Saison 2019 / 2020 BASF-Kulturprogramm - The Big Four - BASF.com
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Saison 2019 / 2020 BASF-Kulturprogramm The Big Four Ian Bostridge, Tenor Julius Drake, Klavier Freitag, 29. November 2019, 20.00 BASF-Feierabendhaus
Programm Franz Schubert (1797 – 1828) „Die Winterreise“ D 911 Liederzyklus nach Texten von Wilhelm Müller 1. Gute Nacht 2. Die Wetterfahne 3. Gefrorne Tränen 4. Erstarrung 5. Der Lindenbaum 6. Wasserflut 7. Auf dem Flusse 8. Rückblick 9. Irrlicht 10. Rast 11. Frühlingstraum 12. Einsamkeit 13. Die Post 14. Der greise Kopf 15. Die Krähe 16. Letzte Hoffnung 17. Im Dorfe 18. Der stürmische Morgen 19. Täuschung 20. Der Wegweiser 21. Das Wirtshaus 22. Mut 23. Die Nebensonnen 24. Der Leiermann Dauer: ca. 75 min. Keine Pause. 3
Ian Bostridge Julius Drake Ian Bostridges internationale Karriere führte ihn in Der Pianist Julius Drake genießt eine internationale die bedeutendsten Konzertsäle und zu den renom- Reputation als einer der besten Instrumentalisten miertesten Festivals weltweit. In der Saison 2003/04 seines Fachs. Bei seinen Konzerten und Aufnahmen war er „Artist in Residence“ im Wiener Konzerthaus arbeitet er mit den weltweit führenden Künstlern und bei der Schubertiade Schwarzenberg, 2004/05 zusammen. Er tritt regelmäßig in den wichtigsten teilte er diese Auszeichnung mit Thomas Quasthoff Konzertsälen auf, bei Festivals in Aldeburgh, Edinburgh, am Amsterdamer Concertgebouw, in der Saison München, bei der Schubertiade und den Salzburger 2005/06 gestaltete er seine eigene „Perspectives Festspielen, in der Carnegie Hall und dem Lincoln series“ an der Carnegie Hall, 2008 am Barbican Center Center in New York, dem Concertgebouw Amsterdam in London, 2010/11 in der Philharmonie Luxembourg, und der Berliner Philharmonie, im Châtelet und im 2011/12 in der Wigmore Hall sowie 2012/13 in der Musée du Louvre in Paris, in den Opernhäusern La Laeiszhalle in Hamburg. 2018 begann Ian Bostridge Scala in Mailand und Teatro de la Zarzuela Madrid, im beim Seoul Philharmonic Orchestra eine viel verspre- Musikverein und dem Konzerthaus in Wien sowie in chende künstlerische Residenz, die erste ihrer Art für der Wigmore Hall und bei den BBC Proms in London. das Ensemble. Von 2000-03 war Drake Direktor des Perth Inter- Seine Aufnahmen haben alle wichtigen Schall- national Chamber Music Festivals in Australien, plattenpreise gewonnen und wurden für 15 Grammys außerdem wirkte er als musikalischer Leiter bei nominiert. Er hat mit den Berliner und Wiener Philhar- Deborah Warners Inszenierung von Janáčeks „Diary monikern, Chicago, Boston, London und BBC Sym- of One who Vanished“ mit, die in München, London, phony Orchestras, den London, New York, Los Angeles Dublin, Amsterdam und New York gastierte. Seit Philharmonic Orchestras und dem Rotterdams Phil- 2009 ist er künstlerischer Leiter des Machynlleth harmonisch Orkest und Concertgebouw Orchestra Festivals in Wales. Amsterdam unter Simon Rattle, Colin Davis, Andrew Julius Drake hat ein leidenschaftliches Interesse Davis, Seiji Ozawa, Antonio Pappano, Riccardo Muti, für das Lied und wurde mehrfach eingeladen, Lieder- Mstislav Rostropovich, Daniel Barenboim, Daniel zyklen zusammenzustellen, zum Beispiel für die Harding und Donald Runnicles gearbeitet. Londoner Wigmore Hall, die BBC und das Concert- Zahlreiche Opernengagements an den größten gebouw in Amsterdam. Julius Drake ist regelmäßig Häusern ergänzen seine umfangreichen künstle- Gast bei internationalen Kammermusikfestivals – rischen Aktivitäten. 2001 wurde Bostridge zum zuletzt in Kuhmo, Finnland, Delft in den Niederlanden, Honorary Fellow seiner Mutteruniversität Corpus Oxford und West Cork in Irland. Julius Drake ist Christi College in Oxford, 2003 von der St. Andrew’s zudem ein engagierter Lehrer und wird weltweit zu Universität zum Ehrendoktor für Musik, 2004 zum Meisterklassen eingeladen. Er hat eine Professur an Companion of the Order of the British Empire und der Grazer Universität für Musik und Darstellende 2010 zum Honorary Fellow des St. John’s College Künste inne, wo er einen Studiengang für Klavier- Oxford ernannt. Vokalbegleitung leitet. 4 5
„Die Winterreise“ Die anfängliche Desillusionierung des lyrischen Ichs über verschmähte Zuneigung verwandelt sich schritt- Heute nurmehr Freizeitbetätigung, kommt dem weise zur Todessehnsucht, repräsentiert durch das Wandern aus kulturgeschichtlicher Perspektive eine Wirtshaus, den Totenacker. weit größere und facettenreichere Bedeutung zu. Vor allem die so genannte „Walz“ der Handwerksburschen Reflektiert wird damit die trostlose Lebenswirklich- hat musikalisch wie literarisch Spuren hinterlassen. keit einer ganzen Generation. Nach den erfolgreichen Zu dem daraus abgeleiteten Bild des Wanderers als Freiheitskriegen gegen Napoleon und der Restau- einem munteren Gesellen trat im Zuge der literari- ration des Absolutismus hatten die Karlsbader schen Romantik des ausgehenden 18. Jahrhunderts Beschlüsse von 1819 die systematische Repression das Gegenbild des ins Innere reisenden, lyrischen des Humanitätsgedankens zur Folge; die revolutio- Ichs – der Wanderer, der zwischen den Welten in nären Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlich- Frieden verweilt. keit schienen unerreichbar, das Bürgertum wandte sich biedermeierlich nach innen. Goethe beschreibt dies in einem „Wandersegen“ betitelten Gedicht: „Die Wanderjahre sind nun angetre- Auch in Wilhelm Müllers „Winterreise“, in deren ten, / Und jeder Schritt des Wandrers ist bedenklich. / Vordergrund zunächst die psychische Verfassung Zwar pflegt er nicht zu singen und zu beten; / Doch des Wanderers steht, spielen politische und soziale wendet er, sobald der Pfad verfänglich, / Den ersten Faktoren eine nicht unwesentliche Rolle. Zwischen- Blick, wo Nebel ihn umtrüben, / Ins eigne Herz und in menschlich ist es die finanzielle und gesellschaftliche das Herz der Lieben.“ Auch Caspar David Friedrich Stellung, die über der natürlichen Zuneigung steht hat das selige Verweilen in seinem Gemälde „Der („Die Wetterfahne“), doch spiegelt sich in manchen Wanderer über dem Nebelmeer“ (um 1818) ein- Versen auch die mit der zeitaktuellen Enttäuschung drucksvoll dargestellt. über unverwirklichte liberale Ideale einhergehende existenzielle Sinnkrise wider: „Ich bin zu Ende mit Der Weg von der inneren Einkehr zur weltab- allen Träumen“ („Im Dorfe“). gewandten Einsamkeit ist freilich oftmals eine Grat- wanderung. Dichterisch und bildnerisch findet sich Obwohl Müllers Dichtungen bei seinen Zeitgenossen die Vorstellung eines ziellosen Umherirrens in der sehr beliebt waren (123 Gedichte wurden von 241 Jahreszeit des Winters wieder. Bei Friedrich etwa Komponisten 530mal vertont), erscheint sein Name in der „Winterlandschaft“ (1811) – hier verharrt ein heute allenfalls in Zusammenhang mit den Kompo- Wanderer in bitterer Kälte zwischen abgestorbenen sitionen von Franz Schubert. Vergessen wird dabei Eichen und bloßen Baumstümpfen. Umgeben von Müllers außerordentliche Stellung im Literaturleben einer scheinbar endlosen, kahlen Landschaft tritt seiner Zeit. Nicht nur wegen seines aufwändigen jene Einsamkeit und Entfremdung von jeglicher Zivili- Lebensstils und der ökonomischen Pflichten als sation hervor, die sich in Wilhelm Müllers nur wenige Familienvater war er als Lyriker, Rezensent und Jahre später entstandenem Gedichtzyklus „Winter- Regisseur sowie Autor von Novellen und der ersten reise“ noch intensiviert. Biografie über Byron vielseitig produktiv – in kaum einer Zeitschrift fehlt sein Name. 6 7
Begründet ist dies in einer ebenso umfassenden wie unter dem Titel „Wanderlieder von Wilhelm Müller. gründlichen humanistischen Ausbildung, die Müller Die Winterreise“ zwölf Texte, die er im Februar 1827 (1794 – 1827) als einzigem überlebenden Kind eines binnen weniger Tage vertonte, und die im Lieder- angesehenen Dessauer Schmiedemeisters zuteil zyklus die erste Abteilung bilden. Erst einige Zeit später wurde. Nach dem Gymnasium wechselte er an die bekam Schubert den zweiten Band von Müllers noch junge Berliner Humboldt-Universität, beteiligte Gedichten aus den „Hinterlassenen Papieren eines sich im Range eines Leutnants an den Freiheitskriegen reisenden Waldhornisten“ in die Hände (gedruckt gegen Napoleon, bereiste Italien, wurde später Lehrer 1824): Müller hatte hier seine Winterreise um noch- und trat auch literarisch für eine neue freiheitliche mals zwölf Gedichte erweitert, die er teilweise zwi- Grundordnung ein. Beim Publikum setzte er sich mit schen die bereits erschienenen eingeschoben hatte. den 1820 erschienenen „Siebenundsiebzig Gedichten Schubert muss von diesem Umstand überrascht aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden worden sein. Da aber mit Blick auf die in sich ge- Waldhornisten“ durch. Der grenzenlose Schaffens- schlossene musikalische Abfolge (verbunden mit drang forderte indes schon bald seinen Tribut. Im einem stringenten Tonartenplan) ein vergleichbares Frühjahr 1827 schwanden die Kräfte. Eine Reise Verfahren kaum sinnvoll möglich war, stellte Schubert durch das Rheintal brachte nicht die erhoffte Erho- die Nachdichtungen zu einer zweiten Abteilung seiner lung – kurz nach der Rückkehr stirbt Müller wenige Komposition neu zusammen. Tage vor seinem 33. Geburtstag an einem Herzinfarkt. Dabei kam es ihm entgegen, dass Müller die Nr. 14 Auch wenn Müller und Schubert sich nie persönlich („Der greise Kopf“) bis Nr. 21 („Das Wirtshaus“) als begegnet sind und ihre ästhetischen Ansichten teil- einen Block ansah und der gesamte Zyklus mit der weise differierten, können beide doch als früh voll- Nr. 24 („Der Leiermann“) enden sollte. Auf diese endete Verwandte im Geiste bezeichnet werden. Fast Weise ergab sich aber auch eine interpretatorische könnte man meinen, Müller habe bereits 1816 eine Vertiefung: Mit der am Ende der ersten Abteilung entsprechende Vorahnung der in ihrer Weise kon- erlangten „Einsamkeit“ (Nr. 12) komponiert Schubert genialen Vertonungen gehabt, als er in seinem Berliner einen Wechsel der Perspektive: Der Wanderer schaut Tagebuch notierte: „Ich kann weder spielen noch nunmehr von außen auf die Vergangenheit und sich singen, und wenn ich dichte, so sing ich doch und selbst. spiele auch. Wenn ich die Weisen von mir geben Die Vertonung der Lieder wird für Schubert in meh- könnte, so würden meine Lieder besser gefallen als rerer Hinsicht von besonderer Bedeutung gewesen jetzt. Aber getrost, es kann sich ja eine gleichge- sein. Abgesehen von der Auslotung vollkommen stimmte Seele finden, die die Weise aus den Worten neuer musikalischer Ausdrucksbereiche deuten herausholt und sie mir zurückgibt.“ manche Umstände darauf hin, dass das Werk für ihn Schuberts offensichtliche Vorliebe für Liedkompo- auch eine persönliche Dimension besaß. So notierte sitionen erhielt durch die zu Beginn des 19. Jahrhun- Josef von Spaun mit dreißigjähriger Verspätung in derts im gesamten deutschsprachigen Raum weit seinen Erinnerungen von 1858: „Schubert wurde verbreiteten literarischen Almanache immer wieder durch einige Zeit düster gestimmt und schien ange- neue Nahrung. In einem dieser beliebten Jahrbücher, griffen. Auf meine Frage, was in ihm vorgehe, sagte er der Urania, Taschenbuch auf das Jahr 1823, fand er nur, »nun, ihr werdet es bald hören und begreifen.« 8 9
Eines Tages sagte er zu mir, »komme heute zu Schober, Licht in dem emotionalen Dunkel des Wanderers auf- ich werde euch einen Zyklus schauerlicher Lieder vor- scheint, ohne dass allerdings auch nur eine Hoffnung singen. Ich bin begierig zu sehen, was ihr dazu sagt. erfüllt würde. Charakteristisch ist in diesem Sinne Sie haben mich mehr angegriffen, als dieses je bei der plötzliche Wechsel in das abgetönte Moll („die anderen Liedern der Fall war.« Er sang uns nun mit Post bringt keinen Brief für dich“), mit dem Schubert bewegter Stimme die ganze Winterreise durch. Wir wiederum zu Beginn der zweiten Abteilung auf das waren über die düstere Stimmung dieser Lieder ganz erste Lied der Winterreise zyklisch verweist: dort verblüfft, und Schober sagte, es habe ihm nur ein zeigt ein zarter Wechsel nach Dur den letzten Liebes- Lied, »Der Lindenbaum«, gefallen. Schubert sagte gruß im Abschied an („Will dich im Traum nicht stören“). hierauf nur, »mir gefallen diese Lieder mehr als alle Musikalisch radikaler gebärden sich indes jene und sie werden euch auch noch gefallen.«“ Lieder, in denen von Ermattung, Hoffnungslosigkeit Auch an Schuberts Zögern bei der Drucklegung und Todessehnsucht die Rede ist. Dies betrifft lässt sich ablesen, wie sehr ihm der Zyklus am Herzen zunächst das emotionale Ziel der ersten Abteilung, lag. Zur Veröffentlichung gelangte der erste Teil nach die „Einsamkeit“ (Nr. 12), die mit hohlen Bassquinten verschiedenen Revisionen erst im Januar 1828; der und einer zunächst in sich pendelnden Melodie musi- im September 1827 während einer Reise nach Graz kalisch realisiert wird, um sich dann am Ende noch entstandene zweite Teil wurde erst postum im einmal aufzubäumen. Weitaus fahler, statischer und Dezember 1828 vorgelegt. Dazu heißt es in einer verfremdeter erscheinen die Kompositionen der Ankündigung des Verlags: „Seit Erscheinung der zweiten Abteilung. So markieren seltsam gebrochene ersten Abteilung haben Beide, Dichter und Tonsetzer, Harmonien das Scheitern der „Letzten Hoffnung“ die große Reise in jenes Land angetreten, aus dem (Nr. 16), das choralhaft in sich ruhende F-Dur be- kein Wanderer wiederkehrt! […] Die Korrektur von der schreibt die Todessehnsucht in „Das Wirtshaus“ zweiten Abteilung der Winterreise waren die letzten (Nr. 21) und die melodische Entwicklung, die schon Federstriche des vor kurzem verblichenen Schubert.“ in „Der greise Kopf“ (Nr. 14) seltsam rhapsodisch anmutete, kommt im abschließenden „Leiermann“ Dass selbst Schuberts Freunde von den Liedern vollends zum Stehen (Nr. 24). irritiert waren, darf angesichts der damals aktuellen Liedproduktion nicht verwundern. Selbst wenn man Es mutete wie eine Ironie der Geschichte an, dass die ganze Bandbreite zwischen einfachen Strophen- gerade die für Schubert notwendig gewordene Um- liedern und episch-dramatisch ausgearbeiteten Balla- stellung einzelner Texte diesen eine psychologische den berücksichtigt (wie man sie ja auch in Schuberts Intensivierung verliehen hat. Sie beschreiben auch Œuvre findet), stehen einige der Vertonungen weit musikalisch eine sich zentripetal beschleunigende außerhalb dessen, was man gemeinhin mit dem Spirale – eine Spirale der erkalteten Emotionen, einen Begriff „Lied“ verband: sowohl formal, melodisch als Weg, den „noch keiner ging zurück“. auch die Begleitung betreffend. Vergleichsweise kon- Michael Kube ventionell kommen noch „Frühlingstraum“ (Nr. 11), „Die Post“ (Nr. 13), „Täuschung“ (Nr. 19) und „Mut“ (Nr. 22) daher – Lieder, in denen für einen Moment 10 11
Gute Nacht Die Wetterfahne Fremd bin ich eingezogen, Der Wind spielt mit der Wetterfahne fremd zieh’ ich wieder aus. auf meines schönen Liebchens Haus. Der Mai war mir gewogen, Da dacht’ ich schon in meinem Wahne, mit manchem Blumenstrauß. sie pfiff den armen Flüchtling aus. Das Mädchen sprach von Liebe, Er hätt’ es eher bemerken sollen, die Mutter gar von Eh’, – des Hauses aufgestecktes Schild, Nun ist die Welt so trübe, So hätt’ er nimmer suchen wollen der Weg gehüllt in Schnee. im Haus ein treues Frauenbild. Ich kann zu meiner Reisen Der Wind spielt drinnen mit den Herzen nicht wählen mit der Zeit. wie auf dem Dach, nur nicht so laut. Muss selbst den Weg mir weisen Was fragen sie nach meinen Schmerzen? in dieser Dunkelheit. Ihr Kind ist eine reiche Braut. Es zieht ein Mondenschatten als mein Gefährte mit. Und auf den weißen Matten such’ ich des Wildes Tritt. Was soll ich länger weilen, dass man mich trieb hinaus? Lass irre Hunde heulen Gefrorne Tränen vor ihres Herren Haus. Gefrorne Tropfen fallen von meinen Wangen ab: Die Liebe liebt das Wandern – Ob es mir denn entgangen, dass ich geweinet hab’? Gott hat sie so gemacht. Ei, Tränen, meine Tränen, und seid ihr gar so lau, Von einem zu dem andern. Dass ihr erstarrt zu Eise wie kühler Morgetau? Fein Liebchen, gute Nacht! Und dringt doch aus der Quelle der Brust so glühend heiß, als wolltet ihr zerschmelzen Will dich im Traum nicht stören, des ganzen Winters Eis! wär schad’ um deine Ruh’. Sollst meinen Tritt nicht hören – Sacht, sacht die Türe zu! Schreib im Vorübergehen ans Tor dir: Gute Nacht. Damit du mögest sehen, an dich hab’ ich gedacht. 12 13
Erstarrung Der Lindenbaum Ich such’ im Schnee vergebens Am Brunnen vor dem Tore da steht ein Lindebaum; nach ihrer Tritte Spur, ich träumt’ in seinem Schatten so manchen wo sie an meinem Arme süßen Traum. durchstrich die grüne Flur. Ich schnitt in seine Rinde so manches liebe Wort; es zog in Freud’ und Leide zu ihm mich immer fort. Ich will den Boden küssen, durchdringen Eis und Schnee Ich mußt’ auch heute wandern vorbei in tiefer Nacht, mit meinen heißen Tränen, da hab’ ich noch im Dunkeln die Augen zugemacht. bis ich die Erde seh’. Und seine Zweige rauschten, als riefen sie mir zu: Komm her zu mir, Geselle, hier find’st du deine Ruh’! Wo find’ ich eine Blüte, wo find’ ich grünes Gras? Die kalten Winde bliesen mir grad’ ins Angesicht; Die Blumen sind erstorben, der Hut flog mir vom Kopfe, ich wendete mich nicht. der Rasen sieht so blass. Nun bin ich manche Stunde entfernt von jenem Ort, und immer hör’ ich’s rauschen: Soll denn kein Angedenken Du fändest Ruhe dort! ich nehmen mit von hier? Wenn meine Schmerzen schweigen, wer sagt mir dann von ihr? Wasserflut Mein Herz ist wie erstorben, Manche Trän’ aus meinen Augen kalt starrt ihr Bild darin; ist gefallen in den Schnee; Schmilzt je das Herz mir wieder, seine kalten Flocken saugen fließt auch ihr Bild dahin! durstig ein das heiße Weh. Wenn die Gräser sprossen wollen weht daher ein lauer Wind, und das Eis zerspringt in Schollen und der weiche Schnee zerrinnt. Schnee, du weißt von meinem Sehnen, sag’, wohin doch geht dein Lauf? Folge nach nur meinen Tränen, nimmt dich bald das Bächlein auf. Wirst mit ihm die Stadt durchziehen, muntre Straßen ein und aus; fühlst du meine Tränen glühen, da ist meiner Liebsten Haus. 14 15
Auf dem Flusse Rückblick Der du so lustig rauschtest, du heller, wilder Fluss, Es brennt mir unter beiden Sohlen, wie still bist du geworden, gibst keinen Schedegruß. tret’ ich auch schon auf Eis und Schnee. Ich möcht’ nicht wieder Atem holen, Mit harter, starrer Rinde hast du dich überdeckt, bis ich nicht mehr die Türme seh’. liegst kalt und unbeweglich im Sande ausgestreckt. Hab’ mich an jedem Stein gestoßen, In deine Decke grab’ ich mit einem spitzen Stein so eilt’ ich zu der Stadt hinaus. den Namen meiner Liebsten und Stund’ und Tag Die Krähen warfen Bäll’ und Schlossen hinein. auf meinen Hut von jedem Haus. Den Tag des ersten Grußes, den Tag, an dem ich Wie anders hast du mich empfangen, ging; um Nam’ und Zahlen windet sich ein du Stadt der Unbeständigkeit! zerbroch’ner Ring. An deinen blanken Fenstern sangen die Lerch’ und Nachtigall im Streit. Mein Herz, in diesem Bache erkennst du nun dein Die runden Lindenbäume blühten, Bild? Ob’s unter seiner Rinde wohl auch so reißend die klaren Rinnen rauschten hell, schwillt? Und ach, zwei Mädchenaugen glühten - Da war’s gescheh’n um dich, Gesell! Kommt mir der Tag in die Gedanken, möcht’ ich noch einmal rückwärts seh’n. Möcht’ ich zurücke wieder wanken, vor ihrem Hause stille steh’n. 16 17
Irrlicht Frühlingstraum In die tiefsten Felsengründe Ich träumte von bunten Blumen, lockte mich ein Irrlicht hin. so wie sie wohl blühen im Mai. Wie ich einen Ausgang finde, Ich träumte von grünen Wiesen, liegt nicht schwer mir in dem Sinn. von lustigem Vogelgeschrei. Bin gewohnt das Irregehen, Und als die Hähne krähten, s’führt ja jeder Weg zum Ziel. da ward mein Auge wach. Uns’re Freuden, uns’re Wehen, Da war es kalt und finster, alles eines Irrlichts Spiel! es schrien die Raben vom Dach. Durch des Bergstroms trockne Rinnen Doch an den Fensterscheiben, wind’ ich ruhig mich hinab. wer malte die Blätter da? Jeder Strom wird’s Meer gewinnen, Ihr lacht wohl über den Träumer, jedes Leiden auch sein Grab. der Blumen im Winter sah? Ich träumte von Lieb um Liebe, Rast von einer schönen Maid. Von Herzen und von Küssen, Nun merk’ ich erst wie müd’ ich bin, von Wonne und Seligkeit. da ich zur Ruh’ mich lege; Das Wandern hielt mich munter hin Und als die Hähne krähten, auf unwirtbarem Wege. da ward mein Herze wach. Nun sitz’ ich hier alleine Die Füße frugen nicht nach Rast, und denke dem Traume nach. es war zu kalt zum Stehen; Der Rücken fühlte keine Last, Die Augen schließ’ ich wieder, der Sturm half fort mich wehen. noch schlägt das Herz so warm. Wann grünt ihr Blätter am Fenster? In eines Köhlers engem Haus Wann halt’ ich mein Liebchen im Arm? hab’ Obdach ich gefunden. Doch meine Glieder ruh’n nicht aus, so brennen ihre Wunden. Auch du, mein Herz, in Kampf und Sturm so wild und so verwegen. Fühlst in der Still’ erst deinen Wurm mit heißem Stich sich regen! 18 19
Einsamkeit Der greise Kopf Wie eine trübe Wolke durch heit’re Lüfte geht, Der Reif hatt’ einen weißen Schein wenn in der Tanne Wipfel ein mattes Lüftchen weht, mir übers Haar gestreuet. so zieh’ ich meine Straße dahin mit trägem Fuß, Da glaubt’ ich schon ein Greis zu sein durch helles, frohes Leben einsam und ohne Gruß. und hab’ mich sehr gefreuet. Ach, dass die Luft so ruhig! Ach, dass die Welt so licht! Doch bald ist er hinweggetaut, Als noch die Stürme tobten, war ich so elend nicht. hab’ wieder schwarze Haare, Dass mir’s vor meiner Jugend graut – wie weit noch bis zur Bahre! Vom Abendrot zum Morgenlicht ward mancher Kopf zum Greise. Wer glaubt’s? Und meiner ward es nicht auf dieser ganzen Reise! Die Post Die Krähe Von der Straße her ein Posthorn klingt. Eine Krähe war mit mir Was hat es, dass es so hoch aufspringt, mein Herz? aus der Stadt gezogen, Die Post bringt keinen Brief für dich. ist bis heute für und für Was drängst du denn so wunderlich, mein Herz? um mein Haupt geflogen. Nun ja, die Post kommt aus der Stadt, Krähe, wunderliches Tier, wo ich ein liebes Liebchen hat, mein Herz! willst mich nicht verlassen? Willst wohl einmal hinüberseh’n Meinst wohl, bald als Beute hier Und fragen, wie es dort mag geh’n, mein Herz? meinen Leib zu fassen? Nun, es wird nicht weit mehr geh’n an dem Wanderstabe. Krähe, lass mich endlich seh’n Treue bis zum Grabe! 20 21
Letzte Hoffnung Der stürmische Morgen Hie und da ist an den Bäumen Wie hat der Sturm zerrissen manches bunte Blatt zu seh’n, des Himmels graues Kleid! und ich bleibe vor den Bäumen Die Wolkenfetzen flattern oftmals in Gedanken steh’n. umher im matten Streit. Schaue nach dem einen Blatte, Und rote Feuerflammen hänge meine Hoffnung dran; zieh’n zwischen ihnen hin. spielt der Wind mit meinem Blatte, Das nenn’ ich einen Morgen zittr’ ich, was ich zittern kann. so recht nach meinem Sinn! Ach, und fällt das Blatt zu Boden, Mein Herz sieht an dem Himmel fällt mit ihm die Hoffnung ab. Gemalt sein eig’nes Bild. Fall’ ich selber mit zu Boden, Es ist nichts als der Winter, wein’ auf meiner Hoffnung Grab. der Winter kalt und wild! Im Dorfe Täuschung Es bellen die Hunde, es rasseln die Ketten; Ein Licht tanzt freundlich vor mir her, es schlafen die Menschen in ihren Betten. ich folg’ ihm nach die Kreuz und Quer. Träumen sich manches, was sie nicht haben, Ich folg’ ihm gern und seh’s ihm an, tun sich im Guten und Argen erlaben. dass es verlockt den Wandersmann. Ach! wer wie ich so elend ist, Und morgen früh ist alles zerflossen. gibt gern sich hin der bunten List. Je nun, sie haben ihr Teil genossen. Die hinter Eis und Nacht und Graus Und hoffen, was sie noch übrig ließen, ihm weist ein helles, warmes Haus. doch wieder zu finden auf ihren Kissen. Und eine liebe Seele drin. – Nur Täuschung ist für mich Gewinn! Bellt mich nur fort, ihr wachen Hunde, lasst mich nicht ruh’n in der Schlummerstunde! Ich bin zu Ende mit allen Träumen. Was will ich unter den Schläfern säumen? 22 23
Der Wegweiser Mut Was vermeid’ ich denn die Wege, Fliegt der Schnee mir ins Gesicht, wo die ander’n Wand’rer geh’n? schüttl’ ich ihn herunter. Suche mir versteckte Stege, Wenn mein Herz im Busen spricht, durch verschneite Felsenhöh’n? sing’ ich hell und munter. Habe ja doch nichts begangen, Höre nicht, was es mir sagt, dass ich Menschen sollte scheu’n, - habe keine Ohren. welch ein törichtes Verlangen Fühle nicht, was es mir klagt, treibt mich in die Wüstenei’n? klagen ist für Toren. Weiser stehen auf den Straßen, Lustig in die Welt hinein weisen auf die Städte zu. Gegen Wind und Wetter! Und ich wandre sonder Maßen Will kein Gott auf Erden sein, ohne Ruh’ und suche Ruh’. sind wir selber Götter! Einen Weiser seh’ ich stehen unverrückt vor meinem Blick; eine Straße muss ich gehen, die noch keiner ging zurück. Das Wirtshaus Die Nebensonnen Auf einen Totenacker hat mich mein Weg gebracht; Drei Sonnen sah ich am Himmel steh’n, allhier will ich einkehren, hab’ ich bei mir gedacht. hab’ lang und fest sie angeseh’n; Ihr grünen Totenkränze könnt wohl die Zechen sein, Und sie auch standen da so stier, die müde Wand’rer laden ins kühle Wirtshaus ein. als wollten sie nicht weg von mir. Sind denn in diesem Hause die Kammern all’ Ach, meine Sonnen seid ihr nicht! besetzt? Bin matt zum Niedersinken, Schaut ander’n doch ins Angesicht! bin tödlich schwer verletzt. Ja, neulich hatt’ ich auch wohl drei; Unbarmherz’ge Schenke, doch weisest du mich ab? nun sind hinab die besten zwei. Nun weiter denn, nur weiter, mein treuer Wanderstab! Ging nur die dritt’ erst hinterdrein! Im Dunkel wird mir wohler sein. 24 25
Der Leiermann Drüben hinterm Dorfe steht ein Leiermann Und mit starren Fingern dreht er was er kann. Barfuß auf dem Eise wankt er hin und her Und sein kleiner Teller bleibt ihm immer leer. Keiner mag ihn hören, Keiner sieht ihn an, und die Hunde knurren um den alten Mann. Und er lässt es gehen, alles wie es will, dreht, und seine Leier steht ihm nimmer still. Wunderlicher Alter! Soll ich mit dir geh’n? Willst zu meinen Liedern deine Leier dreh’n? Veranstaltungshinweis 06. Dezember 2019, 20.00, BASF-Feierabendhaus Jean Rondeau, Cembalo & Ensemble Werke der Familie Bach Konzerteinführung 29. November 2019, 19.00, Kammermusiksaal Wolfgang-Armin Rittmeier 26
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