GAS Bewährter Energieträger mit Zukunft
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ZEITSCHRIFT DER ÖSTERREICHISCHEN VEREINIGUNG FÜR DAS GAS- UND WASSERFACH UND DES FACHVERBANDES DER GAS- UND WÄRMEVERSORGUNGSUNTERNEHMUNGEN GAS Bewährter Energieträger mit Zukunft FAKTEN || Was ist Erdgas? | Woher kommt das Erdgas? | Wie kommt das Erdgas zu uns? | Wie(so) wird Erdgas gespeichert? | Was macht Gas so sicher? | Wo wird Gas verwendet? | Wie kommt der Gaspreis zustande? HERAUSFORDERUNGEN || Wir brauchen Energie – ausreichend, verlässlich, öko nomisch | Wir brauchen Sicherheit | Wir brauchen Optionen | Wir erwarten Effizienz und saubere Umwelt P.b.b. Verlagspostamt 4020 Linz, GZ 04Z035681 M PERSPEKTIVEN || Unkonventionelle Förderung | Umweltfreundliche Erzeugung | Neue Speicher, neue Aufgaben | Ungewöhnliche Anwendungen | Fahren mit CNG: günstiger und grüner | Fazit: Nicht wegzudenken FORUM SPECIAL 6 [2012]
ZEITSCHRIFT DER ÖSTERREICHISCHEN VEREINIGUNG FÜR DAS GAS- UND WASSERFACH UND DES FACHVERBANDES DER GAS- UND WÄRMEVERSORGUNGSUNTERNEHMUNGEN FORUMSPECIAL E N E R G I E T R Ä G E R G A S Editorial Das Wunderbare „Ans Wunderbare reicht heran, wozu man Gas verwenden kann“ – so lautete der Titel einer Werbebroschüre aus Stadtgas-Zeiten, in der durchgängig in Verse gegossen und einprägsam illustriert die Vor- züge und die Mannigfaltigkeit der Einsatzmöglichkeiten in Haus- halt, Industrie und Gewerbe vermittelt wurden. Das Wunderbare von damals wird vom inzwischen Möglichen weit übertroffen. Doch die Aussage scheint aktueller denn je. Techni- scher und technologischer Fortschritt erlauben den Zugriff auf bis- lang unbekannte oder nicht förderbare natürliche Vorkommen, stellen neue Verfahren zur Herstellung bereit, eröffnen ungeahnte Anwendungsbereiche und weisen Gas aufgrund seiner problem losen Transportier- und Speicherbarkeit die Rolle eines unverzicht- baren Energieträgers im Zusammenspiel mit Erneuerbaren zu. In diesem Kontext ist auch die von ÖVGW und FGW initiierte und ge- tragene Innovationsoffensive Gas Österreich zu sehen, die im kom- menden Jahr anläuft und darauf abzielt, wissenschaftlich fundierte Themenbereiche – von der Einspeisung erneuerbarer Gase bis zum Einsatz neuer Technologien – aufzubereiten und zu kommunizie- ren. Einen Ausblick auf das, so man pathetisch bleiben möchte, „Wunderbare“ auf heutigem Stand bietet bereits das vorliegende Heft, das nicht nur basale Information zu Erdgas zusammenfasst, sondern sein Augenmerk auf das „Gas von morgen“ richtet. Mag. Michael Mock Geschäftsführer FGW / ÖVGW FORUM SPECIAL 6 [2012] 3
Impressum FORUM SPECIAL 6 [2012] – Sonderheft des FORUM GAS WASSER WÄRME, Oktober 2012. Konzept, Recherche und Bildredaktion Helmut Ruck. Text Christian Fell. Fachliche Beratung Wolfgang Ziehengraser. Redaktion H.M. Jobst FORUM GAS WASSER WÄRME Offizielle Fachzeitschrift des Fachverbandes der Gas- und Wärmeversorgungsunternehmungen (FGW) und der Ö sterreichischen Vereinigung für das Gas- und Wasserfach (ÖVGW). Redaktion Tel.: (01) 548 27 88-24, Fax: (01) 548 27 88-26. Chefredaktion: Mag. H.M. Jobst, E-Mail: hjobst@forum-gww.at. Redaktionsteam: Mag. Chri- stian Fell, Mag. Erich Johann Papp, Mag. Helmut Ruck. Verlag und Vertrieb Friedrich VDV, Vereinigte Druckereien- und Verlags-GmbH & Co KG, Wien und Linz. Anzeigenberatung und Medienkoordination ÖVGW, Mag. Dr. Ute Boccioli, 1010 Wien, Schubertring 14, Tel.: (01) 513 15 88-26, Fax: (01) 513 15 88-25, E-Mail: boccioli@ovgw.at. Abonnement ÖVGW, 1010 Wien, Schubertring 14, Tel.: (01) 513 15 88-0, E-Mail: office@ovgw.at Preis Einzelheft EUR 7,- Auflage 6.000 Stück. OFFENLEGUNG NACH DEM MEDIENGESETZ: Medieninhaber und Herausgeber Fachverband der Gas- und Wärmeversorgungsunternehmungen (FGW), Österreichische Vereinigung für das Gas- und Wasserfach (ÖVGW), repräsentiert durch GF Mag. Michael Mock, 1010 Wien, Schubertring 14, Tel.: (01) 513 15 88-0, E-Mail: office@gaswaerme.at, office@ovgw.at.
GAS INHALT Gas Bewährter Energieträger mit Zukunft 3 Editorial FAKTEN 8 Was ist Erdgas? 10 Woher kommt das Erdgas? 16 Wie kommt das Erdgas zu uns? 22 Wie(so) wird Erdgas gespeichert? 26 Was macht Gas so sicher? 28 Wo wird Erdgas verwendet? 32 Wie kommt der Gaspreis zustande? 36 „Gas wird weiterhin eine wichtige Rolle im Energiemix spielen“ Interview mit Jacques de Jong, CIEP HERAUSFORDERUNGEN 42 Wir brauchen Energie – ausreichend, verlässlich, ökonomisch 44 Wir brauchen Sicherheit 46 Wir brauchen Optionen 52 Wir erwarten Effizienz und saubere Umwelt 56 „Ohne Gas werden die Erneuerbaren nicht durchstarten“ Interview mit Peter Layr, EVN AG PERSPEKTIVEN 64 Unkonventionelle Förderung 68 „Das ist eine heilige Pflicht“ Interview mit Herbert Hofstätter, Montanuniversität Leoben 74 Umweltfreundliche Erzeugung 82 Neue Speicher, neue Aufgaben 86 Ungewöhnliche Anwendungen 90 Fahren mit CNG: günstiger und grüner 96 Fazit: Nicht wegzudenken FORUM SPECIAL 6 [2012] 5
GAS Was ist Erdgas? Die Natur hat uns vorgemacht, wie man aus den Resten von Pflanzen oder Meereslebewesen einen überaus wertvollen Energieträger erzeugt. Dazu wird kein Sauerstoff, dafür aber Wärme benötigt – und ein wenig Geduld. Meist tief im Erdinneren verborgen, liegt eine immer tiefer unter Schichten von Sedimenten Ressource, die das Leben an der Oberfläche und Gestein, dadurch erhöhte sich der Druck nachhaltig verändert und erleichtert hat. Von wie auch die Temperatur. Unter Luftabschluss der Heizung über den Herd zum Hochofen, entstand so in einer Tiefe von rund 2.000 Me- vom Kraftwerk zum Kraftfahrzeug: Sie alle tern bei einer Wärme von 70 °C vorwiegend werden von einem Naturprodukt angetrieben, Erdöl (oft lagert das Gas dann oberhalb des dessen Entstehung meist lange zurückliegt. Felds oder ist im Öl gelöst), in noch größerer Erdgas entstand in warmen Erdzeitaltern vor Tiefe und bei einer Hitzeentwicklung von min- Jahrmillionen durch den biologischen Abbau destens 200 °C nur noch Erdgas. Ist es einmal von organischem Material. Meereslebewesen gefunden, kann es beinahe sofort verwendet sanken zum Grund des Ozeans und gerieten werden, wie es ist – deshalb spricht man bei Geologische Schichtung und KONVENTIONELLE ERDGAS-LAGERSTÄTTEN SCHIEFERGAS KOHLEFLÖZGAS Gasvorkommen: Erdgas, Schiefergas und Kohleflözgas ERDSCHICHTEN Holozaon Pfeistozaon Neogen Paleogen Oberkreide Unterkreide Ob. Jura/Malm Mittl. Jura/Dogger Unt. Jura/Lias Keuper Muschelkalk Buntsandstein Zechstein Rotliegend Oberkarbon Unterkarbon Grafik: Archiv Exxon Mobil 8 FORUM SPECIAL 6[2012]
GAS Erdgas auch von einer Primärenergie. In gewis- Grafik: shutterstock.com ser Weise treiben also frühere Algen und Plank- ton heute unsere Wirtschaft an. Neben der par- allelen Entstehung zum Erdöl finden sich auch Vorkommen (z.B. in der Nordsee und den Nie- derlanden), in denen die Gasbildung mit jener von Kohle einherging. In diesem Fall entstand Erdgas vor allem aus Pflanzen des Karbon (vor rund 300 Millionen Jahren), die sich im Zuge der sogenannten Inkohlung zuerst in Torf, dann in Braun- und Steinkohle umwandelten. Bei diesen chemischen Reaktionen bildete sich das einfachste Kohlenwasserstoff-Molekül CH4 – besser bekannt als Methan. Der Hauptbestandteil von Erdgas ist immer Methan, doch können je nach Ort und Art der Entstehung mehr oder weniger große Antei- le anderer Gase und Wasserdampf enthalten sein. Erdgas aus der ehemaligen Sowjetunion herstellen – das bekannteste derartige Produkt Methan (die Kohlenstoff- beispielsweise tritt schon als beinahe reines ist Biogas. Im Prinzip kommen dabei ähnliche Wasserstoff-Verbindung CH4) Methan (bis zu 98 %) zutage, während der An- Vorgänge wie beim natürlichen Prozess zur ist Hauptbestandteil des Erdgases. teil in Nordseegas um beinahe 10 % geringer Anwendung: Organisches Material wird unter ausfällt. Die zusätzlichen Bestandteile sind Luftabschluss vergoren, allerdings um einige oft ebenfalls nützlich: So erhält man etwa das Millionen Jahre schneller als am Meeresgrund. wertvolle Edelgas Helium (Anteil bis zu 7 %) Biogas hat einen niedrigeren Methangehalt als als Nebenprodukt der Erdgasförderung. Ande- herkömmliches (fossiles), der allerdings in ei- re Gase können Butan, Ethan, Pentan, Propan nem weiteren Bearbeitungsschritt erhöht wer- oder Schwefelwasserstoff und Kohlendioxid den kann – damit ist es dann fit zur Einspei- sein. Diese Bestandteile werden ebenso in Rei- sung ins normale Gasnetz. Es ist auch nicht nigungsprozessen abgetrennt wie der enthalte- „natürlicher“ als Erdgas, allerdings wird es ne Wasserdampf – man spricht hier auch von aus erneuerbaren („Bio“-)Rohstoffen herge- „Trocknung“. stellt, die entweder ohnehin entsorgt werden müssten oder bei ihrem Wachstum jenes CO2 Das gereinigte Erdgas ist nun nicht, wie man aufnehmen, das sie bei der späteren Verbren- vielleicht meinen könnte und auch leider öf- nung wieder abgeben: z.B. Gülle, Speisereste, ters in den Medien kommuniziert wird, hoch Klärschlamm, Öle, Gras und andere Pflanzen. giftig und extrem explosiv: Der Zündpunkt liegt deutlich über jenem von Benzin, Erdgas ist dazu farblos, geruchlos und ungiftig. Den- Heizwert natürlicher Brennstoffe noch will man es nicht irrtümlich inhalieren oder entzünden, daher wird es mit einem Ge- ruchsstoff odoriert – das ist der vermeintliche Braunkohle 2,2 kWh/kg „Gasgeruch“. Brennholz 4 kWh/kg Erdgas 10–14 kWh/kg Neben dem in der Natur vorkommenden Erd- gas kann man Gleichartiges auch künstlich FORUM SPECIAL 6 [2012] 9
GA S Woher kommt das Erdgas? Nordamerika und Russland sind weltweit führend in der Produktion, doch auch die heimische Gasförderung durch die Unternehmen OMV und RAG steuert seit vielen Jahren einen beträchtlichen Teil zu unserer Energieversorgung bei. Erdgas kann, muss sich aber nicht zusammen wichtigeren Sonderfall unkonventioneller La- mit Erdöl bilden. Während allerdings Erdölfel- gerstätten wird später noch gesondert einge- der kaum ohne Erdgasvorkommen auftreten, gangen werden.) Die im Meeressediment ent- sind reine Erdgasfelder keine Seltenheit. Der standenen Gase gilt es natürlich nicht nur in Grund dafür liegt auf der Hand: Das leichte Gas Gebieten zu suchen, welche heute von Wasser kann viel einfacher durch Ritzen, Spalten und bedeckt sind. Maßgeblich ist die geologische Si- Poren wandern als Öl. Tektonische Verschie- tuation und die Ausdehnung der Ozeane längst bungen – wie die Entstehung eines Gebirges vergangener Erdzeitalter (z.B. das Tethysmeer – konnten ganze Felder über größere Strecken der Kreidezeit oder das Zechsteinmeer im Perm migrieren lassen. Das klassische oder konven- vor rund 250 Millionen Jahren). So kann es be- tionelle Vorkommen befindet sich in einer so- deutende Erdgasvorkommen auch in einem genannten „Erdgasfalle“, das Gas lagert in po- Binnenland wie Österreich geben. rösem Sediment, welches nach oben von einer Gazprom-Förderstätte Decke aus hartem und daher undurchlässigem Weltweit gesehen werden pro Jahr mehr als Zapolyarnoye Feld Gestein abgeschlossen wird. (Auf den immer drei Billionen Kubikmeter Erdgas gefördert – 10 FORUM SPECIAL 6[2012]
GAS 90 Billionen m3 78,7 80,0 80 70 60 50 40 30 20 16,8 14,5 10,8 10 7,6 0 Sü No Af Pa Eu Mi d-/ rd r zifi rop ttl Mi am ika sc a ere he /E tte eri ura r Ost Grafik: FGW lam ka rR au sie en eri m n ka zum Vergleich: Der jährliche Gasverbrauch Ös- und förderte auch in der jüngsten Vergangen- Erdgasreserven. terreichs liegt bei weniger als 10 Mrd. m³. Die heit durchschnittlich 1,6 Mrd. m³ heimisches Gemessen an der heutigen größten Produzenten sind mit je ca. 600 Mrd. Erdgas pro Jahr. Weltjahresförderung reichen die sicheren Erdgasreserven m³/Jahr die USA und Russland, die einander für rd. 60 Jahre; rechnet man in den vergangenen Jahrzehnten mehrmals an Die umfassende Versorgung durch natürliches die geschätzten Reserven der Spitze der Rangliste abgelöst haben – der- Erdgas ist erst seit wenigen Jahrzehnten Rea- dazu, sind es über 130 Jahre. zeit liegen die Nordamerikaner vorn. Weitere lität. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich (Quelle: bp, Geologische wichtige Förderländer sind Kanada, Iran und (zunächst) zur Beleuchtung zwar Gas durch- Bundesanstalt) Katar, gefolgt von Europas wichtigstem Gaspro- gesetzt, jedoch eines, das in schmutzigen und duzenten Norwegen. Die mit Abstand größten sehr arbeitsintensiven Verfahren aus Kohle ge- konventionellen Gasreserven liegen nach heu- wonnen wurde, im Gegensatz zu Erdgas auch tigem Wissensstand in Russland, das für die giftig war und nur den halben Heizwert besaß. österreichische und europäische Versorgung Generell war es die Kohle, die den Energie- traditionell zentrale Bedeutung hat. Dahinter markt bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts domi- rangieren einige Länder des Mittleren Ostens. nierte. Auch in der Kaspischen Region, in Nordafrika und Nordamerika, in Venezuela, China, Aust- Doch waren schon im 19. Jahrhundert Erdgas- ralien, Nigeria, Indonesien und anderen Staa- vorkommen – vor allem im Wiener Becken ten werden große Reserven vermutet. Selbst – bekannt, die dortigen Funde zählen zu den wenn sich fünf Länder die Hälfte und 15 Länder europaweit ersten. Bohrungen an der Stelle des drei Viertel der Erdgasproduktion teilen, gibt späteren Ostbahnhofes (1844) und im III. Wie- es kaum ein Gebiet der Erde ohne nennenswer- ner Gemeindebezirk (1906) erbrachten „Salz- te Vorräte. wasser und brennbares Gas“. Auch in Wels wurde 1891 im Rahmen von Brunnenbohrun- Erdgasförderung in Österreich gen zufällig Erdgas entdeckt und später auch gefördert. Dennoch beschäftigte man sich da- Österreich bildet da nicht nur keine Ausnah- mals noch kaum mit dieser Materie, erst Kriege Foto: Gazprom me, sondern war sogar ein Vorreiter der euro- und Versorgungskrisen schärften das Bewusst- päischen Gasförderung. Bis 1958 deckte unser sein um den Wert solcher Ressourcen. Später Land seinen Erdgasbedarf aus eigenen Quellen wurde Gas immer öfter im Zusammenhang mit FORUM SPECIAL 6 [2012] 11
GAS Aus der Geschichte der Erd- gasaufbringung Österreichs: Bohrarbeiten der RAG (links); Beginn der Lieferungen von sibirischem Gas 1968 (rechts). Fotos: WINGAS Foto: OMV Foto: RAG der Suche nach Erdöl gefunden, die schon in tief gebohrt. Nun setzte auch in Österreich die der Donaumonarchie durchaus ernsthaft be- Mechanisierung ein. Bei Oberlaa erbohrte die trieben worden war. Der ersten erfolgreichen amerikanische Firma „Eurogasco“ ein kleine- Erdölbohrung im Wiener Becken 1914 in Gbely res Gasfeld, in den Jahren 1934–36 flossen aus (heute Slowakei) ging ein Erdgasfund voran. diesem Feld über eine vier Kilometer lange Leitung 25 Millionen Kubikmeter Erdgas zum Ein neuer Abschnitt begann in den Dreißiger- Gaswerk Simmering. 1935 wurde die Rohöl-Ge- jahren, als man modernere Methoden und winnungs-Aktiengesellschaft (RAG) durch die Geräte zur Öl- und Erdgasaufsuchung anwen- Vorläufer der heutigen Konzerne Exxon Mobil den konnte, denn bis dahin wurde hierzulan- und Royal Dutch/Shell gegründet und betätigte de noch per Hand und daher auch nicht allzu sich zunächst im Wiener Becken – mit verbes- Erdgasgewinnung I Erdgasgewinnung II Der Bohrmeißel (meist Rollenmeißel mit Erdgas erreicht die Oberfläche mit einem Druck gezähnten Rädern) ist oft mit Diamanten be- von mehreren 100 bar. Bis zu 99 % des För- stückt und wird senkrecht in die Tiefe geführt. dergases können weiter verwendet werden. Je Während er das Gestein zerkleinert, befördert mehr eine Lagerstätte ausgefördert ist, desto eine Spülvorrichtung dieses sofort nach oben. geringer wird mit dem Druck auch der Anteil Das Bohrloch hat anfangs den größten Durch- an nutzbarem Gas. Wenn der natürliche Druck messer von rund 70 cm und wird in der Tiefe nicht mehr ausreicht, kommen Spezialkom- schmäler. Damit es nicht einstürzt, kleidet man pressoren zum Einsatz. es mit Stahlrohr aus und dichtet dieses außen mit Zement ab. Sicherheitsschieber (Preven- Zunächst gelangt das Gas über eine Hoch- ter) in regelmäßigen Abständen verhindern druckleitung in die Aufbereitungsanlage, wo es unkontrollierten Gasaustritt. Ist die Bohrung gereinigt und getrocknet wird. Danach kann es erfolgreich, wird eine Förderanlage errichtet. ins Leitungsnetz eingespeist werden. 12 FORUM SPECIAL 6[2012]
GAS 3D-Projektionsraum. Mit Hilfe der 3D-Seismik lassen sich auch Erdgaslager- stätten auffinden. serter Technik: Neben neuartigen Bohrmeißeln gieversorgers EVN steht und sich zunehmend setzte man erstmals Bohrtürme aus Stahl ein. auch in Osteuropa betätigt, trug 2010 immerhin 1958 wurde ein erster Liefervertrag der RAG 13 % der heimischen Erdgasförderung bei. mit der niederösterreichischen Ferngasgesell- schaft NIOGAS abgeschlossen, der Gaslieferun- Moderne Exploration gen aus den Feldern in Zistersdorf zum Inhalt hatte. Seit Mitte der 1950er-Jahre waren in den Ist die Schichtung des Untergrunds nicht be- Bundesländern Niederösterreich, Steiermark, kannt, können Bilder aus der Luft helfen, Se- Oberösterreich und später Salzburg Ferngas- dimentbecken zu erkennen, dann erfolgt die gesellschaften entstanden, die Nachfrage nach Prüfung des Gesteins vor Ort. dem sauberen und praktischen Erdgas stieg be- reits stark. Dies war nicht zuletzt auch ein Re- In den 1980ern und 1990ern wurde die Seismik sultat des technischen Fortschritts: Zuvor eher zur zentralen Technologie für das Aufspüren ein Nebenprodukt der Ölförderung, konnte von Bodenschätzen. 3D Seismik kommt in Ös- Erdgas dank neuer Technologie nun auch ge- terreich seit 1992 großflächig zum Einsatz und zielt gesucht werden. hilft mit, neue Gebiete zu entdecken oder be- stehende Felder auszuweiten. Dabei werden Die Erschließung eines Felds im oberösterrei- Spezialfahrzeuge ausgeschickt, die das Ex- chischen Voitsdorf (ab 1963) war nicht nur für plorationsgebiet abfahren und Schallwellen die Ölförderung ein dramatischer Erfolg, sie aussenden. Letztere werden von unterschied- brachte auch das Erdgasgeschäft als echtes lichen Gesteinsschichten verschieden reflek- zweites Standbein für die RAG – inzwischen ist tiert, die Reflexionen von „Geofonen“ an der es freilich zusammen mit der Gasspeicherung Oberfläche aufgefangen. Die so gesammelten das erste, die Gassonden befinden sich heute großen Datenmengen werden anschließend fast ausschließlich in Oberösterreich und Salz- von Hochleistungscomputern verarbeitet und burg. Die Firma, die mittlerweile mehrheitlich in grafische, dreidimensional anmutende Dar- im Besitz des niederösterreichischen Ener- stellungen der oberen Erdkruste verwandelt. FORUM SPECIAL 6 [2012] 13
GAS Foto: Wintershall Foto: Statoil Produktionsanlage in Sibirien Ob man tatsächlich fündig wird, zeigt sich frei- schon bald war durch die sprunghafte Ent- (links) lich erst bei einer Probebohrung. wicklung auf dem Gassektor absehbar, dass die Statoil- Erdgasförderplatt- heimischen Vorkommen nicht mehr lange aus- form „Troll A“, die größte in Mit dem Einsatz solcher Technologien konnte reichen würden. Die Ferngasgesellschaften der der Nordsee (rechts) sich die OMV, die 87 % der heimischen Gas- Bundesländer traten also mit dem Wunsch an förderung (2010) beisteuert, auf die optimale die ÖMV heran, sie möge auch Importmöglich- Ausförderung von Erdöl- und Erdgasfeldern keiten prüfen. Die Mitte der 1960er-Jahre inten- spezialisieren. Ihre Geschichte geht auf die sivierte Suche nach Erdgas für österreichische Besatzungszeit nach dem 2. Weltkrieg zurück: Verbraucher gestaltete sich äußerst zäh und Durch die im Herbst 1945 gegründete Sowjeti- barg zahlreiche Rückschläge. Doch machte der sche Mineralölverwaltung (SMV) wurden ein erste Gaslieferungsvertrag mit der Sowjetuni- Jahrzehnt lang die ostösterreichischen Erdgas- on, an dem man einige Jahre lang gearbeitet und vor allem Erdölvorkommen ausgebeutet. und verhandelt hatte, die ÖMV endgültig zum Immerhin war Österreich am Ende des Kriegs internationalen Player. Durch den am 4. Juni dank der Lager im Wiener Becken der zweit- 1968 unterzeichneten Vertrag wurde Neuland größte Ölproduzent Europas. Auch der Vor- beschritten: Es war das erste derartige Abkom- läufer der Raffinerie Schwechat wurde von der men der Sowjetunion mit einem westlichen Un- SMV übernommen. Nach Abschluss des Staats- ternehmen, andere europäische Staaten über- vertrags ging die SMV in den Besitz der nun- nahmen das österreichische Modell später. Bis mehr wieder souveränen Republik über und in die Gegenwart folgten immer neue und grö- wurde 1956 zur Österreichischen Mineralölver- ßere Abschlüsse mit der UdSSR bzw. heute der waltung AG (ÖMV, seit 1995: OMV). russischen Gazexport (Gazprom), dazu kamen nach der Entdeckung des Troll-Felds Lieferver- Importe – Neues Gas für Österreich träge mit Norwegen. In den Folgejahren schlossen die Landesgesell- Inland konstant – Import steigt schaften Verträge mit der ÖMV über die Liefe- rung von Inlandgas ab (Wiener Stadtwerke und Während sich die Inlandsproduktion von Erd- NIOGAS 1957, Steirische Ferngas 1958). Doch gas laut Statistik Austria seit 1970 nicht we- 14 FORUM SPECIAL 6[2012]
GAS Bohranlage der RAG Foto: RAG sentlich veränderte, hat sich die in Form von Gasfördersonden, das Erdölgas aus 595 Ölför- Gas importierte Energiemenge bis 2005 etwa dersonden in einem rund 5.000 km² großen Ge- verzehnfacht. 2009 betrug die österreichische biet nördlich von Wien, vor allem im Weinvier- Erdgasaufbringung in Inlandsproduktion 1,58 Milliarden m³, davon tel und im Marchfeld. Gemeinsam decken OMV Österreich: Entwicklung 1,33 Milliarden m³ (84 %) Erdgas und 250 Mil- und RAG mehr als ein Zehntel des jährlichen der Importe und Inlands- förderung 1990–2011 und lionen m³ Erdölgas (ein Nebenprodukt bei der österreichischen Erdgasbedarfs ab, 80 Prozent Zusammensetzung 2011 Ölförderung). Der Anteil der OMV – heute Ös- der Fördermengen stammen aus dem Wie- terreichs umsatzstärkstes Unternehmen – am ner Becken, 20 Prozent aus der so genannten (Quelle: FVMI, Geologische Bundesanstalt) heimischen Fördervolumen stammt aus 79 Molassezone. 10 3 Mrd. m Norwegen 9 GUS-Staaten Importe 12% 8 Inlandsförderung 7 6 5 24% andere 49% 2011 4 3 2 15% 1 Grafik: FGW 0 Inland 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 FORUM SPECIAL 6 [2012] 15
GAS Wie kommt das Erdgas zu uns? Im Normalfall fließt Gas unsichtbar über tausende von Kilometern in Leitungen auf dem Meeresboden oder unter der Erde. Seine besonderen physikalischen Eigenschaften erlauben aber auch den Transport per Schiff, auf der Schiene oder Straße. Nachdem das natürliche Gas von Sandteil- der Ostsee verlegt werden. Jeder der beiden Lei- chen und Spuren anderer Gase gereinigt und tungsstränge hat eine Kapazität von 27,5 Mrd. getrocknet wurde, kann es in das Gasnetz ein- m³ Erdgas pro Jahr, der erste wurde bereits im gespeist werden. Das meiste Gas wird in unter- November 2011 in Betrieb genommen. Nach der irdischen Rohrleitungen transportiert, manch- Fertigstellung des zweiten Strangs Ende 2012 mal allerdings auch unter Wasser. wird die Nord Stream jährlich 55 Mrd. m³ Gas nach Westeuropa transportieren – wenn es Unter Wasser nach den Planern geht, für mindestens ein hal- bes Jahrhundert. Seit rund 20 Jahren kann aus dem 1979 ent- deckten norwegischen Troll-Feld gefördert Auf dem Wasser werden, das rund 100 Kilometer westlich von Bergen liegt – also mitten im Ozean. Das Gas Erdgas weist eine physikalische Besonderheit wird auf zahlreichen Bohrinseln – nach er- auf: Bei -162 °C wird es flüssig und ist dann – folgreicher Bohrung Förderplattformen ge- ohne unter Druck zu stehen – um das 600-Fa- nannt – produziert, darunter der „Sea Troll“. che verdichtet. Ein einziger Kubikmeter des Es brauchte zehn Schlepper und zehn Tage, solcherart verflüssigten Gases (Liquefied Natu- um das größte je von Menschen bewegte Bau- ral Gas oder LNG) entspricht dann also 600 m³ werk (die Gesamthöhe vom Meeresboden bis Erdgas in seinem normalen Aggregatzustand. zur Mastspitze beträgt 472 Meter) 1995 an sein Ziel zu befördern. Das in der Nordsee geförder- Verflüssigung ist fraglos eine gute Möglich- te Gas gelangt über Unterwasser-Pipelines an keit, Erdgas zu vertretbaren Kosten über wei- die europäischen Küsten, um dort in das „nor- te Strecken zu transportieren, etwa wenn der male“ Netz eingespeist zu werden. Empfänger nicht an ein Pipeline-Netz ange- schlossen ist. Der Energiehunger von indust- Eine wichtige Verbindung von russischem Pro- riell expandierenden oder entwickelten, aber duktionsgebiet und westeuropäischen Abneh- geografisch „ungünstig“ gelegenen Staaten mern wurde mit der Nord Stream-Leitung ge- wie Japan oder Taiwan hat diese zu typischen schaffen. Sie hat eine Länge von 1.224 km und LNG-Zielgebieten gemacht. Der zurzeit wich- sollte einen Zugang zum europäischen Gas- tigste LNG-Exporteur ist Katar, aber auch Staa- netz eröffnen, der nicht durch Transitländer ten wie Algerien, Indonesien, Nigeria oder die verwehrt oder behindert werden kann. Dazu Karibikinsel Trinidad haben größere Verflüs- musste die Pipeline allerdings auf dem Boden sigungskapazitäten. Wenn das Erdgas einmal 16 FORUM SPECIAL 6[2012]
GAS Erdasfeld Wichtige Erdgaspipeline in Betrieb in Bau, projektiert oder geplant LNG-Terminals in Betrieb in Bau Grafik: FGW seine Leitungsgebundenheit verloren hat, lagen sanken aufgrund neuer Technologien. In Die wichtigsten Pipelines im kann es theoretisch auf der Schiene oder Stra- den vergangenen zwei Jahrzehnten wuchs der europäischen Erdgasnetz ße transportiert werden, besonders wichtig ist LNG-Anteil am weltweiten Gashandel auf etwa (Quelle: EUROGAS, ENTSOG) allerdings die Verschiffung. Ein durchschnitt- ein Viertel an. In Europa spielt diese Art des licher LNG-Tanker nimmt heute genügend Gas Transports eine untergeordnete, doch wach- auf, um rund 42.000 Haushalte für ein Jahr zu sende Rolle. So stieg der Beitrag von LNG zum versorgen. Mit zunehmender Größe der Schiffe Beschaffungsmix der EU innerhalb der letzten nahmen die Transportkosten ab, auch die Kos- zehn Jahre von sechs auf 15 %. Das flüssige Erd- ten für die Errichtung der entsprechenden An- gas wird an sogenannte Terminals verschifft – FORUM SPECIAL 6 [2012] 17
GAS Gelbe Hütchen (Flugmarker, die den Hubschrauberpi- loten bei Kontrollflügen zur Orientierung dienen), kennzeichnen den Verlauf der unterirdischen Gas-Pipelines. Foto: OMV wie etwa den GATE-Terminal in Rotterdam, an ren mit Durchmessern von 200 bis 1400 mm dem auch österreichische Unternehmen betei- statt, hie und da unterbrochen von einer Ver- ligt sind. Dort wird das LNG wieder erwärmt dichterstation, die für die Aufrechterhaltung (regasifiziert) und in das europäische Leitungs- des nötigen Drucks sorgt. Die Verlegung auf system eingespeist. land- und forstwirtschaftlichen Flächen ist prinzipiell kein Problem: Beim Eingraben der Unterirdisch Leitung wird die obere Humusschicht sorg- fältig zur Seite geschoben und vom restlichen Im Normalfall allerdings verläuft der Trans- ausgehobenen Erdreich getrennt. Sind die Roh- portweg unter der Erde: Von der Nordsee bis re verlegt und mit Erde bedeckt, wird der Hu- zum Mittelmeer, vom Atlantik bis Sibirien mus wieder aufgetragen, und die Vegetation an liegt ein System von Rohrleitungen mit einer der Oberfläche kann sich schnell regenerieren. Gesamtlänge von rund 190.000 Kilometern Damit überhaupt erkennbar ist, wo sich die vergraben – Fernreiserouten für Erdgas, die Pipeline befindet, sind in gewissen Abständen ebenso großteils unsichtbar bleiben wie das sogenannte Flugmarker mit gelben Hütchen österreichische Inlandsnetz mit einer Gesamt- angebracht, sie dienen auch den Hubschrau- länge von mehr als 30.000 km. Das für Öster- berpiloten zur Orientierung, wenn die Trasse reich bestimmte russische Erdgas reist so mit aus der Luft kontrolliert wird. einer Geschwindigkeit von etwa 8 Metern pro Sekunde oder fast 30 km/h sechs Tage lang von Aufgrund laufender Wartung und Reinigung den Förderstätten Westsibiriens bis zur Erdgas- haben solche Gasleitungen eine sehr lange Drehscheibe in Baumgarten an der March. Lebensdauer und müssen meist nur erneu- ert werden, wenn aufgrund der großen Nach- In Österreich findet dieser umweltschonende frage mehr Transportkapazitäten nötig sind. Transport in kunststoffummantelten Stahlroh- Die wichtigsten Pipelines des Landes sind die 18 FORUM SPECIAL 6[2012]
GAS Grafik: AGGM 384 Kilometer lange Trans-Austria-Gasleitung ∙∙ March-Baumgarten-Gasleitung (MAB): Erdgasinfrastruktur in (TAG) von Baumgarten an die italienische Slowakei Österreich Grenze nach Arnoldstein in Kärnten und die ∙∙ Hungaria-Austria-Gasleitung (HAG): (Quelle: AGGM) 245 Kilometer lange West-Austria-Gasleitung Ungarn von Baumgarten an die Grenze von Bayern und ∙∙ Kittsee-Petrzalka-Gasleitung (KIP): Oberösterreich. Von dort soll die derzeit ge- Slowakei plante Tauerngasleitung 290 km in Richtung ∙∙ Penta-West-Gasleitung (PW) Deutschland, Süden führen und ab 2017 die Versorgung von Frankreich, in West-Ost-Richtung Zentral- Kärnten verbessern. europa ∙∙ Süd-Ost-Leitung (SOL): Italien, Slowenien, In Baumgarten treffen zahlreiche für die euro- Kroatien päische Versorgung zentrale Pipelines aufein- ander, durch die jährlich 57 Milliarden Kubik- Gas, das an der Erdgas-Drehscheibe Baum- meter Erdgas transportiert werden. garten ankommt, muss gespeichert bzw. ins In- oder Ausland weitergeleitet werden. Die Die wichtigsten Transitleitungen (Gesamtlän- Verteilung übernimmt eine hochmoderne Dis- ge: rund 2.000 km) innerhalb Österreichs und patching-Zentrale der Gas Connect Austria, von ihre Versorgungsgebiete sind: wo aus die Pipelines landesweit gesteuert wer- den können. Da das österreichische Netz na- ∙∙ Trans-Austria-Gasleitung (TAG): Österreich, türlich wichtiger Bestandteil der europäischen Italien, Slowenien, Kroatien Gasversorgung ist, steht dieses Zentrum mit ∙∙ West-Austria-Gasleitung (WAG): Österreich, vergleichbaren Einrichtungen in Mailand, Es- Deutschland, Frankreich, in West-Ost-Rich- sen, Berlin, Kassel, Paris, Moskau, Nitra (SVK) tung Zentraleuropa und Stavanger (N) in ständigem Austausch. FORUM SPECIAL 6 [2012] 19
GAS Ordnung im Netz Mit 1. 1. 2013 wird die österreichische Gaswirt- ten gebucht werden, so ist im neuen Marktmo- schaft entsprechend den Bestimmungen des dell nur noch das Buchen von Kapazitäten an GWG 2011 neu geordnet, in dessen Mittelpunkt den Entry- und Exitpunkten erforderlich. Eine die Bilanzgruppen und die durch diese vertre- Einlieferung an einem Entry-Punkt kann un- tenen Kunden stehen. abhängig von der Entnahme an den Exit-Punk- ten getätigt werden und vice versa. Dies wird Das neue Marktmodell teilt die bisherigen Re- dadurch ermöglicht, dass alle Gastransporte gelzonen in sogenannte Marktgebiete, wobei durch das Marktgebiet von MGM und VGM ko- das Marktgebiet Ost auch über Fernleitungen ordiniert und nötigenfalls auch aktiv in Balan- (früher als Transitleitungen bezeichnet) ver- ce gehalten werden. fügt. Die Verteilergebiete im jeweiligen Markt- gebiet umfassen die Verteilerleitungsanlagen. Der neu geschaffene Virtuelle Handels-Punkt (VHP) dient dabei als zentraler Handelsplatz Verantwortlich für die Koordinierung der Netz- im Marktgebiet für alle Bilanzgruppen sowie steuerung im Marktgebiet ist ein Marktgebiets- insbesondere für MGM und VGM zur Beschaf- manager (MGM) im Zusammenwirken mit dem fung der nötigen Gasmengen, damit das Ge- Verteilergebietsmanager (VGM). Beiden obliegt samtsystem in Balance gehalten werden kann. neben anderen Pflichten auch die Erstellung Die Administration des VHP (wie etwa die elek- von einheitlichen Berechnungschemata zur Er- tronische Protokollierung und Abrechnung der mittlung und Ausweisung von Kapazitäten an Energiemengen) sowie der Betrieb der Gasbör- Einspeise- (Entry-) und Ausspeise- (Exit-)punk- se am VHP sind einem Betreiber überantwor- ten und die Koordination des Ausbaus und der tet, der die organisatorische Infrastruktur und Instandhaltung der Fern- und Verteilerleitun- kommerzielle Dienstleistungen zur Abwick- gen. Neben diesen eher technisch dominierten lung der Handelsgeschäfte bereitstellt. Aufgaben hat der MGM auch die im Marktge- biet Ost tätigen Bilanzgruppen zu verwalten. Ein Versorger kann in Zukunft Gas entweder Jeder Kunde ist entweder direkt oder indirekt über einen Entry-Punkt importieren oder am (über seinen Versorger) Mitglied einer Bilanz- VHP kaufen und von dort ins Verteilergebiet gruppe. Wer nicht Mitglied ist, kann im Markt- zur Versorgung seiner Endkunden einliefern. gebiet Ost weder Gas kaufen, noch verkaufen, Er kann die Kunden aber auch mit Gas aus ein- transportieren oder an Endkunden liefern. In heimischer Produktion oder durch Entnahme den Marktgebieten Tirol und Vorarlberg behielt aus Speichern versorgen. Welche Quellen er der Bilanzgruppenkoordinator (BKO) die Rolle, in welchem Ausmaß nutzt, obliegt alleine dem Bilanzgruppen zu verwalten. Versorger. Vollkommen neu ist auch das Transportregime. Im Verteilergebiet bucht und verwaltet der Ver- Mussten bisher auf Fernleitungen – heute Teil teilergebietsmanager die Ein- und Ausspeise- des Marktgebiets – Kapazitäten auf festen Rou- kapazitäten zwischen den Fernleitungs- und 20 FORUM SPECIAL 6[2012]
GAS Ordnung im Netz. Schematische Darstellung der Informationsflüsse AT I O N AE- AN Z INF ORM EX POST CLEARIN G GEBO T (M ERIT zwischen den Marktteil- AN BI L BEZ UGS ORD ER LI S nehmern TE MEN T) N GEN A EI N- EX /A US PRODUKTION IT SP EX EI R Y/ CH ER E NT N EN NG SEN RU ROGNO E UNG IE ÄN SPEICHER IN PL M ORG NO HR SLP-P ERS -FA LÄNE EN NV / EXIT PP ERS NDE AHRP TE RU ER EN KU ORD ZG NG ENTRY SW BG-F END AN RU G IN E ES NI BIL T MI AR M NO EN LE M GE C NA B- A N M BG-NOMINIERUNGEN TZ NE BG-AUSGLEICHS ORDERS AE-ORDERS BILANZGRUPPEN-FAHRPLÄNE MERIT ORDER LIST Grafik: AGGM B G - FA H R P L Ä N E Verteilernetzen, um den Versorgern dort einen wie bisher durch den Bilanzgruppenkoordina- unterbrechungsfreien Übertritt bieten zu kön- tor (ex-post). Eine grobe schematische Darstel- nen. Er steuert auch den Gasfluss und ist für lung der Informationsflüsse zeigt obige Grafik. die Druckhaltung im Verteilergebiet verant- wortlich. Neu ist auch das Tarifsystem, das ebenfalls am 1. 1. 2013 in Kraft treten soll und mit dem eine Zwischen den genannten Marktteilnehmern umfassende Neuverteilung der Kapazitätsrech- (Marktgebietsmanager, Verteilergebietsmana- te verbunden ist. Bis dahin werden die Kosten ger, Fernleitungsnetzbetreiber, Verteilernetz- des Fernleitungs- und des Verteilernetzes über betreiber, Bilanzgruppen, VHP) erfolgt zur die Netztarife den Konsumenten verrechnet. Abwicklung der Gasflüsse ein streng formali- sierter und automatisierter Datenaustausch. Ab 1. 1. 2013 müssen die Versorger an den Ein- Die Zuordnung der Gasflüsse zu den einzel- und Ausspeisepunkten Gebühren entrichten nen Teilnehmern sowie der Inanspruchnahme (Entry-, Exit-Fees), womit ein Teil der Netzkos- von Ausgleichsenergie zum Ausgleich von Un- ten nicht mehr in den Netztarifen abgegolten, gleichgewichten erfolgt für die beabsichtigten sondern mit dem Preis für das Gas verrechnet Ein- und Ausspeisungen durch den MGM (ex- wird. Die Kosten der jeweiligen Verteilernetze ante), die Zuordnung der tatsächlichen Anlie- werden so wie bisher den daran angeschlosse- ferungen und Verbräuche sowie dabei aufge- nen Endkunden nach Arbeit und Leistung ver- tretenen allfälligen Ungleichgewichten erfolgt rechnet. FORUM SPECIAL 6 [2012] 21
GAS Wie(so) wird Erdgas gespeichert? Erneuerbare Energie, saisonale Schwankungen, Vorsorge gegen Lieferschwierigkei- ten – Gasspeicherung wird immer wichtiger. Auch in Österreich, wo hervorragende Voraussetzungen dafür bestehen. Viele Gründe sprechen dafür, einen Erdgas- wenn das Gas günstig ist; später ist man we- vorrat anzulegen: Zunächst erhöht die Spei- niger auf teure Zukäufe angewiesen und kann cherung die Versorgungssicherheit, sollte es flexibler auf die Marktentwicklung reagieren. einmal zu Lieferproblemen kommen. Neben diesem eher seltenen Fall tritt ein anderer In der Regel wird im Sommer mehrheitlich immer wieder ein: Der Bedarf an Erdgas ist eingespeichert, im Winter per Saldo ausge- ebensowenig gleichmäßig gegeben wie der speichert. Noch größer wird der Bedarf nach Strom- oder Heizbedarf. Um also für Spitzen im Speicherung im Hinblick auf die Zunahme des Verbrauch und saisonale Schwankungen bes- Anteils von erneuerbarer Energie an der Strom- ser gerüstet zu sein, speichert man ein. Dazu erzeugung: Wenn der Wind die Windräder und kommt der Faktor der Wirtschaftlichkeit, denn die Sonne die Fotovoltaik-Anlagen im Stich auch der Preis ist nicht immer gleich. So kön- lässt, braucht es einen Ausgleich, auf den man nen im besten Fall die Lager gefüllt werden, sich wirklich verlassen kann. Erdgasspeicher als Instru- ment zur Abdeckung von Spitzenverbrauch und zum Einspeicherung Ausgleich saisonaler Schwan- kungen. Einlieferung ins Netz vs. Abgabe an Kunden Speicherverwendung Ausspeicherung Juni Jänner Dezember Erdgasimporte und Produktion Grafik: FGW Lieferungen an Industriekunden Lieferungen an Haushaltskunden 22 FORUM SPECIAL 6[2012]
GAS Foto: RAG Österreich nimmt eine internationale Spitzen- moderne Gasspeicherung mittlerweile weitge- Erdgasspeicher Haidach position ein, was die Speicherung – gemessen hend unsichtbar statt – nämlich unterirdisch. am Jahresverbrauch – betrifft. Hierzulande Eine Variante davon sind Kavernenspeicher, sind bereits Speicher mit einer Kapazität von welche etwa in ausgeförderten Salzstöcken rund sieben Milliarden Kubikmetern Erdgas eingerichtet werden. Diese Hohlräume kön- in Betrieb, weitere Projekte befinden sich im nen sich in Tiefen von bis zu 2.500 m befinden Entwicklungsstadium. Etwa drei Viertel des ös- und werden beispielsweise in Deutschland terreichischen Jahresbedarfs stehen auf Abruf verwendet. Dort – in Gronau/Epe (Nordrhein- bereit. Westfalen) – befindet sich die weltweit größte Anlage dieser Art. Auch die OMV Gas Storage Zurück zum Ursprung Germany errichtet derzeit einen Kavernenspei- cher im deutsch-niederländischen Grenzgebiet Viele werden sich noch an die früher nicht aus bei Etzel. In Frankreich benutzt man besonders dem Stadtbild moderner Metropolen wegzu- Aquiferspeicher, in denen Wasser in Lagerstät- denkenden „Gasometer“ erinnern, die lange ten durch Erdgas ersetzt wird. Zeit gleichbedeutend mit Gasspeicherung wa- ren. Wenngleich es sie immer noch vereinzelt In Österreich kommen aufgrund hervorra- gibt (z.B. zwei Kugelgasbehälter in der Wiener gender geologischer Voraussetzungen andere Leopoldau), spielen sie heute eine unterge- Methoden der Untertagespeicherung zur An- ordnete Rolle. Wie der Gastransport findet die wendung: Beim sogenannten Porenspeicher FORUM SPECIAL 6 [2012] 23
GAS Schematische Darstellung eines Porenspeichers Erdgasspeicher 7Fields, Grafik: OMV Anlagendetail Foto: RAG 24 FORUM SPECIAL 6[2012]
GAS Einspeicher- Entnahme- Arbeitsgas- Anteil am OMV ERDGASSPEICHER rate rate volumen gesamten RAG ERDGASSPEICHER m3/h m3/h Mio. m3 Arbeitsgas- volumen RAG JOINT VENTURE ERDGASSPEICHER Schönkirchen 650.000 960.000 1.780 23,9 % OMV SCHÖNKIRCHEN WAG TALLESBRUNN Tallesbrunn 125.000 160.000 400 5,4 % OMV PENTA HAAG WEST Thann 115.000 130.000 250 3,4 % PUCHKIRCHEN OMV HAIDACH Puchkirchen/Haag 520.000 520.000 1.100 14,8 % HAG RAG HAIDACH 5 Aigelsbrunn 50.000 50.000 100 1,3 % THANN RAG AIGELSBRUNN 7FIELDS Haidach 5 20.000 20.000 16 0,2 % RAG Haidach 1.100.000 1.100.000 2.640 35,4 % TAG RAG/Wingas/Gazprom Export 7Fields 405.030 607.000 1.165 15,6 % Grafik: FGW RAG/E.ON Gas Storage Österreich gesamt 2.985.030 3.547.000 7.451 100 % SOL werden die unterirdischen Hohlräume ehema- cher mit 100 Mio. m³ Arbeitsgasvolumen – wird Erdgasspeicheranlagen und liger Gaslagerstätten wiederverwendet. Diese derzeit eine Machbarkeitsstudie durchgeführt. Speicherkapazitäten in Öster- muss man sich jedoch anders vorstellen als reich (Stand: 31. 12. 2011) Höhlen oder Kavernen. Vielmehr handelt es RAG (Quellen: E-Control; GSE, sich dabei um Schichten porösen Gesteins, die www.gie.eu.com, FGW) das Gas ähnlich aufsaugen und speichern, wie Die Lagerung von Öl war bereits seit längerer Schwämme dies mit Flüssigkeiten tun. So wird Zeit Teil der Geschäftstätigkeit der RAG, ab 1982 das Erdgas mit einem Druck von 100–120 bar kamen auch Erdgasspeicher in größerem Um- dorthin gepumpt, wo es früher auch über Jahr- fang dazu. In diesem Jahr ging der Speicher millionen auf natürliche Weise gelagert war. Puchkirchen mit einer Kapazität von (nach dem Vollausbau 2010) 1,1 Mrd. m3 in Betrieb. OMV Ein noch viel größerer Speicher ist 2005–2007 in Haidach an der Grenze zwischen Salzburg Die OMV betreibt bereits seit den 1970er-Jahren und Oberösterreich entstanden. Die RAG er- Gasspeicher in Österreich, sie befinden sich in richtete diesen zweitgrößten Speicher Mitteleu- Thann (an der Grenze zwischen Oberösterreich ropas in einem Joint Venture mit der russischen und Niederösterreich) sowie Schönkirchen Gazprom export und der deutschen WINGAS. und Tallesbrunn unweit des Gasknotenpunkts Ebenfalls im Verbund mit einem deutschen Baumgarten an der March. Diese Speicher ha- Partner, der EGS (E.ON Gas Storage), wurde der ben eine Kapazität von insgesamt 2,43 Mrd. m³, Speicher 7Fields gebaut. Wie der Name bereits die demnächst noch erheblich vergrößert wer- andeutet, handelt es sich dabei (einzigartig in den soll. Das Projekt Schönkirchen-Tief wird Europa) um einen Zusammenschluss mehrerer in zwei Ausbaustufen realisiert: ab 2014 mit ei- ehemaliger Gasfelder in Salzburg und Oberös- nem Arbeitsgasvolumen von 900 Mio. m³, 2018 terreich, die über Leitungen mit einer gemein- folgt eine Erweiterung um 700 Mio. m³. Für ein samen Sammel- und Messstation verbunden weiteres Speicherprojekt (16. TH) in der Nähe sind. Mittlerweile ist die Gasspeicherung zum von Baumgarten – einen Hochleistungsspei- wichtigsten Geschäftsfeld der RAG geworden. FORUM SPECIAL 6 [2012] 25
GAS Was macht Gas so sicher? Ständige Wartung und Kontrolle durch die Netzbetreiber sind das Um und Auf einer sicheren Gasversorgung. Dazu kontrolliert eine unabhängige Stelle die Kontrollore und sorgt dafür, dass auch immer der letzte Stand der Technik angewendet wird. In den Köpfen vieler Menschen spukt immer gerichtet. Selbstverständlich steht rund um die noch das Gespenst vom giftigen und extrem Uhr ein Bereitschaftsdienst zur Verfügung, der leicht entflammbaren Gas. Dabei liegt der im Fall einer Störung innerhalb kürzester Zeit Zündpunkt von Erdgas (600 °C) genau genom- eingreifen kann. Doch auch wenn keine Fehl- men sogar fast doppelt so hoch als der des tat- funktion auftritt, werden laufend Wartungen sächlich hochgiftigen Benzins (360 °C). Eine und Inspektionen durchgeführt: Die Trassen andere Art Gas war wohl einmal toxisch: Zu der Pipelines werden mit Fahrzeugen abge- Beginn des 20. Jahrhunderts gab es zahlreiche fahren, aus der Luft per Helikopter kontrolliert Todesfälle durch Vergiftung, die wohl für das und einmal pro Jahr sogar von Anfang bis Ende gefährliche Image gesorgt haben. Das Stadt- abgegangen. gas von damals wurde jedoch künstlich aus Kohle erzeugt und enthielt eine große Menge Eine besonders intelligente Lösung wurde für an gefährlichem Kohlenmonoxid. Chemisch die Untersuchung des Innenlebens der Rohr- gesehen hat es fast nichts mit dem heute ver- leitungen gefunden: An beiden Enden der wendeten natürlichen Erdgas zu tun, das aus einzelnen Pipeline-Abschnitte sind Schleusen reinem Methan besteht und ungiftig ist. (Un- installiert, die sogenannte „Molche“ aufneh- fälle, von denen man heute erfährt, gesche- men können. Diese haben etwa die Form ei- hen auf Grund schlecht gewarteter Endgeräte; nes Zylinders und bestehen aus Gruppen von dabei ist Todesursache nicht eine Gasvergif- Scheiben, die für den jeweiligen Rohrdurch- tung, sondern Sauerstoffmangel.) Freilich soll messer „maßgeschneidert“ werden. In einem Erdgas dennoch nicht eingeatmet werden und ersten Schritt schieben „Reinigungsmolche“ ist – zum Glück für einen Brennstoff – brenn- Verunreinigungen und eventuell angefallene bar, daher unternehmen die Gasversorger und Flüssigkeit bis zur nächstgelegenen Schleuse, Netzbetreiber große Anstrengungen, das Netz wobei sie vom Gasdruck angetrieben werden. sicher zu erhalten. In der Folge kommt ein „intelligenter“ Inspek- tionsmolch zum Einsatz, der sehr empfindliche Kontrolle innen und außen Sensoren besitzt und damit die Innenwand der Pipeline auf kleinste Schäden hin untersucht. Die großen Leitungssysteme unserer Gasver- Dazu wird die Rohrwand magnetisiert, der sorgung werden heute vollautomatisch gesteu- Molch registriert selbst kleinste Verzerrungen ert und die Steuerung wiederum überwacht. im Magnetfeld, während er mit 3,5 Metern pro Entlang der Netze sind Wartungszentren ein- Sekunde vorbeigleitet. Aufgrund dieser Ergeb- 26 FORUM SPECIAL 6[2012]
GAS Sicherheit beim Transport und in der Anwendung: Inspektions-Molch (links) und Gasgerätewartung (rechts) Foto: Wien Energie Foto: EVN nisse finden Reparaturen – sollten sie nötig Umweltstandards überprüft. Neben den we- sein – effektiv und punktgenau an der richtigen sentlich strengeren österreichischen Kriteri- Stelle statt. en zur Verleihung der ÖVGW-Qualitätsmarke übernimmt die Vereinigung auch die Prüfung, Zertifizierung ob Produkte der EU-Gasgeräterichtlinie ent- sprechen und vergibt dafür das CE-Zeichen, Während sich die Gasnetzbetreiber im Normal- das die Zulassung eines Gasgeräts für den eu- fall selbst um die Überwachung und regelmä- ropäischen Binnenmarkt bedeutet. ßige Wartung von Leitungen und anderen An- lagen kümmern, nimmt sich darüber hinaus in einer so sensiblen Materie wie der Gasversor- Die Österreichische Vereinigung gung auch eine unabhängige Instanz der Qua- für das Gas- und Wasserfach (ÖVGW) litätssicherung an: Die Österreichische Verei- nigung für das Gas- und Wasserfach (ÖVGW) Seit ihrer Gründung im Jahr 1881 ist die ÖVGW führt als staatlich anerkannte Stelle Zertifizie- ein zentraler Ansprechpartner für die Branche. Ein rungen durch – Prüfverfahren, an denen die gemeinsames Ziel ist, dass Gesetze in der Pra- meisten heimischen Gasnetzbetreiber (auch xis funktionieren. So wird auch versucht, durch die größten Versorger von Wien, Linz, Graz und Stellungnahmen in diesem Sinne Einfluss auf die Salzburg sowie die niederösterreichische EVN) Gesetzgebung zu nehmen. Innerhalb der ÖVGW werden technische Fragen erörtert, die Auswirkungen mitwirken. der neuesten Erkenntnisse auf die Gaswirtschaft bewertet und Richtlinien erarbeitet. Eine Grundlage Zertifiziert können Personen oder gesamte Un- davon stellen etwa Expertentreffen oder die Vergabe ternehmen werden und damit ihre besondere von Forschungsaufträgen dar. Befähigung zur Durchführung bestimmter Auf- Die verbindlichen Regeln der Vereinigung ermög- gaben nachweisen. Dabei ist bei Qualität und lichen einen einheitlichen hohen technischen Sicherheit natürlich immer der aktuelle Stand Standard im Umgang mit Erdgas. Das gesammelte Know-how wird in Form von Kursen, Tagungen und der Technik zu beachten. Ein wichtiges Gebiet Fachveranstaltungen weitergegeben. Besonders ist das Testen von Materialien, die in der Gas- wichtig sind die regelmäßigen, praxisbezogenen versorgung, Gasverteilung oder Gasanwen- Schulungen für die Beschäftigten der Unternehmen dung zum Einsatz kommen. Ihre Lebensdauer – vom Spezialkurs über Gebrechensbehebung zur wird ebenso erprobt wie die Zuverlässigkeit, Ausbildung zum Kunststoffrohrleger oder zur „sach- weiters die Einhaltung der österreichischen kundigen Person“ im Umgang mit Erdgasautos. FORUM SPECIAL 6 [2012] 27
GAS Wo wird Erdgas verwendet? Es gibt fast nichts, das es nicht gibt, wenn es um die Einsatzmöglichkeiten von Erdgas geht. Der Appetit nach dem wertvollen Rohstoff ist allerdings in man- chen zentralen Wirtschaftsbereichen besonders groß. Im Haushalt mal das früher problematische (und toxische) Stadtgas mittlerweile längst (in Wien seit der Zunächst denkt man bei der Verwendung von Umstellung in den 1970-er Jahren) durch das si- Erdgas meist an das eigene Zuhause. In den chere und ungiftige Erdgas ersetzt ist. Dennoch Anfängen der Gasnutzung noch vor allem zur beträgt der gesamte Verbrauch der österrei- Beleuchtung eingesetzt, folgten später die chischen Haushalte nur rund ein Sechstel des Warmwasserbereitung, der Gasherd und natür- jährlichen Erdgasbedarfs, darin sind auch noch lich die Gasheizung, die sich in den 1960er-Jah- sämtliche Anwendungen in der Landwirtschaft ren endgültig durchsetzte. Durch den extremen eingeschlossen. In Wirklichkeit wird also nur Boom erreichte man etwa in Wien bereits 1964 eine relativ geringe Menge in privaten Woh- eine Nachfrage nach Gasmengen, die zwar nungen konsumiert – eine große sorgt für das noch produziert, aber durch die damals man- Funktionieren heimischer Industriebetriebe. gelnden Rohrkapazitäten nicht mehr in alle Wohngebiete transportiert werden konnten. In der Industrie Alle drei Hauptanwendungen erfreuen sich Den größten Anteil (38 %) am Verbrauch hat auch heute nach wie vor großer Beliebtheit, zu- heute der produzierende Sektor – die Industrie Erdgas im Haushalt: Kochen, Warmwasserbereitung und Heizung Fotos: shutterstock.com 28 FORUM SPECIAL 6[2012]
GAS Erdgas in der Praxis benötigt Erdgas als Produktionsenergie, zur Er- • Industrie: Prozesswärme, Rohstoff, Energieerzeu- gung zeugung von Strom, Kälte, Dampf, Warmwas- ser oder auch zur Beheizung von Werkshallen. • Kraftwerke: Stromerzeugung, Wärmeproduktion Es hat als effizienter und schadstoffarmer Ener- • Heizwerke: Wärmeproduktion für Nah- und Fern- gieträger entscheidende Vorteile: So eignet es wärme, Energie für Fernkälte sich speziell für hohe Prozesstemperaturen • Gewerbe: Produktions- und Raumwärme, Warm- und automatisierte Produktionsabläufe, kann wasser, Klimatisierung optimal geregelt werden und verbrennt bei • Haushalt: Kochen, Heizen, Warmwasser, Mini- sehr hohen Wirkungsgraden, nutzt also den Kraftwerke zur Stromerzeugung Energieinhalt zu einem besonders großen Teil. • Landwirtschaft: Düngemittelproduktion • Verkehr: Treibstoff für Autos, Busse, LKW, Schiffe Auf Oberösterreich allein entfällt rund ein Fünftel des österreichischen Erdgasverbrauchs – mehr als die Hälfte davon wird von den dor- tigen leistungsstarken Industriebetrieben zur Härtevorgänge, zur Nachverbrennung COH2- Produktion benötigt. Der Bedarf von Unter- haltiger Abgase aus Eisenöfen, zur Schrotter- nehmen wie der Voestalpine Stahl GmbH ist wärmung und zum Aufheizen beziehungsweise beachtlich: Konjunkturelle Hochphasen kön- Warmhalten von Gießpfannen ein. Die Glas- nen einen Konsum von mehr als 250 Millio- industrie schmilzt und die Keramikindustrie nen m3 pro Jahr für die Energieerzeugung, die brennt ihre Rohstoffe – angefeuert von Erdgas. Stahlproduktion sowie in den Warm- und Kalt- Infrarot-Trocknungsanlagen aus dem High- walzwerken mit sich bringen. Dank Erdgas las- tech-Bereich der Papierindustrie werden damit sen sich bestimmte Abläufe in der Produktion betrieben, auch das Schmelzen des Gemen- überhaupt erst realisieren oder zumindest op- ges oder Abflämmen von Glasbeschichtungen timieren: beispielsweise Trocknungsprozesse. funktioniert mit Gas am besten. Nicht zuletzt Die Abgaswärme kann man hier mit Hilfe von ist es mit dem saubersten fossilen Brennstoff Wärmerückgewinnung nutzbringend für weite- auch einfacher, geltende Emissionsvorschrif- re Arbeitsprozesse einsetzen. ten einzuhalten. Die steirische Stahlindustrie setzt Energie aus Weitere wichtige Einsatzgebiete liegen in der Erdgas für Glüh- und Wärmeprozesse sowie für industriellen Energieerzeugung – so zum Bei- Erdgas zur Erzeugung von Prozesswärme und als Rohstoff in der industriellen Produktion Foto: shutterstock.com Foto: E.ON Ruhrgas FORUM SPECIAL 6 [2012] 29
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