SOLIDARISCHE ALTERSVORSORGE UND DEMOKRATISCHE VERTEILUNG - Hans-Böckler-Stiftung
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DOSSIER Nr. 4, Januar 2020 SOLIDARISCHE ALTERSVORSORGE UND DEMOKRATISCHE VERTEILUNG Hilmar Höhn FEHLENDE SICHERHEIT FÜR ZU VIELE Weitere Säulen der Alterssicherung korrigieren diese Verteilung kaum. Besserung bringen sie vor allem „rentenreichen” Senioren: Im Westen der Unter welchen Umständen gelingt den Vielen in einer Republik konzentrieren sich die Alterseinkommen Gesellschaft ein selbstbestimmtes Leben? Wann hört in einem Bereich zwischen 900 und 1700 Euro, im das Gute Leben auf, für sie ein abstraktes Konzept zu Osten zwischen 1300 und 1500 Euro (BMAS 2). In sein? Großstädten ist davon schlecht leben (Höhn, 2011 versuchte die Soziologin Petra Böhnke nach 2019). sorgfältiger Analyse eine Antwort: Voraussetzung sei Bei Vermögen sieht es wenig besser aus. „Zwi- der freie Zugang zu Bildung, eine möglichst gleiche schen 2011 und 2015 betrug das nominale Wachs- Verteilung der Einkommen und die umfassende Teil- tum” privater Vermögen „fast zwei Billionen” und habe aller am gesellschaftlichen Leben. Viele Fakto- erreichte ein Volumen von 4,8 Billionen Euro. Der ren entscheiden darüber, ob eine Gesellschaft den unteren Hälfte der Bevölkerung gehörte und ge- „Anspruch an ein selbstbestimmtes Leben” einlösen hört nichts, den oberen zehn Prozent mehr als die könne (Böhnke, 2011). Hälfte der Privatvermögen (Bundesregierung Wie gut und glaubwürdig ist das Versprechen auf 2018). Sicherung des Lebensstandards im Alter organisiert? Gewerkschaften, Arbeitgeber und Parteien rin- Die groben Befunde: Die mittlere Rente von Män- gen seit Jahrzehnten um eine Alterssicherung mit nern betrug 2018 etwas mehr als 1100 Euro im Mo- Zukunft. Vor Armut soll sie die einen schützen, in nat, Frauen kamen nur auf 716,39 Euro (BMAS 1, Zeiten millionenfach gezahlter Armutslöhne keine 2018). Lediglich einem Viertel der Neuzugänge unter Petitesse. Den anderen den Lebensstandard be- den Rentnern stehen monatlich mehr als 1500 Euro wahren. Dieses Dossier untersucht den Stand von aus der Rentenkasse zur Verfügung, bei Rentnerin- Renten und Vermögen, arbeitet die Verbindung nen ist die soziale Schieflage noch deutlicher: Keine der beiden Themen heraus und skizziert die Kon- sieben Prozent liegen jenseits der Schwelle von 1500 zepte, die öffentlich diskutiert werden. Sind sie Euro (IAQ 1, 2019). Selbstbestimmung braucht eine Bausteine für eine Gesellschaft, die wieder in ihrer materielle Grundlage. Die ist im Alter für zu viele Mitte zusammenwächst? Oder sind sie geeignet, nicht gegeben. das Demokratische weiter zu untergraben?
INHALT Fehlende Sicherheit für zu viele 1 Kapitel 3: Reformen für eine starke Gesellschaft 26 Kapitel 1 3.1 Sind Renten Vermögen? 26 Weiter so reicht nicht 3 3.2 Veteranen der Debatte bestimmen noch 1.1 „Die Menschen vertrauen immer die Diskussion über die Zukunft dieser Versicherung“ 3 des Rentensystems 27 1.2 „Die Arbeit macht die Leute kaputt“ 4 3.3 Abkehr von einer rein ökonomischen 1.3. Rente muss für ein Gutes Leben reichen 4 Betrachtung des Rentensystems 28 1.4 Die Grundrente schützt nicht vor Renten aus Übersee 29 Armut aber die Ärmsten der Armen vor „Es braucht Sicherheit im Alter“ 30 dem Gang zum Amt 5 3.4 Ein öffentlich-rechtliches Angebot für 1.5 Betriebliche Altersvorsorge: zusätzliche betriebliche Altersvorsorge? 34 Ein unterentwickeltes System 6 3.5 Grüne setzen auf öffentliche Fonds, um 1.6 Die doppelte Rentengarantie schafft Betriebsrenten zum Durchbruch zu verhelfen 35 lediglich Zeitgewinn 7 3.6 Linke legt Fokus allein auf die Stärkung Felix Austria 8 der gesetzlichen Rente 35 1.7 Heutige Voraussagen spiegeln 3.7 FDP für wirkungsvolle Tarifverträge 36 arbeitsmarkt- und sozialpolitische 3.8 AfD ohne Rentenkonzept, dafür heillos Fehler der Vergangenheit wider 10 zerstritten 36 1.9 Jenseits der drei Rentensäulen geht 3.9 Die Parteien der Koalition im Bund es im Alter noch ungleicher zu 11 vertagen Grundsatzentscheidungen 37 1.10 Vermögen sind extrem ungleich v 3.10 Gewerkschaften und DGB positionieren erteilt – in jedem Lebensalter 12 sich für Debatte, Arbeitgeberverbände sind 1.11 Betriebsrenten sichern Lebensstandard reserviert 37 aber vertiefen ungleiche Verteilung 13 Früher raus ohne Abschläge 41 1.12 Tarifliche Sozialpolitik: Ein neues Arbeitsfeld für Gewerkschaften 13 Schlussbemerkung: 1.13 Verpflichtung zu Betriebsrenten Eine solidarische Altersvorsorge und nicht mehr ausgeschlossen - mehr Gleichheit in der Verteilung sind Metallrente im Aufwind 14 eine Bedingung für die Demokratie 42 1.14 Die Deutschen haben Angst vor dem Altern - wissen aber nicht so recht, Bibliographie 45 wie es um ihre Altersvorsorge steht 17 Unternehmen legen Geld auf die Ausgewählte Begriffe für die hohe Kante 18 Rentendiskussion 48 Kapitel 2 Über den Autor 50 Verlorene Jahrzehnte 19 2.1 „Quantensprung“ im Rentensystem 19 2.2 Reform-Dauerbaustelle Rente 20 2.3 Der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung ist zu niedrig 21 2.4 Wenige können viel zurücklegen 22 Goldene Jahre voraus? 25 Dossier Nr. 4, 01.2020 · Seite 2
Kapitel 1 WEITER SO REICHT NICHT Die Entwicklung der Rente spiegelt mit der Zeitverzögerung von Jahrzehnten die Entwick- lung von Arbeitsmarkt und Gesellschaft wider: Waren die Einkommen solide, sind es auch die Renten. Steigt der Anteil der Alten, muss mehr Geld ins System fließen oder die Ren- tenversicherung gerät unter Druck. Steigen hingegen die Einkommen und wächst auch die Zahl der Beschäftigten, stabilisiert dies das Rentensystem und gleicht zunächst die Alte- rung aus. Viele Beschäftigte sorgen über die Beiträge zur „Gesetzlichen“ hinaus für das Al- ter vor: Wohneigentum oder Genossenschaftsanteile als Schutz vor steigenden Mieten im Alter, eine langjährig geführte Lebensversicherung und ein Konto bei der Bank können das Gefühl von Sicherheit verstärken. Weil die Gesellschaft jedoch immer weiter in eine Hälfte zerfällt, die wenig bis nichts hat, und eine Oberschicht, an deren Spitze sich die Vermögen bündeln, geht es gerade im Alter besonders ungerecht zu: Niedrige Renten und geringe Rücklagen treffen meist die gleichen Personen. Das ist eines von diesen vielen Details der Skizze eines reichen Landes, dem die soziale Balance zusehends abhandenkommt. 1.1 „Die Menschen vertrauen ser” nannten, ist heute im Ruhestand. Wie man so dieser Versicherung“ sagt. Der 65jährige Mann aber ruht nicht. Er enga- giert sich weiter für die sozialen Rechte von Bürge- 48 Jahre lang ist Helmfried Hauch nun schon Ge- rinnen und Bürgern. Vor allem die Älteren hat er im werkschaftsmitglied. Der gelernte Industriekauf- Blick. 2006 war es, da seien Kollegen von der Ver- mann hat zuletzt bei der Berliner Stadtreinigung einten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) mit der gearbeitet. Dort war er Personalrat. Vor allem je- Bitte an ihn herangetreten, er möge als Versicher- doch hat er sich als Schwerbehindertenvertreter tenberater in der Deutschen Rentenversicherung um die Belange der Leute gekümmert, deren Leis- (DRV) tätig werden. Ehrenamtlich. tungsfähigkeit aus irgendeinem Grund einge- Hauch ist inzwischen selbst Rentner. In seinem schränkt war. Haus am Rande von Berlin berät er, wer im Um- Nach Jahrzehnten auf dem Müllfahrzeug oder kreis von 20 Kilometern wohnt und Fragen zu sei- mit dem Besen auf dem Gehweg „sind viele ein- ner Rente hat. Oder wer Hilfe beim Ausfüllen des fach fertig“, sagt der gebürtige Saarländer. Hauch, Antrags auf Rente benötigt. Helmfried Hauch un- den sie wegen seines Bürojobs einen „Sesselpup- terstützt außerdem Kolleginnen und Kollegen aus Dossier Nr. 4, 01.2020 · Seite 3
seiner Gewerkschaft bei Rentenanträgen. So ist er CDU, CSU und FDP – damals in der Opposition – für viele die Deutsche Rentenversicherung, deren ging der Einschnitt nicht weit genug. Viele, vor al- Beschäftigte oder Gebäude die Versicherten kaum lem arbeitgebernahe Politiker, wünschten sich da- je zu Gesicht bekommen. mals einen Kulturbruch. Warum eine gesetzliche „Die Menschen vertrauen dieser Versicherung”, Rente, wenn die Börsen der Welt boomen? sagt Hauch. Und das obwohl die durchschnittli- chen Rentenbescheide später Summen zwischen 1100 und 1300 Euro ausweisen. „Nicht viel Geld, 1.2 „Die Arbeit macht die Leute kaputt“ nicht?”, sagt Hauch. Doch viele Versicherte hätten noch schlechtere Erfahrungen bei dem Versuch Versichertenberater Hauch sitzt in seinem Home gemacht, mit Hilfe sogenannter Riester-Rentenver- office, die Regale voll mit Beratungsliteratur, For- sicherungen ein kleines Polster aufzubauen. Bei mulare hat er jederzeit griffbereit. „Die Arbeit macht vielen war außer Spesen nichts gewesen. die Leute kaputt.” Sagt er. 99 von 100 Müllwerkern Entsprechend entwickelt sich das Geschäft mit erreichten das reguläre Alter für den Eintritt in die diesen Policen: Erst ein paar Jahre auf dem Markt, Rente nicht. In diesem Jahr liege es bei 65 Jahren brach in Folge der geringen Attraktivität des Ange- und acht Monaten. „Mit 60, bei wenigen auch erst botes das Geschäft mit ihnen ein. Von 2007 auf mit 63 ist das Ende der Arbeitsfähigkeit erreicht.” 2008 um minus 24,1 Prozent, von 2008 auf 2009 Wer auf dem Müllauto fährt, muss die Müllton- ging es noch einmal um 26,1 Prozent abwärts. Und nen holen. So ist das in Berlin. „Die stehen hier so weiter. Wurden 2008 dennoch 1,5 Millionen nicht an der Straße.” Manchmal laufen die Kollegen neue Verträge an die Frauen und Männer mit dem durch drei Hinterhöfe, bis sie die schweren Tonnen Versprechen gebracht, sie könnten auf diese Wei- aus einem Keller hoch und dann zur Straße ziehen. se ihre Rentenlücken schließen, waren es 2017 „In einigen Teilen der Stadt wird noch viel mit Koh- noch 284.000. Ein Rückgang gegenüber 2016 le geheizt. Dort sind die im Winter besonders nochmals um 17,9 Prozent. (GDV 2019) schwer.” Das Neugeschäft kann die Flucht aus den zwar In der Regel sei es die Wirbelsäule, die nicht staatlich geförderten, dank hoher Verwaltungskos- mehr mitmache. Das gelte auch für jene seiner Kol- ten und niedriger Verzinsung jedoch wenig attrak- legen, die die Gehwege sauber fegten. „Ein Stra- tiven Produkten kaum ausgleichen. 2017 lag der ßenkehrer muss pro Schicht 4,5 Kilometer Kanten- Bestand an Policen bei 10,6 Millionen, 2016 bei länge fegen.” In Berlin sind die Bürgersteige breit, 10,7 und lange Jahre bei etwas mehr als 10,8 Milli- drei, manchmal viermal laufen die Männer und onen Verträgen im Bestand, wie der Gesamtver- manchmal auch Frauen die Strecke auf und ab. 20 band der Versicherungswirtschaft (GDV) feststellt. Kilometer und länger auf hartem Asphalt. „Das hält Noch steigen die eingezahlten Beiträge. Aber vom doch kein Mensch bis 65 durch.” Boom der früheren Jahre ist wenig übrig. 2008 lag Nicht alle müssen Abschläge in Kauf nehmen. das Beitragsniveau mit 4,6 Milliarden Euro noch Viele haben sehr früh angefangen zu arbeiten und 38,8 Prozent über dem Vorjahr. Aber das war auch „haben mit 61, 62 ihre 45 Versicherungsjahre auf das Ende der großen Bonanza. 2017 lagen die Bei- dem Buckel”. Oder sie müssen schon früher, als träge nur 0,4 Prozent über dem Level von 2016. Die Versehrte der Arbeit, in die Erwerbsminderungs- Einnahmen stagnieren seit Jahren bei etwas mehr rente gehen. als 5,6 Milliarden Euro. Was seit 1. Januar 2019 nicht mehr zu so hohen Kaum besser sehen die Zahlen des Wirtschafts- finanziellen Einbußen bei der Rente führt, wie Jahre verbandes der Versicherungswirtschaft für die so- zuvor. Denn, sagt Helmfried Hauch, jetzt wird die genannte Basisrente aus, die sich an Höherverdie- Erwerbsminderungsrente so berechnet, als hätte ner richtet. Schmackhaft wollten die einstigen Mi- ein Versicherter bis zum regulären Renteneintritt nister Hans Eichel und Walter Riester die Beiträge bezahlt. machen, indem sie das zu versteuernde Einkom- Für 1,8 Millionen Rentnerinnen und Rentner, die men kürzen sollten. Doch auch die Basisrente ist schon vor diesem Stichtag raus mussten aus der kein lohnendes Geschäft mehr. Verträge und Bei- Arbeit, weil es einfach nicht mehr ging, kam die Re- tragszahlungen stagnieren weitgehend. form von Hubertus Heil zwar zu spät. Aber immer- Helmfried Hauch berät bei diesen Policen nicht. hin, sagt Hauch, es tut sich was. Doch dazu später. Sind ja keine Sache der „Gesetzlichen“. Ihren Kun- den zu erklären, was schiefgelaufen ist, sei Angele- genheit der Versicherer. 1.3. Rente muss für ein Gutes Leben reichen Es ist aber eine Angelegenheit der Politik. Denn die steht vor einem Scherbenhaufen. Noch vor Die Rente und ihre Organisation sind seit Jahrzehn- zwanzig Jahren wollte die damalige rot-grüne Koa- ten ein Dauerthema in Wahlkämpfen. Verständli- lition die Menschen in private Altersvorsorgever- cherweise. Bei der Frage, wovon man im Alter le- träge hineinfördern – dazu wurde sogar die Ent- ben soll, sind die Menschen besonders sensibel. wicklung der gesetzlichen Rente ausgebremst. Denn anders als bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit Dossier Nr. 4, 01.2020 · Seite 4
gibt es nach dem Wechsel in die Rente kein Zurück Beim Blick in das der Reform zugrunde liegende mehr in die Arbeit und damit auch keine Möglich- Zahlenwerk tut sich mehr als nur eine Kluft zwi- keit, die materielle Lage noch einmal spürbar und schen Arm und Reich auf. Es sind vor allem Frauen, dauerhaft zu verbessern. Ist der Rentenbescheid da, die von Altersarmut betroffen sind: Im aktiven Le- ist das Einkommen - von den jährlichen Anpassun- ben hatten sie keinen vollen Zugang zum Arbeits- gen abgesehen - bis zum Lebensende vorgezeich- markt, wurden abgedrängt in schlecht bezahlte Be- net. Deswegen muss die Rente auch zu einem Gu- rufe, häufig in Teilzeit und arbeiteten mit Unterbre- ten Leben reichen. chungen. Für zu viele Menschen reicht sie jedoch nicht. Im Gesetzentwurf (Stand Mai 2019) hieß es über Als Bundesarbeitsminister Hubertus Heil anfang den Kreis der Bezieher: Nur fünf Prozent aller Män- 2019 ein Modell für die Grundrente entwickeln ließ, ner sind von Armut im Alter betroffen. Aber jede rechnete die Deutsche Rentenversicherung (DRV) vierte Frau (BMAS 3, 2019). für sein Haus aus, wie viele Rentner schon heute Dass für mehr als zehn Prozent der rund 24,5 von ihrer Einführung profitieren würden. Millionen Rentnerinnen und Rentner die Rente Keine einfache Rechnung. Denn, so der Plan von nicht zum Leben in Würde ausreicht, passt nicht zu Heil, die Grundrente wird individuell berechnet. einem modernen Verständnis eines Sozialstaates. Wer sie beziehen will, muss mindestens 35 Jahre „Es geht nicht um Almosen”, so der Bundesar- lang aus regulärer Arbeit, Kindererziehung oder beitsminister im Interview mit der Neuen Osnabrü- Pflege Rentenpunkte gesammelt haben. Und diese cker Zeitung (Heil, 2019). „Die Menschen, die von sollten dann erhöht werden. Und zwar so, dass der Grundrente profitieren sollen, haben sich die etwa ein Mann, der sich 35 Jahre lang zu schlech- Leistung erworben.” Vielleicht hatten sie einen tem Lohn als Hilfsarbeiter durchs Leben schlagen schmalen Lohn. Oder arbeiteten Teilzeit. Aber sie musste, nun nicht mehr mit einer Rente von 463 haben dazu beigetragen, dass das Land heute so Euro zum Sozialamt gehen und aufstocken muss. gut entwickelt ist. Auf der faulen Haut lagen sie Er erhält stattdessen 868 Euro. So rechnet das Bun- nicht. desarbeitsministerium, Finanziert werden soll die Grundrente durch ei- Fast so viel wie eine Angestellte, die zu DDR-Zei- nen höheren Zuschuss des Bundes zur Rentenver- ten einen gut bezahlten Beruf hatte, für die die sicherung – also aus Steuermitteln. Wende jedoch einen wirtschaftlichen Abstieg be- deutete. Statt 746 Euro Rente wird sie durch Hinzu- rechnung ergänzender Rentenpunkte 941 Euro im 1.4 Die Grundrente schützt nicht vor Armut, Monat bekommen. (BMAS 3) aber die Ärmsten der Armen vor dem Gang Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis die Spitzen zum Amt der Koalitionspartner CDU und CSU bereit waren, den Weg mitzugehen – allerdings hatten sie auf Ab- Die Grundrente selbst schützt nicht vor Armut son- strichen bestanden. Von der nun vereinbarten dern die Ärmsten der Armen vor dem Gang zum Grundrente werden nicht mehr rund 2,9 Millionen Sozialamt. Mehr nicht. Denn: Auch über der Frauen und Männer, sondern 1,2 bis 1,5 Millionen Schwelle zur Grundrente geht es bescheiden zu. profitieren. Um das zu zeigen, hat das Institut für Arbeit und Verteilung der Altersrenten im Zugang, Deutschland 2018 Männer monatliche Zahlbeträge am Jahresende; Männer und Frauen, Anteil in % Frauen 25 24,2 23,1 20 18,7 18,9 17,5 16,8 15 13,9 13,1 13,5 10 10,9 10,6 8,3 5 4,6 1,5 4,1 0 unter 300 300-600 600-900 900-1.200 1.200-1.500 1.500-1.800 1.800-2.100 2.100-2.500 >2.500 Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund (2019), Statistikportal, eigene Berechnungen Dossier Nr. 4, 01.2020 · Seite 5
Monatliches Nettoeinkommen im Alter ab 65 Jahren nach Haushaltstyp Haushaltstyp Deutschland Alte Länder Neue Länder Ehepaare 2.543 € 1.614 € 1.420 € alleinstehende Männer 2.611 € 1.661 € 1.431 € alleinstehende Frauen 2.260 € 1.394 € 1.372 € Quelle: Bundesministerium für Arbeit, Altersicherungsbericht 2016 Qualifikation der Universität Duisburg-Essen (IAQ) fängt die eigene Alterssicherungsleistung nur aus die Zahlen der Rentenversicherung sozial und nach einem System (65 Prozent)”. Das sind 60 Prozent, Geschlechtern abgeschichtet. Danach erhalten die ausschließlich von ihrer gesetzlichen Rente le- Frauen aus der gesetzlichen Altersvorsorge derzeit ben und fünf Prozent, die eine ungleich höhere Be- im Schnitt Beiträge zwischen 300 und 1200 Euro. amtenpension oder Rente von der Knappschaft, ei- Bei Männern verschiebt sich die Kurve etwas. Män- nem Versorgungswerk, der Alterssicherung der ner, die derzeit in Rente gehen, haben meistens Landwirte oder der Künstlersozialkasse erhalten. noch ein langes Arbeitsleben mit nur wenigen Un- Nur 15 Prozent der aktuellen Rentner-Generati- terbrechungen etwa durch Arbeitslosigkeit hinter on verfügt über ein zusätzliches Einkommen aus einer betrieblichen Altersvorsorge. Weitere zehn Prozent profitieren von der Zusatzversorgung des Öffentlichen Dienstes. 1.5 Betriebliche Altersvorsorge: Ein unterentwickeltes System Auch bei den Alterseinkommen gibt es eine tiefe Kluft, die Frauen und Männer, aber auch Ost- und Westdeutsche trennt: Frauen etwa beziehen nicht nur geringere Ren- ten, sie haben auch seltener Zugang zu einer zusätz- lichen Alterssicherung. Und in den ostdeutschen Bundesländern ist die gesetzliche Rente für drei „Es geht nicht um Viertel der Rentner und die Hälfte der Frauen die Almosen.“ einzige Einkommensquelle. Die betriebliche Alters- Hubertus Heil, vorsorge ist zwischen Ostsee und Erzgebirge eine Bundesminister Rarität. Eine der Folgen einer auf Druck ostdeut- für Arbeit scher Arbeitgeber unterentwickelten Kultur der Ar- und Soziales, beit: Gerade einmal vier Prozent der Männer und stellvertretender nur ein Prozent der Frauen im Rentenalter beziehen Bundesvor eine Rente aus einer betrieblichen Altersversiche- sitzender der SPD rung. Wenn alle Alterseinkommen zusammengerech- sich. Dementsprechend liegen ihre Renten über net werden und Haushalte und nicht Rentnerinnen dem Niveau der Frauen: zwischen 900 und 1800 und Rentner einzeln betrachtet werden, korrigiert Euro im Monat. (IAQ 1, 2019) sich das Bild etwas. Dann liegen die Renten über je- Freilich: Die Zahlen über die „gesetzliche Rente“ nen Beträgen, welche die gesetzliche Rentenversi- sind nicht mit den tatsächlichen Alterseinkommen cherung auszahlt. Ehepaare kommen im Westen zu verwechseln. Ein Teil der Rentnerinnen und der Republik im Mittel auf etwas mehr als 2600, im Rentner verfügen neben ihrer gesetzlichen Rente Osten auf 2260 Euro. über weitere Einkünfte. Alleinstehende Männer in Westdeutschland Wie die drei Säulen der Altersvorsorge, gesetzli- schaffen es auf 1661, in Ostdeutschland auf 1394 che, betriebliche und private Rentensysteme, inei- Euro. Die hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen in nandergreifen, zeigt der alle vier Jahre erscheinen- den „Neuen Ländern”, wie sie im amtlichen Deutsch de Alterssicherungsbericht (BMAS 2, 2016). Darin auch noch im dritten Jahrzehnt nach der Vereini- heißt es allerdings im Unterschied zum gerne ver- gung genannt werden, führt zu monatlichen Ein- breiteten Bild eines dreistufigen Rentensystems: kommen von 1372 Euro, im Westen verfügen Frau- „Der größte Teil der 65-Jährigen und Älteren emp- en im Durchschnitt über 60 Euro mehr im Monat. Dossier Nr. 4, 01.2020 · Seite 6
Anteil der GRV-Rente am Bruttoeinkommen nach Rentengrößenklassen Haushalte von Renten- Anteil an den jeweiligen Durchschn. Durchschn. Haushalts- Anteil der Rente am größenklassen *) Rentenbeziehern Bruttorente bruttoeinkommen Gesamteinkommen Euro % Euro Euro % Ehepaare unter 250 2 159 4.136 4 250 bis unter 500 4 382 3.689 10 500 bis unter 750 5 623 3.338 19 750 bis unter 1.000 6 874 3.043 29 1.000 bis unter 1.500 16 1.266 2.536 50 ab 1.500 67 2.171 2.968 73 Gesamt 100 1.765 2.971 59 alleinstehende unter 250 4 153 2.009 8 Männer 250 bis unter 500 6 371 2.038 18 500 bis unter 750 7 643 1.396 46 750 bis unter 1.000 12 883 1.341 66 1.000 bis unter 1.500 37 1.249 1.614 77 ab 1.500 34 1.859 2.255 82 Gesamt 100 1.278 1.828 70 alleinstehende unter 250 3 168 1.652 10 Frauen 250 bis unter 500 5 391 1.357 29 500 bis unter 750 8 634 1.278 50 750 bis unter 1.000 16 877 1.248 70 1.000 bis unter 1.500 40 1.251 1.537 81 ab 1.500 28 1.781 2.054 87 Gesamt 100 1.223 1.611 76 *) Eigene und/oder abgeleitete Bruttorente der GRV Quelle: Bundesministerium für Arbeit, Altersicherungsbericht 2016 Der steile Anstieg am Ende der Kurve zeigt, dass es sion bestehend aus Experten und Politikern einge- sehr wenige an Einkommen Reiche im Rentenalter setzt. Sie soll einen „verlässlichen Generationen- gibt. Es waren vor allem Selbstständige, die in ihrer vertrag” entwerfen. Er solle, heißt es im 2018 be- aktiven Zeit reichlich Möglichkeiten hatten, ihr ar- schlossenen Koalitionsvertrag, „sich mit den beitsloses Einkommen im Alter zu organisieren. Herausforderungen der nachhaltigen Sicherung Doch nicht alle Selbstständigen waren dazu in und Fortentwicklung der gesetzlichen Rentenversi- der Lage. Nicht zuletzt ihretwegen haben Sozialpo- cherung und der beiden weiteren Rentensäulen ab litiker seit Jahrzehnten versucht, sie unter den dem Jahr 2025 befassen”. Schutzschirm der gesetzlichen Rente zu bekom- men. So sollen Steuerzahler davor bewahrt wer- den, für die fehlende oder unzureichende Alters- 1.6 Die doppelte Rentengarantie schafft vorsorge früherer Selbstständiger einstehen zu lediglich Zeitgewinn müssen. Diese Zahlen zeigen: Auch wenn Betriebsrenten Bis dahin garantiert die Bundesregierung, … oder privaten Rentensparpläne eine wichtige Rolle für die Altersvorsorge spielen, die Hauptsäule der 1. …dass jemand, der in 45 Arbeitsjahren 45 Ren- Alterssicherung ist bis heute die gesetzliche Ren- tenpunkte erarbeitet hat, nicht weniger als 48 Pro- tenversicherung. zent eines durchschnittlichen Arbeitseinkommens Um deren Zukunft es besser stehen könnte, wie bekommen darf (Rentenniveau). das Beispiel unseres Nachbarlandes Österreich 2. … dass die Beiträge zur Rentenversicherung die zeigt (siehe Kasten Felix Austria). In unserem Nach- Marke von 20 Prozent nicht übersteigen und barland, das sich von der Wirtschaftsstruktur nicht 3. …dass bis dahin am Eintrittsalter in die Rente wesentlich von Deutschland unterscheidet, errei- nicht gedreht wird. chen die Renten ein viel höheres Niveau bei gemä- ßigt höheren Beiträgen. Die Kommission tagt verschwiegen, nichts Um die Zukunft des deutschen Rentensystems dringt nach draußen. Immerhin geht es mit der zu festigen, hat die Bundesregierung eine Kommis- Rente um ein volkswirtschaftlich relevantes Sys- Dossier Nr. 4, 01.2020 · Seite 7
FELIX AUSTRIA Österreichs Rentnerinnen und Rentner haben es besser. Wie in Deutschland ist die Hauptsäule der Altersversorgung ein zwischen der beruflich aktiven und passiven Generation umverteilen- des Rentensystem. Mit dem Unterschied, dass die ausgezahlten Renten in Österreich deutlich höher als hierzulande liegen. Warum ist das so? Die Wissenschaftler Florian Blank (WSI) und Rudolf Dank der höheren Sozialversicherungsbeiträge Zwiener (IMK) verglichen 2017 die beiden Systeme ist der Staat bei unseren südlichen Nachbarn nicht auf der Basis von Daten aus den Jahren 2012 bis in der gleichen Höhe involviert wie hierzulande. 2015 (Blank/Zwiener, 2017). In diesen Jahren be- 2012 betrugen die Überweisungen aus der Wiener trug die durchschnittliche Altersrente von Neurent- Staatskasse 22,7 Prozent der Einnahmen der Versi- nerinnen in Deutschland 590 Euro, in Österreich je- cherung. Zum Vergleich: In Deutschland lagen sie doch 1220 Euro. bei 23,6 Prozent. Bei Männern in der gleichen Situation war die Außerdem funktioniert die Rente in Österreich Differenz noch größer. Neurentner bezogen 2013 seit 2005 so, wie Gewerkschaften in Deutschland aus der deutschen Sozialversicherung eine Rente dies auch hierzulande seit Jahren, um nicht zu sa- von 1050 Euro, in Österreich lagen die Renten fast gen seit Jahrzehnten fordern: Die Rentenkasse ist 800 Euro im Monat höher bei 1820 Euro. keine reine Arbeiter- und Angestelltenversiche- Die Rentenversicherung unserer Nachbarn er- rung. Seit 1958 zahlen Gewerbetreibende Beiträge, reichte 2014 ein Leistungsniveau (gerechnet für ei- seit 1971 die Bauern, seit 1997 Menschen, die auf nen seit 2014 arbeitenden Beschäftigten gemes- der Basis eines Werks- oder Dienstvertrages arbei- sen an seinem Durchschnittsverdienst nach 45 ten. Seit 1979 sind Freiberufler und sogenannte Jahren) von 92 Prozent, in Deutschland jedoch nur neue Selbstständige an Bord. Und seit 2005 auch von 50 Prozent. alle neuen Beamten in Österreich. Wie kann das angehen, ohne dass die österrei- In der deutschen Diskussion wird häufig ange- chische Volkswirtschaft unter der Beitragslast zu- zweifelt, dass eine Ausdehnung der Sozialversi- sammenbricht? Und dass, obwohl die Österreiche- cherung auf alle Erwerbstätige eine Entlastung der rinnen und Österreicher noch etwas früher in Ren- für die Rentenversicherung bringen würde. Der te gehen als ihre nördlichen Nachbarn? Blick ins Nachbarland lehrt das Gegenteil. Beson- Einer der Hauptgründe: 2014 lagen die Beiträge ders die Versicherung der Beamten über die Pensi- mit 22,8 Prozent in Österreich vier Punkte über onskasse verschafft der öffentlichen Assekuranz dem deutschen Niveau. Wobei die Rentenversi- Luft. cherungsbeiträge sogar zu mehr als der Hälfte von In Deutschland wird häufig eingewandt, dass den Arbeitgebern (12,55 Prozent) und zu einem ge- heutige Beitragszahler später auch zu Rentnern ringeren Teil von den Beschäftigten (10,25 Prozent) von morgen werden. Stimmt. Dafür „spart“ sich getragen wurden. Zum Vergleich: In Deutschland der Staat allerdings die Ausgaben für die Beamten- lag im Vergleichsjahr der Beitrag bei 18,8 Prozent - pensionen. hälftig von den Sozialpartnern finanziert. tem, durch das 2018 rund 306 Milliarden Euro lie- Zentrum für Altersfragen untersuchte die Konsum– fen. Ein System, das sich zum größten Teil direkt ausgaben der Rentenbezieher. Ihr Einkommen flie- aus der Lohnsumme speist. ßen „in recht unterschiedlichen Anteilen in drei Be- 2018 waren das gut 235 Milliarden Euro Beiträ- reiche: Mehr als 80 Prozent werden für den priva- ge, die Beschäftigte und Arbeitgeber einzahlten, ten Konsum verbraucht. Etwa zehn Prozent 69 Milliarden Euro kamen vom Steuerzahler. Die benötigen die Haushalte für übrige, nicht Rentenversicherung ist jedoch mehr als ein volks- konsumtive Ausgaben wie KFZ- und sonstige Steu- wirtschaftlich relevantes System, das für stetige ern, Geldspenden, Versicherungs- und Mitglieds- Einkommen eines wachsenden Teils der Bevölke- beiträge oder Zinsen für Baudarlehen und Konsu- rung sorgt. Mit seinen alljährlichen Milliardentrans- mentenkredite. Knapp drei Prozent werden für die fers ist so etwas wie das zentrale Nervensystem Bildung von Sach-und Geldvermögen gespart.“ der Bundesrepublik Deutschland. 2018 traten 33,4 (DZA 2013) Millionen sozial versicherte Beitragszahler dafür ein, dass 21 Millionen Frauen und Männer ein Ein- kommen im Alter haben. Geburtenstarke Jahrgänge: Von ihnen gelangt das Geld wieder zurück in Aus Beitragszahlern werden Rentner den Wirtschaftskreislauf und vor allem über die Mehrwertsteuer an die Finanzämter. Das Deutsche Auch wenn ein großer Teil der Renten nach wie vor Dossier Nr. 4, 01.2020 · Seite 8
bescheiden ausfällt, steigen die Renten nach den Zeitraum um sechs Millionen Menschen. Die bei- mageren 0er Jahren. den extremen Varianten gehen allerdings von un- Anfang des Jahrhunderts brachte die Massenar- wahrscheinlichen Annahmen aus, wie die Forscher beitslosigkeit die Entwicklung der Einkommen der einräumen. Dem Arbeitsmarkt werden in zwanzig sozial versicherten Beitragszahler in vielen Wirt- Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit deutlich we- schaftszweigen zum Stillstand, eine massive Kam- niger - zwischen 500.000 und vier Millionen - Frau- pagne der Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände en und Männer zur Verfügung stehen. (Brenke, nahm die Sozialversicherungen selbst ins Visier. 2017) Darunter litt auch das Rentensystem. Die beiden Forscher kommen zu dem Ergebnis: Seit sich Wirtschaft und Arbeitsmarkt nach der „Eine weitere Erhöhung der Erwerbsquote“ werde Finanzkrise erholten, stiegen auch die Einkommen „kaum hinreichend sein, um in der Zukunft einen sowie die Zahl der sozial versichert Beschäftigten Rückgang des Arbeitskräftepotenzials zu vermei- kräftig an. In der Folge legten auch die Renten zu. den“. Sie empfehlen, „Privilegierungen“, wie die 2011 auf 2012 etwa stiegen sie in Westdeutsch- beiden Ökonomen das nennen, „wie die Rente mit land noch um 2,18 Prozent, 2014 auf 2015 um 2,1 63“ oder die „Förderung der Altersteilzeit bei Steu- Prozent. 2015 auf 2016 kam die Erholung auf dem ern und Sozialabgaben“ zu beenden. Arbeitsmarkt bei den Rentnern an: Im Westen der Entlastung für die Rentenversicherung kommt Republik stiegen sie um 4,25 Prozent, im Osten so- nach Ansicht von Brenke und Clemens vom Aus- gar um 5,95 Prozent - was der schrittweisen land. Je weniger Arbeitskräfte dem Arbeitsmarkt in Angleichung der Ost- an die noch höheren We- Deutschland zur Verfügung stehen, um so eher strenten geschuldet ist. Und 2018 auf 2019 konn- steigen die Einkommen. Mit jeder Einkommensstei- ten die Renten West um knapp 3,2 und die Renten gerung werde Deutschland als Einwanderungsland Ost um 3,91 Prozent angehoben werden. für entsprechende Fachkräfte attraktiver. So wurden – mit Zeitverzögerung - nicht nur Zudem würden steigende Einkommen „die Un- Rentnerinnen und Rentner zu Teilhabern des ternehmen dazu zwingen, ihre Produktivität zu er- Wachstumsjahrzehnts. Die Rentenversicherung höhen”. Dafür gebe es „viel Spielraum”, denn: „In konnte auch ihre „Nachhaltigkeitsrücklage“ wieder Deutschland haben sich über Jahre Investitionen auffüllen. Denn 2005 war die Rücklage weitgehend und Produktivität schwach entwickelt”. aufgezehrt. Auf 1,7 Milliarden Euro oder 0,11 Mo- natsausgaben im Jahr 2005 war der Notgroschen im Jahr größter Massenarbeitslosigkeit zusam- Die Bevölkerungsforscher erwarten für die in mengeschmolzen. 2018, eine lange Boomphase den Jahren 2013/2015 Geborenen, dass sie die später, erreichte der Stand des Kontos Nachhaltig- 90er Jahre dieses Jahrhunderts noch erleben keitsrücklage 38,2 Milliarden Euro (Das entspricht können. 1,79 Monatsausgaben der Rentenversicherung). Diese guten aktuellen Zahlen können jedoch Andere Institute, andere Vorausrechnungen: Das über eines nicht hinwegtäuschen: Das Rentensys- Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB1) tem bleibt in gefährlichem Fahrwasser. Der Grund: etwa geht davon aus, dass die Zahl der Menschen, die zunehmende Alterung der Gesellschaft. In den die älter als 67 Jahre sind, von 16,2 Millionen in kommenden zehn Jahren wechseln die sogenann- 2020 über 19 Millionen in 2030 auf 21,4 Millionen in ten „geburtenstarken Jahrgänge“ von der Seite der 2040 ansteigen wird. Auf diesem Level werde es Beitragszahler auf die der Rentenbezieher. sich in den darauffolgenden Jahrzehnten halten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Zwei Faktoren sind für diese Entwicklung verant- (DIW) warnt zwar davor, Prognosen über die Ent- wortlich: Die seit Ende der 60er Jahre kräftig ge- wicklung der Erwerbstätigkeit abzugeben. Schließ- sunkene Geburtenrate und die gleichzeitig gestie- lich hätten sich die Annahmen, welche der letzten gene Lebenserwartung. In Industrie und Handwerk großen Rentenreform 2001 zu Grunde gelegt wur- wird heute nicht mehr so auf Verschleiß gearbeitet, den, so nicht bewahrheitet. wie vor vierzig oder fünfzig Jahren. Die überwie- Einige Jahre später verschätzte sich auch die gende Zahl der neuen Dienstleistungsjobs ist dies Rentenkommission unter dem Vorsitz von Bert ebenfalls nicht. Rürup, um mehrere hunderttausend Beiträge zah- Was früher nur Mitgliedern privilegierter Ober- lende Menschen - für die Betrachtung der Rente- schichten vergönnt war, ist in der Bundesrepublik nentwicklung nicht unerheblich (Rürup 2003). Deutschland zusehends Standard: Die Menschen Die DIW-Forscher Karl Brenke und Marius Cle- werden heute im Durchschnitt rund 80 Jahre alt. mens entwickelten daher verschiedene Szenarien, Männer, die 1980 das 65. Lebensjahr erreicht die auf unterschiedlichen Annahmen, etwa mit und hatten, konnten damals damit rechnen, noch knapp ohne Zuwanderung, mit weiterem Anstieg der Er- 13 Jahre zu leben, Frauen mehr als 16 Jahre. Die werbsquote oder nicht basieren. Die Bandbreite heute 65-jährigen haben eine Lebenserwartung reicht von einer unveränderten Zahl von Erwerbstä- noch von weiteren 17,8 (Männer) und 21 Jahren tigen bis 2040 bis hin zu einem Absturz im gleichen (Frauen) (BIB 1). Dossier Nr. 4, 01.2020 · Seite 9
Schrumpfen wird die Generation im Erwerbsalter. scheide auszufüllen, dann frage ich mich: Wie le- Je nachdem, welche Zuwanderung unterstellt wird, ben die?“ In den letzten Jahren tauchten bei ihm in werden 2030 der aktiven Generation (20 bis 67 Jah- der Beratung immer häufiger Selbstständige auf. re) nicht mehr fast 52 Millionen Menschen angehö- „Die hatten nicht mal eine Krankenkasse, nichts.“ ren, sondern nur noch 48,4 Millionen. Bis 2040 soll Wenn die krank würden, gingen sie nicht zum Arzt. es dann nach Rechnung des BiB noch einmal ab- „Unfassbar“, sagt Hauch. „In einem reichen Land.“ wärts gehen auf 44,8 Millionen. 2017 rechnete der WSI-Forscher Florian Blank Die Sicherheit, die der Bund mit seiner Garantie aus, dass jemand, der 45 Jahre zum damaligen von Rentenhöhe und Rentenbeitragssätzen bis Mindestlohn in der Pflege gearbeitet hätte, bei 2025 gewährt, ist keine Lösung der Probleme der knapp 48 Prozent Rentenniveau nur mit 614,99 Rentenversicherung. Es geht um den Gewinn von Euro Rente im Monat rechnen kann (Blank, 2017). Zeit. Bei einem Niveau von 46,4 Prozent wären es noch 598,23 und bei 42,7 Prozent - das entspräche nach Rechnung 2017 in etwa den Prognosen für 2040 - 1.7 Heutige Voraussagen spiegeln wären es gerade noch 555,53 Euro. arbeitsmarkt- und sozialpolitische Fehler der Nun ist es unwahrscheinlich, dass jemand 45 Vergangenheit wider Jahre auf dem Niveau des Mindestlohnes arbeitet, doch auch für Arbeitnehmer wären die Einbußen Die gegenwärtigen Prospektionen der Altersvorsor- beträchtlich. Bei einer Erzieherin geht es um 1300 ge sind auch das Eingeständnis, dass frühere Ren- statt 1456 Euro, ein Anlagenelektroniker in der Me- tenreformen wie auch die auf ein niedrigeres Ni- tall- und Elektroindustrie würde 200 Euro monat- veau abgebügelte Kultur der Arbeit zu sozial inak- lich einbüßen, wenn die Rente nicht befestigt wird. zeptablen Ergebnissen geführt haben und noch Für ihn geht es nach der Rechnung von Blank um weiter führen werden. 1697 statt 1896 Euro. Wie der Sand durch eine Sanduhr rieselt, schwindet zusehends die Schwankungsreserve der Rentenversicherung. Geschaffen wurde sie, Die heute Geborenen werden das Ende des um die im Jahres- und Konjunkturverlauf schwan- Jahrhunderts erleben kende Liquidität der Rentenkasse zu sichern. Im Juni 2019 war das Konto mit 40,1 Milliarden Euro Insbesondere für ehemalige Geringverdiener - per gefüllt - 2025 werden davon nach Rechnung der 31. Dezember 2016 waren das knapp 3,7 Millionen Deutschen Rentenversicherung gerade noch 6,8 Menschen - bedeutet der Wechsel in die Rente Milliarden übrig sein. schon heute, dass sie beim Sozialamt Grundsiche- Expertinnen wie Jutta Kerschbaumer, Abtei- rung beantragen müssen, um irgendwie über die lungsleiterin Sozialpolitik in der Vereinten Dienst- Runden zu kommen. Doch um diese Grundsiche- leistungsgewerkschaft (ver.di) gehen davon aus, rung im Alter zu beziehen, müssen sie ihr Eigentum dass im letzten Jahr der zweifachen Bundesrenten- auflisten. Erst wenn sie auch ihr Auto verkauft ha- garantie gerade noch Geld für einen viertel Monat ben, stockt das Sozialamt die Hilfe auf. Das ist noch Rentenzahlungen auf der hohen Kante liegen wer- der Stand der Rentenpolitik. Die Koalition hat verein- den. Das wäre nahezu das Niveau von 2005 – dem bart, statt des entwürdigenden Formularkriegs eine Jahr der großen Krise. Grundrente einzuführen. Der Koalitionskompromiss Die Konsequenz: Die Leistungen müssten sin- sieht nun eine eingeschränkte Bedürftigkeitsprüfung ken. Oder die Einnahmen der Rentenkasse müss- vor. Finanzämter und Rentenkasse sollen einen Da- ten steigen, sei es durch einen höheren Zuschuss tenabgleich über Einkommen der künftigen Rentner- aus Steuermitteln oder höhere Beiträge der Versi- innen und Rentner vornehmen und so automatisch cherten. herausfinden, ob eine Rente aufgestockt werden Jeder Eingriff in das Rentenrecht wird von den muss. Andere Einkünfte, etwa aus vermieteten Im- Bürgerinnen und Bürgern mit Argusaugen verfolgt. mobilien oder Wertpapierdepots, werden dabei er- Dafür gibt es gute Gründe. Die bislang letzten gro- fasst. ßen Reformen verkürzten den Anstieg der Renten Höchste Zeit, dass die Grundrente auch vom (Riesterfaktor) und führten zu erheblich längeren Bundestag beschlossen und verkündet wird. Denn Lebensarbeitszeiten. die Zukunft sieht weitaus düsterer aus. In den 20er Die Rentenschätzer sehen es so: Ohne Reformen Jahren gehen die ersten Jahrgänge in den Ruhe- müssten Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Jahr stand, durch deren Arbeitsleben sich Arbeit und Ar- 2030 21,9 Prozent Beiträge vom Einkommen be- beitslosigkeit, prekäre und Gute Arbeit sowie befris- zahlen. Das Rentenniveau jenes Jahres würde von tete und unbefristete Verträge abwechselten. Men- 48 auf 45,4 Prozent abgestürzt sein. schen, deren Arbeitgeber in die Insolvenz gingen, Doch je tiefer das Rentenniveau sinkt, um so die von Massenentlassungen betroffen waren und mehr Menschen sind im Alter arm. Helmfried die anschließend den Weg zurück in ihren Beruf Hauch: „Wenn ich manchen Leuten helfe, ihre Be- oder eine vergleichbare Tätigkeit nicht mehr fanden. Dossier Nr. 4, 01.2020 · Seite 10
Im Rahmen einer Fragestunde des Deutschen Bun- erreichten Lebensalter. „Die Ergebnisse für das destages wollte die Abgeordnete Sabine Zimmer- Jahr 2017 zeigen, dass die Vermögen der privaten mann (Linke) von der Vertreterin des Bundesminis- Haushalte zwischen 2014 und 2017 auf breiter Ba- ters für Arbeit wissen, wie viele Menschen abseh- sis zunahmen. Sowohl das durchschnittliche Net- bar als Rentnerinnen und Rentner Kunden beim tovermögen als auch der Median „sind deutlich an- Sozialamt werden könnten. Antwort: In Ost- gestiegen” (Bundesbank, 2019). Während die Bank deutschland verdient jede und jeder dritte Beschäf- sowie konservative Wirtschaftskreise die Null- tigte weniger als 2000 Euro brutto im Monat, im Zinspolitik der gegenwärtigen EZB-Führung kräftig Westen der Republik sind es immer noch zwischen kritisieren, zeigt die Studie einen positiven Effekt 12,4 (Baden-Württemberg) und 18,1 Prozent (Nie- auf: Das gesunkene Zinsniveau entlastet private dersachsen) der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- Haushalte mit Schulden. mer. (BMAS 5) Dass die Vermögen sich insgesamt nach oben bewegt haben, hat jedoch an ihrer höchst unge- rechten Verteilung wenig geändert. Im Schnitt ver- 1.9 Jenseits der drei Rentensäulen geht es im fügten alle Haushalte über ein Bruttovermögen von Alter noch ungleicher zu 262.500 Euro. Nach Abzug von Schulden verblei- ben 232.800 Euro. Die Medianwerte, die anzeigen, Viele Menschen versuchen zusätzlich auf eigene bei welchen Vermögen die Grenze zwischen den Faust ihren Lebensstandard im Alter zu sichern. oberen und den unteren 50 Prozent der Gesell- Genaue Statistiken gibt es darüber nicht. Unklar schaft verläuft, fallen weit niedriger aus - ein Zei- bleibt schließlich, mit welchem Ziel Vermögen ge- chen für ein massives Ungleichgewicht in der Ver- bildet wird. teilung: Der Median in der PHF-Studie liegt bei Besondere Bedeutung für den Lebensstandrard 70.800 Euro Vermögen nach Abzug von Schulden. im Alter kommt dabei dem Eigentum an einer Der Abstand von Mittelwert und Median um mehr selbst genutzten Wohnung oder an einem eigenen als den Faktor drei verweist auf eine enorme Ver- Haus zu. Die Finanzierung lässt sich (die großen mögenskonzentration am oberen Ende der Skala. Städte Deutschlands gegenwärtig ausgenommen) Der Gini-Koeffizient ist das wohl bekannteste In- für Bezieher mittlerer oder hoher Einkommen im strument zur Messung der Ungleichheit in einer Laufe des Erwerbslebens schaffen. Der Vorteil: Gesellschaft. Seine Skala reicht von Null bis eins, Wer im Alter keine Miete bezahlen muss, spart oder null bis 100. Erreicht er den Spitzenwert, ge- sich einen erheblichen Kostenblock, der Rentnerin- hörte das komplette Vermögen einem einzigen nen oder Rentner, die zur Miete leben, häufig fak- Menschen. Umgekehrt wäre die Verteilung bei ei- tisch arm machen. nem Koeffizienten von 0 absolut gleichmäßig über Insbesondere in den deutschen Großstädten ha- die Mitglieder einer Gesellschaft verteilt. ben die Mieten ein Niveau erreicht, dass Rentnerin- nen und Rentner häufig 40 Prozent ihres Einkom- mens und mehr für ihre Wohnung ausgeben müs- Konsumsicherung (in Jahren) durch Vermögen nach Höhe des Einkommens sen. und Vermögens Seniorinnen und Senioren leben zwar häufiger Medien Durchschnitt Medien Durchschnitt als der Bundesdurchschnitt in eigenen vier Wän- den. Der 5. Armuts- und Reichtumsbericht geht Nach Einkommen Nach Vermögen von einem Anteil von 58 Prozent aus (Bundesregie- 1. Dezil 0 2 J. 10 M. 0 0 rung 2018). 2. Dezil 4 M. 5 J. 8 M. 0 1 M. Allerdings ist auch hier die Verteilung sehr un- gleich. „Nur sieben Prozent“ der Rentnerinnen und 3. Dezil 9 M. 4 J. 4 M. 1 M. 2 M. Rentner im eigenen Heim seien „armutsgefähr- 4. Dezil 1 J. 4 M. 4 J. 8 M. 6 M. 7 M. det“. 5. Dezil 2 J. 2 M. 5 J. 11 M. 1 J. 4 M. 2 J. 1 M. In regelmäßigen Abständen interessiert sich die 6. Dezil 2 J. 4 M. 5 J. 6 M. 2 J. 11 M. 4 J. 9 M. Bundesbank für die Vermögensverteilung der Deutschen. Ihr Interesse gilt freilich weniger den 7. Dezil 2 J. 7 M. 6 J. 1 M. 4 J. 7 M. 6 J. 7 M. Lebenslagen der Frauen und Männer. Die Banker 8. Dezil 3 J. 2 M. 7 J. 7 M. 6 J. 9 M. 9 J. 5 M. erheben die Zahlen, weil sie wissen wollen, wie 9. Dezil 4 J. 8 J. 6 M. 8 J. 7 M. 12 J. 9 M. groß etwa die privaten Polster sind, die in Krisen- 10. Dezil 4 J. 10 M. 10 J. 16 J. 5 M. 24 J. 5 M. zeiten mobilisiert werden können. Zugleich zählt die alle drei Jahre stattfindende Befragung von fast 5000 Haushalten zu den großen Erhebungen mit Erklärung: Die Haushalte sind von unten nach oben nach der Höhe ihres Einkommens bzw. Vermögens geordnet. Sie sind eingeteilt in Gruppen, denen jeweils zehn Prozent der Haushalte Aussagekraft über die Verteilung von Armut und entsprechen. Die Jahre und Monate repräsentieren die durchschnittliche bzw. die mittlere Kon Reichtum. sumsicherung der jeweiligen Gruppe. Die Statistik der Notenbanker gibt vor allem Quelle: WSI-Verteilungsbericht (2017). Auskunft über die Vermögen in Abhängigkeit vom Dossier Nr. 4, 01.2020 · Seite 11
1.10 Vermögen sind extrem ungleich verteilt – Älteren sogar fast 80.000 Euro. Obwohl die niedri- in jedem Lebensalter ge Quote an der Gesamtbevölkerung schon an- zeigt, dass sich die Depot-Besitzer von der Masse Dieser Gini-Koeffizient bestätigt, was der hohe Ab- abheben, gibt es unter den Eigentümern von Wert- stand zwischen Mittelwert und Median schon ver- papieren eine soziale Schichtung. Und die ist er- muten lässt. Die Bundesbanker schreiben: „...der heblich, denn der Median liegt um den Faktor drei Gini-Koeffizient deutet mit einem Wert von 74 Pro- bis vier (je nach Altersgruppe) unter dem statisti- zent im Jahr 2017 auf eine weiterhin hohe Un- schen Mittel. gleichverteilung hin”. Explizit für das Alter sorgen im Laufe ihres Le- Kein Wunder: Den reichsten zehn Prozent der bens laut Bundesbank-Studie zwei Drittel der der- Deutschen gehört 55 Prozent des Nettovermö- zeit aktiven Generation vor. Zwischen 45 und 55 gens. Jahren haben 63 Prozent der Deutschen irgendei- Immobilien sind im Portfolio der Deutschen die ne Form von privater Altersversicherung. Wobei wichtigste Größe. „Der Median des Nettovermö- die angesparten Summen übersichtlich sind. Der gens für Eigentümerhaushalte lag im Jahr 2017 bei Durchschnitt liegt bei 40.000 Euro, der Median bei 277.000 Euro.” Mieterhaushalte zum Vergleich wei- 26.000 Euro. sen lediglich ein Vermögen von 10.400 aus. Von den jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Einschränkend wird in der Verteilungsdebatte nehmer übt sich ein Drittel in Konsumverzicht, um darauf verwiesen, dass die junge Generation in der für das Alter Geld zurückzulegen. Regel über geringe Vermögen verfügt und damit Ein Drittel dieser Gruppe nutzt dazu Riesterpro- das Gesamtbild zur Vermögenslage nicht wirklich dukte, so die PHF-Studie. Die Altersrücklagen der aussagekräftig ist. 16- bis 24-jährigen sind noch übersichtlich (Mittel: Die Bundesbank hat mit 5000 Befragten eine 3400 Euro; Median: 1900 Euro). ausreichend große Gruppe im Fokus, sodass sich Doch selbst wenn Rücklagen vorhanden sind, Aussagen über einzelne Altersgruppen treffen las- bedeutet das für viele Frauen und Männer keines- sen. Tatsächlich verfügen etwa 25 - 34jährige im wegs, dass sie aus ihrem Vermögen ihre Rente Mittel „nur“ über ein Gesamtvermögen von 64.500 dauerhaft spürbar aufstocken können. 40.000 Euro. Der deutlich niedrigere Medianwert von Euro auf dem Sparbuch ist je nach Perspektive 13.600 Euro zeigt wieder eine stark ungleiche Ver- eine ordentliche Summe. Wer sich davon im Alter teilung zwischen unten und oben an. Frauen und 500 Euro im Monat auszahlt, der hat nach sieben Männer im Jahrzehnt vor ihrer Rente (55 - 64) ver- Jahren nichts mehr in der Rücklage. fügen statistisch über ein Vermögen von 317.100 Euro - der Median liegt nun nicht mehr um den Faktor 5 sondern nicht einmal um den Faktor zwei WSI-Verteilungsbericht zeigt: Von ihren (180.900 Euro) darunter, die Extreme verlieren Vermögen können die meisten Deutschen dank eines stärker gewordenen Mittelfelds etwas nicht leben an Bedeutung. Mit dem Wechsel in die Rente nehmen die Ver- Der WSI-Verteilungsbericht 2017 schlüsselt die mögen ab. Sie werden aufgezehrt oder „mit war- Vermögen der Deutschen nach Altersgruppen auf. mer Hand“ vererbt. Dreißig Prozent der Seniorinnen und Senioren kä- Immobilien spielen auch bei den Vermögen der men mit ihrem Vermögen nicht weit. Zwanzig Pro- reiferen Jahrgänge eine erhebliche Rolle. Jeder zent der 55- bis 64-jährigen haben nicht einmal Zweite in der Rentnergeneration ist Eigentümer ei- Geld, um ihre Lebenshaltung auch nur für einen ner selbst genutzten Wohnung oder eines Hauses. Monat aufrecht zu erhalten. Weitere zehn Prozent Vergleichsweise viel Geld haben Seniorinnen kämen gerade einmal ein halbes Jahr über die und Senioren auf Sparkonten zurückgelegt. Dass Runden. sie keine Zinsen erwirtschaften, obwohl die Teue- Am anderen Ende der Vermögensskala sieht es rung weiterläuft, scheint nicht zu stören. Im Durch- bei den Älteren vollkommen anders aus. Die obe- schnitt liegt auf den Sparkonten ein Barvermögen ren fünf Prozent könnten fast 25 Jahre ihr ohnehin von 36.000 Euro. Der Median bei 18.000 Euro zeigt höheres Konsumniveau halten. Je mehr Vermögen auch hier an, dass es eine deutliche Konzentration in einem Haushalt vorhanden ist, umso geringer der Barschaften im oberen Bereich gibt. ist die Bedeutung privater und gesetzlicher Ren- Fonds, Aktien und andere Wertpapiere hütet da- tenversicherungen (Tiefensee, 2017). gegen nur eine Minderheit von knapp zwanzig Pro- Wenig überraschend aber dank der Erhebun- zent der Befragten zwischen 55 und 75 in ihren De- gen von Anita Tiefensee sichtbar ist der Zusam- pots. Die Quote fällt bei den noch älteren auf zehn menhang zwischen hohen Einkommen und hohen Prozent zurück. Vermögen. Die an ihrem Einkommen gemessen So vorhanden, sind diese Depots jedoch statt- oberen zehn Prozent der Gesellschaft haben auch lich gefüllt: Die 55- bis 75-jährigen hatten 2017 überdurchschnittlich viel auf der hohen Kante: für Werte um die 50.000 Euro in ihrem Bestand, die zehn Jahre und länger. Dossier Nr. 4, 01.2020 · Seite 12
Aus ökonomischer Sicht wäre es rational, wenn be- Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände ha- sonders Bezieher geringer und mittlerer Einkom- ben in den vergangenen Jahren immer wieder ver- men, die demnach auch geringe oder einfache Ren- sucht, der Entwicklung gegenzusteuern. Das Stich- ten erwarten, besonders vorsorgen würden. wort heißt tarifliche Sozialpolitik. Die wurde zum Die Wirklichkeit sieht anders aus. „Insgesamt Thema, als die Bundesregierung im Zuge der Ren- sorgen gerade Bezieher geringer Einkommen zu tenreform von 2001 das Rentenniveau absenkte wenig zusätzlich für das Alter vor. Während über und den Bürgerinnen und Bürgern empfahl, geför- alle Einkommensklassen hinweg rd. 30 Prozent der dert von der öffentlichen Hand in Systemen mit Ka- Befragten angaben, über keine Altersvorsorge zu pitaldeckung vorzusorgen. verfügen, sind es bei den Geringverdienern mit ei- Wer vier Prozent seines Entgeltes privat in eine nem Bruttolohn von weniger als 1500 Euro pro Riester- oder Basisrente abzweigte, sollte dafür je Monat knapp 47 Prozent.” (BMAS, 2016) Millionen nach Einkommen, mehr oder weniger kräftige För- sind ohne weiteren Schutz. Allein in der Gruppe derung erhalten. Wer per Entgeltumwandlung sein unter 1500 Euro Bruttoverdienst sind es 1,9 Millio- Alterskonto in einer betrieblichen Altersversor- nen Menschen. Zusammen gerechnet wartet eine gung mehrte, sollte sich die Beiträge zur Sozialver- ganze Großstadt Älterer auf den Gang zum Sozial- sicherung und Steuern zu den Sozialversicherun- amt. gen sparen können. Am besten sollten die Bürge- Gutverdiener dagegen verfügen zu 80 Prozent rinnen und Bürger beides tun. über eine Form privater Altersvorsorge. Wer dagegen sein Leben auf ein Bruttoeinkom- men von 4000 Euro und mehr im Monat baut, hat 1.12 Tarifliche Sozialpolitik: Ein neues Arbeits- nicht nur eine solide gesetzliche Rente in Aussicht. feld für Gewerkschaften Mehr als die Hälfte der Frauen und Männer in die- ser Altersklasse kann auch noch zusätzlich zu einer Hier tat sich für Tarifpolitiker ein neues Arbeitsfeld ordentlichen „Gesetzlichen“ auf eine Betriebsrente auf. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften zählen. gründeten gemeinsame Unternehmungen wie etwa die Metall- oder die Chemierente. Mit ihrer Hilfe sollten Beschäftigte ganzer Branchen gewon- 1.11 Betriebsrenten sichern Lebensstandard nen werden, die bislang noch keine entsprechende aber vertiefen ungleiche Verteilung Vereinbarung unterzeichnet hatten. Bis 2000 war die Landschaft der von den Sozial- So tut sich im Alter die Kluft zwischen Arm und partnern per Tarifvertrag organisierten Altersvor- Reich noch weiter auf als schon zu Beschäftigungs- sorgeeinrichtungen noch übersichtlich. In einer zeiten. Die Gesetzliche ist keine Garantie auf den Aufstellung über Modelle „Tariflicher Altersvorsor- Erhalt des Lebensstandards, die Absenkung des ge“ aus dem Jahr 2001 listete WSI-Forscher Rein- Leistungsniveaus von mehr als 50 auf nunmehr 48 hard Bispinck zahlreiche Beispiele auf, die zeigten, Prozent hatte die Lage der Älteren verschärft. Des- dass die Altersvorsorge sehr stark an lange Zuge- wegen spielen Vermögen und zusätzliche Einkom- hörigkeiten zu einem Betrieb oder einer Branche men aus Betriebsrenten und Versorgungswerken gebunden waren. Im Bauhauptgewerbe betrug eine erhebliche Rolle. etwa die Wartezeit, bis die Versicherung griff, 220 Dem über Jahrzehnte von wechselnden Bun- Monate – mehr als 18 Jahre. 60 Monate davon desregierungen empfohlenen idealen Mix aus ge- mussten in den neun Jahren vor dem Wechsel in setzlicher, betrieblicher und privater Altersvorsor- die Rente liegen. Sonst verfielen die Beiträge. (Bi- ge folgt trotz vielfach gerührter Werbetrommel spinck, 2001) und von interessierter Seite initiierten Kampagnen Im Bäckerhandwerk, das immer wieder Gesel- gegen die gesetzliche Rente nur ein übersichtlicher len an die Industrie verlor, mussten zehn Jahre un- Teil der Deutschen. unterbrochener Zugehörigkeit in einem Betrieb ge- Versichertenberater Helmfried Hauch hat auf- leistet werden, ehe aus Einzahlungen ein Anspruch grund seines Engagements auch für ver.di-Kolle- auf Rente erwuchs. Die Telekom war schon ein ginnen und -Kollegen viel mit Beschäftigten des Stück moderner. Sie hatte einen Tarifvertrag ge- Öffentlichen Dienstes zu tun, die in den Ruhestand schlossen, in dem die Beiträge zum Alterswerk des gehen wollen. „Ohne die Zusatzversicherung des Unternehmens einseitig vom Arbeitgeber geleistet Öffentlichen Dienstes kämen viele von ihnen nicht wurden - Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über die Runden.” Nach seiner überschlägigen konnten zusätzlich freiwillig einzahlen. Rechnung bringt allein die ergänzende Altersvor- Weiter führte Bispinck Regelungen im Finanzge- sorge ein Viertel bis ein Drittel dessen, was die ge- werbe, der Chemie, der Eisen- und Stahlindustrie setzliche Rente leistet. Zusammen genommen sei- oder Volkswagen auf. Sie hatten alle eines gemein- en das dann zwischen 1400 und 1600 Euro. „Damit sam: dass sie kaum etwas miteinander gemeinsam kann man keine Party feiern”, sagt Hauch. „Aber hatten. Ein Branchenwechsel etwa bedeutete, in es reicht zum Leben.” der Altersvorsorge von vorne anzufangen. Dossier Nr. 4, 01.2020 · Seite 13
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