Seelen-Tide - ehe-familien-lebensberatung.info

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                                          Ehe-, Familien- und
                                             Lebensberatung

          Seelen-Tide
           Journal für psychologische Beratung im Erzbistum Hamburg

                   Grenzen
                       GRENZERFAHRUNG HAFT
                       Paarsein trotz Gefängnismauern
Ausgabe                  GRENZERFAHRUNG TOD

2020
                         Trauer als Weg

                        GRENZÜBERWINDUNG
                        Eindrücke nach 30 Jahren Mauerfall

                       GRENZAUFENTHALT
                      Überraschende Wende
                      eines Arbeitsprozesses
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IMPRESSUM
Redaktionsteam:	Gabriele Anders
                 Susanne von Gönner
                 Annett Schwarz
                 Gerriet Stein
                 Susanne Zemke
                 Regina Dorfmann
Verantwortung:	Gabriele Anders
                Dr. Norbert Nagler
Herausgeber:	Erzbistum Hamburg
Gestaltung:         Abteilung Medien
Publikation:	jährlich
Auflage:	6 000
Stand:	2020
Bildrechte:   Titel: Adobe Stock; david debray
              S. 3: Giuliani / von Giese co-o-peration
              S. 4: Adobe Stock; luxorphoto
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              S. 7: Adobe Stock; philipk76
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	            Vektorgrafiken: Freepik 

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Informationen zum Beratungsangebot, zu aktuellen
Angeboten, zur Weiterbildung in Ehe-, Familien-
und Lebensberatung, zu Stellen und
Praktikumsplätzen sowie zur Supervision und
Teambegleitung erhalten Sie bei der
Fachbereichsleitung, Frau Gabriele Anders,
in der Beratungs­­stelle Lübeck.

Gabriele Anders
Telefon (0451) 706 29 60
anders@erzbistum-hamburg.de
Seelen-Tide - ehe-familien-lebensberatung.info
Dr. Stefan Heße                              Information
                                       Erzbischof von Hamburg                                über Ehe-, Familien- und Lebensberatung
                                                                                             und Internetseelsorge

                                                                                             Das Erzbistum Hamburg – die katholische

Seelen-Tide
                                                                                             Kirche in Schleswig-Holstein, Mecklen-
                                                                                             burg und Hamburg – ist Träger von acht
                                                                                             Ehe-, Familien- und Lebensberatungs­
                                                                                             stellen und der Internetseelsorge (s. S. 24).
Journal für psychologische Beratung                                                          Sie sind Teil des begleitenden, seelsorg­
im Erzbistum Hamburg                                                                         lichen, kirch­
                                                                                             ­Menschen.
                                                                                                           lichen Dienstes für die

Liebe Leserinnen und Leser,                                                                  Die Ehe-, Familien- und Lebensberatung
                                                                                             ist offen für alle – unabhängig von Welt­
Woran denken Sie, wenn Sie das Wort             Sichtweise. Dort können Menschen ihren       anschauung, Herkunft und Religion.
Grenze lesen?                                   individuellen Umgang mit ihren Grenzen
                                                finden und entwickeln. Unsere Beratungs-     Willkommen sind alle Menschen, ob allein­
An den Fall der Mauer vor 30 Jahren? An         stellen haben einen niederschwelligen        stehend oder in Partnerschaft, Ehe oder
die vielen Flüchtlinge weltweit diesseits       ­Zugang. Jede und Jeder kann kommen, kein    ­Familie lebend, die in schwierigen Lebens­
und jenseits der Grenzen? An den Brexit?         Thema wird ausgegrenzt.                      situationen Hilfe und Begleitung suchen.
An Ihre letzte Urlaubsreise? An den Garten­
zaun vor Ihrer Tür? An die Begrenztheit         Lebensberatung vor dem Hintergrund des       In der außergewöhnlichen Kombination
­unseres eigenen Lebens? An Belastungs-         christlichen Glaubens wird nie verurteilen   von seelsorglicher Haltung und psycho­
 grenzen im Beruf und in der Familie? An        und entwerten. Vielmehr werden Grenzen       therapeutischer Herangehensweise ist
 Grenzverletzungen, Übergriffigkeit und         als Chance gesehen und können Anfänge        die Ehe-, Familien- und Lebensberatung
 Missbrauch?                                    markieren. Es geht darum, Entscheidungen     ein i­nnerhalb und außerhalb der Kirche
                                                zu ermöglichen und Freiheitsräume für die    anerkannter Dienst, besonders bei Pro­
Unser Leben ist geprägt von Grenzen: Mal        Zukunft zu entwickeln, einen individuellen   blemen mit sich selbst, in Bezug auf die
sind es Grenzen, die es zu überwinden gilt,     Umgang mit den eigenen Grenzen und mit       Mitmenschen und bei Fragen mit ethisch-
mal sind es Grenzen, die uns schützen.          den Grenzen anderer zu finden. Wie die       religiösem Hintergrund.
Selbst im Glauben machen wir Grenz­             ­Bibel sagt, kann Gott meinen Grenzen
erfahrungen. Gott ist es, der „meine Füße        ­Frieden schaffen, um gleichzeitig meine    Gesprächspartner sind Fachfrauen und
in weiten Raum stellt“ (Psalm 31) und Gott        ­Füße auf weiten Raum zu stellen!          Fachmänner aus verschiedenen, zumeist
ist es auch, der „deinen Grenzen ­Frieden                                                    sozial orientierten Grundberufen mit
schafft“ (Psalm 147).                           Die vor Ihnen liegende fünfte Seelen-Tide    Diplom- oder Masterabschluss in Psy­cho­
                                                spürt Grenzen und Grenzerfahrungen           logie, Pädagogik, Sozialpädagogik, Theo-
Die zahlreichen Grenzerfahrungen unseres        nach. Ich wünsche Ihnen eine inspirierende   logie und einer vierjährigen Weiterbildung
Lebens haben Platz in den Ehe-, Familien-       Lektüre!                                     in Ehe-, Familien- und Lebensberatung
und Lebensberatungsstellen. Dort können                                                      sowie vielfältigen Zusatzqualifikationen.
sowohl eigene Begrenztheiten als auch           Ihr
­eigene Sehnsüchte zur Sprache kommen.                                                       Anmeldung und Terminvereinbarung
 Dort können Menschen spüren und wahr-                                                       über die auf der Rückseite dieses ­Magazins
 nehmen, wohin sie gehen oder warum sie                                                      ­angegebenen Kontakt­adressen. Es muss
 bleiben möchten, was sie tun und was sie                                                     mit Warte­zeiten gerechnet werden, ­da
 lassen. Dort können persönliche Grenzen        Dr. Stefan Heße                               jeder Rat­suchende die A     ­nzahl von
 erkannt, erspürt, geachtet und auch            Erzbischof von Hamburg                        ­Gesprächen ermöglicht bekommt, die
 ­überwunden werden, hin zu einer neuen                                                       seinem Anliegen und seinen Bedürfnissen
                                                                                              entsprechen.

                                                                                             Statistisch gesehen nimmt jeder Rat­
                                                                                             suchende durchschnittlich ca. sechs Bera-
                                                                                             tungsgespräche in Anspruch, wobei die
                                                                                             Praxis eine große Bandbreite ermöglicht.
                                      Seelen-Tide

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GRENZERFAHRUNG HAFT
PAARSEIN TROTZ GEFÄNGNISMAUERN
Wenn der Partner in Haft ist – Notizen einer Begegnung

Was bedeuten Gefängnismauern für die Beziehung?

Gefühlte Mauern innerhalb von Paar­               er so eine Brücke zwischen Drinnen und           Er trennte sich von seiner Frau, zog in eine
beziehungen gibt es gar nicht so selten.          Draußen. Vor 20 Minuten war er noch im           eigene Wohnung und lernte seine Nach-
Aber was bedeuten echte Mauern, z. B.             Gefängnis. Und in ein paar Stunden ist er        barin Anne kennen.
Gefängnismauern?                                  es wieder.
                                                                                                   Anne: „Er hat mir von Anfang an alles ge-
Ein junges Paar kommt. Lächelnd. Hand in                                                           sagt, auch dass er im Gefängnis gesessen
Hand. Sie wirken sympathisch. Tom* (39)                 Das Leben gerät aus der Bahn               hat. Es war schon komisch, sich in einen Ex-
und Anne* (24) sind seit drei Jahren ein                                                           Gefangenen zu verlieben – aber er hat einen
Paar. Jetzt sitzt er im Gefängnis, nicht das                                                       super Charakter und wir haben viel über
erste Mal. Tom hat Hafterleichterung, wö-         „Aus purer Blödheit“, wie er sagt. Eigentlich    alles gesprochen. Es kam für mich darauf an,
chentlichen Ausgang – seit ein paar Wo-           war er auf einem guten Weg. Er hatte eine        dass es kein Mord oder keine Gewalt gegen
chen. Der Gefängnis­seelsorger soll beim          Therapie gemacht, war auf Bewährung              Frauen und Kinder war. Im Gegenteil –
Gespräch dabei ­bleiben, schließlich haben        draußen. Tolle Wohnung, guter Job, kleiner       ­neben ihm habe ich keine Angst, ich kann
sie sich nur ihm zu liebe zu dem Gespräch         Sohn – aber seine Frau sei permanent              mich auf ihn verlassen, er würde mich­
bereit erklärt. „So können wir ihm auch mal       ­unzufrieden gewesen. Dann starb auch             ­immer beschützen“.
einen Gefallen tun“, sagt Tom. Das meint er        noch sein Vater. Und er ließ alles schleifen,
ganz ernst, dabei spricht er eher ironisch,        erfüllte seine Meldeauflagen in der Bewäh-
mit ganz e­ igenem Humor. Vielleicht baut          rungszeit nicht. „Pure Blödheit“.               * Namen sind von der Redaktion geändert

                                                                 Seelen-Tide

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Anne und Tom genießen ihr erstes Jahr,
wohnen mal bei ihm, mal bei ihr. Viel Zeit
miteinander haben sie trotzdem nicht. Sie
arbeitet in Schichten, meist dann, wenn er
frei hat. Er arbeitet oft länger, macht Über-
stunden, will Geld verdienen. Wenn es geht,
unternehmen sie viel miteinander, Anne
lernt seinen kleinen Sohn kennen, mag es,
wie er mit ihm umgeht. Dann kommt der
Brief. Tom hat die Meldeauflagen nicht er-
füllt. Er soll wieder in den Knast. Das will er
nicht. Jetzt folgt eine Zeit, über die Anne
bisher kaum mit jemandem offen gespro-
chen hat. Vielleicht, weil sie sich schämt.
                                                  Der Gefängnisaufenthalt ist oft auch eine Zerreißprobe für die Beziehung.
Anne: „Das war die Zeit vor der Inhaf­
tierung. Tom war auf der Flucht. Ständig          langen Brief wie ein Tagebuch, damit ich in          Da war nur er dabei und es war ein
mussten wir aufpassen, durften keiner
­                                                 Gedanken bei ihr sein konnte.“                       geschützter Raum. Sonst hören ja die
                                                                                                       ­
­Polizeistreife in die Hände fallen. Das war                                                           ­Mit­gefangenen und die Aufsicht mit, da
 Stress pur. Und Tom war irgendwie nicht          Später dann werden die ersten Besuche                 kann man nicht gut sprechen. Aber alles
 erreichbar. Die Erfahrungen vor der Inhaftie-    von Anne im Gefängnis möglich. Er küm-                muss beantragt werden. Man muss sich
 rung waren das Schlimmste – die Angst aus        mert sich, beantragt Besuchstermine. Beim             selbst kümmern. Spontan läuft da nichts.“
 dieser Zeit sitzt noch immer tief.“              ersten Besuch weint sie nur. Tom kämpft
                                                  darum, dass die Beziehung erhalten bleibt.           Tom: „Anne macht das alles toll. Alles muss
                                                                                                       sie allein regeln, mit den Papieren und Äm-
              Die Verhaftung                      Tom:„Ich musste eine Entscheidung treffen.          tern oder wenn was mit dem Auto ist oder
                                                  Entweder tue ich alles, um die Beziehung zu          Sachen in der Wohnung – immer ist sie
                                                  retten oder ich gehe in der Subkultur des            ­allein. Und die Kosten hat sie allein.“
Dann der Anruf. Schock. Tom ist verhaftet.        Knastes unter.
Er ist plötzlich unerreichbar weit weg.           Das heißt kein Mobil(-telefon), kein Stoff und       Anne: „ Dein Bruder hilft mir. Er weiß ja auch
Anne: ­„Dabei war gerade Mama zu Besuch           keine Gewalt – das Letztere war für mich die         alles von Dir. An ihn kann ich mich wenden.“
und wollte meinen Freund kennenlernen.            größte Herausforderung.“
Jetzt musste ich Mama die Wahrheit über           Für Anne dagegen war es das Alleinsein.              Tom bemüht sich um Langzeitbesuche,
Tom sagen.“                                                                                            das sind achtstündige Besuche in einem
                                                                                                       separaten Raum im Gefängnis, welcher
Annes Mutter gibt ihr Kraft, andere haben                    Besuche im Gefängnis                      ­extra für solche Besuche vorgesehen ist.
nicht so viel Verständnis: „Sei froh, dass du                                                           ­Familienfreundlicher Vollzug ist der Begriff
so einen los bist“. Anne hat damals viel                                                                 hierfür. Aber sie sind ja nicht verheiratet.
Angst vor den N   ­ egativ-Reaktionen und         Anne: „Ich habe nur gearbeitet und gearbei-            Anne muss vor dem ersten Langzeitbesuch
spürt einen Rechtfertigungsdruck. Auf der         tet. ­Versuchte, kaum zu Hause zu sein. Mein           Gespräche führen, auch mit dem Anstalts-
Arbeit ­sickert durch, dass ihr Freund im         neuer Chef hat Verständnis, so dass ich die            chef. Der macht ihr wenig Hoffnung, dass
Knast ist. Eine Flut von Gerüchten geht           Schichten so legen kann, dass ich Tom zwei-            das möglich wird. Trotzdem haben sie
durch die Kollegenschaft. Das hält Anne           mal pro Woche besuchen kann. Das sind                  Glück. Sie bekommen die Genehmigung
schlecht aus. Schließlich kündigt sie.            immer 140 km Fahrt. Die Spritkosten sind               im letzten Jahr seiner Haft.
                                                  immens. Telefonate von drinnen sind sehr
Und Tom? „Ich war in Gedanken nur bei            teuer und werden aufgezeichnet.“                     Anne: „Als Partnerin ist man mitbestraft –
Anne. Ich konnte nichts mehr für sie tun. Ich                                                          ich habe nichts gemacht und wollte nur
wusste, wie verzweifelt sie sein würde. Ich       Tom: „Ich hatte großes Glück. Ich kannte            Kontakt zu meinem Freund. Eigentlich
durfte nur ein einziges Mal anrufen, dann         den Gefängnisseelsorger von früher, er               ­‚sitzen‘ wir beide, denn ohne Tom habe ich
war Kontaktsperre. Das war megagrausam.           unterstützte mich. Ich brauchte keinen
                                                  ­                                                     auch wenig Lust, etwas zu unternehmen.
Ich dachte nur an Anne, daran, dass ich           ­Tabak, aber Gespräche. Bei ihm durfte ich            Und oft muss ich mich rechtfertigen, dass ich
Anne nicht trösten kann. Ich schrieb einen         mit Anne zusätzliche Gespräche führen.               zu ihm stehe.“

                                                                    Seelen-Tide

                                                                         5
Seelen-Tide - ehe-familien-lebensberatung.info
Tom und Anne berichten, dass es zwi-                 WAS IST DAS WICHTIGSTE, UM                       nach außen total hart. Früher hätte ich
schenzeitlich auch Resignation gibt. Und             SO EINE ZEIT DURCHZUSTEHEN?                      ­anderen nie erzählt, wie es mir wirklich geht.
jede Lockerung ist immer ein Wechselbad              Anne und Tom sprechen vom gegen­
der Gefühle, welches durchgestanden                  seitigen Vertrauen. Das absolute Vertrauen,      Anne: „ Ja, er hat sich verändert. Ist irgend-
­werden muss.                                        auch dass der andere nicht fremdgeht.            wie vernünftiger geworden. Aber die Angst
                                                                                                      bleibt. Die Erfahrungen von vor der Inhaftie-
Tom: „Ich freue mich auf Anne, aber der             Tom: „Anne macht es mir leicht, ich habe        rung sitzen noch tief. Das soll nie wieder so
Abschied wird jedes Mal schwerer. Wenn du            inzwischen keine Angst, sie zu verlieren. Wir    werden.“
dann wieder rein musst, in den Trott des             geben uns gegenseitig die Freiheit, auch mal
Knastes, das fällt schwer. Aber wir ziehen           mit Freunden was zu machen. Und sie weiß,        Tom: „Ich war total ohne Rücksicht auf sie.
das jetzt durch.“                                    dass ich ein ehrlicher Typ bin. Obwohl ich ihr   Ich hab das wohl alles gemacht, damit sie
                                                     manchmal auch sage, dass es mir gut geht,        sich trennt – so unter dem Motto – ich kom-
Beide wissen ganz genau, ohne zu überle-             selbst wenn gerade alles scheiße ist.“ Und       me eh in den Knast – dann wirst du sowieso
gen: Es sind noch 178 Tage. Überhaupt ha-            es gibt auch Reibungspunkte. Sie ­lächeln        gehen.“
ben beide die Daten genau im Kopf, den               sich dabei an. „Anne lässt nicht alles durch-
Anruf der Verhaftung, den ersten Besuch,             gehen.“
die erste Lockerung …                                                                                           Den Neuanfang wagen
                                                     Anne: „Es nervt, wenn du in Knastsprache
                                                     redest – eh Dicker, eh Alter – was geht – das
         Einen Schlussstrich ziehen                  mag ich nicht hören.“ Manchmal streiten sie      Nun denken beide nach vorn. Während
                                                     auch während der Telefonate.                     der 24 Stunden-Ausgänge renovieren sie
                                                                                                      Annes Wohnung. : „Wir hängen dann nicht
Anne: „Wenn nach der Entlassung alles               WIE WIRD ES WERDEN,                              rum, es sind so kleine Sachen, aber wir wol-
gut wird, dann hat es sich gelohnt. Es darf          WENN ER WIEDER ZU HAUSE IST?                     len Träume verwirklichen.“ Dazu gehört
nicht noch mal so werden, wie vor der                Tom: „Es wird ein harter Weg. Ich weiß, dass    auch Annes Kinderwunsch. Sie kann sich
­Inhaftierung.“                                      es keinen Kontrollverlust geben darf. Die        vorstellen, mit Tom Kinder zu haben.
                                                     Therapie war dafür gut. Ich kenne meine
Deswegen bleibt Tom bis zum Schluss, bis             Muster. Und es gelingt mir gut, nicht in alte    Tom: „ Ich habe einen 5-jährigen Sohn. Er ist
zum letzten Tag. Dann kann er einen Schluss­         Muster zu verfallen. Ich staune selbst über      meine schlimmste emotionale Baustelle.
strich ziehen, endgültig. Die Tat, ­wegen der        mich. Früher war ich immer das kleine            Wenn ich mit ihm telefoniere, muss ich mich
er im Gefängnis sitzt, ist 11 Jahre her.             Würmchen mit Mauer um mich herum,                zusammen reißen, dass ich nicht heule.

Das gegenseitige Vertrauen ist wichtig, um die Zeit durchzustehen.

                                                                     Seelen-Tide

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Freiexemplar
                                                                                                  Wir bitten Sie um Beteiligung an den
                                                                                                  Kosten der Seelen-Tide durch eine
                                                                                                  Spende an den Förderverein der Ehe-,
Sie leben ein Drinnen und ein Draußen. Wie lange werden die inneren Gitter bleiben?               Familien- und Lebensberatung des
                                                                                                  Erzbistums Hamburg e.V.
Er darf nicht wissen, dass ich im Knast bin.        Sie leben ein Drinnen und ein Draußen. Wie
Er soll keine Nachteile haben. Ich weiß nicht,      lange werden die inneren Gitter bleiben?      IBAN: DE54 1305 0000 0201 0645 70
ob seine Mutter nach der Entlassung wieder
Kontakt erlaubt. Nach Aktenlage fällt es            HILFSANGEBOTE?                                Weitere Informationen zum
wahrscheinlich schwer, mir Umgangsrecht             Tom hat gute Kontakte zu einer Beratungs-     Förderverein finden Sie auch auf S. 22.
zu geben. Aber meine Ex ist eine coole              stelle und ein Anruf bei der Gefängnisseel-
­Mutter und sie weiß, dass unser Sohn mich          sorge darf auch nach der Entlassung sein.
 sehen möchte. “
                                                      WAS TAT GUT
                                                      IN DIESER SCHWEREN ZEIT?
       Die Zeit schweißt zusammen                   Anne: „Tom hat für mich in der Teeküche
                                                    des Gefängnisses zum Geburtstag einen
                                                    ­Käsekuchen gebacken, beim Langzeitbesuch
Tom und Anne verbringen die wenige Zeit,             hat er ihn mir überreicht. Es war der
die sie haben, sehr bewusst und intensiv.            ­leckerste Käsekuchen, den ich je gegessen
Das können sie fast als Vorteil sehen. Tom            habe.“
bedankt sich oft bei Anne, er sieht das alles
nicht als selbstverständlich an. So eine Zeit
schweißt zusammen. Tom betont, dass es
definitiv eine Ausnahme ist, dass sie so oft          Am Stichtag 30.11.2018 befanden
während der Haftzeit Kontakt haben                    sich in der Bundesrepublik
konnten. Viele haben keine Angehörigen                insgesamt 63 643 Gefangene und
mehr, weil diese den Kontakt abbrechen.               ­Verwahrte in Justizvollzugs­
Oder sie bauen „Scheiße“ und dann kriegen              anstalten, 4 387 davon weiblich.
sie keine Genehmigung. Tom sieht es als                                                           Die Seelen-Tide online
Glück an, dass Anne und er sich oft sehen             Im Erzbistum Hamburg sind
können.                                               7 Gefängnisseelsorger in                    Diese Seelen-Tide sowie die bereits
                                                      10 Justizvollzugsanstalten tätig.           erschienenen Ausgaben seit 2015 finden
Anne: „Und doch leben wir definitiv in                                                           Sie unter
­verschieden Welten. Und Tom wird diese                                                           www.ehe-familien-lebensberatung.info
 Welt immer ein Stück in sich haben. Auch
 nach der Entlassung.“

                                         Seelen-Tide

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GRENZGEDANKEN
Erfahrungen in einer begrenzten Welt

                                                                                                  Die Fähigkeit zur Wahrnehmung von
                                                                                                  Grenzen geben uns unsere Gefühle und die
                                                                                                  Signale unserer Sinnesorgane. Grenzen
                                                                                                  können sehr komplex sein, so dass unsere
                                                                                                  Empfindungen kein klares Bild von der
                                                                                                  Grenze liefern.

                                                                                                  Vor diesem Hintergrund wird deutlich,
                                                                                                  dass die Fähigkeit zur Wahrnehmung von
                                                                                                  Grenzen entscheidend mit der eigenen
                                                                                                  Sensibilität zusammenhängt. Sind wir­
                                                                                                  ­feinfühlig, so werden uns auch Grenzen
                                                                                                   spürbarer. Unsere Gefühle geben uns mehr
                                                                                                   oder weniger deutliche Signale, wenn wir
                                                                                                   uns im Grenzbereich befinden. Das hilft
                                                                                                   uns dabei, für uns und andere zu sorgen.
Grenzbereiche können reizvoll sein oder bedrohlich – oder beides.

Der Begriff „Grenze“ wird in sehr vielen              Grenzen zu überwinden. Auch bestimmte         „VIELE MENSCHEN ACHTEN
Zusammenhängen benutzt. Jemand
­                                                     Zeitpunkte können eine ­markante Grenze       IHRE GRENZEN GEGENSEITIG.
kommt an seine oder geht über seine                  darstellen. Im Vorfeld des Jahrtausend-        FREUNDE GEBEN EINE
Grenzen hinaus. Man grenzt sich ab                   wechsels wurden große Er­     wartungen        RÜCKMELDUNG, WENN SIE DEN
oder zeigt jemandem seine Grenzen auf.               ­geweckt. Wie es wohl danach sein wird?        EINDRUCK HABEN, DER ANDERE
                                                      Am nächsten Morgen trat bei manchem           ACHTET SEINE EIGENEN
Grenzen werden gezogen, markiert, ge-                 wohl Ernüchterung ein.                        GRENZEN NICHT GUT.“
schützt, verteidigt, überschritten, geachtet
oder sind einfach nur sichtbar. Schon mit            Grundsätzlich kann man von einer Grenze
einer Tasse Kaffee versuchen wir unsere              sprechen, wenn mindestens zwei Räume,        Wie wir Grenzen erleben, ist höchst unter-
Müdigkeitsgrenze etwas zu verschieben.               Bereiche, Zustände oder Strukturen sich in   schiedlich und subjektiv. Sie können als
Im Bus oder an der Konzertkasse zahlen               wenigstens einem Merkmal deutlich unter-     einengend oder beschränkend erlebt
wir sogar bereitwillig dafür, damit wir Gren-        scheiden. Diesen Unterschied müssen wir      ­werden, geben aber vielleicht auch Orien-
zen überschreiten dürfen. Grenzen trennen            wahrnehmen und interpretieren können,         tierung, Sicherheit und Klarheit. Sie kön-
uns von Orten, Ereignissen und auch von              sonst verwirrt uns die Grenze vielleicht      nen Sehnsucht auslösen oder ­jemand ist
anderen Menschen, zu denen wir uns auf               oder bleibt unbemerkt. Wir spüren, dass       froh, eine Grenze überwunden zu haben.
den Weg machen wollen. Tagtäglich riskie-            etwas verändert ist, verstehen aber viel-     Manchmal wünschen wir uns aber auch,
ren Menschen ihr Leben bei dem ­Versuch,             leicht nicht genau, was es ist.               das alles wieder so wird, wie es früher mal

                                                                    Seelen-Tide

                                                                       8
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Grenzen werden überwunden,
                                                                                                wenn Sätze zu Fragen werden

HEADLINE
Subline

Grenzerfahrungen: Auf der Kante zwischen Land und Wasser balancieren

war – die alten Grenzen wieder hergestellt       E­ntscheidungen zu treffen, stellt eine
                                                                                                Es geht nicht mehr –
werden. Manche Grenzen inter­essieren uns         ­persönliche und gesellschaftliche Heraus-
                                                                                                wie geht der nächste Schritt?
nicht einmal und manche überschreiten              forderung dar. Gerade weil Grenzen so        Ich kann nicht mehr –
wir, ohne es zu merken.                            subjektiv erlebt werden, braucht es Ethik    woher kommt Kraft?
                                                   und Moral.
                                                                                                Ich fühle mich wie eingesperrt –
      „WENN ICH NICHT BALD …“                                                                   wo liegt der Schlüssel?
                                                            „DER GEHT IMMER
                                                           BIS AN DIE GRENZE“                   Ich weiß nicht mehr weiter –
Wir können antizipieren, was passieren                                                          woher bekomme ich Orientierung?
wird, wenn wir eine Grenze überschreiten
                                                                                                Wohin soll das noch führen –
oder wenn wir innerhalb einer Grenze blei-       In den Grenzbereichen erleben wir sehr in-
                                                                                                kann ich noch neugierig sein?
ben – und das können wir auch für andere.        tensive Gefühle. Das kann reizvoll sein oder
                                                 bedrohlich – oder beides.                      Ich sehe keinen Weg –
                                                                                                bin ich blind?
        „WENN DU SO WEITER                       Dafür muss man nicht unbedingt mit ei-
          MACHST, DANN …“                        nem Motorrad über 15 brennende Autos           Es ist für immer vorbei –
                                                 springen, es reicht oft schon ein Ausflug      wie kann ich weiterleben?
                                                 ans Meer. Der Strand übt auf die Men-
                                                                                                Wir drehen uns im Kreis –
In der menschlichen Entwicklung ist die          schen eine besondere Anziehungskraft aus,
                                                                                                bewegt sich noch etwas?
­Interpretation von Grenzen eine zentrale        was auch daran liegen mag, dass wir direkt
 Aufgabe. Wir machen über unser gesamtes         auf der Kante zwischen Land und Wasser         Ich bin am Abgrund –
 Leben hinweg die Erfahrung, dass wir in         balancieren. Nicht nur Kinder treiben es       wie komme ich da wieder weg?
 ­einer begrenzten Welt leben. Diese Gren-       dann gerne auf die Spitze, wenn sie mit den
  zen sind keineswegs eindeutig und auf den      Wellen „um die Wette laufen“. Sandburgen
  Menschen zugeschnitten. Hierbei könnte         finden sich oft genau an der Grenze, wo
  man psychologisch die Wahrnehmung der          schon etwas Wasser in den Burgsee              Erstgespräche in der Beratungsstelle be-
  eigenen inneren Grenzen von äußeren            schwappt, aber die Burg (hoffentlich) heil       ginnen fast immer mit diesen oder
  Grenzen unterscheiden. Tatsächlich stellen     bleibt – eine Siedlung bei der man aus bei-    ­ähn­lichen Sätzen. Menschen sind häufig
  unsere Wahrnehmungen, Empfindungen             den Welten das Nützliche haben kann.            an der Grenze des Ertragbaren an­gelangt.
  und Gefühle jedoch selber das Grenzfeld        Wenn man dann noch zusehen kann, wie             Häufig werden b­ ereits im ersten G
                                                                                                                                    ­ espräch
  von Innen und Außen dar.                       gerade die Sonne im Meer versinkt, ist das       mehrere ­Fragen dazu entwickelt.
                                                 „Grenzszenario“ perfekt.                       An diesen Fragen wird im Beratungs­
Grenzen zu ­erkennen, ihre Bedeutung für                                                          prozess gearbeitet. Und Ratsuchende
mich und a­ ndere zu verstehen und vor                                                            können Schritt für Schritt Antworten
diesem ­
­       Hintergrund möglichst gute                                                               ­suchen, ­erfahren und leben.

                                       Seelen-Tide

                                            9
Seelen-Tide - ehe-familien-lebensberatung.info
GRENZERFAHRUNG TOD
TRAUER ALS WEG
Text einer Klientin über Trauer und Schmerz
nach dem Tod ihres Bruders

 Sterben und Tod ist die Grenze des Lebens, mit der alle
 Menschen konfrontiert werden. In den Beratungspro­
 zessen nimmt die Trauer um einen Angehörigen einen
 bedeuteten Raum ein. Schwierig und wichtig zugleich ist
 es, den Schmerz, den Ernst der Grenzerfahrung aus­
 zuloten. Dies ist ein sehr persönlicher Vorgang, der sich
 nicht an allgemein vorgegebene Schritte in planbaren
 Zeit­räumen hält. Deswegen steht im Beratungsgeschehen
 die achtsame Begleitung ohne Erwartungs- oder Zeit­            So viele ‚Nie wieder‘ … für ihn und für uns. Eine Lücke klafft da jetzt in
 druck im Mittelpunkt.                                          unserem Verbund, gerade auch in unseren Herzen.

 Es gilt, den einzelnen Menschen zu u
                                    ­ nterstützen, die ganz
 eigenen Nöte, die offenen Fragen wahrzunehmen und
 darin zu bestärken, das eigene, passende Umgehen mit
 dem Verlust zu finden.

 Einer Klientin half es, Ihrem Trauer­prozess in Texten eine
 Form zu geben. E­ inen dieser Texte stellte sie uns zur
 ­Verfügung.

                                                         Seelen-Tide

                                                           10
Der Verlust erschüttert mich, mein Schwesterherz blutet,
                         gerade weil ich ihn tief in meinem Herzen habe.

Was man tief in seinem Herzen besitzt
Das kann man nicht verlieren
unbekannt

Dieser Satz auf einer Trauerkarte lässt T­ ränen in mir aufsteigen.         Beschwichtigung legen könnte … dann würde ich vielleicht meine
Viel habe ich geweint in den letzten W
                                     ­ ochen – seit ich wusste, dass       Wanderung durch dieses Tal der Trauer abkürzen – und mich
mein B­ ruder bald sterben würde, an seinem Bett in seinen letzten         ­abzulenken mit meinem eigenen funktionierenden Leben wäre
Tagen, in den Tagen vor während und nach seiner Beerdigung.                 doch angenehmer … vielleicht sogar frommer?
­Tränen der Ohnmacht, des Schmerzes, der Fassungslosigkeit. Jetzt
 treibt mir dieser Satz Goethes Tränen der Empörung in die Augen.          … aber würde ich ihn so nicht nochmal ­begraben, meinen
                                                                           ­Bruder; unter der Vermeidung dieses großen Schmerzes; unter
Fadenscheiniger Trost! Doch, man kann, was man tief im Herzen               Angst vor der Konfrontation des Unab­änderlichen, Anerkennung
besitzt, verlieren. Mein Bruder hat gerade sein Leben ver­loren, es         von Versagen, vor dem ‚Zu spät‘?
ist zu Ende, vorbei für immer. Was hat er dadurch alles unwieder­
bringlich verloren …                                                       Vieles, gerade auch die Beilegung eines geschwisterlichen Kon-
Was haben wir, seine Geschwister und ­seine Frau alles verloren            fliktes, ist uns zu seinen Lebzeiten nicht gelungen. Wir haben es
durch seinen Tod – die Chance, ihm zu begegnen, ihn anrufen zu             wohl auf unsere jeweils mögliche Weise versucht, aber es gelang
können, ihn anzuschreiben; mit ihm zu lachen, zu streiten …                nicht. Das hat mich schon bedrückt, als er noch lebte. Aber jetzt
­Lebenszeit mit ihm.                                                       ist der Schmerz eindeutig schärfer. Und ist nicht gerade das Ein­
                                                                           gestehen des Verlustes der einzig ­verbleibende Ausdruck unserer
So viele ‚Nie wieder‘ … für ihn und für uns. Eine Lücke klafft da          ­Beziehung?
jetzt in unserem Verbund, gerade auch in unseren Herzen … Nicht,
dass bis zu seinem Sterben alles Z­ ucker gewesen wäre für ihn und         Ich glaube fest daran, dass er jetzt im Irgendwo und Irgendwie
zwischen uns. Gerade wegen der vielen Begrenzungen in unserer              ­Gottes ist. Dass er jetzt ‚sehen‘ kann; auch mich ‚sehen‘ kann, wie
Beziehung hätte ich nicht erwartet, dass mich sein Sterben so               er mich zu Lebzeiten nicht sehen, verstehen konnte. Dass er auf die
­erschüttern ­würde. Die Endgültigkeit auszuhalten ist unvorstellbar        Grenzen, das Unmögliche in seinem Leben schauen kann und
 – eine Zumutung. Die Aufgaben, die er nicht mehr erledigen kann,           ­damit Frieden schließen kann … Aussöhnung zwischen uns mög­
 zu übernehmen – eine Überfor­derung.                                        lich ist, auch jetzt.

Warum? Was wurde von wem wann versäumt? Wer oder was                       Ich hoffe, dass er mit diesem ‚Blick‘ endlich erfasst, wie sehr ich ihn
hätte es verhindern können? Warum?                                         geliebt habe. Dass ich um ihn trauere und um den Verlust an
Der Gedanke Goethes scheint davon auszugehen, dass wir vor dem             Lebens­möglichkeiten, den er erlitten hat. Dass ich traurig bin, dass
Schmerz des Verlustes und den Fragen ohne Antworten gefeit sind,           uns Wesentliches nicht gelungen ist und ich die Verantwortung für
wenn wir nur tief genug geliebt hätten, wenn wir es oder ihn nur           ­meinen Teil übernehme.
tief genug in unser Herz gelassen hätten.
                                                                           Ich hoffe, dass er jetzt niemals mehr zweifelt, dass er aufgehoben
Ich erlebe an mir nun gerade das Gegenteil: der Verlust                    ist, tief im Herzen meiner Sippe, und dass, so lange mein Herz
­erschüttert mich, mein Schwesterherz blutet, gerade weil ich ihn          schlägt, meine Liebe für ihn nicht verloren gehen wird. In diesem
 tief in meinem Herzen hatte, habe. Wenn ich diesen Schmerz jetzt          Sinne trage ich diesen Schmerz, so lange er bei mir bleibt.
 nicht aushalten würde, über die Leere schnell das Mäntelchen der

                                                                    Seelen-Tide

                                                                      11
GRENZÜBERWINDUNG
Eindrücke nach 30 Jahren Mauerfall
Seelen-Tide

 13
TROTZ ALLEDEM
Die Vertrauenskrise in der katholischen Kirche –
Von Grenzen und Hoffnungen

 Liebe Frau Y,

 vor einem knappen Jahr habe ich die Beratung bei Ihnen
 ­abgeschlossen und vieles, was wir in dieser Zeit besprochen
  ­haben, ist mir heute noch präsent.

 Vor einigen Tagen habe ich einen alten Freund getroffen; so ­einen,
 mit dem ich schon immer auch über sehr privates reden ­konnte.
 Da ist natürlich auch vorgekommen, was ich so in der Beratung
 besprochen habe … Mein Freund war entsetzt, als er hörte, dass
 ich in einer katholischen EFL-Beratungsstelle war; er ist vor
 ­kurzem aus der Kirche ausgetreten wegen all der Vorfälle und         ‚Ihren Schmerz kann ich nicht wegnehmen, aber ich halte das
  Skandale. Das Gespräch mit meinem Freund ging mir lange nach         mit Ihnen aus‘ haben Sie einmal gesagt und da war etwas sehr
  und jetzt habe ich mich entschlossen, Ihnen zu schreiben.            ­Tröstendes drin. Ich habe Ihnen das geglaubt und das hat mich
  Als Rückmeldung und als Ermutigung.                                   beruhigt …

 Ich kann mich gut erinnern an die erste Beratungsstunde. Ich war      Als ich Sie einmal fragte, wie Sie das für sich klar bekommen,
 sehr skeptisch, logischerweise, und voller Fragen. Es ging ja auch    ­haben Sie gesagt, dass auch Sie das immer wieder erleben, an
 um ein Thema, das mit dem Missbrauchsskandal zu tun hat …              einer M­ auer, einer unüberwindbaren Grenze angekommen
                                                                        zu sein. A
                                                                                 ­ bbiegen, weggehen wäre eine Option, sagten Sie, aber
 Es war gut, dass Sie mich direkt darauf angesprochen haben;            bislang würden Sie dableiben, aus Solidarität, weil Sie Ihre Arbeit
 dass Sie sich vorstellen könnten, wieviel Mut es gebraucht hat,        so sinnstiftend fi­ nden; um auf die Mauer, auf das Unrecht hin­
 diesen Schritt zu wagen. Als Sie erklärten, dass Sie aber genau        zuweisen …
 darin Ihre Aufgabe sehen würden, gerade auch als kirchliche
 Mitarbeiterin mir den Raum zu bieten, in dem all das Unrecht,         Für Sie bedeutet es viel, dass die Kirche als Institution die EFL
 das mir geschehen ist, ausgesprochen werden kann und wahr­            als ihren eigenen Dienst am Menschen versteht und die Arbeits­
 genommen wird. Sie sagten, das Tempo und die Grenze ziehe ich         bedingungen entsprechend zur Verfügung stellt.
 allein und Sie ­unterstützen mich dabei.
                                                                       Das kann ich verstehen. Ich bin jedenfalls froh, dass es solche
 Das hat mich entlastet. Und im weiteren Verlauf habe ich das          Orte wie die EFL- Beratungsstellen gibt. Gut, dass die Herren so
 mehr und mehr gemerkt, dass Sie es sehr genau nahmen d­ amit:         was ­zulassen!
 Es gab niemals abwertendes Bagatellisieren oder ­Ungeduld; Sie
 ­haben niemals das Unrecht beschwichtigt und beschönigt und           Danke nochmals und alles Gute
  Sie haben niemals unter den Tisch gekehrt, dass diese Beratungs­
  stelle eine kirchliche ist.                                          Heiner Z.

                                                               Seelen-Tide

                                                                 14
VERANTWORTUNG ÜBERNEHMEN!                                                   „Auf der Suche nach Sinn, Glaube, Hoffnung und Liebe ­wenden
                                                                             sich Menschen vertrauensvoll an die Kirche. Das ist auch die
WARUM DRUCKEN WIR DEN BRIEF DES                                              tägliche Erfahrung der Berater*innen in der Ehe-, ­Familien- und
­EHEMALIGEN KLIENTEN IN EINEM HEFT, DAS SICH                                 Lebensberatung. Das Vertrauen in die Katholische Kirche ist
 MIT DEM THEMA GRENZEN BESCHÄFTIGT?                                          durch den Missbrauchsskandal tief erschüttert. (…)

Das Schreiben drückt vieles von dem aus, womit wir Mitarbeiter­             Wir Berater*innen stehen durch die gehäuften Fälle sexuellen
Innen in den EFL-Beratungsstellen uns immer wieder auseinander-             Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in einem tiefen
zusetzen haben.                                                             Zwiespalt. Wir verstehen uns als Menschen, die im kirchlichen
Seit das unvorstellbare Ausmaß der sexualisierten Gewalt an                 Auftrag handeln und werden auch als Vertreter*innen der
Schutzbefohlenen und vor allem auch der verleugnende und                    ­Katholischen Kirche wahrgenommen. Auf der anderen Seite
­vertuschende Umgang seitens vieler Verantwortlicher bekannt                 begegnen wir immer wieder den Opfern von Missbrauch
 ­geworden ist, sagen wir mit Nachdruck: „Das Maß ist voll.                 und setzen unsere Kompetenzen ein, um diese Menschen in
  Es reicht. Die Grenze des Erträglichen ist überschritten!“                ihrer Lebensbewältigung ­stärkend zu begleiten. (…)
  Der Vorstand unseres Berufsverbandes der Katholischen Ehe-,
  ­Familien- und LebensberaterInnen hat im Februar 2019 anlässlich          Viele fragen uns an, warum wir in dieser Kirche noch arbeiten,
   des Missbrauchsgipfels in Rom eine Stellungnahme geschrieben,            warum wir uns um die Opfer kümmern, während die Amts­
   die uns aus dem Herzen spricht und die wir an dieser Stelle in Aus-       kirche nicht alle möglichen Maßnahmen ergreift, um solche
   zügen aufgreifen.                                                        Verbrechen in ihren ­Reihen zu verhindern, ja noch nicht
                                                                            ­einmal alles tut, um die Verbrechen aufzudecken und der
                                                                             Recht­sprechung zuzuführen. Um es mit einem Wort
                                                                            Dietrich ­Bonhoeffers zu sagen: Wir kümmern uns um die,
WOFÜR SETZEN WIR UNS EIN                                                    die unter das Rad gekommen sind, fallen aber dem Rad nicht
UND WAS KÖNNEN SIE VON UNS ERWARTEN?                                        in die Speichen. Wir haben Verständnis für die, die sich in
                                                                            dieser Lage von der Kirche abwenden. Auch viele u     ­ nserer
• Wir sind bereit, in Solidarität mit den von sexualisierter Gewalt         Mitglieder sehen sich derzeit in ­einem Gewissenskonflikt. (…)
  ­Betroffenen die Problematik auszuhalten und diejenigen zu
   unter­stützen, die es möchten.                                           Gleichzeitig gibt es gerade auch in dieser Situation viel
                                                                            ­ nerkennung dafür, dass die Mitarbeiter*innen der kirch­
                                                                            A
• Wir sind bereit, uns mit dem Spannungsfeld auseinander­                    lichen Beratungsstellen mit ihrer Kompetenz, ihrem Einsatz
  zusetzen, Teil des Systems Kirche und damit auf der einen Seite           und ihrer Bindung an den christlichen Glauben aus der
  scharfer ­Kritik ausgesetzt zu sein, auf der anderen Seite hoff-          ­Kirche heraus in der Gesellschaft wirken.
  nungsvollen Erwartungen zu begegnen.

• Wir begegnen Menschen, die von der Kirche unendlich
  ­enttäuscht sind und sich abgewandt haben, mit Verständnis und          Die vollständige Stellungnahme können Sie nachlesen unter
   Respekt.                                                               http://www.bv-efl.de/dokumente/Anti-Missbrauchs-Konferenz.pdf

• Wir signalisieren jenen, die zu uns kommen, ihre leidvolle ­Situation
  mitzutragen und diese durch unser ehrliches Interesse, ­unsere
  Wertschätzung und unsere Fachkompetenz „er-träg-licher“ zu
  ­machen. Dabei gestalten wir unsere Rolle sehr bewusst und
   ­wollen weder Retter, Täter oder selbst Opfer sein, sondern eine
    „empathische Zeugenschaft“ übernehmen.

• Wir werden nicht müde, Missstände zu kritisieren und dort,
  wo es möglich ist, unseren Beitrag zur Übernahme von Verant-
  wortung zu leisten.

                                                                   Seelen-Tide

                                                                     15
GRENZAUFENTHALT
Überraschende Wende eines Arbeitsprozesses

Unser Redaktionsteam der Seelen-Tide
sitzt beisammen. Die Ausgabe 2020
wird sich dem Thema Grenzen widmen.
Unsere vielfältigen Ideen sprudeln aus
uns heraus. Zu diesem Thema kann
wirklich jeder etwas beitragen.

Die ­ersten Kategorien für den Aufbau sind
gebildet und nun werden die Aufgaben
­verteilt. Gerne melde ich mich, um einen
 Reise­artikel zu schreiben. Es ist ­Frühling und
 die Seelentide wird erst im N         ­ ovember
 ­erscheinen, ich ­habe also noch Zeit.

Aus meinen Erfahrungen der vorigen Jahre
weiß ich, alles braucht seine Zeit. Dieses
Thema, der richtige Aufhänger, die passen-
den Vergleiche; all das will im Herzen und          Ich habe eine Grenze erreicht, deren Überwindung mir unmöglich erscheint.
im Kopf bewegt sein, wenn es schließlich
aus der Feder fließen soll.                         empfehlungen bestelle ich mir als Ansichts­        Überwindung mir unmöglich erscheint. Sie
                                                    exemplar, doch mein Artikel entsteht weder         erinnert mich an Schulzeiten, in denen ich
Mehrere Artikel in Zeitungen, Beiträge aus          im Kopf noch auf dem Papier.                       mich mit Hausaufgaben überfordert sah.
dem Netz höre ich mir jetzt mit anderen                                                                Mich erfasst jene innere Unruhe, die ich
Ohren an und so nach und nach schreibe              Zunächst ärgere ich mich über die vielen           von Prüfungen her kenne.
ich einige Gedanken, Satzfetzen und                 Anforderungen, die mein Alltag bereithält.
Stichpunkte auf meinen vorbereiteten
­                                                   Eine volle Arbeitswoche, Freunde und Ver-          Aus dem inneren Ärger über meine
Notiz­zettel. In meinem Kalender wird ein           wandte, denen ich verbunden oder auch              ­vermeintlich nicht kompatible Arbeits-
Tag für die Fertigstellung einer Roh­               verpflichtet bin. All das begrenzt scheinbar        und Familienwelt wächst nun das Gefühl
fassung ­   vermerkt. Ausgerechnet an               jene Freiheit und Kreativität, welche für           von Scham und Selbstunsicherheit. Bin ich
­diesem ­Wochenende melden sich gute                meine Arbeitsaufgabe doch von Nöten                 ­diesem Thema nicht gewachsen? Bin ich
 Freunde an und ich verschiebe die Schrei-          sind. Anstatt zu formulieren, übernehme              überhaupt in der Lage, Texte nachvollzieh-
 berei auf den n­ ächsten freien Tag.               ich viele Alltagsaufgaben, die in meinem             bar und interessant für Leser zu verfassen?
                                                    Haushalt liegen geblieben sind. Meine                Der Same des Selbstzweifels ist erneut
Nun endlich, mit Notizen und Computer               Wohnung sehe ich nun mit einem Defizit-              ­aufgegangen.
ausgerüstet, mache ich mich an die Arbeit.          blick und arbeite kontinuierlich scheinbar
Für die Einleitung brauche ich schon viel           Unaufschiebbares ab. Der erhoffte Energie-         Mein Partner, der mich mehr als mein­
mehr Zeit als eingeplant und b    ­ eschließe,      schub nach jeder fertiggestellten Aufgabe          halbes Leben kennt, widerspricht mir
                                                                                                       ­
einfach noch ein wenig mehr Kraft in die            bleibt allerdings aus.                             ­entschieden. Neu motiviert vermeide ich
Recherche zu investieren. Mit dem guten                                                                 den Computer nicht mehr, sondern
Gefühl, aktiv zu sein, schaue ich mir diverse       Erst jetzt nehme ich das ungute Gefühl im           ­probiere mehrere Fassungen, um endlich
You-Tube-Beiträge von klugen Menschen               Bauch wahr, das mir schon so gut bekannt             an mein Ziel zu gelangen. Mit einem sehn-
zu meinem Thema an; mehrere Buch­                   ist. Ich habe eine Grenze erreicht, deren            süchtigen Blick vom Schreibtisch auf einen

                                                                   Seelen-Tide

                                                                     16
wunderbaren Sommersamstag schreibe
ich verschachtelte Sätze, die weder Hand
noch Fuß, am allerwenigsten Herz haben.
Der Papierkorb füllt sich in der gleichen
Schnelligkeit, in der mein Mut sinkt. In
­meinen schlaflosen Nächten formuliere ich
 mehr Artikel, als in der gesamten Seelen­
 tide ­stehen werden. Seit etwa dieser Zeit
 geht mir meine Familie aus dem Weg.

Ich weiß nicht, wie ich mit den Anfragen
meines Redaktionsteams umgehen soll.
Die Deadline für die Abgabe der Artikel
legt sich wie eine Schlinge um meinen Hals.     Aus dem inneren Ärger über meine vermeintlich nicht kompatible Arbeits- und Familienwelt wächst
Ich bastele mir meine Entschuldigungen          nun das Gefühl von Scham und Selbstunsicherheit.
wie ein Schutzschild zurecht. Es gibt viele
Argumente, die meine Verzögerungen              Die Offenheit und die Empathie, die               nicht darum, den Anderen zu genügen,
rechtfertigen würden.                           ­meinen Schilderungen entgegengebracht            sondern in eine passende machbare Rich-
                                                 werden, machen das Bekenntnis leichter,          tung zu gehen.
Am Tag der Redaktionssitzung wache ich           an eine Grenze gekommen zu sein. Das
früh auf und komme trotzdem etwas zu             ­erste Mal gestehe ich mir und Ihnen ein,        Doch was wird nun aus meinem Reise­
spät bei den Kolleg*innen an. Die Stapel          dass die Hürde zu hoch oder der Weg             artikel, der von Ländergrenzen erzählen,
auf dem Tisch mit fertig formulierten Bei­        nicht der richtige war.                         über Sprachbarrieren und Schlagbäume
trägen sind so groß wie meine Schuld-                                                             berichten soll? Es ist wohl auch ein Reise-
und Versagens­gefühle. Nun bin ich an der       Während meiner Schilderung und in                 artikel geworden. Er handelt nicht von der
­Reihe, ­meinen Beitrag vorzustellen. Ich       ­gemeinsamer Reflexion entwickeln sich            weiten fernen Welt, sondern von einer
 ­sehe meine Kollegen an und spüre, dass         neue Ideen. Die Akzeptanz meines Gegen-          ­Reise mit mir selbst.
  ich nicht auszuweichen brauche.                übers setzt frische Energien frei. Es geht

Das gemeinsame Haus kann keine Mauern ertragen, die
seine Bewohner voneinander trennen und Konflikte unter­einander
hervorrufen. Es benötigt stattdessen offene Türen, die den Austausch
und die Begegnung fördern und eine Zusammenarbeit für ein
Leben in Frieden stärken, während Unterschiede geachtet und
Verantwortungsbewusstsein gefördert werden.
Der Friede ist wie ein Haus mit vielen Zimmern, in dem alle
zum Wohnen eingeladen sind. Der Friede besitzt keine Grenzen.
Immer und ausnahmslos. (…)
Wir müssen uns alle zusammentun – ich würde sagen mit einem
Herzen und einer Stimme – um laut auszurufen, dass der Friede
keine Grenzen kennt. Dieser Schrei erklingt in unserem Herzen.
Denn dort, im Herzen müssen wir die Trennungen beseitigen,
die spalten und den einen gegen den anderen aufbringen; in die
Herzen müssen Gefühle des Friedens und der Geschwisterlichkeit
ausgesät werden.

Papst Franziskus, Vatikan, 13. September 2019

                                                                 Seelen-Tide

                                                                  17
NOCH EIN FÖRDERVEREIN?
UNSER FÖRDERVEREIN!
Unterstützung bieten und Aufmerksamkeit schaffen

Fördervereine unterstützen wichtige                ­ usstattung darauf reagieren könnten. Das
                                                   A                                              Ein besonderes Anliegen war und ist die
Projekte. Sie leben vom Engagement                 ließ manche, denen die psychologische          Gewinnung von Berater-Nachwuchs. Was
und Herzblut ihrer Mitglieder. Auch die            ­Beratungsarbeit zur Herzenssache gewor-       wären wir ohne neue, jüngere, gut aus­
Ehe-, Familien- und Lebensberatung                  den war, nicht schlafen … Bis schließlich     gebildete Mitarbeiter*innen? Auch hier
(EFL) im Erzbistum Hamburg wird von                 unser Förderverein aus der Taufe gehoben      wurde der Verein aktiv.
einem solchen Förderverein unter­                   werden konnte.
stützt, und das schon seit fast 15 Jahren!                                                        Eine unserer heutigen Kolleginnen berich-
                                                   Nun wurde es in Zusammenarbeit mit             tet: „2009 bis 2013 machte ich m        ­ eine
Es gibt also Mitgliederversammlungen,              dem Erzbistum möglich, kurzfristig Teilzeit-   ­Weiterbildung zur EFL-Beraterin. Das war
­Rechenschaftsberichte, Kontoauszüge, alle         stellen für die unvermeidliche Büroarbeit       eine spannende Zeit. Auf der einen Seite
 zwei Jahre Vorstandswahlen … und was              zu schaffen oder zusätzliche Stunden für        hat mich die Ausbildung viel Energie ge-
 noch?                                             ausgebildete Honorarkräfte zu bezahlen.         kostet, auf der ­anderen Seite führte es dazu,
 2005 war die Nachfrage nach den                   Fachliteratur, spezielles A
                                                                             ­ rbeitsmaterial –    dass ich mich selber besser kennenlernen
 Beratungs­angeboten der EFL im gesamten           nicht im Budget des l­aufenden Jahres? Kein     durfte und heute einen wunderbaren Beruf
 Erzbistum stark gestiegen. Es gab aber            Problem, der ­Förderverein konnte auch          ausüben kann. Aber natürlich kostet diese
 ­keine Pläne, wie genau die Beratungsstellen      hier in vielen F­ ällen unbürokratisch und      Aus­bildung neben Zeit auch einiges an
  mit ihrer personellen und materiellen            kurzfristig helfen.                             Geld: Ausbildungsgebühr, Fahrt- und
                                                                                                   Übernachtungskosten, eventuell Fahrt­
                                                                                                   kosten zur Praktikumsstelle.
                                                                                                   Unterstützt werden die Praktikant*­innen
                                                                                                   in Ausbildung vom Förderverein der Ehe-,
                                                                                                   Familien- und Lebensberatung des Erz­
                                                                                                   bistums Hamburg e.V. . Einmal jährlich er-
                                                                                                   halten sie ein Anerkennungs­honorar für
                                                                                                   geleistete Beratungsstunden im Praktikum.
                                                                                                   Das ist nicht nur in finanzieller Hinsicht
                                                                                                   ­eine Erleichterung, sondern drückt auch
                                                                                                    ­eine besondere Wertschätzung aus. Des-
                                                                                                     halb möchte ich an dieser Stelle noch
                                                                                                     ­einmal meinen Dank an den Förderverein
                                                                                                      zum Ausdruck bringen. Möge es dem
                                                                                                      ­Verein auch weiterhin möglich sein, mit
                                                                                                       den eingeworbenen Spenden Praktikanten
                                                                                                       und Praktikantinnen und andere Bedarfe
                                                                                                       der EFL-Beratungsstellen zu unterstützen.“
Fördervereine leben vom Engagement und Herzblut ihrer Mitglieder.

                                                                    Seelen-Tide

                                                                     18
Aber: woher bekam der Förderverein ­dieses              die ­ Männer erklären?“, außerdem um
Geld? Auch die Gründungs­       mitglieder              Bindungstheorien oder die Situation
                                                        ­
­hätten nicht im Traum geglaubt, wie viele              ­getrennter Väter.
 Spenden der Verein neben den Mitglieds-
 beiträgen sammeln würde … Geld von                     Zudem werden jährlich pastorale Besin-
 ehemaligen dankbaren Klienten, von                     nungsseminare für Paare in Zinnowitz
 ­Firmen und Institutionen, ja, sogar Zu­               ­angeboten und ein thematischer Foto­
  wendungen von der Staatsanwaltschaft                   kalender herausgegeben. Und immer wie-
  gingen ein.                                            der gibt es kleine Auftritte in der Öffent-
                                                         lichkeit, z. B. auf Weihnachtsmärkten mit
Der hohe Bekanntheitsgrad der EFL und                    selbst hergestelltem Kunsthandwerk oder
ihrer Arbeit ist sicher auch ein gutes Stück             an Ständen auf Kirchentagen. Dort berich-
dem Förderverein zu verdanken. Mit vielen                ten Mitglieder voller Enthusiasmus und
Aktionen und Aktivitäten weckte er die                   Offenheit von ihren Erfahrungen mit Bera-
Aufmerksamkeit für Themen, die häufig im                 tung und verhelfen damit der EFL, die         Seit 15 Jahren findet in Rostock die „Martins-Soiree“
Fokus von psychologischen Beratungen                     sonst eher im Verborgenen arbeitete, zu       als Vortragsveranstaltung mit inzwischen bis zu 200
stehen.                                                  vermehrter Aufmerksamkeit in der Öffent-      Gästen statt.

                                                         lichkeit. Ohne dass damals schon der Be-
So gibt es seit ca. 15 Jahren in ­Rostock die            griff fiel, wurde der Förderverein zu einem
„Martins-Soiree“ als Vortragsveranstaltung               wichtigen Akteur des „Fundraising“ für die
mit inzwischen bis zu 200 Gästen. Da ging                EFL, besonders wohl dadurch, dass die Mit-
es um „Reden oder Schweigen in der Part-                 glieder auch im außerkirchlichen Bereich
nerschaft“, um Patchworkfamilien, um den                 gut vernetzt sind.
Umgang mit Stress, um die Sehnsucht                      Damit es in Zukunft so bleibt, ist der För-       Gefühl von Grenze darf nicht heißen:
nach dem Glück, um „Geschwister,                         derverein auf die Ideen und Aktivitäten           hier bist du zu Ende, sondern:
­zwischen Verbundenheit und Rivalität“                   auch neuer Förderer angewiesen.                   hier hast du noch zu wachsen.
 oder um die Bitte: „Kann mir mal einer                  Wir freuen uns, wenn Sie Mitglied werden!         Emil Gött

ANTWORTEN
 Der englische Schauspieler Nigel Goodwin (Genesis Arts), der ein
 geistlicher Vater vieler Künstler ist, sagte einmal, als wir gemeinsam
   beim Essen waren: „Kunst hat mit Fragen zu tun, weniger mit
­Antworten.“ Und später: „Gott hat mehr Interesse an unseren
  ­Fragen als an unseren Antworten.“
 Eine Antwort hebt die Frage auf. Doch was du durchlebst, ver­
 wandelt dein Herz. Nur dort wird man lesen, was du begriffen hast.
 So bereitet uns Gott einen Frieden im Angesicht unserer Fragen,
 wenn wir begreifen, wozu die Frage uns dienen soll.
 Gott wird dich dermaleinst nicht fragen, auf wie viele Dinge du
 ­eine Antwort wusstest, sondern, welche Antwort du gelebt hast.

Martin Schleske, Herztöne – Das kleine Buch © 2018, adeo Verlag, Asslar

                                                                          Seelen-Tide

                                                                           19
EIN
MÄRCHEN
Vom Leben ohne Grenzen

Es war einmal in einer Zeit, in der das        ihm Kräfte in den Beinen wuchsen und                 mich schützt und mir Geborgenheit und
Wünschen noch geholfen hat, da lebte           schon hatte er den Zaun übersprungen.                ­Sicherheit gibt. Ach könnte ich doch mei-
ein Jüngling, der hatte viele Träume.          Bald kam er auf seinem Weg an eine Stadt-             nen Wunsch zurücknehmen!“
                                               mauer und noch bevor er sich Gedanken
Wenn er am Tag seiner Arbeit nachging,         darüber machen konnte, wo denn wohl das              Auf einmal war es ihm, als hörte er eine
seufzte er so manches Mal und sagte sich:      Stadttor wäre, teilte sich die Mauer und ließ        Stimme: „Aber das kannst du doch. Du
„Ach, wie schön wäre mein Leben, wenn          ihn hindurch. Da war der Jüngling froh und           musst nur die Münze wieder finden.“ Da
ich nicht überall an Grenzen stieße. Immer     machte sich auf eine lange Wanderung.                eilte der Jüngling zu der Stelle, an der er die
sind Mauern und Tore um mich herum.“           Nichts hielt ihn auf, jede Mauer teilte sich,        Münze hatte fallen lassen und suchte über-
Und wenn er des Abends im Bett lag, dann       jeden Zaun konnte er überspringen und                all danach. Und er hatte Glück, er fand sie.
stellte er sich vor, dass es für ihn keine     niemand hielt ihn auf, wenn er etwas                 Schnell hob er sie auf und rieb sie blank und
Verbote und Beschränkungen gäbe.
­                                              ­Verbotenes tat. Aber da er ein freundliches         als die Fee erschien, ließ er ihr gar keine Zeit,
­„Bestimmt wäre alles besser, wenn ich ohne     Wesen hatte, tat er davon nicht allzu viel.         etwas zu sagen, sondern rief sogleich:
 Grenzen alles machen könnte, was ich                                                               „Mach, dass alles wieder ist wie vorher!“
 möchte“, träumte er.                          In den ersten Tagen und Wochen hatte der
                                               Jüngling viel Freude an seinen neuen                 „Dein Wunsch ist dir erfüllt“, sagte die Fee
Eines Tages fand er eine alte Münze. Erfreut   ­Kräften. Aber mit der Zeit verschwand die           und verschwand. Der Jüngling schüttelte
hob er sie auf und versuchte, sie blank zu      Freude. Er hatte ja gar keine Heraus­               sich und fragte sich, ob es wohl geklappt
reiben. Da erschien ihm eine Fee. „Du hast      forderungen mehr, weil alles immer sofort           hätte. Aber als er an den ersten Zaun stieß
den Zauber der Münze entdeckt. Wer sie          überwunden werden konnte. Und die
                                                ­                                                   und mühsam über den Zauntritt klettern
findet und aufhebt, hat ­einen Wunsch frei.     ­Menschen zogen sich von ihm zurück, weil           musste und als er an der nächsten Stadt-
Danach musst du sie wieder irgendwo              sie ihn nicht verstanden. Am schlimmsten           mauer eine ganze Runde weit laufen muss-
fallen lassen. Also sprich, was ist dein
­                                                war aber, dass er sich in der Nacht, wenn er       te, um das Stadttor zu finden, da wusste er,
Wunsch?“ Dem Jüngling hatte es erst ein-         sich zum Schlafen legte, nicht mehr sicher         dass die Fee ihn erhört hatte. Aber er merk-
mal die S­ prache verschlagen, aber dann         ­fühlte. Zwar konnte er die Tür zu seiner          te auch, dass es ja trotzdem möglich war,
fand er ­seine Worte wieder: „Ich wünsche         Kammer verschließen, aber was nützen              diese Hindernisse zu überwinden.
mir, dass es für mich keine Grenzen gibt.         ­sichere Mauern, wenn sie sich jederzeit
Ich möchte ­Mauern und Zäune überwin-              ­teilen könnten?                                 Der Jüngling kehrte zurück nach Hause
den, ich brauche keine Gesetze und Ver-                                                             und lebte fortan wie bisher. Er wusste nun,
bote, ich möchte grenzenlos frei sein.“        Eines Tages kam der Jüngling bei seinen              dass man Mauern und Zäune überwinden
                                               Wanderungen in eine Wüste. Und als er                kann, auch wenn es manchmal viel Kraft
„Dein Wunsch ist dir erfüllt“, sagte die Fee   rund um sich herum zu einem grenzenlo-               kostet. Aber er wusste auch, dass ein Leben
und verschwand sogleich. Der Jüngling rieb     sen Horizont blicken konnte, setzte er sich          ganz ohne Grenzen auch Angst machen
sich die Augen und fragte sich, ob er wohl     auf den Boden und weinte bitterlich: „So wie         kann. Deshalb nahm er fortan die Dinge,
geträumt hätte. Aber als er auf seinem Weg     diese Wüste, so ist für mich a­ lles, es ist gren-   wie sie kamen und lebte vergnügt bis an
an einem Zaun vorbeikam, spürte er, wie        zenlos weit, aber es ist auch nichts da, was         sein Ende.

                                                               Seelen-Tide

                                                                 20
Funk
                                       H
                                                                                             1.120 Stunden

                               U   C
                             GBblick 2018
                                                                  Online-                    Das entspricht                    ­Passagiere

                 LO
                                                                  Beratung                   1 Monat und
                            srü ck
                                                                                             17 Tagen.                          Ratsuchende
                  J a h r e
                                                                                                                                2.524 Männer
                                                                                                                                 und Frauen
                                                                                                                             Das entspricht allen
                                                                                                                              Passagieren eines
         Die beste                                      ­EFL-Touren                                                           Kreuzfahrtschiffes
   ­Werbung: Es spricht                            bieten sich für jedes                                                          Größe L.
        sich herum!                                         Alter an!
                                                                                        Crew des
                                                                                      EFL Schiffes

                                                                                   Beraterinnen und Berater,
                                                                                        Sekretärinnen
                                                                                    48 Mitarbeiter_innen,
                                                                                                                              ­Erwünschte
                                                                                          haupt- und
                                                                                       ­nebenberuflich                  blinde Passagiere

                                                                                        Das EFL-Team des                      Anzahl der Kinder
                                                                                    E­ rzbistums Hamburg                     (unter 21), die vom
        Ko m p
                                                       2018
                 le t t                                                             passt in einen großen                    ­Beratungserfolg der
                          e Fa h                    hr
                                 r t z e i t i m Ja                                         Reisebus.                          ­Eltern profitieren
     B e r a tu n g s st                                                                                                      1. 802 Mädchen
                        un                              n   den
                             d en                  St u                                                                          und Jungen
                                    gesam 15.457
                                         t:
                                                                 /4 Ja                                                  Das entspricht etwa der
                                                             1 3       hre
D a s e n tsp richt 645                                er                 n dur                                           Schülerzahl von 4
                        Tage                         od                        chgehend.
                             n         und Nächten                                                                      großen Grundschulen.

                                                                                                                       Lebens- und
                                                                                                          hemen

                                                                                                                       Paargeschichten
                                                                                      Routen
                                                                                                        ungst

                                                                                                                    Glaubens- und      e
                                                                        Sexualität, Eifersucht,                     Sinnfragen, Verlust
                                                                        Fremdgehen, Trennung
                                                                                                      B e r at

                                                                                      Ängs
                                                                                            te
     Nicht nur christliche Seefahrt
                                                                                                                 Streit
     Das EFL Schiff nimmt jeden Menschen auf –                                                                          ,G   ewa lt
     unabhängig von seiner Herkunft, seiner Welt-
     anschauung oder Religionszugehörigkeit.
     Konfessionszugehörigkeit
     katholisch: 343 Ratsuchende
     evangelisch: 812 Ratsuchende
     sonstige: 90 Ratsuchende
     ohne: 1.279 Ratsuchende
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