Pfarrblatt Einsam? - Dompfarre St. Stephan
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PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 1 73. JAHRGANG · NR. 3 · WEIHNACHTEN 2018 Pfarrblatt Einsam? Schwerpunkt Wege aus der Einsamkeit und das Geschenk des Alleinseins Dompfarre PGR-Klausur ∙ Diözesanversammlung ∙ 70 Jahre Domeröffnung ∙ Dom-Beleuchtung Spirituelles Lieblingsgebet v. P. Georg Sporschill ∙ Heilige: Der „Sau-Toni“ ∙ Die Roratemesse Literatur Das ganze Leben in einem Tag
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 2 Inhalt Editorial ■ Editorial 2 ■ Wort des Dompfarrers ■ Warum die Einsamkeit so weh tut 4 3 Grüß Gott! ■ Lieben – der Weg aus der Einsamkeit 6 Dauer kann das belastend sein und zu ■ Von Gott und Welt verlassen – Vereinsamung innerhalb von Beziehun- Jeremia 7 gen führen. Ein persönlicher Gedanken- ■ War Jesus einsam? 8 stoß dazu: Der amerikanische Baptisten- pastor Gary Chapman hat vor vielen Jah- ■ Einsamkeit mit Maria durchleben 9 ren das Konzept der fünf Sprachen der ■ Die »Weihnacht der Einsamen« Liebe entwickelt. Er benennt fünf Wege, in St. Stephan 10 wie Menschen ihre Liebe mitteilen: ■ »Alles schläft, einsam wacht …« 11 durch Lob und Anerkennung; das Ver- ■ Beziehungspflege bringen gemeinsamer Zeit; mit Geschen- ist Altersvorsorge 12 ken, die von Herzen kommen; durch prak- ■ Den Himmel spüren tische Hilfe und durch Körperkontakt. und der Erde vertrauen 13 Keine dieser Sprachen ist besser oder er- ■ Mut zu Stille und Einsamkeit 14 strebenswerter. Viele Menschen fühlen ■ »…zudem ist immer einer da« 15 „Die schlimmste Armut ist Einsamkeit sich ungeliebt, weil ihre Eltern, Partner und das Gefühl, unbeachtet und uner- usw. ihre Liebe anders kommunizieren. ■ Gut und glücklich allein leben 16 wünscht zu sein“, behauptete Mutter Wenn z.B. der eine sich nichts sehnlicher ■ Jung und einsam 17 Teresa und nannte diese Form von Ein- wünscht, als mit dem anderen gemein- ■ Mönch und Zönobit – samkeit „Lepra des Westens“. Die zuneh- sam etwas zu unternehmen, stattdessen allein und gemeinsam 18 mende Vereinsamung besonders der äl- aber ein teures Geschenk (für das der an- ■ Wo zwei oder drei ... 18 teren Bevölkerung ist eine wunde Stelle dere vielleicht lange gespart hat) be- ■ Vom Sinn der Schwermut 20 unserer westlichen Gesellschaft. Aber kommt, ist das ein klassisches Beispiel ■ »Ich bin’s gewohnt, Einsamkeit ist keine Frage des Alters dafür, dass zwei einander aufrichtig Liebe allein zu sein« 21 oder der Lebensform. Sie betrifft Jung schenken möchten und dennoch dabei ■ Alleinsein bedeutet für mich … 22 und Alt, Alleinstehende genauso wie beide enttäuscht werden. Verheiratete oder solche, die in Gemein- Könnte das nicht eine Anregung für ■ Die Einsamkeit beflügelt 24 schaften leben. das Weihnachtsfest und das neue Jahr ■ Der Dom zeigt sich in neuem Licht 26 Aber es gibt auch die positive Form sein, sich zu überlegen „wann fühle ich ■ Die heilige Elisabeth des Alleinseins: eine Einsamkeit, die mich besonders geliebt“? Und wie steht im Stephansdom 27 kreative Kräfte freilegt, die in Berührung es um die Menschen rund um mich? ■ Die Riesenorgel kommt zurück 28 bringt mit dem tiefsten Grund der eige- Spreche ich ihre Sprache der Liebe? Wer ■ Diözesanversammlung 30 nen Seele und mit Gott. Jesus suchte im- braucht ein ermutigendes Wort, wer ei- mer wieder das Alleinsein, um sich in der ne herzliche Umarmung? ■ Pfarrgemeinderatsklausur 31 Stille ganz mit Gott zu verbinden und So wünsche ich Ihnen, dass Sie sich ■ Chronik 32 seine Gedanken am Willen seines Vaters von Gott geliebt wissen und Ihre Familie, ■ Blitzlichter aus St. Stephan 33 auszurichten. Zugleich verschweigt die Freunde und alle, die Ihnen anvertraut ■ »Bau mein Haus auf!« 34 Heilige Schrift nicht, dass es selbst im Le- sind, mit jener Liebe beschenken, die sie ■ 70 Jahre Domeröffnung 35 ben Jesu, der Propheten und aller, die brauchen. Dass Gott die Liebe ist, ist kei- ■ Das ganze Leben in einem Tag 36 versuchen, ihren Weg mit Gott zu gehen, ne abstrakte Wahrheit, sondern eine das Gefühl von Alleingelassensein und ganz konkrete Wirklichkeit: er wurde ein ■ Steffl 37 Gottverlassenheit gibt. hilfsbedürftiger Mensch, der Windeln ■ Die Roratemessen 38 In dieser Ausgabe betrachten Men- benötigt, dessen Hunger gestillt werden ■ Mein Lieblingsgebet 39 schen in sehr berührender Weise einsa- muss, der Ansprache und liebevolle Zu- ■ Heilige: Antonius der Große 40 me Momente in ihrem Leben und wie sie wendung braucht – damals – ebenso ■ Weihnachtsgottesdienste damit umgehen. Der Weg aus der Ein- wie heute! im Pfarrgebiet von St. Stephan 41 samkeit führt über die Liebe. Ein gesegnetes Weihnachtsfest ■ Gottesdienste zu Weihnachten 42 wünscht Ihnen Sprachen der Liebe Martin Staudinger ■ Termine 44 Menschen drücken ihre Liebe sehr unter- ■ Zum Nachdenken 48 schiedlich aus, nicht selten aber kommt ■ Impressum 48 die Liebe beim anderen nicht an. Auf Ihre Birgit Staudinger 2 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 3 Wort des Dompfarrers Liebe Freunde! Nie allein unterwegs knüpfen und auszurichten. In den Semes- Mit großer Dankbarkeit weiß ich mich im terferien mache ich dann seit Jahren die Dom gut aufgehoben. Ob es in der Früh- sehr wohltuende Erfahrung des Fasten- messe mit wenigen Besuchern ist, oder wanderns. Völligen Abbruch tun an Spei- auch bei der dicht bis auf den letzten se und Trank, um nur bei Tee, Wasser und Stehplatz ausgefüllten Mitternachtsmet- Saft schon nach drei Tagen eine neue te. Sogar auf der Turmspitze des 137 Meter Wahrnehmung von Welt und Leben zu hohen Südturmes, die ich heuer zum 55. machen. Mit großem Abstand zur alltägli- Mal mit Unterstützern bestieg, weiß ich chen Arbeit in der Natur vielleicht ein we- mich getragen von dem tief in meinem nig einsam aber doch dicht erfüllt von Herzen sitzenden Gefühl und meiner dem zu sein, was wahre Kraft und Freude Überzeugung, ich bin nie allein unter- schenkt. Nach einer solchen Fastenwoche wegs. Mein Gott, der mich über Mauern wieder vorsichtig in die normale Welt ein- springen lässt und mit dem ich Wälle er- zutauchen und damit viele über uns ein- stürmen kann, ist immer bei mir. Und die- strömende Reize doch ein wenig relativie- Rückzugs, um dann aufzubrechen und se tragende Glaubenserfahrung möchte ren zu können ist der große Gewinn an ei- wieder ganz am Leben teilzunehmen. ich auch anderen weitergeben. Und will ner solchen ruhigen Woche. sie immer neu auch von Gott selbst reini- Auch in der Einsamkeit geborgen gen und festigen lassen. Da tun mir Tage Selbstgewählte Einsamkeit Das Titelbild unseres Pfarrblattes zeigt uns der Ruhe und Einkehr sehr gut. Selbstgewählte Einsamkeit war für mich eine sogenannte Schreinmadonna. Maria, auch ein Thema, als ich meinen alten Bu- Mutter und Urbild der Kirche, beherbergt Abstand gewinnen und still werden bentraum verwirklichte, einmal einige eine große Anzahl von Frauen und Män- Kein Advent beginnt bei mir ohne fünf Ta- Zeit auf einer einsamen Insel mit Leucht- nern in ihrem Herzen, gerade auch in den ge Schweigeexerzitien davor. Sonst wür- turm zu verbringen. Die „Hardcore-Varian- Zeiten, wo wir uns vielleicht vielfach unge- de ich wahrscheinlich auch den dichten te“ wäre in der tosenden Nordsee gewe- wollt in einer einsameren Phase unseres Le- Terminkalender mit den vielen Advent- sen: Dort – ohne Handyempfang – ausge- bens befinden oder auch nur fühlen. Möge und Weihnachtsfeiern nicht sinnvoll setzt, wird man nach sieben Tagen wieder das Fest von Weihnachten für alle erfahrbar durchhalten können und hoffentlich mit von einem Schiff abgeholt. Ich entschied machen, dass Gott auch gerade in den ein- positiver Spannkraft auch mitgestalten mich dann doch in einem Sommer vor samen Herzen neu zur Welt kommen will. können. Sind diese Tage dann einsam, über zehn Jahren für eine Leuchtturm-In- Meine besten Segenswünsche für eine wenn man in der Gruppe versucht zu sel vor der kroatischen Küste bei angeneh- fröhliche und besinnliche Weihnachts- schweigen und zu meditieren? Man wird meren Temperaturen und zumindest ein zeit wünscht Ihnen und erbittet mehr als sonst auf sich selbst zurückge- paar Metern Auslauf rund um den Turm. worfen, aber gerade in dieser Stille und Für jeden Tag nahm ich mir jeweils ein in- Kontemplation ist die Chance, sich selbst teressantes Buch mit, und für Essen und am Seelengrund neu zu finden und so Getränke war auch gesorgt. Eine wunder- auch seine Beziehung mit Gott neu zu schöne und erfüllende Erfahrung des Ihr dankbarer Toni Faber Titelseite: Die Schreinmadonna (um 1420–1430) ist eine Leihgabe der Pfarre Schwarzau am Steinfeld an das Dom Museum Wien. Im geschlossenen Zustand ist die Muttergot- tes auf einem von Engeln getragenen Thron dargestellt. Öffnet man den Schrein, ist Maria als Schutzmantelmadonna zu sehen: Sie breitet ihre Arme über Frauen und Dompfarrer: Suzy Stöckl | Lena Deinhardstein, Lisa Rastl Männer aus. Zentrales Motiv im Schreininneren ist die Trinität, die in Form des Gna- denstuhls dargestellt ist, wobei sowohl das Kreuz mit Jesus (das Gottvater üblicherwei- se in seinen Händen hält) als auch die Taube heute verloren sind. Außergewöhnlich: die formale Verbindung zwischen Maria und Gottvater: Ihre Hüften bilden gleichzeitig die Schultern von Gottvater, beide Personen sind untrennbar verbunden. Diese und viele weitere Kostbarkeiten sowie interessante Sonderausstellungen sind im Dom Museum Wien, Stephansplatz 6, 1010 Wien zu sehen. www.dommuseum.at Tel. +43 1 51552 5300 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018 3
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 4 Einsam? Warum die Einsamkeit so weh tut Arnold METTNITZER über die Sehnsucht nach Liebe, den Schmerz er dazugehören darf, zeigen zu können, der Einsamkeit und wie der Einzelne diesem entgegenwirken kann. dass er etwas kann. Wenn eines dieser seiner beiden Be- Die Neurobiologen versichern uns: Die Schlag zur Hölle auf Erden wird. Betrof- dürfnisse nicht gestillt werden kann, größte Sehnsucht des Menschen ist der fene wissen nicht nur um die fehlende dann leidet ein Mensch und nimmt das andere Mensch! Oder, wie es bereits Pa- Liebe, sie klagen über den Schmerz der als tiefen inneren Schmerz wahr. Der racelsus formuliert: „Der Mensch ist des Einsamkeit, vor allem aber über die noch Ausschluss aus einer Gemeinschaft tut Menschen beste Medizin, das beste Maß viel schlimmere „Einsamkeit zu zweit“, einem Menschen weh, und wer daran dafür ist die Liebe!“ Gerade zur Weih- jenes leblose, freudlose, wortlose Ne- gehindert wird, zu zeigen, was er kann, nacht rufen wir uns gegenseitig diese beneinander, in dem der eine den ande- muss auch das als tiefen inneren Liebe in Erinnerung. Gerade zur Weih- ren „nicht einmal mehr ignoriert“. Schmerz empfinden. Seine einzige Ret- nacht aber wird uns auch diese in unse- tung kann nur darin bestehen, Gemein- ren kleinen und großen Gemeinschaften Gründe für Einsamkeit sind im- schaften zu finden, in denen er sich ge- fehlende Liebe ganz besonders schmerz- mer einzigartig borgen fühlt und die ihm Möglichkeiten lich bewusst. Die Gründe für die Einsamkeit eines bieten, unverwechselbar zeigen zu kön- Dort, wo Glück über Nacht zum Un- Menschen sind vielfältig und immer ein- nen, dass er etwas kann. glück wird, Partnerschaften zerbrechen zigartig. Leo Tolstois Roman „Anna Kare- und der erhoffte Himmel mit einem nina“ beginnt ganz in diesem Sinne mit Die goldene Regel dem Satz: „Alle glücklichen Familien Als Religionslehrer habe ich deshalb mei- sind einander ähnlich, jede unglückliche ne Schüler eingeladen, aus all unseren Gebet für die Irren und Sträflinge Familie ist unglücklich auf ihre Weise.“ gemeinsamen Unterrichtsstunden ledig- Alles Unglück ist individuell. Und alles lich einen Grundsatz mit ins Leben zu IHR, von denen das Sein Unglück führt in tiefe, tiefe Einsamkeit! nehmen, den sie sich ins Herz schreiben leise sein großes Gesicht Darum tut die Einsamkeit so weh! Sie sollten. Dieser Grundsatz nennt sich „Die wegwandte: ein schmerzt wie eine Amputation, die uns goldene Regel“, findet sich in der Bibel vielleicht Seiender spricht das Herz aus dem Leib zu reißen scheint. und lautet: „Alles, was ihr wollt, dass die Warum ist das so? Weil jeder Mensch Menschen euch tun, das tut ihnen eben- draußen in der Freiheit mit zwei Erfahrungen auf die Welt so“. (Tob 4,16; Mt 7,12; Lk 6,31) Oder in der langsam bei Nacht ein Gebet: kommt, die er bereits in den ersten Mo- rabbinischen Übersetzung des biblischen daß euch die Zeit vergeht; naten seins Daseins im Mutterleib ge- Liebesgebotes: „Liebe Deinen Nächsten, denn ihr habt Zeit. macht hat, sie nie mehr vergessen kann er ist wie Du!” und zeitlebens danach trachten wird, sie Das führt mit etwas Glück in die wun- Wenn es euch jetzt gedenkt, zu wiederholen: derbare Erfahrung eines „heiligen Tau- greift euch zärtlich durchs Haar: sches“: Anderen helfen zu können, hilft alles ist weggeschenkt, Sehnsucht nach Geborgenheit dir! Andere tragen zu können, trägt dich! alles, was war. und persönlicher Entfaltung Wer das am eigenen Leib erfährt, Die erste dieser seiner beiden Erfahrun- weiß, dass er durch das, was er aus frei- O, daß ihr stille bliebt, gen besteht darin, mit der Mutter im en Stücken anderen tut, selbst be- wenn euch das Herz verjährt; Mutterleib aufs Engste verbunden ge- schenkt wird, wie zwei Brüder, von de- daß keine Mutter erfährt, wesen zu sein und aus dieser wohltuen- nen man sich erzählt, sie hätten mitei- daß es das giebt. den Erfahrung heraus nach seiner Ge- nander den von ihren Eltern geerbten burt bis zum Ende seines Lebens darauf Bauernhof bewirtschaftet und am Ende Oben hob sich der Mond, zu hoffen, es möge da draußen in der den Ertrag der Ernte geschwisterlich ge- wo sich die Zweige entzwein, Welt so weitergehen, er möge verbun- teilt. Nachts hätten sie beide nicht schla- und wie von euch bewohnt den bleiben, geborgen sein und ein Le- fen können: Der eine denkt: „Mein Bru- bleibt er allein. ben lang nicht allein gelassen werden. der hat eine große Familie und braucht Und auch seine zweite, bereits im Mut- mehr als ich zum Leben. Ich will um Mit- Rainer Maria Rilke terleib gemachte Erfahrung, nämlich ge- ternacht etwas von meinen Garben in (Aus: Die Gedichte, Insel Verlag, wachsen zu sein und sich entfaltet zu seine Scheune tragen…“ Der andere Frankfurt am Main und Leipzig 2006, haben, hofft er nach seiner Geburt ein denkt: „Mein Bruder ist allein. Im Alter 413–414) Leben lang machen zu dürfen: dort, wo wird er niemanden haben, der für ihn 4 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 5 Die Autoren Mag. Karin DOMANY, pens. Religionspädagogin, PGR St. Stephan Toni FABER, Dompfarrer St. Stephan Dr. Annemarie FENZL, Kardinal König-Archiv, eh. Leiterin des Wiener Diözesanarchivs Peter FRIESE, Gastronom Reinhard H. GRUBER, Domarchivar von St. Ste- phan P. Dr. Felix GRADL, Guardian im Franziskaner- kloster in Wien P. Dr. Anselm GRÜN OSB, Mönch der Abtei Münsterschwarzach, Buchautor Mag. Stefan JAGOSCHÜTZ, Domkurat in St. Ste- phan, Aushilfsseelsorger im Pfarrverband „Oberes Schmidatal“ Domkap. KR MMMag. Dr. Roland Peter KERSCHBAUM, Pfarrer von Elsbethen, Diözesankonservator Dagmar KOLLER, Sängerin, Schauspielerin Mag. Markus LANDERER, Domkapellmeister von St. Stephan Prof. Dr. Martin M. LINTNER OSM, Prof. für Moraltheologie an der Philosophisch-Theolo- gischen Hochschule Brixen P. Walter LUDWIG OCist, Pfarrer und Prior des Neuklosters Wiener Neustadt Sr. Agnes Maria MAYER OCD, Karmel St. Josef am Hanschweg in Wien Dr. Arnold METTNITZER, Psychotherapeut und Theologe Hubert NEUPER, Unternehmer, Eventmanager Dr. Raphaela PALLIN, Theologin der Erzdiözese Wien, derzeit Offizial am Päpstlichen Rat zur Förderung der Neuevangelisierung Prof. Dr. iur. Rotraud A. PERNER, B / MTh (evang.), Psychotherapeutin/ PA, Gesund- heitspsychologin, dipl. Sozialtherapeutin, Akad. zert. Erwachsenenbildnerin (PH Wien), evang. Theologin/ Pfarrerin. i. E./Projekt- und Unternehmensberaterin, Diplommediatorin, Feldsupervisorin (ÖBVP), Coach P. Nikolaus POCH OSB, Pfarrmoderator von St. Ulrich 1070 Wien, Novizenmeister, Studen- tenseelsorger Iris / Michael PODGORSCHEK, Lichtplaner podpod design Dr. Veronika PRÜLLER-JAGENTEUFEL, Theol. Referentin der Caritas der Diözese St. Pölten, Seelsorgerin im Haus St. Elisabeth Prälat Karl RÜHRINGER, em. Domdekan, em. Bischofsvikar Wien- Stadt Das freudlose, wortlose Nebeneinander, in dem der eine den anderen „nicht einmal DI Dr. Thomas RUTH, Director Air Traffic Management Operations Frequentis AG mehr ignoriert“, wird als besonders schmerzvoll erlebt. Gerda ROGERS, Astrologin und Radio- moderatorin Dr. Andreas SALCHER, Unternehmensberater, sorgt. Ich will um Mitternacht etwas von Buchautor Karl SCHLÖGL, Bundesminister a.D., eh. meinen Garben in seine Scheune tra- Bürgermeister von Purkersdorf gen...“ Um Mitternacht begegnen einan- Johannes SILBERSCHNEIDER, Schauspieler Mag. Birgit STAUDINGER, Theologin der die beiden Brüder - jeder in seinen Claudia STÖCKL, Radiomoderatorin bei Ö3 Mag. Christian SZABADY, Psychologe bei Händen die Garben für den anderen… „147 Rat auf Draht“ P. Georg SPORSCHILL SJ, Elijah Soziale Werke Br. Raimund von der THANNEN, Benediktiner- Aneinander-Denken stift St. Lambrecht Prof. P. Dr. Kosmas THIELMANN OCist, Pfarr- und beschenken Arnold Mettnitzer moderator, Hochschule Benedikt XVI. Heili- genkreuz Diese kleine Geschichte beantwortet ge- ist Theologe und Em. Univ.-Prof. Prälat Dr. Josef WEISMAYER, radezu „spielerisch“ die Frage, was ich Psychotherapeut Rektor des Stephanushauses der Erzdiözese Wien als Einzelner gegen die Not und Einsam- Erwin WURM, Bildhauer, Künstler Mettnitzer: Paloma Schreiber | Großmann /pixelio.de Josefine Maria ZITTMAYR, Angestellte, Autorin, keit vieler Menschen tun kann: derer Menschen nicht vorübergehen Geistliche Begleiterin und Meditationsleite- „Aneinander-Denken“ ist ansteckend kann, wirkt Wunder. Diese seine Gedan- rin nach benediktinischer Tradition, Diplom- lebensberaterin und hochwirksam gegen die Not und ken aber lassen ihn erst dann zur Ruhe Einsamkeit vieler Menschen. Gedanken, kommen, wenn er bereit ist, ihnen ent- Redaktion wir können sie auch Gebete nennen, sprechend zu handeln. Und zu guter Redaktionsleitung: Mag. Birgit STAUDINGER Lektorat: Mag. Karin DOMANY, Reinhard H. sind wunderwirkende Mächte. Wer als Letzt wird er selbst dadurch beschenkt GRUBER, Daniela TOLLMANN Mensch unter Menschen mit offenen sein und nicht zu sagen vermögen, wer Redaktionsteam: Dompfarrer Toni FABER, Diakon Erwin BOFF, Mag. Karin DOMANY, Augen und einem ebenso offenen Her- von den beiden den anderen mehr be- Mag. Heinrich FOGLAR-DEINHARDSTEIN, Reinhard H. GRUBER, Anneliese HÖBART zen durch die Welt und so an der Not an- schenkt hat. ■ Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018 5
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 6 Einsam? Lieben – der Weg aus der Einsamkeit Wie lernen wir Zeiten des Alleinseins sinnvoll und gut zu gestalten? Wie lernen wir zu lieben? Rotraud PERNER über wichtige frühkindliche Entwicklungsprozesse und die Kunst des Liebens. Mut und Vertrauen sind gefragt, sowie die Bereitschaft, eigene Grenzen zu erweitern. Inspiration „erlaubt“ ist (und nicht als en voraus: ist ja nicht so einfach – diese „Spinnerei“ verboten wird). Sie zählt zur Erweiterung unserer engen Grenzen. menschlichen „Gottebenbildlichkeit“ und damit auch zum Verbindungspotenzial Grenzen aushandeln Rotraud A. Perner und zur „Gottverbundenheit“. statt Rückzug in gut ist Psychoanaly- abgegrenzte Einsamkeit tikerin, evangeli- Lieben lernen durch Viele fürchten diese Entgrenzung, weil sche Theologin und Identifikation mit Vorbildern sie nur die eine Seite wahrnehmen – den Hochschulpfarrerin Üblicherweise entwickeln sich all diese Verlust von Panzerung und Abschottung im Ehrenamt Wahrnehmungs- wie Handlungs-Ner- – die sie für Stärke und Widerstandshär- venzellen aus der Beobachtung, Imitati- te halten, und nicht die andere den Ge- Alles was wir können, haben wir „ge- on und daher unbewussten Identifikati- winn an Lebendigkeit. Sie ziehen sich lie- lernt“ – denn „lernen“ bedeutet, Wahr- on mit einem Vorbild. Dabei ist es egal, ber in gut abgegrenzte Einsamkeit zu- nehmungs- und Handlungs-Nervenzel- ob das ein körperlich präsentes Lebewe- rück als Grenzen mit anderen auszuhan- len zu bilden. Und je intensiver diese ver- sen – bevorzugt ein Mensch – ist oder deln. In Märchen – narrativen Psycholo- netzt sind, desto intelligenter und auch ein virtuelles wie etwa in Filmen. Leider gielehrbüchern – sind es die „versteiner- kreativer ist jemand. demonstrieren gerade letztere selten all- ten“ Prinzen oder die Prinzessinnen hoch tagstaugliche Modelle eines prosozialen oben auf Glasbergen, die der Erlösung Kreative, liebevolle Miteinanders und Füreinanders. Das gilt durch Liebe harren. Im Alten Testament und soziale Einsamkeit meist als „fad“. Zu wenig rasante „ac- ist es das „verstockte“ Herz des Pharaos, Auch Einsamkeit muss erlernt werden: tion“. Man könnte ja die eigene innere das erst in der Trauer um den Verlust des die kreative Einsamkeit „sich allein sinn- Leere spüren ... Dabei braucht es diesen geliebten Sohnes die Panzerung nicht voll beschäftigen zu können“ wie auch die „Freiraum“ fürs Lieben. mehr aufrechterhalten kann. Manche liebevolle Einsamkeit „es mit sich selbst Liebende Herzöffnung braucht Zeit. Menschen werden erst in der Trauer ge- auszuhalten“. Dazu braucht man die kör- Und sie macht verletzlich. Besonders wahr, dass sie geliebt haben. ■ perliche Kraft des Greifens und Gestal- dann, wenn Konflikte nicht herzoffen ge- Meine engen Grenzen – tens – und die hat man erst gegen Ende klärt und bereinigt werden. meine kurze Sicht – bringe ich vor dich. des zweiten Lebensjahres. Genau zu die- Deswegen identifizieren sich viele Wandle sie in Weite: Herr erbarme dich. ser Zeit beginnen Kleinkinder auch ihren lieber (unbewusst) mit Tieren, ja sogar Bezugspersonen gelegentlich wegzulau- mit Maschinen – mit „Totem“. Da erspart fen oder sie gar wegzustoßen. Leider wer- man sich Widerrede. Davor – vor der Ab- den viele dann geschimpft oder bestraft spaltung „weicher“, eben menschlicher und „lernen“ so die geheime Botschaft Gefühle – hat der deutschamerikanische „Ich muss immer da – nämlich unter Kon- Soziologe und Psychoanalytiker Erich trolle anderer – bleiben“ und bekommen Fromm sorgenvoll gewarnt. dann oft quasi „Entzugserscheinungen“, wenn niemand da ist. Dabei ist aber im- Lieben lernen, indem mer wer (was) da – und wenn es nur eine wir geliebt werden kleine Fliege ist. Oder ein anderer Teil des Die Wahrnehmungsneuronen des Lie- „Environments“, der Natur – oder Schöp- bens erwerben wir hoffentlich schon als Rotraud Perner hat zahlreiche lesens- fung (dessen Ursprung, „Schöpfer“ ge- Babys im Austausch mit einer Person, die werte Bücher zur Thematik verfasst. nannt, mitgemeint), wenn man das, was uns Liebe entgegenbringt. In deren Augen Zwei davon: Der einsame Mensch, Perner: waldviertel-akademie damit symbolisiert wird (und wovon man Glanz aufleuchtet, wenn sie uns liebend Amalthea 2014 und neu erschienen: sich kein Bild machen soll und realisti- ansieht und uns „das Herz aufgehen“ Lieben! Über das schönste Gefühl der scher Weise auch kann), so benennen will. lässt. Ob wir als Erwachsene dann andere Welt – für Anfänger, Fortgeschrittene Später könnte auch soziale Kreativi- in ihrer Personhaftigkeit ganz in uns auf- und Meister, Verlag Orac im tät dazu kommen – wenn die „geistige“ nehmen können – setzt Mut und Vertrau- Kremayr & Scheriau Verlag, 2018. 6 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 7 Von Gott und Welt verlassen – Jeremia An seinen Vorhaben zu scheitern, von der eigenen Familie verstoßen zu werden, sich verlassen zu fühlen, das ist nie eine einfache Situation im Leben. Was aber, wenn man alles auf eine Karte – auf Gott – gesetzt hat und sich dann plötzlich von ihm im Stich gelassen wähnt? P. Felix GRADL OFM über den Propheten Jeremia Auch der glaubende Mensch chern und in ihrem Glauben erschüt- bleibt nicht vom Gefühl tern. Schließlich fällt in seine Zeit der P. Felix Gradl der Verlassenheit verschont Niedergang und Unterganges des Rei- war bis 2012 Prof. „...weh dem der keine Heimat hat“, endet ches Juda und die Zerstörung Jerusa- für Altes Testament das berühmte Gedicht von F. Nietzsche, lems. an Rel.-päd. Hoch- dem er den Titel „Vereinsamt“ gab. In der schule E. Stein Advent- und Weihnachtszeit ist beson- Ganz Gott vertrauend – (Stams) und ist seit ders viel von Familie, Zusammensein gescheitert – einsam 2014 Guardian im und Liebe die Rede. Gerade das fällt frei- Er wusste sich „ganz von Gott in Dienst Franziskanerkloster lich vielen auf den Kopf, die dann ihr Al- genommen“ (N. Füglister), er hat diesen in Wien leinsein umso intensiver spüren. Auftrag – ob seiner Jugendlichkeit ein Auch der glaubende Mensch ist da- wenig zögernd, aber im Vertrauen auf Kreis der Lustigen und nicht war ich von nicht verschont. Im Leben Jesu sel- seinen Gott bereitwillig angenommen. fröhlich: unter der Macht deiner Hand ber gibt es Momente der Verlassenheit In seinem jugendlichen Eifer mag er sitze ich einsam“ (15,17). (vgl. Mk 14,34ff; 15,34). Viele der „großen“ wohl auch etwas „blauäugig“ gewesen Er verwünscht den Tag seiner Geburt Heiligen haben solche Erfahrungen ge- sein - wie ein „zutrauliches Lamm“, das (15,10; 20,15): Gottes Wort war sein Le- macht. keine Ahnung hat, dass man es zum ben, war ihm Glück und Freude (15,16) - „Innerhalb der hebräischen Bibel“ Schlachten führt (11,19). Seine eigenen doch alles hat sich zum Bitteren gewan- stellt der Prophet Jeremia „das Extrem Verwandten suchten sich seiner zu ent- delt. Gott ist ihm zum „Wadi“ (trügeri- dessen dar, was einem Propheten wider- ledigen. Er blamierte sie, sie kamen sei- sches Gewässer) geworden, auf den ist fahren kann“ (G. Fischer). Über ihn und netwillen in Verruf. Also - muss er weg. kein Verlass, ganz im Gegenteil: „Du hast sein Schicksal sind wir relativ gut unter- Von höchster Stelle wurde er angefein- mich betört und ich ließ mich betören“ richtet. Nicht dass sich eine Biographie det, gefangen gehalten, in eine Zisterne (20,7) – wie ein naives Mädchen bin ich im heutigen Sinne schreiben ließe - his- geworfen, in deren Schlamm er beinahe dir auf den Leim gegangen. Das Ende torisch-kritische Überlegungen zu den umkam. Seine, das ist Gottes Botschaft vom Lied – allein gelassen auf allen Ebe- einzelnen Schrifttraditionen müssen in wurde nicht gehört: Er musste seinen nen. Auf eine liebende Frau musste er unserem Zusammenhang unberücksich- Auftrag als gescheitert ansehen. Das verzichten: Im Dienste seiner Verkündi- tigt bleiben -, aber in seinen sogenann- führte zu einer inneren Zerrissenheit, er gung durfte er nicht heiraten (Kap. 16), ten „Confessiones“ („Bekenntnissen“) führte Klage, bittere Klage mit seinem der einzige Fall im Alten Testament. hat er uns einen deutlichen Einblick in Gott, von dem er sich im Stich gelassen sein Leben gewährt. Es handelt sich um fühlte, allein. Freunde, aufmunternde Trotzdem nicht ohne Gott Texte im Buch Jeremia, die als Gebete, Gesellschaft gab es nicht: „Nie saß ich im Trotzdem – in aller Verbitterung – konn- Bitten und Klagen formuliert, Aufschluss te er von seinem Gott nicht lassen: „Sag- darüber geben, was in seinem Inneren te ich aber: Ich will nicht an ihn denken vor sich geht. und nicht mehr in seinem Namen spre- Ein paar äußere Daten: Jeremia, chen!, so brannte in meinem Herzen ein wohl der Sohn eines Priesters in der Nä- Feuer …“ (20,9), das nicht zu löschen war. he von Jerusalem, wusste sich zum Pro- „Geteiltes Leid ist halbes Leid“. Es pheten, d.i. zum Verkünder des Gottes- mag mancher und manchem von uns willens, berufen, und das schon in jun- ein Trost sein. Die Bibel verschweigt die- gen Jahren (etwa im Alter von 20, vgl. Jer se Möglichkeit des Glaubens keinesfalls. Gradl: Franziskaner Wien | Domarchiv 1,4-10). Seine Verkündigung fällt in eine Sie endet aber – bei aller Tragik – nicht in verworrene Zeit: auf der einen Seite gibt der Trost- und Heimatlosigkeit. Auch es religiöse Erneuerung, auf der anderen nicht bei Jeremia: Das Wort blieb wahr: Seite sind es die politischen Wirren (Be- Verlassen und zerbrochen: der Prophet „Ich bin mit dir, um dich zu retten“ (Jer drohung durch Nachbarstaaten, politi- Jeremia (auch im Stephansdom – aber er 1,8) und gilt auch uns: Christus, der Ret- sche Intrigen), die die Menschen verunsi- wird bereits restauriert …) ter, ist da. ■ Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018 7
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 8 Einsam? unserer Einsamkeit auf Jesus am Kreuz War Jesus einsam? schauen. Dann fühlen wir uns nicht al- lein. Dann haben wir Anteil an ihm, der Kannte Jesus auch das Gefühl von Einsamkeit? Was berichtet die alle Verlassenheit überwunden hat. Heilige Schrift über das Alleinsein und Alleingelassenwerden Jesu? Pater Anselm GRÜN über den Umgang Jesu mit der Einsamkeit „… wir werden zu ihm und wie dieser uns zum Vorbild werden kann. kommen und bei ihm wohnen“ Die Art und Weise, wie Jesus mit seinem „… und er ging an ken und Lehren umsonst war. Als Jesus Alleingelassenwerden umgeht, ist ein Vor- einen einsamen Ort“ vom Berg der Verklärung herabsteigt und bild für uns. Jesus zeigt, wie auch wir im- Jesus – so schildert es uns vor allem der auf die Jünger trifft, die vergeblich einen mer wieder in Einsamkeit geraten und Evangelist der Lukas – sucht immer wie- besessenen Jungen zu heilen versuchen, von Freunden verlassen werden. Das tut der einsame Orte auf, um zu beten. (Vgl. ruft er aus: „O du ungläubige Generation! weh. Und den Schmerz können wir nicht Lk 4,42) Bevor er seine Jünger beruft, geht Wie lange muss ich noch bei sein? Wie lan- überspringen. Aber wir sollen immer wis- er „auf einen Berg, um zu beten. Und er ge muss ich euch noch ertragen?“ (Mk 9,19) sen: Gott ist bei uns. Uns ist das oft nicht verbrachte die ganze Nacht im Gebet zu Jesus ist mitten in seinem Jüngerkreis, Trost genug. Jesus hatte eine so tiefe Ver- Gott“ (Lk 6,12) Und Jesus betet in der Ein- aber er fühlt sich allein, unverstanden, ent- bindung zum Vater, dass dieses Einssein samkeit, bevor er seine Jünger danach täuscht. Die Enttäuschung ist häufig der mit dem Vater ihn über alle menschliche fragt, für wen die Leute ihn halten. (Lk 9,18) Grund, dass wir uns einsam fühlen. Wir Enttäuschung und über das Verlassen- Jesus sucht die Einsamkeit auf, um zu be- haben den Eindruck, dass wir den anderen werden hinweg getragen hat. Jesus ver- ten, um die Beziehung zu seinem Vater nicht erreichen. heißt uns im Johannesevangelium, dass zu spüren. Er braucht die Einsamkeit. Die wir in ihm sind und er in uns. Und aus die- Einsamkeit ist der Ort, an dem er sich „Mein Gott, mein Gott, warum ser Einheit heraus werden wir fähig, wie eins fühlt mit dem Vater und an dem er hast du mich verlassen?“ er die Einsamkeit als Ort dieser Einheit mit Die Einsamkeit Jesu gipfelt in seinem Gott zu erfahren. Denn Jesus selbst und Schrei am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, der Vater wohnen in uns, wie es uns im Jo- warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34). hannesevangelium (14,23) verheißen ist: Jesus fühlt sich in der Einsamkeit des „Wenn jemand mich liebt, wird er an mei- Kreuzes von seinen Jüngern verlassen, nem Wort festhalten; mein Vater wird ihn P. Anselm Grün OSB die bei der Gefangennahme alle geflohen lieben, und wir werden zu ihm kommen ist Mönch der sind. Und er fühlt sich auch von Gott ver- und bei ihm wohnen.“ Wenn wir dieses Abtei Münster- lassen. Er hat ihm nicht geholfen, dem Wort in unser Herz fallen lassen und da- schwarzach und Kreuz zu entgehen. Aber Jesus wendet ran glauben können, dann entzieht uns Autor unzähliger sich in seiner Einsamkeit und Verlassen- die Einsamkeit unter den Menschen nicht spiritueller Bücher heit an Gott. Und so verwandelt sich das den Boden unter den Füßen. Wir sind mit- Gefühl der Verlassenheit in Vertrauen. ten im Alleingelassenwerden innerlich ge- vor Gott das Geheimnis seiner eigenen Denn Jesus hat am Kreuz ja den ganzen tragen von Gott. Wir sind nicht allein. Gott Person und seiner Sendung erspürt. Psalm 22 gebetet. Und dieser Psalm ist bei uns und mit uns und in uns. mündet in die Erfahrung: „Ich will deinen (Gekürzter Textauszug aus: Anselm Grün, „Wie lange muss ich Namen meinen Brüdern verkünden, in- Stille im Rhythmus des Lebens. Von der euch noch ertragen?“ mitten der Gemeinde dich preisen… Kunst, allein zu sein, Gütersloher Verlags- Aber manchmal fühlt Jesus sich auch ein- Denn er hat nicht verachtet, nicht verab- haus 2013. Dieses Buch ist leider vergriffen.) sam mitten unter den Jüngern, weil sie ihn scheut das Elend des Armen. Er verbirgt einfach nicht verstehen. Nach der zweiten sein Gesicht nicht vor ihm; er hat auf sein Anselm Grün hat in seinem neuesten Brotvermehrung spürt er ihr Unverständ- Schreien gehört.“ (Ps 22,23.25f) Jesus Buch die Erfahrungen der Wüstenväter nis und spricht sie an: „Was macht ihr euch zeigt uns einen Weg, wie wir mit unse- aus den Jahren 300 bis 500 n.Chr. zusam- darüber Gedanken, dass ihr kein Brot rem Gefühl von Einsamkeit, von Nicht- mengetragen und in Form eines Jahr- habt? Begreift und versteht ihr immer Verstandenwerden, von Verlassenwer- buchs neu ausgelegt: noch nicht? Ist denn euer Herz verstockt? den umgehen sollen. All diese Gefühle Anselm Grün, Jeder Tag Habt ihr keine Augen um zu sehen, und dürfen sein. Aber wir können sie vor Gott ein neuer Anfang. Die keine Ohren, um zu hören? (Mk 8,17). Aus zum Ausdruck bringen. Wir können uns Weisheit der Wüstenväter Vier-Türme-Verlag diesen Worten spricht Jesus, wie er darun- mit unserer Einsamkeit Gott hinhalten. für das ganze Jahr, ter leidet, dass die Jünger ihn nicht verste- Dann kann sich die Einsamkeit in Ver- Vier-Türme Verlag, hen. Jesus hat das Gefühl, dass sein Wir- trauen verwandeln. Und wir können in Münsterschwarzach 2018 8 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 9 Einsamkeit mit Maria durchleben Auch Maria, die Mutter Gottes, erlebte einsame Momente in ihrem Leben. Gerade deswegen kann sie in besonderer Weise Begleiterin in Einsamkeit und Not sein. Gedanken von Raphaela PALLIN Es ist eine meiner tiefsten Erfahrungen sie auch die Einsamkeit, die alle Men- in den „30 tägigen Exerzitien“, einem in- schen kennen. tensiven geistlichen Übungs- und Ent- scheidungsweg, der wesentlich am Le- Die „kleine Einsamkeit“ ben Jesu orientiert ist. Am Ende der drit- Es ist die „kleine“ Einsamkeit der mensch- ten Woche, der „Passionswoche“, wird lichen Suche, des Abgeschieden-Seins, nach der Grablegung Jesu in einer Be- des Alleine-tragen-Müssens, der Tren- trachtung die Einsamkeit Mariens vor nung, des Sich-nicht-mitteilen-Könnens, Augen gestellt. Mir ist, als säße ich in ei- des Ausharrens, des Wartens. Maria er- nem dunklen Raum am Boden. Ange- lebt all dies von der Empfängnis Jesu an, lehnt in meinen Armen: Maria, die Mut- ganz besonders aber, als sie den ver- ter Jesu, ganz in Trauer um ihren Sohn. schwundenen Zwölfjährigen tagelang Stetig wiederholt sie: „Er denkt an sein voll Schmerz sucht und erst am dritten Erbarmen …“ – wie wahnsinnig in ihrem Tag im Tempel, dem „Haus seines Vaters“, Schmerz. Ihr Wort wird zur Tröstung, als wiederfindet. Diese Einsamkeit erträgt ich darin die Worte des Magnifikat ver- sie auch in den Jahren seines öffentlichen nehme: „Er denkt an sein Erbarmen, das Wirkens, im Unverständnis der Men- er unseren Vätern verheißen hat …“ Nun schen – sogar der Jünger –, im Herzen ver- ist sie es, die in ihrem Glauben mich hält, bunden mit ihrem Sohn, dem „Sohn des bis in den Morgen, an dem – wie man Höchsten“, auf den sie vertraut. „mit Verstand“ betrachten soll – der Auf- erstandene seiner Mutter Maria begeg- Die „große Einsamkeit“ Was muss wohl im Herzen Mariens in je- net und als der Lebendige „ihre Freude“ Diese „große“ Einsamkeit ist die Folge nem Moment vor sich gegangen sein? ist: ihr Leben lang bis in ihre leibliche der menschlichen Sünde. Nicht, dass Aufnahme in seinen Himmel hinein. Maria selbst gesündigt hätte. Doch in Im Mitgehen begleitet der Passion Jesu, der die Schuld aller Maria, die Mutter Jesu und „Mutter der Herausgehoben Menschen auf sich nimmt und durchlei- Kirche“, weiß um unsere kleine und un- Es gibt die menschliche Einsamkeit im det bis hinein in die schmerzlichste Gott- sere große Einsamkeit. Es tut gut, im Ro- Leben Marias: Aus der über alle Genera- ferne des Todes, leidet auch Maria die senkranzgebet – besonders alleine – sich tionen weitergegebenen menschlichen Verlassenheit mit, erleidet im Durchhal- von ihr begleiten zu lassen: im Mitgehen Neigung, eigene „bessere“ Wege gehen ten von Glaube, Hoffnung und Liebe die in den „Geheimnissen“ des Lebens Jesu zu wollen und sich schuldhaft von Gott „Nacht des Glaubens“, das Ausgeliefert- und ihres Lebens, die zu erlösenden „Ge- zu trennen, ist sie für die Erlösung aller sein der Hoffnung, die Ohnmacht der heimnissen“ unseres Lebens werden. Es Menschen vom Anfang ihres Lebens an Liebe. Im reinen Glauben hält sie an der tut gut, ihr die Sorgen und Nöte unseres herausgehoben und erlebt alles Unheil von Christus für alle gewirkten Erlösung Lebens anzuvertrauen, die wir so oft für wohl schmerzlicher. Noch mehr abge- fest und preist Gott in Dankbarkeit: „Er uns behalten und alleine tragen wollen. sondert, „geheiligt“ ist sie, als sie vom denkt an sein Erbarmen…!“ Es tut gut, Maria im Gebet um ihre Für- Heiligen Geist erfüllt den Sohn Gottes bitte anzurufen, wenn die Einsamkeit ei- empfängt, der in ihr Fleisch annimmt: gener Schuld, das Leiden am Unheil im Sie empfängt ihn in ihrem Herzen, in ih- Zusammenleben oder die „Nacht des rem Schoß, hält ihn ihren Armen, lauscht Glaubens“ uns bedrängen. Sie, die um all seinem Atem, betrachtet ihn, gibt ihm zu Raphaela Pallin, das weiß, will uns halten und als Für- Pallin: Veronika Bonelli | Domarchiv trinken, kleidet ihn, sieht ihn heran- Theologin der Erz- sprecherin hinführen zur „Nacht der Ge- wachsen, ist im Herzen immer mit ihm diözese Wien, ist burt des Erlösers“ in unserem Herzen, in verbunden. Sie, die Gottes Sohn zur Welt derzeit Offizial am der wir vertrauend Gott loben und dan- bringt, ist nie allein, egal was der Weg Päpstlichen Rat zur ken: „Er denkt an sein Erbarmen, das er mit dem Immanuel, „Gott mit uns“, ihr Förderung der Neu- unseren Vätern verheißen hat, Abraham abverlangt. Und doch erlebt und erleidet evangelisierung und seinen Nachkommen auf ewig!“ ■ Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018 9
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:30 Seite 10 Einsam? Die »Weihnacht der Einsamen« in St. Stephan Am Vormittag des 24. Dezember herrscht alljährlich emsiges Treiben im men, fast immer sind alle Plätze besetzt. Curhaus St. Stephan. Nichts Ungewöhnliches für diesen Tag aber doch Die Feier beginnt mit einer herzli- etwas Besonderes. Freiwillige Mitarbeiter aller Altersgruppen bereiten chen Begrüßung und einleitenden Wor- ein großes gemeinsames Fest vor, bei dem jeder willkommen ist, der in ten des Dompfarrers. Nach Verlesen des der Gemeinschaft der Dompfarre St. Stephan den Heiligen Abend Weihnachtsevangeliums werden tradi- feiern möchte. Es gibt viel zu tun – wie jedes Jahr werden mehr als 150 Gäste erwartet. Von Thomas RUTH Thomas Ruth ist Die Weihnacht der Einsamen hat in St. mit den Arbeiten beginnen. Es ist uns al- seit vielen Jahren Stephan eine lange Tradition. Schon zu len ein Anliegen, unseren Gästen eine Teil des großen Zeiten von Dompfarrer Prälat Hugel wur- stimmungsvolle Weihnachtsfeier in ei- Teams, das dieses de gemeinsam mit alleinstehenden ner gemütlichen und familiären Atmo- besondere Menschen das Weihnachtsfest gefeiert. sphäre zu ermöglichen. Weihnachtsfest in Vieles hat sich seitdem geändert. Von ei- Seit mehreren Jahren ist es meine St. Stephan nem zu jener Zeit als „Sandlerweihnach- Aufgabe, am Vormittag des Heiligen organisiert und ten“ bezeichneten Zusammentreffen in Abends die Getränke für das große Fest feierlich gestaltet. eher schlicht gehaltenem Ambiente der vorzubereiten. Es gibt Punsch, Früchte- damals zur Verfügung stehenden Räum- tee, sowie kalte Limonaden. Während- tionelle Lieder angestimmt, begleitet lichkeiten hat sich das Fest in den vielen dessen werden von vielen helfenden werden wir dabei von einer Pianistin. Es Jahren zu einer prächtigen Feier entwi- Händen der Stephanisaal festlich einge- wird gesungen aus vollem Herzen, mit ckelt, die für Gäste und Mitarbeiter ein deckt, der Christbaum geputzt und eine Freude und Begeisterung. – Jetzt ist Fixpunkt im Jahreskreis geworden ist. beeindruckende Menge Weihnachtsbä- Weihnachten! ckerei liebevoll angerichtet. Fest in gemütlicher Unterstützung bekomme ich mittler- Jeder hat seine eigene Geschichte und familiärer Atmosphäre weile von unseren Töchtern Cordula und und viele Erinnerungen … Eine derart große Veranstaltung bedarf Larissa. Auch für sie sind die Vorberei- „Wissen Sie, ich darf das eigentlich alles einer intensiven Vorbereitung und einer tungen in der Pfarre am 24. Dezember gar nicht essen und trinken schon gar großen Gruppe verlässlicher Mitarbeiter, schon ein bisschen zur Tradition gewor- nicht. Ich habe zu hohen Zucker und die schon Tage vor dem 24. Dezember den. Wenn auch der Bewegungsraum im schlechte Blutwerte, aber heute ist für Untergeschoss zusätzlich ihr Kommen mich ein ganz besonderer Tag und es ist motiviert, sind sie doch mit großem Eifer so schön bei Euch, da mache ich eine bei der Sache und helfen fleißig, wo im- Ausnahme.“ Andere Gäste erzählen von mer sie gebraucht werden. Es ist ihnen ihren Familien, die oft aus widrigen Um- bewusst geworden, dass in unserem di- ständen nicht bei ihnen sein können rekten Umfeld einsame, arme und kran- oder zu denen einfach kein Kontakt ke Menschen leben, denen wir mit ver- mehr besteht. Alle haben ihre eigene, gleichsweise geringem Aufwand große mitunter sehr bewegende Geschichte Freude bereiten können. und ganz viele Erinnerungen an früher, von denen sie gerade zu Weihnachten Jetzt ist Weihnachten! gerne erzählen. Nach der Kinderkrippenandacht laufen Es ist eine große Freude mitfeiern zu die letzten Vorbereitungen, bevor am dürfen und man wird mit sehr viel Dank- Ruth: Ruth | Weihnachtsfest: Hofer frühen Abend die ersten Gäste eintref- barkeit belohnt, die ich nur erwidern fen. Das Abendessen – seit vielen Jahren kann. eine Spende des Restaurants Da Capo – Unsere jüngste Tochter Valerie hat wird noch frisch geliefert und ist jedes beschlossen groß genug zu sein. Sie Jahr eine opulente Gaumenfreude. Un- möchte ab heuer auch bei den Vorberei- sere Einladung wird gerne angenom- tungen mithelfen. ■ 10 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 11 »Alles schläft, einsam wacht…« Das Lied „Stille Nacht“ berührt und bewegt Menschen seit 200 Jahren: Gott kommt in die dunkle Nacht, in die Verlassenheit und alle Not des Lebens – und wird Mensch. Was uns das Lied heute sagen kann. Von Pfarrer Roland Peter KERSCHBAUM Entstehung und Gottes in Jesus Christus besingt. Gott Menschen peinigen. „Nacht“ leitet wie Verbreitung des Liedes wurde ein eingefleischter Mensch und ein Kehrvers jede Strophe ein. Weihnach- Wie bei vielen Geschehnissen der Ge- hat sich in das ganze menschliche Leben ten und dieses Lied zaubert keine welt- schichte hat sich auch um „Stille Nacht“ hinein begeben. Er wurde Mensch, da- fremde Romantik, sondern will Licht in ein Legendenkranz gebildet. Da ist etwa mit der Mensch eine Heimat hat, ein die existentiellen Nächte des Lebens von der defekten Orgel oder einer Maus Dach für die Seele, eine Herberge, die ihn bringen. Die Nacht kann zu Weihnachten die Rede, die den Blasebalg angeknabbert mit allen Gebrochenheiten und Verwun- immer wieder eine heilige und heilende haben soll. Rückt man die Ranken dieser dungen aufnimmt. Nacht werden, die stärkt und belebt. Legenden zur Seite, liest sich die Ge- schichte freilich weniger wundersam. „Stille Nacht“ – Ein Friedenslied „Stille Nacht“ war eine Gelegenheitskom- ein Lied gegen die Not Oft wird „Stille Nacht“ als Friedenslied position für das Weihnachtsfest 1818 in Das Lied entstand in einer Zeit großer so- beworben, obwohl das Wort „Friede“ Oberndorf. Der Hilfspriester Joseph Mohr zialer Nöte. Das Land Salzburg hatte in nicht erwähnt wird. Es wurde ja so oft in (1792–1848) hatte bereits 1816 in Maria- nur 13 Jahren bis 1816 fünfmal seinen Be- den Mund genommen und missbraucht. pfarr den Text geschrieben. Mit diesen sitzer gewechselt. Die neue Salzachgren- Joseph Mohr hat den Text ein Jahr nach Zeilen ging Mohr am Heiligen Abend zum ze zwischen Oberndorf und der Mutter- dem Wiener Kongress und nach Jahr- Lehrer und Organisten Franz Xaver Gru- stadt Laufen trennte alte familiäre und zehnten verheerender Kriege verfasst. ber (1787–1863) und bat ihn, eine Melodie wirtschaftliche Beziehungen. Salzburg Der Krieg war zu Ende gegangen, aber für zwei Stimmen, Chor und Gitarrebe- war in jeder Hinsicht ein Notstandsgebiet nicht das Elend und die Wunden in den gleitung zu schreiben. Gruber komponier- geworden. In diese dunkle Zeit hinein er- Herzen der Menschen. Das alte Weih- te eine einfache Melodie. Das Lied wurde klingt erstmals dieses Lied. Es singt von nachtslied singt von einem Kind, das dann wahrscheinlich nach der Christmet- einem Gott, der sein Volk nicht vergisst. selbst der Friede ist. Es spricht von einer te am frühen Morgen des Christtages Eine rettende Stunde wird angekündigt. „himmlischen Ruh“, die den betörenden zum ersten Mal gesungen. Mohr spielte Gott erscheint in Menschengestalt als Lärm überwindet. Es singt vom entwaff- auf der Gitarre, einem damals in der Kir- Bruder aller Menschen, wie es die vierte nenden Lächeln eines Kindes. Die Melo- che unüblichen Instrument. Strophe ausdrückt. Gott will das Herz der die verstärkt diesen Charakter. Sie ist ein Das Lied wurde zunächst in Abschrif- Menschen stärken und ruft ihnen zu: wärmendes beruhigendes Wiegenlied, ten in der Umgebung weiter verbreitet, Gebt nicht auf, ihr seid nicht allein! ein sanftes Säuseln, das in eine oft kalte Kerschbaum: Erwin Fuchsberger | SalzburgerLand Tourismus / Salzburg erste Textdrucke erschienen um 1830. und friedlose Welt hineinweht. ■ Durch Tiroler Sängerfamilien wurde das „Heilige Nacht“ Lied rasch in Deutschland bekannt. 1839 Weihnachten wird wie Ostern in der erklang es erstmals in den USA in New Nacht gefeiert. Es gibt diese heiligen York. Heute ist es in vielen Text- und Me- Nächte, aber auch den Schrecken der Roland Peter lodievarianten bekannt und in rund 300 Nacht (vgl. Psalm 91,5), Nächte des Le- Kerschbaum ist Sprachen übersetzt. bens, die den Menschen herausfordern. Pfarrer von Der Begriff Nacht kann für so vieles ste- Elsbethen, Diö- „Stille Nacht“ – hen: Trauer oder Krankheit, Probleme, zesankonservator ein Weihnachtslied Beziehungskrisen, Einsamkeit, Situatio- der Erzdiözese „Stille Nacht“ ist vor allem ein Weih- nen, die uns mit Angst erfüllen. Es gibt Salzburg und nachtslied, das die Menschwerdung auch die durchwachten Nächte, die den Domkapitular Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018 11
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 12 Einsam? Beziehungspflege ist Altersvorsorge Einsamkeit betrifft – nicht nur – aber in hohem Maße besonders die immer älter werdenden Generationen. Veronika PRÜLLER-JAGENTEUFEL, ehemalige Leiterin des Pastoralamts der Erzdiözese Wien über eine Altersvorsorge der anderen Art Armut an zwischenmenschlichen in der Ewigkeit voraus. Zum einen ist die liebsten mit ihren Familienangehörigen Kontakten und Beziehungen Ruhe, die das Alleinsein bringt, vielen zusammenleben würden, und viele, de- „Gott bleibt seiner Verheißung treu, und auch angenehm, denn alle Erlebnisse nen das Heimpersonal zum Familiener- auch im Dunkel der Nacht lässt er es brauchen jetzt länger um verarbeitet zu satz wird. Tatsächlich sind familienähnli- nicht an der Wärme seiner Liebe und sei- werden, ein Besuch strengt auch an, das che Beziehungen etwas, das Kirche bzw. ner Tröstung fehlen. Um die erdrückende Schlafbedürfnis wächst. Zum anderen Pfarre alten Menschen anbieten kann. Situation der Armut zu überwinden, ist ist Alleinsein gefährlich, z. B. bei erhöhter Familie steht – trotz aller womöglich ge- es jedoch notwendig, dass die Armen die Sturzgefahr; es kann depressiv machen genteiligen Erfahrungen – auch für viele Anwesenheit vor Brüdern und Schwes- und aufgrund der mangelnden sozialen alte Menschen für einen geschützten tern erfahren, die … sie spüren lassen, und geistigen Anregungen den Fort- Raum. In der Familie bzw. vor guten dass sie Freunde sind und zur Familie schritt von Demenzerkrankungen för- Freunden muss ich mich nicht genieren, Gottes dazugehören.“ dern. Beziehungen sind einfach wesent- hier kann ich auch meine Hilfsbedürftig- lich für uns Menschen. Veronika Prüller- Investieren in das Jagenteufel ist eigene Beziehungsnetz Theologische Eine der wichtigsten Formen dieser Al- Referentin der tersvorsorge ist daher das Investieren in Caritas der Diözese das eigene Beziehungsnetz. Wer be- St. Pölten und wusst Kontakte außerhalb der eigenen Seelsorgerin im Familie pflegt, hat später Freunde, die Pflegeheim Haus womöglich die Angehörigen zeitweise St. Elisabeth in entlasten können. Wer sich um Freund- St. Pölten-Wagram schaften mit Jüngeren bemüht, hat auch dann noch Gesprächspartner, wenn die keit zeigen, hier darf ich schwach sein – eigene Alterskohorte mehr und mehr und werde dennoch geachtet; hier bin ausdünnt. Eine weitergehende Maßnah- ich wer; hier kann ich mich auf die ande- me ist gemeinschaftliches Wohnen. Mit ren verlassen. Dieser Satz aus der Botschaft von mehr Menschen als dem eigenen Part- Papst Franziskus zum diesjährigen Welt- ner eine Wohnung oder ein Haus zu tei- Gottes Liebe spürbar machen tag der Armen trifft auf viele Formen von len oder enge Nachbarschaft zu pflegen, Dieser geschützte Raum kann die Ge- „Armut“ zu, auch auf den Mangel an ist in jedem Alter eine Herausforderung meinde sein, wenn sie Beziehungsnetz menschlichen Kontakten, Beziehungen, und eine gute Übung. Sie kann es später kontinuierlich aufbaut und pflegt. Dann Begegnungen – oder anders gesagt: Ein- leichter machen, andere Menschen nahe kann es gelingen, dass die gebrechliche samkeit. Eine spezielle Form davon ist an das eigene Leben und seine Gewohn- Dame auch dann noch in die Bibelrunde die Vereinsamung von alten Menschen heiten heranzulassen, wenn das durch kommen kann, wenn sie abgeholt und in unserer Gesellschaft. Sie ist eine der Pflegebedürftigkeit nötig wird. heimgebracht werden muss und zum Schattenseiten unseres hohen Bedürf- Gespräch nur mehr wenig beiträgt. Oder nisses nach Eigenständigkeit und Indivi- Verlässliche Gemeinschaften, dass der pflegebedürftige Herr es zu- Prüller-Jagenteufel: Caritas/Lahmer | Caritas/Gleiß dualität. Und sie erscheint als fast „na- in denen man geachtet wird und lässt, dass zweimal pro Woche die Freun- türliche“ Folge hohen Alters, wenn man auch Hilfsbedürftigkeit zeigen kann de aus der Pfarre seiner Frau einen freien nicht rechtzeitig bewusst vorgesorgt hat. Papst Franziskus spricht von Geschwis- Nachmittag ermöglichen – das beugt Denn mit abnehmenden körperlichen tern und von Freunden und Familienan- zudem deren Vereinsamung als pflegen- und/oder geistigen Kräften verkleinert gehörigen, zu denen wir für diejenigen der Angehöriger vor. So können Ge- sich der eigene Bewegungsradius, im- werden, denen wir helfen. In meiner Tä- schwister im Glauben inmitten der Ein- mer mehr Bekannte und Freunde und tigkeit als Pflegeheimseelsorgerin be- samkeit Gottes Liebe und Trost spürbar oft dann auch der/die Partner/in gehen gegne ich vielen alten Menschen, die am machen. ■ 12 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 13 Den Himmel spüren und der Erde vertrauen Seit Ende November 2008 gibt und staunend die ablaufenden Prozesse. als ich die Türmerstube bezog. Betreut im Linzer Mariendom die Mög- Ich wanderte mit den Eremiten in den von treuen Helfern, die jeden Bewohner lichkeit, in der Türmerstube täglichen Begleitungsgesprächen viele begleiteten und für sein Wohlergehen sieben Tage lang als Eremit zu Runden um den Dom und durch die leben. Seither haben bereits über Parkanlagen von Linz. Die Erde unter den 250 Personen die Eremitage in Füßen tröstete und befriedete immer ca. 69 Metern Höhe bewohnt. wieder. Der liebende Gott begegnete sei- Josefine Maria Ein Erfahrungsbericht von nen Eremiten im Gehen auf der Erde ge- Zittmayr ist Josefine Maria ZITTMAYR nauso wie im Wohnen hoch oben im Ehefrau, Mutter, Glockenturm. Am Ende der Woche Großmutter, Ange- Seit Beginn des Eremitenprojektes im leuchtete es aus ihren Augen. stellte, Autorin, Linzer Mariendom gehöre ich zum Team Geistliche Begleite- der geistlichen Begleiter. Mit herzlicher „…unter mir das rin und Diplom- Begeisterung und fürsorglicher Umsicht hellerleuchtete Linz“ lebensberaterin begleitete ich viele Eremiten und Eremi- Und dann wollte ich das selbst erfahren: tinnen. Beobachtete immer wieder still Es war der Karfreitag der Osterwoche, sorgten. Als die Dämmerung einbrach an diesem kalten Apriltag, saß ich dann al- lein in der kleinen warmen Kammer, mit einer Tasse Tee in der Hand auf dem Bett und sah zum Fenster hinaus. Unter mir lag das hellerleuchtete Linz. Die Glocke schlug zur vollen Stunde. Große Gebor- genheit erfüllte mich. Der Platz auf dem Bett vor dem Fens- ter wurde mein Lieblingsplatz die ganze Woche über. Frühmorgens, nach dem Aufwachen saß ich da und beobachtete das Aufgehen der Sonne. Sie stieg jeden Tag strahlend über der Stadt auf und senkte sich tief in mein Herz wie ein gro- ßer Segen. Tief berührt malte ich Son- nenbilder in das Eremitentagebuch. Stille und einsame Nächte Die Nächte waren still und einsam. In meinen Meditationen nahm ich mich dann als ein kleines Wesen Gottes inmit- ten unzähliger anderer wahr. Wie ein Sandkorn an einem Strand. Ich fühlte Zittmayr: Susanne Windischbauer | Maximilian Plöderl mich getröstet und mit allem verbun- den. Und meine Seele machte wohl fröh- liche Flugversuche in die Weite des Doms hinein, als wäre alles Leben ein großes Spiel … Ja, vieles geschah in dieser Woche. Ich verließ den Turm mit großer Dank- Nähere Informationen zum Projekt der Turmeremitage erhalten Sie im DomCenter Linz barkeit im Herzen und mit den leuchten- Herrenstraße 36, 4020 Linz. Tel. 0732/946100. Mail: domcenter@dioezese-linz.at den Augen der Eremiten. ■ Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018 13
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