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NORD | SÜD-NETZ Weltweiter Verteilungskampf um Ressourcen – Rohstoffe, Wasser, Energie www.nord-sued-netz.de
WELTWEITER VERTEILUNGSKAMPF UM RESSOURCEN: ROHSTOFFE – WASSER – ENERGIE
Weltweiter Verteilungskampf um
Ressourcen – Rohstoffe, Wasser, Energie
Bildquelle Titel: „Protestkundgebung gegen das Staudammprojekt Belo Monte in
Altamira, Brasilien“, © Gerhard Dilger
ivNORD | SÜD-NETZ
Inhalt
Einleitung S. 2
Rasendes Wachstum frisst immer S. 3
01 mehr Ressourcen
02 Industrieländer leiden unter Rohstoffknappheit S. 8
EU-Rohstoffhunger untergräbt Entwicklung S. 11
03 und Menschenrechte
04 Chinas immenser Hunger nach Ressourcen S. 14
05 Die Ressource Mensch in der Fabrik der Welt S. 16
06 Kongo – schnell rein, schnell reich, schnell raus S. 18
Massenproteste gegen Kolumbiens S. 20
07 Bergbaupolitik
08 Fossile Rohstoffe S. 22
09 Deutschland ist kein rohstoffarmes Land S. 27
10 Schätze aus dem Boden S. 28
11 Wir brauchen eine aktive Industriepolitik S. 32
12 Kampf um kluge Köpfe S. 35
13 Wasser ist das wichtigste Lebensmittel S. 38
14 Ackerland als Spekulationsobjekt S. 42
15 Volle Tanks – leere Teller S. 45
Der Klimawandel frisst die S. 47
16 Ressourcen der Ärmsten
17 Was tun? S. 50
18 Zum Weiterlesen S. 56
19 Autoreninfos S. 57
1v01
02 WELTWEITER VERTEILUNGSKAMPF UM RESSOURCEN: ROHSTOFFE – WASSER – ENERGIE
Einleitung
03
Unverhohlen verfolgt die Europäische Kommission mit ihrer ten. Strategien von Entwicklungsländern zum Aufbau weiter-
04
Rohstoffinitiative von 2008 (Raw Materials Initiative) einen verarbeitender Industrie und zur Diversifizierung von Exporten
neoliberalen, den Interessen der Wirtschaft dienenden Kurs. werden genauso unterminiert wie jeweilige eigene Regelungen
Europa droht sich damit in die Phalanx der ökonomisch ag- zum Schutz der Umwelt oder zur Umverteilung der Einnahmen.
05
gressiven, einseitig auf Versorgungssicherheit ausgerichteten
Staaten einzureihen. Damit unterscheidet sich Europa auch nur Auf allen Ebenen finden Debatten statt, die das Ziel haben,
noch graduell von Staaten wie China, den Vereinigten Staaten Alternativen zu entwickeln. Internationale Nachverhandlungen
06
und Kanada. sollen die jeweilige Bevölkerung an den Erlösen der Rohstoff-
vorkommen teilhaben lassen. Menschenrechte und Umwelt-
Neben den Staaten agieren zunehmend auch die privaten schutz sollen stärker berücksichtigt werden. Es sind weitere
07
Unternehmen in dem großen Spiel. Mit ihren privaten wie Schritte erforderlich, um den Raubbau im großen Stil an glo-
staatlichen Rohstoffagenturen beuten sie im globalen Stil und balen Ressourcen zu beenden und den Rohstoffabbau sowie
08
im Einklang mit den nationalen Macht- und Geldeliten deren -export im globalen Süden zu verringern, damit die Wirtschaft
nationale Ressourcen zu Ungunsten der lokalen Bevölkerung und Entwicklung dieser Länder unabhängiger von der Roh-
aus. Dabei fällt der Handelspolitik die Rolle zu, bestehende stoffausfuhr wird.
09
Hindernisse im Handel abzubauen. Ausfuhrbeschränkungen
wie Ausfuhrsteuern, -zölle oder -quoten auf Rohstoffe sind den In dieser Broschüre haben wir die Akteure und ihre Interes-
Playern ein Dorn im Auge. Bei Verhandlungen zu Freihandels- sen im Verteilungskampf um die Ressourcen beschrieben.
10
abkommen und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen fordern Dabei haben wir uns bemüht, die größten Gefährdungsbe-
sie, dass solche Hindernisse beseitigt werden. Gleichzeitig reiche in den rohstoffreichen Ländern aufzuzeigen. Die Texte
wirken sie darauf hin, dass Investoren im Rohstoffsektor freie präsentieren exemplarisch unterschiedliche und wertvolle
11
Bahn erhalten. Ihnen sollen möglichst viele Rechte und Vorteile Ansichten, um einen Eindruck von dem breiten Diskussions-
zugebilligt, aber keinerlei Pflichten auferlegt werden. Und die spektrum zu vermitteln. Im europäischen politischen Dialog
Rohstoffkonzerne fahren satte Gewinne ein. werden solche Perspektiven und Vorschläge allzu selten re-
12
flektiert. Wir sind jedoch der Meinung, dass die EU alternati-
Die nationalen Märkte in den ausgebeuteten Staaten drohen zu ve Vorschläge aus dem globalen Süden und die Entwicklungs-
13
verkümmern. Arbeitsplätze werden in großem Stil vernichtet, ziele ihrer Partnerländer wahrnehmen und aufgreifen sollte,
die Landflucht weiter verstärkt. Umwelt- und Entwicklungsin- um fortschrittliche zukunftsfähige Entwicklungsansätze zu
teressen, Menschenrechte und der Kampf gegen Armut drohen fördern und Kohärenz zwischen ihren eigenen handels- und
14
unter die Räder zu kommen. Die Kosten für diese Politik ha- entwicklungspolitischen Zielen zu gewährleisten, wie es der
ben vor allem die Menschen in den rohstoffreichen Ländern zu Vertrag von Lissabon verlangt.
tragen. Neben der Umweltzerstörung sind Landvertreibungen
15
häufige Folgen, Arbeitsplätze im Bergbau bieten oft weit Auch wenn nicht alle in den Texten zum Ausdruck gebrachten
schlechtere Verdienstmöglichkeiten als eigener Landbesitz. Ansichten immer uneingeschränkt von den Herausgebern ge-
teilt werden, ist es Ziel dieser Broschüre, die Diskussion in den
16
Auch die EU-Rohstoffpolitik zielt auf die Sicherung des Zu- Gewerkschaften, in der Politik und der Gesellschaft weiter
gangs zu Rohstoffen weltweit, um die Wettbewerbsposition anzuregen und zur Entwicklung eigener Vorschläge für eine
europäischer Unternehmen zu verbessern. Mit dieser einsei- bessere nationale und EU-Rohstoff- und Handelspolitik beizu-
17
tigen Ausrichtung steht die Rohstoffstrategie in krassem Wi- tragen.
derspruch zum EU Grundsatz der „Politikkohärenz im Interesse
Zum Weiterlesen
der Entwicklung“. Der Handlungsspielraum von Staaten, die ih-
ren Rohstoffsektor im Interesse der Menschen und der Umwelt
regulieren wollen, wird durch die EU-Politik enorm beschnit-
2NORD | SÜD-NETZ
01_Rasendes Wachstum frisst
immer mehr Ressourcen
Leeres Wohlstandsversprechen an die Armen Weltkrieg deutlich rascher aufwärts. Kurz nachdem das sow-
jetische Imperium zusammengebrochen war und dem freien
Eine Ära geht zu Ende: In den vergangenen beiden Jahrhun- Markt nichts mehr im Wege stand, wurden die Verbrauchskur-
derten hat sich in Europa und den USA ein Wirtschaftsmodell ven dann noch steiler.
entwickelt, das auf permanentem Wachstum beruht. Damit
verbunden war das Versprechen, alle könnten am materiellen Der kapitalistische Markt erschien jetzt vielen als das einzig
Wohlstand teilhaben und einen Lebensstil erreichen wie in den überlebensfähige Wirtschaftssystem und der strahlende Sieger.
Ländern, die sich selbst als „entwickelt“ bezeichnen. Bei Be- 1995 wurde die Welthandelsorganisation WTO gegründet mit
trachtung der Fakten wird schnell klar, dass das Versprechen dem Ziel, jeden staatlichen Protektionismus zu unterbinden:
nicht eingelöst wurde – und niemals eingelöst werden kann: Überall und unbeschränkt sollte Wettbewerb herrschen. Fast
Die Ressourcen der Erde reichen schlicht nicht aus, um unseren alle Handelsschranken fielen. Die gesamte Welt werde reicher
Lebensstil zu globalisieren. werden, hieß es – und die Armen würden wie in einem Boot
bei steigendem Wasser mit nach oben getragen. Tatsächlich
Heute verarbeitet die Menschheit 34 mal so viele Rohstoffe wie hat sich das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf seit 1990 mehr als
vor 100 Jahren. Nachdem der Bedarf zunächst langsam und verdoppelt. Aber zugleich ist die Kluft zwischen arm und reich
kontinuierlich anstieg, ging es wenige Jahre nach dem zweiten sowohl innerhalb vieler Länder als auch international noch
Weltweiter Verbrauch von raffiniertem Kupfer im Zeitraum 1900 bis 2009
20,000
17,000
15,000
Kupferverbrauch in 1.000 Tonnen
12,500
10,000
7,500 29
5,000
Cu
Kupfer
2,500
0
00
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48
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4
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19
19
Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Nachfrage nach raffiniertem Kupfer kontinuierlich gestiegen, von weniger als
500.000 Tonnen im Jahr 1900 auf bis zu 18 Millionen Tonnen in 2009, wobei das Wachstum der Kupfernachfrage durchschnitt-
lich 4 Prozent betrug.
Quelle Infografik: International Copper Study Group (ICSG), Auszug aus:
„The World Copper Factbook 2010“
301 WELTWEITER VERTEILUNGSKAMPF UM RESSOURCEN: ROHSTOFFE – WASSER – ENERGIE
beispielsweise, das mit natürlichen Schätzen wie Diamanten,
Titan, aber auch Kaffee und Kakao reich gesegnet ist, war
02
Wie das Vermögen verteilt ist – Schauplatz eines langen, blutigen Bürgerkriegs, der zu einem
Bevölkerung nach Zehnteln erheblichen Teil durch „Blutdiamanten“ finanziert wurde. Das
UN-Umweltprogramm UNEP warnte 2009, dass sich Konflikte
03
Bevölkerung in % in Mrd. €* um Ressourcen in den kommenden Jahren massiv verschärfen
könnten.
reichstes Zehntel 61,1 5.753
04
9. Zehntel 19,0 1.796
8. Zehntel 11,1 1.049 Sinkende Preise sind der Motor des Systems
7. Zehntel 6,0 567
05
6. Zehntel 2,8 265 Das gegenwärtige Wirtschaftssystem fördert Konzentrations-
5. Zehntel 1,2 113 prozesse von Produktion und Geld. In einem weltweiten Markt
4. Zehntel 0,4 38 ohne Beschränkungen setzt sich tendenziell derjenige durch,
06
3. Zehntel 0,0NORD | SÜD-NETZ
ist mit einem ständig wachsenden Rohstoffverbrauch verbun- Rohstoffvorkommen in Afrika und Lateinamerika gesichert,
den. Heute verweilt ein PC durchschnittlich gerade einmal drei sondern tritt auch als Investor in Industrieländern auf. In vielen
Jahre beim Nutzer. Das liegt auch daran, dass es laufend neue Branchen wickeln chinesische Firmen inzwischen den gesam-
Programme gibt und die immer größere Datenspeicher benöti- ten Produktionsprozess von der Rohstoffgewinnung bis zur
gen. Hier arbeiten die Soft- und Hardwarehersteller quasi Hand Endmontage ab. Zugleich versucht die Kommunistische Partei
in Hand. Gut für ihren jeweiligen Absatz – schlecht für die Um- (KP), die Bevölkerung durch steigende Löhne und Konsum-
welt und die Rohstoffreserven, von denen immer weniger für möglichkeiten ruhig zu halten. Folglich steigt der chinesische
kommende Generationen übrig bleiben. Waren- und Rohstoffverbrauch rasant.
Durch aufwändige Werbung und Markenpflege wird der Ab- Immer mehr Güter reisen um die Welt
satz permanent angekurbelt. Nicht der Bedarf treibt die Kon-
summaschine an, wie die Hersteller gerne glauben machen, Vieles, was heute in den Läden liegt, ist aus Ressourcen und
sondern das Angebot. Das zeigt sich schon daran, dass die Komponenten zusammengesetzt, die aus mehreren Erdteilen
wirklich Bedürftigen marktwirtschaftlich betrachtet uninteres- stammen. Hinzu kommt, dass die Abnehmer verlangen, im-
sant sind, weil sie nur wenig Geld ausgeben können. Ihr Bedarf mer schneller und kurzfristiger beliefert zu werden. Die Folge
ist groß, aber für die Firmen irrelevant. ist eine Verkehrslawine, die immer mehr Platz in Form von
Straßen und Parkplätzen, Häfen und Flughäfen beansprucht.
Die globalen Machtverhältnisse Darüber hinaus ist der Erdölbedarf für den Transport gestie-
haben sich verschoben gen, und auch der Bau der Fahrzeuge verschlingt große Roh-
stoffmengen.
Längst spielt die Musik nicht mehr in erster Linie nur in Eu-
ropa und den USA. Die sogenannten BRICS-Staaten – Brasi- Ökologischer Fußabdruck übersteigt
lien, Russland, Indien, China und Südafrika – haben enormen den vorhandenen Platz
Einfluss gewonnen. Vor allem China treibt heute die Wachs-
tumsmaschine im rasenden Tempo weiter. Das Land hat in den Rechnet man alle Flächen zusammen, die ein Durchschnitts-
vergangenen Jahren durch seine Exportorientierung riesige Fi- bürger in einem Land für seinen gegenwärtigen Lebensstil
nanzüberschüsse angehäuft. Mit denen hat es sich nicht nur benötigt – also Wald-, Acker- und Weideland, Flächen für
Straßengüterverkehr Container-Transport in ITF-Länder
Tonnenkilometer, 1990 = 100
250 400
350
200 300
TEU*, 1990 = 100
250
150
200
100 150
100
50 50
1990
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1990
1992
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2006
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EU Transport auf dem Seeweg
OECD * Ein TEU entspricht einem 20-Fuß-ISO-Container
ITF (Internationale-Transportarbeiter-Föderation)
Die schwarze Linie zeigt die Entwicklung der Tonnenkilometer Der Seetransport hat sich innerhalb von 16 Jahren vervierfacht.
weltweit. Während es in den traditionellen Industrieländern in- Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise geht es wieder steil auf-
folge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 / 2009 einen deut- wärts.
lichen Knick nach unten gab, flacht die weltweite Kurve nur ab.
Quelle Infografiken: www.keepeek.com/Digital-Asset-Management/oecd/transport
501
02 WELTWEITER VERTEILUNGSKAMPF UM RESSOURCEN: ROHSTOFFE – WASSER – ENERGIE
Entwicklung der weltweiten Erdölfördermenge von 1900 bis 2010
03
4000
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3500
3000
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2500
Fördermenge in Mio. Tonnen
2000
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Straßen, Häuser, Bergbau, Produktion und Müllablagerung – Viele Ökonomen sehen keine Probleme
so erhält man seinen ökologischen Fußabdruck. Der ist für
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einen EU-Bürger heute 4,7 Hektar groß. Doch innerhalb der Bei den hohen Wachstumsraten kann es eigentlich nicht ver-
EU-Grenzen stehen nur 2,3 Hektar pro Kopf zur Verfügung. wundern, wenn Stoffe knapp werden. Doch Ökonomen ver-
Folglich gibt es ein Defizit von 2,4 Hektar. In den USA ist die suchen zu beruhigen: Unser Wirtschaftssystem ist nicht in
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Diskrepanz noch größer. Dort fehlen pro Person 3,3 Hektar Gefahr: Bei steigender Nachfrage klettern auch die Preise
im Inland. Folglich funktioniert dieser Lebensstil nur so lange, nach oben – und dann lohnt sich auch die Ausbeutung bisher
13
wie es ein „Außen“ gibt. unrentabler Lagerstätten und der Einsatz teurer Techniken. Au-
ßerdem weisen sie darauf hin, dass viele spärlich vorhandene
Dieses „Außen“ ist jedoch aufgrund des Entwicklungsverspre- Stoffe durch andere ersetzt werden können – und überhaupt
14
chens an alle Menschen weltweit immer weiter geschrumpft: werde den Ingenieuren mit Sicherheit eine Lösung für alles ein-
Allein in China existiert inzwischen einen 300-Millionen- fallen, so ihr Credo.
köpfiger Mittelstand, der sich am westlichen Konsummodell
15
orientiert und nun ebenfalls einen deutlich größeren Fußab- Tatsächlich verwendet die Autoindustrie heute für Katalysa-
druck verursacht als das eigene Land an Biokapazität hergibt. toren meist nicht mehr teures Platin, sondern das wesentlich
Die Landnutzung wurde auf diese Weise immer weiter aus- günstigere Palladium. Kupfer wird inzwischen oft durch Glasfa-
16
gedehnt und hat längst das aus ökologischer Sicht langfristig ser ersetzt, und der Rumpf der neuen Boeing besteht statt aus
tragbare Maß überschritten. Schon heute bräuchten wir nach Aluminium aus Fiberglas und leichtem Kohlefaserstoff. Aber
17
Berechnungen des Footprint-Networks mehr als 1,5 Erden – längst nicht alle Stoffe sind zu substituieren – und darüber
Tendenz schnell steigend. So wird die Regenerationsfähigkeit hinaus müssen auch die Ersatzstoffe irgendwoher kommen.
der Natur in laufend zunehmendem Maße geschädigt. Das Auch das Versprechen, neue Techniken würden zur Einsparung
Zum Weiterlesen
geht auf Kosten des Drittels der heutigen Menschheit, die auf großer Rohstoffmengen führen, hat sich regelmäßig als falsch
den unmittelbaren Zugang zur Natur angewiesen ist, und auf erwiesen. Das „papierlose Büro“, das mit der Computerisierung
Kosten aller künftigen Erdenbürger. des Arbeitsalltags erwartet wurde, war eine Illusion: Tatsäch-
Quelle Infografik: http://de.wikipedia.org/wiki/Erdöl/Tabellen_und_Grafiken
6NORD | SÜD-NETZ
lich liegt der Pro-Kopf-Papierverbrauch heute in Deutschland produzierte Güter entstehen. „Weiter-so“ oder auch nur „Ein-
bei über 240 Kilogramm im Jahr, während es Mitte der 1990er bisschen-weniger“ erscheint somit wie eine rasante Fahrt in
Jahre noch fast 50 Kilogramm weniger waren. Gleiches gilt für die Sackgasse – und irgendwann gegen die Wand.
die Annahme, durch Videokonferenzen lasse sich physischer
Verkehr eindämmen. Die Beispielreihe könnte man fortsetzen. Monokulturen zerstören eine der wichtigsten
Ressourcen der Menschheit
Gegenwärtig liegen große Hoffnungen auf einer „grünen
Wirtschaft“, bei der angeblich der Ressourcenverbrauch vom Das gegenwärtige Wirtschaftsmodell verbraucht aber nicht
Wachstum „abgekoppelt“ werden kann. Doch auch die Her- nur ungeheure Mengen an Rohstoffen. Es zerstört auch syste-
stellung von Windrädern und Elektroautos basiert auf en- matisch eine enorm wichtige Ressource für die Zukunft: Die
ormen Rohstoffmengen. Werden Energieverbrauch und die genetische Vielfalt von Nutzpflanzen und -tieren. Was Bauern
Zahl der Autos nicht reduziert – beispielsweise durch neue weltweit in den vergangenen 10.000 Jahren gezüchtet haben,
Nutzungskonzepte wie Carsharing – wird der Ressourcenver- ging im vergangenen Jahrhundert zum Großteil unwiederbring-
brauch absehbar ansteigen. So geht die Unternehmensbe- lich verloren: Binnen eines Jahrhunderts sind in Deutschland 90
ratung McKinsey davon aus, dass die Autoindustrie im Jahr Prozent der Getreide-, Gemüse- und Obstsorten ausgestorben;
2030 doppelt so viel Aluminium, 13 mal so viel Kupfer und weltweit liegt die Quote bei 75 Prozent. Zehn große Konzerne
200 mal so viel Lithium benötigt wie heute. beherrschen heute den Weltsaatgutmarkt – darunter Monsanto,
Du Pont und Bayer. Sie verkaufen außer Samen auch Pestizide
Nicht jeder Vorrat darf verbraucht werden und andere Agrochemikalien, die oft nur in Kombination funk-
tionieren. Ein wichtiger Baustein für ihr Geschäftsmodell sind
Die allein auf die Ökonomie fixierte Perspektive übersieht die Hybridsorten, die extrem hohe Ernteerträge bringen, sich aber
„Nebenwirkungen“ der Rohstoffgewinnung. Dabei geht es zum nicht mehr selbst vermehren können und deshalb Jahr für Jahr
einen um regionale Folgen wie die Landschaftszerstörung oder nachgekauft werden müssen. Weniger als ein Fünftel der Ge-
die Vergiftung von Grund- und Oberflächenwasser, die An- müsesorten sind heute noch samenfest und damit nachbaubar;
wohner und Arbeiter krank machen. Zum zweiten hat unsere Ende der sechziger Jahre waren es noch 99 Prozent. Das führt zu
Wirtschaftsweise längst Auswirkungen auf das weltweite Öko- einer dauerhaften Abhängigkeit der Bauern von den Konzernen.
system. Die Internationale Energie-Agentur schreibt in ihrem
Jahresbericht 2012, dass die Erderwärmung nur dann auf zwei
Grad begrenzt werden kann, wenn „bis 2050 nicht mehr als
ein Drittel der nachgewiesenen Vorkommen fossiler Brennstoffe
verbraucht werden“. Würden die gesamten noch vorhandenen
Erdöl-, Erdgas- und Kohleressourcen tatsächlich genutzt, wäre
ein extremer Temperaturanstieg auf der Erde unvermeidlich –
mit unabsehbaren Folgen für die gesamte belebte Natur. Schon
heute zahlen ausgerechnet diejenigen die höchste Rechnung
für den bereits stattfindenden Klimawandel, die am wenigsten
dazu beigetragen haben: Die Menschen im südlichen Afrika.
Gedenken an die irische Hungersnot („Große Hungersnot“, 1845–1849)
Und wieder wird eine technische „Lösung“ proklamiert: Das
Treibhausgas CO2 soll eingefangen und unter die Erde verpresst Die genetische Verarmung ist jedoch brandgefährlich, wie die
werden. Doch die CCS-Technik ist teuer, unsicher und noch völ- Geschichte lehrt: Mitte des 19. Jahrhunderts starben eine Mil-
lig unausgereift. Der einzige Ausweg ist somit eine Begrenzung lion Iren, nachdem sämtliche Kartoffeln auf der grünen Insel
der Gesamtmenge fossiler Energieträger, die noch genutzt verfault waren. Sie stammten alle von wenigen Ursprungs-
werden kann. Umgerechnet auf die Weltbevölkerung dürfte pflanzen ab, die keine Abwehrkräfte gegen die Kartoffelfäule
jeder Erdenbürger künftig noch einen Lebensstil pflegen, bei hatten. Gegenwärtig vernichtet ein Pilz ganze Weizenfelder in
dem maximal zwei Tonnen CO2 pro Jahr in die Atmosphäre Ostafrika und könnte theoretisch 90 Prozent der weltweiten
gepustet werden. In Deutschland liegt der Wert gegenwärtig Weizenernten zerstören.
bei neun Tonnen – und dabei sind die Klimabelastungen noch
nicht einmal eingerechnet, die durch anderswo auf dem Globus Annette Jensen
Bildquelle: „Famine (1997) – Bronzeskulpturen von Bildhauer Rowan Gillespie auf dem
Custom House Quay in Dublin“, timsackton/flickr.com (CC BY-SA 2.0)
701 WELTWEITER VERTEILUNGSKAMPF UM RESSOURCEN: ROHSTOFFE – WASSER – ENERGIE
02_Industrieländer leiden
02
unter Rohstoffknappheit
03
Deutschlands Industriekapitäne rer Infrastruktur, ihres Bergbaus und der Industrie. Sie wollen
04
äußerst nervös die wertvollen Rohstoffe nicht einfach nur verkaufen, sondern
fordern Technologietransfer.
Die Ölkrise in den 1970er Jahren machte erstmals deutlich,
05
dass die Lieferanten von Bodenschätzen durchaus Macht ha- An einer sogenannten „Rückwärtsintegration“, bei der die
ben. Doch ansonsten ließ sich mit Rohstoffen im 20. Jahrhun- Industrie einen direkten Zugriff auf Rohstoffe hat, gab es bei
dert nicht allzu viel verdienen. Viel lukrativer war die Verarbei- deutschen Firmen lange keinerlei Interesse. Während sich Län-
06
tung zu Produkten. Deshalb zogen sich deutsche Firmen seit der wie Japan und China schon seit geraumer Zeit an Bergbau-
Mitte der 80er Jahre zunehmend aus dem Bergbau zurück und unternehmen im Ausland beteiligen oder sie selbst gründen,
kauften das, was sie brauchten, fast vollständig auf dem inter- haben sich in Deutschland erst Anfang 2012 Großkonzerne
07
nationalen Markt. wie Bayer, BMW, Daimler, ThyssenKrupp und Stahlholding-
Saar zu einer „Rohstoffallianz“ zusammengeschlossen, die
08
Zu Beginn des 21. Jahrhundert kletterten die Preise für viele sich im Bergbau engagieren will. Weil aber der Aufschluss
Rohstoffe rasant nach oben. Preissprünge von einigen hun- neuer Vorkommen erst nach etwa zehn Jahren zur zuverläs-
dert Prozent innerhalb weniger Jahre waren keine Seltenheit. sigen Förderung relevanter Mengen führt, ist hierdurch keine
09
Doch nicht allein die Kosten versetzten den Bundesverband schnelle Erleichterung zu erwarten. Darüber hinaus bewerten
der Deutschen Industrie (BDI) in Panik. Viel erschreckender er- Fachleute die avisierte Investitionssumme von einer Milliarde
schien den Wirtschaftsbossen die Aussicht, dass sie selbst für Euro als nicht besonders üppig für die selbstgestellte Aufga-
10
teures Geld womöglich nicht ausreichend Nachschub für ihre be, die deutsche Industrie besser mit wichtigen Rohstoffen zu
Produktion bekommen könnten. „Wenn wir kein Benzin mehr versorgen.
bekommen, fahren unsre Autos nicht mehr. Wenn wir aber
11
keine Metalle mehr bekommen, produzieren wir keine Autos Graben und recyceln –
mehr,“ warnte BDI-Chef Ulrich Grillo vor ein paar Jahren, als die EU-Rohstoffinitiative
er noch Leiter der Arbeitsgruppe für internationale Rohstoff-
12
fragen war. Auch die EU will etwas gegen die Rohstoffknappheit unterneh-
men, von der Deutschland mit Abstand am stärksten betroffen
13
Vor allem China hortet Metalle, um sie selbst zu verarbeiten. ist. Der Nachschub bei 14 Stoffen sei besonders kritisch, erga-
In den Augen der westlichen Industrie ist das unfair: Auf dem ben Recherchen im Auftrag der EU-Kommission. Dabei wurde
Weltmarkt soll der Preis den Ausschlag geben und sonst nichts, beurteilt, ob die Rohstoffe nur in wenigen Ländern gefördert
14
so ihr Credo. Deshalb wandte sich der BDI, der ansonsten nicht werden und wie stabil die politische Lage dort jeweils ist. Re-
viel von einer Einmischung des Staates in die Wirtschaft hält, cyclingquoten und mögliche Ersatzstoffe wurden ebenfalls un-
hilfesuchend an die Bundesregierung. Die setzte sich mit Erfolg tersucht. Nachdem zunächst auch die Umweltbelastung durch
15
dafür ein, dass die EU China bei der Welthandelsorganisation den Rohstoffabbau ein Kriterium war, fiel dieser Aspekt in der
WTO verklagte. Schlussbewertung unter den Tisch.
16
Mit der Mongolei und Kasachstan hat die Bundesregierung Ab 2014 stellt die EU 90 Millionen Euro für Forschung und an-
jeweils einen Vertrag zu einer Rohstoffpartnerschaft abge- dere Aktivitäten zur Verfügung. Industriekommissar Antonio
schlossen. Staatliche Stellen organisieren Treffen, auf denen Tajani geht davon aus, dass unter Europas Böden in Tiefen von
17
Firmen aus den jeweiligen Ländern Geschäftsbeziehungen 500 bis 1.000 Metern Schätze im Wert von 100 Milliarden Euro
anbahnen können. Während die deutschen Unternehmen fast lagern. Die gelte es zu heben, so sein Vorschlag. Außerdem soll
Zum Weiterlesen
ausschließlich zuverlässig mit Rohstoffen versorgt werden Elektroschrott besser recycelt werden. Jeder EU-Durchschnitts-
möchten, hegen die Regierungen in Ulan-Bator und Astana bürger hinterlässt heute schon 17 Kilogramm pro Jahr, im Jahr
große Hoffnungen in punkto Unterstützung beim Aufbau ih- 2020 sollen es nach EU-Prognosen sogar 24 Kilogramm sein.
Bildquelle: „Wiederaufbau von Straßen in Kazakhstan – Arbeiter vor Asphaltmischwerk“,
8 Kubat Sydykov / World Bank / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)NORD | SÜD-NETZ
Gemeinsam klagen gegen China
Mongolei und Kasachstan: Reich an
Rohstoffen, arm an Menschenrechten Im Frühjahr 2012 reichten die EU, die USA und Japan eine Kla-
ge bei der Welthandelsorganisation WTO gegen China wegen
Die Mongolei gehört zu den zehn rohstoffreichsten Ländern unfairer Handelspraktiken ein: Das Land erhebt nicht nur hohe
der Welt. Dort gibt es Kohle-, Kupfer-, Gold-, Silber- und Zölle auf 17 hochbegehrte Metalle, sondern hat auch niedrige
Uranvorkommen, aber auch Seltene Erden und zahlreiche Ausfuhrquoten verhängt und führt dafür Umweltschutzgrün-
weitere Mineralien in über 6.000 Lagerstätten. Im Jahr de an. Zwar hat die WTO Anfang 2012 in einem ähnlichen Fall
2011 wuchs die mongolische Wirtschaft wie in kaum einem zugunsten der EU und USA geurteilt, und die Aussichten für
anderen asiatischen Land. Dagegen macht die Demokratie die Kläger gelten auch diesmal als recht gut. Doch eine rasche
nur sehr langsam Fortschritte. Straflosigkeit bei Folter und Linderung des Materialmangels ist dennoch nicht zu erwar-
anderen Misshandlungen sind dort an der Tagesordnung. ten: Die Verhandlungen könnten sich über Jahre hinziehen.
Die Justiz gilt als korrupt, unfaire Gerichtsverfahren sind
üblich. Zwar verkündete die Regierung 2010 ein Hinrich- USA wollen sich wieder stärker selbst versorgen
tungsmoratorium und der Staatspräsident wandelte die
Todesurteile von Menschen, die ein Gnadengesuch einge- Die USA sind selbst deutlich besser mit Bodenschätzen ausge-
reicht hatten, in 30-jährige Haftstrafen um. Doch bis heute stattet als Europa. Bis Anfang der 1990er Jahre wurde etwa
hat das Parlament immer noch keine Abstimmung über die ein Drittel des weltweiten Bedarfs an Seltenen Erden in den
Abschaffung der Todesstrafe durchgeführt. Vereinigten Staaten gewonnen, dann aber aus Kostengründen
eingestellt. Nun wird die Förderung wieder aufgenommen. Für
Auch in Kasachstan stehen Folter, willkürliche Verhaf- die USA besonders wichtig sind Rohstoffe, die für die Herstel-
tungen, Verletzungen der Meinungs- und Versammlungs- lung von Waffen und sonstigem Militärequipment wie Ziel-
freiheit auf der Tagesordnung. Besonders gefährdet sind automatiken, Nachtsichtgeräte und „intelligente“ Munition
Gewerkschafter und Menschenrechtsverteidiger. Arbeit- gebraucht werden. Eine dem Pentagon zugeordnete Agentur
nehmerrechte werden in Kasachstan mit Füßen getreten. unterhält ein eigenes Rohstofflager mit Mineralien und Me-
Im Mai 2011 wurden Hunderte von Erdölarbeitern im Süd- tallen, um Engpässe für die Rüstungsindustrie zu vermeiden.
westen des Landes entlassen, nachdem sie gestreikt hatten. Bei Öl und Gas setzen die USA darauf, einen Großteil des
Ihre Proteste wurden für illegal erklärt und die Behörden Bedarfs wieder selbst zu decken. Die Konzerne hoffen, dass
gingen mit brutaler Gewalt gegen die Demonstranten vor. Präsident Barack Obama in seiner zweiten Amtszeit das seit
Zahlreiche Streikende, Gewerkschafter und Mitglieder von 20 Jahren geltende Verbot neuer Bohrungen im Atlantik auf-
Oppositionsparteien landeten im Gefängnis oder wurden zu hebt. Zugleich wird seit einigen Jahren insbesondere in den
Geldstrafen verurteilt. Kasachstan wird von einem autori- US-Bundesstaaten Norddakota und Montana Gas und Öl aus
tären Regime geführt, das auf den Präsidenten zugeschnit- Schiefergestein herausgepresst. Dieses „Fracking“ ist zwar
ten ist und ihm sehr viel Macht verleiht. Bestechung und mit starken Belastungen für Anwohner und Umwelt verbun-
Korruption sind im Bergbau-Sektor zentrale Probleme. Die den, führte aber auch dazu, dass die Importe zurückgefahren
Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) werden konnten und die Preise in den USA sanken.
wies bereits vor Abschluss der Rohstoffpartnerschaft auf
diese Missstände in Kasachstan hin und forderte: „Men-
schenrechte, Armutsbekämpfung und gute Regierungsfüh-
rung dürfen in Rohstoffpartnerschaften nicht den Interes-
sen der Wirtschaft nachgeordnet werden.“
Viola Dannenmaier
Weitere Informationen:
www.amnesty.de/jahresbericht/2012/kasachstan
www.amnesty.de/jahresbericht/2012/mongolei
www.hrw.org/sites/default/files/reports/wr2011.pdf US-Bürgerprotest gegen Fracking
Bildquelle: „Gemeinden in Upstate New York mobilisieren gegen Fracking. Es besteht die
Sorge, dass hydraulische Frakturierung das Trinkwasser von New York City mit krebserre-
genden Chemikalien verunreinigt.“, Bosc d‘Anjou/flickr.com (CC BY 2.0) 901 WELTWEITER VERTEILUNGSKAMPF UM RESSOURCEN: ROHSTOFFE – WASSER – ENERGIE
All das hat in den Vereinigten Staaten zu der weitverbreiteten Bewohner des Nordens beanspruchen
Meinung geführt, es könne ewig so weitergehen. Dass sich der Agrarflächen im Süden
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CO2-Ausstoß des Landes seit 1990 um neun Prozent erhöht
hat, stört nur wenige. Die Industrieländer importieren aber nicht nur sehr viele Me-
tall- und Energierohstoffe, sondern auch Nahrungsmittel, Tier-
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Die USA haben nie das internationale Kyoto-Protokoll vom 11. futter und Holz. Dafür werden anderswo auf der Welt entspre-
Dezember 1997 unterschrieben und verhalten sich auch sonst chende Landflächen benötigt. Zwar gibt es auch Lieferungen in
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so, als ob es ein weltweites Klimaproblem nicht gäbe: Die Koh- umgekehrter Richtung. Doch in der Bilanz hat Europa hier ein
lendioxid-Emissionen liegen pro Kopf bei 17,3 Tonnen. Das ist enormes Handelsdefizit.
einsame Spitze. Tragfähig fürs Weltklima wären 2 Tonnen pro
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Erdenbürger. Annette Jensen
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Ausmaß virtueller Land-Importe von außerhalb der Europäischen Union (2004)
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Virtueller Landhandel (Import /Export)
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mit der EU in 1.000 Hektar Fläche
–3,000 – –1,000 höchste Dynamik von Import – Export-Aktivitäten
–1,000 – –100 höchste Dynamik von Export – Import-Aktivitäten
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–100 – +100
Die Grafik zeigt, wie viel Hektar Land die Europäer anderswo in
100 – 1,000 der Welt für ihren Lebensstil beanspruchen. Die Grafik basiert
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1,000 – 2,000 auf Daten von 2004. Die Lage dürfte sich seither noch einmal
2,000 – 5,000 deutlich verschärft haben.
Zum Weiterlesen
5,000 – 10,000
10,000 – 51,000
keine Daten vorhanden
Quelle Infografik: Sustainable Europe Research Institute (SERI): www.seri.at/wp-content/
uploads/2011/10/Europe_Global_Land_Demand_Oct11.pdf
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03_EU-Rohstoffhunger untergräbt
Entwicklung und Menschenrechte
Die Europäische Kommission startete im Herbst 2008 ihre den Wirtschaftsinteressen unterordnet. Beteiligt sind sowohl
Rohstoffinitiative. Offiziell basiert sie auf drei Säulen: Der Si- Akteure in der Politik als auch zivilgesellschaftliche Gruppen
cherung des Zugangs zu Rohstoffen auf den Weltmärkten, die und Organisationen auf lokaler, regionaler und internationaler
Verbesserung des Zugangs zu europäischen Lagerstätten und Ebene. Sie streiten für mehr Umweltschutz und dafür, dass die
die Reduzierung des Rohstoffverbrauchs. Bei der Umsetzung Rohstoffschätze den Ursprungsländern mehr Nutzen bringen.
lag der Schwerpunkt in den vergangenen Jahren eindeutig auf Sie entwickeln Ansätze, Vorschläge und Konzepte, wie es zu
Säule Nummer eins. Mit einer aktiven Rohstoffdiplomatie will einer größeren Teilhabe der Bevölkerung und der Vorfahrt für
sich die EU den Zugang zu Rohstoffen weltweit sichern. Menschen vor dem Profit kommen kann.
Bei bilateralen Verhandlungen zu Freihandels- und Wirt- In Afrika verlangen viele Bürger, Gewerkschafter und NGOs von
schaftspartnerschaftsabkommen wirkt die EU darauf hin, dass ihren Regierungen mehr Transparenz. Sie wollen wissen, wie
Ausfuhrsteuern, -zölle oder -quoten verboten werden. So ist viel die Rohstoffunternehmen zahlen und wo das Geld bleibt.
beispielsweise im Vertrag mit Kamerun festgeschrieben, dass Um Korruption und Schmiergeldzahlungen zu unterbinden for-
das Land nur bei einer ernsthaften Störung der Staatsfinanzen dern sie, bisherige Geheimverträge neu zu verhandeln und die
oder zum Schutz der Umwelt Exportzölle erheben darf. Ergebnisse zu veröffentlichen. In Nigeria und Guinea ist das
gelungen. Doch die meisten Konzerne wehren sich gegen die
Dabei haben Ausfuhrbegrenzungen für die Entwicklungsländer Überprüfung ihrer Rohstoffverträge und korrupte Regierungen
wichtige Funktionen: Sie steigern die öffentlichen Einnahmen, haben auch kein Interesse an einer Änderung der Situation.
fördern die heimische Industrie und können für eine Angebots-
und Preisstabilität sorgen. Im Klartext: Die EU beschneidet die EU-Transparenzrichtlinie stecken geblieben
Möglichkeiten der Vertragspartner, selbst weiterverarbeitende
Industrien aufzubauen und so ihre Exporte zu diversifizieren. Doch auch die EU könnte für mehr Transparenz sorgen, wenn
Darüber hinaus will sie europäischen Investoren die Bahn frei sich der Ministerrat, das Parlament und die Kommission darauf
räumen, indem sie für diese Vorteile wie Inländerbehandlung einigten. Im Oktober 2011 hat die Europäische Kommission ei-
und Investorenschutz verlangt. Auch sollen sie das erwirt- nen Richtlinienentwurf für den Rohstoffsektor vorgelegt: Große
schaftete Geld ohne Einschränkungen außer Landes bringen Unternehmen sollen offen legen müssen, wie viel Geld sie an
können. staatliche Stellen für Rohstoffexploration und -gewinnung
zahlen. Der Rechtsausschuss des europäischen Parlaments
Nicht wenige sehen die EU-Rohstoffstrategie als neue Form des stimmte im September 2012 zu. Noch aber kann die Transpa-
Kolonialismus. Für die Sicherung von Unternehmen und Arbeits- renzinitiative scheitern oder verwässert werden, weil der Minis-
plätzen in Europa – auch für den Ausbau von grünen Industrie- terrat eine projektgenaue Offenlegungspflicht ablehnt. Einer
zweigen – werden schlechte Arbeitsbedingungen, Hungerlöhne der Hauptbremser ist die deutsche Bundesregierung.
und ein Verbot von Gewerkschaftstätigkeiten in den rohstoffab-
bauenden Ländern in Kauf genommen. Darüber hinaus übernut- Freihandelsabkommen zwischen EU und Indien
zen wir das natürliche Kapital der Erde und leben letztendlich auf bedroht die Stärkung der lokalen Bevölkerung
Kosten der Bevölkerungen anderer Länder, zukünftiger Generati-
onen und der Umwelt. In Indien versucht die Regierung, den Menschen vor Ort mehr
Rechte und Nutzen an den Rohstoffen aus ihrer Region zu ver-
Gegenstimmen und andere Ansätze schaffen. 2011 legte der Ministerrat den Entwurf für ein neues
im globalen Süden Bergbaugesetz vor. Es zielt darauf ab, das wirtschaftliche und
soziale Wohlergehen der lokalen Gemeinden zu fördern und
Auch in vielen Abbauregionen gibt es Gegenstimmen und Wi- den Umweltschutz zu stärken. Weiterhin sollen verschiedene
derstand gegen die neoliberale Politik, die Menschenrechte Kontrollinstanzen aufgebaut werden. Ein nationaler Mineralien-
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Zum Weiterlesen WELTWEITER VERTEILUNGSKAMPF UM RESSOURCEN: ROHSTOFFE – WASSER – ENERGIE
Bildquelle: „Bergmann in einer Silbermine von Potosí, Bolivien“, Adam Jones, Ph. D.,
Global Photo Archive/flickr.com (CC BY-SA 2.0)
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fonds würde ins Leben gerufen und dafür eingesetzt, nachhal- erstrecke sich nicht allein auf die eigene Firma, sondern verlau-
tige Abbaumethoden zu entwickeln. Würde das Gesetz tat- fe entlang der gesamten Produktions- und Lieferkette. An die
sächlich verabschiedet und umgesetzt, könnten Bevölkerung Bundesregierung geht die Forderung dafür zu sorgen, dass Men-
und Umwelt profitieren. Viele Bestimmungen des Gesetzent- schenrechte und Umweltschutz verbindlich festgeschrieben wer-
wurfs kollidieren aber mit unterschiedlichen Kapiteln des EU- den – und dann keine Papiertiger bleiben. Kontrollen und Sank-
Indien-Freihandelsabkommens, das gegenwärtig verhandelt tionen bei Verstößen sind unabdingbare Voraussetzungen dafür.
wird und Investorenrechte vor Menschenrechte stellt. Doch die Organisationen gehen noch weiter: „Ein fundamentaler
Politikwechsel hin zu einer zukunftsfähigen Rohstoffpolitik muss
In Lateinamerika werden alternative Wirtschafts- in sehr viel stärkerem Umfang als bisher auf eine Senkung des
und Entwicklungssysteme diskutiert Rohstoffverbrauchs abzielen.“ Der programmatische Vorstoß ist
notwendig. Denn noch zielen die meisten politischen Ansätze le-
Viele Staaten Lateinamerikas setzen auf die Stärkung der diglich auf eine kurz- bis mittelfristige Verminderung von schäd-
staatlichen Eigentumsrechte an den Rohstoffen, um größere lichen Auswirkungen. Worum es aber eigentlich gehen muss ist
Anteile an den Gewinnen zu bekommen. So konnte Bolivien eine langfristige Nachhaltigkeit – und die betrifft die globale Ge-
mit dem Rohstoffgiganten Glencore im März 2012 einen neuen rechtigkeit und die Gerechtigkeit zwischen den Generationen.
Vertrag aushandeln. Der Staat bekommt jetzt 55 Prozent der Im Klartext heißt das: Die EU muss ihren absoluten Verbrauch
Gewinne aus den Silber-, Zink-, Blei- und Zinnminen. Das ist an Rohstoffen drastisch reduzieren – und nicht nur die Effizienz
zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Trotzdem bleiben die erhöhen. Das Prinzip des „Weiter, schneller, mehr“ muss einem
daraus finanzierten staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung „langsamer, näher, weniger“ weichen.
von Armut und Ungleichheit marginal. Darüber hinaus wird die
Abhängigkeit der bolivianischen Wirtschaft vom Rohstoffsek- Viola Dannenmaier
tor noch verstärkt – und damit wird ein Entwicklungsmodell
fortgesetzt, das auf dem Export von Rohstoffen beruht. Weitere Infos: www.misereor.de/fileadmin/redaktion/
Rohstofferklaerung_bfdw-IgMetall-Misereor-041212.pdf
Gegenwärtig werden in Lateinamerika aber auch Ansätze dis-
kutiert, die darauf abzielen, im Zuge einer neuen Ökonomie
die Abhängigkeit von Rohstoffexporten zu überwinden. Durch In Deutschland haben Nichtregierungsorganisationen ver-
kleine Extraktionsprojekte, die auf lokaler Nachfrage basieren, schiedener Richtungen gemeinsam „Anforderungen für
sollen alternative Jobs geschaffen und ökologische Kosten eine zukunftsfähige Rohstoffpolitik“ formuliert und an die
gesenkt werden. Im Vordergrund stehen dabei der Erhalt der Bundesregierung adressiert. Sie fordern ein Umsteuern im
Ökosysteme und die Armutsbekämpfung. Die Rohstoffförde- ökologischen Bereich, in der Friedens- und Sicherheits-
rung soll nicht vollständig aufgegeben, sondern Teil einer di- politik, beim Schutz der Menschenrechte und den Betei-
versifizierten Ökonomie werden. Ziel ist es, den Kreislauf aus ligungsrechten der Zivilgesellschaft sowie bei der interna-
Rohstoffabhängigkeit und hohen sozialen und ökologischen tionalen Handels- und Investitionspolitik. Außerdem soll
Kosten zu durchbrechen. die Bundesregierung Transparenz und Zertifizierungen bei
der Rohstoffbeschaffung deutscher Firmen durchsetzen,
Mensch und Umwelt gehören an erste Stelle fordern die NGOs. Auf europäischer Ebene hat sich eine
breite Allianz aus Entwicklungs- und Umweltorganisati-
Zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2012 veröf- onen, Gewerkschaften, Bauernverbänden, Menschen-
fentlichten IG Metall, Misereor und Brot für die Welt eine ge- rechts-, Fairtrade- und MigrantInnengruppen zusammen-
meinsame Erklärung mit Leitplanken für Menschenrechte und geschlossen, um sich für eine alternative Handels- und
Umweltschutz bei der Rohstoffsicherung. Die Organisationen Investitionspolitik einzusetzen. Die Allianz hat sich mit
verweisen darauf, dass die Grenzen des Wachstums eben nicht mannigfaltigen Alternativen beschäftigt und arbeitet
nur in der Begrenztheit der Rohstoffe liegen, sondern auch in gerade an der Entwicklung eines Alternativen Handels-
der Notwendigkeit, Umwelt und Menschenrechte zu schützen. mandats (engl. Alternative Trade Mandate, kurz ATM).
Gewerkschafter und kirchliche Vertreter mahnen gemeinsam,
dass deutsche Unternehmen beim Bezug von Rohstoffen der Weitere Infos: www.globalpolicy.org/images/pdfs/
Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten, dem Klima und GPFEurope/Anforderungen_an_eine_zukunftsfhige_
der Umwelt Vorrang einräumen müssen. Ihre Verantwortung Rohstoffstrategie.pdf; www.alternativetrademandate.org
1301 WELTWEITER VERTEILUNGSKAMPF UM RESSOURCEN: ROHSTOFFE – WASSER – ENERGIE
04_Chinas immenser Hunger nach Ressourcen
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Seltene Erden als Faustpfand China auf den Import von Erz, Kupfer, Zink und Aluminium
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angewiesen. Gleiches gilt auch für die Energieerzeugung:
In Baotou übernachten die Gäste gern im „Seltene Erden Inter- Rund 70 Prozent der chinesischen Kraftwerke verbrennen
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national Hotel“ mit seinem riesigen Kronleuchter im Foyer und Kohle, und die ist zum großen Teil auch noch so schmutzig,
einem Swimming-Pool. Die Bewohner der alten Industriestadt dass besonders viel Treibhausgase in die Atmosphäre gelan-
am gelben Fluss fahren über die Straße der „Seltenen Erden“, gen. Gleichzeitig steigt der chinesische Bedarf an Gas und
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sie flanieren im „Park für Seltene Erden“, in dem die Worte Erdöl. Ab 2020 wird die Volksrepublik voraussichtlich mehr Öl
des KP-Patriarchen Deng Xiaoping aus dem Jahr 1992 zu lesen importieren als jedes andere Land der Welt.
sind: „Der Mittlere Osten hat Öl. China hat Seltene Erden.“
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Ob Gas aus Kasachstan oder Turkmenistan, Kupfer aus Sim-
Baotou liegt in der Inneren Mongolei. Die Region im chine- babwe oder Kohle aus Australien: Es sind enorme Mengen von
sischen Norden ist eine der wichtigsten Fundstätten des Landes Rohstoffen, die jede Minute durch die Pipelines fließen, mit
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für jene Spezialmetalle, die Unternehmen aus der ganzen Welt Tankern in chinesischen Häfen anlanden und in Güterwaggons
begehren, um Mobiltelefone, Flachbildschirme, Windräder oder herantransportiert werden. Ohne diese Importe wäre die chi-
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Hybridautos herzustellen. China produziert fast 95 Prozent der nesische Wirtschaft längst nicht mehr lebensfähig. Und ohne
derzeit weltweit gehandelten Seltenen Erden. Andere Staaten starkes Wirtschaftswachstum wäre wohl auch die Herrschaft
fürchten, die Pekinger Regierung könnte sie als politisches der Kommunistischen Partei am Ende. Den Nachschub an Res-
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Kampfmittel benutzen. Die Japaner, mit denen sich Peking um sourcen zu sichern, gehört mittlerweile zum Kern der chine-
Inseln im Gelben Meer zankt, bekamen das in den vergangenen sischen Außenpolitik, die sich in den vergangenen Jahren neue
Jahren bereits zu spüren, als ihre Seltenen-Erden-Importe aus Verbündete suchte. So entstand auf Anregung Chinas vor eini-
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China plötzlich ausblieben. gen Jahren ein Bündnis mit vier zentralasiatischen Staaten und
Russland – genannt die „Shanghaier Organisation für Zusam-
Die Regierung in Peking hat inzwischen angekündigt, sie wer- menarbeit” (SOZ). Sie soll Peking nicht zuletzt den ungehinder-
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de eine „strategische Reserve“ anlegen und weniger Seltene ten Zugang zu den zentralasiatischen Rohstoffen garantieren.
Erden als bisher schürfen. Sie begründete diese Haltung mit
den großen Umweltschäden, die das Fördern dieser Stoffe ver-
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ursacht. Dabei haben sich die staatlichen Minenunternehmen
bislang wenig um die ökologischen Folgen geschert. Die zum
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Teil hochgiftigen Abwässer werden einfach in die Steppe ge-
kippt, bilden Seen, versickern und verseuchen das Grundwas-
ser. Viele Menschen in der Umgebung dieses größten Abwas-
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serbeckens der Erde leiden an Knochenkrankheiten.
Weltweit auf Einkaufstour
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Hinter der Ankündigung, weniger Seltene Erden zu fördern, Zentralasiatische Staatspräsidenten beim SOZ-Gipfel in Peking, China (2012)
steckt aber auch die Sorge der chinesischen Führung um die
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Zukunft der eigenen Ressourcen: Das 1,3-Milliarden-Reich ist Auch das Interesse Chinas an den Reichtümern der Meere
eines der wichtigsten Industrieproduzenten der Welt – und hat steigt. Im Jahr 2011 gelang es dem chinesischen Tauchboot
selbst nicht genug Rohstoffe für seine unzähligen Fabriken, „Jiaolong“, auf eine Rekordtiefe von 5057 Metern auf den Bo-
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Werkstätten und Kraftwerke. Deshalb will das Land nicht nur den des Pazifik zu sinken, um dort nach Quellen für Mineralien
sparsamer als bisher mit den eigenen Rohstoffen umgehen, zu forschen. In Grönland wollen Chinesen in Zukunft Eisenerz
Zum Weiterlesen
sondern muss auch immer mehr im Ausland einkaufen. Um und andere Bodenschätze fördern. Um ein Wörtchen bei der
seine Wirtschaft anzufeuern, die trotz weltweiter Krise im Jahr Aufteilung der Schätze unter dem schmelzenden Eis der nörd-
2011 immerhin noch um mehr als neun Prozent wuchs, ist lichen Polarregion mitreden zu können, bemüht Peking sich
Bildquellen: Zweite Spalte: „SOZ-Gipfel“, wikimedia.org / www.kremlin.ru (CC BY 3.0); Dritte
14 Spalte: „Wasserverschmutzung in der Mongolei“, Bert van Dijk/flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0)NORD | SÜD-NETZ
außerdem um einen Platz als Beobachter im „Arctic Council”. wie in Uganda, legen Eisenbahnschienen in Gabun, errichten
Der Vorstoß scheiterte bislang allerdings am Veto Norwegens. Flughäfen – zum Beispiel in Mauretanien – oder installieren
Anderswo haben sich chinesische Staatsunternehmen bereits Krankenhäuser wie in Kamerun. Afrikanische Kritiker klagen,
Ressourcen gesichert, indem sie Anteile an ausländischen Un- dass sich die chinesischen Unternehmen dabei so benehmen
ternehmen erwarben. Dazu gehört etwa die Silizium-Sparte wie zu Hause: Sie scheren sich weder um Umweltschutz noch
des norwegischen Orkla-Konzerns. Chinesische Konzerne wol- um die Rechte der Arbeiter. In einer Kupfer-Mine in Sambia
len außerdem 20 Milliarden US-Dollar in die Entwicklung von schossen 2010 chinesische Sicherheitsleute auf Bergleute und
zwei iranischen Ölfeldern in Azadegan und Yadavaran inve- verletzten dreizehn von ihnen.
stieren. Vor der brasilianischen Atlantikküste erwarben sie ein
Ölfeld und auf dem Festland Brasiliens mehrere Eisenerzminen. Chinas Hunger nach Rohstoffen verändert nicht nur wirtschaft-
In Peru ist bereits ein Drittel des Bergbaus in den Händen chi- lich, sondern auch politisch das Weltgefüge. Um die Nach-
nesischer Staatsbetriebe. schubrouten durch die Weltmeere zu sichern, lässt die Marine
der Volksrepublik mehr Kriegsschiffe als je zuvor über den
Afrika liegt im Fokus Pazifik kreuzen und vor Somalia beteiligt sie sich an der Pira-
tenjagd. Sogar einen Flugzeugträger erproben Chinas Militärs
Besonders konzentrieren sich Chinas Unternehmen auf Afrika: derzeit. Besonderes Augenmerk richten Pekings Strategen auf
Dort interessieren sie sich unter anderem für Kupfer aus Sam- das Südchinesische Meer, das die Rohstofftanker und Frachter
bia, Mangan aus Gabun und Holz aus dem Kongo. Afrika und durchqueren müssen. Dabei geht es um Fischgründe, vor allem
China handelten 2011 Waren und Dienstleistungen im Wert von aber um die großen Gas- und Ölvorkommen, die unter dem
166,3 Milliarden US-Dollar. Afrikanische Politiker sind erfreut, Meeresboden vermutet werden. Das Gleiche gilt für die unbe-
dass sie bei Geschäften mit China keine politischen Auflagen wohnten Diaoyu-Inseln im Gelben Meer, um die sich China mit
und keine Kritik an den Menschenrechtsverletzungen oder der Japan streitet.
korrupten Staatsführung zu hören bekommen. Hauptsache, für
Peking springen Schürfrechte, Förder-Lizenzen oder Zugang zu Sauberes Wasser wird knapp
Wäldern und Ackerflächen heraus. Als Gegenleistung für den
Zugang zu Rohstoffquellen bauen die Chinesen Staudämme Zu Hause in China wird zugleich ein ganz besonders wichtiger
Rohstoff immer knapper: Sauberes Wasser. Die rasante Ver-
städterung und die Verdoppelung der Bevölkerung innerhalb
eines halben Jahrhunderts, aber auch der verschwenderische
Umgang in der Landwirtschaft und in der Industrie haben es
zu einem bedrohten Gut gemacht. Experten warnen vor einer
ernsten Wasserkrise. Die Grundwassertavernen in der Umge-
bung von Peking und anderen Regionen Nordchinas sind schon
nahezu leer: Die Lebensgrundlage von Hunderten von Millio-
nen Menschen ist in Gefahr. Die Regierung in Peking versucht,
die drohende Katastrophe abzuwenden, indem sie über drei
Routen Wasser durch Kanäle aus dem Yangtse in den Norden
pumpen will. Ob das milliardenschwere Mammutprojekt jemals
so funktionieren wird, wie es sich die Funktionäre vorstellen,
ist ungewiss.
Gleichzeitig schauen Indien und die anderen südasiatischen
Nachbarn besorgt auf das Dach der Welt: Im Himalaya ent-
springen für sie lebenswichtige Flüsse wie der Mekong und der
Brahmaputra. Sie fürchten, dass chinesische Ingenieure eines
Tages einen Teil des Wassers abzweigen könnten, um den Be-
darf im eigenen Land zu decken.
Andreas Lorenz
1501 WELTWEITER VERTEILUNGSKAMPF UM RESSOURCEN: ROHSTOFFE – WASSER – ENERGIE
05_Die Ressource Mensch in
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der Fabrik der Welt
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Zig Millionen billige Arbeitskräfte sind Damit das Massenangebot an billigen Arbeitskräften auch Be-
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entscheidend für Chinas Aufstieg schäftigung fand, öffnete sich China zunächst in den Küsten-
provinzen für ausländische Investoren. Das waren einerseits
Chinas Wirtschaftswunder ist historisch einmalig: Binnen 30 reiche Chinesen aus Hongkong, Taiwan und anderen Ländern,
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Jahren wurde die nackte Armut weitgehend beseitigt, und mit die heute noch die Hauptinvestoren in China sind, und ande-
jährlich zweistelligen Wachstumsraten stieg das Riesenland zur rerseits multinationale Konzerne. Damit begann die weltweit
Wirtschaftsmacht Nummer zwei auf. China hat Deutschland größte Wanderungsbewegung und soziale Umwälzung in der
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als Exportweltmeister abgelöst und wird in naher Zukunft die Neuzeit: Heute arbeiten etwa 250 Millionen Chinesen aus den
USA vom Spitzenplatz der Weltwirtschaft verdrängen. Pro Kopf Landgebieten als Wanderarbeiter in den Industriezentren an
gerechnet liegt die chinesische Wirtschaftsleistung aber weit der Küste und in den großen Städten. Jedes Jahr in der Woche
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hinter der der Industrieländer zurück. um das chinesische Frühlingsfest geht die Wanderungsbewe-
gung zurück auf die Dörfer – zu den Eltern und Verwandten, zu
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Die systematische Erschließung des zig-Millionen Heeres bil- den eigenen Kindern, die oftmals dort zurückgelassen wurden.
ligster Arbeitskräfte war der Schlüssel für den Aufstieg Chi-
nas. Es begann mit den Reformen Ende der 70er Jahre: Die Fertigung für Apple & Co
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Volkskommunen aus Maos Zeiten wurden aufgelöst, die Land-
wirtschaft schrittweise privatisiert. Damit wurde die ländliche Die Erschließung Chinas für den kapitalistischen Weltmarkt,
Überbevölkerung auf den Arbeitsmarkt gedrängt. Dann fielen die Freisetzung und Mobilisierung von hunderten Millionen
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die Beschränkungen für Millionen ländlicher Kollektivbetriebe, Arbeitskräften hat das weltweite Kräfteverhältnis zwischen Ar-
die sich plötzlich auf dem Markt behaupten mussten. Viele ver- beit und Kapital fundamental verschoben. Der „China-Preis“,
schwanden, andere mutierten beispielsweise von einer Werk- der weltweit niedrigste Preis für ein bestimmtes Produkt, ist
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statt für Landmaschinen zu einem inzwischen weltweit tätigen zum Schrecken ganzer Branchen und von zig Millionen Arbei-
Autozulieferer. Und Chinas Staatsbetriebe, einst Garanten für ei- tern in den Industrieländern geworden und betrifft Schuhe,
nen lebenslangen Arbeitsplatz, mussten plötzlich gewinn-orien- T-Shirts, Fernseher oder Werkzeugmaschinen gleichermaßen.
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tiert wirtschaften. Die Zeiten der „eisernen Reisschüssel“ waren Der weltweite Zugriff auf billige chinesische Arbeitskräfte hat
vorbei – 40 Millionen Arbeiter wurden auf die Straße gesetzt. der Globalisierung einen enormen Schub versetzt.
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Zum Weiterlesen
Bildquelle: „Adbusting für die Public Eye Awards 2011“, Greenpeace Switzerland/flickr.com Menschen und Umwelt verachtende Geschäftspraktiken Konsequenzen haben – primär
16 (CC BY-NC-ND 2.0); „Die Public Eye Awards zeigen den Akteuren der Weltwirtschaft, dass für die davon Betroffenen, aber auch für das Firmenimage.“, Quelle: www.publiceye.chSie können auch lesen