Eine Region, viele Aussichten - Wie der demografische und wirtschaftliche Wandel Westfalen fordert - Sparkassenverband ...
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gefördert von Eine Region, viele Aussichten Wie der demografische und wirtschaftliche Wandel Westfalen fordert beitsmarkt regional unterschiedlich +++ starker Mittelstand +++ auf dem Land fehlen die Fachkräfte +++ Unternehmen entwickeln neue Lösungen +++ viele Lan ++ Bürgerbusse, Car-Sharing und Elektro-Leifahrräder verbessern die Mobilität +++ Online-Versandhandel versorgt Bewohner mit regionalen Lebensmitteln ++
gefördert von Eine Region, viele Aussichten Wie der demografische und wirtschaftliche Wandel Westfalen fordert Berlin-Institut 1
Impressum Juli 2018 Über das Berlin-Institut © Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung ist ein Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. unabhängiger Thinktank, der sich mit Fragen regionaler und glo- Sämtliche, auch auszugsweise Verwertung bleibt vorbehalten. baler demografischer Veränderungen beschäftigt. Das Institut wurde 2000 als gemeinnützige Stiftung gegründet und hat die Herausgegeben vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Aufgabe, das Bewusstsein für den demografischen Wandel zu Schillerstraße 59 schärfen, nachhaltige Entwicklung zu fördern, neue Ideen in die 10627 Berlin Politik einzubringen und Konzepte zur Lösung demografischer Telefon: (030) 22 32 48 45 und entwicklungspolitischer Probleme zu erarbeiten. Telefax: (030) 22 32 48 46 E-Mail: info@berlin-institut.org www.berlin-institut.org Das Berlin-Institut finden Sie auch bei Facebook und Twitter (@berlin_institut). Zur Westfalen-Initiative Datenanalyse: Theresa Damm Stiftung und Verein Westfalen-Initiative wollen die westfälische Design: Jörg Scholz (www.traktorimnetz.de) Layout und Grafiken: Christina Ohmann (www.christinaohmann.de) Identität schärfen und das bürgerschaftliche Engagement in Druck: Laserline Berlin Westfalen stärken. Sie setzt gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern Westfalens Impulse für die Region, damit diese sich Einige thematische Landkarten wurden auf Grundlage des Programms EasyMap im Wettbewerb der Regionen behauptet und ihre in Geschichte der Lutum+Tappert DV-Beratung GmbH, Bonn, erstellt. und Tradition entwickelten Stärken voll entfaltet. Die Aktivitäten ISBN: 978-3-946332-98-5 der Westfalen-Initiative reichen von kulturellen Projekten über die Stärkung der Stadt- und Regionalentwicklung bis zu Innova- tionsprojekten. Die Autoren Susanne Dähner, 1976, Diplom in Geographie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Zum Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) Manuel Slupina, 1979, Diplom in Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln. Ressortleiter Demografie Deutschland am Berlin-Institut für Bevölkerung Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet und Entwicklung. als Kommunalverband mit 17.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL erfüllt Aufgaben Dr. Reiner Klingholz, 1953, Promotion im Fachbereich Chemie an der Universität Hamburg. Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklu- Das Berlin-Institut dankt allen Workshop-Teilnehmern, Interviewpartnern, der sive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Westfalen-Initiative sowie dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) für Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des die Unterstützung bei der Erstellung dieser Studie. LWL. Der LWL ist damit eine der wesentlichen verwaltungsmä- ßigen Klammern für Westfalen-Lippe und unterstützt deshalb Kooperationen in dieser Region. 2 Eine Region, viele Aussichten
INHALT Westfalen: Zwischen Tradition und Strukturwandel..........................................................................4 Das Wichtigste in Kürze...........................................................................................................................6 Was tun?....................................................................................................................................................6 1 | Westfalen – eine Einordnung.......................................................................................................10 Eine Region – vier Entwicklungstrends. Clusteranalyse.........................................................13 2 | Arbeitsmarkt und Fachkräfte.......................................................................................................18 Wie sich die demografische Entwicklung auf den deutschen Arbeitsmarkt auswirkt.......18 Wirtschaft und Arbeit in Westfalen – fehlt schon das Personal?...........................................21 Wie sich Fachkräfte gewinnen oder halten lassen..................................................................25 3 | Daseinsvorsorge im ländlichen Raum........................................................................................42 Wie die Versorgung auf dem Land verbessert werden kann .................................................43 Quellen.....................................................................................................................................................59 Berlin-Institut 3
WESTFALEN: ZWISCHEN TRADITION UND STRUKTURWANDEL Das Berlin-Institut hat in den vergangenen Heterogen und auf der Suche Auf Westfalen trifft auch nicht die demogra- Jahren eine Reihe von Studien erstellt, die nach einer Identität fisch-ökonomische Faustregel zu, wonach sich mit der demografischen und wirtschaftli- die Zentren mit ihren Großstädten wachsen, chen Entwicklung bestimmter (oft ländlicher) Diese Heterogenität setzt sich in vielen Berei- weil sie tendenziell mehr Arbeitsplätze und Regionen in Deutschland auseinandergesetzt chen fort: Westfalen besteht aus dem jungen kulturelle Angebote bieten und deshalb vor haben. Es waren sowohl erfolgreiche Regio- Münsterland, dessen zentrale Universitäts- allem für junge Menschen wie ein Magnet nen, wie das Emsland oder das Oldenburger stadt allein 60.000 Studierende zählt; aus wirken, während die dezentralen, ländlichen Münsterland, als auch Gebiete, die mit Ostwestfalen-Lippe, das im Westen starke, Gebiete in diesem Wettbewerb benachteiligt größeren strukturellen Herausforderungen meist familiengeführte Industrieunterneh- sind, nicht mit guten Arbeitsangeboten für zu kämpfen haben, wie Thüringen oder men beherbergt, im Nordosten, an der Gren- sich werben können und Einwohner verlieren. Nordhessen. ze zu Niedersachsen aber bereits merkliche In Westfalen ist es eher umgekehrt: Im alten Bevölkerungsverluste verzeichnet; aus dem Herzen des Halbbundeslandes, im westfäli- Ein solch klares Bild für Westfalen, den eher ländlich geprägten Südwestfalen mit schen Ruhrgebiet, wo es fast nur Städte gibt, flächenmäßig größeren Teil des einwohner- seinem erfolgreichen Mittelstand, wo zahlrei- fehlt es an Jobs für jenen Teil der Bevölke- stärksten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen che „Hidden Champions“ zuhause sind; und rung, der noch mit Kohle und Stahl groß zu zeichnen, ist schwierig, wenn nicht aus dem östlichen Teil des Ruhrgebiets, das geworden ist, und die Arbeitslosigkeit ist gar unmöglich. Denn die Entwicklung, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hoch. In den entlegeneren Gebieten hingegen Aufgaben und die Zukunftschancen dieser zum größten Verdichtungsraum Deutschlands herrscht praktisch Vollbeschäftigung und Region sind sehr unterschiedlich. Ob man in herangewachsen war, dessen schwerindust- viele der zahlreichen Unternehmen suchen Westfalens größter Metropole Dortmund auf rielle Blütezeit aber längst Geschichte ist und händeringend nach Fachkräften. So unter- dem Borsigplatz steht, vor der Bibliothek der das noch immer seine neue Rolle jenseits von schiedlich sind die Teilregionen, dass am Uni Münster das provozierende Lichtkunst- Kohle und Stahl sucht. nördlichen Rand des Ruhrgebietes die Städte werk „Gehorche Keinem“ bestaunt oder den Gelsenkirchen und Herne sowie der Kreis Blick vom Langenberg über die Bergwelt der Die Westfalen verbindet kaum eine gemein- Recklinghausen mit den jeweils höchsten „Achthunderter“ des Sauerlands schweifen same Identität, denn hier leben, verteilt über Arbeitslosenquoten der Region an den Müns- lässt – die Eindrücke könnten unterschiedli- das weite Land, selbstbewusste Münsterlän- terländer Landkreis Coesfeld grenzen, wo die cher nicht sein. der, Sauerländer, Lipper oder Ostwestfalen Arbeitslosigkeit am niedrigsten ist. und im Revier, zwischen den Industriedenk- mälern aus Stahl und Beton, natürlich die Menschen aus dem „Pott“. Westfalen lässt sich nur schwer gemeinsam vermarkten, weshalb diese Aufgabe auf die Schultern verschiedener Initiativen, Heimatverbünde und Verbände verteilt ist. 4 Eine Region, viele Aussichten
Schwaches Zentrum – starkes Weil Westfalen so heterogen ist, bleibt es also mit Mitteln und Möglichkeiten auszustat- Umland, aber wie lange noch? wichtig und richtig, dass jede Teilregion ten, die unter den neuen Bedingungen die zunächst einmal vor Ort und im eigenen besten Versorgungsmöglichkeiten garan- Unterm Strich stehen die mittelständisch Umfeld versucht, Perspektiven für morgen tieren. Dabei geht es um die Betreuung von geprägten Gebiete Westfalens besser da als zu schaffen. Aber es ist auch unerlässlich, Älteren, um kulturelle Angebote, um Schulen jene mit einer Großindustriegeschichte. Das dass sich die Teilregionen zusammentun und und Kinderbetreuung, um den öffentlichen gilt zumindest für den Moment: Während vernetzen, um aus den Verschiedenheiten Nahverkehr, um Sportvereine, um die das Ruhrgebiet einst Menschen aus dem möglichst viel Gewinn zu ziehen: Etwa um ärztliche Versorgung oder um wohnortnahe ganzen Bundesland und darüber hinaus Arbeitskräfte dorthin zu lenken, wo es neben Einkaufsmöglichkeiten. Kurz: Es geht um all als Arbeitskräfte in den Bergbau und an guten Jobs günstige Wohnmöglichkeiten und das, was die Menschen neben einem Job zum die Hochöfen locken konnte, um dann wie ein familienfreundliches Umfeld gibt. Die Leben brauchen. Gerade die nicht zentralen kaum ein anderes Gebiet in Deutschland den vorliegende Studie zeigt, wie die Teilregionen Gebiete mit starken Unternehmen wissen, Strukturwandel und die Arbeitslosigkeit zu Westfalens schon heute auf die Herausfor- dass der Job alleine noch keine Menschen erleben, könnte sich das Blatt künftig wieder derungen eingehen, aber auch, wo sie noch an die Region bindet. Attraktiv wird ein Ort wenden. Denn gerade die heute so starken mehr leisten können, wo sie voneinander erst mit einem Gesamtpaket für Jung und Alt, Mittelständler des produzierenden Gewerbes lernen müssen oder auch von positiven für Arbeitgeber und Arbeitnehmer – und vor etwa in Südwestfalen müssen sich rechtzeitig Beispielen aus anderen Teilen der Republik. allem für Familien. fit machen für die fortschreitende Digitali- Für ganz Westfalen ist es wichtiger, dass die sierung und die Automatisierung. Dafür aber Teilregionen kooperieren, als dass sie sich in Berlin und Münster, im Juli 2018 benötigen sie immer häufiger spezialisierte einem Wettbewerb um Fachkräfte, Anwoh- Fachkräfte, die sich bis dato nur schwer aus ner, Steuer- und Gebührenzahler verschlei- Reiner Klingholz den Städten an den Rand des Bundeslandes ßen. Im schlechtesten Fall würden sich die Direktor Berlin-Institut für Bevölkerung und locken lassen. Teilweise können sie noch Unterregionen aufreiben und insgesamt im Entwicklung nicht einmal die eigenen jungen Menschen Wettbewerb verlieren – gegenüber anderen vor Ort halten, weil diese dem Sog der Metro- erfolgreichen Regionen Deutschlands, etwa Matthias Löb polen erliegen. Dort nämlich gibt es trotz der der Schwäbischen Alb, dem Emsland oder Direktor Landschaftsverband Westfalen- hohen Arbeitslosigkeit Jobs, allerdings nur für Oberbayern. Lippe (LWL) jene, welche die entsprechenden Qualifikati- onen mitbringen. Kooperation und voneinander Lernen sind Karl-Heinrich Sümmermann auch wichtig, wenn es darum geht, die Vorstandsvorsitzender Stiftung Westfalen- So haben sich manche Städte des Ruhrgebie- Daseinsvorsorge an die alternde und zum Initiative tes zu Dienstleistungs- und Bildungszentren Teil schrumpfende Bevölkerung anzupassen, entwickelt, die junge Menschen in Scharen anziehen. Dort wohnt die neue Bildungselite zum Teil neben jenen, die noch aus der alten Zeit stammen und es als Geringqualifizierte NIEDERSACHSEN schwer haben eine Beschäftigung zu finden. Die Zukunft wird zeigen, ob aus dem neu Münsterland geschaffenen Wissen an den Universitäten, Ostwestfalen- aus Forschung, Entwicklung und den not- Lippe wendigen Ausgründungen so viel Wohlstand und Arbeit entstehen kann, dass das Revier westfälisches als urbanes Zentrum eine ökonomische Wie- Ruhrgebiet dergeburt feiern kann und auch die weniger NORDRHEIN- Privilegierten vom Aufschwung profitieren WESTFALEN Südwestfalen können. HESSEN RHEINLAND- PFALZ Berlin-Institut 5
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE Der demografische und wirtschaftliche wuchs in den Betrieben fehlt. Oder wo die munen, regionale Bündnisse oder Bürger auf Wandel verändert die Regionen und fordert Bevölkerung schnell altert, die Versorgungs- die Herausforderungen reagieren können. sie heraus. Doch nicht überall zeigen sich die lage sich verschlechtert und die Wege zum gleichen Trends. Wachstum und Schrump- Arzt oder Supermarkt länger werden. Fachkräfte werden weniger fung, Alterung und Zuzug junger Menschen, Fachkräftemangel und Arbeitslosigkeit Die Großstädte locken die Jungen Der westfälische Arbeitsmarkt ist regional können mitunter in enger Nachbarschaft unterschiedlich ausgeprägt. Mancherorts auftreten. Gut beobachten lässt sich dies Vor allem junge Menschen zieht es in die scheinen fehlende Jobs und Arbeitslosig- in Westfalen. Von der rasant wachsenden Städte und dabei nicht nur in die großen keit die große Herausforderung zu sein, und jungen Universitätsstadt Münster bis zu Universitätsstandorte wie Münster, Bielefeld während andernorts fast Vollbeschäftigung den bereits deutlich gealterten Ruhrgebiets- oder Bochum, sondern inzwischen auch in die herrscht und der Mangel an Fachkräften die städten ist es nicht weit. Und während die Ruhrgebietsstädte Herne, Hamm oder Gelsen- wirtschaftliche Zukunft der Unternehmen Großstädte an Emscher und Ruhr immer noch kirchen. Die zurückgewonnene Attraktivität bedroht. Oft haben Regionen aber mit beiden mit einer hohen Arbeitslosigkeit zu kämpfen der Ballungszentren geht zulasten ländlicher Problemen gleichzeitig zu kämpfen. Deutlich haben, gehen vielen Betrieben und Unterneh- Regionen. Hier kehren die Bildungswanderer wird dies beispielsweise im westfälischen men im eher ländlich geprägten Ostwestfa- ihrer dörflichen Heimat oder den Kleinstädten Ruhrgebiet, wo die Städte seit Jahrzehnten len-Lippe und in Südwestfalen zunehmend den Rücken – und dies trotz attraktiver und mit einer strukturellen Arbeitslosigkeit zu die Arbeitskräfte aus. vielfältiger Arbeitsmöglichkeiten. kämpfen haben und sich in einzelnen Berufs- feldern trotzdem Engpässe zeigen. Doch welche Gemeinden erleben in Westfa- Deshalb drohen auch die heute noch jungen len eine vergleichbare demografische und ländlichen Landstriche, etwa im Münsterland Der demografische Wandel dürfte die westfä- wirtschaftliche Entwicklung und stehen vor oder rund um Paderborn, künftig besonders lische Wirtschaft künftig deutlich stärker als ähnlichen Herausforderungen? Wo finden stark zu altern. Die Gemeinden stehen damit bislang herausfordern. Denn aktuell sind die sich Vorbilder und Verbündete, von denen vor der Herausforderung, ihre Versorgungs- geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer- sich etwas lernen lässt oder mit denen man landschaft in kurzer Zeit altersfreundlich auf- Generation noch im Erwerbsalter. Sobald sie sich über Erfahrungen austauschen könnte? zustellen. Dies erfordert neue und angepasste aber in den nächsten Jahren in Rente gehen, Die Antwort darauf liefert diese Studie Versorgungsformen wie flexible Mobilitätsan- hinterlassen sie eine Lücke auf dem Arbeits- anhand einer Clusteranalyse (Seite 13). Sie gebote, multifunktionale Nahversorgung, markt, die der Nachwuchs rein zahlenmäßig macht die vier Entwicklungstrends Westfa- Online-Angebote oder ärztliche Betreuung mit bei weitem nicht schließen kann. Gerade für lens sichtbar und zeigt beispielsweise auf, Hilfe von Telemedizin. Vielerorts in Westfalen Unternehmen in den ländlichen Gebieten aus welchen Gemeinden junge Menschen werden innovative Ansätze bereits erprobt. dürfte dies zu einem großen Problem werden. abwandern, während gleichzeitig der Nach- Gleichzeitig liefern andere Regionen in Denn von den wenigen jungen Landbewoh- Deutschland Ideen, wie Unternehmen, Kom- nern wandern viele auch noch ab. WAS TUN? Der Job allein genügt nicht mehr jungen Menschen auf der Suche nach einem Unternehmen wird es immer schwieriger Ausbildungs- oder Studienplatz von allein allein gegen attraktive Jobangebote großer Der Wettbewerb um die weniger werden- herbeiströmen, müssen ländliche Regio- Konkurrenten in den Städten anzutreten. Ihre den Arbeitskräfte wird dabei immer mehr nen ihre Pluspunkte aktiv vermarkten. In wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit hängt auch zum Wettbewerb zwischen den Regionen. Westfalen ist das Land vielerorts durch einen davon ab, wie sich die Lebensbedingungen in Während die attraktiven städtischen Zentren starken Mittelstand geprägt. Aber für die ihrem unmittelbaren Umfeld entwickeln. Re- noch darauf vertrauen können, dass die dort ansässigen kleinen und mittelgroßen gionale Bündnisse werden daher wichtiger. 6 Eine Region, viele Aussichten
Um Unternehmen vor Ort zu halten, sind zunehmend auch Kommunen, Kreise und Fachkräftesicherung miteinander vereinen lassen. Auch die Kom- munen müssen den Ausbau der Betreuungs- regionale Verbünde gefordert – nicht nur Unternehmen bei der Suche angebote weiter vorantreiben. Ausgaben bei der Vermarktung offener Stellen. Denn nach Nachwuchs unterstützen für gute Kitas finanzieren sich in der Regel ob sich eine potenzielle Fachkraft für ein selbst, weil sie zu einer höheren Erwerbstä- bestimmtes Jobangebot entscheidet, hängt Kommunen können dabei helfen, den tigkeit vor allem von Müttern und damit zu nicht nur von den Arbeitsbedingungen Fachkräftenachwuchs vor Ort zu halten. Denn höheren Steuereinnahmen führen. und dem Gehalt ab, sondern auch von den nicht alle wollen weggehen. Viele packen Wohn- und Lebensbedingungen am Unter- auch ihre Koffer, weil sie die vielfältigen Zunehmend wird die Pflege von Angehörigen nehmensstandort. Gibt es gute Schulen und Berufsmöglichkeiten und Karrierechancen zu einem prägenden Thema der Fachkräfte- ausreichend Kinderbetreuungseinrichtungen, vor der Haustür gar nicht kennen. Andere, sicherung. Mit einer wachsenden Zahl pfle- findet auch der Lebenspartner eine adäquate die gern zurückkommen wollen nach einem gebedürftiger Menschen übernehmen immer Beschäftigung, wie sieht es mit der Nahver- Studium, wissen nicht immer, dass ihr Hoch- mehr berufstätige Angehörige Pflegeaufga- sorgung aus oder welche Freizeitmöglichkei- schulabschluss auch lokal gefragt ist. ben. Viele reduzieren ihre Arbeitszeiten oder ten bietet die Region? Diese Fragen spielen geben die Berufstätigkeit komplett auf. Dies bei der Entscheidung für oder gegen einen Die Stadt Brilon im Sauerland zeigt, was ist fatal in Zeiten des Fachkräftemangels. Job eine gewichtige Rolle. Gemeinden tun können, um die lokale Wirt- Kreise und Kommunen sollten lokale Betriebe schaft zu unterstützen. Die Kommune initiiert motivieren, sich mit dem sensiblen Thema Eine schnelle Datenverbindung einen Austausch zwischen lokalen Betrieben zu beschäftigen und betroffene Mitarbeiter ist unverzichtbar und Schulen mit gegenseitigen Besuchen und zu unterstützen. Wie das praktisch aussehen organisiert eine Job- und Ausbildungsbörse. kann, zeigen der Ennepe-Ruhr-Kreis mit der Eine störungsfreie, schnelle Internetverbin- Der Bürgermeister der Stadt Delbrück im Kampagne „arbeiten-pflegen-leben“ und die dung sollte heute so selbstverständlich sein Landkreis Paderborn hat ein ehemaliges Wirtschaftsförderungen des Münsterlandes wie ein Strom- oder Wasseranschluss. Doch Schulgebäude zur Verfügung gestellt, in dem mit dem „Betrieblichen Pflegekoffer“. gerade im ländlichen Raum hapert es damit sich das BANG StarterCenter angesiedelt hat. vielerorts. Ohne eine zeitgemäße Interne- Dort können Schüler Berufe und Betriebe aus Ältere Arbeitnehmer weiterbilden tanbindung können viele Unternehmen im der Region kennenlernen. und ihnen Perspektiven aufzeigen Wettbewerb nicht mehr mithalten. Auch viele Versorgungslösungen, von der Telemedizin Nicht ausgenutzte Potenziale Die Zahl älterer Arbeitnehmer steigt stetig über mobile Bürgerdienste bis hin zum Le- besser ausschöpfen und sie werden aufgrund des demogra- bensmitteleinkauf per Internet, sind auf gute fischen Wandels einen immer größeren Datenübertragungsraten angewiesen. Bundesweit ist es bislang gelungen, trotz Anteil der Fachkräfte stellen. Qualifizierung, einer schrumpfenden Bevölkerung im er- Weiterbildung, aber auch Wertschätzung Gerade für abgelegene, schlecht versorgte werbsfähigen Alter, noch immer die Zahl der und Motivation sollten sich daher verstärkt Ortschaften ist es wichtig, dass zumindest Erwerbspersonen wachsen zu lassen. Dies ist an Mitarbeiter jenseits der 50 richten, um ein Breitbandanschluss bis ins Dorf reicht. vor allem Frauen und älteren Arbeitnehmern sie möglichst lange im Betrieb zu halten. Doch der Ausbau ist teuer und rechnet sich zu verdanken, die heute sehr viel häufiger auf Wie dies in kleinen und mittleren Unterneh- nicht für wenige Kunden. Trotz Förderung fin- dem Arbeitsmarkt unterwegs sind als noch men gelingen kann, ist aktuell Thema eines den sich oft keine privaten Anbieter. Regio- vor einigen Jahren. Projektes der Wirtschaftsinitiative Höxter, nen müssen deshalb selbst aktiv werden. Die das sich der alternsgerechten Gestaltung von kreiseigene Telekommunikationsgesellschaft In Westfalen wird das Potenzial von Frauen Arbeit widmet. Südwestfalen oder die von Unternehmern und Älteren für den Arbeitsmarkt noch nicht gegründete Breitbandgenossenschaft Hagen ausreichend ausgeschöpft. Unternehmen Über Bildung und Qualifizierung eG im Ruhrgebiet machen vor, wie regionales sollten allein, in regionalen Kooperationen neue Fachkräfte gewinnen Engagement funktionieren kann. Während oder mit kommunaler Unterstützung genau die einen sich explizit um den Anschluss diese lokalen Fachkräfteangebote nutzen. Wenn in einigen ländlichen Kreisen des abgelegener Orte kümmern, haben letztere Familienfreundliche Arbeitsbedingungen, wie Münsterlandes nahezu Vollbeschäftigung in Eigenregie die Datengeschwindigkeit in flexible Arbeitszeiten oder Unterstützung bei herrscht und im benachbarten Ruhrgebiet die ihrem Gewerbegebiet angehoben. der Kinderbetreuung, tragen dazu bei, dass Arbeitslosigkeit besonders hoch ist, liegt die sich Familienleben und Arbeit stressfreier Idee nahe, dass nur ein Fachkräfteaustausch Berlin-Institut 7
zwischen den Regionen organisiert werden müsste. Bislang hat dies aber kaum funktio- Daseinsvorsorge Mediziner aufs Land locken niert. Und selbst innerhalb einer Teilregion Mit neuen Versorgungsformen ein Eine gute medizinische Versorgung der ist unter Bewohnern ohne deutschen Pass attraktives Lebensumfeld schaffen Bevölkerung mit ambulant tätigen Haus- und die Arbeitslosigkeit zum Teil viermal höher Fachärzten, aber auch eine schnelle Not- als unter den Deutschen, trotz wachsender Dort wo die Jungen wegziehen, die Einwoh- fallversorgung werden mit der Alterung der Fachkräfteengpässe. ner weniger werden und meist ältere Men- Landbevölkerung immer wichtiger. Gleich- schen zurückbleiben, verschwinden Schulen, zeitig ziehen immer weniger Nachwuchs- Grund dafür ist vielerorts, dass die oft schließen Dorfläden und der öffentliche mediziner aufs Land und übernehmen dort niedrigen oder fehlenden Qualifikationen der Nahverkehr dünnt aus. Viele herkömmliche selbständig eine Praxis. Arbeitssuchenden nicht zu den Anforderun- Versorgungsmodelle tragen sich nicht mehr gen passen, die Betriebe an ihre Fachkräfte und ziehen sich aus der Fläche zurück. Neue Wie aber lässt sich eine gute gesundheitliche stellen. Künftig kann sich Westfalen aber Angebotsformen, wie sie vielerorts bereits in Versorgung der ländlichen Räume organi- nicht mehr leisten, dass noch immer viele Westfalen ausprobiert werden, können dem sieren und wie der medizinische Fachkräfte- junge Menschen ohne ausreichend schuli- entgegenwirken. bedarf decken? Bei der Suche nach Ärzten sche und berufliche Bildung bleiben – egal können seit 2015 auch die Kommunen aktiv ob hier geboren oder zugewandert. Junge Diese müssen sich einerseits an den ver- werden. Sie können Praxen eröffnen und Menschen, denen es bislang schwerfällt, änderten Bedürfnissen einer immer älter Ärzte anstellen. Die Vorteile vor allem für auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, sollten werdenden Bewohnerschaft orientieren. junge Ärzte liegen auf der Hand. Sie können gezielt unterstützt werden. Die Talentscouts Fußläufig erreichbare Dorfläden und flexible in Vollzeit oder familienfreundlich in Teilzeit der Westfälischen Hochschule im Ruhrge- Mobilitätsangebote gehören ebenso dazu, arbeiten. Außerdem müssen sie bei diesem biet helfen weniger privilegierten Schülern wie eine gute medizinische und pflegeri- Modell nicht gleich am Anfang ihrer Berufs- bei der Berufswahl. Und die „Initiative für sche Betreuung. Andererseits müssen sich laufbahn in eine eigene Praxis investieren. Beschäftigungsförderung OWL e.V.“ aus die Kommunen nach den Wünschen jener Bislang scheuen jedoch die westfälischen Bielefeld bringt junge Migranten mit lokalen richten, die als potenzielle Zuzügler das Land- Gemeinden das Risiko. Büsum in Schleswig- Handwerksbetrieben zusammen. leben bereichern können. Vor allem Familien Holstein zeigt als erste bundesdeutsche zählen dazu. Ohne gute Kitas mit flexiblen Kommune, dass ein Modell der kommunalen Erreichbarkeit verbessern Betreuungszeiten, die sich an den Bedürfnis- Trägerschaft eines Ärztezentrums funktionie- sen von arbeitenden Eltern orientieren, oder ren kann. Wie gelangen künftig Fachkräfte zu Unterneh- Grundschulen lassen sich diese kaum als men, die auf dem Land sitzen? Diese Frage Neubewohner gewinnen. Pflegerische Versorgung unterstützen gewinnt an Bedeutung, weil im nahen Umfeld nicht mehr genug Nachwuchskräfte zuhause Mobilität flexibel und mit Fast noch gravierender als bei den Landärz- sind und die jungen Menschen in den Groß- verschiedenen Nutzern denken ten ist der Fachkräftemangel im Pflegebe- städten zunehmend auf ein eigenes Auto ver- reich. In den ländlichen Räumen steigt der zichten. Unternehmen sollten daher Konzepte Unternehmen, Kommunen und Bürger sollten Bedarf besonders schnell, Jahr für Jahr wird entwickeln, wie sie auch im abgelegenen gemeinsam flexible und vernetzte Mobilitäts- der Engpass an Pflegepersonal größer. Wenn Gewerbegebiet gut erreichbar sind. Lösungen lösungen entwickeln. In vielen Dörfern und ältere Menschen länger in ihren eigenen vier dazu können sehr unterschiedlich aussehen: Gemeinden gibt es bereits gute Ideen: von Wänden leben können, entlastet das die In Südwestfalen schickt ein Unternehmen der Weiterentwicklung des nordrhein-westfä- Pflegestrukturen. Damit dies gelingt, sind täglich einen Bus nach Köln, der dort die lischen Erfolgsmodells der Bürgerbusse über Unterstützungsnetzwerke sinnvoll. Gemein- Mitarbeiter einsammelt. Ein Betrieb aus dem ein Car-Sharing-Angebot, das auch mit ehren- sam können dann Angehörige, ehrenamtliche Münsterland verlagerte seinen Standort in amtlichen Fahrern gemietet werden kann, bis Nachbarschaftshelfer, Besuchsdienste wie Bahnhofsnähe, damit die IT-Spezialisten aus hin zu Dienstwagen von Kommunen, die nach die diakonischen Gemeindemitarbeitenden Münster auch ohne Auto anreisen können. Dienstschluss auch die Bürger nutzen kön- aus Wittgenstein, sowie professionell Pfle- Der Versandhändler Zalando hat für seinen nen. Die letzten Kilometer zwischen Bahnhof gende den älteren Bewohnern helfen. Logistikstandort in Erfurt ein eigenes Mobi- und Dorf lassen sich inzwischen mancherorts litätsmanagement für Mitarbeiter eingeführt einfach mit Elektro-Leihfahrrädern überwin- – ein Modell das auch Betriebe in Westfalen den und gemeinschaftlich nutzbare Lasten- kopieren könnten. räder werden auch für den Lieferservice des lokalen Supermarktes eingesetzt. 8 Eine Region, viele Aussichten
Nahversorgung online Das Engagement In bestimmten Bereichen ist daher mehr und offline sichern der Bewohner unterstützen Zusammenarbeit zwischen den Teilregio- nen nötig, wie es Unternehmen bereits auf Gerade für eine alternde Bewohnerschaft, Viele Lösungen und Ideen auf dem Land funk- regionaler Ebene praktizieren. So können die zunehmend weniger mobil ist, ist eine tionieren nur, wenn sich auch die Bewohner Hochschulen des Ruhrgebiets ausbilden, was wohnortnahe Versorgung mit Lebensmitteln, dafür stark machen. So rollt der Bürgerbus Unternehmen in den ländlichen Gebieten an Medikamenten und sonstigen Waren des nur, wenn sich ehrenamtliche Fahrer finden. Qualifikationen benötigen. Mit dem „Bo- täglichen Bedarfs wichtig. Doch weniger Die organisierte Nachbarschaftshilfe braucht chumer Modell“ wird dies in der Mediziner- Bewohner und die Konkurrenz durch große engagierte Bürger, die für ältere alleinle- Ausbildung schon praktiziert. Die Region Supermärkte lassen Dorfläden nach und nach bende Einwohner Einkäufe erledigen oder Südwestfalen kooperiert bereits mit der verschwinden. sie regelmäßig besuchen. Und mancherorts Wirtschaftsförderung Dortmund, um die IT- sind es auch die Bewohner selbst, die den Absolventen der Universität ins Sieger- und Dank des Online-Versandhandels können Dorfladen in ihrer Freizeit mit persönlichem Sauerland zu locken. Auch lohnt ein Blick inzwischen auch Landbewohner von zu Hau- Einsatz betreiben. über die nördliche Grenze Westfalens in die se aus in einer breit gefächerten Warenwelt Region Ems-Achse. Ein Bündnis von Unter- einkaufen. Doch für Lebensmittel ist dies Damit die Aktivitäten der Bewohner tat- nehmen, Kommunen, Kammern und Verbän- bislang wenig verbreitet. Dabei bietet der sächlich helfen können, die Lebensqualität den führt dort regionsübergreifend unter dem Bestell- und Lieferservice auch für den regi- auf dem Land zu verbessern, braucht das Dach „Wachstumsregion Ems-Achse e.V.“ onalen Einzelhandel eine Chance. Über das Engagement Unterstützung der öffentlichen Marketingmaßnahmen sowie umfangreiche Webportal Lokaso in Siegen und Arnsberg Hand und sonstiger Institutionen. So können Aktivitäten zur Fachkräftesicherung durch, können Kunden ihre Lebensmittel bei Händ- kommunale Ansprechpartner bei Fragen zu von familienfreundlichen Arbeitsbedingun- lern der Region bestellen und bekommen Fördermöglichkeiten, rechtlichen Hürden gen bis zur Unterstützung des mitziehenden diese nach Hause geliefert. Ein Modell, das oder organisatorischen Schwierigkeiten Lebenspartners bei der Jobsuche. sich auf andere Regionen übertragen lässt. behilflich sein. Aber auch der Erfahrungs- austausch mit Engagierten aus anderen Austausch von Wissen Zudem sollten Initiativen und Einzelhänd- Regionen oder zwischen erfahrenen Freiwil- und Ideen vorantreiben ler, die sich um eine lokale Nahversorgung ligen und neuen Initiativen sollte unterstützt in Form von multifunktionalen Dorfläden werden. Kommunen und Kreise können Die westfälischen Teilregionen haben auf der bemühen, unterstützt werden. Denn ein diesen Wissenstransfer initiieren. Suche nach neuen Ideen für die Fachkräftesi- Laden bietet oft mehr als nur die Waren des cherung und Daseinsvorsorge auf dem Land täglichen Bedarfs. Er belebt das Dorf und ist ein sozialer Treffpunkt für die Bewohner- Gemeinsam als bislang unterschiedliche Erfahrungen gesam- melt. So ist in Südwestfalen, wo die Bevölke- schaft. Auch können weitere Angebote wie Westfalen punkten rung auf dem Land schon seit geraumer Zeit ein Café, ein Bürgerbüro oder soziale und schwindet, die Zukunft der Dörfer bereits seit medizinische Dienstleistungen einziehen. Über Regionsgrenzen der REGIONALE 2013 ein Thema. Auch Teile Um dies zu fördern, können Kommunen oder zusammenarbeiten des Münsterlandes haben sich im Rahmen Kreise Beratungsleistungen anbieten oder bei der REGIONALE 2016 mit Einzelfragen wie der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten Der Wettbewerb um die Fachkräfte und Ein- neuen Mobilitätsformen und der Alterung in behilflich sein. Auch die Einwohner sind wohner ist immer weniger allein ein Wettbe- den Dörfern beschäftigt. Gleichzeitig gehen gefordert. Denn nur, wenn sie bereit sind für werb zwischen einzelnen Unternehmen oder regionale Bündnisse der Frage nach, wie Be- Milch, Eier oder Wurst auch ein paar Cent Gemeinden. Es ist vielmehr ein Wettbewerb triebe zukünftig gute Arbeitskräfte finden und mehr auszugeben, hat ein solcher Dorfladen zwischen Regionen. Wenn Südwestfalen mit halten können. Das gesammelte Wissen sollte eine Chance. seinem Regionalmarketing die Vorzüge des nicht in den Teilregionen verbleiben, sondern Lebens zwischen Sauerland, Siegerland und westfalenweit ausgetauscht werden. Wo ver- Märkischen Kreis anpreist, tritt es nicht nur in gleichbare Förder- und Unterstützungsstruk- Konkurrenz zu Süddeutschland. Die Fachkräf- turen existieren, lassen sich erprobte Ideen te, die angelockt werden, fehlen womöglich im auch andernorts schnell umsetzen. Ruhrgebiet, im Münsterland oder in Ostwest- falen-Lippe. Somit treten auch die westfäli- schen Teilregionen in einen Wettstreit. Berlin-Institut 9
1 WESTFALEN – EINE EINORDNUNG Deutschlandweit verschärft der demografi- und klugen Köpfen zusammenkommt, was Münster, Paderborn und Bielefeld. Allerdings sche Wandel die Unterschiede in den Regi- in einer Informations- und Wissensgesell- zeigen sich auch Entwicklungen, die deutsch- onen. Grob lässt sich diese Entwicklung wie schaft der Nährboden für Innovationen und landweit betrachtet eher untypisch sind: folgt zusammenfassen: Periphere und dünn neue Jobs ist, dürften die Vorzeichen in den Während viele Großstädte im westfälischen besiedelte Gebiete verlieren zunehmend an attraktiven Ballungsräumen auch weiterhin Ruhrgebiet mit Einwohnerrückgang, Alterung, Einwohnern. Vor allem jüngere Menschen auf Wachstum stehen. niedriger Wirtschaftsleistung und hoher zieht es auf der Suche nach einem Ausbil- Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben, stehen dungs-, Studien- oder Arbeitsplatz in die Westfalen und der viele eher ländlich geprägte Regionen besser urbanen Zentren. Ihre Abwanderung lässt die demografische Wandel da. So wächst etwa im Münsterland die Be- Bevölkerung in vielen ländlichen Regionen völkerung und die Bewohner der Landkreise schrumpfen und überproportional altern. Westfalen, das aus den Teilregionen Münster- Siegen-Wittgenstein und Minden-Lübbecke Die Gewinner sind zumeist die Groß- und land, Ostwestfalen-Lippe, Südwestfalen und erwirtschaften im Schnitt pro Jahr und Kopf Mittelstädte, die sich am demografischen und dem westfälischen Ruhrgebiet besteht, will fast doppelt so viel wie die Großstädter in wirtschaftlichen Wachstum erfreuen. Und allerdings nicht ganz in dieses Bild passen. Bottrop. Insgesamt zeigen sich regional in weil in diesen Zentren eine kritische Masse Zwar gibt es auch hier demografisch und Westfalen große demografische wie wirt- aus Unternehmen, Forschungseinrichtungen wirtschaftlich erfolgreiche Großstädte wie schaftliche Unterschiede. Wachsen und Schrumpfen Junges Münster, dicht beieinander altes Ruhrgebiet Heute leben rund 17 Prozent mehr Während andernorts in Deutsch- Menschen in Münster als noch zur land vor allem die Landbevölke- Jahrtausendwende. Das rasante rung bereits deutlich gealtert ist Wachstum strahlt ins Umland aus. und die Großstädte jung geblie- Auch die Kreise Gütersloh und Pa- ben sind, zeigt sich dieses Bild derborn in OWL konnten Einwoh- in Westfalen weniger eindeutig. ner gewinnen. Eine ganz andere Hier weisen der Ennepe-Ruhr- Entwicklung zeigt sich hingegen Kreis oder der Kreis Recklinghau- im westfälischen Ruhrgebiet, wo sen im Ruhrgebiet das höchste es einzig Dortmund schafft, stabil Durchschnittsalter mit über 45 zu bleiben. Die Mehrzahl der Jahren auf – und sind damit noch westfälischen Kreise verlor seit älter als das ländliche Höxter 2000 an Einwohnern. Beson- oder der Hochsauerlandkreis. ders der Kreis Höxter und der Märkische Kreis mussten starke Durchschnittsalter der Bevölke- Bevölkerungsverluste von über rung in den westfälischen Kreisen acht Prozent verkraften. und kreisfreien Städten, 2016 unter -5 (Datengrundlage: BBSR2) unter 42 Bevölkerungsentwicklung der -5 bis unter 0 42 bis unter 43 westfälischen Kreise und kreis- freien Städten zwischen 2000 0 bis unter 5 43 bis unter 44 und 2016*, in Prozent 5 bis unter 10 44 bis unter 45 (Datengrundlage: BBSR1) 10 und mehr 45 und mehr * Die Zahlen für 2000 sind korrigiert um den Zensuseffekt. 10 Eine Region, viele Aussichten
WESTFÄLISCHES RUHRGEBIET – DIENSTLEISTUNGEN DOMINIEREN Mit dem Ruhrgebiet wird bis heute der Nie- deutschen Forschungsgesellschaften von der In Dortmund wuchs seit der Jahrtausend- dergang der Montanindustrie und ein lang- Fraunhofer-Gesellschaft über die Leibniz- wende die Zahl der Erwerbstätigen um wieriger wirtschaftlicher Strukturwandel Gemeinschaft bis hin zur Max-Planck-Gesell- zehn Prozent, eine Dynamik, die vergleich- verbunden. Von Kohle und Stahl, die einst schaft mit mehreren Instituten vertreten sind. bar ist mit anderen wirtschaftsstarken das Revier groß gemacht und geprägt haben, Mit 50.000 Beschäftigten hat sich Wissen- Kreisen und Städten Westfalens.10 Gleich- ist heute nicht mehr viel übrig. Nachdem schaft und Forschung zu einem wichtigen zeitig hält sich aber eine überdurchschnitt- die Montanindustrie in den 1960er Jahren Arbeitgeber der Region entwickelt.7 lich hohe Arbeitslosigkeit, ein Zeichen, ihren Höhepunkt erreicht hatte, zeigten sich dass der Strukturwandel noch nicht die ersten Anzeichen des Wandels: Die Zahl Das Ruhrgebiet ist heute nicht nur ein wirklich bewältigt ist. Es sind vor allem der Bergleute nahm rasant ab, während die Wissens-, sondern auch ein Dienstleis- Menschen mit niedrigen Qualifikationen, Zahl der Studierenden kontinuierlich stieg.5 tungsstandort. Im Jahr 2017 gingen drei also ohne Berufsabschluss, die keinen Im Laufe der Zeit ist im gesamten Ruhrge- von vier Beschäftigten im Ruhrgebiet* einer Job finden und von den neu entstehenden biet eines der dichtesten Hochschulnetze Dienstleistungstätigkeit nach und somit Arbeitsplätzen nicht profitieren können. Europas entstanden.6 Den Beginn bildeten anteilig mehr als im gesamten Bundes- Ein ähnliches Muster findet sich im Aus- die Ruhr-Universität Bochum sowie die land Nordrhein-Westfalen.8 Vor allem die bildungsbereich. Während Unternehmen Technische Universität Dortmund, später unternehmensnahen Dienstleistungen, die wachsende Schwierigkeiten haben, Auszu- folgten zahlreiche Fachhochschulen. Inzwi- Logistiksparte und das Gesundheits- und bildende für bestimmte Berufsfelder, wie schen gibt es im gesamten Ruhrgebiet fünf Sozialwesen sind Wachstumstreiber im IT-Technik oder Finanzdienstleistungen, zu Universitäten, eine Kunst- und Musikhoch- Ruhrgebiet. Davon zeugt auch die große finden, gelingt Jugendlichen mit einfa- schule sowie fünfzehn Fachhochschulen. Dichte an Krankenhäusern und Spezialklini- chen Schulabschlüssen der Übergang ins Hinzu kommen rund 60 außeruniversitäre ken mit überregionaler bis internationaler Berufsleben nur schwer.11 Forschungseinrichtungen, wobei alle großen Bedeutung.9 * Die Zahlen beziehen sich auf das gesamte Ruhrge- biet, nicht nur auf den westfälischen Teil. Großes Gefälle Zwischen Arbeitslosigkeit auf kleinem Raum und fast Vollbeschäftigung Das Ende von Kohle und Stahl Im Jahr 2016 lag die Arbeits- wirkt sich bis heute auf die losigkeit in Gelsenkirchen bei Wirtschaftskraft der westfäli- annähernd 15 Prozent, bundes- schen Regionen aus. In Bottrop weit die schlechteste Quote aller erwirtschaftet ein Einwohner im Kreise und kreisfreien Städte. Mittel gerade einmal etwas über In Westfalen erreichen nur 20.000 Euro pro Jahr, deutsch- noch andere Ruhrgebietsstädte landweit der letzte Platz unter Quoten von über zehn Prozent. allen kreisfreien Städten. Am Ein Sprung über die nördlichen anderen Ende der Skala findet Kreisgrenzen des Ruhrgebiets sich Münster mit einem Bruttoin- reicht jedoch, um auf einen völlig landsprodukt von über 54.000 anderen Arbeitsmarkt zu treffen. Euro pro Jahr und Einwohner. Im Kreis Coesfeld herrscht bei Aber auch die Kreise Siegen-Witt- einer Arbeitslosenquote von drei genstein und Minden-Lübbecke Prozent fast Vollbeschäftigung. schneiden vergleichsweise gut ab und liegen sowohl über dem Prozentualer Anteil der Arbeits- Landes- als auch dem Bundes- unter 25.000 losen an allen Erwerbspersonen unter 4 durchschnitt. 25.000 bis unter 30.000 in den westfälischen Kreisen und 4 bis unter 6 30.000 bis unter 35.000 kreisfreien Städten, 2016 6 bis unter 8 Bruttoinlandsprodukt pro Ein- (Datengrundlage: IT.NRW4) 8 bis unter 10 35.000 bis unter 40.000 wohner in Euro in den westfä- 40.000 bis unter 45.000 10 und mehr lischen Kreisen und kreisfreien Städten, 2015 45.000 und mehr (Datengrundlage: VGRL3) Berlin-Institut 11
OSTWESTFALEN-LIPPE – TRADITION UND INNOVATIONEN Ostwestfalen-Lippe entwickelte sich laut nur auf alte Traditionen. Mit Innovations-, chen Wirtschaftskraft. Dies zahlt sich aus: einem Vergleich der Regionen Nordrhein- Technologie- und Branchennetzwerken, Mit 168 Patentanmeldungen pro 100.000 Westfalens zwischen 2006 und 2015 am dy- in denen sich Unternehmen, Hochschulen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten namischsten. In diesem Zeitraum konnte die und wirtschaftsnahe Einrichtungen, wie stammen selbst im deutschlandweiten Region ihr Bruttoinlandsprodukt pro Kopf Kammern und Förderungsgesellschaften Vergleich überdurchschnittlich viele Erfin- um über 28 Prozent steigern.18 Neben den zusammenschließen, arbeitet die Region dungen und technischen Neuerungen aus sogenannten Hidden Champions beheimatet seit einiger Zeit intensiv daran, führend in dieser Teilregion OWLs.21 das östliche Westfalen zahlreiche traditio- zukunftsträchtigen Branchen und Technolo- nelle Familienbetriebe, deren Bekanntheit gien zu werden. Im Technologie-Netzwerk Zur Innovationskraft trägt auch eine praxis- weit über die Grenzen Westfalens hinaus „it’s OWL – Intelligente Technische Systeme nahe Hochschul- und Forschungslandschaft reicht. Unternehmen wie der Medienkonzern OstWestfalenLippe“ – haben sich über 180 bei. Neben zwei Universitäten in Bielefeld Bertelsmann und der Hausgerätehersteller Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft und Paderborn beherbergt die Region die Miele aus Gütersloh sowie der Nahrungsmit- zusammengeschlossen, um an Lösungen Hochschule Ostwestfalen-Lippe, die Fach- telkonzern Dr. Oetker aus Bielefeld gehören und Entwicklungen für die Industrie 4.0 zu hochschule Bielefeld, die Fachhochschule zudem zu den umsatzstärksten deutschen arbeiten.20 des Mittelstandes sowie die Fachhochschu- Familienunternehmen.19 le der Wirtschaft. Die Namen der letztge- Und so überrascht es kaum, dass Unterneh- nannten Bildungseinrichtungen zeigen eine Ausgezeichnet in einem bundesweiten men der Region, besonders um Gütersloh enge Verbindung zu lokalen Unternehmen. Wettbewerb als eine der der fünf innova- und Paderborn*, mehr Geld für ihre Innova- Aber auch die staatlichen Hochschulen tivsten Regionen Deutschlands, baut OWL, tionskraft in die Hand nehmen als Betriebe arbeiten über das Spitzencluster mit der wie es kurz genannt wird, jedoch nicht andernorts – rund 2,2 Prozent der jährli- Wirtschaft zusammen. * Im Innovationsatlas des IW Köln sind Landkreise und kreisfreie Städte zu Wirtschaftsräumen zusammengefasst. Der hier erwähnte Wirtschaftraum um Gütersloh und Paderborn umfasst auch die Landkreise Soest und Hochsauerlandkreis, die in der hier sonst genutzten Kategorisierung nicht zu OWL sondern zu Südwestfalen gehören. SÜDWESTFALEN – INDUSTRIEREGION MODERNISIERT SICH Südwestfalen gilt als die Industrieregion der Maschinenbau.23 Hier sind Automobil- Obwohl sie sich auf den globalen Märkten Nordrhein-Westfalens. Beim Beschäfti- zulieferer ebenso ansässig wie Unterneh- erfolgreich behaupten, handelt es sich gungsanteil im produzierenden Gewerbe men der Elektro- und Leuchtenindustrie. meist um familiengeführte Betriebe, die in steht die Region deutschlandweit an dritter Mit Warsteiner, Krombacher und Veltins der Öffentlichkeit kaum bekannt sind.26 Stelle. Anteilig mehr Industriebeschäftigte haben drei der bekanntesten Privatbrau- gibt es nur in den Regionen Schwarzwald- ereien Deutschlands ihren Standort in Die Dynamik der wirtschaftlichen Ent- Baar-Heuberg sowie Ostwürttemberg.22 Südwestfalen.24 Die Region zieht ihren wicklung Südwestfalens verändert sich. Fast 45 Prozent der Bruttowertschöpfung Erfolg im Unterschied zum benachbarten Zwischen 1980 und 2010 erlebte die Regi- der Region entstammen dem produzieren- Ruhrgebiet weniger aus einzelnen Großun- on im Vergleich mit Nordrhein-Westfalen den Gewerbe, im Landkreis Olpe und im ternehmen, sondern aus ihrer Kleinteilig- und vor allem mit dem Ruhrgebiet noch Märkischen Kreis ist es sogar über die Hälf- keit und Vielfalt.25 ein überdurchschnittliches Wachstum. te. In den südwestfälischen Tälern prägen Hier wuchsen die Beschäftigtenzahlen mittelständische, meist familiengeführte Die regionalen Industrie- und Handelskam- kontinuierlich, während sie im Ruhrgebiet Unternehmen die Wirtschaftsstruktur. Die mern porträtieren in einer Broschüre über rückläufig waren.27 Inzwischen ist die wichtigsten Standbeine der südwestfäli- 150 sogenannte Hidden Champions aus südwestfälische Beschäftigtendynamik schen Industrie sind die Herstellung und Südwestfalen. Das sind Unternehmen, die ausgebremst. Der Märkische Kreis hat seit Verarbeitung von Metallerzeugnissen wie mit ihren Produkten und Dienstleistungen 2000 sogar Erwerbstätige verloren.28 Schrauben, Werkzeugen und Blechen sowie weltweit eine führende Rolle einnehmen. 12 Eine Region, viele Aussichten
MÜNSTERLAND – LANDWIRTSCHAFT UND WACHSTUM Das Münsterland ist von allen westfä- Einen ähnlich hohen Anteil zum Umsatz ist dieser Anteil im Bundesland noch lischen Regionen noch am stärksten steuert der Maschinenbau bei. Insgesamt höher.15 landwirtschaftlich geprägt. Hier verdienen 195 Betriebe verteilen sich über das Müns- noch vergleichsweise viele Menschen auf terland. Das produzierende Gewerbe trägt Die westlichste der westfälischen Regi- den Feldern und in den Ställen ihr Auskom- rund 29 Prozent zur Bruttowertschöpfung onen hat den Strukturwandel von einem men. Rund 2,4 Prozent aller Arbeitskräfte der Region bei – und damit etwas mehr bedeutenden Zentrum der Textilindustrie, im Münsterland waren 2014 in der Land- als im Durchschnitt des Landes Nordrhein- die das Münsterland bis in die Mitte des wirtschaft tätig, im Kreis Coesfeld sogar Westfalen. Deutlich über dem Landesmit- 20. Jahrhunderts war, hin zu einem breit 4 Prozent und damit mehr als viermal tel liegen allerdings die Wachstumsraten. aufgestellten Wirtschaftsraum gut gemeis- so viele wie im nordrhein-westfälischen Das produzierende Gewerbe konnte tert. Das zeigt sich auch auf dem Arbeits- Durchschnitt. In den letzten Jahren ist die zwischen 2006 und 2015 um fast 24 Pro- markt. Zwischen 2008 und 2017 sind absolute Zahl von Beschäftigten in der zent bei der Bruttowertschöpfung zulegen fast 100.000 neue sozialversicherungs- Landwirtschaft sogar noch gestiegen.12 Die und damit mehr als sieben Prozentpunkte pflichtige Arbeitsplätze im Münsterland Weiterverarbeitung der landwirtschaftli- stärker als im gesamten Bundesland. hinzugekommen – und damit prozentual chen Produkte bleibt überwiegend in der Insbesondere die Wertschöpfung im mehr als in jeder anderen nordrhein- Region und schafft zusätzliche Wert- verarbeitenden Gewerbe entwickelte sich westfälischen Region.16 Im Gegenzug sind schöpfung und Arbeitsplätze. Apetito, Iglo im Münsterland dynamischer und wuchs kaum noch Menschen auf Jobsuche. Die und Humana sind einige der bekannteren nahezu doppelt so schnell wie im Mittel Arbeitslosenquoten der Münsterländer Lebensmittelmarken, die vom Münsterland Nordrhein-Westfalens. Kreise sind nicht nur die niedrigsten aus Menschen in Deutschland und darüber Westfalens sondern auch des gesamten hinaus mit Fertiggerichten, Tiefkühlpizza, In der Stadt Münster, wo mit der West- Bundeslandes Nordrhein-Westfalens.17 Frischfleisch oder Suppen versorgen.13 fälischen Wilhelms-Universität die Entsprechend wird es für lokale Unterneh- Vor allem in den Kreisen Borken und sechstgrößte Universität Deutschlands mer zunehmend schwieriger, passende Steinfurt ist die Nahrungsmittelindustrie beheimatet ist und sich zahlreiche Ver- Arbeitskräfte für den wachsenden Bedarf zuhause, mit 50 respektive 40 Betrieben. waltungsaufgaben konzentrieren, tragen zu finden. Die Branche erwirtschaftet ein Fünftel des hingegen Dienstleistungen fast 90 Prozent jährlichen Industrieumsatzes der Region.14 zur Bruttowertschöpfung bei. Nur in Bonn Dieser Überblick zeigt, dass die Landkreise und kreisfreien Städte sehr unterschiedliche Eine Region – Vorbilder und Verbündete, von denen sich et- was lernen lässt oder mit dem man sich über demografische wie wirtschaftliche Trends auf- vier Entwicklungstrends Erfahrungen austauschen kann? Die Antwort weisen und damit auch vor unterschiedlichen darauf liefert die folgende Clusteranalyse, die Herausforderungen stehen, die jeweils andere jeweils die Gemeinden in Gruppen (Clustern) Konzepte erfordern. Um genauerer Aussagen Clusteranalyse zusammenfasst, die sich bei einer Reihe von zu den jeweiligen lokalen Entwicklungstrends ausgewählten demografischen, infrastruktu- und Herausforderungen treffen zu können, Ob im Münsterland, in Südwestfalen, in rellen und sozioökonomischen Indikatoren reicht eine Analyse auf Kreisebene nicht aus. Ostwestfalen-Lippe oder im westfälischen am ähnlichsten sind. Das Ergebnis ist ein Zu groß sind die Unterschiede zwischen den Ruhrgebiet, überall gibt es Gemeinden, die regionaler Überblick, der zeigt, wo etwa die größeren Städten und ländlichen Regionen eine ähnliche demografische und wirt- Gemeinden liegen, aus denen die jungen Bil- innerhalb der Kreise. Daher haben wir alle schaftliche Entwicklung erleben und vor dungs- und Berufswanderer abwandern und westfälischen Gemeinden anhand demogra- vergleichbaren Herausforderungen stehen. In Stellen unbesetzt bleiben oder eine schnell fischer, wirtschaftlicher sowie struktureller all diesen Gemeinden entwickeln Verant- alternde Bevölkerung auf längere Wege zum Indikatoren untersucht und Gemeinsamkeiten wortliche in den Rathäusern Lösungsansätze, Arzt oder Supermarkt treffen. sowie Unterschiede zwischen ihnen anhand innovative Ideen und Konzepte, um den einer Clusteranalyse herausgearbeitet. Problemen zu begegnen. Doch wo finden sich Berlin-Institut 13
CLUSTER 1 Deutlich gealtert und altern. Und selbst von der seit einigen Jahren trotzdem Ziel junger Menschen steigenden Attraktivität der Großstädte konn- Fünfmal erster, viermal Im Clusterdurchschnitt ist die Bevölkerung te das Ruhrgebiet lange nicht profitieren.34 die rote Laterne zwischen 2011 und 2016 um 1,1 Prozent Inzwischen sind zumindest die großen Ruhr- gewachsen. Spitzenreiter sind die beiden gebietsstädte auf den Wachstumspfad zurück- Die Großen unter sich Städte Münster und Greven, deren Einwoh- gekehrt. Dortmund wuchs zwischen 2011 und nerzahl in den fünf Jahren um über sechs 2016 um rund 2,5 Prozent, Gelsenkirchen um Die 49 Städte und Gemeinden dieses Clusters Prozent gestiegen ist. Das Wachstum wird 1,8 Prozent und Bochum immerhin um 0,6 liegen mehrheitlich im westfälischen Ruhr- getragen von der Attraktivität der Städte Prozent. Wie die meisten anderen Regionen gebiet. Aber auch die Großstädte Münster, bei den Bildungs- und Berufswanderern. Als Westfalens und Deutschlands profitierten Bielefeld oder Paderborn gehören dazu sowie einziges der vier Cluster verbucht es im Saldo auch die Städte im Pott von der momentan jeweils einzelne Gemeinden der anderen west- eine Zuwanderung der 18- bis 29-Jährigen. hohen Zuwanderung aus dem Ausland. fälischen Teilregionen. Alle kreisfreien Städte Dabei ist die Spannweite innerhalb des Clus- Westfalens finden sich in diesem Cluster wie- ters groß und reicht von der Ruhrgebietsstadt Noch immer viele ohne Arbeit der, die durchschnittliche Einwohnerzahl liegt Unna, der viele junge Menschen den Rücken bei fast 100.000 und damit mehr als dreimal kehren, bis nach Münster, das wie keine In keinem anderen Cluster sind mehr Men- so hoch wie im ebenfalls eher städtisch andere westfälische Gemeinde für Bildungs- schen auf der Suche nach Arbeit. In gerade geprägten zweiten Cluster. und Berufswanderer attraktiv ist. einmal 7 der 49 Gemeinden sind weniger als fünf Prozent der 15- bis 64-Jährigen Kurze Wege und gute Versorgung Trotz des Zuzugs junger Menschen ist die arbeitslos.* Und nur in diesem Cluster gibt Alterung in den Gemeinden des ersten es Gemeinden mit einer Arbeitslosigkeit von Typisch für die großen, städtischen Ge- Clusters bereits weit vorangeschritten. Auf über acht Prozent – allesamt Ruhrgebiets- meinden sind kurze Wege. Aus vier von fünf 100 Einwohner zwischen 15 und 64 Jahren städte. Unter den zwölf Gemeinden, auf Gemeinden brauchen die Bewohner weniger kommen im Durchschnitt über 34 Einwohner, die das zutrifft, finden sich auch die Städte als zehn Minuten zur Autobahn. Auch eine die 65 Jahre und älter sind. Im Vergleich aller Gelsenkirchen, Recklinghausen und Herne, in Einkaufsmöglichkeit findet sich zumeist in Cluster ist dies der höchste Wert. Gleichzeitig denen rund jeder Zehnte zwischen 15 und 64 der Nähe. Da fast alle Gemeinden in diesem leben hier anteilig die wenigsten Kinder und Jahren auf Jobsuche ist. Cluster ein Mittel- beziehungsweise Ober- Jugendlichen unter 15 Jahren. zentrum sind, lässt zudem auf eine allgemein Mit durchschnittlich 49 sozialversicherungs- gute Versorgungslage schließen. Denn sie Die bereits fortgeschrittene Alterung ist eher pflichtig Beschäftigten am Arbeitsort je 100 bündeln damit eine Vielzahl von Angeboten – untypisch für dicht besiedelte, städtische Einwohner zwischen 15 und 64 Jahren gibt es von weiterführenden Schulen und Kranken- Gemeinden, die ihren Altersschnitt im Allge- aber mehr Arbeitsplätze als im westfälischen häusern über Bahnhöfe und Museen bis hin meinen durch den Zuzug der Jungen niedrig Durchschnitt. Im Kreis Unna, in Hamm und in zu Universitäten und Fachkliniken. Auch halten können. Anders im Ruhrgebiet: Der Dortmund wuchs die Zahl der Erwerbstätigen die Versorgung mit Hausärzten ist die beste Bevölkerungsschwund, ausgelöst durch den unter allen Clustern. Mit Herdecke findet sich Wegzug junger Menschen, den die Region * in diesem Cluster auch die Gemeinde, die aufgrund des wirtschaftlichen Strukturwan- Der Anteil der Arbeitslosen bezieht sich in der Cluster- analyse auf alle Einwohner zwischen 15 und 64 Jahren. ihren Bewohnern mit Abstand die meisten dels erlebt hat, ließ auch die Bewohnerschaft Die Arbeitslosenquote (Karte S.11) dagegen bezieht sich Hausärzte bietet. stärker als in anderen urbanen Räumen auf den Anteil an den Erwerbspersonen. Mittelwert der in die Analyse kommunale PKW-Fahrzeit PKW-Fahrzeit zur durchschnittliche Entfer- Versorgungsgrad einbezogenen Indikatoren nung zum nächsten Super- Steuereinnahmen zum Mittelzentrum nächsten Autobahnauf- Hausärzte, 2016 nach Cluster und Ranking der markt oder Discounter in je Einwohner, 2016 in Minuten, 2015 fahrt in Minuten, 2016 Mittelwerte (4= schlechtester Metern, 2012 Wert, 1= bester Wert) Cluster Rang Rang Rang Rang Rang Die Clusterzuordnung sowie 1 1.013,2 4 0,6 1 6,8 1 1.911,1 1 113,0 1 die jeweiligen Werte für die 231 westfälischen Gemeinden 2 1.429,0 1 3,0 2 8,4 2 2.667,1 2 93,9 4 können heruntergeladen werden unter: www.berlin-institut.org/ 3 1.055,8 2 10,7 4 10,7 3 2.886,7 3 104,8 2 publikationen.html 4 1.041,1 3 6,7 3 24,8 4 3.388,2 4 99,1 3 14 Eine Region, viele Aussichten
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