Pfarrblatt Einsam? - Dompfarre St. Stephan

 
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Pfarrblatt Einsam? - Dompfarre St. Stephan
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 1

            73. JAHRGANG · NR. 3 · WEIHNACHTEN 2018

          Pfarrblatt
          Einsam?

     Schwerpunkt          Wege aus der Einsamkeit und das Geschenk des Alleinseins
     Dompfarre            PGR-Klausur ∙ Diözesanversammlung ∙ 70 Jahre Domeröffnung ∙ Dom-Beleuchtung
     Spirituelles         Lieblingsgebet v. P. Georg Sporschill ∙ Heilige: Der „Sau-Toni“ ∙ Die Roratemesse
     Literatur            Das ganze Leben in einem Tag
Pfarrblatt Einsam? - Dompfarre St. Stephan
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 2

           Inhalt                                     Editorial
           ■ Editorial                            2
           ■ Wort des Dompfarrers
           ■ Warum die Einsamkeit so weh tut 4
                                                  3
                                                      Grüß Gott!
           ■ Lieben – der Weg aus der Einsamkeit 6                                                   Dauer kann das belastend sein und zu
           ■ Von Gott und Welt verlassen –                                                           Vereinsamung innerhalb von Beziehun-
             Jeremia                              7                                                  gen führen. Ein persönlicher Gedanken-
           ■ War Jesus einsam?                    8                                                  stoß dazu: Der amerikanische Baptisten-
                                                                                                     pastor Gary Chapman hat vor vielen Jah-
           ■ Einsamkeit mit Maria durchleben 9
                                                                                                     ren das Konzept der fünf Sprachen der
           ■ Die »Weihnacht der Einsamen«                                                            Liebe entwickelt. Er benennt fünf Wege,
             in St. Stephan               10
                                                                                                     wie Menschen ihre Liebe mitteilen:
           ■ »Alles schläft, einsam wacht …« 11                                                      durch Lob und Anerkennung; das Ver-
           ■ Beziehungspflege                                                                        bringen gemeinsamer Zeit; mit Geschen-
             ist Altersvorsorge                  12                                                  ken, die von Herzen kommen; durch prak-
           ■ Den Himmel spüren                                                                       tische Hilfe und durch Körperkontakt.
             und der Erde vertrauen              13                                                  Keine dieser Sprachen ist besser oder er-
           ■ Mut zu Stille und Einsamkeit        14                                                  strebenswerter. Viele Menschen fühlen
           ■ »…zudem ist immer einer da«         15   „Die schlimmste Armut ist Einsamkeit           sich ungeliebt, weil ihre Eltern, Partner
                                                      und das Gefühl, unbeachtet und uner-           usw. ihre Liebe anders kommunizieren.
           ■ Gut und glücklich allein leben      16
                                                      wünscht zu sein“, behauptete Mutter            Wenn z.B. der eine sich nichts sehnlicher
           ■ Jung und einsam                     17   Teresa und nannte diese Form von Ein-          wünscht, als mit dem anderen gemein-
           ■ Mönch und Zönobit –                      samkeit „Lepra des Westens“. Die zuneh-        sam etwas zu unternehmen, stattdessen
             allein und gemeinsam                18   mende Vereinsamung besonders der äl-           aber ein teures Geschenk (für das der an-
           ■ Wo zwei oder drei ...               18   teren Bevölkerung ist eine wunde Stelle        dere vielleicht lange gespart hat) be-
           ■ Vom Sinn der Schwermut              20   unserer westlichen Gesellschaft. Aber          kommt, ist das ein klassisches Beispiel
           ■ »Ich bin’s gewohnt,                      Einsamkeit ist keine Frage des Alters          dafür, dass zwei einander aufrichtig Liebe
             allein zu sein«                     21   oder der Lebensform. Sie betrifft Jung         schenken möchten und dennoch dabei
           ■ Alleinsein bedeutet für mich …      22   und Alt, Alleinstehende genauso wie            beide enttäuscht werden.
                                                      Verheiratete oder solche, die in Gemein-           Könnte das nicht eine Anregung für
           ■ Die Einsamkeit beflügelt            24
                                                      schaften leben.                                das Weihnachtsfest und das neue Jahr
           ■ Der Dom zeigt sich in neuem Licht 26         Aber es gibt auch die positive Form        sein, sich zu überlegen „wann fühle ich
           ■ Die heilige Elisabeth                    des Alleinseins: eine Einsamkeit, die          mich besonders geliebt“? Und wie steht
             im Stephansdom                      27   kreative Kräfte freilegt, die in Berührung     es um die Menschen rund um mich?
           ■ Die Riesenorgel kommt zurück        28   bringt mit dem tiefsten Grund der eige-        Spreche ich ihre Sprache der Liebe? Wer
           ■ Diözesanversammlung                 30   nen Seele und mit Gott. Jesus suchte im-       braucht ein ermutigendes Wort, wer ei-
                                                      mer wieder das Alleinsein, um sich in der      ne herzliche Umarmung?
           ■ Pfarrgemeinderatsklausur            31
                                                      Stille ganz mit Gott zu verbinden und              So wünsche ich Ihnen, dass Sie sich
           ■ Chronik                             32
                                                      seine Gedanken am Willen seines Vaters         von Gott geliebt wissen und Ihre Familie,
           ■ Blitzlichter aus St. Stephan        33   auszurichten. Zugleich verschweigt die         Freunde und alle, die Ihnen anvertraut
           ■ »Bau mein Haus auf!«                34   Heilige Schrift nicht, dass es selbst im Le-   sind, mit jener Liebe beschenken, die sie
           ■ 70 Jahre Domeröffnung               35   ben Jesu, der Propheten und aller, die         brauchen. Dass Gott die Liebe ist, ist kei-
           ■ Das ganze Leben in einem Tag        36   versuchen, ihren Weg mit Gott zu gehen,        ne abstrakte Wahrheit, sondern eine
                                                      das Gefühl von Alleingelassensein und          ganz konkrete Wirklichkeit: er wurde ein
           ■ Steffl                              37
                                                      Gottverlassenheit gibt.                        hilfsbedürftiger Mensch, der Windeln
           ■ Die Roratemessen                    38       In dieser Ausgabe betrachten Men-          benötigt, dessen Hunger gestillt werden
           ■ Mein Lieblingsgebet                 39   schen in sehr berührender Weise einsa-         muss, der Ansprache und liebevolle Zu-
           ■ Heilige: Antonius der Große         40   me Momente in ihrem Leben und wie sie          wendung braucht – damals – ebenso
           ■ Weihnachtsgottesdienste                  damit umgehen. Der Weg aus der Ein-            wie heute!
             im Pfarrgebiet von St. Stephan      41   samkeit führt über die Liebe.                      Ein gesegnetes Weihnachtsfest
           ■ Gottesdienste zu Weihnachten 42                                                         wünscht Ihnen
                                                      Sprachen der Liebe
                                                                                                                                                   Martin Staudinger

           ■ Termine                             44
                                                      Menschen drücken ihre Liebe sehr unter-
           ■ Zum Nachdenken                      48   schiedlich aus, nicht selten aber kommt
           ■ Impressum                           48   die Liebe beim anderen nicht an. Auf           Ihre Birgit Staudinger

          2 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018
Pfarrblatt Einsam? - Dompfarre St. Stephan
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 3

                                                             Wort des Dompfarrers

                                                             Liebe Freunde!
                                                             Nie allein unterwegs                         knüpfen und auszurichten. In den Semes-
                                                             Mit großer Dankbarkeit weiß ich mich im      terferien mache ich dann seit Jahren die
                                                             Dom gut aufgehoben. Ob es in der Früh-       sehr wohltuende Erfahrung des Fasten-
                                                             messe mit wenigen Besuchern ist, oder        wanderns. Völligen Abbruch tun an Spei-
                                                             auch bei der dicht bis auf den letzten       se und Trank, um nur bei Tee, Wasser und
                                                             Stehplatz ausgefüllten Mitternachtsmet-      Saft schon nach drei Tagen eine neue
                                                             te. Sogar auf der Turmspitze des 137 Meter   Wahrnehmung von Welt und Leben zu
                                                             hohen Südturmes, die ich heuer zum 55.       machen. Mit großem Abstand zur alltägli-
                                                             Mal mit Unterstützern bestieg, weiß ich      chen Arbeit in der Natur vielleicht ein we-
                                                             mich getragen von dem tief in meinem         nig einsam aber doch dicht erfüllt von
                                                             Herzen sitzenden Gefühl und meiner           dem zu sein, was wahre Kraft und Freude
                                                             Überzeugung, ich bin nie allein unter-       schenkt. Nach einer solchen Fastenwoche
                                                             wegs. Mein Gott, der mich über Mauern        wieder vorsichtig in die normale Welt ein-
                                                             springen lässt und mit dem ich Wälle er-     zutauchen und damit viele über uns ein-
                                                             stürmen kann, ist immer bei mir. Und die-    strömende Reize doch ein wenig relativie-     Rückzugs, um dann aufzubrechen und
                                                             se tragende Glaubenserfahrung möchte         ren zu können ist der große Gewinn an ei-     wieder ganz am Leben teilzunehmen.
                                                             ich auch anderen weitergeben. Und will       ner solchen ruhigen Woche.
                                                             sie immer neu auch von Gott selbst reini-                                                  Auch in der Einsamkeit geborgen
                                                             gen und festigen lassen. Da tun mir Tage     Selbstgewählte Einsamkeit                     Das Titelbild unseres Pfarrblattes zeigt uns
                                                             der Ruhe und Einkehr sehr gut.               Selbstgewählte Einsamkeit war für mich        eine sogenannte Schreinmadonna. Maria,
                                                                                                          auch ein Thema, als ich meinen alten Bu-      Mutter und Urbild der Kirche, beherbergt
                                                             Abstand gewinnen und still werden            bentraum verwirklichte, einmal einige         eine große Anzahl von Frauen und Män-
                                                             Kein Advent beginnt bei mir ohne fünf Ta-    Zeit auf einer einsamen Insel mit Leucht-     nern in ihrem Herzen, gerade auch in den
                                                             ge Schweigeexerzitien davor. Sonst wür-      turm zu verbringen. Die „Hardcore-Varian-     Zeiten, wo wir uns vielleicht vielfach unge-
                                                             de ich wahrscheinlich auch den dichten       te“ wäre in der tosenden Nordsee gewe-        wollt in einer einsameren Phase unseres Le-
                                                             Terminkalender mit den vielen Advent-        sen: Dort – ohne Handyempfang – ausge-        bens befinden oder auch nur fühlen. Möge
                                                             und Weihnachtsfeiern nicht sinnvoll          setzt, wird man nach sieben Tagen wieder      das Fest von Weihnachten für alle erfahrbar
                                                             durchhalten können und hoffentlich mit       von einem Schiff abgeholt. Ich entschied      machen, dass Gott auch gerade in den ein-
                                                             positiver Spannkraft auch mitgestalten       mich dann doch in einem Sommer vor            samen Herzen neu zur Welt kommen will.
                                                             können. Sind diese Tage dann einsam,         über zehn Jahren für eine Leuchtturm-In-          Meine besten Segenswünsche für eine
                                                             wenn man in der Gruppe versucht zu           sel vor der kroatischen Küste bei angeneh-    fröhliche und besinnliche Weihnachts-
                                                             schweigen und zu meditieren? Man wird        meren Temperaturen und zumindest ein          zeit wünscht Ihnen und erbittet
                                                             mehr als sonst auf sich selbst zurückge-     paar Metern Auslauf rund um den Turm.
                                                             worfen, aber gerade in dieser Stille und     Für jeden Tag nahm ich mir jeweils ein in-
                                                             Kontemplation ist die Chance, sich selbst    teressantes Buch mit, und für Essen und
                                                             am Seelengrund neu zu finden und so          Getränke war auch gesorgt. Eine wunder-
                                                             auch seine Beziehung mit Gott neu zu         schöne und erfüllende Erfahrung des           Ihr dankbarer Toni Faber

                                                                                                          Titelseite: Die Schreinmadonna (um 1420–1430) ist eine Leihgabe der Pfarre Schwarzau
                                                                                                          am Steinfeld an das Dom Museum Wien. Im geschlossenen Zustand ist die Muttergot-
                                                                                                          tes auf einem von Engeln getragenen Thron dargestellt. Öffnet man den Schrein, ist
                                                                                                          Maria als Schutzmantelmadonna zu sehen: Sie breitet ihre Arme über Frauen und
  Dompfarrer: Suzy Stöckl | Lena Deinhardstein, Lisa Rastl

                                                                                                          Männer aus. Zentrales Motiv im Schreininneren ist die Trinität, die in Form des Gna-
                                                                                                          denstuhls dargestellt ist, wobei sowohl das Kreuz mit Jesus (das Gottvater üblicherwei-
                                                                                                          se in seinen Händen hält) als auch die Taube heute verloren sind. Außergewöhnlich: die
                                                                                                          formale Verbindung zwischen Maria und Gottvater: Ihre Hüften bilden gleichzeitig die
                                                                                                          Schultern von Gottvater, beide Personen sind untrennbar verbunden.

                                                                                                          Diese und viele weitere Kostbarkeiten sowie interessante Sonderausstellungen sind
                                                                                                          im Dom Museum Wien, Stephansplatz 6, 1010 Wien zu sehen. www.dommuseum.at
                                                                                                          Tel. +43 1 51552 5300

                                                                                                                                          Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018 3
Pfarrblatt Einsam? - Dompfarre St. Stephan
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 4

             Einsam?

             Warum die Einsamkeit so weh tut
             Arnold METTNITZER über die Sehnsucht nach Liebe, den Schmerz                           er dazugehören darf, zeigen zu können,
             der Einsamkeit und wie der Einzelne diesem entgegenwirken kann.                        dass er etwas kann.
                                                                                                        Wenn eines dieser seiner beiden Be-
             Die Neurobiologen versichern uns: Die      Schlag zur Hölle auf Erden wird. Betrof-    dürfnisse nicht gestillt werden kann,
             größte Sehnsucht des Menschen ist der      fene wissen nicht nur um die fehlende       dann leidet ein Mensch und nimmt das
             andere Mensch! Oder, wie es bereits Pa-    Liebe, sie klagen über den Schmerz der      als tiefen inneren Schmerz wahr. Der
             racelsus formuliert: „Der Mensch ist des   Einsamkeit, vor allem aber über die noch    Ausschluss aus einer Gemeinschaft tut
             Menschen beste Medizin, das beste Maß      viel schlimmere „Einsamkeit zu zweit“,      einem Menschen weh, und wer daran
             dafür ist die Liebe!“ Gerade zur Weih-     jenes leblose, freudlose, wortlose Ne-      gehindert wird, zu zeigen, was er kann,
             nacht rufen wir uns gegenseitig diese      beneinander, in dem der eine den ande-      muss auch das als tiefen inneren
             Liebe in Erinnerung. Gerade zur Weih-      ren „nicht einmal mehr ignoriert“.          Schmerz empfinden. Seine einzige Ret-
             nacht aber wird uns auch diese in unse-                                                tung kann nur darin bestehen, Gemein-
             ren kleinen und großen Gemeinschaften      Gründe für Einsamkeit sind im-              schaften zu finden, in denen er sich ge-
             fehlende Liebe ganz besonders schmerz-     mer einzigartig                             borgen fühlt und die ihm Möglichkeiten
             lich bewusst.                              Die Gründe für die Einsamkeit eines         bieten, unverwechselbar zeigen zu kön-
                 Dort, wo Glück über Nacht zum Un-      Menschen sind vielfältig und immer ein-     nen, dass er etwas kann.
             glück wird, Partnerschaften zerbrechen     zigartig. Leo Tolstois Roman „Anna Kare-
             und der erhoffte Himmel mit einem          nina“ beginnt ganz in diesem Sinne mit      Die goldene Regel
                                                        dem Satz: „Alle glücklichen Familien        Als Religionslehrer habe ich deshalb mei-
                                                        sind einander ähnlich, jede unglückliche    ne Schüler eingeladen, aus all unseren
                Gebet für die Irren und Sträflinge      Familie ist unglücklich auf ihre Weise.“    gemeinsamen Unterrichtsstunden ledig-
                                                        Alles Unglück ist individuell. Und alles    lich einen Grundsatz mit ins Leben zu
                IHR, von denen das Sein                 Unglück führt in tiefe, tiefe Einsamkeit!   nehmen, den sie sich ins Herz schreiben
                leise sein großes Gesicht               Darum tut die Einsamkeit so weh! Sie        sollten. Dieser Grundsatz nennt sich „Die
                wegwandte: ein                          schmerzt wie eine Amputation, die uns       goldene Regel“, findet sich in der Bibel
                vielleicht Seiender spricht             das Herz aus dem Leib zu reißen scheint.    und lautet: „Alles, was ihr wollt, dass die
                                                            Warum ist das so? Weil jeder Mensch     Menschen euch tun, das tut ihnen eben-
                draußen in der Freiheit                 mit zwei Erfahrungen auf die Welt           so“. (Tob 4,16; Mt 7,12; Lk 6,31) Oder in der
                langsam bei Nacht ein Gebet:            kommt, die er bereits in den ersten Mo-     rabbinischen Übersetzung des biblischen
                daß euch die Zeit vergeht;              naten seins Daseins im Mutterleib ge-       Liebesgebotes: „Liebe Deinen Nächsten,
                denn ihr habt Zeit.                     macht hat, sie nie mehr vergessen kann      er ist wie Du!”
                                                        und zeitlebens danach trachten wird, sie         Das führt mit etwas Glück in die wun-
                Wenn es euch jetzt gedenkt,             zu wiederholen:                             derbare Erfahrung eines „heiligen Tau-
                greift euch zärtlich durchs Haar:                                                   sches“: Anderen helfen zu können, hilft
                alles ist weggeschenkt,                 Sehnsucht nach Geborgenheit                 dir! Andere tragen zu können, trägt dich!
                alles, was war.                         und persönlicher Entfaltung                      Wer das am eigenen Leib erfährt,
                                                        Die erste dieser seiner beiden Erfahrun-    weiß, dass er durch das, was er aus frei-
                O, daß ihr stille bliebt,               gen besteht darin, mit der Mutter im        en Stücken anderen tut, selbst be-
                wenn euch das Herz verjährt;            Mutterleib aufs Engste verbunden ge-        schenkt wird, wie zwei Brüder, von de-
                daß keine Mutter erfährt,               wesen zu sein und aus dieser wohltuen-      nen man sich erzählt, sie hätten mitei-
                daß es das giebt.                       den Erfahrung heraus nach seiner Ge-        nander den von ihren Eltern geerbten
                                                        burt bis zum Ende seines Lebens darauf      Bauernhof bewirtschaftet und am Ende
                Oben hob sich der Mond,                 zu hoffen, es möge da draußen in der        den Ertrag der Ernte geschwisterlich ge-
                wo sich die Zweige entzwein,            Welt so weitergehen, er möge verbun-        teilt. Nachts hätten sie beide nicht schla-
                und wie von euch bewohnt                den bleiben, geborgen sein und ein Le-      fen können: Der eine denkt: „Mein Bru-
                bleibt er allein.                       ben lang nicht allein gelassen werden.      der hat eine große Familie und braucht
                                                        Und auch seine zweite, bereits im Mut-      mehr als ich zum Leben. Ich will um Mit-
                Rainer Maria Rilke                      terleib gemachte Erfahrung, nämlich ge-     ternacht etwas von meinen Garben in
                (Aus: Die Gedichte, Insel Verlag,       wachsen zu sein und sich entfaltet zu       seine Scheune tragen…“ Der andere
                Frankfurt am Main und Leipzig 2006,     haben, hofft er nach seiner Geburt ein      denkt: „Mein Bruder ist allein. Im Alter
                413–414)                                Leben lang machen zu dürfen: dort, wo       wird er niemanden haben, der für ihn

          4 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018
Pfarrblatt Einsam? - Dompfarre St. Stephan
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 5

                                                                                                                                                Die Autoren
                                                                                                                                                Mag. Karin DOMANY, pens. Religionspädagogin,
                                                                                                                                                   PGR St. Stephan
                                                                                                                                                Toni FABER, Dompfarrer St. Stephan
                                                                                                                                                Dr. Annemarie FENZL, Kardinal König-Archiv,
                                                                                                                                                   eh. Leiterin des Wiener Diözesanarchivs
                                                                                                                                                Peter FRIESE, Gastronom
                                                                                                                                                Reinhard H. GRUBER, Domarchivar von St. Ste-
                                                                                                                                                   phan
                                                                                                                                                P. Dr. Felix GRADL, Guardian im Franziskaner-
                                                                                                                                                   kloster in Wien
                                                                                                                                                P. Dr. Anselm GRÜN OSB, Mönch der Abtei
                                                                                                                                                   Münsterschwarzach, Buchautor
                                                                                                                                                Mag. Stefan JAGOSCHÜTZ, Domkurat in St. Ste-
                                                                                                                                                   phan, Aushilfsseelsorger im Pfarrverband
                                                                                                                                                   „Oberes Schmidatal“
                                                                                                                                                Domkap. KR MMMag. Dr. Roland Peter
                                                                                                                                                   KERSCHBAUM, Pfarrer von Elsbethen,
                                                                                                                                                   Diözesankonservator
                                                                                                                                                Dagmar KOLLER, Sängerin, Schauspielerin
                                                                                                                                                Mag. Markus LANDERER, Domkapellmeister von
                                                                                                                                                   St. Stephan
                                                                                                                                                Prof. Dr. Martin M. LINTNER OSM, Prof. für
                                                                                                                                                   Moraltheologie an der Philosophisch-Theolo-
                                                                                                                                                   gischen Hochschule Brixen
                                                                                                                                                P. Walter LUDWIG OCist, Pfarrer und Prior des
                                                                                                                                                   Neuklosters Wiener Neustadt
                                                                                                                                                Sr. Agnes Maria MAYER OCD, Karmel St. Josef
                                                                                                                                                   am Hanschweg in Wien
                                                                                                                                                Dr. Arnold METTNITZER, Psychotherapeut und
                                                                                                                                                   Theologe
                                                                                                                                                Hubert NEUPER, Unternehmer, Eventmanager
                                                                                                                                                Dr. Raphaela PALLIN, Theologin der Erzdiözese
                                                                                                                                                   Wien, derzeit Offizial am Päpstlichen Rat zur
                                                                                                                                                   Förderung der Neuevangelisierung
                                                                                                                                                Prof. Dr. iur. Rotraud A. PERNER, B / MTh
                                                                                                                                                   (evang.), Psychotherapeutin/ PA, Gesund-
                                                                                                                                                   heitspsychologin, dipl. Sozialtherapeutin,
                                                                                                                                                   Akad. zert. Erwachsenenbildnerin (PH Wien),
                                                                                                                                                   evang. Theologin/ Pfarrerin. i. E./Projekt- und
                                                                                                                                                   Unternehmensberaterin, Diplommediatorin,
                                                                                                                                                   Feldsupervisorin (ÖBVP), Coach
                                                                                                                                                P. Nikolaus POCH OSB, Pfarrmoderator von
                                                                                                                                                   St. Ulrich 1070 Wien, Novizenmeister, Studen-
                                                                                                                                                   tenseelsorger
                                                                                                                                                Iris / Michael PODGORSCHEK, Lichtplaner
                                                                                                                                                   podpod design
                                                                                                                                                Dr. Veronika PRÜLLER-JAGENTEUFEL, Theol.
                                                                                                                                                   Referentin der Caritas der Diözese St. Pölten,
                                                                                                                                                   Seelsorgerin im Haus St. Elisabeth
                                                                                                                                                Prälat Karl RÜHRINGER, em. Domdekan, em.
                                                                                                                                                   Bischofsvikar Wien- Stadt
                                                        Das freudlose, wortlose Nebeneinander, in dem der eine den anderen „nicht einmal        DI Dr. Thomas RUTH, Director Air Traffic
                                                                                                                                                   Management Operations Frequentis AG
                                                        mehr ignoriert“, wird als besonders schmerzvoll erlebt.                                 Gerda ROGERS, Astrologin und Radio-
                                                                                                                                                   moderatorin
                                                                                                                                                Dr. Andreas SALCHER, Unternehmensberater,
                                                        sorgt. Ich will um Mitternacht etwas von                                                   Buchautor
                                                                                                                                                Karl SCHLÖGL, Bundesminister a.D., eh.
                                                        meinen Garben in seine Scheune tra-                                                        Bürgermeister von Purkersdorf
                                                        gen...“ Um Mitternacht begegnen einan-                                                  Johannes SILBERSCHNEIDER, Schauspieler
                                                                                                                                                Mag. Birgit STAUDINGER, Theologin
                                                        der die beiden Brüder - jeder in seinen                                                 Claudia STÖCKL, Radiomoderatorin bei Ö3
                                                                                                                                                Mag. Christian SZABADY, Psychologe bei
                                                        Händen die Garben für den anderen…                                                         „147 Rat auf Draht“
                                                                                                                                                P. Georg SPORSCHILL SJ, Elijah Soziale Werke
                                                                                                                                                Br. Raimund von der THANNEN, Benediktiner-
                                                        Aneinander-Denken                                                                          stift St. Lambrecht
                                                                                                                                                Prof. P. Dr. Kosmas THIELMANN OCist, Pfarr-
                                                        und beschenken                              Arnold Mettnitzer                              moderator, Hochschule Benedikt XVI. Heili-
                                                                                                                                                   genkreuz
                                                        Diese kleine Geschichte beantwortet ge-      ist Theologe und                           Em. Univ.-Prof. Prälat Dr. Josef WEISMAYER,
                                                        radezu „spielerisch“ die Frage, was ich      Psychotherapeut                               Rektor des Stephanushauses der Erzdiözese
                                                                                                                                                   Wien
                                                        als Einzelner gegen die Not und Einsam-                                                 Erwin WURM, Bildhauer, Künstler
  Mettnitzer: Paloma Schreiber | Großmann /pixelio.de

                                                                                                                                                Josefine Maria ZITTMAYR, Angestellte, Autorin,
                                                        keit vieler Menschen tun kann:             derer Menschen nicht vorübergehen               Geistliche Begleiterin und Meditationsleite-
                                                            „Aneinander-Denken“ ist ansteckend     kann, wirkt Wunder. Diese seine Gedan-          rin nach benediktinischer Tradition, Diplom-
                                                                                                                                                   lebensberaterin
                                                        und hochwirksam gegen die Not und          ken aber lassen ihn erst dann zur Ruhe
                                                        Einsamkeit vieler Menschen. Gedanken,      kommen, wenn er bereit ist, ihnen ent-       Redaktion
                                                        wir können sie auch Gebete nennen,         sprechend zu handeln. Und zu guter           Redaktionsleitung: Mag. Birgit STAUDINGER
                                                                                                                                                Lektorat: Mag. Karin DOMANY, Reinhard H.
                                                        sind wunderwirkende Mächte. Wer als        Letzt wird er selbst dadurch beschenkt         GRUBER, Daniela TOLLMANN
                                                        Mensch unter Menschen mit offenen          sein und nicht zu sagen vermögen, wer        Redaktionsteam: Dompfarrer Toni FABER,
                                                                                                                                                  Diakon Erwin BOFF, Mag. Karin DOMANY,
                                                        Augen und einem ebenso offenen Her-        von den beiden den anderen mehr be-            Mag. Heinrich FOGLAR-DEINHARDSTEIN,
                                                                                                                                                  Reinhard H. GRUBER, Anneliese HÖBART
                                                        zen durch die Welt und so an der Not an-   schenkt hat.                         ■

                                                                                                                                  Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018 5
Pfarrblatt Einsam? - Dompfarre St. Stephan
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 6

             Einsam?

             Lieben – der Weg aus der Einsamkeit
             Wie lernen wir Zeiten des Alleinseins sinnvoll und gut zu gestalten? Wie lernen wir zu lieben?
             Rotraud PERNER über wichtige frühkindliche Entwicklungsprozesse und die Kunst des Liebens.
             Mut und Vertrauen sind gefragt, sowie die Bereitschaft, eigene Grenzen zu erweitern.

                                                            Inspiration „erlaubt“ ist (und nicht als     en voraus: ist ja nicht so einfach – diese
                                                            „Spinnerei“ verboten wird). Sie zählt zur    Erweiterung unserer engen Grenzen.
                                                            menschlichen „Gottebenbildlichkeit“ und
                                                            damit auch zum Verbindungspotenzial          Grenzen aushandeln
              Rotraud A. Perner                             und zur „Gottverbundenheit“.                 statt Rückzug in gut
               ist Psychoanaly-                                                                          abgegrenzte Einsamkeit
               tikerin, evangeli-                           Lieben lernen durch                          Viele fürchten diese Entgrenzung, weil
            sche Theologin und                              Identifikation mit Vorbildern                sie nur die eine Seite wahrnehmen – den
            Hochschulpfarrerin                              Üblicherweise entwickeln sich all diese      Verlust von Panzerung und Abschottung
                   im Ehrenamt                              Wahrnehmungs- wie Handlungs-Ner-             – die sie für Stärke und Widerstandshär-
                                                            venzellen aus der Beobachtung, Imitati-      te halten, und nicht die andere den Ge-
             Alles was wir können, haben wir „ge-           on und daher unbewussten Identifikati-       winn an Lebendigkeit. Sie ziehen sich lie-
             lernt“ – denn „lernen“ bedeutet, Wahr-         on mit einem Vorbild. Dabei ist es egal,     ber in gut abgegrenzte Einsamkeit zu-
             nehmungs- und Handlungs-Nervenzel-             ob das ein körperlich präsentes Lebewe-      rück als Grenzen mit anderen auszuhan-
             len zu bilden. Und je intensiver diese ver-    sen – bevorzugt ein Mensch – ist oder        deln. In Märchen – narrativen Psycholo-
             netzt sind, desto intelligenter und auch       ein virtuelles wie etwa in Filmen. Leider    gielehrbüchern – sind es die „versteiner-
             kreativer ist jemand.                          demonstrieren gerade letztere selten all-    ten“ Prinzen oder die Prinzessinnen hoch
                                                            tagstaugliche Modelle eines prosozialen      oben auf Glasbergen, die der Erlösung
             Kreative, liebevolle                           Miteinanders und Füreinanders. Das gilt      durch Liebe harren. Im Alten Testament
             und soziale Einsamkeit                         meist als „fad“. Zu wenig rasante „ac-       ist es das „verstockte“ Herz des Pharaos,
             Auch Einsamkeit muss erlernt werden:           tion“. Man könnte ja die eigene innere       das erst in der Trauer um den Verlust des
             die kreative Einsamkeit „sich allein sinn-     Leere spüren ... Dabei braucht es diesen     geliebten Sohnes die Panzerung nicht
             voll beschäftigen zu können“ wie auch die      „Freiraum“ fürs Lieben.                      mehr aufrechterhalten kann. Manche
             liebevolle Einsamkeit „es mit sich selbst          Liebende Herzöffnung braucht Zeit.       Menschen werden erst in der Trauer ge-
             auszuhalten“. Dazu braucht man die kör-        Und sie macht verletzlich. Besonders         wahr, dass sie geliebt haben.            ■
             perliche Kraft des Greifens und Gestal-        dann, wenn Konflikte nicht herzoffen ge-     Meine engen Grenzen –
             tens – und die hat man erst gegen Ende         klärt und bereinigt werden.                  meine kurze Sicht – bringe ich vor dich.
             des zweiten Lebensjahres. Genau zu die-            Deswegen identifizieren sich viele       Wandle sie in Weite: Herr erbarme dich.
             ser Zeit beginnen Kleinkinder auch ihren       lieber (unbewusst) mit Tieren, ja sogar
             Bezugspersonen gelegentlich wegzulau-          mit Maschinen – mit „Totem“. Da erspart
             fen oder sie gar wegzustoßen. Leider wer-      man sich Widerrede. Davor – vor der Ab-
             den viele dann geschimpft oder bestraft        spaltung „weicher“, eben menschlicher
             und „lernen“ so die geheime Botschaft          Gefühle – hat der deutschamerikanische
             „Ich muss immer da – nämlich unter Kon-        Soziologe und Psychoanalytiker Erich
             trolle anderer – bleiben“ und bekommen         Fromm sorgenvoll gewarnt.
             dann oft quasi „Entzugserscheinungen“,
             wenn niemand da ist. Dabei ist aber im-        Lieben lernen, indem
             mer wer (was) da – und wenn es nur eine        wir geliebt werden
             kleine Fliege ist. Oder ein anderer Teil des   Die Wahrnehmungsneuronen des Lie-
             „Environments“, der Natur – oder Schöp-        bens erwerben wir hoffentlich schon als      Rotraud Perner hat zahlreiche lesens-
             fung (dessen Ursprung, „Schöpfer“ ge-          Babys im Austausch mit einer Person, die     werte Bücher zur Thematik verfasst.
             nannt, mitgemeint), wenn man das, was          uns Liebe entgegenbringt. In deren Augen     Zwei davon: Der einsame Mensch,
                                                                                                                                                      Perner: waldviertel-akademie

             damit symbolisiert wird (und wovon man         Glanz aufleuchtet, wenn sie uns liebend      Amalthea 2014 und neu erschienen:
             sich kein Bild machen soll und realisti-       ansieht und uns „das Herz aufgehen“          Lieben! Über das schönste Gefühl der
             scher Weise auch kann), so benennen will.      lässt. Ob wir als Erwachsene dann andere     Welt – für Anfänger, Fortgeschrittene
                  Später könnte auch soziale Kreativi-      in ihrer Personhaftigkeit ganz in uns auf-   und Meister, Verlag Orac im
             tät dazu kommen – wenn die „geistige“          nehmen können – setzt Mut und Vertrau-       Kremayr & Scheriau Verlag, 2018.

          6 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018
Pfarrblatt Einsam? - Dompfarre St. Stephan
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 7

                                          Von Gott und Welt verlassen – Jeremia
                                          An seinen Vorhaben zu scheitern, von der eigenen Familie verstoßen zu werden, sich verlassen zu fühlen, das
                                          ist nie eine einfache Situation im Leben. Was aber, wenn man alles auf eine Karte – auf Gott – gesetzt hat
                                          und sich dann plötzlich von ihm im Stich gelassen wähnt? P. Felix GRADL OFM über den Propheten Jeremia

                                          Auch der glaubende Mensch                      chern und in ihrem Glauben erschüt-
                                          bleibt nicht vom Gefühl                        tern. Schließlich fällt in seine Zeit der            P. Felix Gradl
                                          der Verlassenheit verschont                    Niedergang und Unterganges des Rei-            war bis 2012 Prof.
                                          „...weh dem der keine Heimat hat“, endet       ches Juda und die Zerstörung Jerusa-         für Altes Testament
                                          das berühmte Gedicht von F. Nietzsche,         lems.                                         an Rel.-päd. Hoch-
                                          dem er den Titel „Vereinsamt“ gab. In der                                                         schule E. Stein
                                          Advent- und Weihnachtszeit ist beson-          Ganz Gott vertrauend –                       (Stams) und ist seit
                                          ders viel von Familie, Zusammensein            gescheitert – einsam                           2014 Guardian im
                                          und Liebe die Rede. Gerade das fällt frei-     Er wusste sich „ganz von Gott in Dienst      Franziskanerkloster
                                          lich vielen auf den Kopf, die dann ihr Al-     genommen“ (N. Füglister), er hat diesen                    in Wien
                                          leinsein umso intensiver spüren.               Auftrag – ob seiner Jugendlichkeit ein
                                               Auch der glaubende Mensch ist da-         wenig zögernd, aber im Vertrauen auf          Kreis der Lustigen und nicht war ich
                                          von nicht verschont. Im Leben Jesu sel-        seinen Gott bereitwillig angenommen.          fröhlich: unter der Macht deiner Hand
                                          ber gibt es Momente der Verlassenheit          In seinem jugendlichen Eifer mag er           sitze ich einsam“ (15,17).
                                          (vgl. Mk 14,34ff; 15,34). Viele der „großen“   wohl auch etwas „blauäugig“ gewesen               Er verwünscht den Tag seiner Geburt
                                          Heiligen haben solche Erfahrungen ge-          sein - wie ein „zutrauliches Lamm“, das       (15,10; 20,15): Gottes Wort war sein Le-
                                          macht.                                         keine Ahnung hat, dass man es zum             ben, war ihm Glück und Freude (15,16) -
                                               „Innerhalb der hebräischen Bibel“         Schlachten führt (11,19). Seine eigenen       doch alles hat sich zum Bitteren gewan-
                                          stellt der Prophet Jeremia „das Extrem         Verwandten suchten sich seiner zu ent-        delt. Gott ist ihm zum „Wadi“ (trügeri-
                                          dessen dar, was einem Propheten wider-         ledigen. Er blamierte sie, sie kamen sei-     sches Gewässer) geworden, auf den ist
                                          fahren kann“ (G. Fischer). Über ihn und        netwillen in Verruf. Also - muss er weg.      kein Verlass, ganz im Gegenteil: „Du hast
                                          sein Schicksal sind wir relativ gut unter-     Von höchster Stelle wurde er angefein-        mich betört und ich ließ mich betören“
                                          richtet. Nicht dass sich eine Biographie       det, gefangen gehalten, in eine Zisterne      (20,7) – wie ein naives Mädchen bin ich
                                          im heutigen Sinne schreiben ließe - his-       geworfen, in deren Schlamm er beinahe         dir auf den Leim gegangen. Das Ende
                                          torisch-kritische Überlegungen zu den          umkam. Seine, das ist Gottes Botschaft        vom Lied – allein gelassen auf allen Ebe-
                                          einzelnen Schrifttraditionen müssen in         wurde nicht gehört: Er musste seinen          nen. Auf eine liebende Frau musste er
                                          unserem Zusammenhang unberücksich-             Auftrag als gescheitert ansehen. Das          verzichten: Im Dienste seiner Verkündi-
                                          tigt bleiben -, aber in seinen sogenann-       führte zu einer inneren Zerrissenheit, er     gung durfte er nicht heiraten (Kap. 16),
                                          ten „Confessiones“ („Bekenntnissen“)           führte Klage, bittere Klage mit seinem        der einzige Fall im Alten Testament.
                                          hat er uns einen deutlichen Einblick in        Gott, von dem er sich im Stich gelassen
                                          sein Leben gewährt. Es handelt sich um         fühlte, allein. Freunde, aufmunternde         Trotzdem nicht ohne Gott
                                          Texte im Buch Jeremia, die als Gebete,         Gesellschaft gab es nicht: „Nie saß ich im    Trotzdem – in aller Verbitterung – konn-
                                          Bitten und Klagen formuliert, Aufschluss                                                     te er von seinem Gott nicht lassen: „Sag-
                                          darüber geben, was in seinem Inneren                                                         te ich aber: Ich will nicht an ihn denken
                                          vor sich geht.                                                                               und nicht mehr in seinem Namen spre-
                                               Ein paar äußere Daten: Jeremia,                                                         chen!, so brannte in meinem Herzen ein
                                          wohl der Sohn eines Priesters in der Nä-                                                     Feuer …“ (20,9), das nicht zu löschen war.
                                          he von Jerusalem, wusste sich zum Pro-                                                            „Geteiltes Leid ist halbes Leid“. Es
                                          pheten, d.i. zum Verkünder des Gottes-                                                       mag mancher und manchem von uns
                                          willens, berufen, und das schon in jun-                                                      ein Trost sein. Die Bibel verschweigt die-
                                          gen Jahren (etwa im Alter von 20, vgl. Jer                                                   se Möglichkeit des Glaubens keinesfalls.
   Gradl: Franziskaner Wien | Domarchiv

                                          1,4-10). Seine Verkündigung fällt in eine                                                    Sie endet aber – bei aller Tragik – nicht in
                                          verworrene Zeit: auf der einen Seite gibt                                                    der Trost- und Heimatlosigkeit. Auch
                                          es religiöse Erneuerung, auf der anderen                                                     nicht bei Jeremia: Das Wort blieb wahr:
                                          Seite sind es die politischen Wirren (Be-      Verlassen und zerbrochen: der Prophet         „Ich bin mit dir, um dich zu retten“ (Jer
                                          drohung durch Nachbarstaaten, politi-          Jeremia (auch im Stephansdom – aber er        1,8) und gilt auch uns: Christus, der Ret-
                                          sche Intrigen), die die Menschen verunsi-      wird bereits restauriert …)                   ter, ist da.                               ■

                                                                                                                        Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018 7
Pfarrblatt Einsam? - Dompfarre St. Stephan
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 8

             Einsam?
                                                                                                              unserer Einsamkeit auf Jesus am Kreuz
             War Jesus einsam?                                                                                schauen. Dann fühlen wir uns nicht al-
                                                                                                              lein. Dann haben wir Anteil an ihm, der
             Kannte Jesus auch das Gefühl von Einsamkeit? Was berichtet die                                   alle Verlassenheit überwunden hat.
             Heilige Schrift über das Alleinsein und Alleingelassenwerden Jesu?
             Pater Anselm GRÜN über den Umgang Jesu mit der Einsamkeit                                        „… wir werden zu ihm
             und wie dieser uns zum Vorbild werden kann.                                                      kommen und bei ihm wohnen“
                                                                                                              Die Art und Weise, wie Jesus mit seinem
             „… und er ging an                                ken und Lehren umsonst war. Als Jesus           Alleingelassenwerden umgeht, ist ein Vor-
             einen einsamen Ort“                              vom Berg der Verklärung herabsteigt und         bild für uns. Jesus zeigt, wie auch wir im-
             Jesus – so schildert es uns vor allem der        auf die Jünger trifft, die vergeblich einen     mer wieder in Einsamkeit geraten und
             Evangelist der Lukas – sucht immer wie-          besessenen Jungen zu heilen versuchen,          von Freunden verlassen werden. Das tut
             der einsame Orte auf, um zu beten. (Vgl.         ruft er aus: „O du ungläubige Generation!       weh. Und den Schmerz können wir nicht
             Lk 4,42) Bevor er seine Jünger beruft, geht      Wie lange muss ich noch bei sein? Wie lan-      überspringen. Aber wir sollen immer wis-
             er „auf einen Berg, um zu beten. Und er          ge muss ich euch noch ertragen?“ (Mk 9,19)      sen: Gott ist bei uns. Uns ist das oft nicht
             verbrachte die ganze Nacht im Gebet zu           Jesus ist mitten in seinem Jüngerkreis,         Trost genug. Jesus hatte eine so tiefe Ver-
             Gott“ (Lk 6,12) Und Jesus betet in der Ein-      aber er fühlt sich allein, unverstanden, ent-   bindung zum Vater, dass dieses Einssein
             samkeit, bevor er seine Jünger danach            täuscht. Die Enttäuschung ist häufig der        mit dem Vater ihn über alle menschliche
             fragt, für wen die Leute ihn halten. (Lk 9,18)   Grund, dass wir uns einsam fühlen. Wir          Enttäuschung und über das Verlassen-
             Jesus sucht die Einsamkeit auf, um zu be-        haben den Eindruck, dass wir den anderen        werden hinweg getragen hat. Jesus ver-
             ten, um die Beziehung zu seinem Vater            nicht erreichen.                                heißt uns im Johannesevangelium, dass
             zu spüren. Er braucht die Einsamkeit. Die                                                        wir in ihm sind und er in uns. Und aus die-
             Einsamkeit ist der Ort, an dem er sich           „Mein Gott, mein Gott, warum                    ser Einheit heraus werden wir fähig, wie
             eins fühlt mit dem Vater und an dem er           hast du mich verlassen?“                        er die Einsamkeit als Ort dieser Einheit mit
                                                              Die Einsamkeit Jesu gipfelt in seinem           Gott zu erfahren. Denn Jesus selbst und
                                                              Schrei am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott,         der Vater wohnen in uns, wie es uns im Jo-
                                                              warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34).      hannesevangelium (14,23) verheißen ist:
                                                              Jesus fühlt sich in der Einsamkeit des          „Wenn jemand mich liebt, wird er an mei-
                                                              Kreuzes von seinen Jüngern verlassen,           nem Wort festhalten; mein Vater wird ihn
            P. Anselm Grün OSB                                die bei der Gefangennahme alle geflohen         lieben, und wir werden zu ihm kommen
                   ist Mönch der                              sind. Und er fühlt sich auch von Gott ver-      und bei ihm wohnen.“ Wenn wir dieses
                 Abtei Münster-                               lassen. Er hat ihm nicht geholfen, dem          Wort in unser Herz fallen lassen und da-
                schwarzach und                                Kreuz zu entgehen. Aber Jesus wendet            ran glauben können, dann entzieht uns
                Autor unzähliger                              sich in seiner Einsamkeit und Verlassen-        die Einsamkeit unter den Menschen nicht
              spiritueller Bücher                             heit an Gott. Und so verwandelt sich das        den Boden unter den Füßen. Wir sind mit-
                                                              Gefühl der Verlassenheit in Vertrauen.          ten im Alleingelassenwerden innerlich ge-
             vor Gott das Geheimnis seiner eigenen            Denn Jesus hat am Kreuz ja den ganzen           tragen von Gott. Wir sind nicht allein. Gott
             Person und seiner Sendung erspürt.               Psalm 22 gebetet. Und dieser Psalm              ist bei uns und mit uns und in uns.
                                                              mündet in die Erfahrung: „Ich will deinen       (Gekürzter Textauszug aus: Anselm Grün,
             „Wie lange muss ich                              Namen meinen Brüdern verkünden, in-             Stille im Rhythmus des Lebens. Von der
             euch noch ertragen?“                             mitten der Gemeinde dich preisen…               Kunst, allein zu sein, Gütersloher Verlags-
             Aber manchmal fühlt Jesus sich auch ein-         Denn er hat nicht verachtet, nicht verab-       haus 2013. Dieses Buch ist leider vergriffen.)
             sam mitten unter den Jüngern, weil sie ihn       scheut das Elend des Armen. Er verbirgt
             einfach nicht verstehen. Nach der zweiten        sein Gesicht nicht vor ihm; er hat auf sein     Anselm Grün hat in seinem neuesten
             Brotvermehrung spürt er ihr Unverständ-          Schreien gehört.“ (Ps 22,23.25f) Jesus          Buch die Erfahrungen der Wüstenväter
             nis und spricht sie an: „Was macht ihr euch      zeigt uns einen Weg, wie wir mit unse-          aus den Jahren 300 bis 500 n.Chr. zusam-
             darüber Gedanken, dass ihr kein Brot             rem Gefühl von Einsamkeit, von Nicht-           mengetragen und in Form eines Jahr-
             habt? Begreift und versteht ihr immer            Verstandenwerden, von Verlassenwer-                            buchs neu ausgelegt:
             noch nicht? Ist denn euer Herz verstockt?        den umgehen sollen. All diese Gefühle                          Anselm Grün, Jeder Tag
             Habt ihr keine Augen um zu sehen, und            dürfen sein. Aber wir können sie vor Gott                      ein neuer Anfang. Die
             keine Ohren, um zu hören? (Mk 8,17). Aus         zum Ausdruck bringen. Wir können uns                           Weisheit der Wüstenväter
                                                                                                                                                               Vier-Türme-Verlag

             diesen Worten spricht Jesus, wie er darun-       mit unserer Einsamkeit Gott hinhalten.                         für das ganze Jahr,
             ter leidet, dass die Jünger ihn nicht verste-    Dann kann sich die Einsamkeit in Ver-                          Vier-Türme Verlag,
             hen. Jesus hat das Gefühl, dass sein Wir-        trauen verwandeln. Und wir können in                           Münsterschwarzach 2018

          8 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018
Pfarrblatt Einsam? - Dompfarre St. Stephan
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                                         Einsamkeit mit Maria durchleben
                                         Auch Maria, die Mutter Gottes, erlebte einsame Momente in ihrem Leben. Gerade deswegen kann sie in
                                         besonderer Weise Begleiterin in Einsamkeit und Not sein. Gedanken von Raphaela PALLIN

                                         Es ist eine meiner tiefsten Erfahrungen         sie auch die Einsamkeit, die alle Men-
                                         in den „30 tägigen Exerzitien“, einem in-       schen kennen.
                                         tensiven geistlichen Übungs- und Ent-
                                         scheidungsweg, der wesentlich am Le-            Die „kleine Einsamkeit“
                                         ben Jesu orientiert ist. Am Ende der drit-      Es ist die „kleine“ Einsamkeit der mensch-
                                         ten Woche, der „Passionswoche“, wird            lichen Suche, des Abgeschieden-Seins,
                                         nach der Grablegung Jesu in einer Be-           des Alleine-tragen-Müssens, der Tren-
                                         trachtung die Einsamkeit Mariens vor            nung, des Sich-nicht-mitteilen-Könnens,
                                         Augen gestellt. Mir ist, als säße ich in ei-    des Ausharrens, des Wartens. Maria er-
                                         nem dunklen Raum am Boden. Ange-                lebt all dies von der Empfängnis Jesu an,
                                         lehnt in meinen Armen: Maria, die Mut-          ganz besonders aber, als sie den ver-
                                         ter Jesu, ganz in Trauer um ihren Sohn.         schwundenen Zwölfjährigen tagelang
                                         Stetig wiederholt sie: „Er denkt an sein        voll Schmerz sucht und erst am dritten
                                         Erbarmen …“ – wie wahnsinnig in ihrem           Tag im Tempel, dem „Haus seines Vaters“,
                                         Schmerz. Ihr Wort wird zur Tröstung, als        wiederfindet. Diese Einsamkeit erträgt
                                         ich darin die Worte des Magnifikat ver-         sie auch in den Jahren seines öffentlichen
                                         nehme: „Er denkt an sein Erbarmen, das          Wirkens, im Unverständnis der Men-
                                         er unseren Vätern verheißen hat …“ Nun          schen – sogar der Jünger –, im Herzen ver-
                                         ist sie es, die in ihrem Glauben mich hält,     bunden mit ihrem Sohn, dem „Sohn des
                                         bis in den Morgen, an dem – wie man             Höchsten“, auf den sie vertraut.
                                         „mit Verstand“ betrachten soll – der Auf-
                                         erstandene seiner Mutter Maria begeg-           Die „große Einsamkeit“                       Was muss wohl im Herzen Mariens in je-
                                         net und als der Lebendige „ihre Freude“         Diese „große“ Einsamkeit ist die Folge       nem Moment vor sich gegangen sein?
                                         ist: ihr Leben lang bis in ihre leibliche       der menschlichen Sünde. Nicht, dass
                                         Aufnahme in seinen Himmel hinein.               Maria selbst gesündigt hätte. Doch in        Im Mitgehen begleitet
                                                                                         der Passion Jesu, der die Schuld aller       Maria, die Mutter Jesu und „Mutter der
                                         Herausgehoben                                   Menschen auf sich nimmt und durchlei-        Kirche“, weiß um unsere kleine und un-
                                         Es gibt die menschliche Einsamkeit im           det bis hinein in die schmerzlichste Gott-   sere große Einsamkeit. Es tut gut, im Ro-
                                         Leben Marias: Aus der über alle Genera-         ferne des Todes, leidet auch Maria die       senkranzgebet – besonders alleine – sich
                                         tionen weitergegebenen menschlichen             Verlassenheit mit, erleidet im Durchhal-     von ihr begleiten zu lassen: im Mitgehen
                                         Neigung, eigene „bessere“ Wege gehen            ten von Glaube, Hoffnung und Liebe die       in den „Geheimnissen“ des Lebens Jesu
                                         zu wollen und sich schuldhaft von Gott          „Nacht des Glaubens“, das Ausgeliefert-      und ihres Lebens, die zu erlösenden „Ge-
                                         zu trennen, ist sie für die Erlösung aller      sein der Hoffnung, die Ohnmacht der          heimnissen“ unseres Lebens werden. Es
                                         Menschen vom Anfang ihres Lebens an             Liebe. Im reinen Glauben hält sie an der     tut gut, ihr die Sorgen und Nöte unseres
                                         herausgehoben und erlebt alles Unheil           von Christus für alle gewirkten Erlösung     Lebens anzuvertrauen, die wir so oft für
                                         wohl schmerzlicher. Noch mehr abge-             fest und preist Gott in Dankbarkeit: „Er     uns behalten und alleine tragen wollen.
                                         sondert, „geheiligt“ ist sie, als sie vom       denkt an sein Erbarmen…!“                    Es tut gut, Maria im Gebet um ihre Für-
                                         Heiligen Geist erfüllt den Sohn Gottes                                                       bitte anzurufen, wenn die Einsamkeit ei-
                                         empfängt, der in ihr Fleisch annimmt:                                                        gener Schuld, das Leiden am Unheil im
                                         Sie empfängt ihn in ihrem Herzen, in ih-                                                     Zusammenleben oder die „Nacht des
                                         rem Schoß, hält ihn ihren Armen, lauscht                                                     Glaubens“ uns bedrängen. Sie, die um all
                                         seinem Atem, betrachtet ihn, gibt ihm zu          Raphaela Pallin,                           das weiß, will uns halten und als Für-
  Pallin: Veronika Bonelli | Domarchiv

                                         trinken, kleidet ihn, sieht ihn heran-          Theologin der Erz-                           sprecherin hinführen zur „Nacht der Ge-
                                         wachsen, ist im Herzen immer mit ihm              diözese Wien, ist                          burt des Erlösers“ in unserem Herzen, in
                                         verbunden. Sie, die Gottes Sohn zur Welt        derzeit Offizial am                          der wir vertrauend Gott loben und dan-
                                         bringt, ist nie allein, egal was der Weg       Päpstlichen Rat zur                           ken: „Er denkt an sein Erbarmen, das er
                                         mit dem Immanuel, „Gott mit uns“, ihr          Förderung der Neu-                            unseren Vätern verheißen hat, Abraham
                                         abverlangt. Und doch erlebt und erleidet          evangelisierung                            und seinen Nachkommen auf ewig!“ ■

                                                                                                                        Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018 9
Pfarrblatt Einsam? - Dompfarre St. Stephan
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:30 Seite 10

             Einsam?

             Die »Weihnacht der Einsamen«
             in St. Stephan
             Am Vormittag des 24. Dezember herrscht alljährlich emsiges Treiben im                    men, fast immer sind alle Plätze besetzt.
             Curhaus St. Stephan. Nichts Ungewöhnliches für diesen Tag aber doch                         Die Feier beginnt mit einer herzli-
             etwas Besonderes. Freiwillige Mitarbeiter aller Altersgruppen bereiten                   chen Begrüßung und einleitenden Wor-
             ein großes gemeinsames Fest vor, bei dem jeder willkommen ist, der in                    ten des Dompfarrers. Nach Verlesen des
             der Gemeinschaft der Dompfarre St. Stephan den Heiligen Abend                            Weihnachtsevangeliums werden tradi-
             feiern möchte. Es gibt viel zu tun – wie jedes Jahr werden mehr als 150
             Gäste erwartet. Von Thomas RUTH
                                                                                                        Thomas Ruth ist
             Die Weihnacht der Einsamen hat in St.        mit den Arbeiten beginnen. Es ist uns al-    seit vielen Jahren
             Stephan eine lange Tradition. Schon zu       len ein Anliegen, unseren Gästen eine           Teil des großen
             Zeiten von Dompfarrer Prälat Hugel wur-      stimmungsvolle Weihnachtsfeier in ei-        Teams, das dieses
             de gemeinsam mit alleinstehenden             ner gemütlichen und familiären Atmo-                  besondere
             Menschen das Weihnachtsfest gefeiert.        sphäre zu ermöglichen.                      Weihnachtsfest in
             Vieles hat sich seitdem geändert. Von ei-        Seit mehreren Jahren ist es meine               St. Stephan
             nem zu jener Zeit als „Sandlerweihnach-      Aufgabe, am Vormittag des Heiligen             organisiert und
             ten“ bezeichneten Zusammentreffen in         Abends die Getränke für das große Fest      feierlich gestaltet.
             eher schlicht gehaltenem Ambiente der        vorzubereiten. Es gibt Punsch, Früchte-
             damals zur Verfügung stehenden Räum-         tee, sowie kalte Limonaden. Während-        tionelle Lieder angestimmt, begleitet
             lichkeiten hat sich das Fest in den vielen   dessen werden von vielen helfenden          werden wir dabei von einer Pianistin. Es
             Jahren zu einer prächtigen Feier entwi-      Händen der Stephanisaal festlich einge-     wird gesungen aus vollem Herzen, mit
             ckelt, die für Gäste und Mitarbeiter ein     deckt, der Christbaum geputzt und eine      Freude und Begeisterung. – Jetzt ist
             Fixpunkt im Jahreskreis geworden ist.        beeindruckende Menge Weihnachtsbä-          Weihnachten!
                                                          ckerei liebevoll angerichtet.
             Fest in gemütlicher                              Unterstützung bekomme ich mittler-      Jeder hat seine eigene Geschichte
             und familiärer Atmosphäre                    weile von unseren Töchtern Cordula und      und viele Erinnerungen …
             Eine derart große Veranstaltung bedarf       Larissa. Auch für sie sind die Vorberei-    „Wissen Sie, ich darf das eigentlich alles
             einer intensiven Vorbereitung und einer      tungen in der Pfarre am 24. Dezember        gar nicht essen und trinken schon gar
             großen Gruppe verlässlicher Mitarbeiter,     schon ein bisschen zur Tradition gewor-     nicht. Ich habe zu hohen Zucker und
             die schon Tage vor dem 24. Dezember          den. Wenn auch der Bewegungsraum im         schlechte Blutwerte, aber heute ist für
                                                          Untergeschoss zusätzlich ihr Kommen         mich ein ganz besonderer Tag und es ist
                                                          motiviert, sind sie doch mit großem Eifer   so schön bei Euch, da mache ich eine
                                                          bei der Sache und helfen fleißig, wo im-    Ausnahme.“ Andere Gäste erzählen von
                                                          mer sie gebraucht werden. Es ist ihnen      ihren Familien, die oft aus widrigen Um-
                                                          bewusst geworden, dass in unserem di-       ständen nicht bei ihnen sein können
                                                          rekten Umfeld einsame, arme und kran-       oder zu denen einfach kein Kontakt
                                                          ke Menschen leben, denen wir mit ver-       mehr besteht. Alle haben ihre eigene,
                                                          gleichsweise geringem Aufwand große         mitunter sehr bewegende Geschichte
                                                          Freude bereiten können.                     und ganz viele Erinnerungen an früher,
                                                                                                      von denen sie gerade zu Weihnachten
                                                          Jetzt ist Weihnachten!                      gerne erzählen.
                                                          Nach der Kinderkrippenandacht laufen            Es ist eine große Freude mitfeiern zu
                                                          die letzten Vorbereitungen, bevor am        dürfen und man wird mit sehr viel Dank-
                                                                                                                                                   Ruth: Ruth | Weihnachtsfest: Hofer

                                                          frühen Abend die ersten Gäste eintref-      barkeit belohnt, die ich nur erwidern
                                                          fen. Das Abendessen – seit vielen Jahren    kann.
                                                          eine Spende des Restaurants Da Capo –           Unsere jüngste Tochter Valerie hat
                                                          wird noch frisch geliefert und ist jedes    beschlossen groß genug zu sein. Sie
                                                          Jahr eine opulente Gaumenfreude. Un-        möchte ab heuer auch bei den Vorberei-
                                                          sere Einladung wird gerne angenom-          tungen mithelfen.                       ■

         10 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018
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                                                                        »Alles schläft, einsam wacht…«
                                                                        Das Lied „Stille Nacht“ berührt und bewegt Menschen seit 200 Jahren: Gott kommt in die dunkle Nacht,
                                                                        in die Verlassenheit und alle Not des Lebens – und wird Mensch. Was uns das Lied heute sagen kann.
                                                                        Von Pfarrer Roland Peter KERSCHBAUM

                                                                        Entstehung und                               Gottes in Jesus Christus besingt. Gott       Menschen peinigen. „Nacht“ leitet wie
                                                                        Verbreitung des Liedes                       wurde ein eingefleischter Mensch und         ein Kehrvers jede Strophe ein. Weihnach-
                                                                        Wie bei vielen Geschehnissen der Ge-         hat sich in das ganze menschliche Leben      ten und dieses Lied zaubert keine welt-
                                                                        schichte hat sich auch um „Stille Nacht“     hinein begeben. Er wurde Mensch, da-         fremde Romantik, sondern will Licht in
                                                                        ein Legendenkranz gebildet. Da ist etwa      mit der Mensch eine Heimat hat, ein          die existentiellen Nächte des Lebens
                                                                        von der defekten Orgel oder einer Maus       Dach für die Seele, eine Herberge, die ihn   bringen. Die Nacht kann zu Weihnachten
                                                                        die Rede, die den Blasebalg angeknabbert     mit allen Gebrochenheiten und Verwun-        immer wieder eine heilige und heilende
                                                                        haben soll. Rückt man die Ranken dieser      dungen aufnimmt.                             Nacht werden, die stärkt und belebt.
                                                                        Legenden zur Seite, liest sich die Ge-
                                                                        schichte freilich weniger wundersam.         „Stille Nacht“ –                             Ein Friedenslied
                                                                        „Stille Nacht“ war eine Gelegenheitskom-     ein Lied gegen die Not                       Oft wird „Stille Nacht“ als Friedenslied
                                                                        position für das Weihnachtsfest 1818 in      Das Lied entstand in einer Zeit großer so-   beworben, obwohl das Wort „Friede“
                                                                        Oberndorf. Der Hilfspriester Joseph Mohr     zialer Nöte. Das Land Salzburg hatte in      nicht erwähnt wird. Es wurde ja so oft in
                                                                        (1792–1848) hatte bereits 1816 in Maria-     nur 13 Jahren bis 1816 fünfmal seinen Be-    den Mund genommen und missbraucht.
                                                                        pfarr den Text geschrieben. Mit diesen       sitzer gewechselt. Die neue Salzachgren-     Joseph Mohr hat den Text ein Jahr nach
                                                                        Zeilen ging Mohr am Heiligen Abend zum       ze zwischen Oberndorf und der Mutter-        dem Wiener Kongress und nach Jahr-
                                                                        Lehrer und Organisten Franz Xaver Gru-       stadt Laufen trennte alte familiäre und      zehnten verheerender Kriege verfasst.
                                                                        ber (1787–1863) und bat ihn, eine Melodie    wirtschaftliche Beziehungen. Salzburg        Der Krieg war zu Ende gegangen, aber
                                                                        für zwei Stimmen, Chor und Gitarrebe-        war in jeder Hinsicht ein Notstandsgebiet    nicht das Elend und die Wunden in den
                                                                        gleitung zu schreiben. Gruber komponier-     geworden. In diese dunkle Zeit hinein er-    Herzen der Menschen. Das alte Weih-
                                                                        te eine einfache Melodie. Das Lied wurde     klingt erstmals dieses Lied. Es singt von    nachtslied singt von einem Kind, das
                                                                        dann wahrscheinlich nach der Christmet-      einem Gott, der sein Volk nicht vergisst.    selbst der Friede ist. Es spricht von einer
                                                                        te am frühen Morgen des Christtages          Eine rettende Stunde wird angekündigt.       „himmlischen Ruh“, die den betörenden
                                                                        zum ersten Mal gesungen. Mohr spielte        Gott erscheint in Menschengestalt als        Lärm überwindet. Es singt vom entwaff-
                                                                        auf der Gitarre, einem damals in der Kir-    Bruder aller Menschen, wie es die vierte     nenden Lächeln eines Kindes. Die Melo-
                                                                        che unüblichen Instrument.                   Strophe ausdrückt. Gott will das Herz der    die verstärkt diesen Charakter. Sie ist ein
                                                                            Das Lied wurde zunächst in Abschrif-     Menschen stärken und ruft ihnen zu:          wärmendes beruhigendes Wiegenlied,
                                                                        ten in der Umgebung weiter verbreitet,       Gebt nicht auf, ihr seid nicht allein!       ein sanftes Säuseln, das in eine oft kalte
  Kerschbaum: Erwin Fuchsberger | SalzburgerLand Tourismus / Salzburg

                                                                        erste Textdrucke erschienen um 1830.                                                      und friedlose Welt hineinweht.            ■
                                                                        Durch Tiroler Sängerfamilien wurde das       „Heilige Nacht“
                                                                        Lied rasch in Deutschland bekannt. 1839      Weihnachten wird wie Ostern in der
                                                                        erklang es erstmals in den USA in New        Nacht gefeiert. Es gibt diese heiligen
                                                                        York. Heute ist es in vielen Text- und Me-   Nächte, aber auch den Schrecken der               Roland Peter
                                                                        lodievarianten bekannt und in rund 300       Nacht (vgl. Psalm 91,5), Nächte des Le-        Kerschbaum ist
                                                                        Sprachen übersetzt.                          bens, die den Menschen herausfordern.              Pfarrer von
                                                                                                                     Der Begriff Nacht kann für so vieles ste-      Elsbethen, Diö-
                                                                        „Stille Nacht“ –                             hen: Trauer oder Krankheit, Probleme,        zesankonservator
                                                                        ein Weihnachtslied                           Beziehungskrisen, Einsamkeit, Situatio-         der Erzdiözese
                                                                        „Stille Nacht“ ist vor allem ein Weih-       nen, die uns mit Angst erfüllen. Es gibt         Salzburg und
                                                                        nachtslied, das die Menschwerdung            auch die durchwachten Nächte, die den           Domkapitular

                                                                                                                                                    Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018 11
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 12

             Einsam?

             Beziehungspflege ist Altersvorsorge
             Einsamkeit betrifft – nicht nur – aber in hohem Maße besonders die immer älter werdenden Generationen.
             Veronika PRÜLLER-JAGENTEUFEL, ehemalige Leiterin des Pastoralamts der Erzdiözese Wien über eine
             Altersvorsorge der anderen Art

             Armut an zwischenmenschlichen               in der Ewigkeit voraus. Zum einen ist die       liebsten mit ihren Familienangehörigen
             Kontakten und Beziehungen                   Ruhe, die das Alleinsein bringt, vielen         zusammenleben würden, und viele, de-
             „Gott bleibt seiner Verheißung treu, und    auch angenehm, denn alle Erlebnisse             nen das Heimpersonal zum Familiener-
             auch im Dunkel der Nacht lässt er es        brauchen jetzt länger um verarbeitet zu         satz wird. Tatsächlich sind familienähnli-
             nicht an der Wärme seiner Liebe und sei-    werden, ein Besuch strengt auch an, das         che Beziehungen etwas, das Kirche bzw.
             ner Tröstung fehlen. Um die erdrückende     Schlafbedürfnis wächst. Zum anderen             Pfarre alten Menschen anbieten kann.
             Situation der Armut zu überwinden, ist      ist Alleinsein gefährlich, z. B. bei erhöhter   Familie steht – trotz aller womöglich ge-
             es jedoch notwendig, dass die Armen die     Sturzgefahr; es kann depressiv machen           genteiligen Erfahrungen – auch für viele
             Anwesenheit vor Brüdern und Schwes-         und aufgrund der mangelnden sozialen            alte Menschen für einen geschützten
             tern erfahren, die … sie spüren lassen,     und geistigen Anregungen den Fort-              Raum. In der Familie bzw. vor guten
             dass sie Freunde sind und zur Familie       schritt von Demenzerkrankungen för-             Freunden muss ich mich nicht genieren,
             Gottes dazugehören.“                        dern. Beziehungen sind einfach wesent-          hier kann ich auch meine Hilfsbedürftig-
                                                         lich für uns Menschen.
                                                                                                            Veronika Prüller-
                                                         Investieren in das                                   Jagenteufel ist
                                                         eigene Beziehungsnetz                                  Theologische
                                                         Eine der wichtigsten Formen dieser Al-                Referentin der
                                                         tersvorsorge ist daher das Investieren in       Caritas der Diözese
                                                         das eigene Beziehungsnetz. Wer be-                    St. Pölten und
                                                         wusst Kontakte außerhalb der eigenen                Seelsorgerin im
                                                         Familie pflegt, hat später Freunde, die           Pflegeheim Haus
                                                         womöglich die Angehörigen zeitweise                  St. Elisabeth in
                                                         entlasten können. Wer sich um Freund-           St. Pölten-Wagram
                                                         schaften mit Jüngeren bemüht, hat auch
                                                         dann noch Gesprächspartner, wenn die            keit zeigen, hier darf ich schwach sein –
                                                         eigene Alterskohorte mehr und mehr              und werde dennoch geachtet; hier bin
                                                         ausdünnt. Eine weitergehende Maßnah-            ich wer; hier kann ich mich auf die ande-
                                                         me ist gemeinschaftliches Wohnen. Mit           ren verlassen.
                 Dieser Satz aus der Botschaft von       mehr Menschen als dem eigenen Part-
             Papst Franziskus zum diesjährigen Welt-     ner eine Wohnung oder ein Haus zu tei-          Gottes Liebe spürbar machen
             tag der Armen trifft auf viele Formen von   len oder enge Nachbarschaft zu pflegen,         Dieser geschützte Raum kann die Ge-
             „Armut“ zu, auch auf den Mangel an          ist in jedem Alter eine Herausforderung         meinde sein, wenn sie Beziehungsnetz
             menschlichen Kontakten, Beziehungen,        und eine gute Übung. Sie kann es später         kontinuierlich aufbaut und pflegt. Dann
             Begegnungen – oder anders gesagt: Ein-      leichter machen, andere Menschen nahe           kann es gelingen, dass die gebrechliche
             samkeit. Eine spezielle Form davon ist      an das eigene Leben und seine Gewohn-           Dame auch dann noch in die Bibelrunde
             die Vereinsamung von alten Menschen         heiten heranzulassen, wenn das durch            kommen kann, wenn sie abgeholt und
             in unserer Gesellschaft. Sie ist eine der   Pflegebedürftigkeit nötig wird.                 heimgebracht werden muss und zum
             Schattenseiten unseres hohen Bedürf-                                                        Gespräch nur mehr wenig beiträgt. Oder
             nisses nach Eigenständigkeit und Indivi-    Verlässliche Gemeinschaften,                    dass der pflegebedürftige Herr es zu-
                                                                                                                                                      Prüller-Jagenteufel: Caritas/Lahmer | Caritas/Gleiß

             dualität. Und sie erscheint als fast „na-   in denen man geachtet wird und                  lässt, dass zweimal pro Woche die Freun-
             türliche“ Folge hohen Alters, wenn man      auch Hilfsbedürftigkeit zeigen kann             de aus der Pfarre seiner Frau einen freien
             nicht rechtzeitig bewusst vorgesorgt hat.   Papst Franziskus spricht von Geschwis-          Nachmittag ermöglichen – das beugt
             Denn mit abnehmenden körperlichen           tern und von Freunden und Familienan-           zudem deren Vereinsamung als pflegen-
             und/oder geistigen Kräften verkleinert      gehörigen, zu denen wir für diejenigen          der Angehöriger vor. So können Ge-
             sich der eigene Bewegungsradius, im-        werden, denen wir helfen. In meiner Tä-         schwister im Glauben inmitten der Ein-
             mer mehr Bekannte und Freunde und           tigkeit als Pflegeheimseelsorgerin be-          samkeit Gottes Liebe und Trost spürbar
             oft dann auch der/die Partner/in gehen      gegne ich vielen alten Menschen, die am         machen.                                  ■

         12 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018
PB Weihnachten 2018.qxp 30.11.18 10:21 Seite 13

                                                         Den Himmel spüren
                                                         und der Erde vertrauen
                                                         Seit Ende November 2008 gibt                und staunend die ablaufenden Prozesse.     als ich die Türmerstube bezog. Betreut
                                                         im Linzer Mariendom die Mög-                Ich wanderte mit den Eremiten in den       von treuen Helfern, die jeden Bewohner
                                                         lichkeit, in der Türmerstube                täglichen Begleitungsgesprächen viele      begleiteten und für sein Wohlergehen
                                                         sieben Tage lang als Eremit zu              Runden um den Dom und durch die
                                                         leben. Seither haben bereits über           Parkanlagen von Linz. Die Erde unter den
                                                         250 Personen die Eremitage in               Füßen tröstete und befriedete immer
                                                         ca. 69 Metern Höhe bewohnt.                 wieder. Der liebende Gott begegnete sei-        Josefine Maria
                                                         Ein Erfahrungsbericht von                   nen Eremiten im Gehen auf der Erde ge-             Zittmayr ist
                                                         Josefine Maria ZITTMAYR                     nauso wie im Wohnen hoch oben im             Ehefrau, Mutter,
                                                                                                     Glockenturm. Am Ende der Woche             Großmutter, Ange-
                                                         Seit Beginn des Eremitenprojektes im        leuchtete es aus ihren Augen.                  stellte, Autorin,
                                                         Linzer Mariendom gehöre ich zum Team                                                   Geistliche Begleite-
                                                         der geistlichen Begleiter. Mit herzlicher   „…unter mir das                               rin und Diplom-
                                                         Begeisterung und fürsorglicher Umsicht      hellerleuchtete Linz“                         lebensberaterin
                                                         begleitete ich viele Eremiten und Eremi-    Und dann wollte ich das selbst erfahren:
                                                         tinnen. Beobachtete immer wieder still      Es war der Karfreitag der Osterwoche,      sorgten. Als die Dämmerung einbrach an
                                                                                                                                                diesem kalten Apriltag, saß ich dann al-
                                                                                                                                                lein in der kleinen warmen Kammer, mit
                                                                                                                                                einer Tasse Tee in der Hand auf dem Bett
                                                                                                                                                und sah zum Fenster hinaus. Unter mir
                                                                                                                                                lag das hellerleuchtete Linz. Die Glocke
                                                                                                                                                schlug zur vollen Stunde. Große Gebor-
                                                                                                                                                genheit erfüllte mich.
                                                                                                                                                    Der Platz auf dem Bett vor dem Fens-
                                                                                                                                                ter wurde mein Lieblingsplatz die ganze
                                                                                                                                                Woche über. Frühmorgens, nach dem
                                                                                                                                                Aufwachen saß ich da und beobachtete
                                                                                                                                                das Aufgehen der Sonne. Sie stieg jeden
                                                                                                                                                Tag strahlend über der Stadt auf und
                                                                                                                                                senkte sich tief in mein Herz wie ein gro-
                                                                                                                                                ßer Segen. Tief berührt malte ich Son-
                                                                                                                                                nenbilder in das Eremitentagebuch.

                                                                                                                                                Stille und einsame Nächte
                                                                                                                                                Die Nächte waren still und einsam. In
                                                                                                                                                meinen Meditationen nahm ich mich
                                                                                                                                                dann als ein kleines Wesen Gottes inmit-
                                                                                                                                                ten unzähliger anderer wahr. Wie ein
                                                                                                                                                Sandkorn an einem Strand. Ich fühlte
  Zittmayr: Susanne Windischbauer | Maximilian Plöderl

                                                                                                                                                mich getröstet und mit allem verbun-
                                                                                                                                                den. Und meine Seele machte wohl fröh-
                                                                                                                                                liche Flugversuche in die Weite des
                                                                                                                                                Doms hinein, als wäre alles Leben ein
                                                                                                                                                großes Spiel …
                                                                                                                                                    Ja, vieles geschah in dieser Woche.
                                                                                                                                                Ich verließ den Turm mit großer Dank-
                                                         Nähere Informationen zum Projekt der Turmeremitage erhalten Sie im DomCenter Linz      barkeit im Herzen und mit den leuchten-
                                                         Herrenstraße 36, 4020 Linz. Tel. 0732/946100. Mail: domcenter@dioezese-linz.at         den Augen der Eremiten.               ■

                                                                                                                                   Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2018 13
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