POLITISCHE STUDIEN 497 - Hanns-Seidel-Stiftung
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POLITISCHE STUDIEN 497 Magazin für Politik und Gesellschaft 72. Jahrgang | Mai-Juni 2021 | ISSN 0032-3462 /// IM FOKUS WIE GEHT ES WEITER? /// Im Zeitgespräch: Frauke Höntzsch zu Demokratie und ihrer Gefährdung – S. 6 /// Monika Hohlmeier: Verteidigung grundlegender Werte und rechtsstaatlicher Prinzipien der EU – S. 44 /// Volker Ullrich: Der Anschlag am Berliner Breitscheidplatz – S. 54 /// Michael Christ: Ehrenamt in Zeiten von Corona – S. 64 www.hss.de
„ Unsere Demokratie FUNKTIONIERT trotz Corona-Pandemie und Lockdown. EDITORIAL WAHLEN IM KRISENMODUS Die Wahlen zum 20. Deutschen Bundestag am 26. September 2021 werden anders ablaufen als alle Bundestagswahlen zuvor. Sicher ist wohl nur, dass sie an diesem Sonntag stattfinden werden und ein neuer Bundestag ge- wählt wird, der eine neue Bundesregierung ins Amt bringen wird. Unsere Demokratie funktioniert und wird auch durch Megakrisen wie die Corona- Pandemie nicht beeinträchtigt. Andererseits stehen wir vor einem komplett neuen Szenario: Die amtieren- de Bundeskanzlerin tritt nicht mehr an. Das Ende der Ära Angela Merkel bringt einen Wechsel in dieser Führungsposition mit sich. Auch das neue Re- gierungsbündnis ist völlig offen: In Deutschland haben sich in den Ländern so viele verschiedene Koalitionen gebildet, dass auch für den Bund kaum etwas auszuschließen ist außer einer Beteiligung der AfD. Die Pandemie und ihre Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft werden in diesem Jahr noch viel Unsi- cherheit und Veränderungen mit sich bringen, was die Prognosen für den Wahlausgang erschwert. Neuland betreten wir auch in der politischen Kommunikation: Mögli- cherweise gibt es erstmals nationale Wahlen ohne große Veranstaltungen. Ein Bundestagswahlkampf ohne viele klassische Elemente wirft Fragen nach der Mobilisierungsfähigkeit auf. Können alle Parteien ihre Wählerschaft rein on- line ansprechen? Wie wirkt sich der weitgehende Verzicht auf direkten Kon- takt mit dem Wähler aus? Schließlich wird der Wahlakt selbst ein Novum: Der Anteil an Briefwäh- lern wird einen Rekordwert erreichen. Bei den letzten Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz stieg er auf zwei Drittel. Ein Großteil der Wähler könnte schon ab Ende August ihre Stimme abgeben – der Wahlkampfendspurt muss sich also vorverlagern. Wie sich das alles auf das Ergebnis auswirkt, ist noch nicht abzusehen – unabhängig von der Kandidatenfrage. Dr. Gerhard Hirscher ist Leiter der Leitungsstelle Grundlagen der Demokratie, Parteien- forschung, Wahlforschung der Hanns-Seidel-Stiftung, München. 497/2021 // POLITISCHE STUDIEN 3
64 INHALT 13 IM FOKUS POLITISCHE-STUDIEN- AKTUELLES BUCH ZEITGESPRACH 13 WIE GEHT ES WEITER? 72 F EHLTRITTE DER Einführung 06 DEMOKRATIE IN GEFAHR? BILDUNGSPOLITIK GERHARD HIRSCHER Wir sind das Volk! Wo hakt es? FRAUKE HÖNTZSCH THOMAS M. KLOTZ 17 WÄHLER UND PARTEIEN IM SUPERWAHLJAHR 2021 Corona-Wahlen ohne die Corona-Titanin ANALYSEN RUBRIKEN KARL-RUDOLF KORTE 44 DIE EU VERTEIDIGT IHRE 03 EDITORIAL 26 DIE STÄRKE DER AFD GRUNDLEGENDEN WERTE 75 REZENSIONEN 17 UND DER PARTEI DIE LINKE Das Wahlverhalten in den neuen UND RECHTSSTAATLICHEN PRINZIPIEN 84 86 ANKÜNDIGUNGEN IMPRESSUM Bundesländern Sind sie in Gefahr? ECKHARD JESSE MONIKA HOHLMEIER 37 DER BUNDESTAGSWAHLKAMPF IM 54 DER ANSCHLAG AM BERLINER ZEITALTER DER TRANSFORMATION BREITSCHEIDPLATZ Zukunft gestalten durch Zusammenhalt, Die Arbeit des parlamentarischen Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit Untersuchungsausschusses STEFAN MÜLLER VOLKER ULLRICH 64 EHRENAMT IN ZEITEN VON CORONA Hilfe und Nähe trotz Abstand 54 MICHAEL CHRIST 4 POLITISCHE STUDIEN // 497/2021 497/2021 // POLITISCHE STUDIEN 5
Quelle: iStock.com/robertmandel In der Demokratie geht die Herrschaft vom Volk aus. /// Wir sind das Volk! DEMOKRATIE IN GEFAHR? /// IM ZEITGESPRÄCH: DR. FRAUKE HÖNTZSCH 48,4 % der Weltbevölkerung leben in einer Demokratie. Diese Herrschafts- ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin form hat sich seit der Antike gehalten und erfolgreich bewährt. Globalisierung am Lehrstuhl Politikwissenschaft, und andere Herausforderungen wirken sich aber zunehmend destabilisierend Politische Theorie an der Universität aus und stellen somit ernsthafte Gefahren für Demokratien dar. Wir haben Augsburg. dazu die Politikwissenschaftlerin Frauke Höntzsch befragt. 6 POLITISCHE STUDIEN // 497/2021 497/2021 // POLITISCHE STUDIEN 7
„ POLITISCHE-STUDIEN-ZEITGESPRÄCH Politische Studien: Frau Dr. Höntzsch, tiert. Umgekehrt soll die demokrati- Sie forschen über Demokratie. Kurz ge- sche Teilhabe die gleiche individuelle sagt: Was ist eine Demokratie? Freiheit schützen. Die Herausforde- rung liegt in der Balance: Eine einsei- Der demokratische Lackmustest liegt in der AKZEPTANZ der Frauke Höntzsch: Demokratie be- tig individualistisch verstandene mangelnden Mehrheitsfähigkeit der eigenen Position. deutet zunächst einmal „Herrschaft Freiheit stört das fragile Gleichge- des Volkes“, das heißt, das Volk wird wicht. Aufgrund der Unterschiede nicht nur beherrscht, es herrscht zu- im Gebrauch erzeugt individuelle gleich. Das zentrale Prinzip der De- Freiheit zwangsläufig ökonomische mokratie ist folglich die Gleichheit, und gesellschaftliche Ungleichheit. aus der die Freiheit erwächst, nach Übersetzt sie sich in politische Un- dem selbstgegebenen Gesetz zu le- gleichheit, gerät auch die Freiheit in formismus und Gleichmacherei, die ausgeht, die versucht, die Mehrheit ben. Während diese Grundprinzipi- Gefahr. Deshalb muss nicht nur das der politischen Unterdrückung den von ihrem Anliegen zu überzeugen – en über die Zeit Bestand hatten, wa- Individuum vor staatlicher und ge- Boden bereiten. Auch das Mehrheits- das ist Ausdruck gelebter Demokra- ren die Fragen, wer zum Volk gehört sellschaftlicher Willkür geschützt prinzip als Verfahrensregel kann nie- tie. Von Willkür kann man erst spre- und wie seine Herrschaft als Herr- werden, sondern auch die demokra- mals absolut gelten, weil anderenfalls chen, wenn die Interessen einer Min- schaft der Gleichen und Freien orga- tische Zusammenarbeit vor individu- die Möglichkeit bestünde, dass sich derheit gewaltsam oder am demokra- nisiert wird, historischen Verände- eller Willkür in Gestalt mächtiger die Demokratie selbst abschafft. Das tischen Prozess vorbei durchgesetzt rungen unterworfen. Einzelinteressen. heißt: Genauso wie die demokrati- werden sollen. Der demokratische sche Entscheidung vor dem Einfluss Lackmustest liegt gewissermaßen in mächtiger Einzelinteressen geschützt der Akzeptanz der mangelnden Demokratie ist also eine Herrschaftsform, In der Demokratie entscheidet der Wille werden muss, so muss umgekehrt die Mehrheitsfähigkeit der eigenen Posi- die allen Bürgern gleiche Mitsprache und der Mehrheit. Alexis de Tocqueville be- Garantie individueller Freiheitsrechte tion. Die Behauptung vieler Populis- dadurch Freiheit garantiert. Inwieweit ist zeichnete dies als Diktatur der Mehrheit. dem Zugriff der demokratischen Ver- ten, sie verträten eine „schweigende“ das mit dem individualistischen Liberalis- Wird hier also die Minderheit unterdrückt fügungsgewalt entzogen sein. Die li- Mehrheit, ist in dieser Hinsicht ent- mus vereinbar? und wie verträgt sich das mit dem demo- berale Rahmung der Demokratie ist larvend. kratischen Gleichheitsprinzip? unverzichtbar. Die Verbindung von Liberalismus und Demokratie ist der Versuch, Gleichheit befördert die Freiheit des Wie steht es mit dem Gemeinwohl und der Gleichheit und Freiheit unter den Be- Einzelnen nicht nur, sie kann sie auch Umgekehrt können und dürfen aber indi- individuellen Freiheit in einer Volkssouve- dingungen moderner Gesellschaften gefährden. Das bringt die „Tyrannei vidualistische Einzelinteressen wie z. B. ränität? Wie verträgt sich das mit der poli- zu ermöglichen. Individuelle Freiheit der Mehrheit“ zum Ausdruck. Toc- bei Stuttgart 21, Klimaschützern oder tischen Realität? „ wird hier als Voraussetzung gleicher queville denkt dabei zunächst an die Gegnern von Corona-Maßnahmen nicht politischer Teilhabe rechtlich garan- gesellschaftliche Dimension, an Kon- über den gesamtstaatlichen stehen und Theoretisch basiert unser politisches zur individuellen Willkür einzelner Inter- System auf der Annahme, dass der essensgruppen werden. Wie kann man freiheitliche Ausgleich individueller dem entgegenwirken und doch allen − Interessen zum Gemeinwohl führt. demokratisch − Mitsprache geben? In der Praxis aber funktioniert das in den meisten Fällen nicht. Und das ist Ob es sich nur um Einzelinteressen nicht wirklich überraschend: Weil Demokratie bedeutet zunächst einmal ‚Herrschaft handelt, das gilt es im demokrati- Freiheit ein Recht ist, das wir uns des VOLKES‘. schen Willensbildungsprozess her- wechselseitig zugestehen, lässt sie auszufinden. Es ist nicht ungewöhn- sich nicht durch die rücksichtslose lich, dass Protest bis hin zu zivilem Verfolgung der eigenen Interessen Ungehorsam von einer Minderheit garantieren. Die Garantie gleicher 8 POLITISCHE STUDIEN // 497/2021 497/2021 // POLITISCHE STUDIEN 9
„ POLITISCHE-STUDIEN-ZEITGESPRÄCH Freiheit ist die Grundvoraussetzung Grundlage unserer aller Freiheit. Ein liberaler Demokratie und liegt als Verbot erscheint mir dadurch ge- solche in unser aller Interesse. Indi- rechtfertigt. Die Behauptung „alter- viduelle Interessen sind so verstan- nativer Fakten“ und der Vorwurf der Freiheit und Gleichheit sind Forderungen, die an den nicht irrelevant, ihre Berücksich- „Lügenpresse“ setzen den demokrati- NATIONAL staatlichen Grenzen nicht Halt machen. tigung müsste aber im demokrati- schen Diskurs außer Kraft. Leugnet schen Aushandlungsprozess stets man die Existenz einer geteilten unter dem Vorbehalt dieses funda- Wirklichkeit, leugnet man die mentalen gemeinschaftlichen Inter- Grundlage, auf der sich widerstrei- esses stehen. tende Meinungen überhaupt erst bil- den können, und damit zuletzt auch der Demokratie. cieren wollen, fordern Populisten eine sche Ungleichheit befördert – inner- In einer Demokratie herrscht ja Mei- „illiberale Demokratie“: keine Ord- halb einzelner Staaten wie im Ver- nungsfreiheit. Muss es hier nicht auch nung, die gleiche Freiheit gewährleis- hältnis der Staaten untereinander. Grenzen geben, wenn man z. B. an Phäno- Die Stabilität von Demokratien wird zu- tet, sondern eine, in der eine Elite Die transnationalen Protestbewegun- mene wie „Hate Speech“, „alternative nehmend bedroht. Populismus und Pro- herrscht, die den wahren Volkswillen gen reagieren wie die populistischen Fakten“ oder den Vorwurf der „Lügen- testbewegungen sind auf dem Vormarsch zu kennen vorgibt. Davon zeugen Bewegungen auf diese Zuspitzung, presse“ denkt? und werfen die Frage auf, wie weit Pro- auch die eingesetzten Mittel: Protest die einen mit der Forderung nach ei- test und Widerstand gehen dürfen und kann und muss den Bereich des Lega- ner (Re-)Demokratisierung auch der Diese Phänomene sind durch die be- wann es ein Angriff auf und damit eine len auch im demokratischen Rechts- globalen Zusammenarbeit, die ande- reits existierenden Beschränkungen, Gefahr für den Staat ist. Ereignisse wie staat bisweilen verlassen, um Verän- ren mit Abschottung und Nationalis- etwa im Falle von Beleidigung oder vor dem Reichstag in Berlin und dem Ka- derungen anzuregen, etwa in Form mus. Ob Letzteres möglich ist, daran Verleumdung, nur teilweise abge- pitol in Washington haben das ja ganz zivilen Ungehorsams. Gewalt gegen lässt sich nicht erst angesichts der deckt; zugleich hat sich die Frage drastisch gezeigt. Personen aber missachtet die gleiche Corona-Pandemie zweifeln. durch ihre digitale Verbreitung ver- Freiheit als Grundvoraussetzung der schärft. Hassrede stellt einen Angriff Es ist wichtig, zwischen demokrati- Demokratie und kann im Rahmen ei- auf das Prinzip demokratischer schem Protest und Bewegungen, die nes intakten demokratischen Rechts- Hat die Demokratie auch in einer globalen Gleichheit dar, weil sie Mitgliedern die Demokratie letztlich infrage stel- staats niemals legitim sein. Welt mit all ihren neuen Herausforderun- einer durch ihre Herkunft bestimm- len, zu unterscheiden. Während neue- gen noch eine Zukunft? ten Gruppe, indem sie sie öffentlich re transnationale Protestbewegungen diffamiert, die gleiche Zugehörigkeit Liberalismus und Demokratie mit Ist die Demokratie als Herrschaftsform Das hoffe ich! Wir sollten versuchen, „ zur politischen Gemeinschaft ab- Blick auf undemokratische globale vielleicht auch in der Krise, weil sie sich die Herausforderungen als Chance zu spricht. Sie gefährdet dadurch die Entscheidungsprozesse neu ausbalan- selbst überfordert, indem sie nicht mehr sehen. Auf globaler Ebene dominie- halten kann, was sie verspricht? ren in noch viel höherem Maße als innerhalb liberaler Demokratien ein- Auch die liberale Demokratie selbst flussreiche Einzelinteressen politi- ist mit sich wandelnden Erfordernis- sche Entscheidungen – auch hier sen konfrontiert und muss sich die- langfristig zum Schaden aller. Das sen anpassen. Wie das 19. Jahrhun- Überleben nationaler Demokratien Es ist wichtig, zwischen demokratischem Protest und dert mit der sozialen Frage konfron- wird sich nicht zuletzt daran entschei- Bewegungen, die die Demokratie letztlich infrage stellen, tiert war, so sind wir heute mit einer den, ob es gelingt, auf globaler Ebene zu UNTERSCHEIDEN. „globalen Frage“ konfrontiert. Die Formen der Zusammenarbeit zu etab- Globalisierung führt stärker denn je lieren, die den Werten der liberalen vor Augen, dass eine rein individua- Demokratie gerecht werden. Freiheit listisch verstandene Freiheit politi- und Gleichheit sind Forderungen, die 10 POLITISCHE STUDIEN // 497/2021 497/2021 // POLITISCHE STUDIEN 11
„ POLITISCHE-STUDIEN-ZEITGESPRÄCH IM FOKUS DEMOKRATIE ist nicht selbstverständlich und muss aktiv gestaltet und erneuert werden. an nationalstaatlichen Grenzen nicht Halt machen. Die Finanz-Krise, die Klima-Krise, die Corona-Krise – all das führt uns vor Augen, dass die na- tionalen Demokratien über ihre Gren- zen hinaus denken müssen, wollen sie /// Einführung Bestand haben. WIE GEHT ES WEITER? Welche Rolle spielt hier das Demokratie- verständnis und wie kann man es bewir- GERHARD HIRSCHER /// Diese Bundestagswahl wird anders sein als alle ken und fördern? bisherigen Bundestagswahlen. Die Amtsinhaberin tritt nicht mehr an. Die führende Regierungspartei kann daher nicht mit einem Amtsbonus rechnen. Wir müssen uns bewusst sein, dass Die Corona-Pandemie überlagert gegenwärtig alle anderen Themenfelder, Demokratie nicht selbstverständlich aber diese bleiben in ihrer Relevanz erhalten und fordern die Parteien in ist und mehr noch, dass wir sie aktiv ihrer jeweiligen Lösungskompetenz. Wer immer die neue Bundesregierung gestalten und erneuern können und stellt, wird sich mit den Folgen von Corona noch lange beschäftigen müssen. müssen. Hier spielen auch die Politi- Das Wahljahr 2021 könnte einen grundlegenden Einschnitt in die deutsche schen Stiftungen als Orte der Begeg- Politik bedeuten. nung und des Austausches eine wich- tige Rolle: indem sie uns Bürger über zentrale politische Fragen unserer Zeit miteinander ins Gespräch brin- Wahlen im Schatten von Corona – diese den Wählern kaum direkt präsentieren. gen, uns in unseren Vorstellungen he- Überschrift hätte man sich Ende letzten Unmittelbarerer Kontakt mit den Kan- rausfordern und dadurch politische Jahres für das Superwahljahr 2021 si- didaten ist wahrscheinlich gar nicht Teilhabe, auch in Form demokrati- cher nicht gewünscht. Aber sie wird möglich und Großveranstaltungen dürf- schen Widerspruchs, aktiv fördern. wohl auch die Bundestagswahl am 26. te es überhaupt nicht geben. Welche September 2021 beschreiben – und alle Konsequenzen hat es, wenn die Volks- noch ausstehenden Landtagswahlen parteien das Volk nur elektronisch kon- Die Fragen stellte Verena Hausner, Stv. ebenfalls. Allein die technischen Un- taktieren können, wenn es keine Öffent- Leiterin des Referats „Publikationen“, wägbarkeiten sind enorm: Unsere parla- lichkeit mit Face-to-Face-Kontakt gibt, Hanns-Seidel-Stiftung, München. /// mentarische Demokratie betritt Neu- wenn die große Masse der Wähler gar land und noch nie waren die Möglich- nicht mehr ins Wahllokal will (oder keiten für den Wahlkampf so unklar wie darf?), sondern in den Wochen zuvor heute. Die Parteien können ihr Angebot ihre Stimmzettel anderswo ausfüllt? 12 POLITISCHE STUDIEN // 497/2021 497/2021 // POLITISCHE STUDIEN 13
IM FOKUS Sicher ist nur: Die Karten werden neu Linken rückläufig, für die AfD aber die gemischt. Die Corona-Pandemie und einzige (und wahrscheinlich) vergebli- ihre Folgen werden auch weiterhin viele che Hoffnung auf Direktmandate oder Unwägbarkeiten bringen. Gleichzeitig mindestens einer überdurchschnittli- sind die bisherigen Faktoren, die die po- chen Akzeptanz. Aber auch dort wurde litische Partizipation in unserem Land in das Sentiment der Vernachlässigung den letzten Jahren bestimmt haben, wei- und der bisweilen daraus resultierenden terhin wirksam, wie alle Autoren dieses Unzufriedenheit überlagert durch Coro- Schwerpunkts beschreiben. Aber es ist na und die Folgen. Auch wenn, wie auch offensichtlich, wie Karl-Rudolf manche Wissenschaftler vermuten, ein Korte betont, dass wir es nicht mit einer Fünftel der Bevölkerung in West- wie Krise des parlamentarischen Systems zu Ostdeutschland für populistische oder tun haben. Ganz im Gegenteil: Die „Di- gar extremistische Angebote empfäng- stanz-Demokratie“ hat zu höherer Resi- lich sein sollte, hat auch die jüngste Ver- lienz in der Bevölkerung geführt. Aber gangenheit gezeigt: Die Mitte ist stabil. Korte lässt keinen Zweifel an der Bedeu- Die große Mehrheit der deutschen Be- tung der Problemlösungsfähigkeit der völkerung sieht sich dort verankert und Quelle: iStock.com/Torsten Asmus Parteien und der Spitzenkandidaten: Die will von dort auch regiert werden. Corona-Krise werde „wahlentschei- dend“ sein. Entscheidungspolitik wird sich stärker manifestieren als die Dar- stellungspolitik früherer Jahre. Die „au- ßeralltägliche Logik“ dieses Wahljahres Viele unterschiedliche Themen- lässt viele Alternativen offen – der felder werden den AUSGANG der Die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag – eine Wahl unter völlig neuen Vorzeichen Wunsch nach Kontinuität in der Krise Bundestagswahl bestimmen – ist ein Vorteil für die Regierungspartei- nicht nur Corona. en, lässt aber für die Oppositionspartei- Jenseits der technischen Konsequenzen scheinlichkeit ebenfalls. Aber was en (außer der AfD) alles offen. stellt sich die Frage nach den politischen kommt dann? Am wahrscheinlichsten Noch ein Beleg für die Resilienz in Folgen der Corona-Krise. Die beiden scheint eine neue Bundesregierung un- der Demokratie der Bundesrepublik Landtagswahlen in Baden-Württem- ter Führung von CDU und CSU – in Deutschland: Extremisten und Populis- berg und Rheinland-Pfalz am 14. März welcher personellen Konstellation auch ten konnten bisher von der Corona-Kri- Wichtig ist aber auch: Die Bundes- 2021 zu Beginn des Superwahljahres immer. Aber angesichts der volatilen se nicht profitieren. Zwar gibt es immer tagswahl kann und wird sich nicht nur haben die jeweiligen Regierungskoaliti- Stimmungslage und der bisherigen Frag- wieder Aktionen und Demonstrationen um Corona drehen. Wie Stefan Müller onen bestätigt. Ist es also so, dass Regie- mentierung der Parlamente ist auch ein von Impfgegnern und Querdenkern, an in seinem Beitrag unterstreicht, ist der rung und Exekutive als Krisenmanager Bündnis gegen die Union möglich. die sich auch radikalere Gruppen und gesellschaftliche Zusammenhalt ein profitieren? Ob das für die Bundestags- Systemfeinde andocken. Aber im deut- entscheidender Faktor, der bei der wahl auch gilt, ist mehr als zweifelhaft. schen Parteienspektrum (im Bund wie Wahlentscheidung und deswegen auch Eher wird die Hoffnung auf Besserung in den Ländern) sieht es anders aus: im Wahlkampf berücksichtigt werden nach Überwindung der Pandemie zum Eckhard Jesse zeigt, dass AfD wie Linke muss. Die Politik müsse nicht nur auf Tragen kommen. Ein Wechsel im Amt Der Ausgang der Bundestagswahl als „populistische Parteien“ nicht von die sozioökonomische Konfliktlinie des Bundeskanzlers ist (nach dem Ver- Ende September ist völlig OFFEN. der Dynamik der Krisenbewältigung Rücksicht nehmen – das wird ange- zicht der Kanzlerin auf eine neue Kandi- profitieren konnten. Stärker wirkt sich sichts der ökonomischen Konsequenzen datur) sicher, ein Wechsel der Regie- für diese Parteien ihre relative Veranke- der Pandemie-Bekämpfung ohnehin rungskoalition mit sehr hoher Wahr- rung in Ostdeutschland aus – bei der keine leichte Aufgabe. Die ökologische 14 POLITISCHE STUDIEN // 497/2021 497/2021 // POLITISCHE STUDIEN 15
IM FOKUS Frage und die kulturelle Identitätsfrage seien ebenfalls vorrangig zu beantwor- ten. Die außenpolitischen Herausforde- rungen nehmen zusätzlich einen immer größeren Raum ein. Die Neupositionie- rung der EU oder die Rolle Deutsch- lands in der NATO sind vorrangige Auf- gaben der deutschen Politik angesichts der Politik von Russland und China, die die „Systemfrage“ stellen. Die Notwen- /// D R. GERHARD HIRSCHER digkeit der schnelleren Modernisierung ist Leiter der Leitungsstelle Grundlagen der durch Digitalisierung wird sich noch Demokratie, Parteienforschung, Wahlfor- verstärken. schung der Hanns-Seidel-Stiftung, München. Insofern liegt in der Bundestagswahl 2021 und im Wahlkampf dafür auch eine Chance: Dieser Wahlkampf wird, so Stefan Müller, der digitalste aller Zei- /// Corona-Wahlen ohne die Corona-Titanin ten. Viele Formen der Kommunikation innerhalb des politischen Betriebs sowie der Politik mit der Gesellschaft werden WÄHLER UND PARTEIEN auch nach Corona erhalten bleiben und ausgebaut werden. Wenn Wirtschaft IM SUPERWAHLJAHR 2021 und Gesellschaft, Schule und Bildung einen Digitalisierungsschub erleben, KARL-RUDOLF KORTE /// Wahlen sind ein verlässlicher Gradmesser des dann muss die Politik auch für ihren in- Vertrauens. Welcher Partei, welchem Kandidaten schenken wir persönliches ternen Betrieb darauf reagieren. Die Zutrauen beim Lösen wichtiger Probleme? Das Vertrauensreservoir ist 2021 Ausweitung der Willensbildung in den digitalen Raum – nicht nur bei Veran- herausgefordert. staltungen, sondern auch bei Abstim- mungen – wird die Politik und die Par- teien modernisieren. Dies kann Ent- Distanz-Demokratie und ihre turtechniken der Demokratie in außer- scheidungen beschleunigen und neue Auswirkungen gewöhnlicher Weise herausgefordert, Partizipationsmöglichkeiten ermögli- Die Distanz-Demokratie provoziert. oft auch überfordert. Informieren, orga- chen. Für die Volksparteien liegt darin Damit ist nicht der Widerstand einer nisieren, erinnern, kommunizieren, par- die Perspektive, auch in Zukunft die stets kleinen Minderheit gegen die Co- tizipieren, mobilisieren, debattieren − zentralen Instrumente der Willensbil- rona-Maßnahmen gemeint. Vielmehr all das gilt in der Frühdigitalisierung dung in unserem politischen System zu provoziert uns täglich die überlebens- bleiben. /// notwendige Übersetzung demokrati- scher Spielregeln und Praktiken in neue Formate der Distanz und des Abstands. Das gilt besonders im Superwahljahr Die DISTANZ-DEMOKRATIE provoziert 2021, in dem eine strategische politische und überfordert. Kommunikation der Mobilisierung für Parteien und Personen zwingend not- wendig ist. Wir fühlen uns bei den Kul- 16 POLITISCHE STUDIEN // 497/2021 497/2021 // POLITISCHE STUDIEN 17
Quelle: picture alliance / SZ Photo | Jens Schicke IM FOKUS Muster für alle verständlich und nach- sagen. Was sich jedoch zeigt, ist, dass vollziehbarer zu machen. unser politisches System ganz offenbar Und zeitgleich wächst die Sehnsucht mit der pandemischen Disruption zu- nach verlässlicher Autorität, das große rechtkommt. Die Gewaltenteilung Ganze stellvertretend zu ordnen und funktioniert. Die Zustimmung der Be- idealerweise neue Orte des Gemein- völkerung zu den Parteien der Mitte ist wohls zu schaffen. Wer bietet Moral- unverändert hoch – mit nachlassender währungen als Ressourcen des Vertrau- Tendenz bei versuchter politischer Mo- ens in diesem neuen Betriebssystem an? deration von Ungeduld. Die Akzeptanz Wo ist mein Ort, an dem ich wertge- der politischen Führung ist ebenfals schätzt werde, wo ich das Gefühl habe, ausgeprägt hoch. Das spricht ganz of- meinen Platz zu finden? Wo bestehen fenbar für eine belastbare Zukunftsfä- Möglichkeiten, gemeinsame Einschät- higkeit unserer Demokratie. Die Coro- zungen von Problemen und Priorisie- na-Politik hat paradigmatische Züge im rungen wahrzunehmen? Was tun Par- Kontext einer begrenzten Ausnahmesi- teien im Bundestagswahljahr, um diese tuation. Die Zentralität der Entschei- Fragen zu beantworten? dungen zu Beginn der Pandemie, die Auch Meinungsbildung ist in der Dis- monothematische Zuspitzung als Total- tanz sehr schwer. Willensbildung geht reduktion von Komplexität, das Aus- oft einher mit Group-Thinking. Die Lo- maß des angeordneten Lockdowns für gik des Sozialen, die interpersonale Kom- alle Lebensbereiche sowie die Ein- munikation, das Erlebnis der Begegnung schränkungen elementarer Freiheits- formt Meinungen. Auch das fehlt uns im rechte waren vorbildlos neu und grund- Moment, so dass wir umso mehr mit uns legend. Keine Krise seit 1949 hat jemals selbst beschäftigt sind. Orientierungsno- zuvor zeitgleich alle Bürger betroffen. maden garantieren aber keine verlässli- che Stimmabgabe bei Wahlen, die im Ergebnis in der Regel seit Jahrzehnten die politische Mitte in Deutschland stärkten Wer wird ihr nachfolgen? Nach 16 Jahren als Bundeskanzlerin kandidiert Angela Merkel bei der und ausdifferenzierten. Zudem geizen Das politische System erscheint auch Bundestagswahl 2021 nicht mehr. die Formate von Videokonferenzen syste- in der Pandemie ZUKUNFTSFÄHIG. matisch mit Resonanz. Selten ist man so allein, wie beim Vortragen in das Dunkel unseres Alltags ohnehin schon seit eini- ren, wenn Bewegungen und Begegnun- des Nichts. gen Jahren als neues Betriebssystem un- gen eingeschränkt oder Protestver- serer Gesellschaft. sammlungen coronabedingt verboten Zukunftsfähigkeit des neuen Altanaloge Kulturtechniken der De- sind. Um so mehr benötigen wir Über- Betriebssystems Die Zukunftsfähigkeit des politi- mokratie sind durch digitale Formate setzungshelfer und Moderatoren, die Prägt sich in diesen Konturen des Neu- schen Systems entscheidet sich aller- ergänzt oder auch vollständig in diese das neue Zeichensystem für die Bürger en, mit diesem veränderten Betriebssys- dings am Grad der Resilienz. Lassen wir überführt worden. Aber die Distanz- anwendbar machen. Das Kommunikati- tem des Politischen, in einer digitalen resilienzbildende Ressourcen in der Kri- Formate galten nie ausschließlich. Das onsrepertoire ist vielfältiger. Immer we- Eiligkeitsgesellschaft eine Zukunft aus? se zu, um das Unwahrscheinliche zu Virus veralltäglicht rasant diese Prakti- niger sind wir Mitglieder des Gemein- Kehren wir nach der Pandemie zur Nä- managen? Wir benötigen ganz offen- ken des Onlinen. Das ist durchaus auch wesens, immer häufiger Follower. Die he-Demokratie zurück? Ist das Bundes- sichtlich die Dramaturgie von positivem positiv, denn dank der Digitalisierung neue Grammatik der Politik steckt noch tagswahljahr dafür ein Kipppunkt? Das Risikowissen und Krisenprävention. Zu können wir auch politisch weiter agie- in Erprobungsräumen, um die neuen kann man zum jetzigen Zeitpunkt nicht den Bausteinen von unterschiedlicher 18 POLITISCHE STUDIEN // 497/2021 497/2021 // POLITISCHE STUDIEN 19
IM FOKUS Qualität gehören Prozesse des Selbstler- mit Gewalt erzwingen, dass Gesundheit Was soll über eine agile und kriti- Erkenntnisse der Forschung nens und der Fehlerfreundlichkeit, die den höchsten Stellenwert im Handeln sche Infrastruktur hinaus an Daseins- Die Pandemie stellt auch die Forschung Kraft der Dezentralität und Vielfalt, epi- der Bürger erreicht. Gleichzeitig wächst vorsorge im existenziellen Bereich erhal- vor neue Herausforderungen. Uns fehlen stemische Ressourcen, entscheidungsfä- die Erkenntnis, dass klare Regeln, die ten bzw. aufgebaut werden? Die Parteien angesichts der Ausnahmezeiten die Ver- hig zu bleiben, zuversichtliches Erwar- nicht nur kommuniziert werden, son- müssen hierauf konkrete Sicherheitsbot- gleichsmaßstäbe. Wie wirkt sich die still- tungsmanagement und Krisenlotsen- dern auch von den Parlamenten erstrit- schaften geben, die sich über traditio- gestellte Zeit aus? Welche neuen Formate schaft des politischen Personals. Diese ten sind, Freiheit schaffen. Nur diese nelle Glaubenssätze hinwegsetzen. der Mobilisierung verstärken die eigene Bausteine navigieren eine Demokratie Voraussetzung sichert die Akzeptanz Denn die Konturen des Neuen haben Anhängerschaft? Auch die Erkenntnissu- durch viele Krisen von unterschiedlicher der Corona-Politik. Regeln zu regeln, trotz mehrheitlich am Status quo orien- che muss mit dem Unwahrscheinlichen Qualität und Herausforderung. Die Co- gehört zum Fundament des Optimis- tierter älterer Wählerschichten diesmal rechnen. Denn Umgangsroutinen sind rona-Krise informiert uns über realisier- mus, politisch die Krise zu meistern. Die eine realistische Chance. Wir haben uns trügerisch. Festhalten am Bewährten ist te Risiken. Ein zukünftig risikoloser Zuversicht, nicht die Angstmache, stabi- seit dem ersten Lockdown nicht nur an in diesen Zeiten ein sicherer Weg zum Umgang mit neuen Herausforderungen lisiert kuratiertes Regieren. fundamentale Transformationen ge- Scheitern. Drei Besonderheiten lassen resultiert daraus sicher nicht. Aber die wöhnt, sondern auch erfahren, dass of- sich für die Bundestagswahl wie nachfol- Bewältigung von Krisen, welche die fenbar alles potenziell geht, was wir bis- gend vorsichtig formulieren. Strukturen der Resilienz klug nutzen, ist lang für nicht möglich gehalten haben. aussichtsreich unter den Bedingungen Das gilt für die Schließung von Grenzen, Wahlentscheidende Pandemie einer Ordnung der Freiheit. Die Resili- Mit KURATIERTEM Regieren sollte über Schuldenbremsen bis hin zur Prä- Die erste Bedeutung: Die Dominanz die- enzerfahrungen bilden eine Art Anti- in Deutschland das Verhalten in der senzkultur in Firmen. Wer insofern Ver- ser komplexen pandemischen Lebens- körper als Risikowissen aus und stärken Pandemie gesteuert werden. änderungen predigt, die auf inklusive umstände entscheidet ganz sicher den das politische Immunsystem. Transformationen als enkeltaugliche Ausgang der Bundestagswahl. Wir wis- In Deutschland herrschten Kontakt- Modernisierung unserer Gesellschaft sen allerdings nicht, in welcher Rich- beschränkungen, nur in wenigen Aus- zielen, wird bei der Bundestagswahl tung, denn die Auswahl der Kandidaten nahmefällen Ausgangssperren. In den mehr Zuhörer haben als noch 2017. Wer wird bestimmt vom Auftritt der Krisen- Begrifflichkeiten transportiert sich das sich dabei besonders um politische Ver- lotsen. Niemals wäre Olaf Scholz so früh Verständnis von sogenanntem „kura- Superwahljahr 2021 lassenheit im ländlichen Raum küm- von der SPD zum Kanzlerkandidaten ge- tiertem Regieren“: kein umfassendes Für das Superwahljahr 2021 stellen sich mert, wird auf Resonanz stoßen und kürt worden, wenn er nicht als Bundesfi- Verbots- und Regulierungsregime, son- naheliegende Mobilisierungsherausfor- gleichzeitig Vorsorge gegen politischen nanzminister eine so sichtbar dominante dern eine Steuerung zwischen marktein- derungen. Im Moment können wir da- Extremismus betreiben. Rolle als Krisenmakler gespielt hätte. schränkender Regulierung (durchaus von ausgehen, im September eine ge- Krisengewinner könnten die Mög- Ohne das Virus wäre vermutlich auch mit Verboten und Marktausschlüssen / impfte Republik wählend zu erleben. lichkeitsmacher mit konkreter Zuver- Armin Laschet nicht Parteivorsitzender Schließungen etc.) und weichem Pater- Die infizierten Blicke haben wir uns kei- sicht sein. Entschlossene Krisenlotsen geworden. Das Virus prägt die Themen nalismus, der appellativ formen soll. So neswegs dann bereits abgewöhnt, den- sind immer auch Hermeneuten der Wut, und fächert den Parteienwettbewerb auf. etablierte sich Solidarität als eine Art zi- noch spielen Perspektiven eine größere gerade in Zeiten, in denen Wutvorräte Ohne das Virus hätte vermutlich auch vilgesellschaftlicher Selbstkontrolle, an Rolle als vertane Chancen. Rückbli- auf den Straßen und in den sozialen Me- die AfD einen Hauch von bürgerlichem welche die Kanzlerin in ihrer legendären ckend werden sich Wähler fragen, war- dien offensiv abgebaut werden. Politiker, Rückhalt bei einigen Wählern behalten. Fernsehansprache besonders appelliert um die Politik nicht ausreichend für den die übersetzen, moderieren und Zukunft hatte. Pandemiefall vorbereitet war. Können erzählen, profitieren. Idealweise geben Konformes Verhalten wird in der Schuldige ausfindig gemacht werden? sie der Rettung eine Richtung für demo- Gesellschaft und durch die Politik prä- Zukunftsmobilisierend spielen hinge- kratisch legitimierte Politik. Ihr Politik- miert, abweichendes Verhalten sanktio- gen eher die Themen eine Rolle, die die management folgt dabei dem Modus des Die Corona-Krise wird WAHLENT- niert. Kuratiertes Regieren zielt auf eine strategische Vorsorge in das Zentrum kuratierten Regierens, als Muster von SCHEIDEND sein. Verhaltenssteuerung, im Fall von Coro- rücken und damit das Primat des Politi- Resilienz. Wer von den Parteien und na durchaus auch auf kollektive Morali- schen. Kluge Strategen stärken alles, Kanzlerkandidaten findet die Tonalität tät. Denn der Rechtsstaat kann nicht was zum Vorsorgestaat gehören sollte. und den Plot für diese große Erzählung? 20 POLITISCHE STUDIEN // 497/2021 497/2021 // POLITISCHE STUDIEN 21
IM FOKUS Damit Krisenmanagement funktio- weile zwei Signalereignisse diese über Je mehr deutlich wird, dass Merkel nach Veränderung, nach Wenden, nach niert, sind Entscheidungsträger nicht nur Monate stabil hohen Zustimmungswer- 2021 auf keinem Wahlzettel stehen wird, Neuanfang. 2021 ist dies bislang nicht auf ihre Entscheidungskompetenz ange- te der Bürger zur Corona-Politik einge- steigen die Chancen der Mitbewerber, messbar. 16 Jahre Merkel mit drei Gro- wiesen, sondern auch auf die Bürger. Sie trübt: Dazu zählen das desaströse Er- vor allem der Grünen und der SPD. Alle ßen Koalitionen führen keinswegs zum brauchen Vertrauen in die Funktionsträ- wartungsmanagement beim Impfstart drei Parteien stehen nebeneinander auf überwölbenden und eindeutigen ger und deren Risiko- und Lösungskom- sowie der plötzliche Austausch von der Startlinie, um für Programm und Wunsch nach neuen Formaten der petenz. Bürger müssen sich sowohl an Zahlen – aus dem monatelang gepredig- Personen zu werben. Kommende TV- Macht, nach einem neuen Führungs- die Einschränkungen als auch an die Ap- ten Inzidenzwert von 50 wurde plötz- Trielle dokumentieren im Format die In- und Kooperationsstil, nach neuen Mög- pelle halten. Erstaunlich war insofern, lich eine 35. So bröckelten Zustim- novation 2021: eine Bundestagswahl lichkeiten des guten Regierens. Noch dass eine diffuse, jahrelang anhaltende mungswerte zum Corona-Management ohne Verteidigerin. Die Koalitionsvari- herrscht Wirklichkeitsgehorsam. Noch Politikverdrossenheit unter den Bedin- der Regierungen. Dennoch kann man anten lauten deshalb aus Sicht des Früh- prägt die Erinnerung an staub-trockene gungen der Corona-Politik wie weggefegt zum jetzigen Zeitpunkt davon ausge- jahrs 2021: Schwarz-Grün als mögliche Krisenpolitik als letzte Variante einer wirkte. Nie zuvor war die Staatsgläubig- hen, dass fast alle coronabedingten Ein- Fortsetzung der Großen Koalition (als sogenannten Alternativlosigkeit. keit so hoch und das akzeptierte Ver- schränkungen bis September 2021 auf- Bündnis der beiden größten Bundestags- Die Option, wie 1998, zwei Opposi- ständnis für die massiven Einschränkun- gehoben sein werden, was den Protest fraktionen); Schwarz-Grün-Gelb als Ja- tionsparteien in die Regierungsverant- gen von Freiheiten so breit. Massive Ein- einmal mehr minimiert. maika revival; Grün-Rot-Gelb als grüne wortung zu katapulieren, erscheint ab- schränkungen bürgerlicher Freiheiten Ampel (in dieser Formation ein Solitär). wegig. Zwar existiert messbar auch ein (Gewerbefreiheit, Reisefreiheit, Ver- Historische Konstellation Eine Corona-Prämie wird am Wahl- Überdruss an der Alltäglichkeit des sammlungsfreiheit, Glaubensfreiheit) Eine zweite Besonderheit neben der Pan- tag nur zu verteilen sein, wenn die Pan- wegmoderierenden Pragmatismus, dem wurden widerspruchslos mehrheitlich demie gilt der historischen Konstellati- demie überwunden scheint. Falls nicht, unterargumentierenden Regieren und hingenommen. Das Corona-Virus hat on. Niemals zuvor fanden Bundestags- könnte eine All-over-Koalition (ohne der stets situativen postheroischen Em- dem Staat nicht nur mehr Regelungs- wahlen ohne den Titelverteidiger statt, AfD) als Notregierung erforderlich wer- pörungsverweigerung. Doch die Sehn- macht im Katastrophenfall gegeben, son- sieht man von 1949 einmal ab. Bundes- den – ein sehr unwahrscheinliches Sze- sucht nach der großen empathischen dern katapultierte ihn auch zum rheto- kanzlerin Merkel verzichtete auf eine er- nario. Das politische Ende von Angela Erzählung, dem Lotsen der schonenden risch-emotionalen Krisengewinner. His- neute Kandidatur und gab den Partei- Merkel markiert auch eine kulturelle Zä- Transformation, ist noch nicht so ausge- torisch zeigt sich: Der Grad an Staatszen- sur für sehr viele Wähler. Mit ihr geht ein prägt, dass ein „Weiter-So“ mit anderem triertheit und Staatsvertrauen nimmt in verlässlicher Vertrauensanker für den Personal vollkommen ausgeschlossen Deutschland zu, wenn Krisenszenarien Stoff des Politischen verloren. Wem brin- wäre. Als besonders Merkel-enkeltaug- die öffentliche Meinung dominieren. gen Wähler diesen Vertrauensvorschuss lich erweist sich der Kandidat der SPD. Davon profitieren auch viele Spit- Die Bundestagswahl im September zukünftig entgegen? Neue Koalitionen Scholz steht, ebenso wie die Kanzlerin, zenpolitiker. Krisen adeln über Nacht 2021 findet OHNE Titelverteidiger wiederum bilden nicht nur Stimmungen für die gesellschaftspolitische, progres- die Demokratie und die Spitzenpoliti- statt. ab, sondern prägen auch neue. Sie setzen sive Mitte. Er hat in Hamburg bewiesen, ker. Bürger erwarten dann die ent- in der Regel gemeinsame neue Ideen und wie moderne Urbanität sozialverträg- schlossene Umsetzung des Primats der eine neue gesellschaftliche Dynamik vo- lich mehrheitsfähig bleibt. Als Typus Politik, möglichst als heroische Chefsa- raus. Das gilt sowohl konzeptionell, per- prägt er auch das Ruheregiment, mit che des Krisenmanagers. Die Bürger sonell als auch intellektuell. Wichtig vornehmer Unangreifbarkeit, Solidität sehnen sich in solchen Konstellationen bleibt auch, dass sie sich mit Spürgefühl nach einem starken Staat und erwarten vorsitz ab. Sie hat jetzt die realistische anbahnen und nicht nur eine Folge von dann die entschlossene Umsetzung des Chance, würdevoll bedeutungslos zu rechnerischen Mehrheiten sind. Primats der Politik. Die Sehnsucht nach werden. Sowas gehört im politischen Etatismus (man könnte den Begriff et- Geschäft zur allergrößten Herausforde- Historischer Vergleich Die Tendenz der Wähler nach einer was bösartig als „vorauseilende Unter- rung. Der Merkel-Bonus, als ein Plus für Eine dritte Besonderheit liegt ebenso im wirklichen WENDE ist eher gering. würfigkeit“ übersetzen) breitet sich be- die Corona-Titanin der Union, katapul- historischen Vergleich der Wahlen. Am sonders dann aus, wenn Verlustängste tierte die Union ab April 2020 zu neuen Ende der Adenauerzeit existierte wie dominieren. Sicher haben auch mittler- Höchstwerten bei der Sonntagsumfrage. nach 16 Jahren Kohl ein starker Wunsch 22 POLITISCHE STUDIEN // 497/2021 497/2021 // POLITISCHE STUDIEN 23
IM FOKUS und Risikounlust. Wer sich für die Fort- keine Festlegung vorab. Sie vertrauen Die Linke wird dann profitieren, sein wird, bleibt spekulativ. Mit seiner setzung der Merkel-Politik stark macht, der klugen Machtteilung, wenn es nicht wenn die Post-Corona-Zeit zu größeren Reservemacht steht er mehr denn jemals findet mit Scholz einen sehr mächtigen nur um Ehrentitel geht, sondern um sozialen Verwerfungen führen könnte, zuvor als Möglichkeitsmacher bereit, Aspiranten. Wenn Wähler weiterhin auf konkrete Ressorts. Letztlich werden die was allerdings Berlin mit hohem finan- sollte sich eine blockierte Regierungsbil- das Bekannte und eher nicht auf das Un- Grünen immer nach der Kanzlerschaft ziellen Aufwand versucht zu verhindern. dung abzeichnen. Mit Corona-Kreativi- bekannte setzen, könnte Scholz den Vi- greifen, wenn es sich mit welchen Koali- Grundsätzlich hat politisch linkes Den- tät und ohne die Corona-Titanin wird er zekanzler-Bonus voll einbringen. tionspartnern auch immer (außer der ken in der Pandemie Zulauf: Staat statt dann Auswege finden müssen. /// Die Grünen leben vom Zulauf aus AfD) rechnerisch lohnt. Eine allzu Markt klingt dabei wie eine resilienzer- mehreren Richtungen. Sie sind multiko- selbstsicher agierende Union könnte am möglichende Perspektive. alitionsfähig – sichtbar in Regierungs- Ende, trotz größter Fraktion im Bundes- verantwortung und in der Opposition tag, in der Opposition landen. Fazit zugleich. Sie kratzen an der seit Corona Der liberale Wählerblock steht auch Das Superwahljahr folgt einer außerall- hegemonialen Dominanz der Union. Sie für die FDP zur Verfügung, gleichwohl täglichen Logik. Es bleibt eigenartig ein- verkörpern das Kompetenzzentrum für auf niedrigerem Niveau als bei den Grü- zigartig. Die Grundstimmung changiert Umwelt- und Klimapolitik, ein Thema, nen. Moderne Autonomie, moralischer zwischen einem Enthusiasmus des Posi- welches bürgerliche Wähler sehr be- Ernst, bürgerliche Solidität und gemein- tiven und der Wehmut des Vorsichtigen: schäftigt. Das Virus hat gezeigt, dass sorgenvoll zufrieden oder zufrieden im /// P ROF. DR. KARL-RUDOLF KORTE nicht wir, sondern die Natur uns im Unbehagen? Das stellt Wahl-, Parteien- ist Professor für Politikwissenschaft an der Griff hat. Ein schonender Umgang mit und Regierungsforschung vor besondere Universität Duisburg-Essen und Direktor der Ressourcen in der stillgestellten Zeit hat Herausforderungen. Die gewählten Par- NRW School of Governance. bürgerliche Wähler zusätzlich mit grü- Die GRÜNEN können vor allem im teien folgen im Setting des Bundestages nen Ideen versöhnt. Von der Corona- bürgerlichen Wählerblock punkten. vermutlich erneut einem polarisierten Prämie profitieren die Grünen, weil sie Pluralismus. Die Radikalisierung im Par- auch mit ihrer professionellen Doppel- teienspektrum bleibt der AfD vorbehal- spitze im Bund einen gewachsenen Be- ten, die lösungsorientiert zur Corona- darf nach normativer Orientierung be- Politik wenig beizutragen hat. Die politi- friedigen. Sie setzen mit ihrer eigenen sche Mitte wird sich weiterhin ausdiffe- Moralwährung voll auf die schonende wohlorientierter Kaufmannsgeist finden renzieren, aber nicht kleiner, sondern und gemeinsame Transformation der sich auch bei der FDP. Grüne und gelbe eher größer werden. Ob der Bundesprä- Gesellschaft. Der Kommunikations- Liberale haben viele Schnittmengen. Sie sident erneut der zentrale Kanzlerma- und Führungsstil begeistert bürgerliche spielten nur früher an ganz unterschied- cher einer neuen Regierungsformation Kreise, die sich mit Realitätsdemut gei- lichen Stellen auf den Schulhöfen nie zu- ßeln. Hier hat nicht die neo-dirigistische sammen. Sie trennen Milieus und Auf- Entschiedenheitsprosa Aussicht auf Ge- tritte, weniger die Fragen der Liberalität. hör, sondern eher Machtpoesie als Mo- Aber im Dilemmamanagement zwi- Aktuelle Publikationen des Autors zum Superwahljahr 2021: deration von Ambivalenzen. 20 Prozent schen Freiheit und Gesundheit, setzt Florack, Martin / Korte, Karl-Rudolf / Schwanholz, Julia (Hrsg.): der Wählerschaft sind damit abholbar. sich die FDP, anders als die Grünen, Coronakratie. Demokratisches Regieren in Ausnahmezeiten, Frankfurt / New York 2021. Das grüne Verständnis von hybriden deutlicher für die Freiheit in der Abwä- Korte, Karl-Rudolf: Wahlen in Deutschland, Bonn, 10. Aufl., 2021. gesellschaftlichen Bündnissen wird ver- gung ein. Grundsätzlich agiert die FDP Korte, Karl-Rudolf / Scobel, Gert / Yildiz, Taylan (Hrsg.): mutlich auch eine Festlegung auf nur in der Corona-Politik aus der Defensive. Heuristiken des politischen Entscheidens, Berlin 2021. einen Kanzlerkandidaten verhindern. Denn staatsbeseelte Wähler, die darauf Korte, Karl-Rudolf / Florack, Martin (Hrsg.): Handbuch Regierungsforschung, Unsere Neugierde wird bis zuletzt blei- setzen, dass der Staat sie persönlich und Wiesbaden, 2. Aufl., 2021. ben, wie sich das Tandem bei einer mög- finanziell schützt und rettet, kann eine Korte, Karl-Rudolf: Gesichter der Macht. Über die Gestaltungspotenziale der lichen Koalitionsverhandlung am Ende Partei, die mehr auf individuelle Freiheit Bundespräsidenten, Frankfurt / New York 2019. einigt. Wähler der Grünen brauchen setzt, nur schwer einsammeln. 24 POLITISCHE STUDIEN // 497/2021 497/2021 // POLITISCHE STUDIEN 25
IM FOKUS Quelle: iStock/JesusFernandez32 /// Das Wahlverhalten in den neuen Bundesländern DIE STÄRKE DER AFD UND DER PARTEI DIE LINKE ECKHARD JESSE /// Bei Wahlen schneiden im Osten die Parteien AfD und Die Linke deutlich besser ab als im Westen. Diese größeren Erfolge beruhen nicht nur auf ökonomischen, sondern auch auf kulturellen Faktoren. Beide populistischen Parteien stehen mit Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates auf Kriegsfuß, ohne insgesamt extremistisch zu sein. Am 26. September 2021 finden zum ches gilt wohl für die beiden Parteien, neunten Mal gesamtdeutsche Bundes- mit denen sich dieser Beitrag befasst, tagswahlen statt. Erneut dürfte die Uni- der Alternative für Deutschland (AfD) on die stärkste Kraft sein und Bündnis und der Partei Die Linke. Sie verfügen in 90/Die Grünen im Bund zum ersten den neuen Bundesländern über ein be- Wohin führt der Weg? Bei den Mal die zweitstärkste. Damit ist auch achtliches Wählerpotenzial, wie die Er- letzten Wahlen hat Die Linke in den die wahrscheinliche Koalition nach der gebnisse der zwei letzten Bundestags- neuen Bundesländern zunehmend Wahl zur Sprache gebracht. Die SPD und Europawahlen sowie die der siebten Wähler an die AfD verloren. und die Liberalen müssten mit einer Serie der Landtagswahlen nachdrück- Oppositionsrolle vorliebnehmen. Glei- lich belegen. 26 POLITISCHE STUDIEN // 497/2021
IM FOKUS Obwohl die AfD erst 2013 entstand, nen gewillt sind, mit ihr ein Bündnis einen mächtigen Konkurrenten. Die ein- hat auch sie Häutungen durchgemacht. einzugehen. Sie stellt in Thüringen so- zige Ausnahme: 2002 erreichte die SPD AfD und Die Linke haben in den Gegründet als euro(pa-)skeptische Kraft gar den Ministerpräsidenten (seit 2014), in den neuen Ländern mit 39,7 % einen NEUEN Bundesländern ein starkes unter dem Ökonomen Bernd Lucke, in Berlin (seit 2016) und in Bremen (seit knapp höheren Anteil als in den alten Wählerpotenzial. rückte die Partei unter Frauke Petry 2019) ist sie Juniorpartner in einer Drei- (38,3 %). Die zupackende Rolle von Bun- (2013-2017) und vor allem unter Alex- er-Koalition. deskanzler Gerhard Schröder bei der ander Gauland (2017-2019) deutlich Hochwasserflut, die vor allem Branden- nach rechts. Das Thema der teils unkon- burg und Sachsen betraf, und seine os- trollierten Einwanderung stand fortan tentative Absage an ein Engagement im im Vordergrund. Speziell der (formal Irak-Krieg dürften dabei eine wesentli- AfD und Die Linke im Parteiensystem aufgelöste) „Flügel“ übte heftige Kritik Bei BEIDEN Parteien gibt es che Rolle gespielt haben. Beide Parteien sind am Rand des politi- nicht bloß an Repräsentanten der etab- extremistische wie populistische Auch die Liberalen und die Grünen schen Spektrums angesiedelt. Mit Blick lierten Kräfte, sondern an der Demokra- Strömungen. erzielten im Westen ein klar besseres auf die sozio-kulturelle Dimension tie selber. Ergebnis. Die Ausnahme von diesem nimmt die AfD den Pol des Autoritaris- Die Vorsitzenden der Partei Die Lin- Befund betrifft die erste gesamtdeut- mus ein, Bündnis 90/Die Grünen den ke sind seit 2020 Susanne Hennig- sche Wahl 1990: Das mutige Engage- Pol des Libertarismus. Mit Blick auf die Wellsow und Janine Wissler, die der ment der Bürgerrechtler auf der einen sozio-ökonomische Dimension liegt AfD Jörg Meuthen (seit 2015) und Tino und der „Genscher-Effekt“ auf der an- Die Linke beim Punkt „möglichst viel Chrupalla (seit 2019). Wissler und wohl Unsere Gesellschaft bewertet eine deren Seite sorgten in den neuen Bun- Staat“ an der Spitze, die FDP beim auch Chrupalla nehmen fundamentalis- Partei am linken Rand vielfach milder desländern jeweils für ein besseres Re- Punkt „möglichst viel Markt“. Die AfD tische Positionen ein. Bei beiden Partei- als eine am rechten Rand. Das hat we- sultat. Liberale und Grüne sind in den verfügt über 32.000 Mitglieder, Die en gibt es extremistische und populisti- sentlich historische Gründe, hängt mit neuen Bundesländern vor allem deshalb Linke über 60.000 – mit jeweils sinken- sche Strömungen.1 Extremistische Kräf- dem Zivilisationsbruch durch den Nati- deutlich schwächer, weil sie sich auf der Tendenz. te lehnen Elemente des demokratischen onalsozialismus zusammen. Ein demo- eine dort weniger verbreitete Kernklien- Die Linke, die Nachfolgepartei der Verfassungsstaates ab, populistische die kratischer Staat, der glaubwürdig sein tel stützen können. Der Mittelstand ist SED, hat mehrere Häutungen vollzogen. politische Elite. Cum grano salis gilt: will, darf weder autoritär gegenüber un- ebenso weniger entwickelt wie ein post- Im Dezember 1989 benannte sich die Die AfD verficht einen Nationalpopulis- liebsamen Kritikern vorgehen noch mit materialistisches Paradigma. Ökonomi- SED in Sozialistische Einheitspartei mus, Die Linke einen Sozialpopulismus. zweierlei Maß messen. Der Grundsatz sche und kulturelle Gründe erklären Deutschlands – Partei des Demokrati- Die AfD ist in den neuen Bundeslän- der Äquidistanz gegenüber Rechts- und folglich gleichermaßen das „Nachhin- schen Sozialismus um, im Februar 1990 dern deutlich radikaler als in den alten. Linksaußen sollte die hiesige Demokra- ken“ dieser Parteien im Vergleich zu fiel „SED“ weg. 2005 schließlich lautete Bei der Partei Die Linke fällt der Befund tie auszeichnen.2 den alten Bundesländern. der Name „Die Linkspartei“, und nach umgekehrt aus. Strukturen dieser Partei Noch stärker springen die Unter- dem Zusammenschluss mit der west- (etwa die Kommunistische Plattform, die Wahlverhalten im Osten und schiede zwischen Ost und West für die deutschen Wahlalternative Arbeit & so- Antikapitalistische Linke oder marx21) im Westen AfD und Die Linke ins Auge. Hier ist ziale Gerechtigkeit heißt die Partei seit sind im Verfassungsschutzbericht aufge- Wer das Abschneiden der Parteien in jeweils ein klar besseres Ergebnis in den Juni 2007 Die Linke. Mit den Namens- führt. Gleiches trifft für Gruppierungen den alten und in den neuen Bundeslän- neuen Ländern zu verzeichnen. Dabei wechseln sind auch weitere Änderungen innerhalb der AfD zu (etwa die Junge Al- dern miteinander vergleicht, erkennt ist Die Linke weiterhin stärker ostlastig verbunden. Längst hat sich Die Linke ternative). Ob für den Verfassungsschutz eine Reihe von Parallelen, aber auch – als die AfD, wobei die Partei in letzter vom „demokratischen Zentralismus“ die gesamte AfD demnächst unter die und vor allem – von Unterschieden. Bei Zeit im Osten Stimmen verliert und im der SED losgesagt. Aber das bedeutet Rubrik „rechtsextremistischer Ver- den Wahlen seit 1990 schnitten die Uni- Westen welche gewinnt. Die Wähler- nicht notwendigerweise ein Ankommen dachtsfall“ gerät, steht nicht fest. on3 und die SPD im Westen besser ab als schaft der beiden Parteien speist sich aus in der Demokratie. Teilen der Partei fällt Während die AfD für alle anderen im Osten. Die wichtigsten Ursachen: In ähnlichen Milieus. Ober- und obere eine Ablehnung des diktatorischen Parteien als koalitionsunwürdig gilt, beiden Fällen handelt es sich um originä- Mittelschichten sind unterrepräsentiert, SED-Systems schwer. Dieses gilt für sie trifft dies für Die Linke schon länger re Westparteien, und die SPD hat in den Unter- und untere Mittelschichten dage- nicht als Unrechtsstaat. nicht mehr zu, da die SPD und die Grü- neuen Ländern in der Partei Die Linke gen überrepräsentiert. 28 POLITISCHE STUDIEN // 497/2021 497/2021 // POLITISCHE STUDIEN 29
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