Research Collection - ETH Zürich
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Research Collection Journal Issue Bulletin - Magazin der ETH Zürich Publication Date: 2001-01 Permanent Link: https://doi.org/10.3929/ethz-a-000916359 Rights / License: In Copyright - Non-Commercial Use Permitted This page was generated automatically upon download from the ETH Zurich Research Collection. For more information please consult the Terms of use. ETH Library
IMPRESSUM: H ER AUSGEBERI N: Schulleitung der ETH Zürich REDAKTION: Lic. phil. I Martina Märki-Koepp (mm), Redaktionsleitung Vanja Lichtensteiger-Cucak (vac), En bref Roman Klingler, Alumni Aktuell Corporate Communications der ETH Zürich ETH Zentrum, 8092 Zürich Tel. 01-632 42 52 Fax 01-632 35 25 FREI E MITARBEIT: Stephanie Scholz, Fach-/Bildredaktion Schwerpunkt Universum Andreas Koch, Bildbeschaffung I NSER ATE: Go! Uni-Werbung, Rosenheimstr. 12 9008 St. Gallen, Tel. 071-244 10 10 GESTALTU NG: inform, Zürich DRUCK: NZZ Fretz AG, Zürich AU FL AGE: Erscheint 4-mal jährlich Auflage dieser Ausgabe 26 000 TITELBI LD: Die 50 Millionen Lichtjahre entfernte Sombrero-Galaxie (M104) im Sternbild Jungfrau, aufgenommen mit FORS1, dem Focal Reducer/low dispersion Spectrograph, am Very Large Telescope in Chile. Bild: ESO Nachdruck mit Quellenangabe erwünscht. Die nächste Ausgabe, Nr. 291, zum Thema «Informationsgesellschaft» erscheint im November 2003. Bulletin ist auch abrufbar unter: http://www.cc.ethz.ch/bulletin/
I N H A LT 6_ Entwicklung antiker Weltmodelle 32_ Galaxien und ihre Entstehung D I E S U C H E N AC H D E R M I T T E D I E V E R WA N D T E N D E R M I LC H ST R A S S E D E S KO S M O S C. Marcella Carollo Alfred Stückelberger 36_ Quasare 10_ Entwicklung der Teleskope LEUCHTTÜRME IM UNIVERSUM D E R B E WA F F N E T E B L I C K Z U M H I M M E L Hans Martin Schmid Alex Feller 38_ Leben im Universum 14_ Der Blick ins Universum D I E S U C H E N AC H B E W O H N B A R E N EINE REISE DURCH R AUM UND ZEIT PLANETEN Simon Lilly Simon Lilly und Alex Halliday 18_ Röntgen- und Radiowellen im Universum 42_ Neue Kosmologie DA S U N S I C H T B A R E U N I V E R S U M DA S « D I C H T E - B U D G E T » D E S U N I V E R S U M S Paolo Grigis und Arnold O. Benz Alexandre Sakharov und Hans Hofer 20_ Teilchenphysik und Kosmologie 46_Die Zukunft des Universums ARCHÄOLOGI E DES U N IVERSUMS Q U O VA D I S U N I V E R S U M ? Felicitas Pauss Fred C. Adams 23_ Entstehung des Sonnensystems 50_ S U R F T I P P S F Ü R ST E R N G U C K E R M E T E O R I T E N A LS Z E U G E N KO S M I S C H E R GESCHICHTE Rainer Wieler 52_ En bref EREIGNISSE AN DER ETH 26_ Sternentstehung A U S E I S U N D STA U B G E B O R E N 60_Alumni Aktuell Arnold Benz 29_ Sonnenphysik D I E S O N N E – U N S E R N ÄC H ST E R ST E R N Jan Olof Stenflo B U L L E T I N E T H Z ü r i c h N r. 2 9 0 A u g u s t 2 0 0 3 3
Deep-Field-Aufnahme im Sternbild Sextant, aufgenommen mit der Weitfeldkamera WFI am 2,2-m-Teleskop der ESO/MPG auf LaSilla, Chile. Komposit aus einer V-Aufnahme (100 min. belichtet) und einer R-Aufnahme (290 min. belichtet). Bild: Klaus Meisenheimer, Christian Wolf, Henning Christ; MPIA
DA S DY N A M I S C H E UNIVERSUM M A RT I N A M Ä R K I - KO E P P Erinnern Sie sich noch an die Nächte in Ihrer Kindheit, in denen Sie schlaflos im Bett lagen und sich fassungslos die Unendlichkeit des Universums vorzustellen versuchten? Die Frage, was ei- gentlich hinter dem Universum liegt, konnte niemand wirklich zufrieden stellend beantworten, und das Vertrauen in die Allwissenheit der Erwachsenen bekam erste Risse. Heute liegt mein jüngster Sohn gelegentlich so im Bett, und vor lauter Nachdenken wird ihm dann ganz schwin- delig. Manchmal darf ich mit ihm gemeinsam nachdenken und staunen – und seine Fragen bleiben letztlich ebenso unbeantwortet wie Ihre und meine. Aber vielleicht lernen wir gemein- sam, dass Fragen viel produktiver sind als Antworten. Als Galileo Galilei sein Fernrohr zum ersten Mal auf den Mond richtete, in einem Garten in Padua an einem klaren Herbstabend des Jahres 1609, ahnte er noch nicht, dass er das Weltbild einer Epoche erschüttern und verändern würde: Die Erde war nicht das Zentrum des Universums, sondern bewegte sich um die Sonne. Er arbeitete damals mit einem Instrument, das die Ob- jekte in 20facher Vergrösserung vors Auge holte. Es dauerte weitere Jahrhunderte, bis man er- kannte, was Teleskope wirklich waren, nämlich eigentliche Zeitmaschinen, die erlaubten, nicht nur weit entfernte Objekte zu betrachten, sondern tatsächlich in die Vergangenheit des Uni- versums zu schauen. Die Antwort auf die Frage, wo das Universum endet, lautete von nun an nicht mehr «Dort, jenseits dieser Galaxien», sondern «Damals: am Anfang der Zeit». Auf dem Weg ins 3. Jahrtausend begleitet uns schliesslich eine neue Vorstellung vom Universum: ein furioses Panorama von unablässigem Werden und Vergehen, Geburt und Tod von kosmischem Ausmass. Denkbar wurde nicht nur der Anfang, sondern auch das mögliche Ende des Weltalls. Und wir wissen, dass es uns im Zeitalter der Teleskope nur gelungen ist, einen winzigen Teil des Universums zu entdecken. 90 bis 99% des Universums dagegen, die so genannte «dunkle Materie» liegt jenseits aller Wellenlängen, unmessbar, ausser durch den Schwerkrafteinfluss der Materie. 1936 schrieb Edwin Hubble: «Die Geschichte der Astronomie ist eine Geschichte der sich erwei- ternden Horizonte.» ETH Bulletin zeigt einen kleinen Ausschnitt aus dieser scheinbar unendli- chen Geschichte – und was Forscherinnen und Forscher der ETH heute dazu beitragen. Martina Märki-Koepp Redaktorin ETH-Bulletin B U L L E T I N E T H Z ü r i c h N r. 2 9 0 A u g u s t 2 0 0 3 5
E N T W I C K L U N G A N T I K E R W E LTM O D E L L E D I E S U C H E N AC H D E R M I T T E D E S KO S M O S A L F R E D ST Ü C K E L B E R G E R Schon immer wollten die Menschen wissen, wie das Universum aussieht und welchen Platz unsere Erde darin einnimmt. Die Naturphilosophen der griechischen Antike versuchten erstmals, diese Fragen ohne Hilfe der Mytho- logie zu beantworten. Planisphärische Darstellung des Fixsternhimmels (Codex Bernensis 88, 10. Jh.)
Die Frage nach der Beschaffenheit des Erd- Von der Kristallsphäre körpers und seiner Lage im Kosmos gehört zu den Epizyklen zu den zentralsten Problemkreisen, mit de- nen sich die frühgriechische Naturphiloso- In archaischer Zeit taucht die Vorstellung phie befasste, aus der sie überhaupt hervor- auf, dass die Fixsterne «wie Nägel an einer ging. Wenn Anaximenes von Milet (6. Jh. v. unsichtbaren kristallartigen Sphäre befes- Chr.) die Erde mit einer «platten schweben- tigt seien» und mit dieser den täglichen den Scheibe» oder Anaximander von Milet Umschwung vollzögen (Anaximenes und (6. Jh. v. Chr.) mit einer «im unbegrenzten Empedokles im 6./5. Jh. v. Chr.). Die mehr Raum schwebenden Säulentrommel, drei- volkstümliche, noch bis ins Mittelalter an- mal so breit wie dick» vergleicht, dann ist zutreffende Vorstellung von Kristallsphären, daran vor allem der Wille eindrücklich, mit die sogar harmonische Sphärenklänge er- Verstandeskraft, ohne Zuhilfenahme my- zeugten (im Schlussmythos von Platons thologischer Erklärungen, ein Gesamtkon- Staat), war allerdings bei Astronomen längst zept des ganzen Kosmos zu entwerfen – ein der Annahme von immateriellen, rein ma- Bestreben, zu dem es in den umliegenden thematischen Modellen gewichen. Dabei Hochkulturen keine Parallelen gibt. wurde etwa von Geminos (1. Jh. v. Chr.) so- Abb. 1: Mit Hilfe von Epizykeln (schwarz), Kreisen, die auf Kreisen rollen, konnte Ptolemaios die Rückläufig- gar in Erwägung gezogen, dass die einzel- keit der Planeten erklären. Bild: St. Scholz, A. Koch nen Fixsterne verschieden weit entfernt Von der Scheibe zur Kugel sein könnten. Von den Babyloniern her war bekannt, dass neigten Kreis um die Sonne bewege». Da- Erstaunlich früh hat sich bereits die Vorstel- – neben Sonne und Mond – noch fünf wei- mit hatte er zum ersten Mal in der Antike lung von der Kugelgestalt der Erde ent- tere Himmelskörper in entgegengesetzter ein heliozentrisches Weltbild entworfen. wickelt. Sie dürfte, vorerst noch spekulativ, Richtung selbständige Bahnen ziehen. So- Das heliozentrische Weltbild wurde in der im Kreise der Pythagoreer aufgekommen mit waren neben der Fixsternsphäre noch 7 Folgezeit in Fachkreisen gelegentlich disku- sein. Der älteste Beleg findet sich bei Pla- weitere anzunehmen: Das populäre Modell tiert, hatte aber – nicht nur in der Antike – ton, der persönliche Kontakte mit Pythago- mit der Erde im Zentrum und den 8 um sie gegenüber der Macht der Alltagserfahrung reern pflegte. Er vergleicht im «Phaidon» kreisenden Sphären war damit gegeben. einen schweren Stand. Schliesslich spre- (um 365 v. Chr.) die Erde mit einem Leder- Bei näherem Zusehen stellte man jedoch chen wir heute auch noch von Sonnenauf- ball. Nun liessen allerdings die bekannten fest, dass die 5 Planeten viel kompliziertere gang statt etwa von Erdzuwendung. Beson- Beobachtungen von Schiffen, die am Hori- Bewegungen ausführten: Sie blieben mit- ders folgenschwer war, dass sich Ptole- zont verschwinden, oder von Sternen, die je unter stehen, liefen zurück oder bildeten maios, der grosse Astronom in der ausge- nach Beobachtungsort ihre Höhe über dem Schleifen. Also musste man zur Erklärung henden Antike, in Kenntnis des Aristarch Horizont verändern, lediglich auf eine ge- der Planetenbahnen weitere Sphären pos- dezidiert für das geozentrische Weltbild krümmte Erdoberfläche schliessen. Darum tulieren. Unter der bis Kepler unangefoch- entschieden und damit das sog. «Ptolemäi- ist der erste mathematisch einschlägige Be- tenen Annahme, dass bei Himmelskörpern sche Weltbild» für anderthalb Jahrtau- weis für die durchgehende Kugelgestalt der nur Kreisbewegungen möglich seien, be- sende festgeschrieben hatte. Wenig be- Erde von besonderer Bedeutung: Aristote- half man sich mit sog. Epizyklen, auf denen kannt ist der Umstand, dass er dies nicht les argumentiert absolut schlüssig in seiner man die Planeten rotieren liess (Abb. 1). Eu- aus Starrsinn oder Konservativismus tat, Schrift «De caelo» (um 350 v. Chr.), dass bei doxos (4. Jh. v. Chr.), ein Zeitgenosse Pla- sondern aus einer mathematisch absolut Mondfinsternissen die Projektion des Erd- tons, brauchte zur Erklärung aller festge- schlüssigen Überlegung: Wenn die Erde schattens auf den Mond immer kreisrund stellten Anomalien 26 Sphären, Kallipos 34 eine Umlaufbahn um die Sonne machen sei, der dazwischentretende Körper – die und Aristoteles, diese Erklärungsmethode sollte – seit Aristarchs Abstandsberechnun- Erde – somit kugelförmig sein müsse. auf die Spitze treibend, schliesslich deren 55. gen von Sonne und Mond hatte man immer- War die Kugelgestalt der Erde erkannt, lag hin eine gewisse Vorstellung von deren Di- es nahe, sich Gedanken über deren Dimen- mension –, dann müssten sich doch Verän- sionen zu machen. Die Erdumfangsberech- Vom geozentrischen derungen am Fixsternhimmel einstellen, nung des Eratosthenes (um 250 v. Chr.) zum heliozentrischen Weltbild d. h., es müssten sich Parallaxen der Fix- gehört zu den Glanzresultaten antiker Wis- sterne ergeben. Solche Parallaxen liessen senschaften: Er mass zur Zeit des Sommer- Mit diesen Erklärungsmodellen hatte man sich aber nicht nachweisen. solstitiums die Winkeldifferenz der einfal- recht brauchbare Näherungswerte für die Als Kopernikus das Konzept eines heliozen- lenden Sonnenstrahlen in Syene (heute As- Planetenbahnen gefunden: Man kannte die trischen Weltbildes wieder aufgriff (in sei- suan, fast genau auf dem Sommerwende- Abstandsreihenfolge, die ungefähren Um- nem 1543 erschienenen Werk «De revolutio- kreis) sowie an seinem Wirkungsort Alex- laufzeiten und die Neigung ihrer Bahnen. nibus orbium caelestium» beruft er sich andria. Dann multiplizierte er den gemes- Allein vom geozentrischen Standpunkt aus ausdrücklich auf Aristarch von Samos), war senen Wert von 1/50 des Kreisbogens mit der liessen sich die Planetenbewegungen, be- die Welt noch nicht dafür bereit. Selbst der Basisstrecke Alexandria–Syene von 5 000 sonders bei den inneren Planeten, nie wi- grosse Astronom Tycho Brahe lehnte es ab. Stadien. Er erhielt so einen Erdumfang von derspruchslos erklären. Darum hatte Arist- Erst in einem mühevollen Ablösungspro- 250 000 Stadien bzw. von etwa 39 000 km arch von Samos, «um die Himmelsphäno- zess konnte sich der Paradigmenwechsel bis 41 000 km ( je nach Umrechnung) – ein mene zu retten», um 250 v. Chr. die kühne vollziehen. Durch die Beobachtung der Su- Wert, der bis ins 17. Jh. nicht verbessert wor- These aufgestellt, «dass die Erde sich um pernovae von 1572 und 1604, durch die Ent- den ist. ihre Achse und gleichzeitig in einem ge- deckung der Jupitermonde und der Venus- B U L L E T I N E T H Z ü r i c h N r. 2 9 0 A u g u s t 2 0 0 3 7
Abb. 2: Das Ptolemäische Weltsystem stark vereinfacht. Abb. 3: Das Weltsystem des Kopernikus, von ihm selbst vereinfacht dargestellt. (Kupferstich 1742, aus «Wandel des Weltbildes» Die Sonne steht im Zentrum der Welt. Die Erde hat nur den Mond als von Prof. J.Teichmann) Trabanten behalten und kreist mit ihm um die Sonne. (Holzschnitt 1543, aus «Wandel des Weltbildes» von Prof. J. Teichmann) phasen durch Galilei («Sidereus Nuntius» zept des Aristoteles, das von der Stoa, vom Dieser mehr spekulative Kenntnisstand be- von 1610), durch die Erkenntnis der ellipti- Neuplatonismus, von der Scholastik des hielt durch das ganze Mittelalter und die schen Umlaufbahnen der Planeten durch Mittelalters übernommen wurde und bis zu Renaissance hindurch weitgehend seine Kepler (1609 in seiner «Astronomia nova») Galilei seine Dominanz behalten sollte: Im Gültigkeit und erfuhr erst durch Newtons wurde das aristotelische Weltbild Schritt Zentrum liegt die Erde mit ihren vier Ele- Entdeckung, dass diese Gravitationskräfte für Schritt demontiert. Dennoch blieb der menten, die sich in einem ständigen Verän- auch im kosmischen Raum wirken, die ent- Widerstand gegen das heliozentrische derungsprozess befinden. Darüber wölbt scheidende Wende («Philosophiae naturalis Weltbild so gross, dass Galilei seine Befür- sich die ewige, unveränderliche Zone der principia mathematica 1687»). wortung des kopernikanischen Weltbildes Gestirne mit ihren vollkommenen Kreis- in seinem «Dialogo» (1632) bekanntlich ab- bewegungen, in der ganz andere Gesetze schwören musste; dieses Werk blieb bis herrschen und die notwendigerweise auch 1835 auf dem «Index der verbotenen einem anderen, «göttlicheren» Element, Bücher». dem «Aether» oder der später so genannten Literatur Das Argument des Ptolemaios gegen das «Quinta Essentia», vorbehalten blieb. A. Stückelberger, Einführung in die anti- heliozentrische Weltbild, mit dem sich Gali- Angesichts solcher Vorstellungen ist der ken Naturwissenschaften, Darmstadt lei ausführlich auseinandersetzte, konnte heftige Widerstand verständlich, der auf- 1988. allerdings auch er nicht widerlegen. Erst kam, als schon Demokrit (5. Jh. v. Chr.) be- ders., Ptolemaios und das heliozentri- 1838, als auch die Sonne ihre zentrale Stel- hauptete, «es gebe viele Kosmen» und das sche Weltbild, in: Antike Naturwissen- lung im All bereits verloren hatte, gelang es ganze All bestehe nur aus «Atomen und schaft und ihre Rezeption 8, 1998, 83–99. Friedrich W. Bessel, bei 61 Cygni eine Fix- leerem Raum», oder wenn Anaxagoras (5. sternparallaxe vom verschwindenden Be- Jh. v. Chr.), angeregt durch die Beobachtung trag von ca. 1/3 Bogensekunde nachzuwei- eines Meteoritenfalls, die Sonne für einen sen und damit Ptolemaios endgültig zu wi- «feurigen Klumpen» hielt und den Mond als Forschungsinformationen derlegen. ein «Gebilde aus Erde» bezeichnete: Demo- Prof. Stückelbergers Forschungsschwer- krit ist des Atheismus bezichtigt und Ana- punkte sind die antiken Naturwissen- xagoras sogar vor Gericht gezogen worden schaften und ihre Rezeptionsgeschichte; Astrophysikalische Ansätze – der Galilei-Prozess scheint vorgespurt. besondere Beachtung schenkt er den an- In dieselbe Richtung geht die einzige aus tiken wissenschaftlichen Illustrationen. Weit verbreitet war – nicht nur bei den der Antike erhaltene «astrophysikalische» www.kps.unibe.ch/stueckelberger3.html Griechen – die Vorstellung, dass die Ge- Schrift, der Traktat des Plutarch «Über das www.ptolemaios.unibe.ch stirne göttliche Wesen seien; die 7 Plane- Mondgesicht» (Ende 1. Jh. n. Chr.), in wel- tengötter, die unseren Wochentagen die chem – ganz antiaristotelisch – ein Ge- Namen gaben, zeugen noch davon. Mit die- sprächspartner aus den seltsamen Flecken Prof. Dr. Alfred Stückelberger ser mehr populären Vorstellung vertrug auf der Mondoberfläche den Schluss zieht, Leiter der Ptolemaios-Forschungsstelle sich durchaus das brillante, durch seine dass der Mond eine ähnliche Beschaffen- am Institut für Klassische Philologie der Einfachheit bestechende dualistische Kon- heit haben müsse wie die Erde. Universität Bern 8 B U L L E T I N E T H Z ü r i c h N r. 2 9 0 A u g u s t 2 0 0 3
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E N T W I C K L U N G D E R T E L E S KO P E D E R B E WA F F N E T E B L I C K ZUM HIMMEL ALEX FELLER Der Astronom der Renaissance blickte auf den gleichen Sternenhimmel wie seine Vorgänger in der Antike. Dem blossen Auge bot sich ein nahezu statisches Universum. Nach Galilei sollte sich dies ändern. Die Erweiterung der menschlichen Wahrnehmung durch das Teleskop erlaubte es, Neues zu sehen, und veränderte unser Bild vom Universum vollständig. Die Entwick- lung der Teleskope, insbesondere der Übergang von erdgebundenen zu satellitengestützten Teleskopen, brachte der astrophysikalischen Forschung enorme Fortschritte. Galileo Galilei richtete im Jahr 1609 sein ers- Das so modifizierte Instrument hatte ein Spiegel statt Linsen tes selbst gebautes Linsenfernrohr auf den grösseres Gesichtsfeld und man konnte Himmel. Diese holländische Erfindung Messskalen in der Bildebene des Objektivs 1663 entwarf der schottische Mathematiker eröffnete der Astronomie eine neue Epoche anbringen. James Gregory ein Teleskop, bei dem er die mit ungeahnten Möglichkeiten. So konnte Im 17. Jahrhundert bestanden die Linsen aus Objektivlinse durch zwei sphärische Konkav- erstmals beobachtet werden, dass andere einem einzigen Glas und konnten nur ku- spiegel ersetzte. Ein paar Jahre später baute Planeten von Monden umwandert wurden, gelförmig geschliffen werden. Die Auflö- sich Isaac Newton in Cambridge ein kleines die Erde somit nicht alleiniges Zentrum al- sung der Fernrohre war dadurch stark be- Spiegelteleskop (Abb. 1). Seine Hauptmoti- ler Bewegungen sein kann. Galileos Fern- einträchtigt: die schlimmsten optischen vation war die Beseitigung der chromati- rohre hatten ein konvexes Objektiv und ein Fehler waren die sphärische und die chro- schen Aberration, die er im Rahmen sei- konkaves Okular. Sie vergrösserten die be- matische Aberration. Man half sich, indem ner«Neuen Theorie über Licht und Farben» trachteten Objekte bis zu zwanzigmal (Abb. 1). man nur leicht gekrümmte, langbrennwei- (1672) als Konsequenz der Lichtbrechung er- Nach der Veröffentlichung von Galileis tige Linsen verwendete und mittels Blen- kannt hatte. Es sollten jedoch noch zwei «Sternenbote» (1610), einer wichtigen em- den das einfallende Licht auf den Zentral- Jahrhunderte vergehen, bis das Spiegelte- pirischen Unterstützung des kopernikani- bereich der Linsen beschränkte. Dadurch leskop zum dominierenden Instrument in schen Weltsystems, wurde das Teleskop ging jedoch viel Licht verloren, und die Fern- der Astronomie wurde. zum begehrten Hilfsmittel für jeden Mit- rohre waren schwer zu handhaben. Johann streiter in der kosmologischen Debatte. Hevelius, ein deutscher Beobachter dieser Überall in Europa wuchs sowohl die Nach- Zeit, besass z. B. Teleskope von bis zu 50 m Das Teleskop als Winkelmessgerät frage nach dem Instrument als auch das In- Länge. teresse an der Verbesserung seiner Leis- In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts tung. Johannes Kepler verwendete ab 1611 begann man, mit Messskalen in der Brenn- in seinem Fernrohr ein konvexes Okular. ebene des Objektivs zu experimentieren, um die Position der Beobachtungsobjekte im Okular präzise ablesen zu können. Bald wurden die klassischen Winkelmessgeräte mit Teleskopen kombiniert, um die Genau- igkeit der Positionsmessungen zu steigern. Ein Beispiel ist das Passageinstrument (Abb. 3, siehe S. 12). Abb.1: Links: Strahlengang im galileischen und keplerschen Linsenfernrohr. Rechts: Strahlengang im newtonschen Spiegelteleskop. 10 B U L L E T I N E T H Z ü r i c h N r. 2 9 0 A u g u s t 2 0 0 3
Abb. 2: Das HST in seiner Umlaufbahn während einer Wartungsmission. Astronauten befinden sich ausserhalb des Shuttles, um neue Instrumente zu installieren. Unsere Erde bietet einen spektakulären Hintergrund. Eine neue Wartungsmission im Jahr 2004 soll das HST mit einer empfindlicheren Kamera, der Wide-Field-Camera 3, ausstatten, welche vom ultravioletten bis zum nah-infraroten Wellenlängenbereich arbeitet. Bild: NASA Optische Teleskope im 19. und ser an das Yerkes Observatory der Univer- sern, um eine vergleichbare Abbildungs- 20. Jahrhundert sität Chicago für das grösste je gebaute qualität wie bei Linsen zu erhalten? Die Linsenteleskop. ersten Spiegel des 17. Jahrhunderts wurden Im 19. Jahrhundert konzentrierten sich die Mit der Einführung der Photographie und aus einer Kupfer-Zinn-Legierung gefertigt – Teleskopbauer auf die Linsenfernrohre. Man der Spektroskopie in die Astronomie zeig- eine wenig zufrieden stellende Lösung. Das machte grosse Fortschritte in der Herstel- ten die ausgereiften Linsenteleskope wieder Metall war schwer zu formen, beschlug lung optisch hochwertiger Glassorten. Das eine alte Schwäche. Die achromatischen Lin- schnell und musste daher ständig neu po- wachsende Know-how der Optikfirmen sen waren für visuelle Beobachtungen ent- liert werden, wobei wiederum die Gefahr beim Schleifen von Linsenoberflächen und worfen worden, die Photoplatten waren je- bestand, die Spiegelform zu verändern. Um die Verwendung von achromatischen Linsen doch über den sichtbaren Spektralbereich 1853 entwickelte der deutsche Chemiker Jus- reduzierten die störenden optischen Fehler hinaus empfindlich. Die Konsequenzen wa- tus von Liebig ein Verfahren, um eine sehr der Linsenfernrohre erheblich. Unter den ren z. B. unscharfe Weisslichtbilder oder de- dünne Silberschicht auf einer Glasober- Linsenherstellern ist besonders der Deut- fokussierte Abschnitte von Sternspektren. fläche aufzubringen. Nun konnten die Op- sche Joseph Fraunhofer zu nennen. Seine Das Interesse an den farbfehlerfreien Spie- tikhersteller ihr Können beim Schleifen von Nachfolger, Merz und Mahler, lieferten 1846 gelteleskopen wurde wieder geweckt. Glasoberflächen auch in der Spiegelherstel- eine Objektivlinse von etwa 1 m Durchmes- Wie aber konnte man die Spiegel verbes- lung einsetzen. Das neue Verfahren brachte B U L L E T I N E T H Z ü r i c h N r. 2 9 0 A u g u s t 2 0 0 3 11
Teleskope ausserhalb der Erdatmosphäre Beobachtungen ausserhalb der Lufthülle der Erde erschlossen der Astronomie die Spektralgebiete, die von der Erdatmosphäre vollständig absorbiert werden. Die Welt- raumastronomie begann um 1946: mithilfe von V2-Raketen aus deutschen Rüstungsbe- ständen gewann man erste Ultraviolett- und Röntgenaufnahmen der Sonne. Nach dem erfolgreichen Flug des ersten künstli- chen Erdsatelliten Sputnik I begann 1957 eine rasante Entwicklung von Raumsonden zur Erkundung des Sonnensystems (z. B. Voyager, 1977) und von satellitengestützten Beobachtungsinstrumenten. Röntgen- und gammaempfindliche Satelliten gibt es seit 1970. Ein aktuelles Beispiel ist HESSI (Abb. 4). Im infraroten Wellenlängenbereich musste Abb.3: Passageinstrument (19. Jh.) aus der ETH-Sammlung Sternwarte. Das Fernrohr kann in der Nord-Süd- man erst die Eindämmung der Wärmestrah- Ebene (Meridian) gedreht werden. Die Koordinate auf dem Himmelsäquator, die Rektaszension, wird aus der Zeit des Durchgangs des Sterns durch den Meridian bestimmt. lung durch die Instrumente in den Griff be- kommen. Der erste Infrarotsatellit IRAS führte ab 1983 Beobachtungen aus. Im Be- wichtige Vorteile gegenüber der Herstel- Radioteleskope reich der Mikrowellen stand ab 1989 mit lung von Linsen. Erstens musste das Licht COBE der erste Satellit für Langzeitmessun- nicht durch das Glas hindurch. Man konnte Sichtbares Licht ist nur eines der beiden gen der kosmischen Hintergrundstrahlung also Glasblöcke von geringerer optischer Spektralbänder, welche die Erdatmosphäre zur Verfügung. Qualität verwenden und so grössere Öff- durchlässt. Das andere Band liegt im Be- Weltraumgestützte Beobachtungen im vi- nungen fertigen. Zweitens musste nur eine reich der Radiowellen mit Wellenlängen suellen Bereich haben vor allem den Vorteil, Oberfläche geschliffen werden anstelle der zwischen etwa 1 mm und 30 m. Obwohl dass die Bilder nicht durch Luftunruhe ver- vier für eine achromatische Linse. Heinrich Hertz bereits 1888 die Ausbreitung schlechtert werden. Das 1990 gestartete In der Folgezeit wurde das Spiegelteleskop von Radiowellen im freien Raum entdeckte, 2,4-m-Hubble-Weltraumteleskop brachte zum bevorzugten Instrument. In der ersten waren die Empfänger für Radioastronomie eine Steigerung der Winkelauflösung um Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Spiegel noch lange Zeit zu unempfindlich. Erst 1932 etwa einen Faktor 10 gegenüber erdgebun- in einem Stück von 2,5 m bis 5 m Durchmes- konnte Karl Jansky die Radiostrahlung der denen Teleskopen (Abb. 2, siehe S. 11). Die ser angefertigt. Die Teleskope waren nun Milchstrasse im Meterwellenbereich nach- Bildstörungen durch die Luftunruhe können leistungsfähig genug, um z. B. Sternspek- weisen. Die Entdeckung der 21-cm-Linie des zwar heutzutage durch eine so genannte tren aufzunehmen oder sehr schwache ex- Wasserstoffs 1951 machte die Radioastrono- «adaptive Optik» kompensiert werden. Bis tragalaktische Lichtquellen zu untersuchen. mie zu einem attraktiven Hilfsmittel beim jetzt gelingt diese Korrektur jedoch meis- Ein weiterer Leistungssprung gelang in den Studium der Bewegung der interstellaren tens nur in einem kleinen Bereich des Ge- 90ern mit einer neuen Generation von Materie in unserer Milchstrasse und ande- sichtsfeldes. Grossteleskopen, die aus mehreren Segmen- ren Sternsystemen. Ein ernstes Problem war ten zusammengesetzt sind und deren kom- die Winkelauflösung der Radioteleskope. binierte Spiegelflächen Durchmessern von Diese ist proportional zum Durchmesser 10 m bis 20 m entsprechen. des Teleskopes und invers proportional zur Diese Entwicklung ging einher mit einer Wellenlänge der Strahlung. Radioteleskope Entprivatisierung der Observatorien. Waren müssen also einen viel grösseren Durch- führende Beobachter des 19. Jahrhunderts, messer haben, um vergleichbare Auflösun- wie z. B. Herschel oder Rosse, noch zugleich gen zu erreichen wie im visuellen Bereich. Erbauer und Eigentümer ihrer Teleskope, so Abhilfe schaffte das Prinzip der Interfero- werden Bau und Betrieb von professionel- metrie um 1950. Ein Beispiel für den Erfolg len Observatorien im 20. Jahrhundert zu der Radioastronomie ist die Entdeckung der einer nationalen oder auch internationalen kosmischen Hintergrundstrahlung, eine Angelegenheit. Beispiele sind die staatlich wichtige Informationsquelle für unser heu- Abb. 4: In den 90er-Jahren ist HESSI (High Energy Solar Spectroscopic Imager) in Zusammenarbeit mit dem finanzierte AURA (Association of Universi- tiges Bild von der Entstehung des Univer- Paul Scherrer Institut entwickelt und gebaut worden. ties for Research in Astronomy) in den USA sums. Mit HESSI kann erstmals eine hochaufgelöste Abbildung im harten Röntgen- und Gammabereich oder die ESO (European Southern Observa- mit hochauflösender Spektroskopie kombiniert tory), ein Konsortium von europäischen werden. Somit kann von jedem Bildpunkt ein detail- liertes Energiespektrum erstellt werden. Bild: NASA Staaten, welches die beiden Südsternwar- ten in Chile sponsert. 12 B U L L E T I N E T H Z ü r i c h N r. 2 9 0 A u g u s t 2 0 0 3
Abb. 5: McMath-Pierce-Sonnenteleskop auf Kitt Peak, Arizona. Mit einem Spiegeldurchmesser von etwa 1,5 m und einer Brennweite von rund 80 m ist es das grösste Sonnenteleskop der Welt. Das Institut für Astronomie der ETH Zürich führt hier mit seinem ZIMPOL-System regelmässig Beobachtungen durch. Detektoren Glossar Forschungsinformationen Alex Feller gehört zur Arbeitsgruppe Anders als in den meisten Disziplinen der Chromatische Aberration: Die verschie- von Prof. Stenflo. Seine Forschungs- Physik kann der Astrophysiker keine direk- denen Farben des Lichts brechen sich in schwerpunkte liegen in der solaren ten Experimente an seinen Forschungsob- einer Linse aus einem Glas unterschied- Astrophysik; speziell doktoriert er über jekten durchführen. Die einzige Möglich- lich stark. Das Bild bekommt einen die Instrumentierung für solare Polari- keit, an Information über kosmische Objekte Farbsaum. In einer achromatischen Linse metrie. zu gelangen, ist der Nachweis und die Ana- (Hall und Dollond, 1758) kombiniert http://www.astro.phys.ethz.ch/instru- lyse ihrer Strahlung. Ebenso wichtig wie die man zwei Gläser mit verschiedenen ment/zimpol/zimpol_nf.html Teleskope sind dabei die Detektoren. Be- Brechungseigenschaften, sodass sich http://www.astro.phys.ethz.ch/home_ schränkt man sich inmitten der Vielfalt der ihre Farbfehler gegenseitig aufheben. nf.html Detektoren nur auf den Nachweis des sicht- Interferometrie: Bringt man das Licht baren Lichts und die angrenzenden Berei- von zwei Teleskopen in einer Entfer- che (UV, nahes Infrarot), so geht die Ent- nung D zur kohärenten Überlagerung, wicklung über die Photoplatten (um 1880), so erhält man entlang ihrer Verbin- die «Photomultiplier» (um 1950) bis hin zu dungslinie die Winkelauflösung eines den Halbleiterdetektoren wie z. B. den Teleskops mit Durchmesser D. Dieser «Charge Coupled Devices» (CCDs, seit 1980), kann sehr gross gewählt werden. Ver- um nur die wichtigsten zu nennen. Auch die bindet man nun auf eine bestimmte ETH Zürich ist an der Entwicklung von De- Weise mehrere Teleskope miteinander, tektoren beteiligt: ZIMPOL (Zurich Imaging so kann man ein zweidimensionales POLarimeter), ein Instrument zur Polarisa- Bild des beobachteten Objekts rekons- tionsanalyse von Licht, wird seit den 90ern truieren: die Winkelauflösung ist viel erfolgreich an Grossteleskopen in den USA höher als mit einem Teleskop allein. (Abb. 5) und Spanien eingesetzt. Sphärische Aberration: Parallele Licht- strahlen werden von einer kugelförmi- gen Linse nicht zu einem einzigen Brenn- Alex Feller punkt gebündelt. Doktorand am Institut für Astronomie der ETH Zürich B U L L E T I N E T H Z ü r i c h N r. 2 9 0 A u g u s t 2 0 0 3 13
DER BLICK INS UNIVERSUM EINE REISE DURCH R AUM UND ZEIT S I M O N L I L LY Heutzutage können wir Strahlung von zahlreichen verschiedenen Objekten im Universum empfangen und untersuchen. Aufgrund der endlichen Lichtgeschwindigkeit schauen wir jedoch immer in die Vergangenheit. Das Teleskop wird zur Zeitmaschine. Mittlerweile haben Beobachtungen Galaxien aufgedeckt, die ihr Licht aussandten, als das Universum noch in den Kinderschuhen steckte. Ausschnitt aus dem Sternbild Hydra (Wasserschlange) mit der Spiralgalaxie ESO 510-13. Bild: ESO Die endliche Geschwindigkeit des Lichts be- oder Stunden, aber die Reise des Lichts von Die Ausdehnung des Universums führt wirkt, dass wir astronomische Objekte nicht den nächsten Sternen bis zu uns dauert dazu, dass das Licht entfernter Galaxien zu so wahrnehmen, wie sie «jetzt» sind, son- Jahre (siehe Sequenz S. 16 und 17). längeren Wellenlängen hin verschoben wird dern wie sie zu dem Zeitpunkt waren, als Wenn wir uns über die Grenzen unserer (Doppler-Effekt). Die sogenannte Rotver- das Licht, das wir heute empfangen, seine eigenen Galaxie hinausbewegen, wachsen schiebung z einer Galaxie kann von Astro- Reise zu uns antrat. Dieser Effekt wurde be- die Rückschauzeiten beträchtlich: auf Mil- nomen durch den Vergleich der beobachte- reits 1670 von Ole Römer genutzt, um die lionen oder sogar Milliarden von Jahren. ten Wellenlänge von bestimmten spektra- Lichtgeschwindigkeit aus Beobachtungen Das eröffnet die Möglichkeit, das Teleskop len Merkmalen, wie zum Beispiel den Emis- von Verdunklungen bei den Jupitermonden als Zeitmaschine für eine Reise in die Ver- sionslinien angeregter Gase, deren Wellen- mit bemerkenswerter Genauigkeit abzulei- gangenheit zu benutzen und das Univer- länge bekannt ist, leicht gemessen werden. ten. Die Zeitverzögerungen in unserem Son- sum so zu betrachten, wie es in früheren Wir definieren die Grösse (1+z) als das Ver- nensystem belaufen sich nur auf Minuten Zeiten aussah. hältnis der beobachteten Wellenlänge zur 14 B U L L E T I N E T H Z ü r i c h N r. 2 9 0 A u g u s t 2 0 0 3
emittierten Wellenlänge. In einem expan- sehen, sehr ähnlich sah. Wir fanden unge- ihrem Leben betrachten, da schwere Ele- dierenden Universum gibt diese Grösse ge- fähr dieselbe Anzahl grosser Galaxien, viele mente mit der Zeit durch die sukzessive Bil- nau das Verhältnis zwischen der relativen davon mit denselben Spiralstrukturen, die dung von Sternen aufgebaut werden. Ausdehnung des Universums zum Zeit- man heute in Scheibengalaxien sieht. Die Jenseits von z ≈ 3 wird es viel schwieriger, punkt, als das Licht ausgesendet wurde, Zahl inaktiver Galaxien, die nicht aktiv Sterne Galaxien zu finden und zu studieren. Mit und seiner jetzigen Ausdehnung an. bildeten, war ebenfalls ungefähr gleich. Die zunehmender Rotverschiebung werden sie Hauptziel der Astrophysik und eine der Ansammlungen von Galaxien, wie wir sie nicht nur viel leuchtschwächer, sondern ihr Hauptmotivationen für die Konstruktion heute sehen, waren also zu dieser Zeit be- Licht wird auch zu immer grösseren Wellen- der nächsten Generation von Beobachtungs- reits vorhanden. Andererseits beobachte- längen verschoben. Innerhalb des letzten anlagen ist, zu verstehen, wann und wie ten wir deutliche Hinweise auf sich ent- Jahres wurden von verschiedenen For- sich mit unserer Milchstrasse vergleichbare wickelnde Galaxienpopulationen. Wir schätz- schungsteams – darunter unser eigenes – Galaxien gebildet und welche physikali- ten zudem, dass die Sternenbildungsrate im Galaxien mit der sehr hohen Rotverschie- schen Prozesse ihre weitere Entwicklung be- Universum insgesamt um den Faktor 6–10 bung von z ≈ 6,5 gefunden. Diese Galaxien stimmt haben. Galaxien waren mit grosser höher war als heute. sieht man zu einem Zeitpunkt, an dem das Wahrscheinlichkeit das Resultat von kleinen Wenig später konnten Charles Steidel und Universum weniger als eine Milliarde Jahre Dichtefluktuationen im sehr frühen Univer- seine Mitarbeiter in den USA das neu in Be- alt war – wir schauen zu ihnen über 95 Pro- sum, welche durch die Gravitationsinstabi- trieb genommene 10-m-Keck-Teleskop, das zent der bisher verstrichenen Zeit zurück. lität zunahmen. Diese anfänglichen Dichte- erste einer neuen Generation sehr grosser Die Wellenlängen des Lichtes dieser äus- fluktuationen stellt man sich als das Resul- optischer Teleskope, zum Isolieren einer gros- serst weit entfernten Galaxien wurden um tat von Quantenfluktuationen während ei- sen Zahl von Galaxien mit z ≈ 3 benutzen, den Faktor 7,5 verschoben, sodass sie in opti- ner anfänglichen «inflationären» Phase in indem sie ein deutliches spektrales Merk- schen Bildern wie zum Beispiel dem Hub- der Ausdehnung des Universums zu einem mal verwendeten: Man erwartet, dass Gala- ble-Feld vollkommen unsichtbar sind, da unvorstellbar frühen Zeitpunkt (10-35 s) vor. xien wegen der Lichtabsorption durch Was- das Licht der Sterne aus dem optischen Während wir ein erfolgreiches Paradigma serstoffgas in den Galaxien selbst und im Wellenlängenbereich ins Infrarote verscho- für die Entwicklung der Dichtefluktuatio- umgebenden intergalaktischen Medium bei ben wurde. nen in der zugrunde liegenden Dunklen Wellenlängen unterhalb vom 100 nm dun- Materie haben, sind die Interaktionen der kel erscheinen. Man sieht diese Galaxien baryonischen Materie hoch komplex und mit z ≈ 3 zu einer Zeit, als das Universum Die Suche nach jüngsten Galaxien nur schlecht verstanden. Wenn wir dieses erst etwa 20 Prozent seines heutigen Alters Phänomen verstehen, wird das unzweifel- hatte. Die Galaxien, die bis zu diesem Zeit- An der ETH Zürich haben wir einen neuen haft Auswirkungen auf fast alle Bereiche punkt entdeckt wurden, erscheinen deut- und effizienteren Weg gefunden, um nach der Astrophysik haben und einen wichtigen lich als «junge» Galaxien. Ihnen fehlt die diesen Galaxien zu suchen. Erste Beobach- Schritt zum Verständnis des Universums entwickelte morphologische Struktur von tungen zur Überprüfung unseres Konzepts und unseres Platzes darin darstellen. Scheibe und Bulge. Ausserdem weisen sie mit dem 3,6-m-Canada-France-Hawaii-Te- eine hohe Sternentstehungsrate auf. Sie ha- leskop haben bereits ein Multi-Galaxien- ben nur etwa ein Drittel so viel schwere Ele- system mit einer wahrscheinlichen Rotver- Blick in die Frühphase des Universums mente, z. B. C, N und O, wie die Sonne. Dies schiebung von z = 6,43 zum Vorschein ge- deutet darauf hin, dass wir sie sehr früh in bracht. Wir warten im Moment mit Span- Eine der bemerkenswerten Entwicklungen der beobachtenden Astrophysik während des letzten Jahrzehnts war, mit der Milch- strasse vergleichbare Galaxien über einen riesigen Bereich in der Rotverschiebung zu finden und zu studieren. Dies bedeutet «Rückschauzeiten» von bis zu etwa 95 Pro- zent des gegenwärtigen Alters des Univer- sums. Unsere am weitesten zurückreichen- den Bilder, wie das Hubble-Feld (Hubble Deep Field, Abb. 1), breiten die Geschichte des Universums vor unseren Augen aus und ermöglichen uns einen bemerkenswerten Blick auf die Physik im grössten Massstab. Eine der ersten bedeutenderen Untersu- chungen des entfernten Universums wurde von mir und einer Gruppe französischer und kanadischer Astronomen in den frühen 90ern durchgeführt. Die Canada-France- Redshift-Survey untersuchte ungefähr 1000 Abb. 1.: Das Hubble-Feld, gegenwärtig das am weitesten zurückreichende Bild des Universums, das je mit optischen Wellenlängen gemacht wurde. Es gibt ungefähr 2000 Galaxien in diesem kleinen Fleck Himmel (ungefähr Galaxien zurück bis zu z ≈ 1, als das Univer- 1% der Fläche des Vollmondes). Der gemessene Bereich der Rotverschiebung für viele von ihnen reicht von tiefen sum etwa 40 Prozent seines gegenwärtigen Verschiebungen von Galaxien in der heutigen Epoche bis zu den am weitesten entfernten Galaxien mit z ≈ 5,7. Ausgewählte Galaxien sind hervorgehoben und ihre Rotverschiebung und die Zeit, in der das Licht zu uns reiste, Alters hatte. Zu jenem Zeitpunkt fanden wir (als Bruchteil des Alters des Universums) angegeben. ein Universum vor, das dem, das wir heute B U L L E T I N E T H Z ü r i c h N r. 2 9 0 A u g u s t 2 0 0 3 15
Abb. 2.: Das Very Large Telescope (VLT) der ESO befindet sich auf dem 2600 m hohen Cerro Paranal in der chilenischen Atacama Wüste, wo ausgezeichnete Sichtverhältnisse herrschen. Die gesamte Anlage, die aus vier 8,2-m-Hauptteleskopen sowie mehreren auf Schienen beweglichen 1,8-m-Hilfsteleskopen besteht, stellt zurzeit das grösste optische Teleskopsystem der Erde dar. Neben exzellenten Einzelbeobachtungen mit jedem individuellen Teleskop, besteht die Möglichkeit, das Licht aller Komponenten mit Hilfe der kleineren Teleskope zu interferieren. Dadurch lassen sich Bildqualitäten erzielen, die denen eines einzigen virtuellen Teleskopes mit einem Spiegeldurchmesser von 200 m entsprechen. Dieses erfordert eine mechanische Stabilität des Systems von weniger als 1 µm, eine der herausragendsten Leistungen moderner Beobachtungstechnik. Bild: ESO Mars Saturn Alpha Centauri 13 Lichtminuten entfernt 80 Lichtminuten entfernt 4,3 Lichtjahre entfernt das entspricht 230 Mio. km das entspricht 1432 · 106 km das entspricht 40,7 · 1012 km Bild: NASA Bild: ESO Bild: ESO 16 B U L L E T I N E T H Z ü r i c h N r. 2 9 0 A u g u s t 2 0 0 3
nung auf weitere Beobachtungen mit dem eine Teleskopanlage aus einem Netzwerk schen Ariane-Rakete in den Weltraum ge- Very Large Telescope (VLT) auf dem Cerro von 64 12-m-Antennen für den Millimeter- schossen werden. Das JWST besitzt einen Paranal in Chile (Abb. 2). Wir erwarten, dass Wellenlängenbereich. Hauptspiegel von 6,5 m Durchmesser. Es diese Beobachtungen eine noch viel grös- wird zum L2-Punkt, einem Punkt eine Mil- sere Anzahl von Galaxien mit dieser Rotver- lion Kilometer von der Erde entfernt, ge- schiebung zum Vorschein bringen werden. Mit dem JWST zur Grenze des schossen. Das ist 4-mal weiter entfernt als Beinahe alle beobachtenden Untersuchun- Universums der Mond. Dort wird das ganze Teleskop bis gen von Galaxien mit sehr hoher Rotver- zu einer Temperatur von ca. 50 K abgekühlt, schiebung wurden mit Hilfe von Beobach- Wenn wir zu immer höheren Rotverschie- sodass es aussergewöhnlich empfindlich tungen im optischen und nahen Infrarot- bungen vorstossen, immer weiter hinaus in im Infraroten wird. Es ist etwa 105-mal so Wellenlängenbereich bei ca. 1 µm durchge- den Weltraum und weiter zurück in der Zeit, empfindlich wie das grösste Teleskop auf führt. Jedoch weist ungefähr die Hälfte der was wird unsere Sicht begrenzen? Wir wis- dem Erdboden. Dies sollte es ermöglichen, gesamten Strahlungsenergie, die je von Ob- sen, dass es eine endgültige Grenze gibt, die extrem rotverschobenes Sternenlicht zu jekten im Universum emittiert wurde, viel durch die Strecke festgelegt wird, die das entdecken, das wir von Objekten erwarten, grössere Wellenlängen auf, und zwar im Licht seit dem Urknall zurückgelegt haben die dieses «erste Licht» ausgesendet haben. fernen Infrarot und Submillimeter-Wellen- kann. Tatsächlich stossen wir schon vor die- Mit der Entwicklung von JWST und ALMA längenbereich um 100 µm. Diese Emission ser endgültigen Grenze auf eine praktisch wird es Astronomen innerhalb eines Jahr- wurde zuerst in den Daten des NASA-Satel- bedingte. In den ersten 350 000 Jahren nach zehntes ermöglicht, Beobachtungen aus liten COBE (Cosmic Background Imager, dem Urknall war das Universum ein undurch- der ganzen Geschichte von Sternen und Ga- 1995) als diffuser Hintergrund von ausser- sichtiges Plasma, in dem wir einzelne Ob- laxien im Universum zu machen, indem wir halb unserer Galaxie wahrgenommen. Die- jekte auch dann nicht sehen könnten, wenn die bemerkenswerte Fähigkeit unserer Tele- ser Hintergrund stammt von Staubkörnern, sie tatsächlich existierten. In Wirklichkeit skope nutzen, uns in die Vergangenheit zu die Sternenlicht absorbiert haben, das wir dürften sich die ersten leuchtenden Ob- transportieren, um dort unser Universum andernfalls im optischen Wellenbereich jekte erst einige Zeit später gebildet haben: direkt zu beobachten. entdeckt hätten. Diese Staubpartikel sind Die ersten Sterne und prägalaktischen Ob- bis auf Temperaturen von ca. 50 K aufge- jekte bildeten sich bei Rotverschiebungen heizt und strahlen diese Energie im fernen um z ≈ 20–30, was einem Zeitpunkt unge- Infrarot und im Submillimeterbereich wie- fähr 200 Millionen Jahre nach dem Urknall der ab. entspricht. Würden wir über dieses «erste Forschungsinformationen Während solche Galaxien heute weniger Licht» hinausgehen, würden wir nur einem Prof. Dr. Simon J. Lilly wurde letztes Jahr als 0,3 Prozent aller von Galaxien emittier- dunklen Universum begegnen. Möglicher- als Interdisziplinär-Wissenschaftler für ten Energie beisteuern, produzierten ähn- weise können wir dieses prägalaktische Gas das JWST ausgewählt und wird nach liche Objekte zum erwähnten Zeitpunkt mit der Hilfe der nächsten oder übernächs- dem Start einige der ersten Beobach- ungefähr 20 Prozent des gesamten Ener- ten Generation von Radioteleskopen ent- tungen mit dem Teleskop machen. Er gieausstosses des Universums. Wir vermu- decken. Aber von diesen Beobachtungen ist ebenfalls Schweizer Mitglied des ten, dass diese extrem leuchtstarken Gala- sind wir noch weit entfernt. europäischen ALMA-Ausschusses. xien den Schlüssel zum Rätsel um die Bil- Die Entdeckung des «ersten Lichts» selbst, dung und frühe Entwicklung von Galaxien d. h. der ersten Sterne und der prägalakti- darstellen. Um diese Fragen zu beantwor- schen Objekte, die das Universum bildeten, ten, wird in der Atacama-Wüste in Chile in ist das Ziel bei der Entwicklung des James- Simon Lilly 5000 m Höhe mit dem Bau des europäi- Webb-Weltraum-Teleskops (JWST). JWST, Professor für experimentelle Astrophysik schen und nordamerikanischen Atacama- der Nachfolger des Hubble-Weltraum-Teles- am Institut für Astronomie des Large-Millimeter-Arrays (ALMA) begonnen – kopes (HST), soll 2011 mit einer europäi- Departements Physik der ETH Zürich Galaktisches Zentrum Andromeda-Galaxie Deep Field 27 000 Lichtjahre entfernt 2,2 · 106 Lichtjahre entfernt Teils 16,3 · 109 Lichtjahre entfernt das entspricht 2,6 · 1017 km das entspricht 2,1 · 1019 km das entspricht 1,5 · 1023 km Bild: NOAO; AURA; NSF Bild: MPIA Bild: MPIA B U L L E T I N E T H Z ü r i c h N r. 2 9 0 A u g u s t 2 0 0 3 17
R Ö N TG E N - U N D R A D I O W E L L E N I M U N I V E R S U M DA S U N S I C H T B A R E UNIVERSUM PA O L O G R I G I S U N D A R N O L D O. B E N Z Röntgenwellen unterscheiden sich von sichtbarem Licht durch ihre tausendfach höhere Frequenz und Energie pro Photo; Radiowellen weisen hingegen eine tausendfach kleinere Frequenz und Energie auf. Viele Himmelskörper strahlen in allen Wellenlängenbereichen vom Röntgen- bis zum Radiobereich. Sind Röntgen- und Radiostrahlung besonders intensiv, ist dies immer ein Indiz für hochenergetische Vorgänge. Farbkodierte Röntgenaufnahme des Zentrums der Milchstrasse, gewonnen mit dem Satelliten CHANDRA. Der Ausschnitt umfasst 2 x 0,8 Grad, entsprechend 900 x 360 Lj. Bild: NASA Röntgen- und Radiowellen beinhalten kom- chemische Entwicklung. Hochenergiepro- nen und Protonen beschleunigt, deren to- plementäre Informationen und werden oft zesse sind die Ursache für die heissen Hül- tale Energie das Millionenfache des jährli- zur Fernerkundung von Teilchen mit hoher len von Sternen, und in der Folge für Schock- chen Schweizer Stromverbrauchs beträgt. Energie gemeinsam beobachtet. Die hoch- wellen und Sternwinde. Einzelne kosmische Die Ausgangsenergie liegt im Magnetfeld energetischen Vorgänge im Universum sind Hochenergieteilchen erreichen Energien und in elektrischen Strömen. Sie wird ver- allgemein von Interesse, da sie mit ihren un- von 1020 eV und übertreffen damit die Pro- mutlich zunächst in turbulente Wellen um- vorstellbaren Energien seine Entwicklung dukte von irdischen Teilchenbeschleunigern gewandelt, die ihre Energie den Teilchen mitprägen. Hochenergetische Teilchen durch- um viele Zehnerpotenzen. Für die kosmi- der Sonnenkorona weitergeben. Andere Vor- dringen zum Beispiel selbst Dunkelwolken, schen Beschleunigungsprozesse scheint zu gänge wie Schockwellen und elektrische in denen Sterne entstehen, und ionisieren gelten, dass sie umso weniger verstanden Felder spielen energetisch eine untergeord- sowohl Moleküle als auch Atome. Dies hat werden, je näher sie bei der Erde stattfin- nete Rolle. entscheidende Auswirkungen auf die Stern- den. In Sonneneruptionen werden in weni- entstehung im Allgemeinen sowie auf die gen Sekunden grosse Mengen von Elektro- Abb. 1: Das Spektrogramm von Röntgen- und Radiowellen der Sonneneruption vom 24. April 2003, beobachtet mit RHESSI und dem Spektrometer Phoenix-2 der ETH. Die Intensität der beiden Wellen wird für jedes Energie- bzw. Frequenzintervall (vertikale Achse) und jedes Zeitintervall (horizontale Achse) in Bildform aufgetragen. Die Darstellung erlaubt einen Überblick über die verschiedenen Emissionsprozesse hochenergetischer Elektronen. 18 B U L L E T I N E T H Z ü r i c h N r. 2 9 0 A u g u s t 2 0 0 3
Entwicklung der Radio- und Röntgenbeobachtungen Röntgenstrahlen erreichen die Erdoberfläche nicht und müssen im Weltraum beobachtet werden. Das macht Röntgenteleskope teuer und limitiert ihre Grösse. In den 1960er-Jah- ren wurden von Raketen aus kosmische Rönt- genstrahlen entdeckt. Seither haben die Be- obachtungsmöglichkeiten beachtlich zuge- nommen, doch sind sie immer noch durch den kleinen Fluss der beobachteten kosmi- schen Röntgenphotonen begrenzt. Radio- wellen hingegen können auf der Erdober- fläche seit gut 50 Jahren mit viel grösseren Teleskopen gemessen werden. Sie haben ebenfalls von der technischen Entwicklung profitiert. Es gibt heute Interferometer mit zusammengeschalteten Teleskopen über Abb. 2: Die aktive Sonnenkorona in den Wellenlängen des extremen Ultravioletts (blau), Röntgenstrahlen (gelb) und Radiowellen (rot). ganze Kontinente, welche selbst von relativ Der Bildausschnitt zeigt einen Zehntel des Sonnenradius nahe der kleinen kosmischen Quellen scharfe Bilder Mitte der Sonnenscheibe am 1. Oktober 2002. machen können. später wird von 2000 MHz bis 4000 MHz erscheint. Diese Struktur scheint der Ort zu die intensive Synchrotronstrahlung ener- sein, wo die Koronaaktivität Energie frei- Sonnenbeobachtungen mit RHESSI giereicher Elektronen sichtbar (rot). Zwi- setzt. Die mehrere hunderttausend Kilome- schen 1000 und 2000 MHz wurden Pulsa- ter lange Struktur ist wahrscheinlich zu Die Teilchenbeschleunigung in der Sonnen- tionen (rot) registriert, die direkt dem Be- heiss für TRACE. Die beschleunigten Elek- korona hinterlässt Spuren in Röntgen- und schleunigungsprozess zugeschrieben wer- tronen gelangen zum Bogen, wo sie ihre Radiowellen. Abb. 1 zeigt das Spektrum ei- den. Eine Schockwelle macht sich als drif- Energie durch Stösse unter Abstrahlung ner Sonneneruption in beiden Bereichen. tende Struktur von 600 bis 100 MHz be- von Röntgenwellen verlieren. Verschiedene Energien und Frequenzen sind merkbar (gelb). Bei etwas höheren Frequen- Die Entdeckung von Aktivitätszonen ist nur vertikal gegen den zeitlichen Verlauf (hori- zen zeigt sich vermutlich eine sekundäre Be- möglich, indem Röntgen- und Radiowellen zontal) aufgetragen. Je intensiver eine Emis- schleunigungsregion, die sich in der Korona kombiniert werden. Noch ist dies nur in sion, desto heller wird sie als Bildpunkt im nach aussen bewegt (gelb-grün). speziellen Fällen möglich, wenn verschie- so genannten Spektrogramm eingetragen. dene Instrumente gleichzeitig beobachten. Die Röntgenbeobachtungen stammen vom An Abb. 2 waren vier Teleskope beteiligt. NASA-Satelliten RHESSI (Ramaty High Energy Strukturen in der Sonnenkorona Ihre Kombination ist wie ein Puzzle, das erst Solar Spectroscopic Imager), der mit Detek- dann einen Sinn gibt, wenn genügend Ele- toren aus Germanium ausgerüstet ist und Der RHESSI-Satellit kann erstmals die ener- mente zusammengefügt sind. die Energie jedes einfallenden Röntgen- giereiche Röntgenstrahlung abbilden mit- quants genau messen kann. Die ETH war an tels eines neuen bildgebenden Verfahrens. der Software-Entwicklung für den Satelli- Zum ersten Mal können Astrophysiker die ten beteiligt und besitzt ein Datenzentrum, Sonnenkorona gleichzeitig in den wichtigs- Forschungsinformationen in dem alle Messungen vorverarbeitet und ten Wellenlängen studieren. In Abb. 2 ist die Paolo Grigis gehört zur Arbeitsgruppe gespeichert werden. Die Radiowellen in Quelle der Röntgenstrahlung auf einem von Prof. Dr. A. Benz. Der Forschungs- Abb. 1 hat das ETH-Spektrometer Phoenix-2 Bild des TRACE-Satelliten (Transition Region schwerpunkt dieser Arbeitsgruppe ist in Bleien bei Gränichen (AG) empfangen. Es And Coronal Explorer) eingezeichnet, der die Plasmaphysik. P. Grigis arbeitet im ist das breitbandigste Radioteleskop der die ruhige Korona in einer Spektrallinie des Rahmen seiner Doktorarbeit auf dem Erde und speziell für spektrale Übersichts- achtfach ionisierten Eisens beobachtete Gebiet der koronalen Heizungsvorgänge, messungen geeignet. Die Röntgenphoto- (Temperatur etwa 1,5 Millionen K). Die Ra- Mikroflares sowie Beschleunigungspro- nen unter 20 keV in Abb. 1 stammen vor al- diostrahlung wurde mit dem ETH-Spektro- zesse in Sonneneruptionen. lem aus dem über 20 Millionen Grad heis- meter identifiziert und auf der Frequenz http://hesperia.gsfc.nasa.gov/hessi/, sen Plasma der Eruption. Photonen mit von 327 MHz mit dem Very Large Array in http://www.hessi.ethz.ch/pop/ höherer Energie wurden durch Hochener- New Mexico (USA) lokalisiert. Die roten gie-Elektronen verursacht. Um 12.50 Uhr Kreise zeigen ihre Position und Stärke. am 24. April 2003 bewegte RHESSI eine Ab- Im räumlichen Vergleich von Röntgen- und Paolo Grigis sorberplatte vor die Detektoren, um sie vor Radiowellen (Abb. 2) zeigen sich überra- Doktorand am Institut für Astronomie Sättigung zu schützen. Die Radiostrahlun- schende Unterschiede. Während die Rönt- der ETH Zürich gen beginnen um 12.48 Uhr bei 800 MHz genstrahlung aus dem oberen Teil eines (etwas unterhalb der Frequenz von Mobil- Magnetbogens stammt, sind die Radioquel- Arnold Benz telefonen). Sie werden von Elektronenstrah- len entlang einer höher liegenden Struktur Professor am Institut für Astronomie len in der Sonnenkorona verursacht. Etwas angeordnet, welche im TRACE-Bild dunkel der ETH Zürich B U L L E T I N E T H Z ü r i c h N r. 2 9 0 A u g u s t 2 0 0 3 19
T E I LC H E N P H Y S I K U N D KO S M O L O G I E ARCHÄOLOGI E DES UNIVERSUMS F E L I C I TA S PAU S S Allnächtlich fasziniert uns die Pracht des Sternenhimmels. Jedoch ruft der Blick in die unermessliche Ferne auch Fragen auf: «Woraus besteht unser Uni- versum? Wie gross ist es? Hatte es immer diese Form? Wird es immer so bleiben?» Was wissen wir heute über die Entstehung und Entwicklung unseres Universums? Wichtige Thesen dazu können mit Hilfe der Teilchenphysik überprüft werden. 30 Doradus, eine Sternentstehungsregion in der Grossen Magellanschen Wolke im Sternbild Doradus (Schwertfisch). Bild: NASA Ein Zitat von Einstein lautet: «Das Unver- Die Welt der Elementarteilchen Der Ursprung der Teilchenmassen: ständlichste am Universum ist, dass wir es Was ist die Ursache für die mehrere Zehner- verstehen!» Was hat Einstein mit dieser Mit immer komplexeren Experimenten bei potenzen auseinanderliegenden Teilchen- Aussage gemeint? Von Einsteins ursprüng- höchsten zur Verfügung stehenden Teil- massen? Wie erhalten Teilchen ihre Masse? licher Annahme, dass das Weltall statisch chenstrahlenergien ist es in den vergange- Der so genannte Higgs-Mechanismus ist im ist, bis zum heutigen, scheinbar schneller nen Jahrzehnten gelungen, die Grundbau- Standardmodell für die Erzeugung der Teil- expandierenden Weltraum gab es viele Ent- steine der Materie und ihre Wechselwirkun- chenmassen verantwortlich. Sein experi- wicklungen und Erkenntnisse, zu denen gen zu erforschen. Seit 1989, dem Beginn menteller Nachweis oder das Aufdecken al- auch die Welt des Mikrokosmos – die Welt der Datennahme am Large-Electron-Po- ternativer Möglichkeiten ist eine zentrale der Teilchenphysik – wesentlich beigetra- sitron Collider (LEP), dem Beschleuniger am Aufgabe am zukünftigen Large Hadron Col- gen hat. Gerade diese Verbindung zeigt CERN in Genf, wissen wir, dass es zwölf lider (LHC) des CERN (vgl. Kasten S. 22). eine der faszinierendsten Entwicklungen Grundbausteine der Materie gibt: sechs der vergangenen Jahre, nämlich die zuneh- Quarks und sechs Leptonen. Neben diesen Die Vereinigung der fundamentalen Kräfte mende Symbiose zwischen Teilchenphysik Grundbausteinen gibt es auch noch weitere in einer einheitlichen Theorie: und Kosmologie. Gemeinsames Ziel ist es, Teilchen. Diese sind für die Kräfte, die zwi- Gibt es eine Kraft als gemeinsamen Ursprung ein einheitliches Bild der Welt zu erhalten, schen den Grundbausteinen wirken, verant- der bekannten fundamentalen Kräfte? Die das von den kleinsten Abständen zur Zeit wortlich. Die als «Standardmodell der Teil- am LEP sehr genau vermessenen Stärken des Urknalls bis zu kosmischen Dimensio- chenphysik» bezeichnete Theorie beschreibt der Kräfte (elektromagnetische, schwache nen, d. h. der Grösse unseres sichtbaren die verschiedenen Wechselwirkungen zwi- und starke Wechselwirkung) deuten auf Weltalls, gültig ist (Abb. 1). Ein solches Bild, schen den Grundbausteinen und gehört eine Vereinheitlichung der fundamentalen welches die Entwicklung des Universums wegen ihrer genauen, von Experimenten Kräfte hin, die sich bei sehr hohen Energien vom Urknall bis heute zeigt, muss die in den bestätigten Vorhersagen zu den grossen Er- manifestieren, wie sie in den ersten Augen- unterschiedlichen Bereichen beobachteten rungenschaften der modernen Teilchen- blicken nach dem Urknall existierten. Die Phänomene durch dieselben Gesetzmässig- physik. Insbesondere haben die am LEP er- supersymmetrische Erweiterung des Stan- keiten miteinander verbinden. Wichtige haltenen Ergebnisse, welche auf einer dardmodells sagt eine solche Vereinheitli- Voraussagen zur Entstehung des Weltalls zwölfjährigen Datennahme und Analyse chung voraus und stellt auch eine Symme- können mit Experimenten in der Teilchen- der e+e--Kollisionen bei Schwerpunktener- triebeziehung zwischen den Grundbaustei- physik überprüft werden. Andererseits hat gien bis zu 209 GeV beruhen, einen wesent- nen der Materie und den Trägerteilchen der die Kosmologie einen bedeutenden Einfluss lichen Beitrag dazu geleistet. Wechselwirkungen her. Als Konsequenz auf teilchenphysikalische Aspekte, wie z. B. dieser Theorie müsste es auch eine neue Art die Frage nach der Existenz und Natur von Materie geben, die gleichzeitig mit der neuartiger Materieformen, der offensichtli- Fundamentale offene Fragen uns bekannten Materie existieren kann. chen Asymmetrie zwischen Materie und Diese neue Welt des Mikrokosmos zu ent- Antimaterie oder der Struktur von Raum Trotz des bisher enormen Erfolges des Stan- decken und ihre Gesetzmässigkeiten zu und Zeit. dardmodells lässt es einige fundamentale studieren, gehört mit zu den wichtigsten Fragen unbeantwortet. Für die weitere Ent- Zielsetzungen am LHC. wicklung und somit für ein besseres Ver- ständnis der Physik des Mikrokosmos soll- ten in der Zukunft Antworten auf folgende Fragen gefunden werden: 20 B U L L E T I N E T H Z ü r i c h N r. 2 9 0 A u g u s t 2 0 0 3
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