WELTRISIKOBERICHT 2019 - FOKUS: WASSERVERSORGUNG - WELTHUNGERHILFE

Die Seite wird erstellt Haimo-Haio Engels
 
WEITER LESEN
WELTRISIKOBERICHT 2019 - FOKUS: WASSERVERSORGUNG - WELTHUNGERHILFE
WeltRisikoBericht 2019
Fokus: Wasserversorgung
WELTRISIKOBERICHT 2019 - FOKUS: WASSERVERSORGUNG - WELTHUNGERHILFE
WeltRisikoBericht 2019
WELTRISIKOBERICHT 2019 - FOKUS: WASSERVERSORGUNG - WELTHUNGERHILFE
Impressum
Herausgeber WeltRisikoBericht 2019

Bündnis Entwicklung Hilft
und
Ruhr-Universität Bochum – Institut für
Friedenssicherungsrecht
und Humanitäres Völkerrecht (IFHV)

Konzeption, Realisierung und Redaktion

Peter Mucke, Bündnis Entwicklung Hilft, Projektleitung
Lotte Kirch, Bündnis Entwicklung Hilft, Redaktionsleitung
Julia Walter, MediaCompany

Wissenschaftliche Leitung

Dr. Katrin Radtke, IFHV

Autor*innen

St John Day, Externer WASH-Berater
Timothy Forster, Oxfam
Jutta Himmelsbach, Misereor
Lisa Korte, Oxfam
Peter Mucke, Bündnis Entwicklung Hilft
Dr. Katrin Radtke, IFHV
Prof. Dr. Pierre Thielbörger, IFHV
Daniel Weller, IFHV

Unter Mitarbeit von

Leopold Karmann, Bündnis Entwicklung Hilft
Sabine Ludwig, DAHW
Christina Margenfeld, Brot für die Welt
Stephan Simon, Welthungerhilfe

Grafische Gestaltung und Infografik

Naldo Gruden, MediaCompany

Druck

Druckerei Conrad, Berlin,
gedruckt auf 100 % Recycling-Papier

ISBN 978-3-946785-07-1

Der WeltRisikoBericht wird seit 2011 jährlich vom
Bündnis Entwicklung Hilft publiziert.
Verantwortlich: Peter Mucke

 2 WeltRisikoBericht 2019
WELTRISIKOBERICHT 2019 - FOKUS: WASSERVERSORGUNG - WELTHUNGERHILFE
Vorwort
                            Wie in den letzten Jahren haben uns auch 2019                rechtliche Fragen verstärkt die politische Advo-
                            wieder eine Reihe von Krisen und Katastrophen                cacy-Komponente des WeltRisikoBerichts und
                            infolge extremer Naturereignisse beschäftigt.                soll insbesondere zivilgesellschaftliche Akteure
                            Das erste Halbjahr war insbesondere geprägt                  dabei unterstützen, ihre Rechte und die ihrer
                            von Wirbelsturm Idai, der Verwüstungen in                    Gemeinschaften einzufordern.
                            Mosambik, Malawi und Simbabwe anrichtete,
                            aber auch von erneuten Hitzerekorden in Euro-                Der WeltRisikoBericht wird seit 2011 jährlich
                            pa. Hier verstärkten die Spätfolgen der Dürre-               vom Bündnis Entwicklung Hilft herausgegeben.
                            welle des letzten Sommers die Auswirkungen                   Seit 2017 ist das Institut für Friedens­sicherungs­
                            auf Natur und Landwirtschaft. Zugleich hat die               recht und Humanitäres Völkerrecht (IFHV) der
                            Gesellschaft auch durch das Engagement von                   Ruhr-Universität Bochum für die wissenschaft­
                            Bewegungen wie Fridays for Future und Scien-                 liche Leitung und Berechnung des im Bericht
                            tists for Future eine deutliche Politisierung                enthaltenen WeltRisikoIndex zu­       ständig. Als
                            in Umwelt- und Klimaschutzfragen erfahren.                   Mit­glied des Network on Humanitarian Action
                            Mehr denn je ist in der öffentlichen Wahrneh-                (NOHA) stellt das IFHV die internationale Ver-­
                            mung angekommen, dass die Auswirkungen                       ankerung des Index in der Wissenschaft sicher.
                            von Klimawandel und daraus resultierenden                    Aufbauend auf dem Austausch zwischen Wissen-
                            Wetterextremen das Leben der Menschen                        schaft und Praxis verfolgen wir gemeinsam das
                            weltweit bestimmen und langfristig verändern                 Ziel, den Nutzwert des WeltRisikoBerichts als
                            werden. Für uns alle gilt es, besonders diejeni-             Instrument für Entscheidungsträger*innen in
                            gen zu unterstützen, die schon jetzt unter den               Politik und Gesellschaft zu erhalten und zu
                            Folgen des Klimawandels und dem schleichen-                  steigern.
                            den Verlust ihrer Lebensgrundlagen leiden,
                            und wirksame Vorsorge zu treffen.

                            Wie sehr sich Prävention, Bewältigung und
                            Anpassung von Land zu Land unterscheiden,
                            verdeutlicht der vorliegende WeltRisikoBe-                   Wolf-Christian Ramm
                            richt. Er bietet mit dem WeltRisikoIndex eine                Vorstandsvorsitzender
                            Analyse von Katastrophenrisiken weltweit und                 Bündnis Entwicklung Hilft
                            gibt an, welche Länder den größten Bedarf
                            haben, Maßnahmen zur Bewältigung von und
                            Anpassung an extreme Naturereignisse zu stär-
                            ken. Mit dem diesjährigen Fokus auf Wasser-
                            versorgung beleuchtet der WeltRisikoBericht
                            wieder ein zentrales Thema im Kontext von
                            Katastrophen aus praktischer wie auch wissen-                Prof. Dr. Pierre Thielbörger
                            schaftlicher Perspektive. Die Ausrichtung auf                Geschäftsführender Direktor IFHV

Bündnis Entwicklung Hilft bildet sich aus den Hilfswerken Brot für          Das Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völker-
die Welt, Christoffel-Blindenmission, DAHW, Kindernothilfe, ­medico         recht der Ruhr-Universität Bochum ist eine der führenden Einrichtungen
­international, Misereor, Plan International, terre des hommes und          in Europa in der Forschung und Lehre zu humanitären Krisen. Aufbauend
 Welthungerhilfe sowie den assoziierten Mitgliedern German Doctors          auf einer langen Tradition der wissenschaftlichen Auseinandersetzung
 und Oxfam. In Katastrophen- und Krisengebieten leisten die Bündnis-        mit humanitärem Völkerrecht und den Menschenrechten verbindet das
 Mitglieder sowohl akute Nothilfe als auch langfristige Unterstützung, um   Institut heute interdisziplinäre Forschung aus den Fachrichtungen der
 Not nachhaltig zu überwinden und neuen Krisen vorzubeugen.                 Rechts-, Sozial-, Geo- und Gesundheitswissenschaft.

                                                                                                                  WeltRisikoBericht 2019 3
WELTRISIKOBERICHT 2019 - FOKUS: WASSERVERSORGUNG - WELTHUNGERHILFE
Weiterführende Informationen

Der WeltRisikoBericht in der gedruckten Version hat ­einen
Umfang, der die ­schnelle Lesbarkeit gewährleistet. Die
Texte des Berichts werden durch Karten, Grafiken und
Bilder ergänzt und damit veranschaulicht. Weiterführende
­Informationen, wissenschaftliche ­Angaben zur Methodik
 und Tabellen sind unter www.WeltRisikoBericht.de
 eingestellt. Dort stehen auch die Berichte 2011 bis 2018 als
 Download zur Verfügung.

Ein interaktiver Reader zu den WeltRisikoBerichten ist unter
www.WeltRisikoBericht.de/#epaper abrufbar.

„Sind Katastrophen vermeidbar?“ –
Unterrichtsmaterialien zum WeltRisikoIndex

Die vorherrschende Sicht auf die Länder des globalen
Südens ist oftmals durch Katastrophen und Konflikte
bestimmt. Aktuelle humanitäre Krisen wie Hungersnöte,
Erdbeben und Überschwemmungen sind wichtige
Themen, an die schulischer Unterricht anknüpfen kann.
Der WeltRisikoIndex ist ein guter Ansatzpunkt, dabei auch
die soziale Situation und die Umweltbedingungen in den
betroffenen Ländern zu behandeln.

Die Unterrichtsmaterialien enthalten kurz gefasste thema-
tische Darstellungen und ansprechende Arbeitsblätter,
die die einzelnen Dimensionen des WeltRisikoIndex
behandeln – von der Gefährdung über Anfälligkeit und
Bewältigungskapazitäten bis hin zu Anpassungskapazitäten.
Diese können in Form von Gruppen- oder Einzelarbeit in
den Unterricht integriert werden.

Die gedruckte Fassung des Unterrichtsmaterials kann
kostenlos bestellt werden:
kontakt@entwicklung-hilft.de

Das Online-PDF des Unterrichtsmaterials steht zum
Download bereit: www.WeltRisikoBericht.de/
unterrichtsmaterial

WorldRiskReport

Der englischsprachige WorldRiskReport ist unter
www.WorldRiskReport.org verfügbar.

 4 WeltRisikoBericht 2019
WELTRISIKOBERICHT 2019 - FOKUS: WASSERVERSORGUNG - WELTHUNGERHILFE
Inhalt

Zentrale Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 6

1. Wasser weltweit: Mangel versus Überfluss                                                                  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   Seite 9
     Peter Mucke

2. Fokus: Wasserversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  Seite 17

 2.1	„Water Security“ als Teil internationalen Rechts
      und internationaler Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  Seite 17
		 Pierre Thielbörger

      2.2          Wasserversorgung in der Krise                                             . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   Seite 26
		                 Jutta Himmelsbach

      2.3	Nachhaltige Wasserversorgung bei
           anhaltenden humanitären Krisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 34
		                 Lisa Korte, Tim Forster, St John Day

3. Der WeltRisikoIndex 2019 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 43
     Katrin Radtke, Daniel Weller

4. Fazit und Handlungsempfehlungen                                                         . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   Seite 53
      Bündnis Entwicklung Hilft, IFHV

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 55

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 62

                                                                                                                                                             WeltRisikoBericht 2019 5
WELTRISIKOBERICHT 2019 - FOKUS: WASSERVERSORGUNG - WELTHUNGERHILFE
Abbildung 1: WeltRisikoIndex 2019

                                    Zentrale Ergebnisse
                                    WeltRisikoIndex 2019

                                    ++ Die drei Länder mit dem höchsten Katastro-          wurde beispielsweise für Island (Rang 174) und
                                      phenrisiko weltweit sind die Inselstaaten Vanu-      Malta (Rang 179) berechnet.
                                      atu (Indexwert: 56,71), Antigua und Barbuda
                                      (Indexwert: 30,80) und Tonga (Indexwert:           ++ Das Land mit dem niedrigsten Katastrophen­
                                      29,39). Inselstaaten gehören kontinentübergrei-      risiko weltweit ist Katar (Indexwert: 0,31).
                                      fend überdurchschnittlich oft zu den Ländern
                                      mit einem hohen oder sehr hohen Katastro-          ++ Der WeltRisikoIndex 2019 gibt das Katastrophen­
                                      phenrisiko. Dies ist oft auf ihre hohe bzw. sehr     risiko für 180 Länder der Welt an. Damit umfasst
                                      hohe Gefährdung gegenüber extremen Naturer-          der Index acht Länder mehr als im Vorjahr:
                                      eignissen zurückzuführen.                            Antigua und Barbuda (Rang 2), Demokratische
                                                                                           Republik Kongo (Rang 56), Föderierte Staaten
                                    ++ Insgesamt befinden sich die Hotspot-Regionen        von Mikronesien (Rang 72), Montenegro
                                      des Katastrophenrisikos auch 2019 in Ozeanien,       (Rang 88), St. Lucia (Rang 123), São Tomé und
                                      Südostasien, Mittelamerika sowie in West- und        Príncipe (Rang 162), Malediven (Rang 169) sowie
                                      Zentralafrika.                                       St. Vincent und die Grenadinen (Rang 178).

                                    ++ In der Gesamtbetrachtung der Kontinente liegt     ++ Erstmals seit 2012 war eine Aktualisierung der
                                      die höchste gesellschaftliche Verwundbarkeit in      Daten zur Gefährdung gegenüber extremen
                                      Afrika vor, gefolgt von Asien und Amerika.           Naturereignissen möglich. Alle Angaben in der
                                                                                           Expositionskomponente des WeltRisikoIndex
                                    ++ Europa ist der Kontinent mit dem niedrigsten        stammen nun aus einem Bevölkerungsdaten-
                                      Katastrophenrisiko weltweit. Deutschland weist       satz (LandScan 2017).
                                      mit einem Indexwert von 2,43 ein sehr geringes
                                      Katastrophenrisiko auf und liegt auf Rang 163
                                      im WeltRisikoIndex. Ein noch geringeres Risiko

6 WeltRisikoBericht 2019
WELTRISIKOBERICHT 2019 - FOKUS: WASSERVERSORGUNG - WELTHUNGERHILFE
Fokus: Wasserversorgung
                                                        Rang     Land                             Risiko
++ Wassersicherheit herzustellen bedeutet zwei-            1.    Vanuatu                          56,71      Abbildung 2:
  erlei: zum einen Menschen einen Zugang zu                                                                  Auszug aus dem
                                                           2.    Antigua und Barbuda              30,80      WeltRisikoIndex
  ausreichender Wasserversorgung zu garantie-
                                                           3.    Tonga                            29,39      2019
  ren (Sicherheit durch Wasser), zum anderen
                                                           4.    Salomonen                        29,36
  Menschen vor den Gefährdungen durch Wasser
                                                           5.    Guyana                           22,87
  zu schützen (Sicherheit vor Wasser).
                                                           6.    Papua-Neuguinea                  22,18
++ Hauptprobleme der Wasserversorgung sind die             7.    Brunei Darussalam                21,68
  ungleiche Verteilung nach Regionen und die               8.    Guatemala                        20,69
  Ungleichheit innerhalb von Gesellschaften. Nicht         9.    Philippinen                      20,69
  selten ist Wasser für die Ärmsten am teuersten.         10.    Bangladesch                      18,78
                                                          11.    Kap Verde                        18,02
++ Die Auswirkungen des Klimawandels verschär-            12.    Fidschi                          17,83
  fen wasserbedingte Problemlagen nicht nur in            13.    Costa Rica                       17,37
  trockenen Gebieten, sondern weltweit. Extreme           14.    Dschibuti                        16,46
  Naturereignisse wie Dürren am Horn von Afrika,          15.    Timor-Leste                      16,39
  Zyklone mit Überschwemmungen im südlichen                ...                              ...      ...
  Afrika oder in Asien bringen über Jahrzehnte           163.    Deutschland                       2,43
  etablierte Abläufe in der Wasserversorgung an
                                                           ...                              ...      ...
  ihre Grenzen.
                                                         166.    Norwegen                          2,34
                                                         167.    Litauen                           2,29
++ Im Falle extremer Naturereignisse und gewalt-
                                                         168.    Schweden                          2,20
  samer Konflikte kann die Gewährleistung einer
  sicheren Wasserversorgung je nach Situation            169.    Malediven                         2,08
  noch weitaus schwieriger werden als in krisen-         170.    Schweiz                           2,05
  freien Zeiten.                                         171.    Estland                           2,04
                                                         172.    Finnland                          1,94
++ Wenn es an Wasser mangelt und nur die Grund-          173.    Ägypten                           1,84
  bedürfnisse zum Überleben gedeckt werden               174.    Island                            1,71
  können, bleiben wichtige Entwicklungsprozesse          175.    Barbados                          1,35
  auf der Strecke. Wassermangel wirkt sich nicht         176.    Saudi-Arabien                     1,04
  nur auf Landwirtschaft und Gesundheitsversor-          177.    Grenada                           1,01
  gung aus. Wenn Kinder zum Wasserholen statt            178.    St. Vincent und d. Grenadinen     0,80
  in die Schule geschickt werden, beeinträchtigt         179.    Malta                             0,54
  Wassermangel auch die Bildungssituation.               180.    Katar                             0,31

++ Die internationale Gemeinschaft versagt drama-
  tisch bei der Gewährleistung des Rechts auf          professioneller und Gemeinschaftsbasis, die
  Sanitärversorgung. Dies ist zu einem großen          in unterschiedlichen Kontexten angewendet
  Teil durch das Unbehagen bedingt, Themen             werden könnten.
  wie Toiletten und Sanitäranlagen auf die poli-
  tische Agenda zu setzen und dafür Mittel zu        ++ Gerade bei der nachhaltigen Wasserversorgung
  mobilisieren.                                        in dicht besiedelten Gebieten wie Flüchtlings-
                                                       camps und Städten besteht großes Optimie-
++ Geber von humanitären Hilfsgeldern sind häufig      rungspotenzial. Geber und humanitäre Orga-
  zögerlich, robuste Infrastrukturen zur Wasser-       nisationen sollten Voraussetzungen für eine
  versorgung zu finanzieren und setzen tenden-         erfolgreiche Übergabe von Technologien an
  ziell zu lange auf eine mobile Versorgung durch      lokale Akteure frühzeitig identifizieren und
  Tankwagen (Water Trucking). Dabei existie-           dem Aufbau notwendiger Kapazitäten mehr
  ren erprobte langfristige Betriebsmodelle auf        Aufmerksamkeit widmen.

                                                                                                           WeltRisikoBericht 2019 7
WELTRISIKOBERICHT 2019 - FOKUS: WASSERVERSORGUNG - WELTHUNGERHILFE
WELTRISIKOBERICHT 2019 - FOKUS: WASSERVERSORGUNG - WELTHUNGERHILFE
1         asser weltweit:
                                    W
                                    Mangel versus Überfluss
                           Der Zugang zu ausreichend sauberem Wasser, einer sicheren Abwasserent-
Peter Mucke                sorgung und Sanitäranlagen ist weltweit sehr unterschiedlich verteilt. Die
Geschäftsführer, Bündnis
­Entwicklung Hilft
                           internationale Staatengemeinschaft hat mit den Sustainable Development
                           Goals (SDGs) Ziele für eine verbesserte Versorgung verabschiedet, von der
                           alle Menschen profitieren sollen. Nicht zuletzt für die Katastrophenvorsorge
                           sind Fortschritte in diesem Bereich von großer Bedeutung. Nach extremen
                           Naturereignissen muss auch bei zerstörter Infrastruktur die Wasserversor-
                           gung schnell wiederhergestellt werden, um Überleben zu sichern und die
                           Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern.

                           Der menschliche Körper besteht zum großen         Anders als Hunger bleibt Durst unbarmherzig
                           Teil aus Wasser, bei Erwachsenen sind es circa    erhalten, nur starke Schmerzen oder Atemnot
                           60 Prozent, bei Säuglingen gar 75 Prozent des     können ihn vergessen machen.
                           Körpergewichts. Ständig gibt der Körper Wasser
                           ab, durch Verdunstung auf der Haut, durch die     Pro Person und Tag werden 7,5 bis 15 Liter
                           Harnproduktion und durch die Wasserabgabe         Wasser als Mindestmenge benötigt, wobei
                           der Lunge mit der Atemluft – durchschnittlich     für den Überlebensbedarf – also Trinken und
                           2,4 Liter pro Tag (Kurtz 2014). Bei schwitzen-    Essen – 2,5 bis 3 Liter, für Hygiene 2 bis 6 Liter
                           den Menschen ist der Wasserverlust deutlich       und für Kochen 3 bis 6 Liter gerechnet werden
                           höher.                                            (­Sphere Association 2018). Der spezifische
                                                                             Bedarf ist abhängig vom Klima, von kulturel-
                           Mangelt es an Trinkwasser, steigert sich der      len und sozialen Normen sowie individuellen
                           Durst nach und nach ins Unerträgliche. Die        Bedürfnissen in der Regel höher. In Deutsch-
                           Körpertemperatur erhöht sich, das Herz beginnt    land liegt der durchschnittliche, haushaltsbe-
                           schneller zu schlagen. Steigt der Wasserverlust   zogene Pro-Kopf-Verbrauch bei 127 Liter pro
                           auf zehn Prozent des Körpergewichts an, begin-    Tag (BDEW 2019), dort ist Wasser im Über-
                           nen Verwirrungszustände und Wahnvorstel-          fluss vorhanden. Die Kostbarkeit von sauberem
                           lungen. Ohne feste Nahrung kann ein Mensch        Wasser wird vor allem jenen Menschen bewusst,
                           wochenlang überleben, ohne Wasser sind es         die in Gebieten mit ausgedehnter Trockenheit
                           selbst unter günstigen klimatischen Bedingun-     leben, ohne angemessene Wasserversorgung
                           gen nur wenige Tage.                              und ohne Abwasser­beseitigung.

                           Das Recht auf Wasser
                           Wasser ist auf der Erde in nahezu unbegrenzter    fast zwei Prozent sind als Eiskappen der Pole
                           Menge vorhanden. Circa 71 Prozent der Erdober-    festgefroren und ein weiterer Anteil befindet
                           fläche sind damit bedeckt, das gesamte Wasser-    sich als Wasserdampf oder Wolken in der Atmo-
                           volumen beträgt rund 1,4 Milliarden Kubik­        sphäre. Nur 0,3 Prozent des Gesamtvorrats an
                           kilometer. Doch für den menschlichen Bedarf ist   Süßwasser, rund 100.000 Kubikkilometer, sind
                           davon nur ein ganz begrenzter Teil nutzbar. Gut   relativ leicht verfügbar (BPB 2017). Und auch
                           96,5 Prozent macht das salzige Meerwasser aus,    diese Ressource ist sehr unterschiedlich verteilt.

                                                                                                  WeltRisikoBericht 2019 9
Ungleiche Verteilung                                Das Menschenrecht auf Wasser

                            Hauptproblem bei der Wasserversorgung sind          Mit der Resolution 64/292 haben die Verein-
                            die ungleiche Verteilung nach Regionen und          ten Nationen im Jahr 2010 das Menschenrecht
                            die Ungleichheit innerhalb der Gesellschaften.      auf Wasser beschlossen: Die Generalversamm-
                            Nicht selten ist Wasser gerade für die Ärms-        lung „erkennt das Recht auf einwandfreies und
                            ten am teuersten (siehe Kapitel 2.2). In 22         sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung
                            Ländern herrscht akut Wasserstress, das heißt       als ein Menschenrecht an, das unverzichtbar
                            die verbrauchten Wasservorräte werden nicht         für den vollen Genuss des Lebens und aller
                            im notwendigen Maße durch Regen oder Rück-          Menschenrechte ist“. Sie hat dabei auch die
                            führung von gereinigtem Wasser regeneriert          Staaten und die internationalen Organisatio-
                            (UN 2018). Auch die Nutzung von unterirdi-          nen aufgefordert, „im Wege der internationa-
                            schen Vorkommen ist ohne ihre Erneuerung            len Hilfe und Zusammenarbeit Finanzmittel
                            keine tragfähige Alternative. Derzeit sind schät-   bereitzustellen, Kapazitäten aufzubauen und
                            zungsweise 3,6 Milliarden Menschen in Gebie-        Technologien weiterzugeben, insbesondere
                            ten zuhause, die mindestens einen Monat pro         für die Entwicklungsländer, um die Anstren-
                            Jahr Wasserknappheit haben. Und diese Bevöl-        gungen zur Bereitstellung von einwandfreiem,
                            kerung könnte bis 2050 auf etwa 4,8 bis 5,7         sauberem, zugänglichem und erschwinglichem
                            Milliarden wachsen (WWAP 2019, 14).                 Trinkwasser und zur Sanitärversorgung für alle
                                                                                zu verstärken“ (UN-Doc. A/Res/64/292). Bis
                            Die weltweite Nachfrage nach Wasser steigt          heute ist die Interpretation des Menschenrechts
                            seit 1980 pro Jahr um etwa ein Prozent, Prog-       auf Wasser strittig (siehe hierzu Kapitel 2.1).
                            nosen der Vereinten Nationen gehen von noch
                            höheren Zuwächsen in den kommenden Jahren           Die Vereinten Nationen fordern für die Wasser-
                            aus (WWAP 2019, 13). Beispielsweise hat sich        versorgung weltweit die Sicherstellung der
                            die Größe der weltweit bewässerten Fläche in        Wasserverfügbarkeit,    Wasserqualität    und
                            den vergangenen 50 Jahren verdoppelt. Und           Wasserzugänglichkeit (physisch und wirt-
                            die Erneuerung der Wasser-Ressourcen durch          schaftlich). Die Wasserversorgung muss sicher
                            Führung des Wassers in einem Kreislauf liegt in     und erreichbar sein, auch für Menschen mit
                            weiter Ferne: 80 Prozent des weltweiten Abwas-      Behinderungen und für Ältere. Das Wasser
                            sers werden unbehandelt bzw. nicht ausrei-          muss zu angemessenen Kosten erwerbbar
                            chend aufbereitet in die Umwelt (in Flüsse, Seen    sein und kulturellen Ansprüchen genügen
                            oder Meere) abgegeben (WWAP 2017, 2).               (CESCR 2002).

                            Trinkwasser- und Sanitärversorgung
                            Zwar war mit der Millenniums-Erklärung der          Sanitärversorgung so ausgeweitet, dass sie bis
                            Vereinten Nationen schon im Jahr 2000 inter-        2030 allen Menschen zugutekommen sollen –
                            national vereinbart worden, bis zum Jahr 2015       gemäß der Festschreibung als Menschenrecht
                            sowohl den Anteil der Menschen, die einwand-        auf Wasser.
                            freies Trinkwasser nicht erreichen oder es
                            sich nicht leisten können, als auch den Anteil      Aktuelle Situation
                            der Menschen, die keinen Zugang zu grund-
                            legenden sanitären Einrichtungen haben, zu          Im Juni 2019 veröffentlichten UNICEF und WHO
                            halbieren (UN-Doc. A/Res/55/2). Doch erst           die aktuellen Zahlen zur Wasserversorgung
                            mit den 2015 vereinbarten Zielen für eine nach-     weltweit (UNICEF / WHO 2019). Demnach
                            haltige Entwicklung (Sustainable Develop-           fehlt 785 Millionen Menschen weltweit die
                            ment Goals SDGs, siehe Schaukasten rechts)          Grundversorgung mit Trinkwasser. Das heißt,
                            wurden die international vereinbarten Anstren-      sie können innerhalb einer Entfernung von
                            gungen für eine verbesserte Wasser- und             insgesamt 30 Gehminuten keine geschützte

10 WeltRisikoBericht 2019
Trinkwasser­ quelle erreichen. 2,2 Milliar-        Ziele nachhaltiger Entwicklung
den Menschen haben keine sichere Wasser-
versorgung, also kein Trinkwasser auf dem          SDG 6 „Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von
Grundstück, das jederzeit und frei von Konta-      Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten“ beinhaltet:
minierungen verfügbar ist. Zwei Milliarden
Menschen weltweit haben keine Grundversor-         6.1 Bis 2030 den allgemeinen und gerechten Zugang zu ein­-
gung mit Sanitäranlagen. Sie verfügen über              wandfreiem und bezahlbarem Trinkwasser für alle erreichen
keine Toilette, die nicht mit anderen Haushal-
ten geteilt werden muss. Weiteren 2,2 Milliar-     6.2 Bis 2030 den Zugang zu einer angemessenen und gerech-
den fehlt eine sichere Sanitärversorgung mit            ten Sanitärversorgung und Hygiene für alle erreichen und
hygienischen Toiletten, deren Abwasser sicher           der Notdurftverrichtung im Freien ein Ende setzen, unter
behandelt und entsorgt wird. Dagegen steht 3,4          besonderer Beachtung der Bedürfnisse von Frauen und
Milliarden Menschen eine sichere Sanitärver-            Mädchen und von Menschen in prekären Situationen
sorgung zur Verfügung. Die fehlende Grund-
versorgung betrifft bei Sanitäranlagen zu 70       6.3 Bis 2030 die Wasserqualität durch Verringerung der Ver­­
Prozent und bei Trinkwasser zu 80 Prozent den           schmutzung, Beendigung des Einbringens und Minimie-
ländlichen Raum.                                        rung der Freisetzung gefährlicher Chemikalien und Stoffe,
                                                        Halbierung des Anteils unbehandelten Abwassers und
Auch die globalen Trends für Hygiene zeigen,            eine beträchtliche Steigerung der Wiederaufbereitung und
dass weiterhin großer Handlungsbedarf besteht:          gefahrlosen Wiederverwendung weltweit verbessern
Drei Milliarden Menschen weltweit haben keine
oder nur eingeschränkte Möglichkeiten, sich die    6.4 Bis 2030 die Effizienz der Wassernutzung in allen Sektoren
Hände im oder am Haus mit Seife zu waschen.             wesentlich steigern und eine nachhaltige Entnahme und
Jedes Jahr sterben 297.000 Kinder unter fünf            Bereitstellung von Süßwasser gewährleisten, um der
Jahren an Durchfallerkrankungen, die durch              Wasser­knappheit zu begegnen und die Zahl der unter
mangelnde Wasser-, Sanitär- und Hygienever-             Wasserknappheit leidenden Menschen erheblich zu
sorgung verursacht sind (UN 2019; siehe auch            verringern
Schaukasten „Krank durch Wasser“, Seite 31).
                                                   6.5 Bis 2030 auf allen Ebenen eine integrierte Bewirtschaf-
Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass            tung der Wasserressourcen umsetzen, gegebenenfalls auch
von 2000 bis 2017 bereits viel erreicht wurde           mittels grenzüberschreitender Zusammenarbeit
(UNICEF / WHO 2019): Der Anteil der Bevöl-
kerung mit Zugang zu einer sicheren Trink-         6.6 Bis 2020 wasserverbundene Ökosysteme schützen und
wasserversorgung stieg von 61 auf 71 Prozent,           wiederherstellen, darunter Berge, Wälder, Feuchtgebiete,
1,8 Milliarden Menschen erhielten mindestens            Flüsse, Grundwasserleiter und Seen
Zugang zu einer Grundversorgung. Die Zahl
der Menschen ohne Grundversorgung sank             6.A Bis 2030 die internationale Zusammenarbeit und die Unter-
damit auf 785 Millionen und die Anzahl der              stützung der Entwicklungsländer beim Kapazitätsaufbau für
Menschen, die auf ungereinigtes Oberflächen-            Aktivitäten und Programme im Bereich der Wasser- und
wasser zurückgreifen müssen, von 256 Milli-             Sanitärversorgung ausbauen, einschließlich der Wasser-
onen auf 144 Millionen. Diese Fortschritte              sammlung und -speicherung, Entsalzung, effizienten
wurden vor allem im ländlichen Raum erzielt.            Wassernutzung, Abwasserbehandlung, Wiederaufberei-
Der Zugang zu einer gesicherten Sanitärversor-          tungs- und Wiederverwendungstechnologien
gung stieg von 28 auf 45 Prozent. Die Zahl der
Menschen, die im Freien defäkieren müssen,         6.B Die Mitwirkung lokaler Gemeinwesen an der Verbesserung
sank von 1,3 Milliarden auf 673 Millionen und           der Wasserbewirtschaftung und der Sanitärversorgung
hat sich damit nahezu halbiert.                         unterstützen und verstärken

Das Zwischenfazit im Jahr 2019 zeigt somit         (Zitiert gemäß UN General Assembly 2015)
eine zweigeteilte Einschätzung: Vieles wurde
bereits auf den Weg gebracht, vieles bleibt noch
zu tun. Auch für die Zukunft stellen die hohe

                                                                                              WeltRisikoBericht 2019 11
Ungleichheit der Einkommen, das Bevölke-                       der Pro-Kopf-Wasserverbrauch im Erhebungs-
                                  rungswachstum und die rapide Vergrößerung                      zeitraum 2013 – 2017 von 47,83 m³ pro Jahr in
                                  der städtischen Ballungszentren die großen                     der Elfenbeinküste bis 1.710 m³ in Usbekistan.
                                  Herausforderungen für die Wasser- und die
                                  Sanitärversorgung dar.                                         Bei der Interpretation der Daten ist jedoch
                                                                                                 Vorsicht geboten. Denn der Pro-Kopf-
                                  Pro-Kopf-Verbrauch und virtuelles Wasser                       Verbrauch ist keine Messgröße, die linear inter-
                                                                                                 pretiert werden kann. Zwar gilt im Allgemei-
                                  Der Wasserverbrauch pro Kopf wird als eine                     nen, dass der Wasserverbrauch in Ländern mit
                                  Möglichkeit genutzt, die Wasserversorgung                      geringerem Entwicklungsstand gemäß Human
                                  international zu vergleichen. Die Menge an                     Development Index (HDI) niedrig ist und in
                                  sauberem Wasser, die pro Person verbraucht                     Ländern mit hohem Entwicklungsstand gemäß
                                  wird, umfasst dabei weit mehr als nur die                      HDI in der Regel hoch. Doch es gibt Gegenbei-
                                  Nutzung zum Trinken, Kochen und Waschen.                       spiele: So hat Großbritannien (HDI-Rang: 14)
                                  Für die Herstellung von Konsumgütern wie                       einen Wasserverbrauch von 127,2 m³ pro Kopf
                                  Baumwolle, Kaffee, Fleisch oder Textili-                       und Indonesien (HDI-Rang: 116) von 843,2 m³
                                  en werden in Landwirtschaft und Industrie                      pro Kopf (FAO 2019; UNDP 2018).
                                  große Mengen an Frischwasser benötigt, das
                                  nur in geringem Maße wieder zurückgewon-                       Ein hoher Pro-Kopf-Wasserverbrauch eines
                                  nen wird. Die Menge an Wasser, die für den                     Landes kann ein Indikator für gute Trinkwasser-
                                  gesamten Herstellungsprozess von Produkten                     versorgung, umfangreiche Hygiene-Möglich-
                                  verwendet wird, bezeichnet man als „virtuel-                   keiten, ertragreiche Landwirtschaft und umfas-
                                  les Wasser“. Auch dies wird beim Pro-Kopf-                     sende Herstellung von Produkten sein. Er kann
                                  Wasserverbrauch eines Landes mit eingerech-                    aber ebenso ein Zeichen für Verschwendung
                                  net (siehe Abbildung 3 unten). Basierend auf                   und für die Übernutzung der Ressource Wasser
                                  den Daten aus AQUASTAT, einer Datenbank                        sein. Ein niedriger Wasserverbrauch pro Kopf
                                  der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO mit                     ist zwar in der Regel eine Problemanzeige, kann
                                  Informationen zu Wasserressourcen und                          aber auch durch Wassersparmaßnahmen in
                                  -nutzung von über 180 Ländern, erstreckt sich                  Haushalten, effiziente Bewässerungssysteme

            659,7
                                                                                                              602,5

                                                                            308,5
                                                 251,1

                                                                                                                                      81,1

               Australien                          Kolumbien                  Deutschland                          Indien               Kenia

Abbildung 3: Ländervergleich des Pro-Kopf-Wasserverbrauchs (direkter und indirekter Verbrauch, alle Angaben in m3 / Jahr)
Datenquelle: FAO AQUASTAT 2019

12 WeltRisikoBericht 2019
oder geschlossene Wasserkreisläufe bei der           ++   Findet eine Erneuerung der Wasserreserven
industriellen Produktion verursacht sein.                 statt?

Bei der Beurteilung der Wassersituation eines        ++   Ist die Wassernutzung für alle
Landes (siehe auch Klappkarte „Wasser­   ver­             Bewohner*innen gleichberechtigt
sorgung: Handlungsbedarf in gefährdeten                   gewährleistet?
Ländern“) sind daher neben dem Pro-­   Kopf-
Verbrauch auch andere wichtige Aspekte zu            ++   Wird das genutzte Wasser sauber in den
berücksichtigen:                                          Kreislauf zurückgeführt?

Wasserversorgung in Katastrophen und Krisen
Im Falle extremer Naturereignisse und gewalt-        Menschen, die durch Fluten bedroht sind, von
samer Konflikte kann die Gewährleistung einer        derzeit 1,2 Milliarden auf 1,6 Milliarden im Jahr
sicheren Wasserversorgung je nach Situation          2050 ansteigen wird.
noch weitaus schwieriger werden als in krisen-
freien Zeiten, zum Beispiel:                         Risikobewertung

++   Wasser-Quellen wie Stauseen oder Brunnen        Die Relevanz des diesjährigen Fokus „Wasser-
     werden verunreinigt oder zerstört.              versorgung“ des WeltRisikoBerichts zeigt sich
                                                     auch beim WeltRisikoIndex: Insgesamt drei
++   Wasser-Speichersysteme oder Verteilungs-        der 27 Indikatoren haben hierzu direkten Bezug
     netzwerke für Trinkwasser wie Rohrsysteme       (siehe Kapitel 3). Für die Indikatoren „Anteil
     - also die Infrastruktur - werden beeinträch-   der Bevölkerung ohne Zugang zu Trinkwasser-
     tigt oder zerstört.                             Grundversorgung“ und „Anteil der Bevölkerung
                                                     ohne Zugang zu sanitärer Grundversorgung“,
++   Abwassertransport, Kläranlagen und              die der Komponente Anfälligkeit zugeordnet
     Pumpsysteme fallen aus, weil sie geschädigt     sind, gilt grundsätzlich: Je weniger Menschen
     werden oder die Energieversorgung gestört       einer Gesellschaft Zugang zu einer Grundver-
     wird.                                           sorgung mit Trinkwasser und sanitären Anla-
                                                     gen haben, desto anfälliger ist sie gegenüber
++   Die Schäden an der Infrastruktur können         extremen Naturereignissen. Auch wie sorg-
     unter anderem dazu führen, dass ein             sam mit dem verfügbaren Wasser umgegan-
     un­gleicher Zugang zu Wasser oder eine          gen wird, ist mitentscheidend darüber, wie gut
     ungleiche Verteilung für verschiedene           eine Bevölkerung gegenüber Naturgefahren
     Bevölkerungsgruppen entstehen.                  gewappnet ist. Dies wird im WeltRisikoIndex
                                                     mit dem Indikator „Wasserressourcen“ bzw.
++   Aufgrund der Schäden leiden die Wasser-         Anteil des Abwassers, das zumindest einer
     qualität und der Standard der Sanitärver-       ersten Reinigung unterzogen wird berücksich-
     sorgung, es treten vermehrt wasserinduzier-     tigt. Er ist in der Komponente Anpassungska-
     te Krankheiten auf.                             pazitäten aufgenommen.

Dabei steht in vielen Fällen die Katastrophe         Maßnahmen im Katastrophenfall
in direktem oder indirektem Zusammen-
hang mit Wasser. Von 1995 bis 2015 gingen            In Katastrophensituationen ist die Wasserver-
über 90 Prozent der Katastrophen auf Über-           sorgung oftmals eine große Herausforderung
schwemmungen, Wirbelstürme, Hitzewel-                (siehe auch Klappkarte „Wie extreme Naturer-
len oder andere wetterbedingte Er­   eig­
                                        nisse        eignisse die Wasserversorgung gefährden“). Die
zurück (CRED / UNISDR 2015, 5). Prognosen            Überlebenden müssen schnell Zugang zu saube-
der OECD gehen davon aus, dass die Zahl der          rem Wasser erhalten, eine Verunreinigung der

                                                                          WeltRisikoBericht 2019 13
Wasserquellen muss unterbunden und vorhan-         Wasser in saubere Gefäße abfüllen und auf dem
                            dene Infrastruktur für die Wasser- und Sanitär-    Weg nach Hause Verunreinigungen vermieden
                            versorgung instand gesetzt werden.                 werden. Regelmäßig wird die Trinkwasserqua-
                                                                               lität durch Analysen überwacht.
                            Basis der Maßnahmen sollte eine genaue Analy-
                            se der vorhandenen Wasserzugänge und der           Eine einfach zu transportierende Trinkwasser-
                            Qualität des verfügbaren Wassers sein. Je nach     aufbereitungsanlage für die mobile Notfallver-
                            Situation im Katastrophengebiet können dann        sorgung ist der Wasserrucksack PAUL (Portable
                            zum Beispiel eine oder mehrere der folgen-         Aqua Unit for Lifesaving), den beispielweise die
                            den kurzfristigen Maßnahmen zum Einsatz            Bündnis-Mitglieder Christoffel-Blindenmission
                            kommen:                                            und terre des hommes einsetzen. Kernelement
                                                                               des Wasserrucksacks ist eine Filtermembran,
                            ++   Wassertransport mit Tankfahrzeugen            die Partikel, Bakterien und Viren weitestgehend
                                 (Water Trucking)                              zurückhält. Die Anlage ist etwa 20 Kilogramm
                                                                               schwer und zeichnet sich durch einen einfa-
                            ++   Aufbau von Wasserspeichern (Rapid Instal-     chen mechanischen Aufbau, einfache Handha-
                                 lation Tanks)                                 bung und einen Betrieb ohne externe Energie
                                                                               und Chemikalien aus. Der von der Universität
                            ++   Reparatur bzw. Aufbau von Rohrsystemen        Kassel entwickelte Wasserrucksack kann bis
                                 zur Wasserverteilung und für Zapfstellen      zu 2.500 Liter Wasser pro Tag reinigen. Ende
                                                                               2018 waren weltweit bereits 3.000 Geräte im
                            ++   Reinigung und Desinfizierung von größeren     Einsatz (Frechen 2019).
                                 Wassermengen (zentral und dezentral
                                 direkt in den Haushalten)                     Da von Katastrophen aufgrund extremer
                                                                               Naturereignisse in besonderem Maße Insel-
                            ++   Übergangsweise Nutzung von                    staaten und Länder mit ausgedehnten
                                 Grundwasservorräten.                          Küstenregionen betroffen sind (siehe Kapi-
                                                                               tel 3), kommt der Weiterentwicklung mobi-
                            Vielfach werden einfache Technologien für          ler Meerwasser-Entsalzungsanlagen beson-
                            die kurzfristige Wasserversorgung genutzt.         dere Bedeutung zu. Zahlreiche Anlagen zur
                            Beispielsweise setzt die Welthungerhilfe mobi-     Entsalzung, die auf unterschiedlichen Tech-
                            le Aufbereitungsanlagen ein, die in Not­  hilfe-   nologien basieren, werden im Rahmen von
                            Situationen innerhalb weniger Stunden nahe         Projekten der Entwicklungszusammenarbeit
                            einer Wasserquelle (Fluss, See) installiert        in verschiedenen Ländern eingesetzt, zum
                            werden können (Welthungerhilfe 2019).              Teil in kleinem Maßstab auf Haushaltsebene
                            Damit kann die Wasserversorgung mit einer          (Boden / Subban 2018).
                            Kapazität von über 60 m³ pro Tag gesichert
                            werden. Das Wasser wird in einen kreisförmi-       Mit dem Fortbestehen einer humanitären
                            gen „Zwiebeltank“ gepumpt und dort geklärt.        Krise sollten möglichst längerfristige Lösun-
                            Die Sedimente lagern sich auf dem Boden des        gen zur Wasserversorgung etabliert werden
                            Tanks ab. Das Wasser wird dann in zwei flexi-      und die mobilen Aufbereitungsanlagen und
                            ble Tanks gepumpt, mit Chlor behandelt und         andere kurzfristige Versorgungsmaßnahmen
                            dadurch desinfiziert. Bereits nach 30 Minuten      ablösen (siehe Kapitel 2.3). In Kapitel 4 des
                            ist das Wasser trinkbar. Über eine Vielzahl von    Berichts werden weitere Handlungsempfeh-
                            Wasserhähnen, die an die Tanks angeschlos-         lungen formuliert, wie sich Fortschritte in der
                            sen sind, versorgen sich über 2.800 Menschen       Wasser- und Sanitärversorgung erzielen lassen
                            pro Tag auf diesem Wege mit Trinkwasser. Es        und Menschen so widerstandsfähiger gegen
                            wird darauf geachtet, dass die Menschen das        Katastrophen werden können.

14 WeltRisikoBericht 2019
Das Konzept des WeltRisikoBerichts

Risikobegriff und Ansatz                                 tativer Herangehensweise, das Hinter­                     Im WeltRisikoIndex können – wie in jedem
                                                         gründe und Zusammenhänge beleuchtet                       Index – nur Indikatoren berücksichtigt
Die Risikobewertung im WeltRisikoBericht                 – in diesem Jahr zum Thema „Wasser­-                      werden, für die nachvollziehbare, quanti-
beruht auf dem grundsätzlichen Verständ-                 versorgung“.                                              fizierbare Daten verfügbar sind. Beispiels-
nis, dass für die Entstehung einer Kata-                                                                           weise ist die direkte Nachbarschaftshilfe
strophe nicht allein entscheidend ist, wie               Die Berechnung des Katastrophenrisikos                    im Katastrophenfall zwar nicht messbar,
hart die Gewalten der Natur die Menschen                 erfolgt für 180 Staaten weltweit und                      aber dennoch sehr wichtig. Außerdem
treffen, sondern auch, wie Gesellschaften                basiert auf vier Komponenten:                             kann es Abweichungen in der Datenqua-
auf extreme Naturereignisse reagieren                                                                              lität zwischen verschiedenen Ländern
können. Je nach Entwicklungsstand ist                    ++ Gefährdung / Exposition gegenüber Erd­­-               geben, wenn die Datenerhebung nur
die Bevölkerung verletzlicher gegenüber                    beben, Wirbelstürmen, Überschwem­-                      durch nationale Autoritäten und nicht
Naturereignissen als bei einer besseren                    mungen, Dürren und Meeres­spiegel­-                     durch eine unabhängige internationale
Ausgangslage hinsichtlich Anfälligkeit,                    anstieg                                                 Institution erfolgt.
Bewältigungs- und Anpassungskapazitä-
ten (Bündnis Entwicklung Hilft 2011).                    ++ Anfälligkeit in Abhängigkeit von Infra-                Ziel des Berichts
                                                           struktur, Ernährung und ökonomischen
Risikobewertung                                            Rahmenbedingungen                                       Die Darstellung des Katastrophenrisikos
                                                                                                                   mithilfe des Index und seiner vier Kompo-
Der WeltRisikoBericht beinhaltet den Welt­­-             ++ Bewältigungskapazitäten in Ab­hän-                     nenten macht die weltweiten Hotspots des
RisikoIndex, der seit 2018 vom Institut für                gigkeit von Regierungsführung, medi­                    Katastrophenrisikos und die Handlungs-
Friedenssicherungsrecht und Humanitäres                    zinischer Versorgung, sozialer und                      felder für die erforderliche Risikoreduzie-
Völkerrecht (IFHV) der Ruhr-Universität                    materieller Absicherung                                 rung auf quantitativer Basis sichtbar. Auf
Bochum berechnet wird. Entwickelt wurde                                                                            dieser Grundlage, ergänzt durch die quali-
der Index vom Bündnis Entwicklung Hilft                  ++ Anpassungskapazitäten bezogen auf                      tativen Analysen, können Handlungsemp-
und der United Nations University Bonn.                    kommende Naturereignisse, auf den                       fehlungen für nationale und internatio­-
Neben dem Datenteil enthält der Bericht                    Klimawandel und auf andere Heraus-                      nale, staatliche und zivilgesellschaftliche
immer auch ein Fokuskapitel mit quali­-                    ­­forderungen.                                          Akteure formuliert werden.

                             Naturgefahren-Bereich                                           Gesellschaftlicher Bereich

                     Überschwemmungen

                                                                                                   Vulnerabilität
                                                                                                   Summe aus den drei
      Meeresspiegelanstieg         Gefährdung                                                        Komponenten
                                  Exposition gegenüber
                                     Naturgefahren

        Wirbelstürme                                                                                                                       Bewältigung
                                                                         Anfälligkeit                                                      Kapazitäten zur
                                                                         Wahrscheinlichkeit, im                                            Verringerung negativer
                                                                         Ereignisfall Schaden zu                                           Auswirkungen im
                                                                         erleiden                                                          Ereignisfall
            Dürren

                                                                                                                  Anpassung
                       Erdbeben                     WeltRisikoIndex                                               Kapazitäten für
                                                                                                                  langfristige Anpassung
                                            Produkt aus Gefährdung und Vulnerabilität
                                                                                                                  und Wandel

Abbildung 4: Der WeltRisikoIndex und seine Komponenten

                                                                                                                                     WeltRisikoBericht 2019 15
2          Wasserversorgung
                                   2.1 „Water Security“ als Teil internationalen
                                   Rechts und internationaler Politik

                                   „Wassersicherheit“ muss auf zwei Weisen verstanden werden: einerseits als
Pierre Thielbörger                 „Sicherheit durch Wasser“ im Sinne eines Zugangs für Individuen zu saube-
Professor für öffentliches Recht
und Völkerrecht, IFHV,             rem Wasser als Lebensgrundlage, andererseits als „Sicherheit vor Wasser“
Ruhr-Universität Bochum            im Sinne der Abwesenheit von wasserspezifischen Gefahren. „Sicherheit
                                   durch Wasser“ beinhaltet eine menschenrechtliche Herangehensweise als
                                   ein Mittel, um gewisse Mindeststandards von Wasserzugang zu garantieren.
                                   Im Mittelpunkt von „Sicherheit vor Wasser“ steht Wasser als Gefahrenquel-
                                   le. Erstens beobachten wir steigende Meeresspiegel sowie wasserbezogene
                                   extreme Naturereignisse wie Überflutungen und Tsunamis, die in Zahl und
                                   Intensität zunehmen. Zweitens prognostizieren viele Expert*innen schon
                                   heute, dass zukünftige Kriege um Wasser geführt werden. Zum Abschluss
                                   wird der Fokus auf aktuelle und zukünftige Herausforderungen an Wasser-
                                   sicherheit gelegt, darunter private Investitionen im Wassersektor, die Folgen
                                   des Klimawandels und die weltweite Sanitärkrise.

                                   Wasser ist ein lebenswichtiges Element – auch      immer (also auch im Ausnahmezustand wie
                                   und gerade in Ausnahmesituationen wie Kata-        bei Katastrophen) zu garantieren. Sicherheit
                                   strophen. „Water Security“ ist dennoch ein         wurde traditionell als ein (zwischen-)staatli-
                                   umstrittenes normatives Konzept ohne einheit-      ches Konzept verstanden, jedoch haben sich die
                                   liche Definition und Interpretation (Allouche et   Begriffe von „environmental security“ (Tuch-
                                   al. 2011). Denn Wasser kann einen Menschen         man Mathews 1989) und „human security“
                                   retten, ihn aber auch töten. Der Begriff muss      (World Summit for Social Development 1995)
                                   daher mindestens in doppelter Weise verstan-       mittlerweile etabliert und den Sicherheitsbe-
                                   den werden: einerseits als „Sicherheit durch       griff erweitert. Dieser Teil von „Water Securi-
                                   Wasser“ im Sinne des Zugangs für Individuen        ty“ ist eng verbunden mit dem Menschenrecht
                                   zu Wasser als Lebensgrundlage, andererseits        auf Wasser – einem noch immer umstrit-
                                   als „Sicherheit vor Wasser“ im Sinne der Abwe-     tenen Menschenrecht (siehe u. a. Thielbör-
                                   senheit von wasserspezifischen Gefahren, die       ger 2014; Winkler 2012; Laskowski 2010),
                                   sowohl natürlich als auch menschengemacht          dessen normative Grundlage und Tragweite
                                   sein können. Detailliert ausgearbeitet ist diese   bis heute viele Fragen offenlässt (Chirwa 2019;
                                   umfassende Betrachtung von Wassersicherheit        Thielbörger 2019a).
                                   in Thielbörger (2019b).
                                                                                      Im Mittelpunkt von „Sicherheit vor Wasser“
                                   „Sicherheit durch Wasser“ beinhaltet eine          steht Wasser als Gefahrenquelle. Dies umfasst
                                   menschenrechtliche Herangehensweise, um            einerseits den Schutz vor einem Zuviel an Was-
                                   Mindeststandards von Wasserzugang für Ver­-­       ser, also insbesondere vor Katastrophen infol-
                                   sorgung, Hygiene, Sanitäranlagen und weite-        ge wasserbedingter extremer Naturereignisse.
                                   re grundlegende Zwecke für Individuen              Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass

                                                                                                           WeltRisikoBericht 2019 17
Wassersysteme besonders vom Klimawandel             wie steigender globaler Temperaturen und
                            betroffen sind, vor allem durch steigende           zunehmend auftretender extremer Naturereig-
                            Meeresspiegel und Überflutungen und Tsuna-          nisse ausdrücklich als Herausforderung für die
                            mis, die in Zahl und Intensität zunehmen            Zukunft hervorgehoben (UN 2015, 61).
                            werden (IPCC 2018). Andererseits wurde auch
                            die Möglichkeit von Kriegen um Wasser seit          Im Jahr 2002 veröffentlichte der Ausschuss für
                            Jahren vielfach diskutiert. Viele Expert*innen      wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
                            prognostizieren schon heute, dass aufgrund          der Vereinten Nationen (CESCR) die allgemei-
                            seiner besonderen politischen und wirtschaft-       ne Bemerkung Nr. 15 zum Thema „Das Recht
                            lichen Bedeutung zukünftig Kriege um Wasser         auf Wasser“ (CESCR 2002). Darin beschreibt
                            geführt werden (Wolf 1999; Rahaman 2012).           der Ausschuss den normativen Inhalt des
                                                                                Rechts auf Wasser und betont, dass es, obwohl
                            Zwar wurden sowohl im Bereich „Sicherheit           es nicht ausdrücklich im Menschenrechtspakt
                            durch Wasser“ als auch im Bereich „Sicherheit       über die wirtschaftlichen, sozialen und kultu-
                            vor Wasser“ in den letzten Jahren große Fort-       rellen Rechte (Sozialpakt) genannt wird, vom
                            schritte erzielt. Gleichzeitig bestehen aber auch   Recht auf einen angemessenen Lebensstan-
                            noch enorme Herausforderungen, auf die die          dard abzuleiten ist (Abs. 3). Es sei außerdem
                            Weltgemeinschaft zeitnah reagieren muss, um         eng mit dem Recht auf den höchsten erreich-
                            eine wassersichere Welt für zukünftige Genera-      baren Gesundheitsstandard und dem Recht
                            tionen noch möglich erscheinen zu lassen.           auf Leben verbunden (Abs. 11). Die allgemeine
                                                                                Bemerkung Nr. 15 ist zwar nicht rechtsverbind-
                            Rechtlicher Rahmen der Sicherheit durch Wasser      lich, darf aber in ihrer Bedeutung für das Recht
                                                                                auf Wasser keinesfalls unterschätzt werden
                            Bereits 1977 stellte der Aktionsplan der Wasser-    (Thielbörger 2014, 67), da sie den normativen
                            konferenz der Vereinten Nationen in Mar del         Inhalt des Rechts auf Wasser erstmals ausführ-
                            Plata fest, dass Wasser als Menschenrecht zu        lich entwickelt hat und von Anfang an, mit nur
                            gelten habe (S. 63). 1979 wurde dieses Recht        wenigen Ausnahmen (Tully 2005), auf breite
                            in Art. 14(2)(h) des Übereinkommens zur             Zustimmung gestoßen ist.
                            Beseitigung jeder Form von Diskriminierung
                            der Frau (UN-Doc. A/RES/34/180) anerkannt           Im Juli 2010 verabschiedete die UN-General-
                            und daraufhin zehn Jahre später auch in Art.        versammlung eine Erklärung, in der sie Zugang
                            24(2) der Kinderrechtskonvention (UN-Doc.           zu Wasser und Sanitäranlagen zum Menschen-
                            A/RES/44/25) übernommen. Das Recht auf              recht erklärte (UN-Doc. A/Res/64/292).
                            Wasser wurde dabei erstmals rechtlich verbind-      Während einige Staaten der Resolution mit
                            lich verankert, wenn auch nur für bestimmte         erheblicher Zurückhaltung begegneten (Thiel-
                            Gruppen.                                            börger 2014, 79 – 80), wurde bereits wenige
                                                                                Monate später, im Oktober 2010, eine ähnliche
                            Im Jahr 2000 verpflichteten sich die Staaten,       Erklärung im Menschenrechtsrat (UN-Doc. A/
                            die Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs) zu         HRC/Res/15/9) einstimmig angenommen.
                            erreichen. Im Ziel 7c wird gefordert, dass bis
                            2015 der Anteil der Bevölkerung ohne nachhalti-     15 Jahre nach der Verabschiedung der Millen­
                            gen Zugang zu sauberem Trinkwasser und sani-        niums-Erklärung, die die MDGs enthält,
                            tärer Grundversorgung halbiert werden solle         beschloss die UN-Generalversammlung die
                            (UN-Doc. A/Res/55/2, Abs. 19). Und tatsächlich      Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs).
                            wurden im Folgenden erhebliche Fortschritte         SDG 6 fordert die universelle Verfügbarkeit
                            erzielt: Im Jahr 2015 hatten 147 von 193 Ländern    und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser
                            das MDG 7c erreicht. Damit hatten 91 Prozent        und Sanitäranlagen. Der jüngste Bericht hierzu
                            der Weltbevölkerung Zugang zu verbesserten          von 2018 stimmt aber nur verhalten optimis-
                            Trinkwasserquellen, gegenüber 76 Prozent im         tisch, dass die einzelnen Unterziele des SDG 6
                            Jahr 1990 (alle Zahlen: UN 2015, 7, 52). Im         erreicht werden können (UN Water 2018). Nur
                            MDG-Bericht 2015 wird dennoch Wasserun-             20 Prozent der Länder, in denen 2015 mindes-
                            sicherheit aufgrund akuter Umweltprobleme           tens fünf Prozent der Bevölkerung keinen

18 WeltRisikoBericht 2019
Zugang zur Grundversorgung mit Trinkwasser         Rechtlicher Rahmen der Sicherheit vor
hatten, seien auf einem guten Weg bis 2030         Wasser
eine universelle Grundversorgung mit Wasser
zu erreichen (UN Water 2018, 39). Sofortige        Schutz vor Wasser hat insbesondere drei
Maßnahmen seien nötig, wenn die Ziele der          normative Facetten: a) die allgemeine staatliche
Agenda 2030 noch erreicht werden sollen (UN        Verpflichtung, Katastrophen infolge extremer
Water 2018, 178).                                  Naturereignisse möglichst zu verhindern und
                                                   Folgen abzumildern; b) die (sehr umstritte-
Wie bei allen sozioökonomischen Rechten            ne) Verpflichtung, dem Klimawandel durch
sind die Staaten verpflichtet, das Menschen-       staatliches Handeln entgegenzutreten (und
recht auf Wasser zu respektieren, zu schützen      die Wahrscheinlichkeit klimawandelbeding-
und zu erfüllen (CESCR 2002, Abs. 20). Dies        ter Katastrophen nicht zu erhöhen); und c)
gilt grundsätzlich immer, also auch in Ausnah-     Wasserknappheit oder wasserbedingte Kata-
mesituationen, wie bei Katastrophen infolge        strophen nicht in militärische Auseinanderset-
extremer Naturereignisse (zum Wasserbedarf         zungen abgleiten zu lassen.
in Katastrophensituationen siehe Abbildung
5, Seite 20). Allerdings ist bei sozioökono-       a) Schutz vor den Effekten von Katastrophen
mischen Rechten zu beachten, dass Staaten            infolge extremer Naturereignisse
nach Art. 2 des Sozialpakts nur im Rahmen
ihrer Möglichkeiten die Paktrechte umsetzen        Auf internationaler Ebene finden sich hierzu vor
müssen. Anders als bei bürgerlich-politischen      allem politische Willenserklärungen, die aber
Rechten gilt die Verpflichtung, abgesehen von      keine rechtliche Bindungswirkung entfalten,
einer stets bestehenden Minimalverpflichtung,      wie insbesondere das Sendai-Framework for
also nur relativ zur Kapazität des betreffenden    Disaster Risk Reduction 2015 – 2030 (UN-Doc.
Staates. Diese dürfte im Fall von Katastrophen     A/Res/69/283) von den Vereinten Nationen.
oft sehr eingeschränkt sein, was die rechtliche    Einzig aus allgemeinen Prinzipien, wie dem im
Verpflichtung erheblich abschwächt.                Gewohnheitsrecht seit dem Trail Smelter Fall
                                                   anerkannten „no-harm“-Prinzip, ergibt sich
Das Menschenrecht auf Wasser verleiht jedem        die Verpflichtung eines Staates, keine Umwelt-
Menschen einen Anspruch auf „ausreichendes,        schäden auf dem Staatsgebiet anderer Staaten
sicheres, physisch zugängliches und erschwing-     anzurichten. In besagtem Fall ging es um ein
liches Wasser für den persönlichen und häusli-     Waldsterben auf US-amerikanischem Boden,
chen Gebrauch“ (CESCR 2002, Abs. 2). Daraus        verursacht durch erhöhte Schadstoffemissio-
ergeben sich die drei Hauptanforderungen der       nen einer Bleischmelze auf der kanadischen
Wasserverfügbarkeit, der Wasserqualität und        Seite der Grenze, die in Form von Rauch-
der Wasserzugänglichkeit. Letzteres umfasst        schwaden auf der US-amerikanischen Seite
sowohl die physische als auch die wirtschaftli-    zu Umweltschäden und vergehenden Ernten
che Zugänglichkeit. Diese Facetten des Rechts      führten. Häufig bleibt dieses Prinzip aber ein
auf Wasser haben ihren Ursprung in jeweils         zahnloser Tiger, denn insbesondere der Nach-
verschiedenen Kernrechten. Wenn Wasser nicht       weis der direkten Kausalität ist oft schwer zu
als Trinkwasser und für andere grundlegende        erbringen.
Zwecke zur Verfügung steht, steht das Recht
auf Leben (Artikel 2 des internationalen Paktes    Rechtlich ergiebiger sind Grund- und
über bürgerliche und politische Rechte, Zivil-     Menschenrechte. Diese entfalten nicht nur
pakt) selbst auf dem Spiel. Wenn Wasser nicht      Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe.
die erforderliche Mindestqualität aufweist,        Der Staat muss auch vor Gefahren schüt-
gefährdet es das Recht auf Gesundheit (Arti-       zen, die er nicht selbst verursacht (wie etwa
kel 12 Sozialpakt). Und wenn sich das Wasser       extreme Naturereignisse). Zu dieser staat-
außerhalb einer verhältnismäßigen physischen       lichen Schutzverpflichtung vor wasserbe-
oder finanziellen Reichweite befindet, gefährdet   dingten Katastrophen hat insbesondere der
es die Erfüllung des Rechts auf einen angemes-     Europäische Gerichtshof für Menschenrech-
senen Lebensstandard (Artikel 11 Sozialpakt).      te (EGMR) in Auslegung der Europäischen

                                                                        WeltRisikoBericht 2019 19
Wasserbedarf in Katastrophensituationen

                                                          Lebensnotwendige                                           Hygiene
                                                          Wasseraufnahme                                             Die Mindestmenge ist ab-
                                                          Die Mindestmenge ist                                       hängig von Geschlecht,
                                                          abhängig von Klima,                                        körperlicher Verfassung
                                                          Alter und individueller                                    und kulturellen Normen.
                                                          Physiologie.

                                   2,5 – 3 Liter                                                2 – 6 Liter

                            Abbildung 5: Wasserbedarf in Katastrophensituationen pro Person pro Tag, unterteilt nach Verwendungszweck
                            Datenquelle: Sphere Association 2018

                            Menschenrechtskonvention (EMRK) bereits                     um dem Klimawandel global entgegenzutre-
                            ausdrücklich geurteilt. Es kommt bei dieser                 ten. Nach dem Austritt entscheidender Staa-
                            Schutzpflicht immer entscheidend auf die                    ten wurde das Abkommen aber nicht mehr als
                            Frage an, ­ inwiefern die Verhinderung von                  adäquat zur Lösung des Problems angesehen.
                            Gefahren und die Minimierung von Schäden                    So kam es 2015 zum Pariser Klimaabkommen.
                            möglich und dem Staat zumutbar war. Im Fall                 Die Verpflichtungen aus diesem Abkommen
                            Budayeva vs. Russland (EGMR 15339/02)                       sind aber nicht-rechtlicher Natur und überlas-
                            etwa erkannte das Gericht eine Verletzung                   sen den Staaten größtenteils selbst die Entschei-
                            von Art. 2 EMRK, nachdem durch eine                         dung, welche (praktisch meist unambitionier-
                            Schlammlawine in ­   Tyrnauz acht Menschen                  ten) Klimaziele sie sich stecken.
                            gestorben waren. Der Staat hatte Landpla-
                            nung und Katastrophenschutzmaßnahmen                        Aus dem europäischen und nationalen Recht
                            im Tyrnauz Gebiet unterlassen, obwohl die                   ergeben sich konkretere rechtliche Ansätze.
                            Anfälligkeit des Gebiets für Schlammlawinen                 Besonders bekannt geworden ist die Entschei-
                            bekannt war. Im Fall Kolyandenko vs. Russ-                  dung des Bezirksgerichts Den Haag von Juni
                            land (EMGR 17423/05) befanden die Straß-                    2015 über die Klage der Umwelt-NGO „Urgen-
                            burger Richter*innen eine Verletzung von                    da“, um eine Reduktion der niederländischen
                            Art. 2 und 8 EMRK, da die Stadt Wladiwos-                   Treibhausgasemissionen zu erzwingen. Darin
                            tock den Kanal des Flusses Pionerskaya über                 wurde der niederländische Staat zu einer
                            lange Zeit nicht gewartet und Maßnahmen                     Verringerung der Emissionen um 25 Prozent
                            versäumt hatte, um Flutgefahren zu verhin-                  bis 2020 verpflichtet. Dies sei nach Art. 21 der
                            dern und Schäden zu minimieren.                             niederländischen Verfassung geboten (Schutz
                                                                                        natürlicher Lebensgrundlagen) und ergäbe sich
                            b) Verpflichtungen mit Blick auf den                      zudem aus den oben erwähnten Artikeln 2 und 8
                                Klimawandel                                             EMRK, die in der niederländischen Rechtsord-
                                                                                        nung zwar nach Auffassung des Bezirksgerichts
                            Zunächst hatte das Kyoto-Protokoll 1997 viel-               nicht direkt angewendet werden können, aber
                            versprechende rechtliche Ansätze entwickelt,                die Auslegung maßgeblichen niederländischen

20 WeltRisikoBericht 2019
Wasserbedarf gesamt
                                               7,5 Liter sind das absolute Minimum
                                               des individuellen Wasserbedarfs.
                                               Darauf sollte die Versorgung nur in
                                               Situationen extremer Wasserarmut
                                               beschränkt werden. 15 Liter reichen
                                               aus, um den akut notwendigen
                                               Bedarf zu decken. Bei anhaltenden
                                               Notsituationen sollte die Wasser-
                                                                                     7,5 – 15 Liter
              Wasser zum Kochen                menge möglichst schnell weiter
              Die Mindestmenge ist ab-         angehoben werden. Menschen mit
              hängig von sozialen und          bestimmten Behinderungen oder
              kulturellen Normen sowie         Erkrankungen (z. B. AIDS) haben
              der Art der Nahrungsmittel.      einen erhöhten Mindestbedarf.

3 – 6 Liter

                    Zivilrechts beeinflussen. Die Niederlande              unwahrscheinlichere Form von gewalttätigen
                    wurden insbesondere deswegen verurteilt, weil          Wasserkonflikten sind. Wasserkonflikte finden
                    sie ihren Schutzpflichten gegenüber aktuellen          eher innerhalb eines Staates statt (Homer-
                    und zukünftigen Generationen niederländischer          Dixon 1999, 12 – 27).
                    Staatsbürger*innen nicht ausreichend nachge-
                    kommen sind. Zwar wird im Urteil kein direkter         Einige Studien legen den Schluss nahe, dass
                    Bezugspunkt zu Wassersicherheit hergestellt,           sich verschärfende Wasserknappheit direkt
                    die Entscheidung muss aber vor dem Hinter-             auf die Häufigkeit von Bürgerkriegen auswir-
                    grund der klimawandelbedingten Flutgefahren            ke (Hauge / Ellingson 1998, 299 – 317). Ande-
                    gesehen werden, von denen die tief gelege-             re Forscher*innen kommen zu dem Schluss,
                    nen Niederlande besonders betroffen wären.             dass Ressourcenknappheit (wie Wasser-
                    Das Urteil wurde mittlerweile von der zweiten          knappheit) keinen Einfluss auf Staatsversa-
                    Instanz bestätigt, wobei das Berufungsgericht          gen und Bürgerkrieg habe (Esty et al. 1999),
                    im Unterschied zur Vorinstanz insbesondere             oder dass Niederschlagsmuster und Wasser-
                    auch direkte Verpflichtungen aus der Europäi-          knappheit keinen signifikanten Einfluss auf
                    schen Menschenrechtskonvention (Art. 2 und             interne Konflikte wie Bürgerkriege hätten
                    Art. 8 EMRK) betont hat. Aktuell wird der Fall         (Theisen / Brandsegg 2007). Wieder andere
                    vor dem niederländischen obersten Gerichtshof          Autor*innen behaupten sogar den umgekehr-
                    verhandelt.                                            ten Effekt, dass etwa Bevölkerungsdichte in
                                                                           Kombination mit dem Reichtum an erneu-
                    c) Wasserknappheit als Treiber für bewaffnete        erbaren Ressourcen (einschließlich Wasser)
                         Konflikte                                         das Risiko eines Bürgerkriegs sogar erhöhen
                                                                           und nicht verringern könne (De Soysa 2002,
                    Der Begriff „Wasserkriege“ wurde in der Litera-        395 – 416). Die gegenwärtigen Befunde sind
                    tur und in den Medien gleichermaßen geprägt            also uneinheitlich und teilweise sogar wider-
                    (Rahaman 2012; Leithead 2019), ist aber durch-         sprüchlich. Der Schluss liegt nahe, dass Wasser
                    aus irreführend. Empirische Studien zeigen,            die Gefahr eines Konflikts schüren kann, dass
                    dass zwischenstaatliche Wasserkonflikte die            aber gleichzeitig Wasserknappheit auch zu

                                                                                                WeltRisikoBericht 2019 21
Sie können auch lesen