Soziale Ungleichheit in der Lebenserwartung - Erkenntnisse aus demographischer Forschung

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Soziale Ungleichheit in der Lebenserwartung - Erkenntnisse aus demographischer Forschung
Online-Vortragsreihe an den Universitäten Konstanz und Leipzig, 01.02.2021

Soziale Ungleichheit in der Lebenserwartung
Erkenntnisse aus                                          100,000

                                                           90,000
demographischer                                            80,000

Forschung

                                   Überlebende Personen
                                                           70,000

                                                           60,000

                                                           50,000

                                                           40,000

                                                           30,000

Dr. Marc Luy                                               20,000

                                                           10,000
       Research Group
       HEALTH & LONGEVITY                                      0
       www.delag.eu                                                 0   5   10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100
                                                                                                   Alter
Soziale Ungleichheit in der Lebenserwartung - Erkenntnisse aus demographischer Forschung
Die soziale Ungleichheit in der Lebenserwartung (SULE) ist ein
           universelles Phänomen, zeitlich und international

SULE bleibt (erstaunlich)                                  Interaktion der sozialen
  konstant, zeigt eher                                       Faktoren hinter SULE
   eine Ausweitung                                             ist sehr komplex

                        Ausmaß der SULE       SULE ist zentrale
                          variiert stark   Komponente für Höhe
                            zwischen        und Entwicklung der
                         Bevölkerungen       Lebenserwartung
Soziale Ungleichheit in der Lebenserwartung - Erkenntnisse aus demographischer Forschung
In dem Vortrag sollen vor allem demographische Aspekte der sozialen
Ungleichheit in der Lebenserwartung (SULE) im Mittelpunkt stehen

                                      (1)                                           (2)                                      (3)
                                    Ausmaß                                  Einfluss der SULE                        Einfluss der SULE
                                  der SULE in                               auf Entwicklung                           auf LE von Sub-
                                  Deutschland                                der Gesamt-LE                             Populationen

                     100.0

                      90.0

                      80.0

                      70.0
  Überlebende in %

                      60.0

                      50.0

                      40.0

                      30.0

                      20.0          ISCED 1+2
                                    ISCED 3+4
                      10.0          ISCED 5+6
                       0.0
                             40    50       60    70     80   90   100
                                                 Alter

                                  Quelle: Luy et al. (2015)              Quelle: Wittgenstein Centre Data Explorer   © Can Stock Photo Inc. / michaeldb
Soziale Ungleichheit in der Lebenserwartung - Erkenntnisse aus demographischer Forschung
1.
Ausmaß der sozialen Ungleichheit in
der Lebenserwartung in Deutschland
                              100.0

                               90.0

                               80.0

                               70.0

           Überlebende in %
                               60.0

                               50.0

                               40.0

                               30.0

                               20.0          ISCED 1+2
                                             ISCED 3+4
                               10.0          ISCED 5+6
                                0.0
                                      40    50       60    70     80   90   100
                                                          Alter

                                           Quelle: Luy et al. (2015)
Soziale Ungleichheit in der Lebenserwartung - Erkenntnisse aus demographischer Forschung
Die soziale Ungleichheit in der Lebenserwartung wurde auch für die
Bevölkerung Deutschlands mehrfach belegt

         Einkommen                                                             Bildung
     z.B. Breyer/Hupfeld 2009;                                          Doblhammer et al. 2008;
 Doblhammer et al. 2008; Kibele                                        Klein 1996, 1999; Luy 2006;
 et al. 2013; Lampert/ Kroll 2006;     Große Heterogenität              Perna et al. 2010; Unger/
  Lampert et al. 2007; Luy 2006;             Studien
                                     bezüglich       zur
                                                 Definition  der              Schulze 2013
 Perna et al. 2010; Shkolnikov et
                                        sozialen Ungleichheit
 al. 2008; von Gaudecker/Scholz      sozialen  Gruppen, Daten
    2007; von Gaudecker 2006;           der Lebenserwartung
                                          und   Methodik
                                           in Deutschland
                                        (v.a. Alterssegmente und
                                              relative Risiken)

                                         Berufliche Stellung
                                         Doblhammer et al. 2008;
                                        Kibele et al. 2013; Luy 2006
Soziale Ungleichheit in der Lebenserwartung - Erkenntnisse aus demographischer Forschung
Der Ansatz der Longitudinal Survival Method (LSM) wurde inspiriert von
den sogenannten „indirekten Schätzverfahren“
                                                Vervollständigung mit
 Informationen über Familien-                   Modellsterbe-
  angehörige (Survey, Zensus)                      tafeln

       Schätzung der Überlebenswahrscheinlichkeit
           in einem bestimmten Altersbereich
Soziale Ungleichheit in der Lebenserwartung - Erkenntnisse aus demographischer Forschung
Für die LSM-Analyse nutzten wir den Lebenserwartungs-Survey des
Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung
• Follow-up-Survey (2 Befragungswellen, Geburtskohorten 1952 und früher)
• Erstbefragung West: 1984/86 (n = 8.474), Zweitbefragung: 1998
• Follow-up West: 12-14 Jahre, 957 Sterbefälle
• Sterblichkeit des LES-Samples ist repräsentativ für die westdeutsche Gesamtbevölkerung
  (Luy & Di Giulio 2005, Salzmann & Bohk 2008)

• Definierte Bildungsgrade (nach ISCED-97):
   Bildungsgrad       ISCED     Beschreibung
   Niedrig             1+2      Grundbildung / Sekundarbildung I
   Mittel              3+4      Sekundarbildung II / Postsekundäre Bildung
   Hoch                5+6      Tertiäre Bildung (ohne und mit Forschungsqualifikation)

• Berufsklassen nach KldB-92 (Hauptgruppen und erste Sub-Ebene)
Soziale Ungleichheit in der Lebenserwartung - Erkenntnisse aus demographischer Forschung
Die LSM-Schätzungen für die Gesamtbevölkerung liegen nahe an den
Werten des Statistischen Bundesamts
       Sterbewahrscheinlichkeit (log. Skala)      1

                                                                 Sterbetafel 1991/93
                                                                 LSM Schätzung

                                                 0.1
                                                                LE40 Männer
                                                            Stat. BA: 35.2 Jahre
                                                            LES-LSM: 34.5 Jahre
                                                                                                                      LE40 Frauen
                                                0.01                                                              Stat. BA: 40.7 Jahre
                                                                                                                  LES-LSM: 41.1 Jahre

                                               0.001
                                                       35   40     45      50      55       60      65      70       75      80      85    90   95
                                                                                                   Alter

                                                             Quelle: Luy et al. (2015), Comparative Population Studies 40(4), S. 399-436
Soziale Ungleichheit in der Lebenserwartung - Erkenntnisse aus demographischer Forschung
Die LSM-Schätzungen der Sterblichkeitsunterschiede nach dem
Bildungsgrad zeigen die erwarteten Muster
                   100.0                    Männer                                                        100.0                            Frauen
                    90.0                                                                                   90.0
                    80.0                                                                                   80.0
                    70.0                                                                                   70.0
Überlebende in %

                                                                                       Überlebende in %
                    60.0                                                                                   60.0
                    50.0                                                                                   50.0
                    40.0                                                                                   40.0
                    30.0                                                                                   30.0
                    20.0        ISCED 1+2                                                                  20.0        ISCED 1+2
                                ISCED 3+4                                                                              ISCED 3+4
                    10.0        ISCED 5+6                                                                  10.0        ISCED 5+6
                     0.0                                                                                    0.0
                           40   50     60    70      80        90      100                                        40   50     60    70      80   90   100
                                            Alter                                                                                  Alter

                                               Quelle: Luy et al. (2015), Comparative Population Studies 40(4), S. 399-436
Im Vergleich zu den Nachbarstaaten sind die Bildungs-Differenzen in der
LE bei den Männern identisch, bei den Frauen etwas kleiner
                                        Männer                                                                    Frauen
                            7.0                                                                       7.0
                                          6.3        6.3
                                  6.0
                            6.0                                                                       6.0

                            5.0                                                                       5.0
      Differenz in der LE

                                                                                Differenz in der LE
                            4.0                                                                       4.0
                                                                                                            3.4     3.3
                            3.0                                                                       3.0
                                                                                                                               2.3
                            2.0                                                                       2.0

                            1.0                                                                       1.0

                            0.0                                                                       0.0
                                  AUT     SUI       GER                                                     AUT     SUI       GER

  Anmerkung: LE(40)-Differenzen zwischen hohem und niedrigen Bildungsgrad in Österreich (1991-92), der deutschsprachigen Schweiz (1990-97) und
             West-Deutschland (1992); Quellen: Spoerri et al. (2006), Klotz und Asamer (2014), Luy et al. (2015); LE = Lebenserwartung
Auch für Haushaltseinkommen, berufliche Stellung und Berufsklassen
zeigen sich signifikante Unterschiede in der Lebenserwartung

                              Quelle: Luy et al. (2015), Comparative Population Studies 40(4), S. 399-436
Zwischen den Berufsklassen zeigen sich die größten Unterschiede
in der Sterblichkeit
                   100.0                                Männer                                               100.0                      99%           Frauen
                    90.0                       91%                                                            90.0
                    80.0                                                                                      80.0               84%
                    70.0                                                                                      70.0
Überlebende in %

                                                                                          Überlebende in %
                    60.0                                                                                      60.0
                                      54%                     82,5                                                                                          90,6
                    50.0                                                                                      50.0
                                                66,6                                                                                         80,6
                    40.0                                                                                      40.0
                    30.0                                                                                      30.0
                    20.0        Sozialberufe                                                                  20.0        Unternehmerinnen
                                Gesamt                                                                                    Gesamt
                    10.0        Bergleute                                                                     10.0        Ungel. Arbeiterinnen
                     0.0                                                                                       0.0
                           40   50     60       70      80        90       100                                       40   50     60      70      80    90      100
                                               Alter                                                                                    Alter

                                                  Quelle: Luy et al. (2015), Comparative Population Studies 40(4), S. 399-436
2.
Einfluss der sozialen Ungleichheit in der Lebens-
 erwartung auf die Entwicklung der Gesamt-LE

                  Quelle: Wittgenstein Centre Data Explorer
Der Rückgang der Sterblichkeit hat zu einem enormen Anstieg der
Lebenserwartung geführt („epidemiologischer Übergang“)
                                                                                                                        Europa
                                                               Klassische Erklärungen:                                   1970
                                                               Medizinische Fortschritte,
Lebenserwartung bei Geburt

                                                                 z.B. Entwicklungen in
                                                                Screening, Prävention,
                                                                  Behandlung kardio-
                                                                vaskulärer Krankheiten
                                                                                                                         2015

                                          Jahr

                             Daten: Human Mortality Database
                                                                        ?                   Quelle: Wittgenstein Centre Data Explorer
Wir schätzten den Einfluss der veränderten Bildungsstruktur auf die
Erhöhung der LE mit der „Replacement Decomposition Technique“

     Gesamt-                    M-Effekt                   Gesamt-
     Lebens-                                               Lebens-
    erwartung                                             erwartung
     1990                       P-Effekt                    2010
Während der größte Teil des Anstiegs der LE eine Folge des M-Effekts ist,
zeigt sich auch ein bedeutender Beitrag des P-Effekts
     Absolute Veränderung (in Jahren)                                      Relative Veränderung (in Prozent)

           5.1

     4.4
                               4.2
                                                 3.8
                 3.6     3.6
                                     2.9   2.8

                                                       1.9

     0.9 1.1 0.7         0.9 1.0 1.1       0.5 0.6 0.4                     20    21   20      24   22    40     19    16   21

     Anmerkung: T = Gesamtbevölkerung, M = Männer, W = Frauen, M = Effekt veränderter Mortalität (nach Bildungsgrad),
                             P = Effekt veränderter Bildungsstruktur, LE = Lebenserwartung
                       Quelle: Luy et al. (2020), The impact of increasing education levels on rising life expectancy, Genus 75: 11
3.
Einfluss der sozialen Ungleichheit in der Lebens-
  erwartung auf die LE von Sub-Populationen

                   © Can Stock Photo Inc. / michaeldb
Klosterstudie: Die große Geschlechterdifferenz in der Lebenserwartung
resultiert vor allem aus nicht-biologischen Faktoren

                                                                             1970/72

      Quelle: Luy (2003), Population and Development Review 29(4): 647-676; Sterbetafeln für Ordensleute umfassen 30 Kalenderjahre
Die Beobachtung der größeren Mortalitätsvariabilität bei den Männern
wurde mit einer systematischen Literatur-Recherche überprüft

            OVID: CCAll                     Eigene Data Base
            7,500 Journals                     2,500 Artikel zu

                                                                                                    92%
        veröffentlicht ab 1993              Gesundheit / Mortalität

  Vier-Schritte Prozess: ~100 Keywords               (120)

                         (5,540)

                        5,660 Studien von beiden
                      Autoren unabhängig überprüft

                          798 Artikel intensiv auf            21 Risiko-
                         Verwertbarkeit analysiert            Faktoren

                        72 Studies mit emp. Daten
                         in der benötigten Form

                                            Quelle: Luy & Gast (2014), Gerontology 60(2): 143-153
Link und Phelan erklären die Persistenz der sozialen Differenzen in der
Gesundheit mit ihrer “Theorie der fundamentalen sozialen Ursachen”

                       Individuen und Gruppen umgehen Risiken
                        und entwickeln Schutz-Strategien durch
                            die Nutzung flexibler Ressourcen

      Bruce Link                                                                      Jo Phelan

                                          Wissen
                                           Geld
 Individuelle Ebene:                                                             Kontextuelle Ebene:
                                          Einfluss
  “Cause of Causes”                                                                  “Add-Ons”
                                         Ansehen
                                  Vorteilhafte Netzwerke

                           Fotos: www.ucrtoday.ucr.edu; www.cupop.columbia.edu
Die aus der Allgemeinbevölkerung bekannten Bildungs-Unterschiede
sind bei Ordensmännern nicht zu finden, bei Ordensfrauen schon

    Quelle: Eigene Berechnungen mit Daten der Klosterstudie und des Lebenserwartungs-Surveys des BiB, Beobachtungszeitraum 1984-1998
Die soziale Ungleichheit in der Lebenserwartung (SULE) ist ein
               universelles Phänomen, zeitlich und international

                                                100.0

                                                 90.0

                                                 80.0

 SULE bleibt (erstaunlich)                       70.0
                                                                                                                  Interaktion der sozialen

                             Überlebende in %
                                                 60.0

   konstant, zeigt eher                          50.0

                                                 40.0
                                                                                                                    Faktoren hinter SULE
    eine Ausweitung                              30.0

                                                 20.0        ISCED 1+2
                                                             ISCED 3+4
                                                                                                                      ist sehr komplex
                                                 10.0        ISCED 5+6
                                                  0.0
                                                        40   50      60    70     80   90   100
                                                                          Alter

             Jo Phelan
                         Ausmaß der SULE                                                             SULE ist zentrale
                           variiert stark                                                         Komponente für Höhe
Bruce Link                   zwischen                                                              und Entwicklung der
                          Bevölkerungen                                                             Lebenserwartung
This project has received funding from the European Research
Council (ERC) under the European Union’s Horizon 2020 research
   and innovation programme (grant agreement No 725187)
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