Saison 2019 / 2020 BASF-Kulturprogramm - The Big Four - BASF.com

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Saison 2019 / 2020 BASF-Kulturprogramm - The Big Four - BASF.com
Saison 2019 / 2020
 BASF-Kulturprogramm

The Big Four

Ian Bostridge, Tenor
Julius Drake, Klavier

Freitag, 29. November 2019, 20.00
BASF-Feierabendhaus
Programm

Franz Schubert
(1797 – 1828)

„Die Winterreise“ D 911
Liederzyklus nach Texten von Wilhelm Müller

 1.   Gute Nacht
 2.   Die Wetterfahne
 3.   Gefrorne Tränen
 4.   Erstarrung
 5.   Der Lindenbaum
 6.   Wasserflut
 7.   Auf dem Flusse
 8.   Rückblick
 9.   Irrlicht
10.   Rast
11.   Frühlingstraum
12.   Einsamkeit
13.   Die Post
14.   Der greise Kopf
15.   Die Krähe
16.   Letzte Hoffnung
17.   Im Dorfe
18.   Der stürmische Morgen
19.   Täuschung
20.   Der Wegweiser
21.   Das Wirtshaus
22.   Mut
23.   Die Nebensonnen
24.   Der Leiermann

Dauer: ca. 75 min. Keine Pause.

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Ian Bostridge                                             Julius Drake
   Ian Bostridges internationale Karriere führte ihn in     Der Pianist Julius Drake genießt eine internationale
die bedeutendsten Konzertsäle und zu den renom-           Reputation als einer der besten Instrumentalisten
miertesten Festivals weltweit. In der Saison 2003/04      seines Fachs. Bei seinen Konzerten und Aufnahmen
war er „Artist in Residence“ im Wiener Konzerthaus        arbeitet er mit den weltweit führenden Künstlern
und bei der Schubertiade Schwarzenberg, 2004/05           zusammen. Er tritt regelmäßig in den wichtigsten
teilte er diese Auszeichnung mit Thomas Quasthoff         Konzertsälen auf, bei Festivals in Aldeburgh, Edinburgh,
am Amsterdamer Concertgebouw, in der Saison               München, bei der Schubertiade und den Salzburger
2005/06 gestaltete er seine eigene „Perspectives          Festspielen, in der Carnegie Hall und dem Lincoln
series“ an der Carnegie Hall, 2008 am Barbican Center     Center in New York, dem Concertgebouw Amsterdam
in London, 2010/11 in der Philharmonie Luxembourg,        und der Berliner Philharmonie, im Châtelet und im
2011/12 in der Wigmore Hall sowie 2012/13 in der          Musée du Louvre in Paris, in den Opernhäusern La
Laeiszhalle in Hamburg. 2018 begann Ian Bostridge         Scala in Mailand und Teatro de la Zarzuela Madrid, im
beim Seoul Philharmonic Orchestra eine viel verspre-      Musikverein und dem Konzerthaus in Wien sowie in
chende künstlerische Residenz, die erste ihrer Art für    der Wigmore Hall und bei den BBC Proms in London.
das Ensemble.
                                                            Von 2000-03 war Drake Direktor des Perth Inter-
  Seine Aufnahmen haben alle wichtigen Schall-            national Chamber Music Festivals in Australien,
plattenpreise gewonnen und wurden für 15 Grammys          außerdem wirkte er als musikalischer Leiter bei
nominiert. Er hat mit den Berliner und Wiener Philhar-    Deborah Warners Inszenierung von Janáčeks „Diary
monikern, Chicago, Boston, London und BBC Sym-            of One who Vanished“ mit, die in München, London,
phony Orchestras, den London, New York, Los Angeles       Dublin, Amsterdam und New York gastierte. Seit
Philharmonic Orchestras und dem Rotterdams Phil-          2009 ist er künstlerischer Leiter des Machynlleth
harmonisch Orkest und Concertgebouw Orchestra             Festivals in Wales.
Amsterdam unter Simon Rattle, Colin Davis, Andrew
                                                            Julius Drake hat ein leidenschaftliches Interesse
Davis, Seiji Ozawa, Antonio Pappano, Riccardo Muti,
                                                          für das Lied und wurde mehrfach eingeladen, Lieder-
Mstislav Rostropovich, Daniel Barenboim, Daniel
                                                          zyklen zusammenzustellen, zum Beispiel für die
Harding und Donald Runnicles gearbeitet.
                                                          Londoner Wigmore Hall, die BBC und das Concert-
   Zahlreiche Opernengagements an den größten             gebouw in Amsterdam. Julius Drake ist regelmäßig
Häusern ergänzen seine umfangreichen künstle-             Gast bei internationalen Kammermusikfestivals –
rischen Aktivitäten. 2001 wurde Bostridge zum             zuletzt in Kuhmo, Finnland, Delft in den Niederlanden,
Honorary Fellow seiner Mutteruniversität Corpus           Oxford und West Cork in Irland. Julius Drake ist
Christi College in Oxford, 2003 von der St. Andrew’s      zudem ein engagierter Lehrer und wird weltweit zu
Universität zum Ehrendoktor für Musik, 2004 zum           Meisterklassen eingeladen. Er hat eine Professur an
Companion of the Order of the British Empire und          der Grazer Universität für Musik und Darstellende
2010 zum Honorary Fellow des St. John’s College           Künste inne, wo er einen Studiengang für Klavier-
Oxford ernannt.                                           Vokalbegleitung leitet.

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„Die Winterreise“                                           Die anfängliche Desillusionierung des lyrischen Ichs
                                                          über verschmähte Zuneigung verwandelt sich schritt-
   Heute nurmehr Freizeitbetätigung, kommt dem
                                                          weise zur Todessehnsucht, repräsentiert durch das
Wandern aus kulturgeschichtlicher Perspektive eine
                                                          Wirtshaus, den Totenacker.
weit größere und facettenreichere Bedeutung zu. Vor
allem die so genannte „Walz“ der Handwerksburschen          Reflektiert wird damit die trostlose Lebenswirklich-
hat musikalisch wie literarisch Spuren hinterlassen.      keit einer ganzen Generation. Nach den erfolgreichen
Zu dem daraus abgeleiteten Bild des Wanderers als         Freiheitskriegen gegen Napoleon und der Restau-
einem munteren Gesellen trat im Zuge der literari-        ration des Absolutismus hatten die Karlsbader
schen Romantik des ausgehenden 18. Jahrhunderts           Beschlüsse von 1819 die systematische Repression
das Gegenbild des ins Innere reisenden, lyrischen         des Humanitätsgedankens zur Folge; die revolutio-
Ichs – der Wanderer, der zwischen den Welten in           nären Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlich-
Frieden verweilt.                                         keit schienen unerreichbar, das Bürgertum wandte
                                                          sich biedermeierlich nach innen.
  Goethe beschreibt dies in einem „Wandersegen“
betitelten Gedicht: „Die Wanderjahre sind nun angetre-       Auch in Wilhelm Müllers „Winterreise“, in deren
ten, / Und jeder Schritt des Wandrers ist bedenklich. /   Vordergrund zunächst die psychische Verfassung
Zwar pflegt er nicht zu singen und zu beten; / Doch       des Wanderers steht, spielen politische und soziale
wendet er, sobald der Pfad verfänglich, / Den ersten      Faktoren eine nicht unwesentliche Rolle. Zwischen-
Blick, wo Nebel ihn umtrüben, / Ins eigne Herz und in     menschlich ist es die finanzielle und gesellschaftliche
das Herz der Lieben.“ Auch Caspar David Friedrich         Stellung, die über der natürlichen Zuneigung steht
hat das selige Verweilen in seinem Gemälde „Der           („Die Wetterfahne“), doch spiegelt sich in manchen
Wanderer über dem Nebelmeer“ (um 1818) ein-               Versen auch die mit der zeitaktuellen Enttäuschung
drucksvoll dargestellt.                                   über unverwirklichte liberale Ideale einhergehende
                                                          existenzielle Sinnkrise wider: „Ich bin zu Ende mit
  Der Weg von der inneren Einkehr zur weltab-
                                                          allen Träumen“ („Im Dorfe“).
gewandten Einsamkeit ist freilich oftmals eine Grat-
wanderung. Dichterisch und bildnerisch findet sich           Obwohl Müllers Dichtungen bei seinen Zeitgenossen
die Vorstellung eines ziellosen Umherirrens in der        sehr beliebt waren (123 Gedichte wurden von 241
Jahreszeit des Winters wieder. Bei Friedrich etwa         Komponisten 530mal vertont), erscheint sein Name
in der „Winterlandschaft“ (1811) – hier verharrt ein      heute allenfalls in Zusammenhang mit den Kompo-
Wanderer in bitterer Kälte zwischen abgestorbenen         sitionen von Franz Schubert. Vergessen wird dabei
Eichen und bloßen Baumstümpfen. Umgeben von               Müllers außerordentliche Stellung im Literaturleben
einer scheinbar endlosen, kahlen Landschaft tritt         seiner Zeit. Nicht nur wegen seines aufwändigen
jene Einsamkeit und Entfremdung von jeglicher Zivili-     Lebensstils und der ökonomischen Pflichten als
sation hervor, die sich in Wilhelm Müllers nur wenige     Familienvater war er als Lyriker, Rezensent und
Jahre später entstandenem Gedichtzyklus „Winter-          Regisseur sowie Autor von Novellen und der ersten
reise“ noch intensiviert.                                 Biografie über Byron vielseitig produktiv – in kaum
                                                          einer Zeitschrift fehlt sein Name.

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Begründet ist dies in einer ebenso umfassenden wie     unter dem Titel „Wanderlieder von Wilhelm Müller.
gründlichen humanistischen Ausbildung, die Müller        Die Winterreise“ zwölf Texte, die er im Februar 1827
(1794 – 1827) als einzigem überlebenden Kind eines       binnen weniger Tage vertonte, und die im Lieder-
angesehenen Dessauer Schmiedemeisters zuteil             zyklus die erste Abteilung bilden. Erst einige Zeit später
wurde. Nach dem Gymnasium wechselte er an die            bekam Schubert den zweiten Band von Müllers
noch junge Berliner Humboldt-Universität, beteiligte     Gedichten aus den „Hinterlassenen Papieren eines
sich im Range eines Leutnants an den Freiheitskriegen    reisenden Waldhornisten“ in die Hände (gedruckt
gegen Napoleon, bereiste Italien, wurde später Lehrer    1824): Müller hatte hier seine Winterreise um noch-
und trat auch literarisch für eine neue freiheitliche    mals zwölf Gedichte erweitert, die er teilweise zwi-
Grundordnung ein. Beim Publikum setzte er sich mit       schen die bereits erschienenen eingeschoben hatte.
den 1820 erschienenen „Siebenundsiebzig Gedichten        Schubert muss von diesem Umstand überrascht
aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden          worden sein. Da aber mit Blick auf die in sich ge-
Waldhornisten“ durch. Der grenzenlose Schaffens-         schlossene musikalische Abfolge (verbunden mit
drang forderte indes schon bald seinen Tribut. Im        einem stringenten Tonartenplan) ein vergleichbares
Frühjahr 1827 schwanden die Kräfte. Eine Reise           Verfahren kaum sinnvoll möglich war, stellte Schubert
durch das Rheintal brachte nicht die erhoffte Erho-      die Nachdichtungen zu einer zweiten Abteilung seiner
lung – kurz nach der Rückkehr stirbt Müller wenige       Komposition neu zusammen.
Tage vor seinem 33. Geburtstag an einem Herzinfarkt.
                                                           Dabei kam es ihm entgegen, dass Müller die Nr. 14
  Auch wenn Müller und Schubert sich nie persönlich      („Der greise Kopf“) bis Nr. 21 („Das Wirtshaus“) als
begegnet sind und ihre ästhetischen Ansichten teil-      einen Block ansah und der gesamte Zyklus mit der
weise differierten, können beide doch als früh voll-     Nr. 24 („Der Leiermann“) enden sollte. Auf diese
endete Verwandte im Geiste bezeichnet werden. Fast       Weise ergab sich aber auch eine interpretatorische
könnte man meinen, Müller habe bereits 1816 eine         Vertiefung: Mit der am Ende der ersten Abteilung
entsprechende Vorahnung der in ihrer Weise kon-          erlangten „Einsamkeit“ (Nr. 12) komponiert Schubert
genialen Vertonungen gehabt, als er in seinem Berliner   einen Wechsel der Perspektive: Der Wanderer schaut
Tagebuch notierte: „Ich kann weder spielen noch          nunmehr von außen auf die Vergangenheit und sich
singen, und wenn ich dichte, so sing ich doch und        selbst.
spiele auch. Wenn ich die Weisen von mir geben
                                                           Die Vertonung der Lieder wird für Schubert in meh-
könnte, so würden meine Lieder besser gefallen als
                                                         rerer Hinsicht von besonderer Bedeutung gewesen
jetzt. Aber getrost, es kann sich ja eine gleichge-
                                                         sein. Abgesehen von der Auslotung vollkommen
stimmte Seele finden, die die Weise aus den Worten
                                                         neuer musikalischer Ausdrucksbereiche deuten
herausholt und sie mir zurückgibt.“
                                                         manche Umstände darauf hin, dass das Werk für ihn
   Schuberts offensichtliche Vorliebe für Liedkompo-     auch eine persönliche Dimension besaß. So notierte
sitionen erhielt durch die zu Beginn des 19. Jahrhun-    Josef von Spaun mit dreißigjähriger Verspätung in
derts im gesamten deutschsprachigen Raum weit            seinen Erinnerungen von 1858: „Schubert wurde
verbreiteten literarischen Almanache immer wieder        durch einige Zeit düster gestimmt und schien ange-
neue Nahrung. In einem dieser beliebten Jahrbücher,      griffen. Auf meine Frage, was in ihm vorgehe, sagte er
der Urania, Taschenbuch auf das Jahr 1823, fand er       nur, »nun, ihr werdet es bald hören und begreifen.«

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Eines Tages sagte er zu mir, »komme heute zu Schober,    Licht in dem emotionalen Dunkel des Wanderers auf-
ich werde euch einen Zyklus schauerlicher Lieder vor-    scheint, ohne dass allerdings auch nur eine Hoffnung
singen. Ich bin begierig zu sehen, was ihr dazu sagt.    erfüllt würde. Charakteristisch ist in diesem Sinne
Sie haben mich mehr angegriffen, als dieses je bei       der plötzliche Wechsel in das abgetönte Moll („die
anderen Liedern der Fall war.« Er sang uns nun mit       Post bringt keinen Brief für dich“), mit dem Schubert
bewegter Stimme die ganze Winterreise durch. Wir         wiederum zu Beginn der zweiten Abteilung auf das
waren über die düstere Stimmung dieser Lieder ganz       erste Lied der Winterreise zyklisch verweist: dort
verblüfft, und Schober sagte, es habe ihm nur ein        zeigt ein zarter Wechsel nach Dur den letzten Liebes-
Lied, »Der Lindenbaum«, gefallen. Schubert sagte         gruß im Abschied an („Will dich im Traum nicht stören“).
hierauf nur, »mir gefallen diese Lieder mehr als alle
                                                           Musikalisch radikaler gebärden sich indes jene
und sie werden euch auch noch gefallen.«“
                                                         Lieder, in denen von Ermattung, Hoffnungslosigkeit
  Auch an Schuberts Zögern bei der Drucklegung           und Todessehnsucht die Rede ist. Dies betrifft
lässt sich ablesen, wie sehr ihm der Zyklus am Herzen    zunächst das emotionale Ziel der ersten Abteilung,
lag. Zur Veröffentlichung gelangte der erste Teil nach   die „Einsamkeit“ (Nr. 12), die mit hohlen Bassquinten
verschiedenen Revisionen erst im Januar 1828; der        und einer zunächst in sich pendelnden Melodie musi-
im September 1827 während einer Reise nach Graz          kalisch realisiert wird, um sich dann am Ende noch
entstandene zweite Teil wurde erst postum im             einmal aufzubäumen. Weitaus fahler, statischer und
Dezember 1828 vorgelegt. Dazu heißt es in einer          verfremdeter erscheinen die Kompositionen der
Ankündigung des Verlags: „Seit Erscheinung der           zweiten Abteilung. So markieren seltsam gebrochene
ersten Abteilung haben Beide, Dichter und Tonsetzer,     Harmonien das Scheitern der „Letzten Hoffnung“
die große Reise in jenes Land angetreten, aus dem        (Nr. 16), das choralhaft in sich ruhende F-Dur be-
kein Wanderer wiederkehrt! […] Die Korrektur von der     schreibt die Todessehnsucht in „Das Wirtshaus“
zweiten Abteilung der Winterreise waren die letzten      (Nr. 21) und die melodische Entwicklung, die schon
Federstriche des vor kurzem verblichenen Schubert.“      in „Der greise Kopf“ (Nr. 14) seltsam rhapsodisch
                                                         anmutete, kommt im abschließenden „Leiermann“
   Dass selbst Schuberts Freunde von den Liedern
                                                         vollends zum Stehen (Nr. 24).
irritiert waren, darf angesichts der damals aktuellen
Liedproduktion nicht verwundern. Selbst wenn man           Es mutete wie eine Ironie der Geschichte an, dass
die ganze Bandbreite zwischen einfachen Strophen-        gerade die für Schubert notwendig gewordene Um-
liedern und episch-dramatisch ausgearbeiteten Balla-     stellung einzelner Texte diesen eine psychologische
den berücksichtigt (wie man sie ja auch in Schuberts     Intensivierung verliehen hat. Sie beschreiben auch
Œuvre findet), stehen einige der Vertonungen weit        musikalisch eine sich zentripetal beschleunigende
außerhalb dessen, was man gemeinhin mit dem              Spirale – eine Spirale der erkalteten Emotionen, einen
Begriff „Lied“ verband: sowohl formal, melodisch als     Weg, den „noch keiner ging zurück“.
auch die Begleitung betreffend. Vergleichsweise kon-                                               Michael Kube
ventionell kommen noch „Frühlingstraum“ (Nr. 11),
„Die Post“ (Nr. 13), „Täuschung“ (Nr. 19) und „Mut“
(Nr. 22) daher – Lieder, in denen für einen Moment

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Gute Nacht                          Die Wetterfahne

Fremd bin ich eingezogen,           Der Wind spielt mit der Wetterfahne
fremd zieh’ ich wieder aus.         auf meines schönen Liebchens Haus.
Der Mai war mir gewogen,            Da dacht’ ich schon in meinem Wahne,
mit manchem Blumenstrauß.           sie pfiff den armen Flüchtling aus.

Das Mädchen sprach von Liebe,       Er hätt’ es eher bemerken sollen,
die Mutter gar von Eh’, –           des Hauses aufgestecktes Schild,
Nun ist die Welt so trübe,          So hätt’ er nimmer suchen wollen
der Weg gehüllt in Schnee.          im Haus ein treues Frauenbild.

Ich kann zu meiner Reisen           Der Wind spielt drinnen mit den Herzen
nicht wählen mit der Zeit.          wie auf dem Dach, nur nicht so laut.
Muss selbst den Weg mir weisen      Was fragen sie nach meinen Schmerzen?
in dieser Dunkelheit.               Ihr Kind ist eine reiche Braut.

Es zieht ein Mondenschatten
als mein Gefährte mit.
Und auf den weißen Matten
such’ ich des Wildes Tritt.

Was soll ich länger weilen,
dass man mich trieb hinaus?
Lass irre Hunde heulen              Gefrorne Tränen
vor ihres Herren Haus.
                                    Gefrorne Tropfen fallen von meinen Wangen ab:
Die Liebe liebt das Wandern –       Ob es mir denn entgangen, dass ich geweinet hab’?
Gott hat sie so gemacht.            Ei, Tränen, meine Tränen, und seid ihr gar so lau,
Von einem zu dem andern.            Dass ihr erstarrt zu Eise wie kühler Morgetau?
Fein Liebchen, gute Nacht!          Und dringt doch aus der Quelle der Brust
                                    so glühend heiß, als wolltet ihr zerschmelzen
Will dich im Traum nicht stören,    des ganzen Winters Eis!
wär schad’ um deine Ruh’.
Sollst meinen Tritt nicht hören –
Sacht, sacht die Türe zu!

Schreib im Vorübergehen
ans Tor dir: Gute Nacht.
Damit du mögest sehen,
an dich hab’ ich gedacht.

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Erstarrung                         Der Lindenbaum

Ich such’ im Schnee vergebens      Am Brunnen vor dem Tore da steht ein Lindebaum;
nach ihrer Tritte Spur,            ich träumt’ in seinem Schatten so manchen
wo sie an meinem Arme              süßen Traum.
durchstrich die grüne Flur.        Ich schnitt in seine Rinde so manches liebe Wort;
                                   es zog in Freud’ und Leide zu ihm mich immer fort.
Ich will den Boden küssen,
durchdringen Eis und Schnee        Ich mußt’ auch heute wandern vorbei in tiefer Nacht,
mit meinen heißen Tränen,          da hab’ ich noch im Dunkeln die Augen zugemacht.
bis ich die Erde seh’.             Und seine Zweige rauschten, als riefen sie mir zu:
                                   Komm her zu mir, Geselle, hier find’st du deine Ruh’!
Wo find’ ich eine Blüte,
wo find’ ich grünes Gras?          Die kalten Winde bliesen mir grad’ ins Angesicht;
Die Blumen sind erstorben,         der Hut flog mir vom Kopfe, ich wendete mich nicht.
der Rasen sieht so blass.          Nun bin ich manche Stunde entfernt von jenem Ort,
                                   und immer hör’ ich’s rauschen:
Soll denn kein Angedenken          Du fändest Ruhe dort!
ich nehmen mit von hier?
Wenn meine Schmerzen schweigen,
wer sagt mir dann von ihr?         Wasserflut
Mein Herz ist wie erstorben,       Manche Trän’ aus meinen Augen
kalt starrt ihr Bild darin;        ist gefallen in den Schnee;
Schmilzt je das Herz mir wieder,   seine kalten Flocken saugen
fließt auch ihr Bild dahin!        durstig ein das heiße Weh.

                                   Wenn die Gräser sprossen wollen
                                   weht daher ein lauer Wind,
                                   und das Eis zerspringt in Schollen
                                   und der weiche Schnee zerrinnt.

                                   Schnee, du weißt von meinem Sehnen,
                                   sag’, wohin doch geht dein Lauf?
                                   Folge nach nur meinen Tränen,
                                   nimmt dich bald das Bächlein auf.

                                   Wirst mit ihm die Stadt durchziehen,
                                   muntre Straßen ein und aus;
                                   fühlst du meine Tränen glühen,
                                   da ist meiner Liebsten Haus.

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Auf dem Flusse                                          Rückblick

Der du so lustig rauschtest, du heller, wilder Fluss,   Es brennt mir unter beiden Sohlen,
wie still bist du geworden, gibst keinen Schedegruß.    tret’ ich auch schon auf Eis und Schnee.
                                                        Ich möcht’ nicht wieder Atem holen,
Mit harter, starrer Rinde hast du dich überdeckt,       bis ich nicht mehr die Türme seh’.
liegst kalt und unbeweglich im Sande ausgestreckt.
                                                        Hab’ mich an jedem Stein gestoßen,
In deine Decke grab’ ich mit einem spitzen Stein        so eilt’ ich zu der Stadt hinaus.
den Namen meiner Liebsten und Stund’ und Tag            Die Krähen warfen Bäll’ und Schlossen
hinein.                                                 auf meinen Hut von jedem Haus.

Den Tag des ersten Grußes, den Tag, an dem ich          Wie anders hast du mich empfangen,
ging; um Nam’ und Zahlen windet sich ein                du Stadt der Unbeständigkeit!
zerbroch’ner Ring.                                      An deinen blanken Fenstern sangen
                                                        die Lerch’ und Nachtigall im Streit.
Mein Herz, in diesem Bache erkennst du nun dein         Die runden Lindenbäume blühten,
Bild? Ob’s unter seiner Rinde wohl auch so reißend      die klaren Rinnen rauschten hell,
schwillt?                                               Und ach, zwei Mädchenaugen glühten -
                                                        Da war’s gescheh’n um dich, Gesell!

                                                        Kommt mir der Tag in die Gedanken,
                                                        möcht’ ich noch einmal rückwärts seh’n.
                                                        Möcht’ ich zurücke wieder wanken,
                                                        vor ihrem Hause stille steh’n.

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Irrlicht                                 Frühlingstraum

In die tiefsten Felsengründe             Ich träumte von bunten Blumen,
lockte mich ein Irrlicht hin.            so wie sie wohl blühen im Mai.
Wie ich einen Ausgang finde,             Ich träumte von grünen Wiesen,
liegt nicht schwer mir in dem Sinn.      von lustigem Vogelgeschrei.

Bin gewohnt das Irregehen,               Und als die Hähne krähten,
s’führt ja jeder Weg zum Ziel.           da ward mein Auge wach.
Uns’re Freuden, uns’re Wehen,            Da war es kalt und finster,
alles eines Irrlichts Spiel!             es schrien die Raben vom Dach.

Durch des Bergstroms trockne Rinnen      Doch an den Fensterscheiben,
wind’ ich ruhig mich hinab.              wer malte die Blätter da?
Jeder Strom wird’s Meer gewinnen,        Ihr lacht wohl über den Träumer,
jedes Leiden auch sein Grab.             der Blumen im Winter sah?

                                         Ich träumte von Lieb um Liebe,
Rast                                     von einer schönen Maid.
                                         Von Herzen und von Küssen,
Nun merk’ ich erst wie müd’ ich bin,     von Wonne und Seligkeit.
da ich zur Ruh’ mich lege;
Das Wandern hielt mich munter hin        Und als die Hähne krähten,
auf unwirtbarem Wege.                    da ward mein Herze wach.
                                         Nun sitz’ ich hier alleine
Die Füße frugen nicht nach Rast,         und denke dem Traume nach.
es war zu kalt zum Stehen;
Der Rücken fühlte keine Last,            Die Augen schließ’ ich wieder,
der Sturm half fort mich wehen.          noch schlägt das Herz so warm.
                                         Wann grünt ihr Blätter am Fenster?
In eines Köhlers engem Haus              Wann halt’ ich mein Liebchen im Arm?
hab’ Obdach ich gefunden.
Doch meine Glieder ruh’n nicht aus,
so brennen ihre Wunden.

Auch du, mein Herz, in Kampf und Sturm
so wild und so verwegen.
Fühlst in der Still’ erst deinen Wurm
mit heißem Stich sich regen!

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Einsamkeit                                            Der greise Kopf

Wie eine trübe Wolke durch heit’re Lüfte geht,        Der Reif hatt’ einen weißen Schein
wenn in der Tanne Wipfel ein mattes Lüftchen weht,    mir übers Haar gestreuet.
so zieh’ ich meine Straße dahin mit trägem Fuß,       Da glaubt’ ich schon ein Greis zu sein
durch helles, frohes Leben einsam und ohne Gruß.      und hab’ mich sehr gefreuet.
Ach, dass die Luft so ruhig!
Ach, dass die Welt so licht!                          Doch bald ist er hinweggetaut,
Als noch die Stürme tobten, war ich so elend nicht.   hab’ wieder schwarze Haare,
                                                      Dass mir’s vor meiner Jugend graut –
                                                      wie weit noch bis zur Bahre!

                                                      Vom Abendrot zum Morgenlicht
                                                      ward mancher Kopf zum Greise.

                                                      Wer glaubt’s? Und meiner ward es nicht
                                                      auf dieser ganzen Reise!

Die Post                                              Die Krähe

Von der Straße her ein Posthorn klingt.               Eine Krähe war mit mir
Was hat es, dass es so hoch aufspringt, mein Herz?    aus der Stadt gezogen,
Die Post bringt keinen Brief für dich.                ist bis heute für und für
Was drängst du denn so wunderlich, mein Herz?         um mein Haupt geflogen.

Nun ja, die Post kommt aus der Stadt,                 Krähe, wunderliches Tier,
wo ich ein liebes Liebchen hat, mein Herz!            willst mich nicht verlassen?
Willst wohl einmal hinüberseh’n                       Meinst wohl, bald als Beute hier
Und fragen, wie es dort mag geh’n, mein Herz?         meinen Leib zu fassen?

                                                      Nun, es wird nicht weit mehr geh’n
                                                      an dem Wanderstabe.
                                                      Krähe, lass mich endlich seh’n
                                                      Treue bis zum Grabe!

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Letzte Hoffnung                                  Der stürmische Morgen

Hie und da ist an den Bäumen                     Wie hat der Sturm zerrissen
manches bunte Blatt zu seh’n,                    des Himmels graues Kleid!
und ich bleibe vor den Bäumen                    Die Wolkenfetzen flattern
oftmals in Gedanken steh’n.                      umher im matten Streit.

Schaue nach dem einen Blatte,                    Und rote Feuerflammen
hänge meine Hoffnung dran;                       zieh’n zwischen ihnen hin.
spielt der Wind mit meinem Blatte,               Das nenn’ ich einen Morgen
zittr’ ich, was ich zittern kann.                so recht nach meinem Sinn!

Ach, und fällt das Blatt zu Boden,               Mein Herz sieht an dem Himmel
fällt mit ihm die Hoffnung ab.                   Gemalt sein eig’nes Bild.
Fall’ ich selber mit zu Boden,                   Es ist nichts als der Winter,
wein’ auf meiner Hoffnung Grab.                  der Winter kalt und wild!

Im Dorfe                                         Täuschung

Es bellen die Hunde, es rasseln die Ketten;      Ein Licht tanzt freundlich vor mir her,
es schlafen die Menschen in ihren Betten.        ich folg’ ihm nach die Kreuz und Quer.
Träumen sich manches, was sie nicht haben,       Ich folg’ ihm gern und seh’s ihm an,
tun sich im Guten und Argen erlaben.             dass es verlockt den Wandersmann.
                                                 Ach! wer wie ich so elend ist,
Und morgen früh ist alles zerflossen.            gibt gern sich hin der bunten List.
Je nun, sie haben ihr Teil genossen.             Die hinter Eis und Nacht und Graus
Und hoffen, was sie noch übrig ließen,           ihm weist ein helles, warmes Haus.
doch wieder zu finden auf ihren Kissen.          Und eine liebe Seele drin. –
                                                 Nur Täuschung ist für mich Gewinn!
Bellt mich nur fort, ihr wachen Hunde,
lasst mich nicht ruh’n in der Schlummerstunde!
Ich bin zu Ende mit allen Träumen.
Was will ich unter den Schläfern säumen?

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Der Wegweiser                                           Mut

Was vermeid’ ich denn die Wege,                         Fliegt der Schnee mir ins Gesicht,
wo die ander’n Wand’rer geh’n?                          schüttl’ ich ihn herunter.
Suche mir versteckte Stege,                             Wenn mein Herz im Busen spricht,
durch verschneite Felsenhöh’n?                          sing’ ich hell und munter.

Habe ja doch nichts begangen,                           Höre nicht, was es mir sagt,
dass ich Menschen sollte scheu’n, -                     habe keine Ohren.
welch ein törichtes Verlangen                           Fühle nicht, was es mir klagt,
treibt mich in die Wüstenei’n?                          klagen ist für Toren.

Weiser stehen auf den Straßen,                          Lustig in die Welt hinein
weisen auf die Städte zu.                               Gegen Wind und Wetter!
Und ich wandre sonder Maßen                             Will kein Gott auf Erden sein,
ohne Ruh’ und suche Ruh’.                               sind wir selber Götter!

Einen Weiser seh’ ich stehen
unverrückt vor meinem Blick;
eine Straße muss ich gehen,
die noch keiner ging zurück.

Das Wirtshaus                                           Die Nebensonnen

Auf einen Totenacker hat mich mein Weg gebracht;        Drei Sonnen sah ich am Himmel steh’n,
allhier will ich einkehren, hab’ ich bei mir gedacht.   hab’ lang und fest sie angeseh’n;
Ihr grünen Totenkränze könnt wohl die Zechen sein,      Und sie auch standen da so stier,
die müde Wand’rer laden ins kühle Wirtshaus ein.        als wollten sie nicht weg von mir.

Sind denn in diesem Hause die Kammern all’              Ach, meine Sonnen seid ihr nicht!
besetzt? Bin matt zum Niedersinken,                     Schaut ander’n doch ins Angesicht!
bin tödlich schwer verletzt.                            Ja, neulich hatt’ ich auch wohl drei;
Unbarmherz’ge Schenke, doch weisest du mich ab?         nun sind hinab die besten zwei.
Nun weiter denn, nur weiter,
mein treuer Wanderstab!                                 Ging nur die dritt’ erst hinterdrein!
                                                        Im Dunkel wird mir wohler sein.

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Der Leiermann

Drüben hinterm Dorfe steht ein Leiermann
Und mit starren Fingern dreht er was er kann.
Barfuß auf dem Eise wankt er hin und her
Und sein kleiner Teller bleibt ihm immer leer.

Keiner mag ihn hören, Keiner sieht ihn an,
und die Hunde knurren um den alten Mann.
Und er lässt es gehen, alles wie es will,
dreht, und seine Leier steht ihm nimmer still.

Wunderlicher Alter! Soll ich mit dir geh’n?
Willst zu meinen Liedern deine Leier dreh’n?

Veranstaltungshinweis
06. Dezember 2019, 20.00, BASF-Feierabendhaus
Jean Rondeau, Cembalo & Ensemble
Werke der Familie Bach

Konzerteinführung
29. November 2019, 19.00, Kammermusiksaal
Wolfgang-Armin Rittmeier

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BASF SE
FHG/TC – Z 24 · Kunst & Kultur
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