Schule leiten. Wandel gestalten - nds-zeitschrift.de

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9-2016

                                                                                          Studienabschlüsse: Quote stagniert
                                                                                          Fachzentren für schulische Inklusion
                                                                                          Der Islam in Schule und Unterricht
                                                                                          GEW-aktiv 2016: Stark gegen Rechts
                                                                                          Besoldung vor Gericht: A 13 für alle!
                                             DIE ZEITSCHRIFT DER BILDUNGSGEWERKSCHAFT     Eckpunkte für ein neues Kita-Gesetz

                                                                                           Schule leiten.
                                                                                        Wandel gestalten.
68. Jahrgang September 2016 ISSN 0720-9673
K 5141
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GEW-aktiv 2016

Blaupause
Rund 250 aktive GEW-KollegInnen aus ganz NRW trafen        auch mit AfD-WählerInnen im Gespräch bleiben, um
sich am 2. und 3. September 2016 zu GEW-aktiv in Aachen.   ein Umdenken einzuleiten. Wir rücken kein Stück von
„Blaupause“ lautete das Motto der Tagung: Was kann         unseren sozialen Überzeugungen ab und unterstützen
die GEW NRW für die aktuellen bildungs- und gewerk-        Minderheiten – erst recht, wenn wir unsere politischen
schaftspolitischen Herausforderung von anderen lernen?     Forderungen für die Landtagswahlen formulieren“, betonte
Angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen stand vor     die Landesvorsitzende Dorothea Schäfer. In Workshops
allem der Umgang mit Rechts im Fokus. Im Plenum am         stimmten sich die KollegInnen am zweiten Tag auf die
ersten Tag von GEW-aktiv berichteten GewerkschafterInnen   zentralen Themen der Bildungsgewerkschaft im Schuljahr
aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden von       2016 / 2017 ein und nahmen handfeste Anregungen
ihren Erfahrungen mit rechtspopulistischen Parteien im     für ihre Arbeit vor Ort mit – von der Aktivierung junger
Wahlkampf. Die GEW NRW wird sich wappnen für die           Mitglieder bis zur Tarifarbeit.                     hei
Landtagswahlen im Frühjahr 2017. „Dabei müssen wir                   Fotos: Haifischbaby, K. Kaminski, P. Huerkamp
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nds 9-2016 3

Pädagogische Führung mit Biss

                                                                                                                                       Foto: M. Kottmeier, K-film
   SchulleiterInnen bewegen sich im Spannungsfeld zwischen einem klugen Kollegium, anspruchs-
vollen Eltern, pubertären SchülerInnen und einem fordernden Ministerium. Diese konflikthafte
Dauerberieselung bewältigen sie für ein eher homöopathisches Mehrgehalt. SchulleiterInnen sind
wahre IdealistInnen! Wer in diesem Spannungsfeld bestehen will, braucht nicht allein Fairness
und Teamgeist, sondern auch Durchsetzungsstärke und Biss. Entsprechend gelten 80 Prozent
Gutmensch plus 20 Prozent Mephisto als das ideale Führungsprofil.
Die Peperoni-Strategie
   Pädagogische Führungskräfte, die diesem Ideal folgen, laufen weniger Gefahr Opfer von zer-
                                                                                                        Prof. Dr. phil. Jens Weidner
mürbenden Machtspielen zu werden. Warum? Wenn Ihr Kollegium weiß, dass Sie nicht nur nett
sind, sondern auch zubeißen können, sofern die Situation es erfordert, werden sie sich zwei Mal         Professor für Erziehungswis-
überlegen, ob sich die Auseinandersetzung mit Ihnen lohnt. Diese gesunde Durchsetzungsstärke            senschaft an der Hoch-
wird Peperoni-Strategie genannt. Die Peperoni symbolisiert den angemessenen Schärfegrad, mit            schule für Angewandte
dem man als Führungskraft weder zu harmlos, noch übertrieben scharf agiert. Die Strategie basiert       Wissenschaften Hamburg
auf Grundregeln. Wer sie beachtet, wird sich besser behaupten können und weniger Burn-Out               www.prof-jens-weidner.de
gefährdet sein, weil sie der eigenen Psyche gut tut.
1. Unterlassen Sie chancenlose Kraftproben! Bevor Sie in eine Auseinandersetzung gehen, prü-
   fen Sie die Gewinnchance. Liegt diese bei 51 Prozent, lohnt es sich einzusteigen. Sollten die
   Erfolgsaussichten schwächer sein, lassen Sie die Finger davon. Ziehen Sie das Projekt erst dann
   wieder aus der Schublade, wenn die Zeichen auf Erfolg stehen.
2. Positionieren Sie sich! Wenn die anderen wissen, woran sie bei Ihnen sind, stellen sie sich darauf
   ein. Das erleichtert Führung. Sie sind die Leitung. Sie verraten Ihre Grundeinstellungen und
   alle wissen, woran sie sind. Teams begrüßen diese Klarheit, selbst wenn sie nicht Ihre Meinung
   teilen sollten.
3. Meiden Sie Dauer-BedenkenträgerInnen! Wer sich mit dieser Gruppe umgibt – die nie zufrieden
   zu stellen ist – wird im Job verzweifeln. Die Larmoyanten einzubeziehen hilft niemandem, scha-
   det aber Ihrer eigenen Reputation, weil nicht der Eindruck von Hilfsbereitschaft, sondern von
   Solidarität mit den ewig Jammernden entsteht. Das ist das Gegenteil einer Win-Win-Strategie.
4. Pflegen Sie Ihre Einstecker-Qualität! Wer sich durchsetzen will, stößt unvermeidlich auf
   Widerstand. Das kann schmerzhaft sein, weil die Gegenwehr bevorzugt auf Ihre Schwachstellen
   zielt. Davon sollten Sie sich nicht irritieren lassen, denn es ist Teil des Machtspiels. Außerdem
   erfahren Sie auf diese Weise, auf wen Sie künftig nicht setzen sollten, denn diese KollegInnen
   werden sich auch in Zukunft kaum loyal verhalten.
5. Reagieren Sie sofort auf negative Gerüchte, die über Sie kursieren! Wenn Ihnen Anspielungen
   über Sie zu Ohren kommen, müssen Sie schnell reagieren, denn bevor Sie von Gerüchten er-
   fahren, hat bereits das ganze Kollegium davon gehört. Gerüchte schwächen Ihre Position und
   es bleibt häufig etwas hängen. Dies gilt besonders für vermeintlich harmlose, weil absurde
   Gerüchte, die zum Beispiel Ihre Unzuverlässigkeit oder fehlende Seriosität betreffen.
6. Führen Sie regelmäßig GegenspielerInnen-Analysen durch! Fragen Sie sich in Abständen, wer
   Sie im Team zwar immer anlächelt, aber faktisch gegen Sie agiert und auch die beste Idee zu
   Grabe trägt. Erwarten Sie von diesen Personen nichts. So werden Sie auch nicht enttäuscht.
Beherrschen Sie Machtspiele – aber nur, wenn Sie sie brauchen
Gut, wenn Sie diese Grundregeln beherrschen, denn auch im pädagogischen Umfeld werden Sie
sie brauchen. Aber vergessen Sie nicht: Agieren Sie Machtspiele nicht mit Menschen aus, die
kollegial sind und mit denen Sie in konstruktiven Gesprächen zu guten Lösung gelangen können.
Diese KollegInnen sollten in den Genuss Ihrer wohlschmeckenden Paprikasanftheit kommen. Die
scharfen 20 Prozent bleiben für die anderen reserviert. //
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4 INHALT

THEMA
BLICKPUNKT*
Schule leiten. Wandel gestalten.
Schulleitung in Zeiten von
Schulstrukturveränderung:
Mit Engagement und Mut
durch den Wandel                  18
Schulleitungspersönlichkeit:
Kooperativ, engagiert,
vorbildlich, kompetent            20
Schulleitung braucht bessere            S. 17
Rahmenbedingungen:
Endlich entschlossen handeln      22
Serviceangebote: Orientierung
fürs Leitungsamt                  24

                                        S. 8

                                        Bochumer Memorandum 2011 bis 2017 –
                                        Studienabschlüsse: Die Quote stagniert      8
                                        Fachzentren für Inklusion:
BILDUNG                                 Die 110 für die schulische Inklusion
                                        Im Gespräch mit Dr. Klaus Spenlen: Selbst
                                                                                     10

                                        kennenlernen, was junge MuslimInnen prägt   12
                                        Schulpolitik im Zeichen der Landtagswahl:
                                        Verlorene Jahre                             14
                                        WeltlehrerInnentag 2016: Valuing Teachers,
                                        Improving their Status                      15
                                        Im Gespräch mit George Dias: Geflüchtete
                                        sind keine Außerirdischen                   16
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nds 9-2016 5

         ARBEITSPLATZ
        GEW-aktiv 2016: Rechts-
        populismus die Stirn bieten                        26
        Musterklagen für eine faire
        Besoldung: A 13 für alle!                          28
        Besoldung von LehrerInnen
        an Grundschulen und in der
        Sekundarstufe I: JA 13 – weil
        sie es verdienen!                                  29
        Forderungen der GEW NRW
S. 28   für ein neues Kita-Gesetz:
        Neuanfang nach KiBiz?                              30

        Dieser nds liegt der Prämienflyer „Gemeinsamkeit
        stärkt!“ der GEW NRW bei. Für TV-L-Beschäftigte ist
        außerdem das Faltblatt „Gemeinsam mehr erreichen.
        Tarifkonferenz zur Vorbereitung der Länder-Tarifrunde
        (TV-L) 2017“ beigelegt. Sollte eine der Beilagen in Ihrer
        Ausgabe versehentlich fehlen, geben Sie uns gern Be-
        scheid unter poststelle@gew-nrw.de.

S. 30

        IMMER IM HEFT
           nachrichten6
           buchtipps25
           jubilare32
           weiterbildung33
           infothek34
           termine38
S. 16      impressum39
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6 NACHRICHTEN

Potenzieller Führungsnachwuchs ist weiblich
                                                                                                                                        Wer über die Schulleitungen der Zukunft spricht, kommt an Frauen
  Frauenanteil an Lehrkräften in NRW                                                                                                 nicht vorbei. Denn ihr Anteil in den Kollegien der allgemeinbildenden
  nach Altersgruppen                                                                                                                 Schulen in NRW ist hoch und der Überblick über die letzten fünf Schul-
                                                                                                                                     jahre zeigt: Tendenziell steigt der Frauenanteil weiter. Vor allem in den
                                         75.834

    Schuljahr                                                     Schuljahr                                                          jüngeren Altersgruppen sind besonders viele Frauen vertreten: Im Schuljahr
    2010 / 2011                                                   2015 / 2016                                                        2015 / 2016 lag der Frauenanteil bei den unter 35-jährigen Lehrkräften

                                                                                                            61.727
                                                                                                                                     bei rund 77 Prozent, also um acht Prozentpunkte höher als in der Gruppe

                                                                                               60.084
                                                  48.968 64,6 %

                                                                                                                                     der über 49-Jährigen. In der Lebensphase zwischen 35 und 49 Jahren,

                                                                                    43.236 72,0 %
                                53.109

                                                                                                                     42.591 69,0 %
                                                                                                                                     in der in der Regel die Entscheidung für ein Leitungsamt fällt, betrug
                      37.631 70,9 %

                                                                                                                                     der Frauenanteil circa 72 Prozent – an den Grundschulen in NRW sogar
                                                                                                                                     91,6 Prozent. Um die Potenziale dieser Frauen besser zu nutzen und sie
                                                                    26.142 77,1 %
                                                                         33.917

                                                                                                                                     auf dem Weg ins Leitungsamt zu unterstützen, braucht es Teilzeitmodelle
      20.771 77,8 %

                                                                                                                                     für Schulleitung, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern.
          26.686

                                                                                                                                     Und es braucht eine Besoldungsstruktur, die die Gleichwertigkeit pädago-
                                                                                                                                     gischer Ausbildung und Arbeit über alle Schulformen hinweg anerkennt,
      u. 35*          35–49*                ü. 49*                  u. 35*          35–49*                     ü. 49*
                                                                                                                                     auch im Leitungsamt und gerade in frauendominierten Schulformen wie
                                                                                                                                     der Grundschule, in der aktuell viele Leitungsstellen nicht besetzt sind.
    *Alter in Jahren                        LehrerInnen insgesamt                                       Lehrerinnen
                                                                                                                                     Mehr zum Thema ab Seite 17.hei
Quelle: IT.NRW, Lehrkräfte nach Alter 2010 und 2015 (Gemeindeergebnisse)

                                                                  Ausbildung 2016                                                    LehrerInnenmangel an Grundschulen
                                                                     Die Ergebnisse des elften bun-                                     Zum Schuljahresbeginn 2016 / 2017 waren rund 400 LehrerInnenstellen
              Begreifen                                           desweiten Ausbildungsreports der                                   an Grundschulen unbesetzt. Hinzu kommen zahlreiche Vertretungsstellen,
          zum Eingreifen                                          DGB-Jugend unterstreichen, dass                                    die nicht durch ausgebildete LehrerInnen besetzt werden konnten. Die
                                                                  die Ausbildungsqualität nur mit                                    Folgen: Unterrichtsausfall und eine hohe Arbeitsbelastung jener Kolle-
                                                  www.
 Schulen im Würgegriff                                            einer Novellierung des Ausbildungs-                                gInnen, die unbesetzte Stellen auffangen müssen. Die akute Notlage
 www.tinyurl.com/nds-schulen                                      gesetzes gesteigert werden kann.                                   veranlasste NRW-Staatssekretär Ludwig Hecke dazu, in einer Schulmail
 „Wir haben es mit einem ‚Vater                                   Zwar sind die meisten Auszubilden-                                 um die Unterstützung der Schulleitungen zu bitten: Sie sollen KollegInnen
 Staat‘ zu tun, der in einer sehr                                 den (71,7 Prozent) zufrieden – es                                  ihrer Schule dafür gewinnen, Teilzeitverträge aufzustocken oder die
 bevormundenden Weise deutlich                                    gibt aber erhebliche Branchenunter-                                Lebensarbeitszeit zu verlängern. Die GEW NRW hat in einem Gespräch
 mehr fordert als fördert“, sagt
 Magda von Garrel, Sonderpäda-                                    schiede und Missstände wie Mehr-                                   mit dem Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW bekräftigt,
 gogin und Buchautorin, über die                                  arbeit, fehlende fachliche Anleitung                               dass diese Notmaßnahmen nur mit dem Einverständnis der betroffenen
 Finanzierung von Schulen.                                        oder Ausbildungspläne. Befragt                                     LehrerInnen und unter der Voraussetzung der Freiwilligkeit umgesetzt
                                                                  wurden 13.603 Auszubildende.                                       werden dürfen. Um dem LehrerInnenmangel langfristig entgegenzuwirken
                                                  www.
 Privatisierung von Bildung                                       Download unter www.tinyurl.com/                                    fordert die GEW NRW unter anderem die Erhöhung der Studienplätze
 www.tinyurl.com/un-                                              Ausbildungsreport-2016          krü                               für das Lehramt Grundschule und die Aufwertung des Lehramtes. rb
 resolution-bildung Der Men-
 schenrechtsrat der Vereinten
 Nationen hat eine historische
                                                                  45,6 Jahre                                                         Schule gegen sexuelle Gewalt
 Resolution beschlossen: Mit
                                                                     Das Durchschnittsalter der                                         Am 19. September 2016 startete in NRW die neue bundesweite Initiative
 Zustimmung aller 47 Mitglieds-
 staaten wurde festgeschrieben,                                   155.728 hauptamtlichen und                                         „Schule gegen sexuelle Gewalt“, die bis Ende 2018 auch in allen anderen
 dass Staaten private Bildungs-                                   hauptberuflichen Lehrkräfte an                                     Bundesländern anlaufen wird. Die Initiative unterstützt die über 30.000
 träger stärker regulieren sollten.                               den allgemeinbildenden Schulen                                     Schulen in Deutschland, Konzepte zum Schutz vor sexueller Gewalt zu
                                                  www.
                                                                  in Nordrhein-Westfalen lag im                                      entwickeln und zum gelebten Schulalltag werden zu lassen. Ziel ist es,
 Demokratie in Bewegung                                           Schuljahr 2015 / 2016 bei 45,6                                     Unsicherheiten abzubauen und Mädchen und Jungen durch Prävention
 www.tinyurl.com/demokratie-                                      Jahren. In der Altersgruppe der                                    und Intervention besser zu schützen und ihnen schneller Hilfen anzubieten.
 in-bewegung Rechtspopulis-                                       30- bis unter 35-Jährigen stieg                                    Zur fachlichen Unterstützung wurden eine Infomappe für Schulleitungen
 tInnen profitieren von sozialer                                  der Anteil der LehrerInnen an der                                  und Lehrkräfte sowie das Fachportal www.schule-gegen-sexuelle-gewalt.
 Unzufriedenheit und kulturellem
 Unbehagen. Warum der Erfolg
                                                                  gesamten Lehrerschaft von 10,5                                     de entwickelt. „Schule gegen sexuelle Gewalt“ ist eine Initiative des Miss-
 der AfD vom Handeln der ande-                                    (2010 / 2011) auf 14,8 Prozent an.                                 brauchsbeauftragten der Bundesregierung in Kooperation mit den 16
 ren Parteien abhängt, beschreibt                                 Bei den 55- bis unter 60-Jährigen                                  Kultusministerien. Unterstützt wird die Initiative von den Freien Schulträ-
 der Politikwissenschaftler Karl-                                 war hingegen ein Rückgang zu                                       gern, dem Bundeselternrat, Lehrerverbänden, dem Betroffenenrat sowie
 Rudolf Korte.
                                                                  verzeichnen.        krü / IT.NRW                                  den Gewerkschaften, darunter auch die GEW.                            hei
Schule leiten. Wandel gestalten - nds-zeitschrift.de
nds 9-2016 7

                                                                               Herzlich willkommen!
                                                                                  Seit August 2016 unterstützt Pia Huerkamp
                                                                               den Organisationsbereich Jugendbildung der GEW
                                                                               NRW. Die 22-Jährige studiert Erziehungswissen-
                                                                               schaften im fünften Semester an der Universität
                                                                               Duisburg- Essen und möchte durch ihr Praktikum
                                                                               die Besonderheiten der gewerkschaftlichen Arbeit
                                                                               kennenlernen. Im Jugendbildungsreferat sammelt
Foto: Marco Dresdner

                                                                               sie neue Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Jugendlichen und jungen
                                                                               Erwachsenen und bringt eigene Ideen sowie Vorstellungen ein. Sowohl
                                                                               das Wochenende bei GEW-aktiv als auch die Fortbildungsveranstaltung
                                                                               „Senkrechtstart“ haben Pia Huerkamp bereits einen vielseitigen Einblick
                                                                               in die Arbeit der Bildungsgewerkschaft gegeben.
17. September 2016, Köln: 55.000 Menschen demonstrieren gegen TTIP und CETA.

320.000 gegen TTIP und CETA                                                    Übergangsquoten 2015 / 2016
   Ausnahmezustand in Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt am Main, Leip-             Die meistgewählte Schulform beim Übergang von der Grundschule
zig, Stuttgart und München: Bundesweit gingen am 17. September 2016            zur weiterführenden Schule in NRW war im Schuljahr 2015 / 2016 mit
320.000 Menschen gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA auf               41,2 Prozent das Gymnasium, gefolgt von der Gesamtschule mit 26,2
die Straße. „Wir sagen ‚Nein‘ zu einem globalen ‚Social Dumping‘. Wir          Prozent und der Realschule mit 21,0 Prozent. Das belegt die aktuelle
sagen ‚Ja‘ zu einem fairen und nachhaltigen Welthandel“, verkündete            Broschüre „NRW (ge-)zählt: Schulen in Nordrhein-Westfalen” von IT.NRW.
Peter Scherrer, stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Ge-         Die Entwicklung der Übergangsquoten in den letzten zehn Jahren zeigt:
werkschaftsbundes (EGB), in Berlin. Das zivilgesellschaftliche Bündnis von     Mit der Einführung der Sekundarschule in NRW im Schuljahr 2012 / 2013
bundesweit mehr als 30 Organisationen fordert, die Verhandlungen zu            und der gleichzeitigen Stärkung der Gesamtschulen hat sich das Schul-
TTIP offiziell zu beenden und CETA weder zu ratifizieren noch anzuwenden.      wahlverhalten erheblich verändert. Das Gymnasium wurde weiterhin bei
Das Abkommen mit Kanada dürfe in keinem Fall vorläufig angewendet              einem gleich bleibenden Anteil von 41 Prozent am häufigsten gewählt.
werden, bevor die nationalen Parlamente darüber abgestimmt haben.              Am zweithäufigsten entschieden sich Familien im Schuljahr 2015 / 2016
Die Ergebnisse der EU-Handelsministerkonferenz am 23. September in             für die Gesamtschule, die damit die Realschule von Platz 2 verdrängte.
Bratislava lagen bis zum Redaktionsschluss nicht vor.          krü / DGB      Die Sekundarschule hat bereits zwei Jahre nach ihrer Einführung die
                                                                               Hauptschule bei der Zahl der Neueintritte überholt, deren Anteil in-
                                                                               nerhalb von zehn Jahren um rund drei Viertel zurückgegangen ist. Die
Jedes vierte U3-Kind in Betreuung                                              Broschüre beleuchtet außerdem Themen wie Einschulungen, Übergänge
   Anfang März 2016 nahmen in NRW 122.774 Kinder unter drei Jah-               zu weiterführenden Schulen, Betreuungsangebote, Inklusion, SchülerInnen
ren ein Angebot der Kindertagesbetreuung in Anspruch. Das sind 4,6             mit Zuwanderungsgeschichte und Schulabschlüsse. www.tinyurl.com/
Prozent mehr als ein Jahr zuvor und insgesamt 25,7 Prozent gemessen            IT-NRW-Schullandschaft                                    hei / IT.NRW
an der Gesamtzahl der U3-Kinder. Die Betreuungsquoten erhöhen sich
mit steigendem Alter: 1,6 Prozent waren unter einem Jahr, 22,8 Prozent         Übergangsquoten von den Grundschulen zu ausgewählten
waren ein Jahr und 54 Prozent zwei Jahre alt.            krü / IT.NRW         weiterführenden Schulen (2010 / 2011 bis 2015 / 2016)

                                                                                 45
Vollverschleierung im Unterricht
                                                                                 40                                                                         Gymnasium
   Eine volljährige muslimische Schülerin hatte beim Verwaltungsgericht
                                                                                 35
Osnabrück Klage eingereicht und wollte durchsetzen, mit einer Vollver-
schleierung (Niqab) am Unterricht eines Abendgymnasiums teilnehmen               30

zu können. Das Gericht hat der Klage Ende August 2016 in Abwesenheit             25                                                                    Gesamtschule
der Schülerin nicht stattgegeben. Inzwischen ist die Entscheidung rechts-
kräftig, da kein Widerspruch eingelegt wurde. Der Landesvorstand der             20                                                                         Realschule
GEW NRW reagierte auf das Urteil und beschloss mit großer Mehrheit               15
ein Positionspapier, das unter der Überschrift „Schule braucht ein offenes
                                                                                 10
Gesicht“ feststellt: „Aus Sicht der GEW NRW widerspricht es dem staatlichen                                                                          Sekundarschule
Bildungsauftrag der Schulen, wenn Schülerinnen mit Niqab oder Burka               5
am Unterricht teilnehmen wollen. (...) Pädagogische Kommunikation und                                                                                   Hauptschule*
                                                                                  0
Interaktion mit anderen Schüler*innen, den Lehrer*innen und den Eltern                2010 / 2011   2011 / 2012   2012 / 2013   2013 / 2014   2014 / 2015   2015 / 2016
erfordern das offene Gesicht.“ Positionspapier zum Download www.tinyurl.       * einschließlich Sekundarbereich I der Volksschule
com/LV-Position-Vollverschleierung. Mehr zum Thema ab Seite 12.ds             Quelle: IT.NRW, NRW (ge-)zählt: Schulen in Nordrhein-Westfalen
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8 BILDUNG

Bochumer Memorandum 2011 bis 2017: Studienabschlüsse

Die Quote stagniert

Zu den Zielen, die der nordrhein-westfälischen Bildungspolitik im Bochumer                            StudienanfängerInnenquote des Jahres 2009
Memorandum für die „nachhaltige Verbesserung der Bildungsteilhabe und des                             von damals 44 Prozent. Wenn man diese „Er-
Übergangs von der Schule in Ausbildung und Arbeit“ bis zum Jahr 2015 gesetzt                          folgsquote“ konstant hält, so folgt aus der An-
wurden, zählt eine Steigerung der Studienabschlussquote auf den OECD-Durch-                           fängerInnenquote des Jahres 2014 in Höhe von
schnittswert von – im Jahr 2008 – 38 Prozent. Auch wenn derzeit nur die Daten                         59,6 Prozent fünf Jahre später – also 2019 – eine
für das Abschlussjahr 2014 verfügbar sind, lässt sich schon jetzt feststellen, dass                   Absolventenquote von 41,7 Prozent.
dieses Ziel bis 2015 mutmaßlich nicht erreicht werden konnte.                                            Insgesamt lässt sich daher – bei aller Vergrö-
                                                                                                      berung, die diesem Rechenansatz eigen ist –
   Ein Blick in die Daten, die Information und     Erststudiums zur Gruppe der Bildungsauslän-        zusammenfassend schließen: Aufgrund der
Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW) aktu-         derInnen zu zählen sind. Wenn man diesen           bisherigen Stagnation gilt: Das 38-Prozent-
ell bietet, macht deutlich, wie weit das Land      Anteil auf Nordrhein-Westfalen überträgt, so       Ziel wurde bis 2015 mit Sicherheit verfehlt.
noch von dem 38-Prozent-Ziel entfernt ist (siehe   liegt die Studienabschlussquote der deutschen      Zugleich aber lässt die unverkennbare Steigerung
Tabelle 1).                                        Studierenden und der BildungsinländerInnen –       der StudienanfängerInnenzahlen während der
                                                   das sind ausländische Studierende, die ihre        vergangenen Jahre erwarten, dass dieses Ziel
Kaum Veränderungen in NRW
                                                   Studienberechtigung in Deutschland erworben        gegen Ende des Jahrzehnts erreicht oder sogar
   Ausweislich dieser Daten erreichten 2014        haben – gerade einmal bei 29,6 Prozent.            übertroffen sein wird.
insgesamt 30,8 Prozent einen ersten Studien-          Betrachtet man die Entwicklung der Studien-
abschluss an Universitäten, Fachhochschulen,                                                          Akademische Bildung in der Krise?
                                                   abschlussquote – unter Vernachlässigung der
Verwaltungsfachhochschulen, Kunst- und Musik-      in sie eingehenden Zahlen der Bildungsauslän-         Über das Ziel, die StudienanfängerInnen- und
hochschulen oder Theologischen Hochschulen.        derInnen – während der vergangenen Jahre, so       damit die AbsolventInnenquoten zu steigern,
Dieser Prozentwert gibt den Anteil derer an        stellt man fest, dass diese Quote zumindest seit   gibt es deutschlandweit spätestens seit 2014
der altersentsprechenden Gesamtbevölkerung         2009 um 31 Prozent schwankt, dass sie also         eine kontroverse Diskussion: Damals veröffent-
wieder, die einen ersten Studienabschluss er-      unbestreitbar stagniert.                           lichte der Münchener Philosoph und frühere
reichen konnten.                                                                                      Kulturstaatsminister im ersten Kabinett Gerhard
   Bei der Bewertung der Studienabschlussquote     Bessere Aussichten für die Zukunft                 Schröders Julian Nida-Rümelin sein Buch „Der
als Indikator für das Bochumer Memorandum             Zugleich lässt allerdings die Entwicklung der   Akademisierungswahn. Zur Krise beruflicher und
muss berücksichtigt werden, dass die Statistik     StudienanfängerInnenzahlen für die kommenden       akademischer Bildung“. In dieser Schrift beklagt
der Studienabschlüsse keine Auskunft darüber       Jahre einen deutlichen Anstieg der Absolven-       er eine Vernachlässigung der beruflichen Bildung
gibt, in welchem Umfang unter den Absolven-        tInnenquote erwarten. Wenn man vereinfachend       und eine damit einhergehende Beschädigung der
tInnen ausländische Studierende sind – so-         für den Durchschnitt der unterschiedlichen         akademischen Bildung, bei der er Beliebigkeit
genannte BildungsausländerInnen –, die ihre        Studiengänge der einbezogenen Hochschulen          und Verflachung wahrzunehmen glaubt.
Studienberechtigung im Ausland erworben            eine Studiendauer von fünf Jahren unterstellt,        Auch wenn hier nicht der Platz zu einer
haben. Für Deutschland insgesamt gibt der          so ergibt sich für den AbsolventInnenjahrgang      gründlichen Auseinandersetzung mit Julian
Bildungsbericht „Bildung in Deutschland 2016“      des Jahres 2014: Die AbsolventInnenquote           Nida-Rümelins Thesen ist, die zunehmend von
an, dass vier Prozent der AbsolventInnen eines     von 30,8 Prozent entspricht 70 Prozent der         PolitikerInnen der unterschiedlichen Parteien
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nds 9-2016 9

          Fotos: morgan_studio / iStock.com, suze, owik2 / photocase.de

geteilt werden, soll in diesem Zusammenhang
                                                                                                      Tabelle 1:
doch auf zwei aktuelle Untersuchungen aus dem
                                                                                                      Studienanfangs- und -abschlussquote in NRW von 2009 bis 2014
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
der Bundesagentur für Arbeit (IAB) aufmerksam                                                                                     StudienanfängerInnen*                                 AbsolventInnen
gemacht werden: In der Untersuchung „Quali-                                                                 Jahr                                     in % eines                                    in % eines
                                                                                                                               absolut                                          absolut
fikationsspezifische Arbeitslosenquoten“ vom                                                                                                      Altersjahrgangs                               Altersjahrgangs
Dezember 2015 wird gezeigt, dass das Risiko,                                                                2014               119.396                   59,6                   66.170                   30,8
arbeitslos zu werden, mit der Höhe der beruf-                                                               2013               107.597                   53,3                   63.571                   30,0
lichen Qualifikation deutlich sinkt (siehe Tabelle                                                          2012               116.280                   56,8                   63.828                   30,6
2). In einer weiteren Untersuchung des IAB aus                                                              2011               118.454                   57,4                   64.510                   31,4
dem Jahr 2016 mit dem Titel „Berufsspezifische                                                              2010               97.110                    46,9                   63.701                   31,3
Lebensentgelte – Qualifikation zahlt sich aus“
                                                                                                            2009               90.733                    44,0                   63.726                   31,3
wird gezeigt, dass die durchschnittlichen Brutto-
Lebensentgelte bei den Beschäftigten mit der                                                          * Bereinigt um die G8-Effekte
Höhe ihrer Qualifikation stark ansteigt (Tabelle                                                      Quelle: IT.NRW, Hochschulindikatoren
3). Angesichts dieser Befunde ist eine Politik,
die den Zugang zu Hochschulen und damit zu
Hochschulabschlüssen drosseln will, zynisch –                                                         Tabelle 2:
zumal wenn sie von AkademikerInnen kommt. //                                                          Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und beruflicher Qualifikation

                                                                                                      Berufliche                     Ohne               Berufliche           Fachhochschul-       Universitäts-
                                                                                                      Qualifikation               Ausbildung            Ausbildung*            abschluss            abschluss
www.     IT. NRW: Hochschulindikatoren                                                                Arbeitslosenquo-
                                                                                                                                      19,9                   4,9                      2,7                 2,5
         www.tinyurl.com/Hochschulindikatoren                                                         ten 2014 in %
         IAB: Qualifikationsspezifische Arbeitslo-                                                    * Betriebliche Ausbildung, Berufsfachschule, Fachschul-, Meister- und Technikerausbildung
PDF      senquoten
         www.tinyurl.com/IAB-Arbeitslosenquoten                                                       Quelle: IAB, Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten (2015)

         IAB: Berufsspezifische Lebensentgelte –
PDF      Qualifikation zahlt sich aus
         www.tinyurl.com/IAB-Lebensentgelte
                                                                                                      Tabelle 3:
                                                                                                      Zusammenhang von Brutto-Lebensentgelt und beruflicher Qualifikation
                                                                          Prof. em. Dr. Klaus Klemm   Berufliche                          Hochschul-                     Berufsaus-              Ohne Berufs
                                                                          Bildungsforscher            Qualifikation                       abschluss                       bildung                 ausbildung
                                                                                                      Brutto-Lebensentgelt
                                                                                                                                              2,37                         1,51                     1,29
                                                                                                      in Mio. Euro

                                                                                                      Quelle: IAB, Berufsspezifische Lebensentgelte – Qualifikation zahlt sich aus (2016)
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10 BILDUNG

Fachzentren für Inklusion

Die 110 für die
schulische Inklusion
Seit zwei Jahren wird gemäß des 9. Schulrechts-
änderungsgesetzes die Inklusion an allgemeinen
Schulen umgesetzt. Und die Praxis zeigt es seitdem
immer deutlicher: Die KollegInnen an den Schulen
fühlen sich bei der Umsetzung dieses „Mammut-

                                                                                                                                                              Illustrationen: Freepik.com
projektes“ alleingelassen. Sie beklagen – neben
vielen anderen Kritikpunkten – die fehlende Unter-
stützung durch Landesregierung und Schulträger.
Was sie sich wünschen, sind zentrale Anlaufstellen.

   Inklusion ist keine Aufgabe, die von einzelnen    und Jugendlichen mit Bedarf an sonderpäda-         Unterstützungsbedarf. Um nachhaltige Effekte
engagierten Lehrkräften als EinzelkämpferInnen       gogischer Unterstützung initiieren, koordinieren   zu erreichen, arbeiten die Fachzentren mit an-
an den Schulen umgesetzt werden kann. Inklu-         und begleiten, indem sie Eltern, Schulen und       deren Institutionen im kommunalen Umfeld
sion ist vielmehr eine Entwicklungsaufgabe für       LehrerInnen miteinander vernetzen. Inklusions-     zusammen und vernetzen sich beispielsweise
die gesamte Schule und stellt einen kompletten       moderatorInnen sollen Schulen mit Fortbildungs-    mit Jugend- und Sozialämtern, den kommunalen
Umbruch des Schulsystems dar. Sie kann nur           angeboten zur Inklusion kontinuierlich und         Integrationszentren, der Schulpsychologie sowie
gelingen, wenn eine inklusive Unterrichtsent-        nachhaltig dabei begleiten, Grundlagen und         den anderen Professionen, die Teil der multipro-
wicklung vorangetrieben wird, die für alle Schü-     Strukturen für inklusives Lernen zu schaffen.      fessionellen Teams in Schulen sind. Als Beistand
lerInnen gedacht und als wesentlich verstanden       Kompetenzteams bieten Fortbildungen unter          für die Schulen beim Start in die schulische
wird. Um diesen Umbruch zu bewältigen und            anderem auch für Schulen auf dem Weg zur           Inklusion stellen die Fachzentren Kompetenzen,
guten inklusiven Unterricht – sowohl für die         Inklusion an. Eine Bündelung dieser einzelnen      Medien und das nötige Know-how bereit.
SchülerInnen als auch für die Lehrkräfte – zu        Mechanismen ist aber vonnöten, um zielgerichtet       Die Einrichtung der Fachzentren stellt darüber
bieten, müssen Schulen sich weiterentwickeln.        Hilfe für Schulen anbieten zu können.              hinaus die Qualität der sonderpädagogischen
Und für diese Weiterentwicklung benötigen                                                               Förderung vor Ort sicher, die für gelingende Inklu-
                                                     Die Vision der GEW NRW:
sie Unterstützung, ein niedrigschwelliges, un-                                                          sion unverzichtbar ist. Als Basis und Anlaufstelle
                                                     Zentrale Anlaufstellen für Inklusion
kompliziert zu nutzendes und umfassendes                                                                für eine kontinuierliche fachliche Qualifizierung
Angebot, das sonderpädagogische Expertisen               Die GEW NRW fordert – und die Ergebnisse       der Lehrkräfte, für den fachlichen Austausch der
auf allen Ebenen bereithält. Ein Angebot, auf        der repräsentativen Onlineumfrage an allen         multiprofessionellen Teams in inklusiven Schulen
das alle Schulen zugreifen können – egal ob sie      Schulen in NRW im November 2015 haben              sowie für die Unterstützung und Beratung der
bereits seit Jahren als Schulen des Gemeinsamen      dies nochmals bekräftigt – die institutionelle     Schulen sind die Fachzentren unentbehrlich.
Lernens etabliert sind oder sich gerade erst auf     Einrichtung von Fachzentren für Inklusion. 80         Um die benötigte fachliche Expertise der Fach-
den Weg zu einer Schule für alle machen.             Prozent der Schulen in NRW halten der Umfrage      zentren sicherzustellen, sieht die ideale Beset-
                                                     zufolge eine zentrale Anlaufstelle für Anfragen    zung ein Kernteam vor, dem über Abordnungen
Bisher gilt: Gut gemeint                             zu unterschiedlichen Aspekten der Inklusion        erfahrene Lehrkräfte verschiedener Schulformen
statt gut gemacht                                    für erforderlich.                                  und sonderpädagogischer Förderschwerpunkte
   Das Unterstützungssystem für die schulische           Diese Fachzentren für Inklusion zur quali-     für Beratung, Diagnostik und Fortbildung zuge-
Inklusion muss dringend ausgebaut werden,            fizierten multiprofessionellen Unterstützung       ordnet werden. Somit ist die Erreichbarkeit von
und zwar nachhaltig. Die Landesregierung hat         und Beratung der Schulen, Lehrkräfte, Eltern       AnsprechpartnerInnen jederzeit gewährleistet.
durch die Installation verschiedener Unterstüt-      und SchülerInnen stehen regional in jedem
zungsstellen im Schulsystem gut gemeinte, aber       Schulamt zur Verfügung und machen Angebote         An den Kosten kann es nicht scheitern
nicht gut gemachte – weil nicht ausreichend          zu Diagnose, Beratung, Fortbildung und zum            Nun stellt sich die Frage, ob und wann die
gesteuerte – Unterstützungsangebote für die          fachlichen Austausch. Ihre Kernkompetenz liegt     Landesregierung diesen für die schulische In-
Schulen installiert. So sollen Inklusionskoordina-   in der Unterstützung der schulischen Förderung     klusion und alle an ihr beteiligten Personen so
torInnen den Prozess der Inklusion von Kindern       von SchülerInnen mit sonderpädagogischem           wichtigen Schritt geht und eine transparente
nds 9-2016 11

80%
                                                   Mülheimer Erklärung

                                                   Landesregierung muss handeln
wünschen sich eine
zentrale Anlaufstelle                              Mit einem Antrag hat die PIRATEN-Frak-             und Soziales sowie der Bundesagentur für Arbeit
für Unterstützung in
Inklusionsfragen.                                  tion im nordrhein-westfälischen Land-              gefördert und zusammen mit weiteren Partnern
                                                   tag die Landesregierung aufgefordert,              als Modellprojekt Schulen in Köln angeboten.
                                                   Fehlentwicklungen bei der Umsetzung                Eine solche Unterstützung wäre für alle Schulen
                                                   der schulischen Inklusion endlich entge-           des Gemeinsamen Lernens wünschenswert.
                                                   genzusteuern. Grundlage des Antrags                Handlungsbedarf erkannt
                                                   ist die „Mülheimer Erklärung: Aktuelle                In der Diskussion wiesen die Abgeordneten
                                                   Rahmenbedingungen gefährden den                    der Regierungsfraktionen darauf hin, dass das
                                                   Erfolg der Inklusion“ von GEW, PhV,                9. Schulrechtsänderungsgesetz nur ein erstes
                                                   VdS und VBE NRW von Mai 2016. Am                   Gesetz zur Umsetzung der UN-Behindertenrechts-
                                                   7. September 2016 fand die Anhörung                konvention und eine Nachsteuerung geplant sei.
                                                   im Schulausschuss statt, bei der auch              Mit dem Mehrklassenerlass sei auch die Teilung
                                                   die Bildungsgewerkschaft vertreten war.            von Klassen möglich, es seien 1.000 Stellen zu-
                                                                                                      sätzlich geschaffen worden. Die VertreterInnen
                                                      Neben einer schriftlichen Stellungnahme
  Quelle: GEW NRW, Was Schulen brauchen.                                                              aller Fraktionen erkannten jedoch auch an, dass
  Onlineumfrage zur Inklusion in NRW.              konnte die GEW NRW in der mündlichen Anhö-
                                                                                                      sich die Qualität des Gemeinsamen Lernens
                                                   rung im Schulausschuss erneut auf die größten
                                                                                                      verbessern muss und es an verschiedenen Stellen
                                                   Probleme bei der Umsetzung der Inklusion in den
                                                                                                      Handlungsbedarf gibt. Die Verbreitung trag-
  und handlungsfähige Unterstützungsstruktur       Schulen hinweisen. In einer intensiven einein-
                                                                                                      fähiger Konzepte und eine Verbesserung der
  für inklusive Schulen einrichtet. Die Kosten     halbstündigen Diskussion wurden die zentralen
                                                                                                      Aus-, Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte
  können dabei kein Hindernis sein: Die perso-     Forderungen der Bildungsgewerkschaft und der       müsse im Fokus bleiben. //
  nelle Besetzung der Fachzentren macht keine      anderen Verbände vorgetragen:
  zusätzlichen Personalkosten erforderlich. Die    ◆◆ deutlich mehr Stellen für das Gemeinsame
  gegenwärtig bereitgestellten Stellen zur Un-        Lernen
  terstützung des Gemeinsamen Lernens müssen       ◆◆ kleinere Lerngruppen mit eigener Schüle-                NRW-Landtagsfraktion der PIRATEN:
  hierfür nur zusammengeführt und in den Zentren      rInnen-LehrerInnen-Relation                     PDF     Antrag „Mülheimer Erklärung: Aktuelle
  gebündelt werden.                                                                                           Rahmenbedingungen gefährden den Er-
                                                   ◆◆ eine andere Steuerung bei der Verteilung                folg der Inklusion – Landesregierung muss
     Eigentlich verfolgt die Landesregierung          der Stellen                                             Fehlentwicklungen endlich entgegensteu-
  dasselbe Ziel wie die GEW NRW mit ihrer For-                                                                ern“ (Drucksache 16 / 12108)
                                                   ◆◆ die Einrichtung von Fachzentren für Inklusion
  derung nach der Installation von Fachzentren.                                                               www.tinyurl.com/Piraten-Antrag
                                                      mit Verweis auf den Entschließungsantrag
  So forderten die Landtagsfraktionen von SPD                                                                 GEW NRW: Stellungnahme zum Antrag
                                                      der Regierungsfraktionen von Oktober 2013               der Fraktion der PIRATEN
  und BÜNDNIS 90 /  DIE GRÜNEN in ihrem                                                               PDF
                                                   ◆◆ mehr Zeitressourcen für Planung, Absprachen             www.tinyurl.com/GEW-NRW-Stellungnahme
  Entschließungsantrag zum 9. Schulrechtsän-
                                                      und Beratung im Gemeinsamen Lernen              www.    mittendrin e. V.: Programm „Coaches für
  derungsgesetz für die erfolgreiche Umsetzung                                                                inklusive Bildung“
                                                   ◆◆ gezieltere, auch fachliche Fortbildung
  eines inklusiven Schulsystems eine stärkere                                                                 www.cib-mittendrin.de
  Steuerung und Vernetzung auf Ebene der Schu-     Vorbildliches Coaching-Programm
  lämter. Angesichts dessen kann die bisherige        Die Vertreterin der Elternorganisation mit-
  Passivität der Landesregierung in dieser Frage   tendrin e. V. machte in der Darstellung ihres                    Dorothea Schäfer
  nur verblüffen. //                               Coaching-Programms deutlich, dass sich eine                      Vorsitzende der GEW NRW
                                                   intensive Unterstützung von Schulen positiv
                                                   auf den gesamten Prozess auswirken kann. Das
  www.    GEW NRW: Know-how für Inklusion in
                                                   Programm wird vom Bundesministerium für Arbeit
          Fachzentren bündeln
          www.tinyurl.com/GEW-NRW-Fachzentren-

                                                        50%
          Inklusion

               Frauke Rütter
               Referentin für Bildungspolitik
               der GEW NRW
                                                       ˜
                                                       Knapp die Hälfte
                                                       der Befragten greift
                                                       bei der Umsetzung der
                                                       Inklusion auf die
                                                       Kompetenzteams zurück.

                                                       Quelle: GEW NRW, Was Schulen brauchen. Onlineumfrage zur Inklusion in NRW.
12 BILDUNG

Im Gespräch mit Dr. Klaus Spenlen

Selbst kennenlernen,
was junge MuslimInnen prägt

                                                                                                                                                               Foto: Mila Supynska / fotolia.com
Der Islam gehört zu unserer Gesellschaft – und selbstverständlich begegnet
er PädagogInnen in Schule, Aus- und Weiterbildung täglich. Wie können sie zu
Gleichstellung und Integration beitragen und junge MuslimInnen gegen die
Einflüsse von Fundamentalismus, Terrorismus und religiös begründeter Gewalt
stärken? Die nds sprach mit Erziehungs- und Sozialwissenschaftler Dr. Klaus
Spenlen über den Umgang mit Islam und Islamismus im Bildungssektor.

nds: Warum sind Schule, Aus- und Weiterbil-            rungs- und Versagenserfahrungen überwinden            weiß, dass viele PädagogInnen von Alltagsarbeit
dung so wichtige Orte für die Integration?             oder einen Beitrag für eine gerechtere Welt           „aufgefressen“ werden. Da bleibt oftmals keine
   Klaus Spenlen: In NRW gibt es ungefähr              leisten. Wieder andere haben religiöse Motive:        Zeit, sich in ein neues Thema einzuarbeiten, so
230 Religionsgemeinschaften und die letzte             Sie wollen Gottes Prüfung durch Leid ertragen         brennend dies auch sein mag. Und die Stichwör-
Schulstatistik weist 191 Staatsangehörigkeiten         und überwinden, sich Wissen über den Islam an-        ter, nach denen Sie fragen, bedürfen einer sehr
auf. Dadurch allein wird schon deutlich, dass          eignen oder sie erliegen Jenseitsversprechungen.      gründlichen und grundsätzlichen Erarbeitung.
Schule, Aus- und Weiterbildung die zentralen           Von einigen ist bekannt, dass islamistische           Der Fortbildungsdruck dafür variiert zudem von
Integrationsorte sind, zumal die zwei wichtigen        da'wa-AktivistInnen – hier handelt es sich um         Schule zu Schule. In wessen schulischem Um-
anderen – der Arbeitsmarkt und der Sozialraum –        MissionarInnen – die Wünsche junger Menschen          feld Jugendliche zum Beispiel in den Dschihad
in dieser Funktion weitgehend weggebrochen             nach Orientierung in einer pluralen Gesellschaft      gezogen sind, ist für diese Themen sensibilisiert
sind. Hinzu kommt, dass sich in einigen Milieus        sowie nach einfachen Antworten auf komplexe           und motiviert. Allein die Unterscheidung von
in Deutschland ein Abschmelzen konfessioneller         Fragen bei ihrer Sinnsuche erfüllen und ihnen         Islam und Islamismus – geschweige denn deren
                                                       ein widerspruchsfreies Werte- und Weltbild            je spezifische Ausprägungen – sind nicht mal
Bindungen abzeichnet, das in vielen Familien zu
                                                       vermitteln. Hier erleben die Jugendlichen viel-       eben an einem Nachmittag nachzulesen.
einem Verzicht auf religiöse Sozialisation führt.
                                                       leicht zum ersten Mal eine Hierarchie und damit           In Deutschland werden derzeit etwa 850.000
Damit verbunden ist eine Verringerung religiöser
                                                       verbunden ihre individuelle Entlastung. Junge         MuslimInnen in Schulen unterrichtet, in NRW
Prägekraft für Lebensstile. Die Folge ist, dass sich
                                                       Männer können an einer Männlichkeitskultur            etwa 370.000. In diese Zahlen sind die Geflüchte-
zunehmend mehr Kinder ihre Religiosität außer-
                                                       teilhaben und wieder andere mögen es genießen,        ten nicht eingerechnet, von denen 34 Prozent bis
halb der Schule selbst „konstruieren“. Dass dies
                                                       Teil einer Subkultur mit Bedrohungspotenzial zu       17 Jahre und weitere 25 Prozent bis 24 Jahre alt
problematisch sein kann, zeigen Jugendstudien.
                                                       sein oder sich als Opfer im Integrationsprozess       sind. Ein Gros dieser jungen, meist muslimischen
Sozialisation scheint in muslimischen Familien
                                                       oder im Bedrohensdiskurs zu fühlen.                   Menschen wird in unseren Schulen, Aus- und
anders zu verlaufen: Religiöse Eltern geben ihr
                                                                                                             Weiterbildungseinrichtungen anlanden. Das
tradiertes Wissen und ihre religiösen Prinzipien           Da diese Motive den Neo-SalafistInnen be-
                                                                                                             ist gut, weil sie dort diejenigen Strukturen und
an ihre Kinder weiter. Solche unterschiedlichen        kannt sind, verfolgen sie entsprechende Strate-
Erfahrungen zu synthetisieren, ist Aufgabe der         gien in Jugendtreffs, in Moscheen, auf Straßen
Bildungseinrichtungen.                                 und Schulhöfen, denen manche Schüler und
                                                       zunehmend auch Schülerinnen erliegen. Zu-
Welche Einflüsse haben Fundamentalismus,
                                                       dem verstärken sie pseudoreligiös motiviertes
Terrorismus und religiös begründete Gewalt
                                                       Mobbing und organisieren salafistische Ge-
auf junge MuslimInnen?
                                                       betsflashmobs. SchülerInnen, die sich scheu-
   Die Landesregierung beziffert die Zahl der          en dabei mitzumachen, werden drangsaliert.
Neo-SalafistInnen in NRW auf über 2.500,               HandlangerInnen und UnterstützerInnen sind
mehr als 500 gelten als gewaltbereit. Neo-             dabei willfährige MitschülerInnen. Ziele sind
SalafistInnen sind hier wie bundesweit die am          ohne Ausnahme alle Schulformen.
schnellsten wachsende extremistische Bewe-
gung. Hochburgen in NRW sind Aachen, Bonn,             Sind PädagogInnen ausreichend auf den Um-
Düsseldorf, das Bergische Land und das Ruhrge-         gang mit Islam und Islamismus in Deutschland
biet. Die Motive für die Sympathie mancher jun-        vorbereitet?
ger Menschen mit dem Islamismus sind vielfältig:          Wer sich für die letzten Jahre – zum Teil schul-
                                                                                                             Erziehungs- und Sozialwissenschaftler Dr. Klaus Spenlen
Einige erfahren durch Neo-SalafistInnen Hilfe in       formabhängig – Aufgaben ansieht, die Resultat         arbeitet schwerpunktmäßig zu den Themen Integration
persönlichen Krisen, andere wollen Diskriminie-        aktueller gesellschaftlicher Diskussionen sind,       des Islam sowie Migration und Bildung. Foto: privat
nds 9-2016 13

                                                      eine übermächtige Bedeutung und kann für             selbst einmal bei YouTube umschauen. Daraus
                                                      manche MuslimInnen, selbst für liberale, so          folgt als pädagogische Aufgabe, Jugendliche
                                                      wichtig werden, dass er unter allen Umstän-          in Medienanalyse, Medienkonsum und Medi-
                                                      den verteidigt werden muss. Auch die durch           enverantwortung zu qualifizieren und ihnen
                                                      Lebenswelten, Wertorientierung und soziale           immer wieder den Unterschied zwischen realer
                                                      Lage geprägten Lebensauffassungen von Mus-           und virtueller Welt vor Augen zu führen, kurz:
                                                      limInnen in Deutschland sind nicht eindimensi-       ihre Medienkompetenz in Inhalts- und Moralfra-
                                                      onal auf das Religionsmerkmal zurückzuführen,        gen zu stärken. Außerdem müssen die pseudo-
                                                      sie sind also auch unter diesen Aspekten nicht       religiösen Behauptungen von Neo-SalafistInnen
                                                      als homogene Gruppe zu begreifen. Religion,          hinterfragt werden, etwa ihr Gewalt- und
                                                      Herkunft und Zuwanderungsgeschichte beein-           Geschlechterverständnis.
                                                      flussen zwar ihren Alltag, sind aber letztlich       Neuerdings sorgt die Burka auch im Bildungs-
                                                      nicht als solitäre identitätsprägende Faktoren zu    sektor für Zündstoff: Das Verwaltungsgericht
                                                      verstehen, deren Bedeutung allein Integration        Osnabrück hat kürzlich entschieden, dass eine
                                                      unterstützt oder verhindert.                         muslimische Frau nicht mit Gesichtsschleier am
                                                         Gleichwohl können mangelhafter sprachlich-        Unterricht eines Abendgymnasiums teilneh-
Werte des Zusammenlebens sowie gesellschaft-          sozialer Austausch mit anderen Milieus – etwa        men darf. Wie beurteilen Sie die Entscheidung?
liche Anforderungen erfahren, die eine Integrati-     mit nicht muslimischen und deutschsprachigen –
on erleichtern. Gleichzeitig ist von PädagogInnen                                                             Diese Frage spiegelt eher Wahlkampf als
                                                      oder ein überwiegend nicht deutscher Medien-
eine intensive Auseinandersetzung mit dem                                                                  Unterrichtsalltag wider. Dennoch gilt auch
                                                      konsum dazu führen, dass „das Eigene“ zuneh-
gefordert, was junge MuslimInnen prägt. Denn                                                               unabhängig von diesem Urteil: Burka und
                                                      mend in Abgrenzung zum „Fremden“ gerät und           Niqab verhindern offene Kommunikation, die
gerade in der Diaspora ist Religion ein identitäts-   Gemeinsamkeiten eher ausgeblendet werden.            im Bildungsbereich unverzichtbar ist. Sie stehen
stiftendes Moment; mithin besitzt der Glaube          Mit dieser Kurzbeschreibung sind die wichtigsten     deshalb im Widerspruch zu Bildungszielen. Für
in der Fremde oft größere Bedeutung als im            Aufgaben von Schulen im täglichen Leben mit          ein Verbot spricht auch die Wahrscheinlichkeit
Herkunftsland. Wenn anfängliches gegenseitiges        MuslimInnen bereits benannt: Sie müssen ein-         von „Burka-bashing“ auf allen Ebenen, das sich
Fremdeln überwunden werden und in stabi-              dimensionale Wahrnehmungen aufbrechen und            der Intervention von PädagogInnen weitgehend
le Informationen übereinander einmünden               den Austausch unterstützen.                          entzieht. Sollten Bildungseinrichtungen für eine
soll, muss Lehrkräften die Möglichkeit systema-
                                                      Haben Schule, Aus- und Weiterbildung über-           vollverschleierte Schülerin die einzige Bildungs-
tischer Fort- und Weiterbildung eingeräumt und
                                                      haupt Möglichkeiten, präventiv gegen Radi-           option sein, sollten die Schülerin, gegebenenfalls
dazu externe Expertise eingeholt werden. Ich
                                                      kalisierung zu wirken?                               auch ihre Eltern, die Schule sowie ein Imam, der
persönlich erhalte im Jahr zig Anfragen nach
                                                                                                           gegenseitiges Vertrauen besitzt, eine Lösung im
Vorträgen und Workshops rund um die Themen                Pädagogischen Absichten müssen erfolg-
                                                                                                           Sinne praktischer Konkordanz suchen. //
Islam und Migration, die ich nicht alle erfüllen      reiche Strategien folgen und diese sollten zwi-
                                                                                                                 Die Fragen für die nds stellte Anja Heifel.
kann. Es zeigt aber, dass PädagogInnen für sich       schen PädagogInnen kommuniziert werden.
Bedarf sehen.                                         Aus anderen Erfahrungsbereichen wissen wir:

Wie sehen pädagogische Aufgaben im täg-
                                                      Eine Methode, um junge Menschen etwa vor               Zum Weiterlesen
                                                      Suchtgefährdung oder Missbrauch zu schützen,
lichen Umgang mit MuslimInnen aus?                                                                           Dr. Klaus Spenlen:
                                                      ist, sie stark zu machen: sich zu verweigern,
   MuslimInnen gehören – wie Angehörige               widersprüchliche Wahrnehmungen auszuhalten,            Islam in Deutschland
anderer Religionsgemeinschaften auch – den            eigene Entscheidungen zu treffen und für sich          Ein Leitfaden für Schule,
unterschiedlichsten religiösen Richtungen             das Recht in Anspruch zu nehmen, ein selbst-           Aus- und Weiterbildung
an, sprechen verschiedene Sprachen, haben             bestimmtes Leben zu führen und sich nicht
unterschiedliche Bildungsniveaus, gehören             verführen zu lassen.
unterschiedlichen sozialen Schichten an. Sie              Das zeigt: Bewahrungspädagogik ist als
zeichnen sich wie alle Menschen durch multiple        Strategie gegen islamistische VerführerInnen
                                                                                                                                    NDS Verlag, 2016
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                                                                                                                                    nds-shop.gew-nrw.de
oder die Konstruktion eines gesellschaftsfähigen,     als solche zu erkennen und abzuwägen, ob sie
                                                                                                             Diese Publikation reflektiert die Themen Islam,
berechenbaren Subjekts nicht eignen. Mithin           es wert sind, sich darauf einzulassen, und sie
                                                                                                             Islamismus und muslimisches Leben in Deutsch-
verkürzen Religionsmerkmale wie „Muslim“ die          schließlich zu bewältigen. Es empfiehlt sich,          land. Sie gibt praktische Hinweise dazu, wie
Vielfalt der Menschen islamischen Glaubens            dass PädagogInnen die Medienpräsenz von                Fragestellungen rund um diese Themen im täg-
in unzulässiger Weise. Zudem gewinnt mit              Neo-SalafistInnen selbst kennenlernen, dass            lichen Umgang mit MuslimInnen beantwortet,
                                                                                                             Konflikte gelöst und dabei Gleichstellung und
Angriffen auf einen Teil ihrer Identität – in         sie Medien von und über Neo-SalafistInnen              Prävention verbessert werden können.
diesem Fall auf den religiösen – dieser Teil          selbst analysieren. Sie sollten sich zum Beispiel
14 BILDUNG

                                                                                                        Fotos: Gerti G., stockwerk23 / photocase.de
Schulpolitik im Zeichen der Landtagswahl

Verlorene Jahre
Zehn Jahre nach der großen Schulge-                  oder in Ausbildungs- und Prüfungsordnungen         die Gymnasien und verwarfen die sechsjährige
setznovellierung von CDU und FDP im                  zu beispielsweise folgenden Punkten:               Sekundarstufe I am Gymnasium. Sie ersetzten
Jahr 2006 und circa zehn Monate vor                  ◆◆ Sprachstandserhebung Delfin 4 zur vorschu-      das G8-Modell „6 plus 2“ durch das bis heute
der nächsten Regierungsbildung in NRW                   lischen Sprachförderung                         gültige „5 plus 3“. Eine fatale Fehlentscheidung,
lohnt ein kritischer Rückblick. Denn so              ◆◆ Herabsetzen des Einschulungsalters              die bis heute keine Akzeptanz findet.
wie damals sollte man Schulpolitik nicht             ◆◆ Unterrichtsorganisation und Leistungsbeur-         Man freut sich nicht immer, richtig gelegen
machen, so schadet man der Schulent-                    teilung in den Grundschulen, zum Beispiel       zu haben. In der großen Anhörung zum Schul-
wicklung.                                               die Einrichtung der Lernstudios                 gesetz kritisierte die GEW NRW in 2006, dass der
                                                     ◆◆ Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung        Gesetzentwurf einem modernen und zukunfts-
   Nahezu alle schulpolitischen Leitentschei-           und Prognoseunterricht beim Übergang in         gerechten Schulsystem, das auf mehr Chancen-
dungen der 2005 gewählten schwarz-gelben                die Sekundarstufe I                             gleichheit und mehr Bildungsbeteiligung abzielt,
Landesregierung erwiesen sich als falsch oder        ◆◆ Benotung des Arbeits- und Sozialverhaltens      nicht gerecht werde. „Vielmehr orientieren sich
gar verfassungswidrig. Einige wurden inzwi-             in Ziffernoten, den sogenannten Kopfnoten       CDU und FDP nostalgisch an bildungspolitischen
schen – zum Teil mit Zustimmung der heutigen         ◆◆ Abschaffung der Drittelparität in der Schul-    Vorstellungen der Vergangenheit und ignorieren
Landtagsfraktionen dieser beiden Parteien – im          konferenz                                       neue erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse
Schulgesetz wieder korrigiert, andere haben heu-     ◆◆ Verbundschulen als Antwort auf den demo-
                                                                                                        weitgehend.“ Die Korrektur hat viel zu lange
te noch Gesetzeskraft und wirken zum Teil fatal.                                                        gedauert – verlorene Jahre.
                                                        grafischen Wandel
                                                                                                           Korrekturgesetze nach Landtagswahlen mit
Schwarz-gelbe Fehlentscheidungen                     ◆◆ Erschwerung der Arbeit der Schulen des län-
                                                                                                        Regierungswechsel sind unvermeidlich und
                                                        geren Gemeinsamen Lernens bei Betonung
   Einen Verstoß gegen die Verfassung stellte                                                           womöglich auch 2017 zu erwarten – zu unter-
                                                        des vermeintlich begabungsgerecht geglie-
beispielsweise die Regelung im ersten Schul-                                                            schiedlich sind die politischen Vorstellungen der
                                                        derten Schulwesens
rechtsänderungsgesetz vom 13. Juni 2006 dar:                                                            politischen Parteien. Die Länge der Korrekturliste
                                                     ◆◆ Wettbewerb unter Schulen durch Aufhebung
Sie untersagte muslimischen Lehrerinnen, das                                                            nach der Regierungszeit von CDU und FDP war
                                                        der Schulbezirke und Veröffentlichung schu-
Kopftuch im Unterricht zu tragen. Ebenfalls                                                             allerdings ein Alleinstellungsmerkmal, die Zahl
                                                        lischer Leistungsdaten
verfassungswidrig waren Regelungen zur Wahl                                                             der verfassungswidrigen Leitentscheidungen
                                                     Ergänzt man diese Liste durch den Hinweis
der SchulleiterInnen durch die Schulkonferenz                                                           auch. Sie hätten es wissen können. Auf Mängel
                                                     auf die Organisationsentscheidung, dass das
und Neuregelungen für den Lehrerrat, die dessen                                                         und ideologisch begründete falsche Leitent-
                                                     Landesinstitut für Schule und Weiterbildung in
Wahl betrafen und ihm personalvertretungsrecht-                                                         scheidungen hat nicht nur die GEW NRW in
                                                     Soest im Januar 2007 aufgelöst wurde, so wird      den damaligen Anhörungen verwiesen. Den
liche Aufgaben zuwiesen – jeweils zu finden
                                                     deutlich, wie umfassend die Reparaturliste war.    Preis dafür nicht zuzuhören, zahlen manchmal
im zweiten Schulrechtsänderungsgesetz vom
27. Juni 2006. Bereits 2008 wurden die Rege-         Korrektur hat viel zu lange gedauert               die Parteien. Den Preis für schlechte Schulpoli-
lungen korrigiert, die den Lehrerrat betrafen,                                                          tik und häufige Korrekturen zahlen immer die
                                                        Zentrales schulpolitisches Thema im Landtags-
die Bestellung der SchulleiterInnen hingegen                                                            AkteurInnen in den Schulen. //
                                                     wahlkampf 2017 wird eine weitere schwarz-gelbe
erst 2015, also neun Jahre später.                   Reformmaßnahme aus dem Jahr 2006 sein:
   Deutlich länger ist die Liste der verfassungs-    die damalige Neuregelung der Schulzeitver-                                                       Michael Schulte
konformen Leitentscheidungen, die jedoch             kürzung. Schon das rot-grüne Schulgesetz vom                                                     Geschäftsführer der GEW NRW
korrigiert werden mussten, weil sie sich als         15. Februar 2005 führte zentrale Prüfungen
schulpolitisch falsch oder realitätsfern erwiesen.   ein und verkürzte die Schulzeit. CDU und FDP
Zu nennen sind hier Regelungen im Schulgesetz        jedoch wollten ein Alleinstellungsmerkmal für
nds 9-2016 15

WeltlehrerInnentag 2016

Valuing Teachers,
Improving their Status
870.000 LehrerInnen arbeiten an den öffentlichen und
privaten Schulen in Deutschland – sie haben eine beson-
dere Verantwortung für die Erziehung und Bildung unserer
Kinder. Ihnen zu danken und ihre Arbeit zu würdigen, ist
Aufgabe des WeltlehrerInnentages, der seit 1994 jeweils
am 5. Oktober rund um den Globus begangen wird. In

                                                                                                                                                          Foto: David-W- / photocase.de
diesem Jahr steht die Wertschätzung für diejenigen Lehr-
kräfte im Fokus, die in Bildungseinrichtungen außerhalb
der Schulpflicht arbeiten.

   Diese weltweite Würdigung des LehrerInnen-       gungssicherheit auch das Recht auf Entlohnung      Arbeitsbedingungen an den
berufs geht auf einen Beschluss der UNESCO,         im Krankheitsfall sowie das Recht auf einen        öffentlichen Dienst anpassen!
der Internationalen Arbeitsorganisation und         bezahlten Urlaub. So unterhält beispielsweise         Die beschriebene Lage verdeutlicht einen
der Bildungsinternationale im Gedenken an           das renommierte Goethe-Institut neben zahl-        dringenden Handlungsbedarf der politischen
die 1964 angenommene „Charta zum Status             reichen Auslandsinstituten 13 Einrichtungen        AkteurInnen, die Lage der Lehrkräfte auch au-
der Lehrerinnen und Lehrer“ zurück.                 im Inland, die insbesondere Kurse in „Deutsch      ßerhalb der Schulpflicht entsprechend dem
   Die Bildungsinternationale ruft dazu auf,        als Fremdsprache“ anbieten – 80 Prozent dieser     Motto des Weltlehrertages „Valuing Teachers,
mit Veranstaltungen und Aktionen zum Welt-          Kurse werden von Honorarlehrkräften bestrit-       Improving their Status“ zu verbessern, denn
lehrerInnentag auf die besondere Bedeutung          ten. Der mittlere Lohn der hauptberuflichen        auch sie leisten bedeutsame Beiträge für die
des Lehrberufs für die individuelle und gesell-     Honorarkräfte in der öffentlich finanzierten       individuelle und gesellschaftliche Entwicklung.
schaftliche Entwicklung hinzuweisen und den         allgemeinen Weiterbildung, beispielsweise in       Die GEW hat mit ihrer Strategie „Gute Arbeit
Lehrkräften die notwendige Unterstützung zu-        den im Auftrag des Bundesamts für Migration        in der Weiterbildung“ hier eine richtungs-
kommen zu lassen. In diesem Jahr lautet das         und Flüchtlinge durchgeführten Integrations-       weisende Entscheidung getroffen. Nun muss
Motto „Valuing Teachers, Improving their Status“.   kursen, liegt laut jüngeren Untersuchungen         die öffentliche Hand als Auftraggeber und
                                                    zwischen 1.250,- und 1.750,- Euro und damit im     Finanzier sicherstellen, dass das Bildungsperso-
Weiterbildung und Hochschulen:
                                                    einkommensprekären Bereich – und dies bei einer    nal mit dem öffentlichen Dienst vergleichbare
Prekäre Beschäftigung beenden!
                                                    akademischen Qualifikation als Voraussetzung.      Beschäftigungsbedingungen findet. //
   Als Mitgliedsgewerkschaft der Bildungsinter-     Besonders betroffen sind unter anderem die
nationale beteiligt sich die GEW regelmäßig am      Bereiche Deutsch als Zweit- und Fremdsprache
WeltlehrerInnentag und den Aktivitäten zum          und die Integrationskurse. Dort beträgt der An-    www.    GEW NRW: aktuelle Infos und Materialien
5. Oktober. Für die GEW ist es auch ein beson-      teil der von Einkommensprekarität betroffenen              rund um den Arbeitsplatz Weiterbildung
deres Anliegen, darauf aufmerksam zu machen,        „FreiberuflerInnen“ mehr als drei Viertel, die             www.gew-nrw.de/weiterbildung
dass neben den LehrerInnen an allgemein- und        Altersarmut ist bereits vorprogrammiert. Bereits   www.    GEW: Dossier „Arbeitsbedingungen in der
berufsbildenden Schulen eine große Gruppe von       im Jahr 2012 hatte die GEW festgestellt, dass              Weiterbildung“
                                                                                                               www.gew.de/weiterbildung/arbeitsbedin-
Lehrkräften in Bildungseinrichtungen außerhalb      125.000 Honorarlehrkräfte sich in einer prekären           gungen
der Schulpflicht – zu oft äußerst problematischen   Lage befinden, diese Anzahl hat sich bis heute     www.    GEW NRW: aktuelle Infos und Materialien
Bedingungen – arbeitet. Hierzu gehören die          deutlich erhöht. Etwa 80 Prozent der hauptbe-              rund um den Arbeitsplatz Hochschule und
knapp 700.000 Beschäftigten im Weiterbildungs-      ruflichen Honorarkräfte sind übrigens Frauen.              Forschung
sektor. Durchschnittlich 57 Prozent des bei den                                                                www.gew-nrw.de/hochschule
                                                        Ähnlich betroffen sind die Lehrbeauftragten
22.000 Bildungsträgern eingesetzten Personals       an Hochschulen, deren Zahl von knapp 51.000
– also knapp 400.000 Personen – sind heute          im Jahr 2002 auf jüngst knapp 99.000 gestiegen                   Ansgar Klinger
Honorarlehrkräfte, an den Volkshochschulen          ist. In einer großen Zahl von Fällen bestreiten                  Mitglied im geschäftsführenden
                                                                                                                     Vorstand der GEW
beträgt ihr Anteil sogar 87 Prozent!                diese Personen hauptberuflich ihren Lebensun-
   Sie müssen ihre soziale Absicherung selbst       terhalt aus den Lehraufträgen mit allen daraus
bestreiten, ihnen fehlen neben einer Beschäfti-     resultierenden Problemen.
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