Eine Region, viele Aussichten - Wie der demografische und wirtschaftliche Wandel Westfalen fordert - Sparkassenverband ...

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Eine Region, viele Aussichten - Wie der demografische und wirtschaftliche Wandel Westfalen fordert - Sparkassenverband ...
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            Eine Region,
            viele Aussichten
             Wie der demografische und wirtschaftliche Wandel
             Westfalen fordert

beitsmarkt regional unterschiedlich +++ starker Mittelstand +++ auf dem Land fehlen die Fachkräfte +++ Unternehmen entwickeln neue Lösungen +++ viele Lan
++ Bürgerbusse, Car-Sharing und Elektro-Leifahrräder verbessern die Mobilität +++ Online-Versandhandel versorgt Bewohner mit regionalen Lebensmitteln ++
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2   Innovation aus Tradition
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Eine Region,
viele Aussichten
Wie der demografische und wirtschaftliche Wandel
Westfalen fordert

                                                       Berlin-Institut   1
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Impressum
Juli 2018
                                                                                   Über das Berlin-Institut
© Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
                                                                                   Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung ist ein
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Sämtliche, auch auszugsweise Verwertung bleibt vorbehalten.                        baler demografischer Veränderungen beschäftigt. Das Institut
                                                                                   wurde 2000 als gemeinnützige Stiftung gegründet und hat die
Herausgegeben vom
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung                                    Aufgabe, das Bewusstsein für den demografischen Wandel zu
Schillerstraße 59                                                                  schärfen, nachhaltige Entwicklung zu fördern, neue Ideen in die
10627 Berlin                                                                       Politik einzubringen und Konzepte zur Lösung demografischer
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                                                                                   Zur Westfalen-Initiative
Datenanalyse: Theresa Damm
                                                                                   Stiftung und Verein Westfalen-Initiative wollen die westfälische
Design: Jörg Scholz (www.traktorimnetz.de)
Layout und Grafiken: Christina Ohmann (www.christinaohmann.de)
                                                                                   Identität schärfen und das bürgerschaftliche Engagement in
Druck: Laserline Berlin                                                            Westfalen stärken. Sie setzt gemeinsam mit den Bürgerinnen
                                                                                   und Bürgern Westfalens Impulse für die Region, damit diese sich
Einige thematische Landkarten wurden auf Grundlage des Programms EasyMap           im Wettbewerb der Regionen behauptet und ihre in Geschichte
der Lutum+Tappert DV-Beratung GmbH, Bonn, erstellt.                                und Tradition entwickelten Stärken voll entfaltet. Die Aktivitäten
ISBN: 978-3-946332-98-5
                                                                                   der Westfalen-Initiative reichen von kulturellen Projekten über
                                                                                   die Stärkung der Stadt- und Regionalentwicklung bis zu Innova-
                                                                                   tionsprojekten.
Die Autoren

Susanne Dähner, 1976, Diplom in Geographie an der Humboldt-Universität zu
Berlin. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berlin-Institut für Bevölkerung und
Entwicklung.
                                                                                   Zum Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL)
Manuel Slupina, 1979, Diplom in Volkswirtschaftslehre an der Universität zu
Köln. Ressortleiter Demografie Deutschland am Berlin-Institut für Bevölkerung      Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet
und Entwicklung.                                                                   als Kommunalverband mit 17.000 Beschäftigten für die 8,3
                                                                                   Millionen Menschen in der Region. Der LWL erfüllt Aufgaben
Dr. Reiner Klingholz, 1953, Promotion im Fachbereich Chemie an der Universität
Hamburg. Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.            im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der
                                                                                   Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit
                                                                                   wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklu-
Das Berlin-Institut dankt allen Workshop-Teilnehmern, Interviewpartnern, der       sive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien
Westfalen-Initiative sowie dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) für
                                                                                   Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des
die Unterstützung bei der Erstellung dieser Studie.
                                                                                   LWL. Der LWL ist damit eine der wesentlichen verwaltungsmä-
                                                                                   ßigen Klammern für Westfalen-Lippe und unterstützt deshalb
                                                                                   Kooperationen in dieser Region.

2   Eine Region, viele Aussichten
Eine Region, viele Aussichten - Wie der demografische und wirtschaftliche Wandel Westfalen fordert - Sparkassenverband ...
INHALT
Westfalen: Zwischen Tradition und Strukturwandel..........................................................................4

Das Wichtigste in Kürze...........................................................................................................................6

Was tun?....................................................................................................................................................6

1 | Westfalen – eine Einordnung.......................................................................................................10

         Eine Region – vier Entwicklungstrends. Clusteranalyse.........................................................13

2 | Arbeitsmarkt und Fachkräfte.......................................................................................................18

         Wie sich die demografische Entwicklung auf den deutschen Arbeitsmarkt auswirkt.......18

         Wirtschaft und Arbeit in Westfalen – fehlt schon das Personal?...........................................21

         Wie sich Fachkräfte gewinnen oder halten lassen..................................................................25

3 | Daseinsvorsorge im ländlichen Raum........................................................................................42

         Wie die Versorgung auf dem Land verbessert werden kann .................................................43

Quellen.....................................................................................................................................................59

                                                                                                                                                                 Berlin-Institut   3
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WESTFALEN: ZWISCHEN
TRADITION UND STRUKTURWANDEL
Das Berlin-Institut hat in den vergangenen      Heterogen und auf der Suche                       Auf Westfalen trifft auch nicht die demogra-
Jahren eine Reihe von Studien erstellt, die     nach einer Identität                              fisch-ökonomische Faustregel zu, wonach
sich mit der demografischen und wirtschaftli-                                                     die Zentren mit ihren Großstädten wachsen,
chen Entwicklung bestimmter (oft ländlicher)    Diese Heterogenität setzt sich in vielen Berei-   weil sie tendenziell mehr Arbeitsplätze und
Regionen in Deutschland auseinandergesetzt      chen fort: Westfalen besteht aus dem jungen       kulturelle Angebote bieten und deshalb vor
haben. Es waren sowohl erfolgreiche Regio-      Münsterland, dessen zentrale Universitäts-        allem für junge Menschen wie ein Magnet
nen, wie das Emsland oder das Oldenburger       stadt allein 60.000 Studierende zählt; aus        wirken, während die dezentralen, ländlichen
Münsterland, als auch Gebiete, die mit          Ostwestfalen-Lippe, das im Westen starke,         Gebiete in diesem Wettbewerb benachteiligt
größeren strukturellen Herausforderungen        meist familiengeführte Industrieunterneh-         sind, nicht mit guten Arbeitsangeboten für
zu kämpfen haben, wie Thüringen oder            men beherbergt, im Nordosten, an der Gren-        sich werben können und Einwohner verlieren.
Nordhessen.                                     ze zu Niedersachsen aber bereits merkliche        In Westfalen ist es eher umgekehrt: Im alten
                                                Bevölkerungsverluste verzeichnet; aus dem         Herzen des Halbbundeslandes, im westfäli-
Ein solch klares Bild für Westfalen, den        eher ländlich geprägten Südwestfalen mit          schen Ruhrgebiet, wo es fast nur Städte gibt,
flächenmäßig größeren Teil des einwohner-       seinem erfolgreichen Mittelstand, wo zahlrei-     fehlt es an Jobs für jenen Teil der Bevölke-
stärksten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen      che „Hidden Champions“ zuhause sind; und          rung, der noch mit Kohle und Stahl groß
zu zeichnen, ist schwierig, wenn nicht          aus dem östlichen Teil des Ruhrgebiets, das       geworden ist, und die Arbeitslosigkeit ist
gar unmöglich. Denn die Entwicklung, die        in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts        hoch. In den entlegeneren Gebieten hingegen
Aufgaben und die Zukunftschancen dieser         zum größten Verdichtungsraum Deutschlands         herrscht praktisch Vollbeschäftigung und
Region sind sehr unterschiedlich. Ob man in     herangewachsen war, dessen schwerindust-          viele der zahlreichen Unternehmen suchen
Westfalens größter Metropole Dortmund auf       rielle Blütezeit aber längst Geschichte ist und   händeringend nach Fachkräften. So unter-
dem Borsigplatz steht, vor der Bibliothek der   das noch immer seine neue Rolle jenseits von      schiedlich sind die Teilregionen, dass am
Uni Münster das provozierende Lichtkunst-       Kohle und Stahl sucht.                            nördlichen Rand des Ruhrgebietes die Städte
werk „Gehorche Keinem“ bestaunt oder den                                                          Gelsenkirchen und Herne sowie der Kreis
Blick vom Langenberg über die Bergwelt der      Die Westfalen verbindet kaum eine gemein-         Recklinghausen mit den jeweils höchsten
„Achthunderter“ des Sauerlands schweifen        same Identität, denn hier leben, verteilt über    Arbeitslosenquoten der Region an den Müns-
lässt – die Eindrücke könnten unterschiedli-    das weite Land, selbstbewusste Münsterlän-        terländer Landkreis Coesfeld grenzen, wo die
cher nicht sein.                                der, Sauerländer, Lipper oder Ostwestfalen        Arbeitslosigkeit am niedrigsten ist.
                                                und im Revier, zwischen den Industriedenk-
                                                mälern aus Stahl und Beton, natürlich die
                                                Menschen aus dem „Pott“. Westfalen lässt
                                                sich nur schwer gemeinsam vermarkten,
                                                weshalb diese Aufgabe auf die Schultern
                                                verschiedener Initiativen, Heimatverbünde
                                                und Verbände verteilt ist.

4   Eine Region, viele Aussichten
Eine Region, viele Aussichten - Wie der demografische und wirtschaftliche Wandel Westfalen fordert - Sparkassenverband ...
Schwaches Zentrum – starkes                       Weil Westfalen so heterogen ist, bleibt es       also mit Mitteln und Möglichkeiten auszustat-
Umland, aber wie lange noch?                      wichtig und richtig, dass jede Teilregion        ten, die unter den neuen Bedingungen die
                                                  zunächst einmal vor Ort und im eigenen           besten Versorgungsmöglichkeiten garan-
Unterm Strich stehen die mittelständisch          Umfeld versucht, Perspektiven für morgen         tieren. Dabei geht es um die Betreuung von
geprägten Gebiete Westfalens besser da als        zu schaffen. Aber es ist auch unerlässlich,      Älteren, um kulturelle Angebote, um Schulen
jene mit einer Großindustriegeschichte. Das       dass sich die Teilregionen zusammentun und       und Kinderbetreuung, um den öffentlichen
gilt zumindest für den Moment: Während            vernetzen, um aus den Verschiedenheiten          Nahverkehr, um Sportvereine, um die
das Ruhrgebiet einst Menschen aus dem             möglichst viel Gewinn zu ziehen: Etwa um         ärztliche Versorgung oder um wohnortnahe
ganzen Bundesland und darüber hinaus              Arbeitskräfte dorthin zu lenken, wo es neben     Einkaufsmöglichkeiten. Kurz: Es geht um all
als Arbeitskräfte in den Bergbau und an           guten Jobs günstige Wohnmöglichkeiten und        das, was die Menschen neben einem Job zum
die Hochöfen locken konnte, um dann wie           ein familienfreundliches Umfeld gibt. Die        Leben brauchen. Gerade die nicht zentralen
kaum ein anderes Gebiet in Deutschland den        vorliegende Studie zeigt, wie die Teilregionen   Gebiete mit starken Unternehmen wissen,
Strukturwandel und die Arbeitslosigkeit zu        Westfalens schon heute auf die Herausfor-        dass der Job alleine noch keine Menschen
erleben, könnte sich das Blatt künftig wieder     derungen eingehen, aber auch, wo sie noch        an die Region bindet. Attraktiv wird ein Ort
wenden. Denn gerade die heute so starken          mehr leisten können, wo sie voneinander          erst mit einem Gesamtpaket für Jung und Alt,
Mittelständler des produzierenden Gewerbes        lernen müssen oder auch von positiven            für Arbeitgeber und Arbeitnehmer – und vor
etwa in Südwestfalen müssen sich rechtzeitig      Beispielen aus anderen Teilen der Republik.      allem für Familien.
fit machen für die fortschreitende Digitali-      Für ganz Westfalen ist es wichtiger, dass die
sierung und die Automatisierung. Dafür aber       Teilregionen kooperieren, als dass sie sich in   Berlin und Münster, im Juli 2018
benötigen sie immer häufiger spezialisierte       einem Wettbewerb um Fachkräfte, Anwoh-
Fachkräfte, die sich bis dato nur schwer aus      ner, Steuer- und Gebührenzahler verschlei-       Reiner Klingholz
den Städten an den Rand des Bundeslandes          ßen. Im schlechtesten Fall würden sich die       Direktor Berlin-Institut für Bevölkerung und
locken lassen. Teilweise können sie noch          Unterregionen aufreiben und insgesamt im         Entwicklung
nicht einmal die eigenen jungen Menschen          Wettbewerb verlieren – gegenüber anderen
vor Ort halten, weil diese dem Sog der Metro-     erfolgreichen Regionen Deutschlands, etwa        Matthias Löb
polen erliegen. Dort nämlich gibt es trotz der    der Schwäbischen Alb, dem Emsland oder           Direktor Landschaftsverband Westfalen-
hohen Arbeitslosigkeit Jobs, allerdings nur für   Oberbayern.                                      Lippe (LWL)
jene, welche die entsprechenden Qualifikati-
onen mitbringen.                                  Kooperation und voneinander Lernen sind          Karl-Heinrich Sümmermann
                                                  auch wichtig, wenn es darum geht, die            Vorstandsvorsitzender Stiftung Westfalen-
So haben sich manche Städte des Ruhrgebie-        Daseinsvorsorge an die alternde und zum          Initiative
tes zu Dienstleistungs- und Bildungszentren       Teil schrumpfende Bevölkerung anzupassen,
entwickelt, die junge Menschen in Scharen
anziehen. Dort wohnt die neue Bildungselite
zum Teil neben jenen, die noch aus der alten
Zeit stammen und es als Geringqualifizierte
                                                                                                                      NIEDERSACHSEN
schwer haben eine Beschäftigung zu finden.
Die Zukunft wird zeigen, ob aus dem neu                                       Münsterland
geschaffenen Wissen an den Universitäten,                                                             Ostwestfalen-
aus Forschung, Entwicklung und den not-                                                                  Lippe
wendigen Ausgründungen so viel Wohlstand
und Arbeit entstehen kann, dass das Revier                                  westfälisches
als urbanes Zentrum eine ökonomische Wie-                                    Ruhrgebiet
dergeburt feiern kann und auch die weniger                    NORDRHEIN-
Privilegierten vom Aufschwung profitieren                     WESTFALEN                  Südwestfalen
können.
                                                                                                                HESSEN

                                                                                RHEINLAND-
                                                                                  PFALZ

                                                                                                                                Berlin-Institut   5
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DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
Der demografische und wirtschaftliche            wuchs in den Betrieben fehlt. Oder wo die         munen, regionale Bündnisse oder Bürger auf
Wandel verändert die Regionen und fordert        Bevölkerung schnell altert, die Versorgungs-      die Herausforderungen reagieren können.
sie heraus. Doch nicht überall zeigen sich die   lage sich verschlechtert und die Wege zum
gleichen Trends. Wachstum und Schrump-           Arzt oder Supermarkt länger werden.               Fachkräfte werden weniger
fung, Alterung und Zuzug junger Menschen,
Fachkräftemangel und Arbeitslosigkeit            Die Großstädte locken die Jungen                  Der westfälische Arbeitsmarkt ist regional
können mitunter in enger Nachbarschaft                                                             unterschiedlich ausgeprägt. Mancherorts
auftreten. Gut beobachten lässt sich dies        Vor allem junge Menschen zieht es in die          scheinen fehlende Jobs und Arbeitslosig-
in Westfalen. Von der rasant wachsenden          Städte und dabei nicht nur in die großen          keit die große Herausforderung zu sein,
und jungen Universitätsstadt Münster bis zu      Universitätsstandorte wie Münster, Bielefeld      während andernorts fast Vollbeschäftigung
den bereits deutlich gealterten Ruhrgebiets-     oder Bochum, sondern inzwischen auch in die       herrscht und der Mangel an Fachkräften die
städten ist es nicht weit. Und während die       Ruhrgebietsstädte Herne, Hamm oder Gelsen-        wirtschaftliche Zukunft der Unternehmen
Großstädte an Emscher und Ruhr immer noch        kirchen. Die zurückgewonnene Attraktivität        bedroht. Oft haben Regionen aber mit beiden
mit einer hohen Arbeitslosigkeit zu kämpfen      der Ballungszentren geht zulasten ländlicher      Problemen gleichzeitig zu kämpfen. Deutlich
haben, gehen vielen Betrieben und Unterneh-      Regionen. Hier kehren die Bildungswanderer        wird dies beispielsweise im westfälischen
men im eher ländlich geprägten Ostwestfa-        ihrer dörflichen Heimat oder den Kleinstädten     Ruhrgebiet, wo die Städte seit Jahrzehnten
len-Lippe und in Südwestfalen zunehmend          den Rücken – und dies trotz attraktiver und       mit einer strukturellen Arbeitslosigkeit zu
die Arbeitskräfte aus.                           vielfältiger Arbeitsmöglichkeiten.                kämpfen haben und sich in einzelnen Berufs-
                                                                                                   feldern trotzdem Engpässe zeigen.
Doch welche Gemeinden erleben in Westfa-         Deshalb drohen auch die heute noch jungen
len eine vergleichbare demografische und         ländlichen Landstriche, etwa im Münsterland       Der demografische Wandel dürfte die westfä-
wirtschaftliche Entwicklung und stehen vor       oder rund um Paderborn, künftig besonders         lische Wirtschaft künftig deutlich stärker als
ähnlichen Herausforderungen? Wo finden           stark zu altern. Die Gemeinden stehen damit       bislang herausfordern. Denn aktuell sind die
sich Vorbilder und Verbündete, von denen         vor der Herausforderung, ihre Versorgungs-        geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer-
sich etwas lernen lässt oder mit denen man       landschaft in kurzer Zeit altersfreundlich auf-   Generation noch im Erwerbsalter. Sobald sie
sich über Erfahrungen austauschen könnte?       zustellen. Dies erfordert neue und angepasste     aber in den nächsten Jahren in Rente gehen,
Die Antwort darauf liefert diese Studie          Versorgungsformen wie flexible Mobilitätsan-      hinterlassen sie eine Lücke auf dem Arbeits-
anhand einer Clusteranalyse (Seite 13). Sie      gebote, multifunktionale Nahversorgung,           markt, die der Nachwuchs rein zahlenmäßig
macht die vier Entwicklungstrends Westfa-        Online-Angebote oder ärztliche Betreuung mit      bei weitem nicht schließen kann. Gerade für
lens sichtbar und zeigt beispielsweise auf,      Hilfe von Telemedizin. Vielerorts in Westfalen    Unternehmen in den ländlichen Gebieten
aus welchen Gemeinden junge Menschen             werden innovative Ansätze bereits erprobt.        dürfte dies zu einem großen Problem werden.
abwandern, während gleichzeitig der Nach-        Gleichzeitig liefern andere Regionen in           Denn von den wenigen jungen Landbewoh-
                                                 Deutschland Ideen, wie Unternehmen, Kom-          nern wandern viele auch noch ab.

WAS TUN?
Der Job allein genügt nicht mehr                 jungen Menschen auf der Suche nach einem          Unternehmen wird es immer schwieriger
                                                 Ausbildungs- oder Studienplatz von allein         allein gegen attraktive Jobangebote großer
Der Wettbewerb um die weniger werden-            herbeiströmen, müssen ländliche Regio-            Konkurrenten in den Städten anzutreten. Ihre
den Arbeitskräfte wird dabei immer mehr          nen ihre Pluspunkte aktiv vermarkten. In          wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit hängt auch
zum Wettbewerb zwischen den Regionen.            Westfalen ist das Land vielerorts durch einen     davon ab, wie sich die Lebensbedingungen in
Während die attraktiven städtischen Zentren      starken Mittelstand geprägt. Aber für die         ihrem unmittelbaren Umfeld entwickeln. Re-
noch darauf vertrauen können, dass die           dort ansässigen kleinen und mittelgroßen          gionale Bündnisse werden daher wichtiger.

6   Eine Region, viele Aussichten
Um Unternehmen vor Ort zu halten, sind
zunehmend auch Kommunen, Kreise und
                                                Fachkräftesicherung                              miteinander vereinen lassen. Auch die Kom-
                                                                                                 munen müssen den Ausbau der Betreuungs-
regionale Verbünde gefordert – nicht nur        Unternehmen bei der Suche                        angebote weiter vorantreiben. Ausgaben
bei der Vermarktung offener Stellen. Denn       nach Nachwuchs unterstützen                      für gute Kitas finanzieren sich in der Regel
ob sich eine potenzielle Fachkraft für ein                                                       selbst, weil sie zu einer höheren Erwerbstä-
bestimmtes Jobangebot entscheidet, hängt        Kommunen können dabei helfen, den                tigkeit vor allem von Müttern und damit zu
nicht nur von den Arbeitsbedingungen            Fachkräftenachwuchs vor Ort zu halten. Denn      höheren Steuereinnahmen führen.
und dem Gehalt ab, sondern auch von den         nicht alle wollen weggehen. Viele packen
Wohn- und Lebensbedingungen am Unter-           auch ihre Koffer, weil sie die vielfältigen      Zunehmend wird die Pflege von Angehörigen
nehmensstandort. Gibt es gute Schulen und       Berufsmöglichkeiten und Karrierechancen          zu einem prägenden Thema der Fachkräfte-
ausreichend Kinderbetreuungseinrichtungen,      vor der Haustür gar nicht kennen. Andere,        sicherung. Mit einer wachsenden Zahl pfle-
findet auch der Lebenspartner eine adäquate     die gern zurückkommen wollen nach einem          gebedürftiger Menschen übernehmen immer
Beschäftigung, wie sieht es mit der Nahver-     Studium, wissen nicht immer, dass ihr Hoch-      mehr berufstätige Angehörige Pflegeaufga-
sorgung aus oder welche Freizeitmöglichkei-     schulabschluss auch lokal gefragt ist.           ben. Viele reduzieren ihre Arbeitszeiten oder
ten bietet die Region? Diese Fragen spielen                                                      geben die Berufstätigkeit komplett auf. Dies
bei der Entscheidung für oder gegen einen       Die Stadt Brilon im Sauerland zeigt, was         ist fatal in Zeiten des Fachkräftemangels.
Job eine gewichtige Rolle.                      Gemeinden tun können, um die lokale Wirt-        Kreise und Kommunen sollten lokale Betriebe
                                                schaft zu unterstützen. Die Kommune initiiert    motivieren, sich mit dem sensiblen Thema
Eine schnelle Datenverbindung                   einen Austausch zwischen lokalen Betrieben       zu beschäftigen und betroffene Mitarbeiter
ist unverzichtbar                               und Schulen mit gegenseitigen Besuchen und       zu unterstützen. Wie das praktisch aussehen
                                                organisiert eine Job- und Ausbildungsbörse.      kann, zeigen der Ennepe-Ruhr-Kreis mit der
Eine störungsfreie, schnelle Internetverbin-    Der Bürgermeister der Stadt Delbrück im          Kampagne „arbeiten-pflegen-leben“ und die
dung sollte heute so selbstverständlich sein    Landkreis Paderborn hat ein ehemaliges           Wirtschaftsförderungen des Münsterlandes
wie ein Strom- oder Wasseranschluss. Doch       Schulgebäude zur Verfügung gestellt, in dem      mit dem „Betrieblichen Pflegekoffer“.
gerade im ländlichen Raum hapert es damit       sich das BANG StarterCenter angesiedelt hat.
vielerorts. Ohne eine zeitgemäße Interne-       Dort können Schüler Berufe und Betriebe aus      Ältere Arbeitnehmer weiterbilden
tanbindung können viele Unternehmen im          der Region kennenlernen.                         und ihnen Perspektiven aufzeigen
Wettbewerb nicht mehr mithalten. Auch viele
Versorgungslösungen, von der Telemedizin        Nicht ausgenutzte Potenziale                     Die Zahl älterer Arbeitnehmer steigt stetig
über mobile Bürgerdienste bis hin zum Le-       besser ausschöpfen                               und sie werden aufgrund des demogra-
bensmitteleinkauf per Internet, sind auf gute                                                    fischen Wandels einen immer größeren
Datenübertragungsraten angewiesen.              Bundesweit ist es bislang gelungen, trotz        Anteil der Fachkräfte stellen. Qualifizierung,
                                                einer schrumpfenden Bevölkerung im er-           Weiterbildung, aber auch Wertschätzung
Gerade für abgelegene, schlecht versorgte       werbsfähigen Alter, noch immer die Zahl der      und Motivation sollten sich daher verstärkt
Ortschaften ist es wichtig, dass zumindest      Erwerbspersonen wachsen zu lassen. Dies ist      an Mitarbeiter jenseits der 50 richten, um
ein Breitbandanschluss bis ins Dorf reicht.     vor allem Frauen und älteren Arbeitnehmern       sie möglichst lange im Betrieb zu halten.
Doch der Ausbau ist teuer und rechnet sich      zu verdanken, die heute sehr viel häufiger auf   Wie dies in kleinen und mittleren Unterneh-
nicht für wenige Kunden. Trotz Förderung fin-   dem Arbeitsmarkt unterwegs sind als noch         men gelingen kann, ist aktuell Thema eines
den sich oft keine privaten Anbieter. Regio-    vor einigen Jahren.                              Projektes der Wirtschaftsinitiative Höxter,
nen müssen deshalb selbst aktiv werden. Die                                                      das sich der alternsgerechten Gestaltung von
kreiseigene Telekommunikationsgesellschaft      In Westfalen wird das Potenzial von Frauen       Arbeit widmet.
Südwestfalen oder die von Unternehmern          und Älteren für den Arbeitsmarkt noch nicht
gegründete Breitbandgenossenschaft Hagen        ausreichend ausgeschöpft. Unternehmen            Über Bildung und Qualifizierung
eG im Ruhrgebiet machen vor, wie regionales     sollten allein, in regionalen Kooperationen      neue Fachkräfte gewinnen
Engagement funktionieren kann. Während          oder mit kommunaler Unterstützung genau
die einen sich explizit um den Anschluss        diese lokalen Fachkräfteangebote nutzen.         Wenn in einigen ländlichen Kreisen des
abgelegener Orte kümmern, haben letztere        Familienfreundliche Arbeitsbedingungen, wie      Münsterlandes nahezu Vollbeschäftigung
in Eigenregie die Datengeschwindigkeit in       flexible Arbeitszeiten oder Unterstützung bei    herrscht und im benachbarten Ruhrgebiet die
ihrem Gewerbegebiet angehoben.                  der Kinderbetreuung, tragen dazu bei, dass       Arbeitslosigkeit besonders hoch ist, liegt die
                                                sich Familienleben und Arbeit stressfreier       Idee nahe, dass nur ein Fachkräfteaustausch

                                                                                                                               Berlin-Institut   7
zwischen den Regionen organisiert werden
müsste. Bislang hat dies aber kaum funktio-
                                               Daseinsvorsorge                                   Mediziner aufs Land locken
niert. Und selbst innerhalb einer Teilregion   Mit neuen Versorgungsformen ein                   Eine gute medizinische Versorgung der
ist unter Bewohnern ohne deutschen Pass        attraktives Lebensumfeld schaffen                 Bevölkerung mit ambulant tätigen Haus- und
die Arbeitslosigkeit zum Teil viermal höher                                                      Fachärzten, aber auch eine schnelle Not-
als unter den Deutschen, trotz wachsender      Dort wo die Jungen wegziehen, die Einwoh-         fallversorgung werden mit der Alterung der
Fachkräfteengpässe.                            ner weniger werden und meist ältere Men-          Landbevölkerung immer wichtiger. Gleich-
                                               schen zurückbleiben, verschwinden Schulen,        zeitig ziehen immer weniger Nachwuchs-
Grund dafür ist vielerorts, dass die oft       schließen Dorfläden und der öffentliche           mediziner aufs Land und übernehmen dort
niedrigen oder fehlenden Qualifikationen der   Nahverkehr dünnt aus. Viele herkömmliche          selbständig eine Praxis.
Arbeitssuchenden nicht zu den Anforderun-      Versorgungsmodelle tragen sich nicht mehr
gen passen, die Betriebe an ihre Fachkräfte    und ziehen sich aus der Fläche zurück. Neue       Wie aber lässt sich eine gute gesundheitliche
stellen. Künftig kann sich Westfalen aber      Angebotsformen, wie sie vielerorts bereits in     Versorgung der ländlichen Räume organi-
nicht mehr leisten, dass noch immer viele      Westfalen ausprobiert werden, können dem          sieren und wie der medizinische Fachkräfte-
junge Menschen ohne ausreichend schuli-        entgegenwirken.                                   bedarf decken? Bei der Suche nach Ärzten
sche und berufliche Bildung bleiben – egal                                                       können seit 2015 auch die Kommunen aktiv
ob hier geboren oder zugewandert. Junge        Diese müssen sich einerseits an den ver-          werden. Sie können Praxen eröffnen und
Menschen, denen es bislang schwerfällt,        änderten Bedürfnissen einer immer älter           Ärzte anstellen. Die Vorteile vor allem für
auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, sollten    werdenden Bewohnerschaft orientieren.             junge Ärzte liegen auf der Hand. Sie können
gezielt unterstützt werden. Die Talentscouts   Fußläufig erreichbare Dorfläden und flexible      in Vollzeit oder familienfreundlich in Teilzeit
der Westfälischen Hochschule im Ruhrge-        Mobilitätsangebote gehören ebenso dazu,           arbeiten. Außerdem müssen sie bei diesem
biet helfen weniger privilegierten Schülern    wie eine gute medizinische und pflegeri-          Modell nicht gleich am Anfang ihrer Berufs-
bei der Berufswahl. Und die „Initiative für    sche Betreuung. Andererseits müssen sich          laufbahn in eine eigene Praxis investieren.
Beschäftigungsförderung OWL e.V.“ aus          die Kommunen nach den Wünschen jener              Bislang scheuen jedoch die westfälischen
Bielefeld bringt junge Migranten mit lokalen   richten, die als potenzielle Zuzügler das Land-   Gemeinden das Risiko. Büsum in Schleswig-
Handwerksbetrieben zusammen.                   leben bereichern können. Vor allem Familien       Holstein zeigt als erste bundesdeutsche
                                               zählen dazu. Ohne gute Kitas mit flexiblen        Kommune, dass ein Modell der kommunalen
Erreichbarkeit verbessern                      Betreuungszeiten, die sich an den Bedürfnis-      Trägerschaft eines Ärztezentrums funktionie-
                                               sen von arbeitenden Eltern orientieren, oder      ren kann.
Wie gelangen künftig Fachkräfte zu Unterneh-   Grundschulen lassen sich diese kaum als
men, die auf dem Land sitzen? Diese Frage      Neubewohner gewinnen.                             Pflegerische Versorgung unterstützen
gewinnt an Bedeutung, weil im nahen Umfeld
nicht mehr genug Nachwuchskräfte zuhause       Mobilität flexibel und mit                        Fast noch gravierender als bei den Landärz-
sind und die jungen Menschen in den Groß-      verschiedenen Nutzern denken                      ten ist der Fachkräftemangel im Pflegebe-
städten zunehmend auf ein eigenes Auto ver-                                                      reich. In den ländlichen Räumen steigt der
zichten. Unternehmen sollten daher Konzepte    Unternehmen, Kommunen und Bürger sollten          Bedarf besonders schnell, Jahr für Jahr wird
entwickeln, wie sie auch im abgelegenen        gemeinsam flexible und vernetzte Mobilitäts-      der Engpass an Pflegepersonal größer. Wenn
Gewerbegebiet gut erreichbar sind. Lösungen    lösungen entwickeln. In vielen Dörfern und        ältere Menschen länger in ihren eigenen vier
dazu können sehr unterschiedlich aussehen:     Gemeinden gibt es bereits gute Ideen: von         Wänden leben können, entlastet das die
In Südwestfalen schickt ein Unternehmen        der Weiterentwicklung des nordrhein-westfä-       Pflegestrukturen. Damit dies gelingt, sind
täglich einen Bus nach Köln, der dort die      lischen Erfolgsmodells der Bürgerbusse über       Unterstützungsnetzwerke sinnvoll. Gemein-
Mitarbeiter einsammelt. Ein Betrieb aus dem    ein Car-Sharing-Angebot, das auch mit ehren-      sam können dann Angehörige, ehrenamtliche
Münsterland verlagerte seinen Standort in      amtlichen Fahrern gemietet werden kann, bis       Nachbarschaftshelfer, Besuchsdienste wie
Bahnhofsnähe, damit die IT-Spezialisten aus    hin zu Dienstwagen von Kommunen, die nach         die diakonischen Gemeindemitarbeitenden
Münster auch ohne Auto anreisen können.        Dienstschluss auch die Bürger nutzen kön-         aus Wittgenstein, sowie professionell Pfle-
Der Versandhändler Zalando hat für seinen      nen. Die letzten Kilometer zwischen Bahnhof       gende den älteren Bewohnern helfen.
Logistikstandort in Erfurt ein eigenes Mobi-   und Dorf lassen sich inzwischen mancherorts
litätsmanagement für Mitarbeiter eingeführt    einfach mit Elektro-Leihfahrrädern überwin-
– ein Modell das auch Betriebe in Westfalen    den und gemeinschaftlich nutzbare Lasten-
kopieren könnten.                              räder werden auch für den Lieferservice des
                                               lokalen Supermarktes eingesetzt.

8   Eine Region, viele Aussichten
Nahversorgung online                            Das Engagement                                     In bestimmten Bereichen ist daher mehr
und offline sichern                             der Bewohner unterstützen                          Zusammenarbeit zwischen den Teilregio-
                                                                                                   nen nötig, wie es Unternehmen bereits auf
Gerade für eine alternde Bewohnerschaft,        Viele Lösungen und Ideen auf dem Land funk-        regionaler Ebene praktizieren. So können
die zunehmend weniger mobil ist, ist eine       tionieren nur, wenn sich auch die Bewohner         Hochschulen des Ruhrgebiets ausbilden, was
wohnortnahe Versorgung mit Lebensmitteln,       dafür stark machen. So rollt der Bürgerbus         Unternehmen in den ländlichen Gebieten an
Medikamenten und sonstigen Waren des            nur, wenn sich ehrenamtliche Fahrer finden.        Qualifikationen benötigen. Mit dem „Bo-
täglichen Bedarfs wichtig. Doch weniger         Die organisierte Nachbarschaftshilfe braucht       chumer Modell“ wird dies in der Mediziner-
Bewohner und die Konkurrenz durch große         engagierte Bürger, die für ältere alleinle-        Ausbildung schon praktiziert. Die Region
Supermärkte lassen Dorfläden nach und nach      bende Einwohner Einkäufe erledigen oder            Südwestfalen kooperiert bereits mit der
verschwinden.                                   sie regelmäßig besuchen. Und mancherorts           Wirtschaftsförderung Dortmund, um die IT-
                                                sind es auch die Bewohner selbst, die den          Absolventen der Universität ins Sieger- und
Dank des Online-Versandhandels können           Dorfladen in ihrer Freizeit mit persönlichem       Sauerland zu locken. Auch lohnt ein Blick
inzwischen auch Landbewohner von zu Hau-        Einsatz betreiben.                                 über die nördliche Grenze Westfalens in die
se aus in einer breit gefächerten Warenwelt                                                        Region Ems-Achse. Ein Bündnis von Unter-
einkaufen. Doch für Lebensmittel ist dies       Damit die Aktivitäten der Bewohner tat-            nehmen, Kommunen, Kammern und Verbän-
bislang wenig verbreitet. Dabei bietet der      sächlich helfen können, die Lebensqualität         den führt dort regionsübergreifend unter dem
Bestell- und Lieferservice auch für den regi-   auf dem Land zu verbessern, braucht das            Dach „Wachstumsregion Ems-Achse e.V.“
onalen Einzelhandel eine Chance. Über das       Engagement Unterstützung der öffentlichen          Marketingmaßnahmen sowie umfangreiche
Webportal Lokaso in Siegen und Arnsberg         Hand und sonstiger Institutionen. So können        Aktivitäten zur Fachkräftesicherung durch,
können Kunden ihre Lebensmittel bei Händ-       kommunale Ansprechpartner bei Fragen zu            von familienfreundlichen Arbeitsbedingun-
lern der Region bestellen und bekommen          Fördermöglichkeiten, rechtlichen Hürden            gen bis zur Unterstützung des mitziehenden
diese nach Hause geliefert. Ein Modell, das     oder organisatorischen Schwierigkeiten             Lebenspartners bei der Jobsuche.
sich auf andere Regionen übertragen lässt.      behilflich sein. Aber auch der Erfahrungs-
                                                austausch mit Engagierten aus anderen              Austausch von Wissen
Zudem sollten Initiativen und Einzelhänd-       Regionen oder zwischen erfahrenen Freiwil-         und Ideen vorantreiben
ler, die sich um eine lokale Nahversorgung      ligen und neuen Initiativen sollte unterstützt
in Form von multifunktionalen Dorfläden         werden. Kommunen und Kreise können                 Die westfälischen Teilregionen haben auf der
bemühen, unterstützt werden. Denn ein           diesen Wissenstransfer initiieren.                 Suche nach neuen Ideen für die Fachkräftesi-
Laden bietet oft mehr als nur die Waren des                                                        cherung und Daseinsvorsorge auf dem Land
täglichen Bedarfs. Er belebt das Dorf und
ist ein sozialer Treffpunkt für die Bewohner-
                                                Gemeinsam als                                      bislang unterschiedliche Erfahrungen gesam-
                                                                                                   melt. So ist in Südwestfalen, wo die Bevölke-
schaft. Auch können weitere Angebote wie        Westfalen punkten                                  rung auf dem Land schon seit geraumer Zeit
ein Café, ein Bürgerbüro oder soziale und                                                          schwindet, die Zukunft der Dörfer bereits seit
medizinische Dienstleistungen einziehen.        Über Regionsgrenzen                                der REGIONALE 2013 ein Thema. Auch Teile
Um dies zu fördern, können Kommunen oder        zusammenarbeiten                                   des Münsterlandes haben sich im Rahmen
Kreise Beratungsleistungen anbieten oder bei                                                       der REGIONALE 2016 mit Einzelfragen wie
der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten        Der Wettbewerb um die Fachkräfte und Ein-          neuen Mobilitätsformen und der Alterung in
behilflich sein. Auch die Einwohner sind        wohner ist immer weniger allein ein Wettbe-        den Dörfern beschäftigt. Gleichzeitig gehen
gefordert. Denn nur, wenn sie bereit sind für   werb zwischen einzelnen Unternehmen oder           regionale Bündnisse der Frage nach, wie Be-
Milch, Eier oder Wurst auch ein paar Cent       Gemeinden. Es ist vielmehr ein Wettbewerb          triebe zukünftig gute Arbeitskräfte finden und
mehr auszugeben, hat ein solcher Dorfladen      zwischen Regionen. Wenn Südwestfalen mit           halten können. Das gesammelte Wissen sollte
eine Chance.                                    seinem Regionalmarketing die Vorzüge des           nicht in den Teilregionen verbleiben, sondern
                                                Lebens zwischen Sauerland, Siegerland und          westfalenweit ausgetauscht werden. Wo ver-
                                                Märkischen Kreis anpreist, tritt es nicht nur in   gleichbare Förder- und Unterstützungsstruk-
                                                Konkurrenz zu Süddeutschland. Die Fachkräf-        turen existieren, lassen sich erprobte Ideen
                                                te, die angelockt werden, fehlen womöglich im      auch andernorts schnell umsetzen.
                                                Ruhrgebiet, im Münsterland oder in Ostwest-
                                                falen-Lippe. Somit treten auch die westfäli-
                                                schen Teilregionen in einen Wettstreit.

                                                                                                                                Berlin-Institut   9
1                    WESTFALEN –
                     EINE EINORDNUNG
Deutschlandweit verschärft der demografi-                      und klugen Köpfen zusammenkommt, was                 Münster, Paderborn und Bielefeld. Allerdings
sche Wandel die Unterschiede in den Regi-                      in einer Informations- und Wissensgesell-            zeigen sich auch Entwicklungen, die deutsch-
onen. Grob lässt sich diese Entwicklung wie                    schaft der Nährboden für Innovationen und            landweit betrachtet eher untypisch sind:
folgt zusammenfassen: Periphere und dünn                       neue Jobs ist, dürften die Vorzeichen in den         Während viele Großstädte im westfälischen
besiedelte Gebiete verlieren zunehmend an                      attraktiven Ballungsräumen auch weiterhin            Ruhrgebiet mit Einwohnerrückgang, Alterung,
Einwohnern. Vor allem jüngere Menschen                         auf Wachstum stehen.                                 niedriger Wirtschaftsleistung und hoher
zieht es auf der Suche nach einem Ausbil-                                                                           Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben, stehen
dungs-, Studien- oder Arbeitsplatz in die                      Westfalen und der                                    viele eher ländlich geprägte Regionen besser
urbanen Zentren. Ihre Abwanderung lässt die                    demografische Wandel                                 da. So wächst etwa im Münsterland die Be-
Bevölkerung in vielen ländlichen Regionen                                                                           völkerung und die Bewohner der Landkreise
schrumpfen und überproportional altern.                        Westfalen, das aus den Teilregionen Münster-         Siegen-Wittgenstein und Minden-Lübbecke
Die Gewinner sind zumeist die Groß- und                        land, Ostwestfalen-Lippe, Südwestfalen und           erwirtschaften im Schnitt pro Jahr und Kopf
Mittelstädte, die sich am demografischen und                   dem westfälischen Ruhrgebiet besteht, will           fast doppelt so viel wie die Großstädter in
wirtschaftlichen Wachstum erfreuen. Und                        allerdings nicht ganz in dieses Bild passen.         Bottrop. Insgesamt zeigen sich regional in
weil in diesen Zentren eine kritische Masse                    Zwar gibt es auch hier demografisch und              Westfalen große demografische wie wirt-
aus Unternehmen, Forschungseinrichtungen                       wirtschaftlich erfolgreiche Großstädte wie           schaftliche Unterschiede.

Wachsen und Schrumpfen                                                                    Junges Münster,
dicht beieinander                                                                         altes Ruhrgebiet
Heute leben rund 17 Prozent mehr                                                          Während andernorts in Deutsch-
Menschen in Münster als noch zur                                                          land vor allem die Landbevölke-
Jahrtausendwende. Das rasante                                                             rung bereits deutlich gealtert ist
Wachstum strahlt ins Umland aus.                                                          und die Großstädte jung geblie-
Auch die Kreise Gütersloh und Pa-                                                         ben sind, zeigt sich dieses Bild
derborn in OWL konnten Einwoh-                                                            in Westfalen weniger eindeutig.
ner gewinnen. Eine ganz andere                                                            Hier weisen der Ennepe-Ruhr-
Entwicklung zeigt sich hingegen                                                           Kreis oder der Kreis Recklinghau-
im westfälischen Ruhrgebiet, wo                                                           sen im Ruhrgebiet das höchste
es einzig Dortmund schafft, stabil                                                        Durchschnittsalter mit über 45
zu bleiben. Die Mehrzahl der                                                              Jahren auf – und sind damit noch
westfälischen Kreise verlor seit                                                          älter als das ländliche Höxter
2000 an Einwohnern. Beson-                                                                oder der Hochsauerlandkreis.
ders der Kreis Höxter und der
Märkische Kreis mussten starke                                                            Durchschnittsalter der Bevölke-
Bevölkerungsverluste von über                                                             rung in den westfälischen Kreisen
acht Prozent verkraften.                                                                  und kreisfreien Städten, 2016
                                            unter -5                                      (Datengrundlage: BBSR2)                unter 42
Bevölkerungsentwicklung der
                                            -5 bis unter 0                                                                       42 bis unter 43
westfälischen Kreise und kreis-
freien Städten zwischen 2000                0 bis unter 5                                                                        43 bis unter 44
und 2016*, in Prozent                       5 bis unter 10                                                                       44 bis unter 45
(Datengrundlage: BBSR1)                     10 und mehr                                                                          45 und mehr

*
    Die Zahlen für 2000 sind korrigiert um den Zensuseffekt.

10 Eine Region, viele Aussichten
WESTFÄLISCHES RUHRGEBIET – DIENSTLEISTUNGEN DOMINIEREN
   Mit dem Ruhrgebiet wird bis heute der Nie-        deutschen Forschungsgesellschaften von der         In Dortmund wuchs seit der Jahrtausend-
   dergang der Montanindustrie und ein lang-         Fraunhofer-Gesellschaft über die Leibniz-          wende die Zahl der Erwerbstätigen um
   wieriger wirtschaftlicher Strukturwandel          Gemeinschaft bis hin zur Max-Planck-Gesell-        zehn Prozent, eine Dynamik, die vergleich-
   verbunden. Von Kohle und Stahl, die einst         schaft mit mehreren Instituten vertreten sind.     bar ist mit anderen wirtschaftsstarken
   das Revier groß gemacht und geprägt haben,        Mit 50.000 Beschäftigten hat sich Wissen-          Kreisen und Städten Westfalens.10 Gleich-
   ist heute nicht mehr viel übrig. Nachdem          schaft und Forschung zu einem wichtigen            zeitig hält sich aber eine überdurchschnitt-
   die Montanindustrie in den 1960er Jahren          Arbeitgeber der Region entwickelt.7                lich hohe Arbeitslosigkeit, ein Zeichen,
   ihren Höhepunkt erreicht hatte, zeigten sich                                                         dass der Strukturwandel noch nicht
   die ersten Anzeichen des Wandels: Die Zahl        Das Ruhrgebiet ist heute nicht nur ein             wirklich bewältigt ist. Es sind vor allem
   der Bergleute nahm rasant ab, während die         Wissens-, sondern auch ein Dienstleis-             Menschen mit niedrigen Qualifikationen,
   Zahl der Studierenden kontinuierlich stieg.5      tungsstandort. Im Jahr 2017 gingen drei            also ohne Berufsabschluss, die keinen
   Im Laufe der Zeit ist im gesamten Ruhrge-         von vier Beschäftigten im Ruhrgebiet* einer        Job finden und von den neu entstehenden
   biet eines der dichtesten Hochschulnetze          Dienstleistungstätigkeit nach und somit            Arbeitsplätzen nicht profitieren können.
   Europas entstanden.6 Den Beginn bildeten          anteilig mehr als im gesamten Bundes-              Ein ähnliches Muster findet sich im Aus-
   die Ruhr-Universität Bochum sowie die             land Nordrhein-Westfalen.8 Vor allem die           bildungsbereich. Während Unternehmen
   Technische Universität Dortmund, später           unternehmensnahen Dienstleistungen, die            wachsende Schwierigkeiten haben, Auszu-
   folgten zahlreiche Fachhochschulen. Inzwi-        Logistiksparte und das Gesundheits- und            bildende für bestimmte Berufsfelder, wie
   schen gibt es im gesamten Ruhrgebiet fünf         Sozialwesen sind Wachstumstreiber im               IT-Technik oder Finanzdienstleistungen, zu
   Universitäten, eine Kunst- und Musikhoch-         Ruhrgebiet. Davon zeugt auch die große             finden, gelingt Jugendlichen mit einfa-
   schule sowie fünfzehn Fachhochschulen.            Dichte an Krankenhäusern und Spezialklini-         chen Schulabschlüssen der Übergang ins
   Hinzu kommen rund 60 außeruniversitäre            ken mit überregionaler bis internationaler         Berufsleben nur schwer.11
   Forschungseinrichtungen, wobei alle großen        Bedeutung.9
                                                                                                         *
                                                                                                           Die Zahlen beziehen sich auf das gesamte Ruhrge-
                                                                                                         biet, nicht nur auf den westfälischen Teil.

Großes Gefälle                                                               Zwischen Arbeitslosigkeit
auf kleinem Raum                                                             und fast Vollbeschäftigung
Das Ende von Kohle und Stahl                                                 Im Jahr 2016 lag die Arbeits-
wirkt sich bis heute auf die                                                 losigkeit in Gelsenkirchen bei
Wirtschaftskraft der westfäli-                                               annähernd 15 Prozent, bundes-
schen Regionen aus. In Bottrop                                               weit die schlechteste Quote aller
erwirtschaftet ein Einwohner im                                              Kreise und kreisfreien Städte.
Mittel gerade einmal etwas über                                              In Westfalen erreichen nur
20.000 Euro pro Jahr, deutsch-                                               noch andere Ruhrgebietsstädte
landweit der letzte Platz unter                                              Quoten von über zehn Prozent.
allen kreisfreien Städten. Am                                                Ein Sprung über die nördlichen
anderen Ende der Skala findet                                                Kreisgrenzen des Ruhrgebiets
sich Münster mit einem Bruttoin-                                             reicht jedoch, um auf einen völlig
landsprodukt von über 54.000                                                 anderen Arbeitsmarkt zu treffen.
Euro pro Jahr und Einwohner.                                                 Im Kreis Coesfeld herrscht bei
Aber auch die Kreise Siegen-Witt-                                            einer Arbeitslosenquote von drei
genstein und Minden-Lübbecke                                                 Prozent fast Vollbeschäftigung.
schneiden vergleichsweise gut
ab und liegen sowohl über dem                                                Prozentualer Anteil der Arbeits-
Landes- als auch dem Bundes-        unter 25.000                             losen an allen Erwerbspersonen           unter 4
durchschnitt.                       25.000 bis unter 30.000                  in den westfälischen Kreisen und         4 bis unter 6
                                    30.000 bis unter 35.000                  kreisfreien Städten, 2016                6 bis unter 8
Bruttoinlandsprodukt pro Ein-                                                (Datengrundlage: IT.NRW4)                8 bis unter 10
                                    35.000 bis unter 40.000
wohner in Euro in den westfä-
                                    40.000 bis unter 45.000                                                           10 und mehr
lischen Kreisen und kreisfreien
Städten, 2015                       45.000 und mehr
(Datengrundlage: VGRL3)

                                                                                                                                            Berlin-Institut 11
OSTWESTFALEN-LIPPE – TRADITION UND INNOVATIONEN
   Ostwestfalen-Lippe entwickelte sich laut               nur auf alte Traditionen. Mit Innovations-,             chen Wirtschaftskraft. Dies zahlt sich aus:
   einem Vergleich der Regionen Nordrhein-                Technologie- und Branchennetzwerken,                    Mit 168 Patentanmeldungen pro 100.000
   Westfalens zwischen 2006 und 2015 am dy-               in denen sich Unternehmen, Hochschulen                  sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
   namischsten. In diesem Zeitraum konnte die             und wirtschaftsnahe Einrichtungen, wie                  stammen selbst im deutschlandweiten
   Region ihr Bruttoinlandsprodukt pro Kopf               Kammern und Förderungsgesellschaften                    Vergleich überdurchschnittlich viele Erfin-
   um über 28 Prozent steigern.18 Neben den               zusammenschließen, arbeitet die Region                  dungen und technischen Neuerungen aus
   sogenannten Hidden Champions beheimatet                seit einiger Zeit intensiv daran, führend in            dieser Teilregion OWLs.21
   das östliche Westfalen zahlreiche traditio-            zukunftsträchtigen Branchen und Technolo-
   nelle Familienbetriebe, deren Bekanntheit              gien zu werden. Im Technologie-Netzwerk                 Zur Innovationskraft trägt auch eine praxis-
   weit über die Grenzen Westfalens hinaus                „it’s OWL – Intelligente Technische Systeme             nahe Hochschul- und Forschungslandschaft
   reicht. Unternehmen wie der Medienkonzern              OstWestfalenLippe“ – haben sich über 180                bei. Neben zwei Universitäten in Bielefeld
   Bertelsmann und der Hausgerätehersteller               Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft                 und Paderborn beherbergt die Region die
   Miele aus Gütersloh sowie der Nahrungsmit-             zusammengeschlossen, um an Lösungen                     Hochschule Ostwestfalen-Lippe, die Fach-
   telkonzern Dr. Oetker aus Bielefeld gehören            und Entwicklungen für die Industrie 4.0 zu              hochschule Bielefeld, die Fachhochschule
   zudem zu den umsatzstärksten deutschen                 arbeiten.20                                             des Mittelstandes sowie die Fachhochschu-
   Familienunternehmen.19                                                                                         le der Wirtschaft. Die Namen der letztge-
                                                          Und so überrascht es kaum, dass Unterneh-               nannten Bildungseinrichtungen zeigen eine
   Ausgezeichnet in einem bundesweiten                    men der Region, besonders um Gütersloh                  enge Verbindung zu lokalen Unternehmen.
   Wettbewerb als eine der der fünf innova-               und Paderborn*, mehr Geld für ihre Innova-              Aber auch die staatlichen Hochschulen
   tivsten Regionen Deutschlands, baut OWL,               tionskraft in die Hand nehmen als Betriebe              arbeiten über das Spitzencluster mit der
   wie es kurz genannt wird, jedoch nicht                 andernorts – rund 2,2 Prozent der jährli-               Wirtschaft zusammen.

   *
    Im Innovationsatlas des IW Köln sind Landkreise und kreisfreie Städte zu Wirtschaftsräumen zusammengefasst. Der hier erwähnte Wirtschaftraum um Gütersloh und
   Paderborn umfasst auch die Landkreise Soest und Hochsauerlandkreis, die in der hier sonst genutzten Kategorisierung nicht zu OWL sondern zu Südwestfalen gehören.

   SÜDWESTFALEN – INDUSTRIEREGION MODERNISIERT SICH
   Südwestfalen gilt als die Industrieregion               der Maschinenbau.23 Hier sind Automobil-               Obwohl sie sich auf den globalen Märkten
   Nordrhein-Westfalens. Beim Beschäfti-                   zulieferer ebenso ansässig wie Unterneh-               erfolgreich behaupten, handelt es sich
   gungsanteil im produzierenden Gewerbe                   men der Elektro- und Leuchtenindustrie.                meist um familiengeführte Betriebe, die in
   steht die Region deutschlandweit an dritter             Mit Warsteiner, Krombacher und Veltins                 der Öffentlichkeit kaum bekannt sind.26
   Stelle. Anteilig mehr Industriebeschäftigte             haben drei der bekanntesten Privatbrau-
   gibt es nur in den Regionen Schwarzwald-                ereien Deutschlands ihren Standort in                  Die Dynamik der wirtschaftlichen Ent-
   Baar-Heuberg sowie Ostwürttemberg.22                    Südwestfalen.24 Die Region zieht ihren                 wicklung Südwestfalens verändert sich.
   Fast 45 Prozent der Bruttowertschöpfung                 Erfolg im Unterschied zum benachbarten                 Zwischen 1980 und 2010 erlebte die Regi-
   der Region entstammen dem produzieren-                  Ruhrgebiet weniger aus einzelnen Großun-               on im Vergleich mit Nordrhein-Westfalen
   den Gewerbe, im Landkreis Olpe und im                   ternehmen, sondern aus ihrer Kleinteilig-              und vor allem mit dem Ruhrgebiet noch
   Märkischen Kreis ist es sogar über die Hälf-            keit und Vielfalt.25                                   ein überdurchschnittliches Wachstum.
   te. In den südwestfälischen Tälern prägen                                                                      Hier wuchsen die Beschäftigtenzahlen
   mittelständische, meist familiengeführte                Die regionalen Industrie- und Handelskam-              kontinuierlich, während sie im Ruhrgebiet
   Unternehmen die Wirtschaftsstruktur. Die                mern porträtieren in einer Broschüre über              rückläufig waren.27 Inzwischen ist die
   wichtigsten Standbeine der südwestfäli-                 150 sogenannte Hidden Champions aus                    südwestfälische Beschäftigtendynamik
   schen Industrie sind die Herstellung und                Südwestfalen. Das sind Unternehmen, die                ausgebremst. Der Märkische Kreis hat seit
   Verarbeitung von Metallerzeugnissen wie                 mit ihren Produkten und Dienstleistungen               2000 sogar Erwerbstätige verloren.28
   Schrauben, Werkzeugen und Blechen sowie                 weltweit eine führende Rolle einnehmen.

12 Eine Region, viele Aussichten
MÜNSTERLAND – LANDWIRTSCHAFT UND WACHSTUM
   Das Münsterland ist von allen westfä-          Einen ähnlich hohen Anteil zum Umsatz        ist dieser Anteil im Bundesland noch
   lischen Regionen noch am stärksten             steuert der Maschinenbau bei. Insgesamt      höher.15
   landwirtschaftlich geprägt. Hier verdienen     195 Betriebe verteilen sich über das Müns-
   noch vergleichsweise viele Menschen auf        terland. Das produzierende Gewerbe trägt     Die westlichste der westfälischen Regi-
   den Feldern und in den Ställen ihr Auskom-     rund 29 Prozent zur Bruttowertschöpfung      onen hat den Strukturwandel von einem
   men. Rund 2,4 Prozent aller Arbeitskräfte      der Region bei – und damit etwas mehr        bedeutenden Zentrum der Textilindustrie,
   im Münsterland waren 2014 in der Land-         als im Durchschnitt des Landes Nordrhein-    die das Münsterland bis in die Mitte des
   wirtschaft tätig, im Kreis Coesfeld sogar      Westfalen. Deutlich über dem Landesmit-      20. Jahrhunderts war, hin zu einem breit
   4 Prozent und damit mehr als viermal           tel liegen allerdings die Wachstumsraten.    aufgestellten Wirtschaftsraum gut gemeis-
   so viele wie im nordrhein-westfälischen        Das produzierende Gewerbe konnte             tert. Das zeigt sich auch auf dem Arbeits-
   Durchschnitt. In den letzten Jahren ist die    zwischen 2006 und 2015 um fast 24 Pro-       markt. Zwischen 2008 und 2017 sind
   absolute Zahl von Beschäftigten in der         zent bei der Bruttowertschöpfung zulegen     fast 100.000 neue sozialversicherungs-
   Landwirtschaft sogar noch gestiegen.12 Die     und damit mehr als sieben Prozentpunkte      pflichtige Arbeitsplätze im Münsterland
   Weiterverarbeitung der landwirtschaftli-       stärker als im gesamten Bundesland.          hinzugekommen – und damit prozentual
   chen Produkte bleibt überwiegend in der        Insbesondere die Wertschöpfung im            mehr als in jeder anderen nordrhein-
   Region und schafft zusätzliche Wert-           verarbeitenden Gewerbe entwickelte sich      westfälischen Region.16 Im Gegenzug sind
   schöpfung und Arbeitsplätze. Apetito, Iglo     im Münsterland dynamischer und wuchs         kaum noch Menschen auf Jobsuche. Die
   und Humana sind einige der bekannteren         nahezu doppelt so schnell wie im Mittel      Arbeitslosenquoten der Münsterländer
   Lebensmittelmarken, die vom Münsterland        Nordrhein-Westfalens.                        Kreise sind nicht nur die niedrigsten
   aus Menschen in Deutschland und darüber                                                     Westfalens sondern auch des gesamten
   hinaus mit Fertiggerichten, Tiefkühlpizza,     In der Stadt Münster, wo mit der West-       Bundeslandes Nordrhein-Westfalens.17
   Frischfleisch oder Suppen versorgen.13         fälischen Wilhelms-Universität die           Entsprechend wird es für lokale Unterneh-
   Vor allem in den Kreisen Borken und            sechstgrößte Universität Deutschlands        mer zunehmend schwieriger, passende
   Steinfurt ist die Nahrungsmittelindustrie      beheimatet ist und sich zahlreiche Ver-      Arbeitskräfte für den wachsenden Bedarf
   zuhause, mit 50 respektive 40 Betrieben.       waltungsaufgaben konzentrieren, tragen       zu finden.
   Die Branche erwirtschaftet ein Fünftel des     hingegen Dienstleistungen fast 90 Prozent
   jährlichen Industrieumsatzes der Region.14     zur Bruttowertschöpfung bei. Nur in Bonn

Dieser Überblick zeigt, dass die Landkreise
und kreisfreien Städte sehr unterschiedliche
                                                 Eine Region –                                 Vorbilder und Verbündete, von denen sich et-
                                                                                               was lernen lässt oder mit dem man sich über
demografische wie wirtschaftliche Trends auf-    vier Entwicklungstrends                       Erfahrungen austauschen kann? Die Antwort
weisen und damit auch vor unterschiedlichen                                                    darauf liefert die folgende Clusteranalyse, die
Herausforderungen stehen, die jeweils andere                                                   jeweils die Gemeinden in Gruppen (Clustern)
Konzepte erfordern. Um genauerer Aussagen        Clusteranalyse                                zusammenfasst, die sich bei einer Reihe von
zu den jeweiligen lokalen Entwicklungstrends                                                   ausgewählten demografischen, infrastruktu-
und Herausforderungen treffen zu können,         Ob im Münsterland, in Südwestfalen, in        rellen und sozioökonomischen Indikatoren
reicht eine Analyse auf Kreisebene nicht aus.    Ostwestfalen-Lippe oder im westfälischen      am ähnlichsten sind. Das Ergebnis ist ein
Zu groß sind die Unterschiede zwischen den       Ruhrgebiet, überall gibt es Gemeinden, die    regionaler Überblick, der zeigt, wo etwa die
größeren Städten und ländlichen Regionen         eine ähnliche demografische und wirt-         Gemeinden liegen, aus denen die jungen Bil-
innerhalb der Kreise. Daher haben wir alle       schaftliche Entwicklung erleben und vor       dungs- und Berufswanderer abwandern und
westfälischen Gemeinden anhand demogra-          vergleichbaren Herausforderungen stehen. In   Stellen unbesetzt bleiben oder eine schnell
fischer, wirtschaftlicher sowie struktureller    all diesen Gemeinden entwickeln Verant-       alternde Bevölkerung auf längere Wege zum
Indikatoren untersucht und Gemeinsamkeiten       wortliche in den Rathäusern Lösungsansätze,   Arzt oder Supermarkt treffen.
sowie Unterschiede zwischen ihnen anhand         innovative Ideen und Konzepte, um den
einer Clusteranalyse herausgearbeitet.           Problemen zu begegnen. Doch wo finden sich

                                                                                                                             Berlin-Institut 13
CLUSTER 1                                              Deutlich gealtert und                                    altern. Und selbst von der seit einigen Jahren
                                                        trotzdem Ziel junger Menschen                            steigenden Attraktivität der Großstädte konn-
Fünfmal erster, viermal                                 Im Clusterdurchschnitt ist die Bevölkerung
                                                                                                                 te das Ruhrgebiet lange nicht profitieren.34

die rote Laterne                                        zwischen 2011 und 2016 um 1,1 Prozent                    Inzwischen sind zumindest die großen Ruhr-
                                                        gewachsen. Spitzenreiter sind die beiden                 gebietsstädte auf den Wachstumspfad zurück-
Die Großen unter sich                                   Städte Münster und Greven, deren Einwoh-                 gekehrt. Dortmund wuchs zwischen 2011 und
                                                        nerzahl in den fünf Jahren um über sechs                 2016 um rund 2,5 Prozent, Gelsenkirchen um
Die 49 Städte und Gemeinden dieses Clusters             Prozent gestiegen ist. Das Wachstum wird                 1,8 Prozent und Bochum immerhin um 0,6
liegen mehrheitlich im westfälischen Ruhr-              getragen von der Attraktivität der Städte                Prozent. Wie die meisten anderen Regionen
gebiet. Aber auch die Großstädte Münster,               bei den Bildungs- und Berufswanderern. Als               Westfalens und Deutschlands profitierten
Bielefeld oder Paderborn gehören dazu sowie             einziges der vier Cluster verbucht es im Saldo           auch die Städte im Pott von der momentan
jeweils einzelne Gemeinden der anderen west-            eine Zuwanderung der 18- bis 29-Jährigen.                hohen Zuwanderung aus dem Ausland.
fälischen Teilregionen. Alle kreisfreien Städte         Dabei ist die Spannweite innerhalb des Clus-
Westfalens finden sich in diesem Cluster wie-           ters groß und reicht von der Ruhrgebietsstadt            Noch immer viele ohne Arbeit
der, die durchschnittliche Einwohnerzahl liegt          Unna, der viele junge Menschen den Rücken
bei fast 100.000 und damit mehr als dreimal             kehren, bis nach Münster, das wie keine                  In keinem anderen Cluster sind mehr Men-
so hoch wie im ebenfalls eher städtisch                 andere westfälische Gemeinde für Bildungs-               schen auf der Suche nach Arbeit. In gerade
geprägten zweiten Cluster.                              und Berufswanderer attraktiv ist.                        einmal 7 der 49 Gemeinden sind weniger
                                                                                                                 als fünf Prozent der 15- bis 64-Jährigen
Kurze Wege und gute Versorgung                          Trotz des Zuzugs junger Menschen ist die                 arbeitslos.* Und nur in diesem Cluster gibt
                                                        Alterung in den Gemeinden des ersten                     es Gemeinden mit einer Arbeitslosigkeit von
Typisch für die großen, städtischen Ge-                 Clusters bereits weit vorangeschritten. Auf              über acht Prozent – allesamt Ruhrgebiets-
meinden sind kurze Wege. Aus vier von fünf              100 Einwohner zwischen 15 und 64 Jahren                  städte. Unter den zwölf Gemeinden, auf
Gemeinden brauchen die Bewohner weniger                 kommen im Durchschnitt über 34 Einwohner,                die das zutrifft, finden sich auch die Städte
als zehn Minuten zur Autobahn. Auch eine                die 65 Jahre und älter sind. Im Vergleich aller          Gelsenkirchen, Recklinghausen und Herne, in
Einkaufsmöglichkeit findet sich zumeist in              Cluster ist dies der höchste Wert. Gleichzeitig          denen rund jeder Zehnte zwischen 15 und 64
der Nähe. Da fast alle Gemeinden in diesem              leben hier anteilig die wenigsten Kinder und             Jahren auf Jobsuche ist.
Cluster ein Mittel- beziehungsweise Ober-               Jugendlichen unter 15 Jahren.
zentrum sind, lässt zudem auf eine allgemein                                                                     Mit durchschnittlich 49 sozialversicherungs-
gute Versorgungslage schließen. Denn sie                Die bereits fortgeschrittene Alterung ist eher           pflichtig Beschäftigten am Arbeitsort je 100
bündeln damit eine Vielzahl von Angeboten –             untypisch für dicht besiedelte, städtische               Einwohner zwischen 15 und 64 Jahren gibt es
von weiterführenden Schulen und Kranken-                Gemeinden, die ihren Altersschnitt im Allge-             aber mehr Arbeitsplätze als im westfälischen
häusern über Bahnhöfe und Museen bis hin                meinen durch den Zuzug der Jungen niedrig                Durchschnitt. Im Kreis Unna, in Hamm und in
zu Universitäten und Fachkliniken. Auch                 halten können. Anders im Ruhrgebiet: Der                 Dortmund wuchs die Zahl der Erwerbstätigen
die Versorgung mit Hausärzten ist die beste             Bevölkerungsschwund, ausgelöst durch den
unter allen Clustern. Mit Herdecke findet sich          Wegzug junger Menschen, den die Region
                                                                                                                 *
in diesem Cluster auch die Gemeinde, die                aufgrund des wirtschaftlichen Strukturwan-                 Der Anteil der Arbeitslosen bezieht sich in der Cluster-
                                                                                                                 analyse auf alle Einwohner zwischen 15 und 64 Jahren.
ihren Bewohnern mit Abstand die meisten                 dels erlebt hat, ließ auch die Bewohnerschaft            Die Arbeitslosenquote (Karte S.11) dagegen bezieht sich
Hausärzte bietet.                                       stärker als in anderen urbanen Räumen                    auf den Anteil an den Erwerbspersonen.

Mittelwert der in die Analyse
                                            kommunale                PKW-Fahrzeit            PKW-Fahrzeit zur         durchschnittliche Entfer-      Versorgungsgrad
einbezogenen Indikatoren                                                                                              nung zum nächsten Super-
                                            Steuereinnahmen          zum Mittelzentrum       nächsten Autobahnauf-                                   Hausärzte, 2016
nach Cluster und Ranking der                                                                                          markt oder Discounter in
                                            je Einwohner, 2016       in Minuten, 2015        fahrt in Minuten, 2016
Mittelwerte (4= schlechtester                                                                                         Metern, 2012
Wert, 1= bester Wert)
                                  Cluster                  Rang                    Rang                       Rang                           Rang                       Rang
Die Clusterzuordnung sowie
                                     1       1.013,2             4        0,6            1        6,8             1     1.911,1                  1        113,0               1
die jeweiligen Werte für die
231 westfälischen Gemeinden          2       1.429,0             1        3,0            2        8,4             2     2.667,1                  2         93,9               4
können heruntergeladen werden
unter: www.berlin-institut.org/      3       1.055,8             2       10,7            4       10,7             3    2.886,7                   3       104,8                2
publikationen.html                   4       1.041,1             3        6,7            3       24,8             4    3.388,2                   4         99,1               3

14 Eine Region, viele Aussichten
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