft die Basis für praxisorientierte Regelungen, auch           ärztlich assistierte Selbsttötung grundsätzlich ablehnen, in
     unter Berücksichtigung untergesetzlicher Lösungen.                 etwa so groß ist wie die derer, die eine ärztlich assistierte
                                                                        Selbsttötung grundsätzlich oder unter bestimmten Bedin-
     Trotz großer Fortschritte in der Krebsmedizin verlaufen            gungen in Betracht ziehen, befürwortet lediglich jeder Vierte
     viele Tumorerkrankungen immer noch tödlich, so dass die            ein entsprechendes Verbot.
     medizinische Versorgung und Begleitung von an Krebs er-
     krankten Menschen in der letzten Lebensphase ein Kernbe-
     standteil der Arbeit von onkologisch tätigen Ärzt*innen ist.       Frage nach einem Rezept ist kein
     „Wir nehmen wahr, dass bei einigen Patientinnen und Patienten      ärztlicher Alltag
     trotz optimaler palliativmedizinischer Betreuung der Wunsch        Etwa die Hälfte der Umfrageteilnehmenden ist in ihrem Be-
     besteht, ihrem Leben bei unerträglichem Leiden selbstbestimmt      rufsleben schon einmal um Informationen zum Vorgehen
     ein Ende zu setzen“, so Prof. Dr. med. Lorenz Trümper, Ge-         bei einer assistierten Selbsttötung gebeten worden. Bei der
     schäftsführender Vorsitzender der DGHO und Direktor der            konkreten Frage nach einem Rezept für ein tödliches Medi-
     Klinik für Hämatologie und Medizinische Onkologie der Uni-         kament ist es hingegen nur noch ein Drittel der Befragten,
     versitätsmedizin Göttingen. „Vor dem Hintergrund des Urteils       und rechnerisch mehr als neun von zehn Umfrageteilneh-
     des Bundesverfassungsgerichts steht die ärztlich assistierte       menden geben an, noch nie Assistenz zur Selbsttötung ge-
     Selbsttötung erneut im Fokus von Debatten – unter anderem in       leistet zu haben. Schildmann, der die Studie federführend
     der Politik und in der Ärzteschaft. Als medizinische Fachgesell-   umgesetzt hat, verweist darauf, dass es sich bei der assis-          Foto: Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
     schaft können und wollen wir die assistierte Selbsttötung nicht    tierten Selbsttötung um kein Alltagsphänomen handelt:
     moralisch bewerten, weil wir die Wertevorstellungen aller unse-    „Unsere Zahlen zur Praxis decken sich mit internationalen Da-
     rer Mitglieder vertreten. In die aktuelle Debatte zu einer ange-   ten, nach denen die assistierte Selbsttötung selten ist. Dies gilt
     messenen politischen Regelung bringen wir uns ein, indem wir       auch für Länder, in denen sie unter bestimmten Bedingungen
     mit der erneuten Umfrage einen Einblick zu den Einstellungen,      rechtlich möglich ist.“ Wichtig sind ihm Aus- und Weiterbil-
     Erfahrungen und zur Handlungspraxis unter unseren Mitglie-         dungsangebote für Ärzt*innen zum professionellen Umgang
     dern gewinnen. So ergänzen wir die aktuelle – teils auch sehr      mit Sterbewünschen. „Der angemessene Umgang mit den
     emotional geführte – Diskussion um die Perspektive praktisch       vergleichsweise häufigen Anfragen nach Sterbehilfe erfordert
     tätiger Onkologinnen und Onkologen und deren Erfahrungen“,         ethische und kommunikative Kompetenzen, die in der medizi-
     so Trümper weiter.                                                 nischen Aus- und Weiterbildung vermittelt werden müssen“, so
                                                                        Schildmann.

     Kontroverse persönliche Einstellungen,
     geringe Zustimmung zu berufsrechtlichem                            Bedingungen für Suizidhilfe und Fragen zur
     Verbot                                                             ärztlichen Rolle
     Die persönliche Einstellung zur ärztlich assistierten Selbst-      Deutliche Prioritäten zeigen sich bei den Bedingungen, un-
     tötung unterscheidet sich auch unter praktisch tätigen             ter denen die befragten Onkolog*innen eine Assistenz zur
     Onkolog*innen, berichtet Prof. Dr. med. Jan Schildmann,            Selbsttötung erwägen würden. Hier werden ‚Freiverant-

10   DGHO Mitgliederrundschreiben 2/2021
Assistierte Selbsttötung bei Krebspatient*innen: Regelungsbedarf und Ermessensspielraum                                             DGHO

                                                            wortlichkeit‘ und ‚unkontrollierbares Leiden‘ mit Abstand                tötung auch Vorgaben zur Qualitätssicherung implemen-
                                                            am häufigsten genannt. Bei der Frage, ob die Prüfung der                 tiert werden sollten, befürwortet mit sieben von zehn Um-
                                                            Freiverantwortlichkeit als ärztliche Aufgabe verstanden                  frageteilnehmenden eine deutliche Mehrheit. „Auch für die
                                                            wird, zeigt sich ein heterogenes Bild – wenn auch mit einer              konkreten Maßnahmen zur Qualitätssicherung sehen wir Zu-
                                                            Tendenz. Etwa ein Viertel der Umfrageteilnehmenden gibt                  stimmungen“, so Winkler weiter. Sechs von zehn der befrag-
                                                            an, dass die Prüfung ausschließlich von Ärzt*innen durch-                ten onkologisch tätigen Ärzt*innen geben ‚Meldepflicht der
                                                            geführt werden soll, knapp die Hälfte, dass die Prüfung von              Beratung‘, Meldepflicht der Rezeptausgabe‘ und ‚Begleit-
                                                            Ärzt*innen durchgeführt werden kann, und nur jeder siebte                forschung‘ als qualitätssichernde Maßnahme an, bei dem
                                                            Umfrageteilnehmende hält die Prüfung für keine ärztliche                 Punkt ‚Ärztliche Fortbildungen‘ sind die Zustimmungswerte
                                                            Aufgabe. „Die Diskussion über die assistierte Selbsttötung for-          sogar noch etwas höher.
                                                            dert das ärztliche Selbstverständnis heraus. Es ist daher wich-
                                                            tig, in der Ärzteschaft zu diskutieren, welche Aufgaben aus wel-
                                                            chen Gründen von Ärztinnen und Ärzten übernommen werden                  Regelungsbedarf und Ermessensspielraum
                                                            sollten. Unbenommen davon ist, dass Ärztinnen und Ärzte eine             „Mit Blick auf die Interpretation der Ergebnisse sehen wir, dass
                                                            ­Assistenz immer auch ablehnen können“, so Schildmann. Die               seitens unserer Kolleginnen und Kollegen der Wunsch nach ei-
                                                             Heterogenität bei der Bewertung der ärztlichen Rolle zeigt              nem Regelungsbedarf besteht, in dessen Rahmen Ärztinnen und
                                                             sich auch bei der Frage, wer ein tödliches Medikament ab-               Ärzte sowohl offen als auch differenziert und bedacht mit den
                                                             geben sollte. Vier von zehn Befragten verstehen die Medika-             von Patientinnen und Patienten vergleichsweise häufig vorge-
                                                             mentenabgabe als ärztliche Aufgabe, jeder Fünfte als optio-             brachten Sterbewünschen umgehen können“, so Prof. Dr. med.
                                                             nale Aufgabe für Ärzt*innen, und jeder Vierte gibt hingegen             Maike de Wit, Mitglied im Vorstand der DGHO und Chef-
                                                             an, dass die Abgabe eines tödlichen Medikamentes nicht                  ärztin der Klinik für Innere Medizin – Hämatologie, Onko-
                                                             durch Ärzt*innen erfolgen sollte.                                       logie und Palliativmedizin am Vivantes Klinikum Neukölln.
                                                                                                                                     „Gleichzeitig muss zum Schutz der Patientinnen und Patienten
                                                                                                                                     gewährleistet sein, dass Freiverantwortlichkeit, Information,
                                                            Beratung und Qualitätssicherung                                          insbesondere über palliativmedizinische Maßnahmen sowie
                                                                                               Der Aussage, dass die Be-             Ernst- und Dauerhaftigkeit eines Anliegens bezüglich der assis-
                                                                                               ratung von Patient*innen              tierten Selbsttötung geprüft werden können.“
                                                                                               eine ärztliche Aufgabe ist,
                                                                                               stimmt ein Drittel der be-            Schildmann erläutert in diesem Zusammenhang: „Die Um-
                                                                                               fragten     Onkolog*innen             frageteilnehmenden unterscheiden zwischen persönlichen
                                                                                               zu, vier von zehn sehen               moralischen Bewertungen und angemessenen Regelungen.
                                                                                               die Beratung als optiona-             Pauschale Verbote werden den schwierigen individuellen Ent-
                                                                                               le ärztliche Aufgabe, und             scheidungssituationen nicht gerecht, wir benötigen differenzier-
                                                                                               nur jeder zehnte Umfra-               te und tragfähige Regelungen. Die Umfrageergebnisse bieten
                                                                                               geteilnehmende gibt an,               hierfür Ansatzpunkte.“
                                                                                               dass die Beratung nicht
                                                                                               von Ärzt*innen durchge-               Trümper ergänzt: „Die Betreuung von Menschen am Lebensen-
                                                                                               führt werden sollte. „Die-            de ist eine besondere Herausforderung für Arztinnen und Ärzte.
                                                                                               ser Befund macht zwar die             Dabei bleibt die Anfrage nach einer ärztlich assistierten Selbst-
                                                                                               Heterogenität unter den Be-           tötung immer eine Ausnahmesituation. Für diese existenziellen
                                                            Prof. Dr. med. Eva Winkler         fragten deutlich, zeigt aber          Situationen braucht es für Betroffene sowie für Ärztinnen und
Foto: Nationales Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg

                                                                                               auch, dass – zumindest im             Ärzte Ermessensspielraum. Wir schlagen die Förderung unter-
                                                            Grundsatz – die Mehrheit unserer onkologisch tätigen Kolle-              gesetzlicher Lösungen zur Sicherung der ärztlichen Zuwendung
                                                            ginnen und Kollegen die Beratung als eine ärztliche Aufgabe              für diese Patientinnen und Patienten ohne Strafandrohungen
                                                            begreift. Darüber hinaus zeigen uns die Zahlen, dass unsere              bei gleichzeitiger Gewährleistung von Sorgfalt und Versor-
                                                            Kolleginnen und Kollegen, die ihre Patientinnen und Patienten            gungsqualität vor.“
                                                            oftmals über viele Jahre behandeln und daher auch sehr gut
                                                            kennen, sie auch in existenziellen Lebensphasen begleiten und            Die Mitgliederumfrage der DGHO wurde vom 12. bis zum 31.
                                                            nicht allein lassen möchten“, so Prof. Dr. med. Eva Winkler,             März 2021 durchgeführt. Der Umfragelink wurde an 3.588
                                                            Vorsitzende des DGHO-Arbeitskreises Medizin und Ethik,                   DGHO-Mitglieder versendet. 750 Mitglieder haben an der
                                                            Oberärztin und Leiterin der Sektion ‚Translationale Medi-                Umfrage teilgenommen. Das entspricht einer Rücklaufquote
                                                            zinethik‘ am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen                    von 20,76 Prozent.
                                                            (NCT) an der Universitätsklinik Heidelberg. Dass für den Fall
                                                            einer rechtlichen Regelung der ärztlich assistierten Selbst-

                                                                                                                                                                  DGHO Mitgliederrundschreiben 2/2021    11
DGHO

     José Carreras-DGHO-Promotionsstipendien
     gehen an vier Nachwuchswissenschaftler
     Der Text wurde am Mittwoch, 5. Mai 2021 als Pressemitteilung
     veröffentlicht

     Starkes Engagement für den wissenschaftlichen Nach-
     wuchs: Um die Erforschung neuer Therapien gegen
     Leukämie und andere Blut- und Knochenmarkserkran-
     kungen voranzutreiben, verleihen die Deutsche José
     Carreras Leukämie-Stiftung (DJCLS) und die Deutsche
     Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkolo-
     gie (DGHO) seit 2014 das José Carreras-DGHO-Promoti-
     onsstipendium, das mit jeweils 10.000 Euro dotiert ist.
     Bei der heutigen Online-Verleihung erhielten vier Stu-
     dierende die begehrten, von der DJCLS finanzierten För-           Das José Carreras-DGHO-Stipendium soll den Doktoranden
     derungen. Preisträger in diesem Jahr sind Michael Kien-           ermöglichen, ein Jahr vollzeitig an ihrem Forschungsprojekt
     höfer (Universitätsklinikum Heidelberg), Ahmad Mayar              zu arbeiten. Gefördert werden jährlich bis zu zehn Nach-
     (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel), Maximilian             wuchs-Wissenschaftler mit monatlich 800 Euro über zwölf
     Mönning (Universitätsklinikum Heidelberg) und Tobias              Monate. Zusätzlich können projektbezogene Reisekosten bis
     Zeller (Ludwig-Maximilians-Universität München).                  zu 400 Euro zur Verfügung gestellt werden.

                           Dr. Ulrike Serini, Geschäftsführerin
                           der José Carreras Leukämie-Stiftung:           DGHO-Promotionsstipendien 2021
                           „Wir haben seit 2014 bereits 37 Studie-
                           rende mit einem José Carreras-DGHO-            (MO) Zur Förderung des wissenschaftlichen und
                           Promotionsstipendium finanziell unter-         ärztlichen Nachwuchses hat die DGHO gemeinsam mit
                           stützen können und freuen uns sehr, heute      Partnerinstitutionen Promotionsstipendien etabliert.
                           vier weitere Nachwuchswissenschaftler
                           in das Programm aufzunehmen. Als José          Dr. Werner Jackstädt-DGHO-Promotionsstipendium
                           Carreras Leukämie-Stiftung wollen wir          Zur Förderung wissenschaftlicher Arbeiten auf dem
                           damit dazu beitragen, dass der medizi-         Gebiet der Geriatrischen Hämatologie und Onkologie.
                           nischen Forschung weitere Fortschritte         Einsendeschluss: 30. Juni 2021
                           gelingen. Unser gemeinsames Ziel ist die
                           große Vision unseres Stifters José Car-        GWT-GMIHO-DGHO-Promotionsstipendium
                           reras: ,Leukämie muss heilbar werden.          Zur Förderung von wissenschaftlichen Arbeiten auf
                           Immer und bei jedem.‘“                         dem Gebiet von Klinischen Studien im Bereich der
                                                                          Onkologie.
                                                                          Einsendeschluss: 30. Juni 2021
                           Prof. Dr. med. Lorenz Trümper, Ge-
                           schäftsführender Vorsitzender der              José Carreras-DGHO-Promotionsstipendium
                           DGHO und Vorstand Krankenversor-               Zur Förderung wissenschaftlicher Arbeiten in
                           gung der Universitätsmedizin Göttin-           der Erforschung der Leukämie und verwandter
                           gen: „Die Hämatologie und Medizinische         Blutkrankheiten bei Erwachsenen.
                           Onkologie ist eines der sich am schnells-      Einsendeschluss: 30. Juni 2021
                           ten wandelnden Fächer in der gesamten
                           Medizin. Dabei lebt Innovation immer           Sieglinde Welker-DGHO-Promotionsstipendium
                           auch von der leidenschaftlichen Ausei-         Zur Förderung wissenschaftlicher Arbeiten im Bereich
                           nandersetzung mit wissenschaftlichen           von grundlagen- und versorgungsorientierten
                           Fragestellungen. Wir freuen uns sehr,          Forschungsvorhaben auf dem Gebiet seltener
                           dass wir dem Nachwuchs unseres Fach-           hämatologischer Erkrankungen.
                           gebiets mit dem José Carreras-DGHO-            Einsendeschluss: 30. Juni 2021
                           Promotionsstipendium einen wichtigen
                           Raum hierfür bieten können.“                   Die Promotionsstipendien richten sich an Studierende
                                                                          der Humanmedizin oder verwandter Fächer und sollen
                                                                          es den Stipendiat*innen ermöglichen, ein Jahr vollzeitig
                                                                          an ihrem Forschungsprojekt zu arbeiten.

                                                                          https://www.dgho.de/aktuelles/preisausschreiben

12   DGHO Mitgliederrundschreiben 2/2021
José Carreras-DGHO-Promotionsstipendien gehen an vier Nachwuchswissenschaftler                                                 DGHO

Stimmen der neuen Promotionsstipendiaten:

                              Michael Kienhöfer                      Maximilian Mönning
                                (Universitätsklinikum                (Universitätsklinikum
                                 ­Heidelberg)                        ­Heidelberg)

                                     „Das Forschungsfeld des         „In meiner Forschungsar-
                                     Epitranskriptoms ist noch       beit geht es um Rückfälle bei
                                    größtenteils      unbekannt,     einer akuten lymphatischen
                                   bietet aber vielversprechende     Leukämie (ALL), die sich auf
                                 Ansätze für ein besseres Ver-      verbleibende Zellen nach der
                            ständnis der akuten myeloischen          Therapie zurückführen lassen. Des-
                       Leukämie (AML). Dabei geht es um die          halb werden wir diese Zellen auf beson-
                       fehlgeleitete Steuerung der Synthese von      dere Eigenschaften in ihrem Stoffwechsel
                       Proteinen in einer Zelle, die einen gro-      und ihrer Genexpression untersuchen,
                       ßen Einfluss auf die Verwandlung von          um mit neuester Methodik nach besseren
                       gesunden Blutzellen in Leukämiezellen         Therapiemöglichkeiten zu suchen. Das
                       hat. Das genaue Verständnis dieser zu-        Stipendium ermöglicht es mir, mich die-
                       grundeliegenden Mechanismen kann in           sem Ziel voll zu widmen.“
                       der Zukunft zu neuen Therapien führen.
                       Das war ausschlaggebend für mich, die-
                       ses Thema auszuwählen.“                       Tobias Zeller
                                                                     (Ludwig-Maximilians-­
                                                                     Universität ­München)
                              Ahmad Mayar
                                (Christian-Albrechts-­               „Das Antigen LILRB2 wirkt
                                  Universität zu Kiel)               als Bremse in der Aktivie-
                                                                     rung von Fresszellen. In
                                    „Wir untersuchen wie Leu-        meiner Forschungsarbeit un-
                                    kämiezellen Veränderungen        tersuche ich, ob mit Antikörpern
                                   im Zentralen Nervensystem         diese Bremse gelöst und so eine Be-
                                  hervorrufen, was wiederum          seitigung von Blutkrebszellen ermöglicht
                                eine Einwanderung von Leukä-         werden kann. Das José Carreras-DGHO-
                            miezellen in diese für Medikamente       Promotionsstipendium ermöglicht mir
                       schwer zugängliche Nische begünstigt.         einen einjährigen Einblick in diese expe-
                       Aus unseren Untersuchungen sollen in          rimentelle Forschung. Auf diese zusätzli-
                       der Zukunft neue und schonendere The-         che Erfahrung werde ich nach dem Stu-
                       rapiemöglichkeiten für den Befall des         dium hoffentlich zurückgreifen können.“
                       Zentralen Nervensystems durch Leukä-
                       miezellen abgeleitet werden. Die Deut-
                       sche José Carreras Leukämie-Stiftung          Die Vergabe der Promotionsstipendien fand im Rahmen ei-
                       und die Universität zu Kiel ermöglichen       ner virtuellen Veranstaltung der DGHO und der Deutschen
                       mir, meine wissenschaftliche Arbeit vor-      José Carreras Leukämie-Stiftung statt. Dabei präsentierten
                       anzutreiben, sodass ich meinen Teil zur       die neuen Stipendiaten ihre Forschungsansätze vor Fach­
                       Leukämiebekämpfung beitragen darf.“           publikum.

                                                                                                  DGHO Mitgliederrundschreiben 2/2021   13
DGHO Historische Forschungsstelle

     Der besondere Fall: PNH 1678
     Urina Nigra Nil Funesti Indicante

     INTERVIEW MIT PROF. PETER VOSWINCKEL, AUFGEZEICHNET VON MICHAEL OLDENBURG

     Abb. 1: Jahrgang 8, 1677 (1678) der „Miscellanea“ oder „Ephemeriden“ der     Abb. 2: Barockes Titelkupfer der Miscellanea 1677 mit dem Leitspruch der
     Leopoldina Akademie, der ältesten Fachzeitschrift mit Schwerpunkt Medizin.   Leopoldina „Nunquam otiosus!“ „Niemals müßig!“.
     https://www.biodiversitylibrary.org/bibliography/77511                       https://www.biodiversitylibrary.org/item/163152#page/9/mode/1up

     Warum halten Sie diesen Fall aus dem Jahr 1678 für so wichtig,               Das einzige, was damals sichtbar war – so habe ich es in Vor-
     dass Sie ihn unseren Lesern präsentieren möchten?                            lesungen zur Medizingeschichte gehört – waren Blut, Urin und
                                                                                  sonstige Ausscheidungen…
     Es geht mir nicht darum, den Tausenden von klinischen Fall-
     berichten einen weiteren hinzuzufügen. Vielmehr möchte                       Genau! Die Uroskopie und, in geringerem Masse, die Häma-
     ich den Lesern ein Fest der Sinne bereiten, eine Feierstunde                 toskopie waren die wichtigsten diagnostischen Instrumente.
     der Erkenntnis und ein Hohelied der Erinnerung. Es geht mir                  Noch als im frühen 19. Jahrhundert die moderne Erforschung
     um das Staunen, um Affekte und Empfindungen und deren                        des ‚Blutroths‘ einsetzte, begann dies bezeichnender Weise
     Bedeutung für unser Wissen heute.

     Wie das?

     Vergessen Sie für einen Moment alles, was Sie als Laie viel-
     leicht über Hämatologie gehört haben: Blutkörperchen, Ery-
     throzyten, Hämoglobin, Hämolyse, Komplement usw. das
     sind alles Begriffe aus dem 19. Jahrhundert, als Mikroskop
     und Chemie in die Wissenschaft traten. Wir befinden uns
     hier im 17. Jahrhundert: Blutkrankheiten im heutigen Sinne
     kannte man nicht, sie gaben sich äußerlich nicht als spezi-
     fische Blutkrankheiten zu erkennen. Blässe, Abgeschlagen-
     heit, Fieber etc. waren viel zu unspezifisch. (Deswegen gibt
     es, im Unterschied zu Hautkrankheiten oder Missbildungen
     auch keine historischen Darstellungen, etwa auf Altarbil-                                                           Abb. 3: „Kohlschwarzer Urin“.
     dern, von Leukämien, Lymphomen, Anämien, sehr zum Leid-                                                             Handkolorierter Druck aus dem
     wesen von kunsthistorisch interessierten Hämatologen!).                                                             Harnbuch des Jodocus Willich, 1582.

14   DGHO Mitgliederrundschreiben 2/2021
Der besondere Fall: PNH 1678                                                                              DGHO Historische Forschungsstelle

                                                                     Über schwarzen Urin,
                                                                     der nicht den Tod bedeutet
                                                                     Unser Praekonsul G.K., mein großer Schutzherr, bemerkte beim Was-
                                                                     serlassen, dass der Urin ohne irgendeine äußere Ursache schwarz
                                                                     herauskam. Wegen dieser ungewöhnlichen Farbe selber zutiefst
                                                                     erschrocken, ließ er mich rufen. Bei meiner Ankunft sehe ich mit
                                                                     eigenen Augen die farbe und prüfe die Beschaffenheit: Der Urin
                                                                     ist undurchsichtig und ohne Sediment, auch nicht, als er eine Zeit
                                                                     lang in dem gewöhnlichen Glasbehältnis gestanden hatte. Zunächst
                                                                     dachte ich, man hätte mir Tinte anstelle von Urin vorsetzen wollen,
                                                                     wenn ich nicht den Ernst und die Besorgnis beim Vorzeigen wahrge-
                                                                     nommen hätte. In seiner körperlichen Verfassung fühlte er sich nicht
                                                                     beeinträchtigt, außer, daß er in der Milzregion ein Spannungsgefühl
                                                                     bemerkte. Auch klagte er darüber, daß er in der Zwerchfellgegend ei-
                                                                     nen Krampf empfinde, als ob er durch einen Gurt geschnürt werde.
                                                                     Die schwarze Farbe hielt sich, sooft er Wasser ließ, über fünf Tage.
                                                                     Dann klarte sie allmählich auf, näherte sich einem Dunkelrot und
                                                                     kam schließlich am 10. Tag in ihren natürlichen Zustand zurück...

                                                                 Abb. 4: „Über schwarzen Urin, der nicht den Tod bedeutet“
                                                                 Erste Seite der „Observatio Nº 87“, Miscellanea 8, 1677 (1678) p. 144-147.

mit der Hämolyse: man spritzte Wasser, Gallensäuren oder         Waren das alle Fälle von PNH?
Chemikalien in die Venen und beobachtete die Dunkelfär-
bung des Harns. Erst ab 1850 sprach man von „Hämoglobin“         Keineswegs. Wir wissen heute, dass es ganz verschiedene
und „Hämoglobinurie“.                                            Krankheitsentitäten gibt, die mit einer Färbung von dunkel-
                                                                 rot bis schwarz imponieren können, denken Sie das „Schwarz-
Gehen wir 300 Jahre zurück!                                      wasserfieber“, an die genetische Krankheit „Alkaptonurie“,
                                                                 an die Melanurie (terminales Melanom), Porphyrinurie oder
Ort: Danzig im Jahre 1678, damals eine der größten Städ-         etwa das moderne Crush-Syndrom (Myoglobinurie). All die-
te Nordeuropas. Der hochgelehrte Stadtphysikus Johann            se modernen Nosologien sind angestoßen worden durch das
Schmidt und der Bürgermeister Gabriel Krumhausen [Pati-          „Staunen“ über die Harnfarbe! Ja ganze Zweige der Medizin
ent] (64) wurden aus heiterem Himmel konfrontiert mit ei-        wie etwa die Humangenetik mit ihren ‚Inborn errors of me-
nem „schwarzen Urin“, später im Text heißt es sogar „niger-      tabolism‘ (Sir Garrod) erwuchsen nachweislich aus der sinnli-
rima“, so dass der Arzt unwillkürlich dachte, man habe ihm       chen Wahrnehmung eines dunklen Urins (Alkaptonurie) und
Tusche vorgesetzt. Ein höchst wundersames und seltenes           aus dem Nachspüren von Verwandtschaftsbeziehungen.
Ereignis! Was passierte daraufhin?

Erschrecken? Panik?

Richtig. „Perterritus“ – zu Tode erschreckt. Andere [seltene!]
Berichte von solch schwarzen Urin sprachen von „Todes-
furcht“, „Sich Wundern“, „Faszination“, „Kuriosität“. Einer
der Väter der PNH-Forschung, der Brite John Dacie resü-
mierte 1942 „always a source of wonder and amazement“.
Um genau diesen Impuls des „Staunens“ geht es mir, denn er
ist heute weitgehend verloren und hatte doch weitreichende
Konsequenzen für den Fortschritt unseres Wissens.

Haben Sie das selbst erlebt?

Ja, ich erlebte 1984 als junger Assistent bei Prof. Theml in
Karlsruhe, wie ein männlicher Patient aufrechten Ganges in
die Aufnahme kam (wie sich herausstellte, bei einem Hb von
4,5!) und mir ohne Kommentar ein Glas „Coca-Cola“ auf den
Tische stellte ….. Seitdem ließ mich die Frage nicht los: Das
müssen doch andere Ärzte früher genau so gesehen haben?
Was haben Sie daraus gemacht? Wie haben sie es erklärt?
Daraus erwuchs, wie Sie wissen, sechs Jahre später eine
Habilitationsschrift im Fach Medizingeschichte. Zu meiner
Überraschung gab es durch alle Jahrhunderte hindurch in          Abb. 5: Dr. med. Johannes Schmidt (1623-1690) Danzig.
den medizinischen Büchern einen Topos „Urina nigra“, den         Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: A 27974, Portr. I 11973.1.
ich systematisch sammelte und auswertete.                        http://www.portraitindex.de/documents/obj/34027372

                                                                                                      DGHO Mitgliederrundschreiben 2/2021     15
DGHO Historische Forschungsstelle                                                                                 Der besondere Fall: PNH 1678

                                                                                 ob er durch einen Gurt geschnürt werde.“ Ein Symptom, das
                                                                                 erst 1980 als pathognomonisches Zeichen Beachtung fand
                                                                                 (Ösophagospasmen; Bauchkrämpfe) und bis heute nicht
                                                                                 restlos geklärt ist. (Man vermutet eine Beeinflussung des
                                                                                 Muskeltonus durch hämolysebedingte Depletion des Stick-
                                                                                 stoffmonoxids)
                                                                                 2. Die hohe Authentizität und Glaubwürdigkeit. Der Autor be-
                                                                                 kundet explizit „accedens video“: „ich sah mit eigenen Augen“.
                                                                                 Hinzu kommt die ungewohnt rasche Publikation in einem völ-
                                                                                 lig neuen Medium: der ersten medizinischen Fachzeitschrift
                                                                                 der Welt, die erst 1670 von der Leopoldina eingeführt worden
     Abb. 6: Urinproben nach Hämolyse-Attacke.                                   war. Das erlaubte eine zeitnahe Kommunikation innerhalb der
     Foto freundlicher Weise zur Verfügung gestellt von Alexander Röth, Essen.   scientific community. Vorher bestand die „schriftliche“ Medi-
                                                                                 zin aus Folianten mit Sammlungen von tradierten oder nur
     Kann man diese modernen Entitäten denn nachträglich zuord-                  von Hörensagen bekannten Krankheitsfällen.
     nen, zurückinterpolieren auf die historischen Beobachtungen
     von „Urina nigra“?                                                          Das namengebende Attribut „Nächtlich“ kommt in Schmidt‘s
                                                                                 Fall gar nicht vor, offenbar Tageszeiten-unabhängig?
     Nein, das ist nicht sinnvoll und in der Wissenschaftsge-
     schichte auch absolut verpönt – auch wenn immer wieder                      Das ist richtig. Wir wissen heute, dass das nächtliche Ge-
     der Versuch unternommen wird, solche Diagnosen rückwärts                    schehen nicht zwingend ist. Seit wir die molekulargeneti-
     zu projizieren. Zu ungenau waren die alten Beschreibungen;                  schen Ursachen kennen (Mutation des Phospatidyl-Inositol-
     und allzu oft vermischen sich Aberglauben, Symbolik und                     Glykan-Gens auf dem X-Chromosom auf Stammzellebene)
     Spekulation. Das einzig Verbürgte war das autoptische Zeug-                 und nachweisen können, wissen wir sogar, dass bei vielen
     nis eines schwarzen Urins, oftmals garniert mit drastischer                 PNH-Patienten auch die Harnverfärbung nur sehr blande
     Metaphorik (Tinte, Porter, Theer, Kaffee, Russ, Rotwein,                    verläuft und oft gar nicht wahrgenommen wird. Aus epis-
     Magenta, Tiroler Porphyr, Coca-Cola etc.). Darüber hinaus                   temischer Sicht finde ich es natürlich bedauerlich, dass die
     darf man nicht vergessen, dass bis zum 19. Jahrhundert ganz                 tiefschwarze Farbe, wie sie im Promillebereich der PNH-
     andere Denkmodelle die Medizin beherrschten (Humoral-                       Patienten auftritt, heute in der Literatur nicht mehr explizit
     pathologie), heute würde man sagen, ganz andere Betriebs-                   angeführt wird, wie auch die sinnlichen Farbschattierungen
     systeme gültig waren, die mit der heutigen naturwissen-                     kaum noch differenziert werden. Sie sind ersetzt durch den
     schaftlichen Medizin völlig inkompatibel sind. Da sind dann                 trockenen laborchemischen Urinbefund „Hämoglobin + + +“.
     die Fachkenntnisse des professionellen Medizinhistorikers                   Man könnte mit dem deutschen Soziologen Philipp Lepenies
     unverzichtbar. Vielfach waren es in jüngerer Zeit pensio-                   von einer „Veralltäglichung des Außerordentlichen“ spre-
     nierte Fachärzte, die „ihr“ Fachgebiet um eine faszinierende                chen. In Konsequenz daraus findet die Harnfarbe in manchen
     Geschichte bereichern wollten oder umgekehrt Kulturhisto-                   Internet-Kompendien (z.B. MSD-Manual; DocCheck.u.a. )
     riker, die berühmten historischen Figuren eine „Diagnose“                   gar keine Erwähnung mehr (wohl aber in Onkopedia).
     unterschieben wollten.
                                                                                 Aber der Name PNH wird beibehalten?
     Was macht Sie denn so sicher, dass es sich hier um eine PNH
     handelt?                                                                    Gewiss, schon mit einer gewissen Verpflichtung gegenüber
                                                                                 der Überlieferung. Die Bezeichnung geht zurück auf Paul
     Zwei Gesichtspunkte:                                                        Strübing, Greifswald, der 1882 einen Fall publizierte und
     1. Das Gesamtbild. Schon das Partizipialattribut „nil funesti               diesen Namen kreierte (Morgentlicher Harn: „dunkelbraun,
     indicante“ signalisiert ein benignes Geschehen im Unter-                    ja schwarz“). Strübing vermutete schon damals einen Eryth-
     schied zu den meist letalen Ausgängen etwa bei septischen                   rozytendefekt als Ursache.
     Hämolysen, ferner die geschilderte Periodizität (2 x 5 Tage)                Seit den dreißiger Jahren beobachten wir einen riesiger For-
     und allgemeine Abgeschlagenheit („hypochondriacum ma-                       schungsaufwand zur Aufklärung der PNH-Pathogenese. Der
     lum“). Besonders überzeugt aber hat mich ein fein beobach-                  amerikanische Hämatologe William Dameshek äußerte 1941
     tetesDetail: „circa diaphragma cingulo quasi ligatum“: „als                 „Among the many interesting syndromes in medicine, none
                                                                                 is more fascinating than PNH“. Und der Handbuchbeitrag
                                                                                 von Dacie über die PNH 1967 (Haemolytic Anemias, 2nd ed.)
                                                                                 umfasste bereits 140 Seiten und 350 Literaturstellen. Heute
                                                                                 wissen wir, dass der erworbene Defekt in dem fehlerhaften
                                                                                 GIP-Ankerprotein, das einen bestimmten Anteil von Blut-
                                                                                 zellen anfällig macht gegen Hämolyseattacken. Interessant
                                                                                 ist, dass das klinische Bild sich heute mit sehr unspezifischen
                                                                                 Zeichen präsentiert (Anämie, Fatigue, Leukopenie, Throm-
                                                                                 boembolische Ereignisse).

                                                                                 Die PNH ist sehr selten. (Prävalenz lt. Onkopedia 16 : 1.000.000)
                                                                                 Eine Rezensentin aus der Schweiz beklagte an Ihrem Buch, hier
                                                                                 werde „mit viel Aufwand ein kleiner Befund hochstilisiert….“
     Abb. 7: Aus: Röth (2009).                                                   Haben Sie aus einer Mücke einen Elefanten gemacht?

16   DGHO Mitgliederrundschreiben 2/2021
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