SILVA FERA Wissenschaftliche Nachrichten aus dem Wildnisgebiet Dürrenstein - Band 6 - Wildnisgebiet Dürrenstein

 
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SILVA FERA Wissenschaftliche Nachrichten aus dem Wildnisgebiet Dürrenstein - Band 6 - Wildnisgebiet Dürrenstein
ISSN 2227-3387
                                 Band 6

         SILVA FERA
Wissenschaftliche Nachrichten aus dem
           Wildnisgebiet Dürrenstein
SILVA FERA Wissenschaftliche Nachrichten aus dem Wildnisgebiet Dürrenstein - Band 6 - Wildnisgebiet Dürrenstein
2   Silva Fera, Bd. 6/Mai 2017

    Silva Fera, Band 6, 2017
    Erschienen: Mai 2017

    Silva Fera ist die wissenschaftliche Zeitschrift der Schutzgebietsverwaltung Wildnisgebiet Dürrenstein.
    Sie dient der Veröffentlichung neuer Erkenntnisse und Forschungsergebnisse aus dem Wildnisgebiet Dürrenstein.

    ISSN:2227-3387

    Herausgeber und Medieninhaber:
    Schutzgebietsverwaltung Wildnisgebiet Dürrenstein, Brandstatt 61, A – 3270 Scheibbs
    www.wildnisgebiet.at, office@wildnisgebiet.at

    Für den Inhalt verantwortlich:
    DI Dr. Christoph Leditznig

    Redaktion:
    Dr. Sabine Fischer

    Druck:
    Druckerei Queiser, 3270 Scheibbs

    Kosten:
    30,- €/Heft

    Titelfoto: Eisenhuthummel (Bombus gerstaeckeri), © Theo Kust

    Seite 3: Der Rothausbach im Großen Urwald, © Martin Hartmann

    Seite 5: Sterndolde (Astrantia major) mit Krabbenspinne und Graubindigem Mohrenfalter (Erebia aethiops), © Werner Gamerith

    Seite 6: Großer Urwald (Rothwald), © Martin Hartmann

    Seite 97: „Fenster zum All“ (Blick aus der Legsteinhütte am Dürrenstein auf den Nachthimmel), © Markus Reithofer

    Seite 98: „Stargazers“ bei der Legsteinhütte, © Markus Reithofer
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4   Silva Fera, Bd. 6/Mai 2017

    Inhalt

    ....................................................................................................................................................................................................................................................... Seite

    Vorwort ................................................................................................................................................................................................................................................5

    Brande A., K. Splechtna & S. Zerbe:
    Pollenanalytische Untersuchungen zur Vegetationsgeschichte im Wildnisgebiet Dürrenstein ...............................................................................................................7

    Kohl I. & C. Leditznig:
    Ein Vergleich der unterschiedlichen Telemetrie-Systeme im Rahmen der Wiederansiedlung von Habichtskäuzen (Strix uralensis) im Wildnisgebiet Dürrenstein
    in den Jahren 2009 bis 2016 ...............................................................................................................................................................................................................23

    Kust T.:
    Entomofaunistische Untersuchungen im Wildnisgebiet Dürrenstein.
    2. Teil: Hautflügler (Hymenoptera): Pflanzenwespen (Symphyta) und Hummeln (Bombus) .................................................................................................................59

    Wuchterl G.:
    Das Licht der Nacht über dem Wildnisgebiet Dürrenstein ..................................................................................................................................................................77

    Publikationsrichtlinien........................................................................................................................................................................................................................99
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Silva Fera, Bd. 6/Mai 2017        5

                                                        UÊ *
                                                           Ê œi˜>˜>Þ̈ÃV iÊ1˜ÌiÀÃÕV ՘}i˜Êۜ˜Ê œ ÀŽiÀ-         und das Pflanzengift Glyphosat, die aufgrund ihrer
                                                           nen aus Mooren östlich des DürrensteinMassivs          Toxizität niemals hätten zugelassen werden dürfen.
                                                           geben Aufschluss über mehrere tausend Jahre            Die finanzstarken Saatgut- und Chemiekonzer-
                                                           Vegetationsentwicklung in unserem Gebiet.              ne konnten bisher – unterstützt von der österrei-
                                                                                                                  chischen Landwirtschaftskammer – ein dringend
                                                        UÊ 
                                                           Ê V ÌÊ > ÀiÊ œ˜ˆÌœÀˆ˜}Ê ˆ“Ê 7ˆi`iÀ>˜Ãˆi`Õ˜}Ã-       notwendiges Totalverbot verhindern, die EU-weite
                                                           projekt der Habichtskäuze lassen Vergleiche von        Wiederzulassung von Glyphosat zeichnet sich ge-
                                                           unterschiedlichen Telemetriemethoden zu. Die-          rade ab.
                                                           sen wertvollen Erkenntnissen wünschen wir eine
                                                           weite Verbreitung, damit das Rad (bei ähnlichen        Trotz der fortschreitenden Umweltzerstörung und
                                                           Aufgaben) nicht immer neu erfunden werden              der zermürbenden Wachstumshörigkeit der kon-
                                                           muss.                                                  ventionellen Wirtschaft, dürfen wir uns nicht von
                                                                                                                  Ohnmacht und Verzweiflung lähmen lassen, denn
                                                        UÊ 1
                                                           Ê ˜ÃiÀÊ7ˆÃÃi˜ÊØLiÀÊ`>ÃÊÀÌi˜Ã«iŽÌÀՓÊiÀÜiˆÌiÀÌÊ        jeder einzelne Mensch, jeder kleine Schritt zu ei-
                                                           diesmal ein Beitrag über die Pflanzenwespen            nem bewussteren Leben zählt. Engagement macht
                                                           – ursprüngliche Hautflügler, die meist an be-          Mut und es gibt so viel, was wir tun können.
                                                           stimmte Wirtspflanzen gebunden sind – und die
                                                           Hummelfauna.                                                                                         Ihre
                                                                                                                                                      Sabine Fischer
                                                        UÊ -
                                                           Ê iˆÌÊ Óä£äÊ ÜˆÀ`Ê LiˆÊ />}Ê Õ˜`Ê >V ÌÊ `ˆiÊ œL>-                                         (Redaktion)
                                                           strahlung über der Legsteinhütte am Dürren-
                                                           stein gemessen. Die Werte sind von natürlichen
                                                           Lichtverhältnissen nicht unterscheidbar, d.h. das
                    Vorwort                                Gebiet ist eines der letzten mit Naturnacht in
                                                           Mitteleuropa!
Liebe Leserinnen und Leser!
                                                        Die weitgehend intakte Natur im Wildnisgebiet ist
Die bisher erschienenen fünf Bände unserer wissen-      natürlich ein Ansporn für unsere Schutzbestrebun-
schaftlichen Nachrichten zeigen die Vielfältigkeit      gen, denn je seltener etwas wird, desto wertvoller
der Forschungs- und Artenschutzprojekte, die dank       wird es.
fruchtbarer Kooperationen und dem Engagement
vieler (natur)begeisterter Personen im und rund um      Als naturliebender Mensch bin ich erschüttert, dass
das Wildnisgebiet Dürrenstein umgesetzt werden          der Wert unversehrter Ökosysteme, die atemberau-
können.                                                 bende Schönheit unserer Welt und ihrer Lebensfor-
                                                        men, sowie unsere Abhängigkeit von der Biosphäre,
Im vorliegenden sechsten Band wird diese Multidis-      der breiten Masse und vor allem den politischen
ziplinarität wieder deutlich. Sie finden Beiträge aus   Entscheidungsträgern immer noch nicht ausrei-
der Palynologie, dem angewandten Artenschutz,           chend ins Bewusstsein gedrungen ist. Beispielhaft
der Astronomie und der Entomologie:                     dafür sind z.B. die Neonicotinoide (Insektizide)
SILVA FERA Wissenschaftliche Nachrichten aus dem Wildnisgebiet Dürrenstein - Band 6 - Wildnisgebiet Dürrenstein
6   Silva Fera, Bd. 6/Mai 2017
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Pollenanalytische Untersuchungen                                          Abstract                           kultur, Wien) an. Sie stützen sich somit auf deren
                                                                                                             umfangreiche Erfahrungen in der Ausarbeitung
    zur Vegetationsgeschichte                        Pollen analyses were conducted at four sites east of    und Interpretation zahlreicher Pollendiagramme
  im Wildnisgebiet Dürrenstein                       the Dürrenstein mountain massif, between 1100           zur natürlichen und anthropogenen Waldgeschich-
                                                     and 1400 m elevation and within the natural spru-       te im mittleren und östlichen Alpenraum unter
       Arthur Brande, Karl Splechtna                 ce-fir-beech belt. The pollen diagrams display that     den wechselnden klima- und nutzungsgeschichtli-
                                                     the climax forest was formed 4000 years ago (Rot-       chen Bedingungen der Nacheiszeit (ursprüngliche
              & Stefan Zerbe
                                                     mösel), followed by a regional beech dominance be-      Waldzusammensetzung und ihre Entstehung, Hö-
                                                     fore the onset of human impact. A first regression      henstufendifferenzierung, Standorteigenschaften,
               Zusammenfassung
                                                     of beech due to cuttings is found during Roman          klimatische und anthropogene Schwankungen der
                                                     times (Bärwies), resp. medieval and modern times        Waldgrenzen, Walddegradation durch Almweide
Die vier pollenanalytischen Untersuchungspunkte
                                                     (Grubwies sites, Rotmösel). Subsequently, a very        und Holznutzung u.a.). Für die hier vorgelegten
liegen östlich des Dürrenstein-Massivs zwischen
                                                     strong regression of fir occurs diachronically at the   Pollendiagramme Bärwies aus dem Wildnisgebiet
1100 und 1400 m Höhe in der Fichten-Tannen-
                                                     sites with a difference of about 1200 years and up      Dürrenstein und Grubwies sowie Rotmösel aus den
Buchenstufe. Nach der im Diagramm Rotmösel
                                                     to the 18th/19th century (Rotmösel). Mountain           östlich anschließenden Teilflächen konnten daher
erfassten Ausbildung des Klimaxwaldes vor 4000
                                                     pasture after and together with forest clearance is     viele Einzelangaben zum Zeigerwert der Pollenty-
Jahren zeigen alle Diagramme eine regionale Bu-
                                                     documented by indicators such as juniper, aconi-        pen und zur Pollenherkunft aus den verschiedenen
chendominanz. Ein erster rodungsbedingter Bu-
                                                     te, other herbs and grasses. The expansion of the       Höhenstufen und Standorten der Arbeit von Kral &
chenrückgang liegt in der Römerzeit (Bärwies)
                                                     mountain pine shrub belt depending on site and          Mayer (1968) mit den dort veröffentlichten Pollen-
bzw. in Mittelalter und Neuzeit (Grubwies Moor
                                                     time conditions is shown by the increase of pine        diagrammen Rotmösel und Rothwald und weiteren
und Doline, Rotmösel). Auch der nachfolgende,
                                                     pollen amount. The origin and development of the        Publikationen der Autoren entnommen werden. Die
sehr einschneidende Tannenrückgang ist an den
                                                     investigated mires is found to be topo-climatogene      obere Hälfte der Torfabfolge im Rotmösel wurde
Untersuchungspunkten zeitverschoben mit einer
                                                     (Rotmösel), soligene (Bärwies) or topo-soligene         bereits von Kral pollenanalytisch untersucht (Kral
Differenz von 1200 Jahren bis in das 18./19. Jahr-
                                                     (Grubwies). It covers a time span from the Subbo-       & Mayer 1968), allerdings ohne 14C-Daten zur zeit-
hundert (Rotmösel). Die mit der Waldauflichtung
                                                     real to the Older Subatlantic chronozone, i.e. the      lichen Gliederung der Vegetationsentwicklung. Ein
einhergehende Almweidenutzung mit Weidezei-
                                                     late warmperiod of the Holocene to the older part       Vergleich beider Pollendiagramme und ihrer Unter-
gern wie Wacholder, Eisenhut, weiteren Kräutern
                                                     of the post-warm period. The results do not point       schiede findet sich bei Brande et al. (2002).
sowie Gräsern kommt je nach Standort zeitlich und
                                                     to an anthropogenic origin of mire formation at all.
örtlich unterschiedlich zum Ausdruck, ebenso die
                                                                                                             Im Folgenden werden die vier Pollendiagramme
Ausdehnung der Latschengebüsche. Die Entste-
                                                     1. Einleitung                                           erstmals vollständig und im wechselseitigen Zusam-
hung und Entwicklung der untersuchten Moore ist
                                                                                                             menhang vorgestellt. Die Untersuchung Rotmösel
topo-klimatogen (Rotmösel), soligen (Bärwies) und
                                                     Die pollenanalytischen Untersuchungen an der TU         ist im Rahmen einer Übersicht zur Waldentwick-
topo-soligen (Grubwies) im Zeitraum vom Subbo-
                                                     Berlin waren Teil des niederösterreichischen EU-        lung des Nordostalpenraumes gesondert behandelt
real (Späte Wärmezeit) bis Subatlantikum (Ältere
                                                     Life-Projektes „Wildnisgebiet Dürrenstein“ (1997        worden (Brande et al. 2002), außerdem eine kurze
Nachwärmezeit). Eine anthropogene Entstehung
                                                     - 2001; vgl. Ripl et al. 2004). Sie schließen metho-    Übersicht im Endbericht des Forschungsprojektes
der Moore ist auszuschließen.
                                                     disch und inhaltlich an frühere Arbeiten und Pu-        (Brande 2004a) und ein Vergleich mit den Untersu-
                                                     blikationen vor allem von Prof. Dr. Friedrich Kral      chungen der Bärwies im Arbeitskreis Vegetations-
                                                     in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Hannes Mayer            geschichte (Tagung Innsbruck, Brande & Splecht-
                                                     (Institut für Waldbau der Universität für Boden-        na 2005).
SILVA FERA Wissenschaftliche Nachrichten aus dem Wildnisgebiet Dürrenstein - Band 6 - Wildnisgebiet Dürrenstein
8   Silva Fera, Bd. 6/Mai 2017

    2. Das Untersuchungsgebiet                                                                                   lomitrücken auf. Die Buche dominiert hier, zeigt
                                                                                                                 aber auf den verhagerten Rücken oftmals geringen
    Zur Auswertung der Pollendiagramme sind insbe-                                                               Wuchs. Bergahorn, Fichte und Wald-Kiefer können
    sondere die Nutzungsgeschichte und die aktuellen                                                             beigemischt sein.
    Vegetationstypen des Gebietes von Bedeutung.
    Eine kurze Übersicht zur Geschichte der Waldnut-                                                             In den Schuttkegeln unterhalb von Felswänden sto-
    zung im Dürrensteingebiet, besonders zum Wald-                                                               cken kleinflächige Schlucht- bzw. Hangwälder mit
    verlust zwischen 1782 und 1875, geben Splechtna                                                              Bergahorn, Esche und Bergulme. Splechtna & Kö-
    & Splechtna (2016) mit Hinweisen auf die zugrun-                                                             nig (2001) schätzen die Natürlichkeit der Bestände
    de liegenden detaillierten Publikationen.                                                                    aufgrund der schwierigen Nutzungsbedingungen
                                                                                                                 als sehr hoch ein.
    Die Vegetation im Dürrensteingebiet zeichnet sich
    durch Wälder aus, die im Kernbereich (Urwald                                                                 Subalpine bodensaure Fichtenwälder sind im Gebiet
    Rothwald) nie bewirtschaftet wurden. In den                                                                  relativ selten, da die Fichten-Tannen-Buchenwälder
    Randbereichen (Erweiterungsgebieten) wurde die                                                               weit hinaufreichen, an der Baumgrenze aber durch
    Bewirtschaftung eingestellt. Oberhalb der Wald-                                                              Weidenutzung zurückgedrängt wurden. Sie gedei-
    grenze gedeihen Latschengebüsche und alpine                                                                  hen auf steilen und grobblockigen Rücken und Rip-
    Matten. Der folgenden Darstellung liegen die um-                                                             pen mit Säure- und Rohhumuszeigern in der Kraut-
    fassenden Studien von Zukrigl et al. (1963), Mayer                                                           schicht. Neben Fichte kommen vereinzelt Lärche,
    et al. (1979), Mayer & Neumann (1981) und Carli                                                              Buche und Bergahorn vor. Eine besondere Ausprä-
    (2007) über den Urwald Rothwald und die Kartie-                                                              gung zeigen die „Hochstauden-Fichtenwälder“ auf
    rung der FFH-Lebensraumtypen von Splechtna &                                                                 den Hochplateaus (Mucina et al. 1993). Dieser lich-
    König (2001) zugrunde. Die hier vorgestellte Über-                                                           te Waldtyp ist vielfach durch Beweidung und da-
    sicht ist die gekürzte Fassung einer pflanzensoziolo-                                                        mit einen Nährstoffeintrag überformt, so dass die
    gisch-vegetationsökologischen Beschreibung.                                                                  Rasenschmiele (Deschampsia cespitosa) flächig auf-
                                                                                                                 tritt, z.B. auf der Grubwiesalm. Bei fast allen Fich-
    Bergwälder                                              Abb. 1: Fichten-Tannen-Buchenwald im Großen Ur-      tenwäldern im Gebiet muss von einer historischen
    Ein Großteil des Dürrensteingebietes bzw. des           wald am Rothausbach.           (Foto: A. Brande)     bzw. aktuellen Beweidung ausgegangen werden.
    Urwaldes Rothwald wird von unterschiedlichen                                                                 Kleinflächig treten der Blockfichtenwald und auf
    standörtlichen Ausprägungen des für den nordöst-        gung in der Kraut- und Strauchschicht. Vereinzelt    Waldgrenzstandorten wie Felskanten der Kalkfels-
    lichen Alpenraum typischen Fichten-Tannen-Bu-           sind Bergahorn und Bergulme beigemischt. Auffäl-     Fichtenwald auf.
    chenwalds bestockt (Abb. 1).                            lig ist in den Urwaldresten das weitgehende Fehlen
                                                            von Pionierbaumarten wie Birke und Eberesche.        Subalpine Latschengebüsche
    Die drei Assoziationen auf Kalkbraunlehmbö-             An hochmontanen, schneereichen Hängen gedei-         Die Gipfel- und Hangbereiche oberhalb der Baum-
    den unterscheiden sich deutlich in der Kraut- und       hen Buchenwälder des Aceri-Fagetum. Die Fichte       grenze werden von drei Assoziationen der Lat-
    Moosschicht (Willner & Grabherr 2007) und wei-          ist hier kaum vertreten.                             schengebüsche bestockt (Abb. 2). Sie sind durch die
    sen die Hauptbaumarten Fichte, Tanne und Buche                                                               historische Weidenutzung und damit einhergehen-
    in verschiedenen Mischungsanteilen auf. Die Buche       Der Orchideen-Kalk-Buchenwald tritt nur auf be-      de Rodungen begünstigt und über ihre natürliche
    ist die dominierende Baumart mit starker Verjün-        sonders flachgründigen und sonnenseitigen Do-        Verbreitung hinaus im Gebiet ausgedehnt.
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Abb. 2: Latschengebüsch, Kalkfels-Fichtenwald und Seggenrasen am Sperriedel und    Abb. 3: Almweide auf der Grubwies.                           (Foto: A. Brande)
Dürrensteingipfel.                                 (Foto: F. Haudum, Wilhering)

Alpine und subalpine Rasen                              hervor und verweisen auf die Notwendigkeit einer       grenze oder als Ersatzgesellschaft des Hochstau-
Oberhalb der Waldgrenze und durch historische           Beweidung bzw. Mahd zum Erhalt.                        den-Fichten-Tannen-Buchenwaldes. Auf ehemalige
Weidenutzung nach vorheriger Rodung in die un-                                                                 Beweidung und Wildeinfluss weisen Aconitum na-
teren Höhenlagen verschoben, finden sich alpine         Schutthalden- und Felsspaltenvegetation                pellus (Abb. 4), Deschampsia cespitosa und Urtica
und subalpine Kalkrasen, vor allem Horstseggen-,        An südexponierten Hängen im Rothwald wer-              dioica hin. Heute stellen diese hochproduktiven
Rostseggen- und Polsterseggen-Rasen, wobei ers-         den Schutthalden von thermophilen Schwalben-           Vegetationsbestände Wildäsungsflächen dar, und es
tere den flächenmäßig größten Anteil einnehmen.         wurzfluren bewachsen. Auch findet sich bis in die      muss – auch wegen der langen Schneebedeckung –
Splechtna & König (2001) stellen auch die Hoch-         Gipfelregion der Kalk- und Dolomitfelsen häufig        von einer stark verzögerten Wiederbewaldung aus-
grasfluren zu den Kalkrasen und verweisen auf die       Felsspaltenvegetation unterschiedlicher Zusam-         gegangen werden.
floristisch-soziologische Verwandtschaft zum Rost-      mensetzung. An schattigen Felsen gedeihen Strei-
seggenrasen.                                            fen- und Blasenfarnbestände.                           Moore
Montane Borstgrasrasen mit einer artenreichen                                                                  Vermoorte Bereiche finden sich vor allem im Gro-
Begleitflora (Abb. 3) sind auf der Grubwiesalm          Hochstaudenfluren                                      ßen Bärwiesboden, einem letztglazialen Karboden,
anzutreffen (Grabherr & Zechmeister 1998). Mit          Feuchte, nitrophile Hochstaudenfluren wachsen in       dessen Abfluss durch Moränenwälle blockiert ist, so
Blick auf die Artenvielfalt heben Splechtna & Kö-       Talbereichen der Bäche, entlang von Waldrändern,       dass es besonders im niederschlagsreichen Sommer
nig (2001) die Bedeutung dieses Vegetationstyps         auf durchrieselten Schutthalden oberhalb der Wald-     zu Wasserüberstauungen kommt. Im Untergrund
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     Abb. 4: Hochstaudenflur mit Blauem Eisenhut auf
     dem Großen Bärwiesboden        (Foto: A. Brande)

     verhindert eine Lehmdecke die Versickerung. In
     dem vorherrschenden Schnabelseggenried kommen
     aufgrund der kleinflächig stark wechselnden Hy-
     drologie eine Vielzahl verschiedener Pflanzenge-
     sellschaften bzw. unterschiedliche Dominanzbe-       Abb. 5: Lage der pollenanalytischen Untersuchungspunkte im Dürrensteingebiet. Kartengrundlage: BEV, NÖ
     stände vor.                                          Landesreg. Abt. RU5, Abt. BD5-NÖGIS. RM – Rotmösel, BW – Großer Bärwiesboden, GM – Grubwiesalm
                                                          Moor, GD – Grubwiesalm Doline, RW – Rothwald I, II und RM – Rotmösel: Kral & Mayer (1968), OS – Lunzer
     Weitere Vegetationstypen                             Obersee: Krisai (1993). Hinweis der Redaktion: Die Karte zeigt die Ausdehnung des Wildnisgebiets Dürrenstein
     Neben den beschriebenen naturnahen bis anthro-       in den Gründungsjahren 2001/2002, nicht den aktuellen Stand.
     pogenen Pflanzengesellschaften mit z.T. hohem
     Naturschutzwert finden sich weitere Vegetations-     3. Die Pollendiagramme                                   der montan-subalpinen Fichten-Tannen-Buchen-
     typen wie Fichtenaufforstungen, Schlagfluren (vgl.                                                            stufe zwischen 1100 und 1400 m Höhe östlich,
     Zukrigl et al. 1963), Bergweiden (z.B. Grubwies-     Die pollenanalytischen Untersuchungspunkte (Abb.         südlich und nördlich des Großen und Kleinen Ur-
     alm) und die Vegetation in den Gewässern.            5, Tab. 1) liegen östlich des Dürrenstein-Massivs in     waldes (Rothwald).
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                                                                                    (Lang 1994) gewon-        folgende Pollensummen zur Prozentberechnung
                                                                                    nen (Abb. 6). Die Bohr-   herangezogen: 1. Gehölze (BP excl. Corylus) = 100
                                                                                    punkte sind aufgrund      %, mit eingeschaltetem Teildiagramm der Klimax-
                                                                                    von vorher durchge-       baumarten Picea/Abies/Fagus = 100 %, 2. Krautige
                                                                                    führten Sondierungen      incl. Zwergsträucher (Cerealia bis Farnpflanzen)
                                                                                    nach möglichst hoher      in der Gesamtsumme (incl. Gehölze, excl. Moose
                                                                                    Torfmächtigkeit und       etc.) = 100 %. In den Diagrammen Grubwies Moor
                                                                                    -qualität ausgewählt      und Doline sind Farnpflanzen (Polypodiaceae p.p.)
                                                                                    worden.                   wegen sehr hoher Werte nicht in der Gesamtsum-
                                                                                    Die     Pollenanalysen    me enthalten, sondern auf sie bezogen. Schatten-
                                                                                    wurden 1999-2001          risskurven grau über schwarz zeigen die 10-fache
                                                                                    und 2006-2008 am          Überhöhung der Prozentwerte. Zur Abschätzung
                                                                                    Institut für Ökologie     der relativen Pollendichte/Sedimentvolumen sind
                                                                                    der TU Berlin, Fach-      den Proben bei der Aufbereitung im Labor Lycopo-
                                                                                    gebiet     Ökosystem-     dium-Sporen als Marker der Pollenkonzentration
                                                                                    kunde/Pf lanzenöko-       beigegeben. Hohe Lycopodium-Werte verweisen
                                                                                    logie, Arbeitsgruppe      demnach auf eine geringe Pollendichte infolge
                                                                                    Historische     Ökolo-    Waldoffenheit bzw. hoher Torfzuwachsraten. Die
Abb. 6: Torfbohrung im Moor der Grubwiesalm am 21.8.1999.                           gie/Pollenanalytisches    Diagrammgliederung wurde mithilfe lokaler Pol-
                                                           (Foto: K. Splechtna)     Labor (Leitung A.         lenzonen (LPZ) vorgenommen. Die an den vier
                                                                                    Brande)       durchge-    Bohrprofilen untersuchten chemischen Parameter
3.1 Methodik                                            führt. Die graphische Darstellung der Pollendia-      sowie deren Auswertung und Verknüpfung mit
Die Bohrkerne der Torfe wurden am 20.8. (Rot-           gramme erfolgte mit dem Programm TGView,              den pollenanalytisch-vegetationsgeschichtlichen
mösel, Bärwies) und 21.8.1999 (Grubwies Moor            Version 2.0.2 (Grimm 2004). Die Nomenklatur           Befunden sind bei Ripl et al. (2004, Kap. 6, S. 41-
und Doline) von A. Brande und W. Ripl jr. mit           der Pollentypen folgt Faegri & Iversen (1993) und     44) kurz dargestellt.
dem Eij-kelkamp-Kammerbohrer (System Jowsey)            Beug (2004). Die pollenmorphologische Bezeich-
und die Basisschichten mit der Dachnowski-Sonde         nung Cerealia steht für Getreide-Pollentypen au-      3.2 Datierungen
                                                                                    ßer Secale (Roggen)       Zu den Pollendiagrammen liegen 14C-Daten aus
                                                                                    und Zea (Mais), p.p.      dem Leibniz-Labor für Altersbestimmung und Iso-
Tab. 1: Kenndaten zu den pollenanalytischen Untersuchungspunkten
                                                                                    für pro parte (zum        topenforschung der Christian-Albrecht-Universität
                                      Moorfläche Höhenlage Tiefe erbohrt            Teil) und indet. für      Kiel (Dr. Helmut Erlenkeuser) aus den Jahren 2001-
 Untersuchungspunkt Abkürzung                                                       indeterminata (unbe-      2004 vor (Tab. 2). Für das Rotmösel-Diagramm
                                          (ha)     (m ü. NN)         (cm)
                                                                                    stimmbar aufgrund         wurde von der Torfbasis beginnend eine Datierung
 Rotmösel                   RM            0,9         1140            320
                                                                                    mangelnder Pollener-      der Übergänge der lokalen Pollenzonen angestrebt
 Großer Bärwies-                                                                    haltung). Dabei sind      (vgl. Tab. 1 bei Brande et al. 2002), für die übri-
                            BW            4,4         1110             95
 boden                                                                              in Anlehnung und zur      gen Diagramme der Beginn der Torfbildung und,
 Grubwiesalm Moor           GM           0,25         1380            100           Vergleichbarkeit mit      soweit bei datierungsfähiger Torfqualität möglich,
                                                                                    den Ergebnissen von       der Übergang zu den Pollenzonen der nutzungsin-
 Grubwiesalm Doline         GD           0,12         1370             75           Kral & Mayer (1968)       tensiven Phasen.
12   Silva Fera, Bd. 6/Mai 2017

     Tab. 2: Radiocarbon-Daten zu den Pollendiagrammen. Pollenstratigraphische Kriterien (Brande): + Anstieg oder Zunahme; – Rückgang; ohne Zeichen: kontinuierliche
     Präsenz; kNB: krautige Nutzpflanzen und Begleiter (Cerealia bis Cannabis). 14C-Jahre BP +/- 1 σ: gemessene Radiocarbonjahre vor 1950 n. Chr. mit 1 σ-Standardabweichung.
     Die gemessenen δ 13C-Werte schließen einen Hartwassereffekt (Alterung) durch fossiles, gesteinsbürtiges Karbonat aus. cal BC/AD: Kalenderjahre, kalibriert nach Stuiver et
     al. (1998) mit 1,65 σ, d.h. 90 % Wahrscheinlichkeit. Jahr n./v. Chr.: Mittelwert aus Spalte 6.

              Tiefe                                                    Labor Kiel           14
                                                                                                 C-Jahre BP          δ 13C             cal BC/AD
                               Pollenstratigraphische Kriterien                                                                                            Jahr n./v. Chr.
              (cm)                                                     Proben-Nr.                 +/- 1 σ             ‰                1,65 σ, 90 %
       Rotmösel
             16 - 19           Abies – Fagus – Larix + kNB +           KI-4886,01            120 +/- 65              -27,67          1655 - 1955 AD            1805 n.
             38 - 44                   Picea + Abies –                KI-4886,02            1310 +/- 35              -27,07            655 – 775 AD             715 n.
             58 - 64                  Betula + Pinus +                KI-4886,03            1960 +/- 70             -26,56          95 BC - 135 AD                20 n.
             91 - 95                  Abies Fagus Picea               KI-4886,04            2620 +/- 65             -26,03             895 – 595 BC              745 v.
           121 - 129              Betula + Pinus + Fagus –            KI-4886,05            3050 +/- 70             -25,90           1435 - 1125 BC            1280 v.
           162 - 169                      Cerealia +                  KI-4886,06            3230 +/- 70             -25,69           1685 - 1405 BC             1545 v.
           192 - 198                  Fagus Picea Abies               KI-4886,07            3450 +/- 70              -25,51          1895 - 1615 BC             1755 v.
           233 - 239            Fagus +Plantago lanceolata +          KI-4886,08            3690 +/ 65              -26,26           2275 - 1915 BC            2095 v.
           273 - 279            Fagus + Abies Sphagnum-Torf           KI-4886,09            3910 +/- 35             -26,31           2475 - 2285 BC            2380 v.
           305 - 309                   Fagus + Picea –                 KI-4886,10           4970 +/- 45              -28,10          3915 - 3655 BC             3785 v.
            310 - 314                 Fagus + Ulmus –                  KI-4886,11           5220 +/- 80              -27,97          4225 - 3815 BC             4010 v.
       Bärwies
             47 - 57                  Picea Abies Fagus                KI-5157,01           1470 +/- 25             -28,43             535 – 645 AD             590 n.
             72 - 82                  Fagus Picea Abies                KI-5157,02           1790 +/- 30             -28,26             125 – 345 AD             235 n.
       Grubwies Moor
             50 - 55                  Fagus Picea Abies                KI-5159,01            520 +/- 30             -26,57           1325 - 1445 AD            1385 n.
             80 - 85                  Fagus Picea Abies                KI-5159,02           1090 +/- 25              -27,76           895 - 1025 AD             960 n.
       Grubwies Doline
             21 - 25                   Picea + Abies –                 KI-5158,01                60 +/- 55           -27,14          1675 - 1945 AD            1800 n.
             52 - 59                  Fagus Picea Abies                KI-5158,02            620 +/- 35             -26,97          1285 - 1405 AD             1345 n.
Silva Fera, Bd. 6/Mai 2017          13

3.3 Vegetationsentwicklung                             bei Kral & Mayer (1968) weitgehend identisch. Die      stufen finden sich bei Brande et al. (2002) sowie zu
3.3.1 Rotmösel                                         Autoren haben nur die oberen 1,6 m erbohrt und         deren heutiger Verbreitung im Dürrensteingebiet
Grundlage zur Rekonstruktion der Vegetationsge-        untersucht (vgl. Brande et al. 2002).                  im Kap. 2 sowie bei Splechtna & König (2001), zu
schichte im Dürrenstein- und Rothwaldgebiet ist                                                               Taxus außerdem bei Brande (2004b).
das Pollendiagramm aus dem Rotmösel bei Neu-           In der Zeit zwischen 2000 BC und 700 AD besteht
haus (Abb. 7 und Anhang I).                            als Klimaxvegetation ein voll entwickelter Fichten-    Erste Nachweise von Siedlungs- und Nutzungstä-
                                                       Tannen-Buchenwald. Es ist die längste Zeitdauer,       tigkeit durch Polleneinwehung aus den Tieflagen
In den 3,2 m mächtigen Torfen des kleinen Hoch-        in der dieser regionaltypische Wald im Untersu-        sind durch Spitzwegerich (Plantago lanceolata) um
moores in Plateaulage („Auf den Mösern“, sauer-        chungsgebiet als „primärer Urwald“ (Kral & May-        2275 - 1915 BC am Übergang von LPZ 2 zu 3
oligotrophes Regenmoor nach Steiner 1992: 457)         er 1968) existiert hat. Sein Beginn liegt vor mehr     bezeugt (Wende Jungsteinzeit/Bronzezeit), deut-
setzt in einer flachen Karstmulde auf Dachsteinkalk    als vier Jahrtausenden am Übergang der LPZ 2 zu        lich später als der tatsächliche Beginn von Ackerbau
die Wald- und Moorentwicklung vor mehr als 6000        3 um 2275 - 1915 BC. Die stabilste Phase erleb-        und Viehhaltung im Alpenvorland. Auch Getrei-
Jahren ein. Sie erfasst an der Torfbasis die Einwan-   te er zwischen 2000 und 1600 BC. Anschließend          denachweise (Cerealia) gibt es erst am Übergang 3
derung und Ausbreitung der Buche, während Fich-        wechseln Anteile von Fichte, Tanne und Buche mit       zu 4a um 1685 - 1405 BC (Mittlere Bronzezeit).
te und Tanne bereits im Gebiet vorhanden sind.         einem Fagus- und Abies-Maximum um 1500 bzw.            Seit etwa 1300 BC und im Verlauf des LPZ 4a-c
Durch elf 14C-Daten sind sieben Entwicklungs-          1000 BC. Sie sind Ausdruck der Urwalddynamik           erfasst ein wechselnder menschlicher Einfluss (Be-
phasen der Vegetation, z. T. weiter untergliedert,     und der Sukzessionsvorgänge im Bestandsaufbau          tula, Pinus, krautige Kulturpflanzen und -beglei-
bis zum Jahr 1998/99 chronologisch belegt. Der         (im Rothwald: Mayer et al. 1979, Schrempf 1986)        ter) die weitere Umgebung des Moores (Bronze-,
Bohrpunkt im Zentrum des Moores ist mit dem            durch externe und interne Faktoren, u.a. vermutlich    Hallstatt-, Römerzeit). Das entspricht im Wesentli-
                                                                                    in Verbindung mit den     chen der Besieldungs- und Nutzungsgeschichte im
                                                                                    Klimaschwankungen         mittleren und östlichen Alpenraum (Oeggl 2012).
                                                                                    des späten Subbore-       Splechtna (2001) weist vor allem auf die keltische
                                                                                    als und des Älteren       und die hochmittelalterliche Besiedlung und Wald-
                                                                                    Subatlantikums (Löb-      nutzung (überwiegend Rodungen und Umwand-
                                                                                    ben- und Göschenen        lung in Almweide) bis in die höheren Berglagen
                                                                                    I-Kaltphase; Kral 1979)   hin, die in der LPZ 4b (oberer Teil) und 5 (unterer
                                                                                    sowie der unterschied-    Teil) anzusetzen ist. Im Pollendiagramm macht sich
                                                                                    lichen     Blühphasen     ein Nutzungseinfluss besonders am Übergang 4b
                                                                                    (Pollenproduktion)        zu 5 im frühen Mittelalter um 665 - 775 AD mit
                                                                                    bei gleichzeitig ho-      einem ersten rodungsbedingten Tannenrückgang
                                                                                    her zeitlicher Auflö-     zugunsten der Fichte stärker bemerkbar, wenige
                                                                                    sung der Pollenpro-       Jahrhunderte zuvor auch schon mit den Pionierge-
                                                                                    ben aufgrund hoher        hölzen Lärche und Grünerle (Larix, Alnus viridis).
                                                                                    Torf bildungsraten.       Erst nach 1655 AD erreicht dann das Rodungsge-
                                                                                    Weitere Hinweise zur      schehen in der LPZ 6 mit dem massiven Rückgang
                                                                                    Bestandsdynamik der       der Tanne, etwas schwächer auch der Buche – pro-
                                                                                    übrigen Gehölze (Be-      zentual zugunsten von Kiefer und Birke – die un-
                                                                                    tula bis Taxus) in den    mittelbare Umgebung des Moores. Ursache ist vor
Abb. 7: Das Rotmösel mit Lagepunkt der Torfbohrung.        (Foto: K. Splechtna)     verschiedenen Höhen-      allem der Holzeinschlag seit Mitte bis Ende des 18.
14   Silva Fera, Bd. 6/Mai 2017

     Jahrhunderts (vor allem Holzkohleproduktion zur        3.3.2 Bärwies                                          In dem Pollendiagramm (Anhang II) lassen sich
     Eisenverhüttung), gefolgt von Fichtenaufforstungen     Der Große Bärwiesboden ist ein Dolinenkessel,          zwei Phasen unterscheiden. In der LPZ A herrscht
     in der LPZ 7 bis an den Moorrand. Weiderodung          dessen Anlage nach Fink (1973) vermutlich eiszeit-     der regionaltypische Fichten-Tannen-Buchenwald
     am nördlich anschließenden Zwieselberg, die nach       lich vorgeprägt wurde. Ein Blockmoränenfeld am         mit Fagus-Dominanz. Die örtliche Vegetation am
     Splechna (2004) nur wenig älter sein mag, kommt        Südrand deutet auf die Entstehung als Kar. Der         Untersuchungspunkt besteht aus Nasswiesen mit
     hinzu. Weit- und Fernflugpollen unter den Gehölzen     Bohrpunkt liegt 60 m SSW der ehemaligen Alm-           Mädesüß, Ampfer, Süß- und Sauergräsern (Fili-
     und Kräutern treten vermehrt in Erscheinung (vgl.      hütte in einem Carex rostrata-Bestand (Abb. 8).        pendula, Rumex, Poaceae, Cyperaceae), in der an-
     entsprechende Angaben bei Bärwies und Grubwies).       Nach eigenen Vorsondierungen und dem aktuellen,        fänglichen Vernässungsphase auch mit Wasserpflan-
     Örtlich ist im Moorumkreis vorübergehend der pro-      kleinräumig stark wechselnden Vegetationsmosaik        zen (Potamogeton, Pediastrum) sowie Farnen und
     zentuale Pollenniederschlag von Spitzwegerich, Bren-   dürfte sich hier die größte Torfmächtigkeit der Sen-   Schachtelhalm (Polypodiaceae, Equisetum).
     nessel (Urtica) und anderen Kräutern häufiger. Damit   ke befinden. Seit dem Älteren Subatlantikum hat
     ist am Rotmösel die LPZ 6, d.h. das 19. Jahrhundert,   sich um 125 - 345 AD (Tab. 2) auf zeitweilig über-     Der abrupte Vegetationswandel an der Grenze
     die Periode der stärksten menschlichen Eingriffe.      flutetem Lehm ein 0,8 m mächtiger Braunmoos-           A/B fand im Jüngeren Subatlantikum deutlich
     Die Moorentwicklung mit der Torfbildung als Trä-       und Radizellentorf gebildet.                           nach 535 - 645 AD statt. Da die Grenze A/B mit
     ger der vegetationsgeschichtlichen Überlieferung
     durchläuft in LPZ 1 und 2 nach Vernässung und
     Versumpfung als Nieder- und Übergangsmoor
     verschiedene Hochmoorbildungsphasen mit Torf-
     moos-Dominanz (Sphagnum) unter Beteiligung
     von Wollgras und Moosbeere (Eriophorum vagina-
     tum, Vaccinium oxycoccus). Sie spiegelt sich auch im
     mooreigenen Pollenniederschlag wider (z.B. Poten-
     tilla-Typ, Vaccinium-Typ, Cyperaceae, Poaceae p.p.,
     Equisetum- und Sphagnum-Sporen, Amphitrema-
     Amöbenschalen). Die maximale Torfbildungsrate
     liegt bei 1,2 mm/Jahr in LPZ 3 und 4a, die mi-
     nimale bei 0,4 mm/Jahr in LPZ 4c (schwach bzw.
     stark zersetzter Sphagnum-Torf). Letztere beruht
     möglicherweise auf höheren Temperaturen und/
     oder geringeren Niederschlägen zwischen den kli-
     matischen Kaltphasen Göschenen I und II (Kral
     1979). In LPZ 6 und 7 treten schließlich Sauer- und
     Süßgräser am und auf dem Moor stark hervor. Sie
     sind mit Trichophorum cespitosum, Carex rostrata,
     C. limosa sowie Molinia coerulea auch heute präsent,
     dazu Pinus silvestris/mugo mit dem Pollenmaximum
     in der jüngsten Probe. Einen näheren Vergleich mit
     den nachgewiesenen Pollentypen bietet die Vegeta-
     tionskartierung von Kusel-Fetzmann (1981).             Abb. 8: Der Große Bärwiesboden vom Sperriedel mit Lagepunkt der Torfbohrung.         (Foto: K. Splechtna)
Silva Fera, Bd. 6/Mai 2017        15

einem Wechsel der Torfbildung zusammenfällt,           stellenweise lehmigen
ist nicht auszuschließen, dass hier eine zeitliche     Einschwemmungen
Schichtlücke (Hiatus) vorliegt, bedingt durch die      dokumentiert. Somit
instabilen hydrologischen Bedingungen in der Sen-      ist diese Dynamik ei-
ke (Quellschüttungen; vgl. Haseke 2016). Sowohl        nerseits durch Ände-
ein vorübergehender Stillstand der Torfbildung         rungen der Vernässun-
(Austrocknung) als auch eine Abschwemmung              gen und Bachläufe mit
(Erosion) der jüngsten bis zu dieser Zeit gebildeten   der     Quellschüttung
Torfe könnte die Ursache sein. Die LPZ B beginnt       am Rand der Niede-
mit einem massiven Rückgang der Tanne und ra-          rung, andererseits aber
scher Ausbreitung der Kiefer (Wald- und vor allem      auch durch wechseln-
Bergkiefer, Pinus sylvestris, P. mugo). Erst später    de Beweidung und
nimmt der Pollenniederschlag der Fichte aus den        Wildäsung bedingt.
forstlichen Beständen zu. Nach historischen Quel-      So zeigt eine Zunah-
len (Splechtna 2004) setzte hier schon im 12./13.      me von Spitzwegerich
Jahrhundert, also deutlich früher als am 7,5 km        (Plantago lanceolata)
entfernten Rotmösel, unter dem Einfluss des Stiftes    in der oberen Hälfte
Admont und später der Kartause Gaming die ört-         der LPZ B ein vorü-
liche Waldrodung für Holznutzung und Almweide          bergehendes Nachlas-
ein („Blumbsuch“, Splechtna 2001), vor allem seit      sen der Weideinten-          Abb. 9: Das Moor auf der Grubwiesalm mit Lagepunkt der Torfbohrung, vgl.
Mitte des 16. Jahrhunderts.                            sität, wodurch die           Abb. 6.                                                  (Foto: K. Splechtna)
                                                       sonst stark verbissenen
Erst in der LPZ B tritt die Entwicklung der Almwei-    Pflanzen vermehrt zur Blüte und Pollenverbreitung      3.3.3 Grubwies, Moor und Doline
den mit Wacholder, Adlerfarn, Eisenhut (Juniperus,     kommen.                                                Das Moor auf der Grubwiesalm, aktuell überwie-
Pteridium, Aconitum) und anderen Pollennachwei-                                                               gend ein Carex rostrata-Bestand mit randlichem
sen deutlich hervor. Blühende Eisenhutwiesen prä-      Unter den Pioniergehölzen ist in LPZ B eine Aus-       Quellaustritt, weist über 20 cm Lehm und lehmig
gen auch heute gelegentlich weite Teile der Senke.     dehnung von Lärche und Grünerle nachweisbar.           durchsetztem Radizellentorf eine 80 cm mächtige
Die staudenreiche Moorvegetation ist mit Trollblu-     Darüber hinaus nimmt in der nun nicht mehr von         Wechselfolge verschiedener Riedtorfe mit Beteili-
me, Fingerkraut, Ampfer, Baldrian (Trollius-, Poten-   dichtem Wald der LPZ A umgebenen Senke der             gung von Braun- und Torfmoosen auf. Der Bohr-
tilla-, Eurumex-Typ, Valeriana) und weiteren Arten     prozentuale Anteil von Weit- und Fernflugpollen        punkt liegt 6 m von einem Schluckloch entfernt
mit örtlich und zeitlich unterschiedlichen Anteilen    zu, sowohl unter den Kulturgehölzen wie Wein,          (Abb. 9).
nachgewiesen. Auch die trockenen Randpartien           Walnuss, Esskastanie, Platane (Vitis, Juglans, Cas-
sind z.B. mit Spitzwegerich, Sonnenröschen und         tanea, Platanus) und mediterranen Bäumen Stein-        Die Moorentwicklung (Anhang III) über dem was-
Natternkopf (Plantago, Helianthemum, Echium)           eiche, Blumenesche, Steinlinde (Quercus ilex-Typ,      serstauenden Lehm ist hier als Versumpfung mit
vertreten. Insgesamt unterliegt die krautige Vege-     Fraxinus ornus, Phillyrea), als auch unter den Ge-     Ampfer (Rumex acetosa-Pollentyp mit zwei Grö-
tation in und an der Senke einer starken Dynamik,      treiden und krautigen Nutzpflanzen (Cerealia p.p.,     ßenklassen in GM und Eurumex-Typ in GD, ent-
die sich besonders in den Sauer- und Süßgräsern so-    Secale, Cannabis) und ihren Begleitern wie Korn-       sprechend dem Rumex acetosa- und R. scutatus-Typ
wie Farnen (Cyperaceae, Poaceae, Polypodiaceae),       blume, Knäuel, Winde (Centaurea cyanus, Scleran-       nach Drescher-Schneider 2007, hier wahrschein-
aber auch in unterschiedlicher Torfzersetzung und      thus annuus, Convolvulus arvensis).                    lich Rumex alpinus und/oder R. arifolius) und
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     anhaltender Wassersättigung (Grünalge Botryococ-
     cus) fassbar. Der Beginn der Moorbildung in der
     Fichten-Tannen-Buchenzeit des Älteren Subatlati-
     kums um 895 - 1025 AD ist deutlich jünger als im
     Bärwiesboden. Außerdem läuft auf der Grubwies
     seit 1325 - 1445 AD dem Tannenrückgang an der
     Grenze LPZ a/b ein Rückgang der Buche mit Zu-
     nahme der Fichte (und Kiefer) voraus, und schon
     um 1200 AD (interpoliert) treten mit dem Wachol-
     der erste Anzeichen einer Beweidung auf. Nach his-
     torischen Quellen sind örtliche Almweiderodungen
     auf der Grubwies allerdings erst seit dem 15. Jahr-
     hundert anzunehmen (Splechtna 2004).

     In der LPZ b ist die Vegetationsentwicklung der
     Neuzeit vor allem in der umgebenden bis heute
     bestehenden Fichtendominanz der lichten Alm-
     weidelandschaft und einem vermehrten Auftreten
     der Lärche deutlich. Die Pollennachweise aus den
     tieferen Lagen und weiter entfernten Gebieten (Ju-
     glans, Castanea, Cerealia, Secale, Cannabis) reichen
     erwartungsgemäß und im Gegensatz zu der älteren
     LPZ A der Bärwies in die LPZ a zurück. Dagegen
     sind Südalpen- bis mediterrane Elemente (Ostrya-
     Typ, Fraxinus ornus, Olea) hier erst in LPZ b be-
     legt.                                                  Abb. 10: Die Doline auf der Grubwiesalm mit Lagepunkt der Torfbohrung.                   (Foto: A. Brande)

     Das 250 m entfernte, nahezu kreisrunde Kleinst-        offensichtlich weitgehend synchron. Besonders in        4. Diskussion
     moor der Grubwiesalm-Doline (Abb. 10) ist ein          LPZ b fällt ein kurzzeitiges Maximum der Süßgrä-
     Polytrichum commune-Bestand auf 20 cm gleich-          ser (Poaceae, hier vermutlich die in der Almweide       4.1 Der Beginn der Moorbildung
     artigem Torf. Darunter lagern 40 cm Ried- und          typische Deschampsia cespitosa, s. Kap. 2 und 4.4)      Eine Übersicht zum Beginn der Torfbildung gibt
     Braunmoostorfe auf lehmigem Untergrund.                auf, verbunden mit Pollennachweisen u.a. bei den        Tab. 3. Der Torf liegt im Rotmösel auf Dachstein-
                                                            Cichorioideae (vermutlich Leontodon hispidus). Es       kalk, in den übrigen drei Untersuchungspunkten
     Das Einsetzen der Torfbildung am Bohrpunkt im          könnte durch eine kurzzeitige Unterbrechung der         auf Lehm. Die Torfbildung setzt im Rotmösel im
     Zentrum des Moores (Anhang IV) ist mit 1285 -          Almweiderodung in gegenwartsnaher Zeit zurück-          zeitlichen Übergang vom Atlantikum zum Sub-
     1405 AD etwa 400 Jahre jünger als im Moor der          zuführen sein, die sich möglicherweise auch in his-     boreal, d.h. der Mittleren zur Späten Wärmezeit,
     Grubwies. Die Vegetationsentwicklung der Gehöl-        torischen Quellen fassen lässt. Sie fällt in die Zeit   ein. Daher ist eine klimatische Ursache der begin-
     ze und der örtlichen Moorbestände in den LPZ a         nach dem Beginn der Polytrichum-Torfbildung, der        nenden Torfbildung (höhere Niederschläge, etwas
     und b ist in beiden Mooren jedoch sehr ähnlich und     jünger als 1675 AD ist.                                 geringere Jahresmitteltemperaturen) nahe liegend.
Silva Fera, Bd. 6/Mai 2017           17

Die durch Karstphänomene wie z.B. Schlucklöcher        Der Bärwies-Talboden ist nach Fink (1973: 35)         tien, die heute 40 % der Talbodenfläche einnehmen
geprägte Topographie am Rotmösel (Kusel-Fetz-          „aus einer glazialen Wanne zu einer Karstmulde        (Splechtna & König 2001), wird aber erst mit dem
mann 1981) schließt die Möglichkeit ein, dass es am    umgestaltet worden“ und stellt demnach im glazi-      mittelalterlichen Tannenrückgang und der Alm-
Untersuchungspunkt im Verlauf der Torfbildung          alen Erosionsrelief eine als Kar ausgeformte Karst-   weidegewinnung durch das Stift Admont und der
von älteren Moorzentren ausgehend bereits zu ei-       hohlform dar. Es ist daher anzunehmen, dass ältere    Kartause Gaming stattgefunden haben. Seit dieser
ner ersten Transgression der Torfbildung kam. Ent-     Bodensedimente und glazialer Schutt den pollen-       Zeit dürfte der gesamte Talboden weitgehend wald-
sprechendes ist auch in anderen Gebieten mit soli-     analytisch erfassten eingeschwemmten Basislehm        frei geblieben sein (vgl. Abb. 11). Ob die trocke-
topogener Hochmoorentstehung typisch (vgl. die         unterlagern. Die heute bestehenden fünf bis sechs     neren Partien des Bärwiesbodens heute auch nach
detaillierten Untersuchungen im Harz von Beug          Karstquellen am Ost- und Nordrand der Senke so-       Jahrhunderte langer Beweidung bzw. Wildäsung
et al. 1999). Ältere Abschnitte der Vegetationsge-     wie drei Bäche mit Tümpeln/Lacken/Teichen (Ha-        waldfrei bleiben würden, ist trotz der klimatischen
schichte als im Rotmösel wurden 2,5 km nördlich        seke 2016) haben vor allem im südlichen Teil der      Inversionslage und Schneebedeckung nicht sicher.
des Dürrenstein-Hauptgipfels (OS in Abb. 5) auf        Senke zu dauernder Vernässung und somit Torfbil-
der Fichten-Moorinsel im Obersee (14 ha, 1113 m        dung geführt. Dabei wurde die wasserstauende, am      Die Grubwiesalm ist dem Namen nach ein von
ü. NN) in einer 4,7 m tiefen Bohrung erfasst (Kri-     Bohrpunkt mehr als 15 cm mächtige Lehmdecke           größeren und kleinen Senken geprägtes Bergwei-
sai 1993). Dort sind über Seeablagerungen 1,8 m        zwischen Felsuntergrund und Torf in einer offenbar    degebiet. Fink (1973) kartierte eine Vielzahl von
Torfe aufgewachsen. Die vegetationsgeschichtliche      voll bewaldeten Umgebung noch ohne menschliche        Karstmulden, -wannen und -dolinen auf Lias- über
Überlieferung reicht in den älteren Teil der Mittle-   Einwirkungen eingeschwemmt. Die Ursache dürfte        Dachsteinkalk. Das Grubwies-Moor im Nordteil
ren Wärmezeit (Atlantikum) und damit in die Zeit       ein starker oder eine Folge von episodischen Nie-     der Alm weist ebenso wie der Bärwiesboden unter
der beginnenden Buchen-Einwanderung vor ca.            derschlagsereignissen in der Naturlandschaft der      dem Torf eine pollenführende Lehmabdichtung
7000 Jahren. Im 7 km westlich des Dürrenstein-         Nachwärmezeit, dem Älteren Subatlantikum, sein,       auf, die gleichfalls der Nachwärmezeit, dem Älte-
Massivs gelegenen Leckermoos (25 ha, 860 m ü.          durch das die nachfolgende Moorbildung ausgelöst      ren Subatlantikum, angehört. Dasselbe gilt für das
NN) sind in einer 8 m tiefen Bohrung 4,5 m mäch-       wurde. Ein farnreicher Talboden (Polypodiaceae        Kleinstmoor der Grubwies-Doline. Hier scheint der
tige Hochmoor- und gegenwartsnahe Bruchwald-           p.p., wahrscheinlich Dryopteris und Athyrium) bil-    Beginn der Torfbildung einige Jahrhunderte jünger
torfe aus einer Seeverlandung hervorgegangen, die      dete die Ausgangsvegetation vor der Vernässung.       zu sein (Tab. 3), liegt aber ebenfalls noch in der
an den Beginn der Nacheiszeit oder in die Späteis-                                                           Zeit vor Einsetzen der örtlichen Landnutzung. Sie
zeit vor 12000 Jahren zurückreicht (Kral 1979).           Die Entwaldung des Bärwies-Talbodens hat sich      kann daher nicht auf rodungsbedingte Lehmein-
                                                                                  phasenhaft vollzogen.      schwemmung und Abdichtung der Hohlformen
Tab. 3: Beginn der Torfbildung in den untersuchten Bohrungen                      Die Einschwemmung          zurückgeführt werden. Ob auf der Grubwies die
                                                                                  des wasserstauenden        Lehmeinschwemmung direkt der Entstehung der
  Bohrung/Pollendiagramm          Torfbasis (cm u. O.)            Alter 1         Lehms und die örtli-       Karsthohlformen folgte, ist fraglich. Dazu wären
  Grubwies Doline (GD)                    64                    > 1300 AD         chen Überflutungen         Nachweise von historischen Überlieferungen derar-
                                                                                  mit      nachfolgender     tiger Einsturzvorgänge erforderlich. Im Grubwies-
  Grubwies-Moor (GM)                       96                   > 900 AD          Torfbildung      haben     Moor spricht der bis in die Gegenwart ungestörte
                                                                                  zum Verlust einiger        Torf in unmittelbarer Nähe des Schluckloches da-
  Bärwiesboden (BW)                        62                   > 200 AD          Waldstandorte       ge-    für, dass letzteres erst in jüngster Zeit durch Karst-
  Rotmösel (RM)                           320                   > 4000 BC         führt. Eine großflächi-    prozesse entstanden ist. In der Grubwies-Doline
                                                                                  ge Freilegung auch der     wurde an der Basis des eingeschwemmten Lehms
1
  Jahre BC (v. Chr.) und AD (n. Chr.) nach Tab. 1, Spalte 7, gerundet;            trockeneren, nördlich      das rote Bodenrelikt der ehemaligen Oberfläche
> älter als das genannte Datum                                                    gelegenen Senkenpar-       über dem Felsuntergrund angetroffen. In beiden
18   Silva Fera, Bd. 6/Mai 2017

                                                                                                                 tigen Torfe (Schmidt 1990, Kral 1994b, Drescher-
                                                                                                                 Schneider 2007).

                                                                                                                 In den 78 und 34 cm mächtigen pollenanalytisch
                                                                                                                 untersuchten Rohhumusprofilen Rothwald I und II
                                                                                                                 im „Großen Urwald“ liegt der Ablagerungsbeginn
                                                                                                                 nach Kral & Mayer (1968) ca. bei 1000 AD und
                                                                                                                 1000 BC. Als Ursache für die Entstehung dieser
                                                                                                                 dem Felsgestein direkt aufliegenden Ablagerungen
                                                                                                                 nennen die Autoren einen Bergsturz im Atlanti-
                                                                                                                 kum, der Mittleren Wärmezeit.

                                                                                                                 4.2 Die ursprüngliche Waldzusammensetzung
                                                                                                                 Eine Vorstellung der ursprünglichen Waldzusam-
                                                                                                                 mensetzung der Klimaxbaumarten Buche, Tanne
                                                                                                                 und Fichte vor den starken menschlichen Eingrif-
                                                                                                                 fen geben bei Berücksichtigung der artspezifischen
                                                                                                                 Pollenproduktion die mittleren Prozentwerte des
                                                                                                                 Pollenniederschlags aus LPZ A1, a1 und 5 in Tab.
                                                                                                                 4 entsprechend dem waldgeschichtlichen Abschnitt
                                                                                                                 IXb bei Kral & Mayer (1968). Auch die Teildiagram-
                                                                                                                 me Picea/Abies/Fagus = 100 % bieten einen Vergleich.
     Abb. 11: Der Große Bärwiesboden und Buchenwaldverjüngung am Sperriedel im Herbstaspekt.                     Der Zeitraum für die ursprüngliche Waldzusammen-
                                                                   (Foto: K. Splechtna), aus Splechtna (2001).   setzung liegt nach den 14C-Daten in BW im 1. Jahr-
                                                                                                                 tausend n. Chr., in GM im Bereich der Wende zum 2.
     Mooren sind die unteren Torfe lehmig und dem-          des Subatlantikums, in Betracht. Dabei bleibt die    Jahrtausend und reicht in GD bis in das 14. Jahrhun-
     nach noch unter dem abklingenden Einfluss von          auf die gesamte Nacheiszeit gesehen sehr junge und   dert. RM nimmt den zeitlichen Übergang zwischen
     Abschwemmungen oder Nachsackungen in der Na-           geringmächtige, aber kontinuierliche Torfbildung     BW und GD ein (vgl. Tab. 5: Beginn des Buchen-
     turlandschaft gebildet worden.                         bemerkenswert. Wie in der Bärwies existierte im      und Tannenrückgangs). Zusammen genommen ist
                                                            Übergang von der Vernässung zur Torfbildung ein      damit eine Zeitspanne zwischen 200 und 1350 AD
     Den Zeitpunkt der Abdichtung von Karsthohl-            örtlicher farnreicher Bestand. Ein solcher ist mit   für diese letzte Phase der ursprünglichen, nahezu
     formen während, bald oder lange nach ihrer Ent-        Dryopteris und Athyrium auch heute in Senken am      unbeeinflussten Waldentwicklung im Umkreis der
     stehung diskutiert Smettan (2000a) anhand der          Rand der Bärwies und im Zentrum mancher klei-        Untersuchungspunkte erfasst. Nur in den Rothwald-
     Pollenführung. Demzufolge weisen die Befunde           nen Dolinen der Grubwiesalm anzutreffen.             Diagrammen RW I + II KM reicht diese Phase bis in
     der Grubwies und Bärwies darauf hin, dass die pol-                                                          das 20. Jahrhundert hinein. Die älteren Phasen der
     lenführenden wasserstauenden Lehme erst deutlich       Demgegenüber führte in drei pollenanalytisch un-     natürlichen Waldentwicklung seit 4000 BC mit der
     nach der Ausbildung der Senken abgelagert worden       tersuchten Karstsenken des Dachstein-Plateaus erst   endgültigen Ausbildung des voll entwickelten Fich-
     sind. Hier kommen wie in der Bärwies starke Nie-       die hochmittelalterliche rodungs- und almweidebe-    ten-Tannen-Buchenwaldes um 2000 BC sind in RM
     derschlagsereignisse der Älteren Nachwärmezeit,        dingte Lehmabschwemmung zur Bildung der dor-         belegt und bei Brande et al. (2002) diskutiert.
Silva Fera, Bd. 6/Mai 2017          19

Tab. 4: Pollenniederschlag der Klimaxbaumarten vor Beginn des anthropogenen Buchenrückgangs. KM – Kral & Mayer (1968, Tab. 3 und 4). GM – Grubwies Moor, GD
– Grubwies Doline, BW – Bärwiesboden, RM – Rotmösel, RM KM – Rotmösel bei Kral & Mayer (1968; Korrelation von RM und RM KM bei Brande & al. 2002, fig. 3),
RW I + II KM: Rothwald I und II bei Kral & Mayer (1968).

                         Höhenlage                                                      Probentiefe
  Pollendiagramm                              Pollenzone            Probenzahl                                  Picea                Abies                Fagus
                         (m ü. NN)                                                      (cm u. O.)
        GM                  1380                  a1                     9                 56-99                 29                   18                   53
        GD                  1370                  a1                     5                 36-65                 38                   15                   47
        BW                  1110                  A1                     3                 72-92                 26                   26                   48
        RM                  1140                      5                  5                 22-40                 47                   22                    31
      RM KM                 1150                  IXb                    5                 36-52                 58                   18                   24
     RW I KM                1200                  IXb                    6                 43-63                 36                   19                   45
    RW II KM                1200                  IXb                    4                 15-22                 59                    6                   35
   RW I+II KM               1200                  IXb                   10                 15-63                 47                   13                   40

In GM liegt der Buchenanteil des Pollennieder-             in Dolinen der nördlichen Kalkalpen liefern Mohr        ten ein höhenstufenabhängiger Gradient zwischen
schlags so hoch wie der von Fichte und Tanne               (1961) für die Gstettneralm in 1270 m Höhe am           1100 und 1400 m pollenanalytisch nicht nachweis-
zusammen genommen und zeigt damit deutlich                 Dürrenstein, dem mitteleuropäischen „Kältepol“ 6        bar.
die Buchen-Dominanz in dieser Höhenlage. (Die              km nordnordwestlich der Bärwies, sowie Smettan
Fichte ist generell im Pollenniederschlag um das           (2000b) für den Grubalmkessel in den Chiemgauer         Eine starke örtliche und zeitlich unterschiedliche
Zweifache gegenüber Tanne und Buche überreprä-             Alpen in 1230 m Höhe, allerdings in beiden Fällen       Prägung des Polleneinzugsgebietes und Standortes
sentiert; vgl. Lang 1994). In dem kleineren Pollen-        mit einer Überprägung der inversen Vegetations-         mit entsprechend gegensätzlichen Prozentwerten
einzugsgebiet von GD kommt dagegen offenbar                stufen durch die Almweidenutzung. Ähnliches wies        weisen die Diagramme der Rohhumusprofile RW I
ein örtlicher Anteil der Fichte vom Rand der Do-           auch Kral (1969) pollenanalytisch in den Venezia-       + II KM aus dem Rothwald-Urwald auf, so dass hier
line vermehrt zum Ausdruck. Dadurch ist auch der           ner Alpen nach.                                         von Kral & Mayer (1968) eine Mittelwertbildung
Tannenanteil vergleichsweise am geringsten. In BW                                                                  vorgenommen wurde. Sie kommt den Verhältnissen
besteht eine – allerdings weniger ausgeprägte – Bu-        Das Verhältnis Fichte/Buche ist in RM gegenüber         von RM am nächsten, wobei allerdings die Fichte
chen-Dominanz. Buche und Tanne dürften hier an             den übrigen drei Untersuchungspunkten zuguns-           im Rothwald nicht als Moorrandkomponente wie
den Hängen zwischen 1150 und 1350 m geherrscht             ten der Fichte verschoben, in RM KM sogar noch          am Rotmösel, sondern als regional gleichrangig be-
haben (Splechtna 2004), während am Bärwies-                stärker. Hier sind die vernässten Randbereiche des      teiligte Baumart vertreten ist. Zukrigl et al. (1963)
Talboden aufgrund der klimatischen Inversion der           Hochmoores zugleich bevorzugte Fichtenstandor-          geben im Rothwald-Kerngebiet für die Altbestände
Fichtenanteil höher gewesen sein kann. Aktuelle            te, wie sie in geringerem Umfang in GD gegenüber        von Fichte/Tanne/Buche bei allen standörtlichen
Beobachtungen zu derartiger Vegetationsumkehr              GM belegt ist. Somit ist für die drei Hauptbaumar-      und sukzessionsdynamischen Unterschieden ein
20   Silva Fera, Bd. 6/Mai 2017

     Verhältnis von 18/22/60 an. Demgegenüber er-          Tab. 5: Beginn des Buchenrückgangs und des starken Tannenrückgangs
     gibt der aus den Diagrammen GD, GM, BW und
     RM gemittelte Pollenniederschlag von Fichte/Tan-                                                 Buche                                             Tanne
     ne/Buche ein Verhältnis von 36/20/44, wobei im                                     Probentiefe                                       Probentiefe
     Einzelnen die oben genannten örtlichen Faktoren            Pollendiagramm                                      Alter 1                                        Alter 1
                                                                                        (cm u. O.)                                        (cm u. O.)
     sowie die baumartenspezifische Pollenproduktion
     und -verbreitung (Lang 1994) zu berücksichtigen                  GM                     50                     1400                       30                 < 1400
     sind.                                                            GD                     35             < 1350 - > 1800                    30             < 1350 - > 1800

     Zu den Klimaxbaumarten gehört als schwacher                      BW                     70               < 250 - > 600                    40                  < 600
     Pollenproduzent auch der Bergahorn. Die höchsten                 RM                     25              1800                    20                 < 1800
     Werte von Acer mit 1 und 1,5 % des Baumpollens
     treten in den beiden Grubwies-Diagrammen auf,
                                                           1
                                                               Jahre n. Chr. nach Tab. 1, Spalte 7, gerundet; < jünger als, > älter als das genannte Datum
     weil hier die Waldbestände in unmittelbarer Nähe
     der Bohrpunkte am Rand der kleinen Senken lie-        Stillstand der Torfbildung, Zäsur mehrerer Pollen-                 2.3.2) nach den historischen Quellen (Splechtna
     gen.                                                  kurven, s. Kap. 2.3.2).                                            2001) vermutlich in der Zeit bald nach 1700.
                                                                                                                              In RM ist der Übergang in die tannenarme Zeit
     4.3 Der Buchen- und Tannenrückgang                    Bei den drei Klimaxbaumarten ist der nachfolgende                  ziemlich abrupt. Zur Ursache des Tannenrückgangs
     Schon vor dem markanten Tannenrückgang sind           Tannenrückgang besonders einschneidend. Er mar-                    durch Holzeinschlag und -verwendung vgl. allge-
     Eingriffe in die Waldbestände nachweisbar. In al-     kiert die Grenze der LPZ 5/6 in RM, A/B in BW                      mein z.B. Kral (1994a: 31): Waldweide und Kahl-
     len vier Diagrammen geht dem starken Buchen-          und a/b in DM und GD. Die Abies-Minimalwerte                       schlagwirtschaft, Flößbarkeit der Tanne im Gegen-
     und Tannenrückgang ein erster, vermutlich bereits     liegen nunmehr bei 1 - 2 % des Baumpollens. Mit                    satz zur Buche.
     durch menschliche Nutzung verursachter schwä-         dem Tannenrückgang ist meist eine Zunahme der
     cherer Rückgang der Buche in A2, a2 bzw. 5 p.p.       Lichtbaumart Lärche verbunden, dazu in RM und                      Ein näherer Vergleich mit den Rohhumus-Pollen-
     voraus (Tab. 5). So nimmt die Buche besonders in      BW auch von krautigen Pflanzen der örtlichen Um-                   diagrammen Rothwald I und II aus dem „Großen
     der LPZ a2 von GM und GD mehr oder minder             gebung (Plantago lanceolata, Urtica u.a.) sowie Ge-                Urwald“ (Kral & Mayer 1968) ist wegen der speziel-
     stetig ab, wobei Fichte und Kiefer zunehmen. Zu-      treide (Cerealia p.p., Secale) aus den tieferen Lagen.             len Ablagerungs-, Pollenniederschlags- und Stand-
     gleich wird Wacholder als Weidezeiger etwas häu-                                                                         ortbedingungen in dem dortigen Bergsturzgebiet
     figer. Die 14C-Daten weisen hier auf das Ende des     Nach den 14C-Daten in RM und GD – übertrag-                        nicht möglich. Der unterschiedlich stark ausgepräg-
     14. Jahrhunderts (Tab. 5). Im Übrigen ist aber der    bar auf GM – ist die tannenarme Zeit überwiegend                   te und zeitversetzte Tannenrückgang in den beiden
     Einfluss der Almweide auf der Grubwies noch ge-       jünger als 1655/75 AD und umfasst die Zeit nach                    Rohhumusprofilen (in RW II nach 800 v. Chr., in
     ring. Aus den tieferen Lagen stammt der Pollen von    1800. Der Beginn ist in RM wohl frühestens um                      RW I um 1200 n. Chr.) kann jedoch nicht, wie z. B.
     Getreide und Hanf (Cerealia p.p., Secale, Cannabis)   1750 anzusetzen (Brande et al. 2002, vgl. Splecht-                 Küster (1994: 26) für das bayerische Alpenvorland
     und in GM auch von Walnuss (Juglans) und Ess-         na 2001, Pekny 2012). Er fällt in die Zeit intensiver              schreibt, mit einem römerzeitlichen Gebrauch von
     kastanie (Castanea). Schwächer sind die genannten     Rodungen für den gesteigerten industriellen Ener-                  Tannenholz in Verbindung gebracht werden. Er ist
     Einflüsse in RM. Sie fehlen weitestgehend in BW,      giebedarf und ist damit etwa 550 Jahre jünger als                  nach Kral & Mayer (1968) in RW II klimatisch und
     wo die zeitgleichen Sedimente den 14C-Daten zu-       von Kral & Mayer (1968), Kral (1974) und Mayer                     in RW I durch die beginnende mittelalterliche, nach
     folge allerdings sehr komprimiert sind oder eine      et al. (1979) angenommen. Auch in BW liegt der                     der o.g. Datierung wahrscheinlich sogar erst neu-
     Schichtlücke vorliegt (Hiatus, vorübergehender        rapide Tannenrückgang (evtl. Hiatus, vgl. Kap.                     zeitliche Holznutzung bedingt.
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