Sind hohe Preise für "Orphan Drugs" ethisch zu rechtfertigen?
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Sind hohe Preise für „Orphan Drugs“ ethisch zu rechtfertigen? Oswald Hasselmann Ostschweizer Kinderspital, St. Gallen Zusammenfassung caments, leur disponibilité continue et la poursuite de leur développement, l’éthique commande de respecter Regulative und finanzielle Erleichterung haben die les principes suivants : la protection du droit des per- Neuentwicklung von „orphan drugs“ für seltene Er- sonnes à disposer d’elles-mêmes, l’obligation d’assis- krankungen weltweit erleichtert. Aufgrund der nied- tance aux patients, la pesée soigneuse des bénéfices et rigen Prävalenz und der aufwendigen Entwicklungs- des risques d’un traitement, le droit à l’égalité de traite- kosten werden seitens der Produzenten für das Solidar- ment et à une répartition équitable des ressources limi- system der Krankenversicherten zunehmend prohibitiv tées. L’octroi du statut de médicament orphelin devrait hohe Vertriebspreise vorgegeben. Zur Sicherung des obéir à des critères plus stricts qui tiennent compte du Zuganges und der weiteren Bereitstellung und Ent- coût de fabrication, de l’efficacité du traitement à long wicklung dieser Medikamente sollten aus ethischer terme, de la sécurité du patient et de l’accès de produits Sicht die folgenden Prinzipien berücksichtigt werden: concurrents au marché. Des données d’évaluation des Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechtes und der technologies médicales devraient être prises en compte Fürsorge der Patienten, die sorgfältige Abwägung von dans la détermination des coûts socio-économiques et Nutzen und Risiko einer Therapie, der Anspruch einer de la qualité de vie liée à la santé des patients atteints Gleichbehandlung und einer gerechten Aufteilung de maladies rares. Il apparaît justifié que la commu- begrenzter Ressourcen. Strengere Kriterien für die Zu- nauté solidaire des assurés-maladie ne soit pas seule à teilung eines „orphan drug-Status“ unter Berücksich- devoir prendre en charge les surcoûts nécessaires si l’on tigung des Herstellungsaufwandes, der langfristigen veut éviter de faire assumer des coûts d’opportunité Therapieeffektivität, der Patientensicherheit und der aux patients atteints de maladies courantes. Marktzugängigkeit von Konkurrenzprodukten sollten berücksichtigt werden. Health Technology Assessment- Mots clés : Ethique, maladies rares, médicaments or- Daten sollten bei der Erfassung der sozioökonomischen phelins, efficacité thérapeutique, coûts d’opportunité, Kosten und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität équité von Patienten mit seltenen Erkrankungen berücksich- tigt werden. Zur Vermeidung von Opportunitätskosten zu Lasten von Patienten mit gängigen Erkrankungen Are High Prices for „Orphan Drugs“ Ethically Justi- erscheint es gerechtfertigt, die notwendigen Zusatz- fiable? kosten nicht allein der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten aufzubürden. Attractive regulative and financial circumstances have worldwide facilitated the development of «or- Epileptologie 2013; 30: 72 – 78 phan drugs» for patients with rare diseases. The low prevalence and the extensive development costs for Schlüsselwörter: Ethik, seltene Erkrankungen, orphan the producers have led to high and increasingly pro- drugs, Therapieeffektivität, Opportunitätskosten, Ge- hibitive costs for the insurance system. To secure the rechtigkeit access and the further deployment and development of these drugs the following ethical principles should ideally be observed: preservation of self-determination, Peut-on justifier éthiquement des prix élevés care of patients, careful consideration of the benefits pour des « médicaments orphelins » ? and risks of treatment, right to equal treatment and a fair distribution of limited resources. To achieve these Partout dans le monde, des allègements réglemen- aims stringent criteria for the allocation of an orphan taires et financiers sont venus faciliter le développe- drug-status, taking account of the manufacturing cost, ment de nouveaux « médicaments orphelins » pour les long-term treatment effectiveness, patient safety and maladies rares. La faible prévalence de ces maladies et market access of competing products should be consid- les coûts de développement élevés sont invoqués par ered. Existing Health Technology Assessment data con- les fabricants de médicaments pour fixer des prix de cerning socio-economic costs and health-related qual- vente toujours plus prohibitifs pour le système solidaire ity of life of patients with rare diseases can be used. To de couverture santé. Pour garantir l’accès à ces médi- avoid opportunity costs to the detriment of patients 72 Epileptologie 2013; 30 Sind hohe Preise für „Orphan Drugs“ ethisch zu rechtfertigen? | Oswald Hasselmann
with more common diseases, it seems justified to im- These 1: pose the necessary costs not solely to the detriment of Menschen mit selten auftretenden Erkrankungen the insurance system. haben den gleichen Anspruch auf eine medizinische Versorgung wie Menschen mit häufig auftretenden Key words: Biomedical ethics, orphan diseases, orphan Erkrankungen. (Deontologische Sichtweise) drugs, treatment effectivity, opportunity costs, justice These 2: Bei begrenzt zur Verfügung stehenden Mitteln ist Einleitung es moralisch nicht zu vertreten, dass hohe Ausga- ben für wenige zu einer Mittelverknappung für viele Eine solidarisch finanzierte Gesundheitspolitik hat führt. (Utilitaristische Sichtweise) das Ziel, eine Gesundheitsvorsorge, eine Heilung und, falls dies nicht möglich ist, eine medizinische Betreu- Die Verfolgung einer der beiden Thesen scheint auf ung für die Mitglieder der Versicherungsgemeinschaft den ersten Blick nur zu Lasten der Alternativthese mög- sicherzustellen. Dieser in einigen europäischen Ländern lich. Es handelt sich hierbei um eine häufig auftretende auch durch die Verfassungsgesetzgebung unterstützte Dilemmasituation auf der Grundlage unterschiedlicher Anspruch gilt prinzipiell für alle Menschen und ist unab- ethischer Grundüberzeugungen. Vertreter unterschied- hängig von der Häufigkeit einer Erkrankunga. Um auch licher ethischer Provenienz können jeweils für sich Menschen mit seltenen Erkrankungen den Zugang zu geltend machen, dass sie dem Anspruch auf „Gerech- einer medizinischen Versorgung zu ermöglichen, wer- tigkeit“ genügen. Andere etablierte ethische Entschei- den in den westlichen Ländern, in Japan und Australi- dungskriterien wie das Bestreben, das Selbstbestim- en seit ca. 25 Jahren diagnostische und therapeutische mungsrecht der Betroffenen zu wahren, Schaden für Verfahren für die von einer seltenen Erkrankung Be- diese zu vermeiden bzw. „Gutes“ für sie zu veranlagen, troffenen durch einen vereinfachten Marktzugang und lassen sich für beide Thesen ins Feld führen und können durch finanziell attraktive Rahmenbedingungen geför- nicht zu einer eindeutigen Präferenzentscheidung füh- dert. Dies hat dazu geführt, dass seit Beginn dieses Poli- ren. Bei Fehlen einer eindeutigen Präferenz erscheint es tikwechsels von Seiten der pharmazeutischen Industrie sowohl ethisch als auch gesundheitsökonomisch sinn- in Europa pro Jahr ca. 10 neue Medikamente als soge- voll, durch gesetzliche Vorgaben die Ansprüche beider nannte „orphan drugs“ (OD) zugelassen werden. Diese Thesen weitestgehend zu berücksichtigen. erfüllen für eine Vielzahl von Erkrankten erstmalig die Hoffnung auf Zustandsverbesserung und Lebensverlän- gerung und haben auf Seiten der pharmazeutischen In- Wer ist betroffen? dustrie zu verstärkten Forschungs- und Entwicklungs- aktivitäten geführt. Der Zugang zu diesen sehr teuren Man spricht von „Seltenen Erkrankungen“, wenn therapeutischen Optionen droht jedoch zunehmend diese in Europa bei weniger als 5 auf 10‘000 Einwohner nur noch in einem Gesundheitswesen möglich zu sein, auftreten. In den Vereinigten Staaten wird diese Grup- welches in der Lage ist, die hohen Subventionskosten pe in absoluten Zahlen (< 200‘000 Einwohner entspre- hierfür zu tragen. Hieraus ergeben sich Fragen der ge- chend einem geschätzten relativen Anteil von 7,5 auf sellschaftlichen Akzeptanz sowohl im Hinblick auf die 10‘000 Einwohner) definiert. Für die Epilepsie und ihre Kosteneffektivität dieser Arzneimittel als auch bezüg- unterschiedlichen Subformen liegen epidemiologische lich der Berücksichtigung der assoziierten Opportuni- Daten nur unvollständig vor. Die Prävalenz der Juveni- tätskosten, welche sich zu Lasten der Versorgung von len Absence-Epilepsie wird auf 5,6/100‘000 Einwohner gängigen Erkrankungen ergeben. Für die Schweiz, die geschätzt. Für seltenere Epilepsiesyndrome wie zum aktuell noch in der Konzeptionsphase bezüglich ei- Beispiel die Frühkindliche Myoklonische Enzephalo- ner einheitlichen „orphan disease policy“ steht, stellt pathie oder die Pyridoxin-abhängige Epilepsie werden sich die Frage, wie weit sie von den europäischen und weit geringere Prävalenzen angenommen. Die vor- US-amerikanischen Erfahrungen profitieren kann, um gegebenen Prävalenzgrenzen für die Definition einer Strukturen anzulegen, die den unterschiedlichen Inte- „Seltenen Erkrankung“ dürfen in einigen europäischen ressen im Gesundheitswesen auch in der Zukunft noch Ländern nach oben hin überschritten werden, wenn es gerecht werden können. sich um lebensbedrohliche bzw. schwer beeinträchti- Die ethischen Herausforderungen, vor denen die gende und chronisch verlaufende Erkrankungen han- Gesundheitspolitik in der Betreuung von Menschen delt. Übertragen auf die Schweiz bedeutet dies, dass es mit einer seltenen Erkrankung steht, sollen anhand der für eine gegebene seltene Erkrankung nicht mehr als zwei folgenden Thesen diskutiert werden. 4‘000 Betroffene geben darf. Wenn es sich auch für die einzelnen Krankheitsbilder jeweils nur um geringe Pa- tientenzahlen handelt, gehen wir bei zur Zeit 6‘000 be- a.) Vergl. das „Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit” nach Art. kannten seltenen Erkrankungsentitäten für die Schweiz 10 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft von insgesamt ca. 450‘000 betroffen Menschen aus. Sind hohe Preise für „Orphan Drugs“ ethisch zu rechtfertigen? | Oswald Hasselmann Epileptologie 2013; 30 73
Diese Zahl entspricht der Zahl der von einer Diabetes vergleichbare nationale Strategie für die Erforschung Mellitus-Erkrankung betroffenen Menschen und steht und Betreuung von Menschen mit einer „Seltenen Er- damit für eine gesundheitspolitisch zu beachtende Prä- krankung“ zu einigen. Es fehlt weiterhin an Mitteln valenz. zur Erhebung von epidemiologischen Daten bezüglich Patienten mit „Seltenen Erkrankungen“ leiden der Prävalenz und dem natürlichen Verlauf dieser Er- zweifach. Primär unter dem chronisch progressiven krankungen als auch an einem situationsgerechten und meist nicht therapierbaren Fortschreiten ihrer Stö- Vergütungssystem, welches die zeitaufwendige und rung, sekundär unter der Tatsache, dass das ärztliche komplexe Betreuung dieser Patienten berücksichtigt. Wissen um die Diagnostik und Therapierbarkeit ihrer Die vereinfachte Zulassung von OD in der Schweiz wur- Erkrankungen gering ist. Mehr als 2/3 der Betroffenen de 2006 analog der Situation in Europa gesetzlich ge- erkranken bereits im Kindesalter und 1/3 von ihnen regelt (Art. 4 – 7,24-26 VAZV). Im Februar 2013 wurde versterben vor dem 5. Lebensjahr. Da die behandeln- für die Deutschschweiz am Kinderspital Zürich eine An- den Pädiater und die Allgemeinpraktiker Patienten mit lauf- und Koordinationsstelle (radiz) für Patienten mit einer seltenen Erkrankung durchschnittlich nur 1-mal „Seltenen Erkrankungen“ eröffnet. Eine vergleichbare pro Jahr sehen, sind sie besonders auf Informationen Koordination der Aktivitäten wird in der Westschweiz bezüglich des natürlichen Verlaufes und einer eventu- gemeinsam durch die Universitätskliniken in Lausan- ellen Behandelbarkeit angewiesen. Aufgrund der spär- ne und Genf gewährleistet. Für die zweite Hälfte des lichen Informationslage ist es nicht erstaunlich, dass, Jahres 2014 ist vom Bund geplant, dass die Ziele einer wie kürzlich aus Belgien berichtet, bei 44 % der von ei- nationalen Politik mit Unterstützung der Kompetenz- ner seltenen Erkrankung Betroffenen primär eine Fehl- zentren, einer vermehrten Zusammenarbeit mit den diagnose erhoben wurde, und dass ca. 75 % von ihnen Patientenorganisationend und dem Aufbau von Daten- eine nicht indizierte Therapie verabreicht bekamen [1]. banken und Registern konkret umgesetzt sind. Vergleichbare Daten sind auch für die anderen westeu- ropäischen Länder zu erwarten. d.) u.a.: orphanet.ch, IG Seltene Erkrankungen, Pro Raris, EiVE, mehrere unterstützende Stiftungen Wie reagiert die Gesundheitspolitik? Auf dem Hintergrund dieser unbefriedigenden Situ- ation wurde 2000, dem amerikanischenb , japanischen Zulassung und Erstattung der „Orphan Drugs“ und australischen Beispiel folgend, in einer europä- ischen Gesetzgebung festgehalten, dass Patienten mit In der EU leiden ca. 30 Millionen Menschen bzw. einer seltenen Erkrankung die gleiche Therapiequalität 6 - 8 % der Bevölkerung unter seltenen Erkrankungen. wie Menschen mit häufiger auftretenden Erkrankungen Bei dem chronischen Charakter dieser Erkrankungen bekommen solltenc. Hierfür sollen in den Mitgliedslän- und der gesundheitspolitischen Zusicherung auf einen dern die notwendigen infrastrukturellen, finanziellen erleichterten Marktzugang eröffnet sich auf diesem und rechtlichen Voraussetzungen geschaffen wer- Feld für die pharmazeutische Industrie ein ökonomisch den. Diesem Postulat folgend sind in den letzten zehn interessanter Markt, der von einer grossen Erwartungs- Jahren europaweit mehr als € 500 Millionen allein an haltung der Erkrankten bezüglich einer innovativen Forschungsgelder geflossen, um Ätiologie und Thera- Therapie begleitet wird. Der Schwerpunkt der Neuent- pierbarkeit dieser Erkrankungen besser zu verstehen. In wicklung von Arzneimitteln liegt hierbei im Bereich der Schweiz ist es bislang nicht gelungen, sich auf eine der metabolischen, onkologischen und neurologischen Erkrankungen. Um von einer erleichterten Zulassung als OD zu profitieren, müssen die potenziellen Arznei- mittel durch das „Comittee für Orphan Medicinal Pro- b.) 1983 US Orphan Drug Act ducts“ (COMP) der „European Medicines Agency“ (EMA) c.) Whereas some conditions occur so infrequently that the cost of develo- designiert werden, um in einem zweiten Schritt durch ping and bringing to the market a medicinal product to diagnose, prevent das „Comittee für Medicinal Products for Human Use“ or treat the condition would not be recovered by the expected sales of the (CHMP) bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen medicinal product; the pharmaceutical industry would be unwilling to den OD-Status zugesprochen zu bekommen. Um eine develop the medicinal product under normal market conditions; these me- Doppelspurigkeit in verschiedenen Ländern zu vermei- dicinal products are called ‘orphan’; patients suffering from rare conditions den, verläuft dieser Zulassungsprozess in gegenseitiger should be entitled to the same quality of treatment as other patients; it is Anerkennung zwischen der EMA, der FDA („Food and therefore necessary to stimulate the research, development and bringing Drug Administration“) der USA und Partnerorganisati- to the market of appropriate medications by the pharmaceutical industry; onen in Japan, Australien und Kanada. Die Swissmedic incentives for the development of orphan medicinal products have been orientiert sich bezüglich der Zulassung weitestgehend available in the United States of America since 1983 and in Japan since an den Vorgaben der EMA bzw. der FDA. Arzneimittel 1993. EC 141/2000 Preamble 7, Article 3.1.b zur Behandlung von „Seltenen Erkrankungen“ werden 74 Epileptologie 2013; 30 Sind hohe Preise für „Orphan Drugs“ ethisch zu rechtfertigen? | Oswald Hasselmann
nicht nur neu entwickelt, sondern auch bereits einge- Entscheidung, ob eine Erkrankte eine Therapie refi- führte Medikamente werden neu als OD indiziert. So nanziert bekommt, abhängig vom Einzelentscheid des hat beispielsweise inhalatives Tobramycin zur Behand- Regionalärztlichen Dienstes einer Krankenkasse erfol- lung einer Pseudomonas aeruginosas-Erkrankung bei gen kann. Die Gesundheitsbehörden und Krankenver- einer Zystischen Fibrose oder Sildenafil für die pulmo- sichertenträger sind häufig überfordert, sich zwischen näre Hypertension durch die COMP einen OD-Status den Preisforderungen der Industrie und den Ansprü- zugesprochen bekommen. In seltenen Fällen (zum chen der Patienten für eine Finanzierung neuerer Me- Beispiel beim Morbus Fabry) tragen mehr als ein Arz- dikamente zu positionieren. Exemplarisch mag hierfür neimittel einen OD-Status. Die jeweils aktuelle euro- die kürzlich getroffene Entscheidung der schottischen päische Liste der designierten bzw. zugelassenen OD Gesundheitsbehörden sein, ein Extrabudget von £ 21 wird regelmässig in den Publikationen der EMA (http:// Millionen zur Finanzierung einer Therapie mit Ivacaftor ec.europa.eu/health/documents/community-register/ (Kalydeco®) für Patienten mit einer Unterform der html/alforphreg.htm) und auf der Homepage von Zystischen Fibrose bereitzustellen. Das Erzeugen von „orphanet“ im jeweiligen Land veröffentlicht (zum Opportunitätskosten zu Lasten anderer Erkrankter Beispiel www.orphanet.ch). Für die Behandlung von kann nur vermieden werden, wenn im jeweiligen Ge- Epilepsieerkrankungen hat aktuell Diacomit (Stiripen- sundheitsbudget zusätzliche Mittel für die Behandlung tol®) für die therapierefraktäre Schwere Myoklonische von Menschen mit seltenen Erkrankungen bereitge- Epilepsie, sowie Rufinamide (Inovelon®) als Zusatzthe- stellt werden. rapie beim Lennox-Gastaut-Syndrom einen OD-Status erhalten. Bei Erfüllung der genannten Kriterien kann der Die wirtschaftliche Seite Produzent einer OD in Europa inklusive der Schweiz von einer 10-jährigen Marktexklusivität und von Ethisch umstritten mag es erscheinen, dass aus der einem finanziell erleichterten und einem verkürzten Situation einer schweren und meist unheilbaren Er- Zulassungsprozess durch die EMA, der FDA und der krankung ein überproportional grosser ökonomischer Swissmedic profitieren. Der Zugang der betroffenen Vorteil für die Arzneimittelproduzenten entstehen Patienten zu diesen Medikamenten wird durch natio- kann. Als ein häufig zitiertes Beispiel kann hier die nale Gesetze geregelt. Zurzeit haben 96 Arzneimittel Produktion des monoklonalen Antikörpers Rituximab durch die EMA einen OD-Status zugesprochen bekom- (MabThera®), zugelassen als OD für die chronisch men, hiervon sind jedoch nur 45 von der Swissmedic lymphozytische Leukämie und für das Non-Hodgkin- zugelassen (http://www.swissmedic.ch/daten/00081/ Lymphom, gelten. Er ist nach Atorvastatin (Sortis®) index.html?lang=de). 41 von ihnen sind auf der Spezi- weltweit das Medikament mit den höchsten Umsatz- alitätenliste (SL) aufgeführt. Für die Arzneimittel, die margen. Wie vorteilhaft es für die pharmazeutische In- nicht auf der SL oder auf der Geburtsgebrechenmedika- dustrie ist, sich im OD-Markt zu engagieren, zeigt eine mentenliste (GGML) aufgeführt sind, besteht die Mög- 2012 veröffentliche Studie von Thomson Reuters [2]. lichkeit, dass sie als „off-label-use“ durch die obligato- Die Wachstumsrate durch den Verkauf von OD war in rische Krankenpflegeversicherung (OKP) vergütet wer- dieser Studie mit 25,8 % im Vergleich zur Wachstums- den. Hierfür wird von dem Einsatz des Arzneimittels ein rate der nicht-OD mit 20,1 % deutlich erhöht. Von den „grosser therapeutischer Nutzen gegen eine Krankheit 10 Arzneimitteln mit den höchsten Umsatzmargen erwartet, die für den Betroffenen ansonsten schwere tragen sechs einen OD-Status. Verschiedene Faktoren gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen sprechen trotz geringer Patientenzahlen für ein In- würde“. Eine Kostenübernahme für OD durch die OKP vestment in den OD-Sektor. Hierzu zählen die deut- war bis zum Bundesgerichtsurteil bezüglich der Be- lich verkürzte und vereinfachte Marktzulassung, der handlung des Morbus Pompe mit einer Enzymersatz- patentunabhängige Schutz vor Konkurrenzprodukten therapie (ERT) kaum umstrittene. Seit 2011 gilt neu, über 7 (USA) bzw. 10 Jahre (EU) sowie das unwahr- dass eine Kostenübernahme von OD durch die Kran- scheinliche Auftreten einer Marktkonkurrenz durch kenversicherungen abgelehnt werden kann, wenn ein Generika. Da die meisten OD als Biologika entwickelt „grobes Missverhältnis zwischen Aufwand und Heiler- sind, erreichen nur wenige Nachfolgeprodukte nach folg“ bestehtf. Die aktuelle Situation der Kostenerstat- Beendigung des Patentschutzes des Originalpräpa- tung ist durch Intransparenz und Rechtsunsicherheit rates eine Marktzulassung. Dieser pharmakoökono- geprägt und kann im Einzelfall dazu führen, dass die mische Vorteil lässt sich weiter ausbauen, wenn die Indikationsbreite für eine zugelassene OD mit bereits etabliertem Marktpreis ausgedehnt werden kann. Als Beispiel mag hierfür Imatinib (Glivec®) gelten, welches e.) Bundesgerichtsurteil 9C_334/2010 Beurteilung der Wirksamkeit eines 2001 als OD für die chronische myeloische Leukämie Arzneimittels zugelassen wurde. Diese Indikation hat es somit nach f.) Art.71a, 71b KVV, SR 832.102 vom 1.3.2011 Vergütung von Medikamen- 10 Jahren verloren, zeitgleich aber den OD-Status für ten ausserhalb der Legitimierung der Spezialitätenliste acht andere, zumeist proliferative, seltene Erkran- Sind hohe Preise für „Orphan Drugs“ ethisch zu rechtfertigen? | Oswald Hasselmann Epileptologie 2013; 30 75
kungen erworben. Ökonomisch attraktiv ist es weiter- Zwei Sichtweisen hin, wenn das gleiche Arzneimittel sowohl für seltene als auch für häufige Erkrankungen eingesetzt wird. Die hohen Medikamentenpreise werden von der Dieses Vorgehen wird als „rare into common“ beschrie- Industrie gerechtfertigt, da sich für sie die Produktion ben und lässt sich am Endothelin-Rezeptor-Antagonist und der Vertrieb bei einem sehr umschriebenen klei- Bosentan (Tracleer®) beobachten. Neben der ursprüng- nen Patientenstamm ökonomisch ansonsten nicht lichen Indikation für die selten auftretende pulmona- mehr rentieren würden. Durch einen Rechtsanspruch le Hypertension hat dieses Arzneimittel inzwischen der Betroffenen auf Zugang zu diesen Arzneimitteln eine deutlich breitere Anwendung in der Therapie der würde sich für den Produzenten ökonomische Sicher- Herzinsuffizienz gefunden. Die gegenläufige Tendenz, heit ergeben, welche die hohen Investitionskosten bekannt als „common into rare“ lässt sich am Einsatz bei der Neuentwicklung rechtfertigen könnte. Für die des Ibuprofen (Pedea®) darstellen. In der Behandlung Solidargemeinschaft der Krankenversicherten wird des offenen Duktus Arteriosus hat das schon lange auf hingegen die Bereitschaft zur Kostenübernahme für dem Markt existierende Medikament im Jahre 2000 die solche hochpreisigen Therapien geschwächt, wenn Designation und im Jahre 2004 den ökonomisch attrak- nur unzureichende Daten bezüglich des natürlichen tiven OD-Status zugesprochen bekommen. Verlaufs und der Therapierbarkeit von diesen Erkran- Die wirtschaftliche Attraktivität eines solchen Vor- kungen vorliegen. Aufgrund der niedrigen Prävalenz gehens lässt sich auch für die Epileptologie am Beispiel können Therapiestudien häufig nur auf einem deut- des ACTH gut illustrieren. Während in den Vereinigten lich verminderten Evidenzniveau als gemeinhin er- Staaten bis vor einigen Jahren eine 5 ml-Ampulle des wartet, durchgeführt werden. So brauchte die Zulas- ACTH-Gels für $ 5 verkauft wurde, wird die gleiche sungsstudie für das Antimykotikum Itraconazol mehr Wirkstoffmenge nun als OD mit $ 28‘000 in Rechnung als 10 Jahre um lediglich 39 Patienten zu rekrutieren. gestellt [3]. Dies kann dazu führen, dass der Einsatz des Klinische Studien der Phase II und Phase III müssen ACTH in der Behandlung des West-Syndroms von den aufgrund der Seltenheit der Erkrankung zum Teil kom- Krankenversicherern nicht mehr übernommen werden biniert durchgeführt werden [6]. Häufig kann die Ef- kann. Bis das europäische Konkurrenzmodell Synac- fektivität einer Therapie nicht an dem erwünschten then® die langwierigen amerikanischen Zulassungsver- Langzeiteffekt sondern nur an stellvertretenden Kurz- fahren durchlaufen hat, kann die herstellende amerika- zeiteffektmasstäben (Surrogatwerten) evaluiert wer- nische Firma weiterhin von den konkurrenzlos hohen den. Die objektive Beurteilung der Studienergebnisse Preisen und zusätzlich von der inzwischen erweiterten wird zusätzlich erschwert dadurch, dass die Teilneh- Anwendung bei Autoimmunerkrankungen wie bei mer der klinischen Studien zum Teil identisch mit der dem Nephrotischen Syndrom, der Multiplen Sklerose Patientengruppe sind, die von der Therapie profitieren und der Rheumatoiden Arthritis profitieren. Ein ver- könnte. Letztere sind in einem solchen Fall sowohl den gleichbarer Vorgang hat kürzlich dazu geführt, dass in Prüf- als auch den Behandlungsärzten gut bekannt. Grossbritannien eine Petition von niedergelassenen Solche Patienten erhoffen sich zudem die Berücksich- Ärzten an den britischen Premierminister D. Cameron tigung eines „compassionate use“-Vorgehens bei der gestellt wurde, um den Einsatz von 3,4 Aminopyridin Kostenerstattung, wenn das geprüfte Medikament (Firnapse®) weiterhin für Patienten mit einem Lambert- nicht die Zulassung für die SL erreicht. Eaton-Syndrom sicherzustellen [4]. Vorausgegangen Trotz der zum Teil exzessiven Preisfestsetzungen war eine 60-fache Preiserhöhung zwischen dem nicht bleibt es festzuhalten, dass eine Vielzahl von innova- als Medikament zugelassenen chemischen Wirkstoff tiven Therapieansätzen nicht entwickelt worden wäre, und der offiziell zugelassenen OD. wenn es nicht die rechtliche und finanzielle Unterstüt- Die Kostenerstattung wird in den unterschiedlichen zung durch die europäische und nordamerikanische europäischen Staaten uneinheitlich gehandhabt. In Gesundheitspolitik gegeben hätte. Dies wird eindrück- Schweden und Grossbritannien erfolgt die Kostenü- lich durch die kontinuierlich erweiterte Marktpräsenz bernahme der OD durch die jeweiligen Krankenkassen von Medikamenten für bislang als nicht beeinflussbar auf der Basis von Kosteneffektivitätsberechnungen. beurteilte Erkrankungen abgebildet. Manche auch von In Belgien, Frankreich, Italien und Holland wird die der WHO als essenziell eingestufte Medikamente wür- Kostenübernahme nach Abwägung der relativen Be- den möglicherweise vom Markt verschwinden, wenn lastung für das Gesundheitssystem durch die jeweils die Produzenten nicht die Möglichkeit besässen, für sie anfallenden Kosten entschieden. In Frankreich gilt der einen ökonomisch interessanten Preis zu bekommen. klinische Mehrwert durch eine Therapie mit einer OD als Die Belastung für das Gesundheitssystem ist trotz der ein zu berücksichtigender Entscheidungsfaktor für eine hohen Einzelkosten aufgrund des seltenen Auftretens Kostenübernahme. Somit unterscheiden sich die ein- der Erkrankungen geringer als auf den ersten Blick an- zelnen Mitgliedsländer der EU [5] deutlich in der Aus- genommen. Eine sich entwickelnde Gesellschaft fühlt wahl der für eine Rückerstattung qualifizierenden OD. sich zudem seit alters her auch unabhängig vom Ein- zelschicksal der Betroffenen dem übergeordneten Ziel, Krankheitsprozesse zu verstehen und aus diesem Ver- 76 Epileptologie 2013; 30 Sind hohe Preise für „Orphan Drugs“ ethisch zu rechtfertigen? | Oswald Hasselmann
ständnis Therapieansätze für häufig vorkommende Er- einer Kosteneffektivität der OD genannt wurden. krankungen zu entwickeln, verpflichtetg. 1. Das Ausmass der krankeitsassoziierten Morbidität und Mortalität. Eine zusätzliche ethisch tragbare Lösung 2. Der Forschungs- und Herstellungsaufwand für die OD. Um den eingangs zitierten Thesen 1 und 2 gerecht 3. Die Therapieeffektivität der OD. zu werden und sowohl Patienten mit einer seltenen 4. Das Vorhandensein von Therapiealternativen. als auch Patienten mit einer häufigen Erkrankung wei- 5. Die Gewährleistung einer langfristigen Patientensi- terhin den Zugang zu effektiven Therapieverfahren zu cherheit unter dem Einsatz der OD. ermöglichen, bedarf es meines Erachtens einer restrik- 6. Die Möglichkeit der Indikationsausweitung. tiveren Definition des OD-Status und strengerer Ansät- ze bei der Preisfestsetzung. Mögliche Vorschläge wer- Eine strikte Berücksichtigung aller Kriterien würde den im Folgenden aufgeführt, ohne dass im Rahmen zu verminderter Marktpräsenz von OD und eventuell dieses Artikels hierüber eine ausführliche Diskussion zu einem Verlust an therapeutischen Möglichkeiten erfolgen kann. Gemeinsames Ziel dieser Ansätze ist, führen. So könnte zum Beispiel die Anwendung des ers- dass der von der Solidargemeinschaft zu leistende Ext- ten Kriteriums dazu führen, dass bei einer Speicherer- raaufwand bzw. der Zugewinn der Arzneimittelherstel- krankung wie beim Morbus Gaucher eine Enzymersatz- ler sich an einem messbaren und systematisch erfass- therapie nur noch bei Patienten mit einem schweren baren Zusatznutzen für die jeweilig Erkrankte orientiert Verlauf mit ausgeprägter Anämie und Thrombozyto- [7]. Um verwertbare Daten bezüglich der Ansprüche penie, einer pulmonalen Hypertension oder einer Ske- der betroffenen Interessenträger zu generieren, läuft lettkomplikation refinanziert würde. Ein vergleichbares seit 2010 ein auf drei Jahre ausgerichtetes EU-weites Vorgehen wurde in Grossbritannien vom National „Health Technology Assessment“-Forschungsvorhaben Institute for Health and Clinical Excellence für die Zu- mit dem Ziel, die sozioökonomischen Kosten und die lassung von Arzneimitteln für „ultra-orphan diseases“ gesundheitsbezogene Lebensqualität von Patienten (Prävalenz 1:50‘000) vorgeschlagen. Eine Nichtberück- mit seltenen Erkrankungen und ihren Betreuern länder- sichtigung der Kriteria „3“ und „5“ könnte dazu füh- spezifisch zu erfassenh. Die Bezugsgrösse einer nach- ren, dass ein Arzneimittelproduzent den privilegierten haltigen Lebensqualitätsverbesserung wird auch vom Status der OD verliert. Von strengen Vertretern einer Deutschen Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit Kosteneffektivitätspolitik werden bei Nichteinhalten im Gesundheitswesen (IQWiG) und von der Arzneimit- der Sicherheits- und Effektivitätskriterien auch retro- telkommission der deutschen Ärzteschaft gefordert spektiv zu erhebende Strafgebühren vorgeschlagen. [8]. Dies könnte beispielsweise durch eine Anpassung Um den zuvor realisierten Entwicklungs- und Produk- der Arzneimittelpreise für OD an den durch sie erreich- tionsschub innovativer Arzneimittel für eine bislang ten „quality adjusted life years“ (QALY) bzw. „disabili- nicht betreute Patientengruppe nicht zu gefährden, ty adjusted life years“ umgesetzt werden. Ein solcher erscheint es jedoch gesamtgesellschaftlich nicht sinn- Politikwechsel wird sowohl von den Vertretern der voll, die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen Betroffenen als auch von den Produzenten nicht un- nur anhand der Kosteneffektivität und der möglichen widersprochen bleiben und bedarf einer gesundheits- Opportunitätskosten auszurichten. Vielmehr sollte aus politischen Diskussion, welche sowohl Anspruchs- als Steuermitteln und nicht zu Lasten der Krankenversiche- auch Gerechtigkeitsfragen berücksichtigen sollte. Als rung ein Subventionsbeitrag für die Behandlung der Anstoss für eine solche Diskussion werden hier sechs seltenen Erkrankung bereitgestellt werden. Die Höhe Kriterien aufgeführt, die wiederholt für die Beurteilung des Beitrages könnte sich nach dem Mehrwert richten, der durch die Forschungs- und Produktionsaktivität am jeweiligen Standort generiert wird. g.) „Nature is nowhere accustomed more openly to display her secret my- stery than in cases where she shows traces of her workings apart from the Zusammenfassung beaten path; nor is there any better way to advance the proper practice of medicine than to give our minds to the discovery of the usual law of nature Die Verfolgung einer aktiven und international ab- by careful investigation of cases of rarer forms of disease.“ Aus einem gestimmten Politik zur Unterstützung der Entwick- Briefwechsel aus dem Jahre 1657. Willis R. The Works of William Harvey. lung von OD hat während der letzten 25-30 Jahre zu London: Sydenham Society, 1847: 616 erweiterten Therapiemöglichkeiten für Menschen h.) Hierfür wurden folgende Erkrankungen exemplarisch ausgewählt: mit selten auftretenden Erkrankungen geführt, die Zystische Fibrose, Prader-Willi-Syndrom, Hämophilie, Muskeldystrophie unter dem ethischen Anspruch einer gleichberechti- Duchenne, Epidermolysis Bullosa, Fragiles X-Syndrom, Sklerodermie, Muco- gen Behandlung von Erkrankten unabhängig von der polysaccharidose, Juvenile Idiopathische Arthritis, Histiozytose, Prävalenz ihrer Erkrankung zu begrüssen ist. Die Ent- weitere Informationen unter: http://www.burqol-rd.com/ wicklung dieser Arzneimittel wäre ohne substanzielle Sind hohe Preise für „Orphan Drugs“ ethisch zu rechtfertigen? | Oswald Hasselmann Epileptologie 2013; 30 77
finanzielle Anreize und administrative Erleichterungen 4. Nicholl DJ, Hilton-Jones D, Palace J et al. Open letter to prime minister nicht möglich gewesen. Die hohen Vertriebspreise be- David Cameron and health secretary Andrew Lansley. BMJ 2010; 16: 341 grenzen jedoch zunehmend den uneingeschränkten 5. Denis A, Mergaerta L, Fostier C et al. A comparative study of European Zugang zu diesen Therapiemöglichkeiten und führen rare disease and orphan drug markets. Health Policy 2010; 97: 173-179 zu neuen Verteilungsungerechtigkeiten, die nicht mehr 6. Thornton P. Opportunities in Orphan Drugs-Strategies for Developing aus der Art der Grunderkrankung sondern aus der Zu- Maximum Returns from Niche Indications. London: Business Insights Ltd, gehörigkeit zu einer spezifischen Krankenversicherung 2010 resultieren. Nicht nur innerhalb eines Landes sondern 7. Cote A, Keating B. What is wrong with orphan drug policies? Value in auch innerhalb der EU kommt es somit zu ethisch Health 2012; 15: 1185-1191 nicht zu rechtfertigenden unterschiedlichen Therapie- 8. Deutsches Ärzteblatt 19.10.2012 möglichkeiten. Bei begrenzten bzw. reduzierten nati- onalen Gesundheitsbudgets drohen zeitgleich mit der Subventionierung von OD die Therapiemöglichkeiten für häufig vorkommende Erkrankungen zusätzlich be- grenzt zu werden. Aus Gründen der Gerechtigkeit lässt sich daher eine fortgesetzte Unterstützung der OD- Korrespondenzadresse: Produktion zukünftig nur dann rechtfertigen, wenn As- Dr. med. Oswald Hasselmann pekte der Kosteneffektivität, der Opportunitätskosten, Stiftung Ostschweizer Kinderspital der Arzneimittelsicherheit und der Verhinderung von KER-Zentrum Subventionsmissbrauch beachtet werden. In diesem Claudiusstrasse 6 Zusammenhang gilt es besonders, die Zuteilung des 9006 St. Gallen OD-Status im Verlauf regelmässig zu überprüfen. Zur Tel. 0041 71 243 73 32 Unterstützung der Grundlagenforschung und der hei- Fax 0041 71 243 73 67 mischen pharmazeutischen Industrie kann es gerecht- oswald.hasselmann@kispisg.ch fertigt sein, die Entwicklung von OD vermehrt aus dem Steueraufkommen zu unterstützen. Das Schweizer Bundesgericht hat im November 2010 im Zusammen- hang mit einem restriktiven Finanzierungsvorschlag für eine ERT bei Patienten mit einem Morbus Pompe erst- malig eine Kosten-Nutzen-Beurteilung aufgestellt und Kriterien formuliert, nach denen eine Kostenerstattung möglich sein könnte. Die sich daran anschliessende kontrovers geführte Diskussion um eine eventuell not- wendige Rationierung der solidarisch finanzierten Ge- sundheitsleistungen konnte aufzeigen, wie notwendig es ist, die weitreichenden Implikationen einer „orphan- disease policy“ breit und zunächst ergebnisoffen zu diskutieren. Da auch Patienten mit einer Epilepsie zu der besprochenen Patientengruppe gehören, und es zu erwarten ist, dass auch für Subgruppen dieser Erkran- kung neue Therapieansätze entwickelt werden, können auch hier die vorgeschlagenen Kriterien als Diskussi- onsgrundlage dienen. Interessenkonflikt: Der Autor hat wiederholt Fir- menunterstützung zum Besuch von Fortbildungsver- anstaltungen in Anspruch genommen. Interessenkon- flikte mit Bezug zum Inhalt dieses Artikels liegen nicht vor. Referenzen 1. Denise A. Recommendations and proposed measures for the Belgian Plan for Rare Diseases, p.9, Nov. 2010 2. Gaze L, Breen J. The economic power of orphan drugs. Thomson Reuters, 2012 3. Pollack A. ACTH Questcor Finds Profits at S 28.000 a Vial. The New York Times, December 29, 2012 78 Epileptologie 2013; 30 Sind hohe Preise für „Orphan Drugs“ ethisch zu rechtfertigen? | Oswald Hasselmann
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