DEUTSCH FÜR FLÜCHTLINGE - Augsburg, München, Saarbrücken 2007
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DEUTSCH FÜR FLÜCHTLINGE Augsburg, München, Saarbrücken 2007 Caritas-Verband für Integration durch Sprache e.V. die Diözese Trier e.V.
INHALTSVERZEICHNIS 1. Einführung 1.1 EQUAL 1.2 SEPA in EQUAL II 1.3 Beschreibung der Standorte 1.3.1 Bayern 1.3.2 Saarland 1.4 Sprachförderung in SEPA in EQUAL II 1.5 Berichtsziele 2. Sprachvermittlung: Methodische und didaktische Aspekte 2.0 Einführung 2.1 Merkmale der Zielgruppe 2.2 Lernen 2.3 Lerninhalte 2.4 Fossilierung 2.5 Tests und Prüfverfahren im Bereich DaZ 2.6 Problematisierung GER 2.7 Gefahren und Probleme 2.8 Folgerungen 2.9 Ausblick 3. Transnationale Kooperation – Know-how Transfer 3.1 Rahmenbedingungen 3.2 Transnationale Aktivitäten 3.2.1 Projektbesuche 3.2.2 Fortbildung für tschechische Lehrkräfte in Prag 3.2.3 Besuch der tschechischen Partner beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 3.3 Fazit der transnationalen Kooperation 4. Folgerungen 4.1 Sprache als Schlüssel zur Teilhabe 4.1.1 Die wissenschaftliche Sichtweise 4.1.2 Politische Einordnung 4.2 Spracherwerb – aber wie? 4.3 Fazit 5. AutorInnen
PRODUKTGRUPPE 2 - BERICHT 1. Einführung Wohnen und Migration der Stadt München um nichtstaatliche Träger, die sich mehr- Petra Barth, Hermann Schönmeier heitlich aus Wohlfahrtsverbänden und ein- getragenen Vereinen der Migrationssozial- 1.1 EQUAL arbeit zusammensetzen. Die aus dem Europäischen Sozialfonds geförderte Die von beiden EPs verfolgten Ziele der Gemeinschaftsinitiative EQUAL hat das Ziel, neue Verbesserung der Ausbildungs- und Ar- Wege zur Bekämpfung von Diskriminierungen und beitssituation von AsylbewerberInnen und Ungleichheiten von Arbeitenden und Arbeitsuchen- anderen Flüchtlingen mit unsicherem Auf- den auf dem Arbeitsmarkt zu erproben. Innovative enthalt sind nicht vollständig deckungs- Handlungsstrategien und Methoden sollen nachhal- gleich mit den Politiken der Bundesregie- tig in der Praxis verankert und in die arbeitsmarkt- rung oder der beiden Landesregierungen. politischen Regelwerke eingebracht werden. Beide EPs fordern von der Politik wesent- lich mehr an Teilhabe der AsylbewerberIn- EQUAL wird als „Werkstatt“ für die gemeinschafts- nen an Qualifizierung und Arbeit als die weite Weiterentwicklung der verfügbaren arbeits- Politik derzeit bereit ist zuzugestehen. markt- und berufsbildungspolitischen Instrumente verstanden. EQUAL ergänzt damit die allgemeinen Beide EPs wollen in EQUAL II ihre bisher- ESF-Ziele um die Aspekte Transnationalität und igen Erfahrungen gemeinsam nutzen, Innovation. Das Programm verfolgt einen experi- um noch systematischer und noch stär- mentellen Entwicklungsansatz zur Beseitigung von ker produktorientiert vorzugehen. Dabei Ungleichheiten und Diskriminierungen auf dem Ar- versprechen sie sich von den unterschied- beitsmarkt. Neue Konzepte der Berufsbildungs- und lichen Bedingungen in den urbanen Be- Arbeitsmarktpolitik sollen entwickelt und erprobt reichen (Augsburg, München) und dem werden. Gleichzeitig gilt es, die Erfahrungen und ländlichen Bereich der Landesaufnahme- Ergebnisse über „Mainstreaming“-Prozesse zu ver- stelle Lebach im Saarland zusätzlichen Er- breiten, zu verallgemeinern und in die künftige Po- kenntnisgewinn bei der Umsetzung ihres litik und Praxis zu integrieren. Arbeitsprogramms hinsichtlich der Arbeits- marktpotenziale von AsylbewerberInnen Bei der Bekämpfung von Diskriminierungen und und Flüchtlingen. Die verschiedenen Part- Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt orientiert sich nerInnen erwarten durch die Kooperation EQUAL an den Schwerpunkten der Europäischen einen erheblichen Mehrwert. Beschäftigungsstrategie: Verbesserung der Be- schäftigungsfähigkeit, Entwicklung des Unterneh- SEPA in EQUAL II setzt einen umfassen- mergeistes, Förderung der Anpassungsfähigkeit der den Empowermentprozess um. Unternehmen und ihrer Beschäftigten sowie Förde- rung der Chancengleichheit von Frauen und Män- Die TeilnehmerInnen nern. Hinzu kommt in EQUAL ein Schwerpunkt zur Unterstützung von Asylbewerberinnen und Asylbe- • werden hinsichtlich der Programm- werbern. möglichkeiten beraten • durchlaufen einen psychologischen Beratungsprozess 1.2 SEPA in EQUAL II • nehmen an Kompetenzbilanzierung und Bewerbertraining teil SEPA in EQUAL II ist der Zusammenschluss von zwei Entwicklungspartnerschaften (EPs) der EQUAL • erhalten intensiven Sprachunterricht I - Phase: FLUEQUAL aus Bayern mit den Stand- • können berufliche Qualifizierungs- orten Augsburg und München und der Saarländi- maßnahmen durchlaufen. schen Entwicklungspartnerschaft Asylbewerber und Flüchtlinge (SEPA). In beiden Fällen handelt es sich • Jugendliche können ihre schulische bei den operativen AkteurInnen bis auf das Amt für Qualifizierung verbessern -1-
PRODUKTGRUPPE 2 - BERICHT • Traumatisierte Flüchtlinge werden durch beruf- SEPA in EQUAL II - Standorte liche Qualifizierung und psychologische Bera- tung stabilisiert. 1.3 Beschreibung der Standorte • Je nach rechtlicher Situation erfolgt eine Inte- grations- oder Reintegrationsberatung. 1.3.1 Bayern • Flankierende Maßnahmen steigern die Wirk- Das Bayerische Staatsministerium für Ar- samkeit des Programms. beit und Sozialordnung, Familie und Frau- en ist für die Aufnahme, die landesweite Die zur Erreichung der Ziele geplanten Maßnahmen Verteilung sowie die Unterbringung und unterscheiden sich aufgrund der Vorarbeiten in soziale Versorgung der AsylbewerberIn- EQUAL I in Bayern und im Saarland. Darüber hinaus nen zuständig. wird die Entwicklungspartnerschaft verschiedene Produkte erstellen, die national und transnational Vom Freistaat Bayern wurden am in den Mainstreamingprozess eingebracht werden 31.12.2005 zwei Aufnahmeeinrichtungen sollen. mit 1.000 Plätzen betrieben. Neben den Aufnahmeeinrichtungen werden in den 7 Regierungsbezirken insgesamt 175 staatli- che Gemeinschaftsunterkünfte mit 21.099 Plätzen unterhalten. Zum Stichtag 31.12.2004 wurden in Bay- ern • 5.472 AsylbewerberInnen im Verfah- ren, • 12.165 weitere Leistungsberechtig- te nach dem Asylbewerberleistungs- gesetz (z. B. endgültig abgelehnte AsylbewerberInnen mit oder ohne Duldung, ausreisepflichtige Auslän- derInnen, Kriegs-und Bürgerkriegs- flüchtlinge sowie • 451 Asylberechtigte und Personen mit Abschiebeschutz (in Gemeinschafts- unterkünften) untergebracht. Nach dem Zuwanderungsgesetz ist sowohl für SpätaussiedlerInnen als auch für Aus- länderInnen die Teilnahme an einem In- tegrationskurs vorgesehen. Damit die TeilnehmerInnen dieser Kurse einen nach- haltigen Erfolg erzielen können, stellen Bund und Länder als freiwillige Leistung die unterstützende Integrationsbegleitung sicher. Ziel der Migrationserstberatung ist es, den Integrationsprozess gezielt in die Wege zu leiten, zu steuern und zu beglei- ten. Durch ein zeitlich befristetes (grundsätz- -2-
PRODUKTGRUPPE 2 - BERICHT lich maximal dreijähriges) bedarfsorientiertes mi- (2) Standort München grationsspezifisches Erstberatungsangebot sol- len die MigrantInnen zu selbständigem Handeln in (2.1) Statistische Angaben allen Angelegenheiten des täglichen Lebens befähigt werden. Dieses Beratungsangebot wird von Bera- In der Landeshauptstadt München lebten tungsstellen der Wohlfahrtsverbände vorgehalten. zum 31.12.05 insgesamt 20.416 Flücht- linge. Darunter fallen (1) Standort Augsburg • 3.749 geduldete Personen, • 1.914 AsylbewerberInnen, Wie aus den Zahlen der Regierung von Schwaben ersichtlich ist, ging die Zahl der AsylbewerberInnen • 6.122 Flüchtlinge nach §25, Abs. 2 und Geduldeten in Augsburg Stadt und Land im AufenthG (ehemals § 51 AuslG), und Vergleich zu Juni 2005 deutlich zurück. Auch der außerdem Trend ist deutlich rückläufig. Die Regierung von • 6.310 Kontingentflüchtlinge Schwaben ist zuständig für die Unterbringung von AsylbewerberInnen und geduldeten Flüchtlingen. • 2.321 Asylberechtigte Es handelt sich bei den folgenden Zahlen sowohl Nach telefonischer Auskunft der Regierung um die Flüchtlinge in den Gemeinschaftsunterkünf- von Oberbayern lebten im Oktober 2006 ten für Asylbewerber (GU) als auch um die dezen- im Münchner Stadtgebiet 69 UMF (unbe- tral untergebrachten Flüchtlinge. gleitete minderjährige Flüchtlinge), davon waren 43 in Einrichtungen der Jugendhil- fe untergebracht, der Rest lebte in so ge- Juni 2005 Juni 2006 nannten Gemeinschaftsunterkünften. Kapazität der GUs 1.318 991 In den letzten Jahren ist die Zahl der Flüchtlinge auch in München drastisch Belegung in GUs 684 455 gesunken. Am 31.12.2002 lebten noch 24.909 Flüchtlinge in München. Während im Leistungsbezug nach AsylbLG zum Dezentral unterge- 31.12.2002 noch 8.272 Personen stan- 417 383 brachte Flüchtlinge den, waren es im November 2006 nur noch 3.621 Personen. Flüchtlingszahlen 1.046 938 insgesamt Obwohl die Flüchtlingszahlen immer weiter zurückgehen, hat sich die Lebenssituation der Flüchtlinge nicht verbessert. In Bayern Von Juni 2005 bis Juni 2006 schloss die Regierung ist die Unterbringung von Leistungsbe- von Schwaben Asylunterkünfte und verringerte die rechtigten nach AsylbLG in staatlichen Un- Kapazität um 327 Plätze. In diesem Zeitraum ging terkünften zwingend vorgeschrieben. Die die Zahl der in Asylunterkünften untergebrachten Flüchtlinge in München verteilen sich auf AslybewerberInnen und Geduldeten von 684 um eine Erstaufnahmeeinrichtung, in der sie 229 Personen auf 455 zurück. Die Zahl der dezen- nach Asylantragsstellung ca. drei Monate tral untergebrachten AsylbewerberInnen und Ge- verbleiben, und auf 18 staatliche Gemein- duldeten ging von 417 um 34 Personen auf 383 schaftsunterkünfte. Nur 367 Personen, die zurück. Insgesamt verringerte sich die Anzahl der im Leistungsbezug nach AsylbLG stehen, AsylbewerberInnen und Geduldeten Flüchtlinge in besitzen in München die Erlaubnis, in ei- Augsburg Stadt und Land von 1046 um 208 Perso- ner Privatwohnung zu wohnen. nen auf 938 (Rückgang um 10,32%). -3-
PRODUKTGRUPPE 2 - BERICHT (2.2) Wohnsituation Aufenthalt in Deutschland haben sie die Möglichkeit, eine Arbeitserlaubnis bei der Die Unterbringung in sog. Gemeinschaftsunter- zuständigen Ausländerbehörde zu bean- künften erfolgt in Mehrbettzimmern, die von zwei tragen, unterliegen dann aber einer Nach- bis vier Personen bewohnt werden. Für jede Person rangigkeit beim Arbeitsmarktzugang. Die steht im Normalfall nicht mehr als ca. 6 qm Wohn- Flüchtlinge müssen einen Arbeitgeber fin- raum zur Verfügung. Die Gemeinschaftsunterkünfte den, der ihnen bestätigt, sie anstellen zu sind mit Gemeinschaftsküchen und Gemeinschafts- wollen. Die Agentur für Arbeit prüft dann, waschräumen ausgestattet. Die Bewohner erhalten ob gem. § 39 des Aufenthaltsgesetzes für Geldleistungen nach AsylbLG, was einem Betrag diese Beschäftigung kein Deutscher oder von ca. 40 Euro entspricht. Der notwendige Bedarf bzw. EU-Ausländer zur Verfügung steht. an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Ge- sundheits- und Körperpflege und Gebrauchsgütern des Haushalts wird durch Sachleistungen gedeckt. Die Ernährung wird in München durch die Vertei- lung von Lebensmittelpaketen zwei mal wöchent- lich gewährleistet, die an bestimmten Tagen und zu einer festgelegten Uhrzeit abzuholen sind. Die Landeshauptstadt München ist für den Barbetrag (Taschengeld), Kleidung, Leistungen bei Krankheit nach § 4 AsylbLG und sonstigen Leistungen nach § 6 AsylbLG zuständig, die Regierung von Oberbay- ern für die Bereitstellung der Unterkunft und der Essens- und Hygienepakete. An der „Zwangsunterbringung“ der Flüchtlinge wird hauptsächlich kritisiert, dass in den Gemeinschafts- Vielen geduldeten Personen, die über unterkünften ein menschenwürdiges Leben nicht Jahre hinweg einer festen Beschäftigung möglich ist. nachgingen, wurde seit Inkrafttreten des neuen Zuwanderungsgesetzes aufgrund Die Flüchtlinge verbleiben in der Regel mehrere mangelnder Mitwirkungspflicht bei der Jahre in den Gemeinschaftsunterkünften. Nur falls Klärung der Identität die Arbeitserlaub- sich ihr Aufenthaltsstatus verfestigt, ist ein Umzug nis entzogen. Ein Großteil der geduldeten (evtl. in eine Privatwohnung oder in ein städtisches Personen erhält, wenn überhaupt, eine Ar- Notquartier) gestattet. Die Betreuung der Bewoh- beitserlaubnis für nur zwei bis vier Stun- ner in den Unterkünften erfolgt stundenweise durch den am Tag. Wenngleich die Arbeitsmarkt- Sozialpädagogen der Wohlfahrtsverbände. Eine in- situation, zumal was den Billiglohnsektor tensive und individuelle Betreuung der in den Un- anbelangt, in München relativ gut ist und terkünften lebenden UMFs kann nicht gewährleistet die Flüchtlinge nach eigenen Aussagen in werden. der Lage sind, eine Beschäftigung zu fin- den, sind sie in vielen Fällen einem sowohl Der Vollzug des AsylbLG erfolgt in München der- rechtlichen und als auch faktischen Ar- zeit dezentral in den zehn regionalen Sozialbürger- beitsverbot unterworfen. häusern. In den Sozialbürgerhäusern sind 15 mut- tersprachliche Sprachvermittler im Einsatz, die bei (2.4) Gesundheitliche Situation von Verständigungsschwierigkeiten hinzugezogen wer- Flüchtlingen den können. Im Jahr 2005 waren allein bei Refugio (2.3) Arbeitsmarktzugang München, Beratungs- und Behandlungs- zentrum für Flüchtlinge und Folteropfer, Asylbewerber und Geduldete unterliegen zunächst insgesamt 496 Klienten in Behandlung. einem einjährigen Arbeitsverbot. Nach einem Jahr Davon waren 352 Erwachsene, 124 Kin- -4-
PRODUKTGRUPPE 2 - BERICHT der und 24 UMFs (vgl. Jahresbericht Refugio 2005). besonderer Bedeutung sind, herausge- Die Erfahrungen aus der Beratung mit 114 Klien- geben. Auf der Homepage der Stelle für ten beim TP Profi /AWM und eine Studie der Uni- Interkulturelle Arbeit und Migration der versität Konstanz aus dem Jahre 2005 stützen die Landeshauptstadt München findet sich ein Vermutung, dass Flüchtlinge in hohem Maße von Adressenverzeichnis aller migrationsrele- psychischen Problemen und posttraumatischen Be- vanten Angebote in München. lastungsstörungen betroffen sind. So klagt ein gro- ßer Anteil der KlientInnen in der Beratung beim TP (2.6) Sprache und Bildung des AWM, über gesundheitliche Beschwerden wie Schwindel, Kopfschmerzen, Konzentrationsschwie- Für Personen, die noch im Asylverfahren rigkeiten und Schlafstörungen aufgrund der bela- sind, für Geduldete und für alle sonstigen stenden Wohnsituation und aufgrund von Kriegs- ausreisepflichtigen Personen ist recht- und Fluchterlebnissen lich keine Sprachförderung und berufliche Qualifizierung vorgesehen, da ein Integra- (2.5) Unterstützungsstrukturen für tionsprozess in die Aufnahmegesellschaft Flüchtlinge in München nicht gewünscht ist. Allerdings ist in der Beratung beim AWM eine hohe Nachfra- In München existiert eine große Anzahl an sozialen ge nach Deutschkursangeboten festzu- Einrichtungen, Organisationen und Initiativen, die stellen, da Deutschsprachkenntnisse eine sich mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunk- wichtige Voraussetzung für den Zugang ten für die rechtlichen und sozialen Belange der zum Arbeitsmarkt bedeuten. Aufgrund der Flüchtlinge engagieren. Dazu zählen die ethnischen Abhängigkeit vom AsylbLG ist es den mei- Communities (ca. 174 Vereine, Organisationen und sten Flüchtlingen nicht möglich, sich selbst Initiativen von MigrantInnen), die häufig als Erstan- einen Deutschsprachkurs zu finanzieren. laufstelle für Flüchtlinge dienen und eine erste Ori- entierung in der neuen Lebenssituation anbieten. Ein bereites Spektrum an Dienstleistungen für die unterschiedlichsten Problemlagen der Flüchtlinge bieten die Wohlfahrtsverbände, die Kommune, freie Träger, Initiativen und kirchliche Einrichtungen an. Im Bereich Gesundheit bestehen mehrere Beratungsangebote, die sich um die medizini- schen und psychischen Belange der Flüchtlinge kümmern, z.B. Refugio München, der psycho- logischen Beratungsdienst für Muslime, Donna Mobile, um nur einige zu nennen. Im Bereich Asylverfahren und Recht sind besonders zwei Einrichtungen zu erwähnen: Die Koordi- In München gibt es ein begrenztes Angebot nationsgruppe Asyl von amnesty international von sehr kostengünstigen oder kostenlo- und das Forum „Rechtshilfe für AusländerInnen sen Sprachkursangeboten für Flüchtlinge, München e.V.“ Auf politischer Ebene engagie- die keinen Zugang zu den Regelangebo- ren sich zahlreiche Organisationen für die Ver- ten haben. Diese Angebote sind nur Dank besserung der Situation von Flüchtlingen. Dazu (Teil-)Finanzierung durch die Landeshaupt- gehören u.a. die Flüchtlingsräte (Bayerischer stadt München möglich, oder da Organi- Flüchtlingsrat, Münchner Flüchtlingsrat) die Ka- sationen Gelder über Stiftungen akquirie- rawane und das Bündnis gegen Rassismus. ren und mit ehrenamtlichen Lehrkräften wie z.B. Studenten des Studienganges Der Ausländerbeirat der Landeshauptstadt München Deutsch als Fremdsprache arbeiten. hat eine Broschüre mit allen Adressen von Vereinen, Gruppen, Initiativen, Verbänden, Beratungsstellen, Von 113 TN im Projekt beim AWM verfü- die für MigrantInnen und ihr soziales Umfeld von gen nahezu 40% über eine Schulbildung -5-
PRODUKTGRUPPE 2 - BERICHT von mindestens zehn Jahren. An diesen Bildungs- zu Akteuren des Arbeitsmarktes gelingt es hintergrund anzuknüpfen wird dadurch erschwert, den Projektverantwortlichen bei T.E.S.A. dass schulische und berufliche Qualifizierungsmaß- einen hohen Prozentsatz der TN in Arbeit nahmen für Flüchtlinge nur in einem sehr gerin- oder Ausbildung zu vermitteln und ihnen gen Umfang existieren. Von einigen Wohlfahrtsver- damit eine langfristige berufliche Perspek- bänden und der Rückkehrberatungsstelle „Coming tive und die Chance auf ein unabhängiges Home“ bei der Landeshaupt Stadt München werden Leben in Deutschland bzw. im Heimatland z.B. Computerkurse angeboten, wobei die Teilnah- zu eröffnen. me in einigen Fällen auf die Gruppe der U25 be- schränkt ist. Sowohl was das Sprachkursangebot als auch Qualifizierungsmaßnahmen angelangt ist 1.3.2 Saarland das Angebot für erwachsene Flüchtlinge deutlich ungünstiger als für minderjährige Flüchtlinge oder (1) Statistischer Überblick die Gruppe der U25. In saarländischen Landesgemein- schaftsunterkünften (LGUs) lebten am (2.7) SEPA-Programm in München 1.02.2002 noch 2.093 Personen, im Früh- jahr des Jahres 2004 waren es nur noch Die SEPA-Teilprojekte in rund 1.600 Personen, die Leistungen München (T.E.S.A) haben nach dem Asylbewerberleistungsgesetz es sich zur Aufgabe ge- (AsylbLG) bezogen. Seit Sommer 2004 macht, die Situation von existiert nur noch eine solche Landesun- Flüchtlingen mit unsiche- rer Bleibeperspektive in München hinsichtlich ih- res Zugangs zu Schule, Bildung und Arbeit zu verbessern. Die Angebote der Projektpartner bei T.E.S.A. bestehen aus • intensiver Sprachförderung, schulanalogem Un- terricht, Schulabschlüssen (HASA/QUALI) • beruflichen Qualifizierungsbausteinen im kauf- männischen und handwerklichen Bereich (Fach- theorie und Fachpraxis) • Betriebspraktika terkunft in Lebach, so dass diese Flücht- • Unterstützung bei der Suche nach einem Aus- linge alle zentral in einer saarländischen bildungs- oder Arbeitsplatz Unterkunft leben. Rund 2.000 waren im • Kompetenzbilanzierung und Empowerment Jahr 2004 darüber hinaus dezentral un- tergebracht. • Förderung der kreativen Ausdruckmöglichkeiten im Theaterprojekt Ferner lebt eine größere Anzahl von Asyl- • intensive sozialpädagogische Begleitung und berechtigten über das Saarland verteilt. Betreuung Rund 46 % der in Lebach untergebrach- ten Flüchtlinge befinden sich noch im lau- Trotz zurückgehender Flüchtlingszahlen ist die fenden Verfahren, 53 % sind abgelehnte Nachfrage nach den Projektangeboten bei T.E.S.A. AsylbewerberInnen mit Duldungsstatus. höher als die zur Verfügung stehenden Plätze. Lediglich ein Prozent verfügt über eine Aufenthaltsbefugnis. Dank der guten Beziehungen der T.E.S.A.-Partner zur Ausländerbehörde, zur Agentur für Arbeit und Die Zugangszahlen von AsylbewerberIn- -6-
PRODUKTGRUPPE 2 - BERICHT nen sind weiter zurückgegangen. Während 1995 gesehen die Ausnahme. ExpertInnen ma- noch 1.943 Zugänge verzeichnet wurden, waren es chen jedoch darauf aufmerksam, dass im Jahr 2000 nur noch 1.423, im Jahr 2003 noch le- Frauen - insbesondere kurdische Frauen - diglich 887. Insgesamt 788 Asylanträge wurden im oftmals über ein vergleichsweise geringes Jahr 2003 bearbeitet. In 2006 kamen von Januar bis Bildungsniveau verfügen, z.T. auch nicht September insgesamt 262 neue AsylbewerberInnen alphabetisiert sind. ins Saarland. In der Statistik wird nicht unterschie- den nach Neuantragsteller, Folgeantragsteller und neugeborene Kinder (die nicht in der LAST leben, sondern bei ihren Eltern in den Gemeinden). (2) Lebenssituation von Flüchtlingen und AsylbewerberInnen Die Wohnsituation unterscheidet sich grundsätz- lich darin, ob Flüchtlinge zentral in der LGU unterge- bracht sind - was seit 1994 die Regel ist - oder aber dezentral in den Kommunen leben. In der LGU leben 69 % der BewohnerInnen dort länger als ein Jahr Das Interesse an Sprachkursen ist seitens (darunter 11 % länger als fünf Jahre). Als Kritik an vieler Flüchtlinge sehr groß. Dies steht im der zentralen Unterbringung wird immer wieder die deutlichen Gegensatz zur deutschen Ge- Dichte der Belegung sowie die damit einhergehen- setzgebung, die keinerlei Sprachkurse für de Einschränkung der Lebensqualität der Bewohne- diese Zielgruppe vorsieht. Von großem rInnen genannt (z.B. Wegfall der Privatsphäre, für Wert sind daher die von verschiedenen SchülerInnen kaum Raum zum Lernen etc.). Wohlfahrtsverbänden kostenlos angebo- tenen Sprachkurse. Die Versorgung der Flüchtlinge wird vom Sachlei- stungsprinzip bestimmt, d.h. ihr notwendiger Be- (4) SEPA-Programm Saarland darf an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege sowie Gebrauchs- Die Arbeitsmarktlage im Saarland ist und Verbrauchsgütern des Haushalts werden durch deutlich ungünstiger als in Augsburg und Sachleistungen gedeckt. Am meisten Diskussions- München und somit der Zugang zum Ar- stoff bergen diesbezüglich die Essenspakete, die beitsmarkt für AsylbewerberInnen und zweimal wöchentlich ausgegeben werden. Flüchtlinge ungleich schwieriger. Die Teil- projekte im Saarland setzen daher ver- Zur gesundheitlichen Situation wird von in Le- stärkt auf folgende Aktivitäten: bach ansässigen ÄrztInnen angegeben, dass Flücht- linge nicht in auffallendem Maße kränker sind als • Förderung von Jugendlichen beim Ab- der Durchschnitt der Bevölkerung. Traumatisierte schluss ihrer schulischen Grundausbil- Flüchtlinge befinden sich bei dem ansässigen Psych- dung, iater bzw. der Tagesklinik des St. Nikolaus Hospitals • Förderung deutscher Sprachkenntnis- in Behandlung oder suchen die psychologische Be- se, um den Flüchtlingen Lernchancen treuung des DRK auf. in der deutschen Umwelt zu ermögli- chen, (3) Bildungs- und Sprachniveau • Vermittlung beruflicher Qualifikatio- Auf der Basis von 90 Flüchtlingsbiografien wurde nen und Arbeitsmarktzugang über ermittelt, dass die Mehrzahl der Befragten über ein zusätzliche Praktika, damit beruflich mittleres Bildungsniveau verfügt und in der Hei- wichtige Sekundärtugenden in der be- mat die Schule besucht hat. Flüchtlinge, die keinen trieblichen Realität eingeübt werden Schulbesuch vorweisen können, sind insgesamt können, -7-
PRODUKTGRUPPE 2 - BERICHT • psychologische und sozialpädagogische Bera- ermöglichen, eigene Handlungsziele zu tung und Begleitung, um die negativen Effekte verwirklichen, z.B. in Teilbereichen der des Lagerlebens und der ungewissen Lebenssi- allgemeinen und berufsbezogenen Quali- tuation abzumildern. fikation, wie etwa der Fähigkeit Textver- arbeitung, Tabellenkalkulation am PC zu Die zurückgegangen Zugangszahlen von Asylbe- beherrschen oder dem Erwerb konkreter werberInnen im Saarland (s.o.) haben zwischen- beruflicher Fertigkeiten und Kenntnisse. zeitlich auch insofern Konsequenzen für die Pro- Die aus solchen Erfahrungen abgeleiteten grammduchführung als parallel dazu auch die Zahl Erfolge in der Verwirklichung von selbst der InteressentInnen für die von SEPA angebotenen und fremdgesetzten Zielen sind ein Ge- Qualifizierungsmaßnahmen zurückgeht. Am wenig- genpol zu der verordneten Untätigkeit der sten betroffen von diesem Trend sind die Angebote AsylbewerberInnen und leisten einen Bei- für SchülerInnen, am stärksten die Angebote der trag zu einer generalisierten allgemeinen beruflichen Qualifizierung. Handlungsfähigkeit (Empowerment). Den Schlüssel für den erfolgreichen Ein- stieg in diese Lernprozesse vermittelt der Sprachunterricht • einmal als Voraussetzung für Lernen und Lebensbewältigung in Deutsch- land und • zum anderen als Voraussetzung für berufsbezogene Fortbildung. Aufgrund der unterschiedlichen Arbeits- marktbedingungen im Saarland einerseits und in Augsburg und München anderer- 1.4 Sprachförderung in SEPA in EQUAL II seits liegt der Schwerpunkt der Sprach- förderung im Saarland stärker auf der Empowerment wird im EQUAL-Kontext definiert als Sprache als Voraussetzung für Lernen und „Prozess der Mobilisierung von Ressourcen und der Lebensbewältigung in Deutschland, wäh- Entwicklung eigener Fähigkeiten mit dem Ziel, die rend in den beiden bayerischen Standor- eigene Zukunft aktiv mitzugestalten. … Empower- ten Sprachunterricht verstärkt als Voraus- ment ist eines der Grundprinzipien von EQUAL.“ Die setzung für berufsbezogene Fortbildung betroffenen Personen sollen darin unterstützt und vermittelt wird. dazu befähigt werden, Kontrolle über ihr Leben zu erhalten und sich die dazu notwendigen Ressourcen zu beschaffen bzw. die vorhandenen Ressourcen zu stärken. Im Rahmen von SEPA in EQUAL II bedeu- tet dies die Stärkung oder Wiederherstellung von Handlungsfähigkeit von AsylbewerberInnen und Flüchtlingen mit unsicherem Aufenthaltsstatus. Empowerment als zentrale Querschnittsaufgabe von SEPA wird umgesetzt in Maßnahmen der Teilprojek- te und in teilprojektübergreifenden Maßnahmen: Ziel ist Erhalt, Wiederherstellung und Stärkung der Handlungsfähigkeit der ProgrammteilnehmerIn- nen im Rahmen eines umfassenden, entwicklungs- bezogenen Lernprozesses. Dieser soll der Person -8-
PRODUKTGRUPPE 2 - BERICHT 1.5 Berichtsziele Ziel dient im Besonderen die Material- sammlung „Toolbox Sprachunterricht Der vorliegende Bericht verfolgt die nachstehend im Asylbereich“. genannten Ziele: (1) Beschreibung von Verfahren/Methoden/didak- (5) Der hier vorliegende Bericht wendet tischen Schritten zur Sprachförderung der spe- sich vor allem auch an den Politikbe- ziellen Zielgruppe der AsylbewerberInnen und reich (vertikales Mainstreaming), da geduldeten Flüchtlinge sowie von Gemeinsam- dieser für die Beschränkungen verant- keiten mit Zielgruppen von MigrantInnen. wortlich zeichnet, die die Lern- und Ar- beitsbedingungen für AsylbewerberIn- nen und Flüchtlinge erheblich einengt. (2) Beschreibung des auf Spracherwerb abzielen- Die vorgenommenen Einschränkun- den Knowhow-Transfers an ein neues EU-Mit- gen haben dazu beigetragen, das poli- gliedsland im Rahmen von EQUAL II (Tschechi- tische Ziel der deutlichen Begrenzung en). der Zuwanderung zu verwirklichen. Die damit verbundenen Nebenwirkun- gen (z.B. Abhängigkeit von sozialen (3) Auf der Basis der unter 1. und 2. gemachten Leistungen, Demotivierung, Verlust Erfahrungen sowie der Erfahrungen anderer der Fähigkeit für sich selbst sorgen zu Entwicklungspartnerschaften: Formulierung können) sind jedoch so hoch, dass bei von Folgerungen für das horizontale und ver- den zwischenzeitlich eingetretenen tikale Mainstreaming. Bei der Formulierung Veränderungen der Rahmenbedingun- von Folgerungen gehen wir von folgenden Prä- gen (durch Verschiebung der Außen- missen aus: grenzen der EU radikale Abnahme der Zugangszahlen von AsylbewerberIn- nen) eine Revision solcher Beschrän- • Selbstbestimmte und eigenverantwortliche kungen sinnvoll und möglich scheint. BürgerInnen sind das Idealbild für Men- schen in unserer Gesellschaft. • Um diesem Idealbild nahe zu kommen, müssen auch Zuwanderer die deutsche Sprache soweit beherrschen, dass sie in der Lage sind, den Anforderungen eines Lebens in Deutschland gerecht zu werden und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. • Voraussetzung für einen möglichst erfolg- reichen Verlauf dieses Prozesses ist ein an die besonderen Merkmale dieser Zielgrup- pe angepasster Sprachunterricht. (4) Die fachlichen Erkenntnisse eines derartigen Sprachunterrichts für AsylbewerberInnen und geduldete Flüchtlinge sollen anderen Institu- tionen zur Verfügung gestellt werden, die sich gleichfalls mit der Sprachförderung von Flücht- lingen und MigrantInnen befassen. Die LeiterIn- nen solcher Einrichtungen und andere Sprach- lehrerInnen können dann entscheiden, wieweit sie von den Erfahrungen Gebrauch machen können (horizontales Mainstreaming). Diesem -9-
PRODUKTGRUPPE 2 - BERICHT 2. Sprachvermittlung: Methodische Die Frage, was gelernt werden soll in ei- nem bestimmten zeitlichen Rahmen, der und didaktische Aspekte objektive Sprachbedarf, sollte sich mög- lichst mit dem subjektiven Sprachbe- Sabine Steinacher darf, also dem, was die TN selbst lernen wollten, decken. Das Grobziel der Projek- 2.0 Einführung te, nämlich Deutschunterricht bzw. die be- darfsgerechte kommunikative Sprachkom- Im Rahmen des EQUAL-Projekts SEPA wurden an petenz, die wiederum die Grundlage bildet drei Standorten Sprachkurse für Asylbewerberinnen für den Erwerb der Handlungskompetenz, und –bewerber durchgeführt, deren Ziel nicht nur sollte zunächst in Feinziele untergliedert die erfolgreiche Vermittlung von Deutsch als Zweit- und anschließend danach beurteilt wer- sprache war, sondern darüber hinaus die parallele den, ob diese realistisch, überschaubar Erstellung von innovativem Unterrichtsmaterial, die und notwendig sind. Auswertung und Evaluation von bestehendem Ma- terial sowie der Versuch, Qualitätskriterien zu ent- Wie sieht aber eigentlich „guter“ Deutsch- wickeln bzw. Standards zu setzen. unterricht aus, was sollte dieser beinhal- ten und woran wird der Erfolg gemessen? Welchen Anteil hat die Beherrschung der Sprache Sprachenlernen besteht nicht nur aus Wör- für MigrantInnen: Dient das Lernen der deutschen tern und Grammatik, sondern ist vielmehr Sprache „nur“ der Lebensbewältigung oder ist es ein mehrdimensionaler komplexer Vor- Voraussetzung für die berufliche Fortbildung? För- gang: Neben der funktionellen Dimensi- dert es das Empowerment und behebt somit das on, in der es um formale Korrektheit geht, Gefühl der Sprachlosigkeit und Handlungsunfähig- existieren noch andere, nämlich die kul- keit in einer Gesellschaft? Ist Sprache der Schlüssel turelle Dimension, die Fähigkeit, Sprache zur Integration oder nur ein Teilelement, das ohne in Kontexten adäquat zu verstehen und zu den Abbau von Schranken durch die Mehrheitsge- benutzen, sowie die kritische Dimensi- sellschaft allenfalls partiell wirksam wird? on, sich aktiv und kompetent in ein Um- feld einzubringen - neben Kommunikation Der Vermittlung der deutschen Sprache als Zweit- also Partizipation. Diese drei Dimensionen oder Fremdsprache kam innerhalb der EP SEPA in wiederum beinhalten viele Kompetenzen: beinahe allen TP eine besondere Rolle zu, der Kon- neben der sozialen die Sprachhandlungs- text, die Rahmenbedingungen und die Gestaltung kompetenz, die Diskurskompetenz so- waren jedoch sehr unterschiedlich. Die Lernziele wie die strategische Kompetenz (verbale orientierten sich daran, ob es ein Folgeangebot gab und nonverbale Kommunikation) und das (etwa berufliche Qualifizierung, Schulabschluss) interkulturelle Lernen (Wahrnehmung, oder an pragmatischen Vorgaben, z.B. wie die Ka- Sensibilisierung und Reflexion – mit dem pazitäten der TP hinsichtlich personeller und ma- Lernziel Toleranz). terieller Ausstattung beschaffen waren, wie viele/ welche TN (TeilnehmerInnen) sich für einen Kurs Dieser Fülle von Anforderungen kann im interessierten. Unterricht entsprochen werden durch or- ganisierte Lernerfahrungen als Kreislauf Die Theorie der zu vermittelnden zielorientierten von konkreten Erfahrungen auf verschie- Lerninhalte, die Didaktik, beschränkte sich dabei denen Ebenen: über Reflexion zur Anwen- nicht nur auf Deutsch als Fremd- oder Zweitspra- dung des Gelernten in der Praxis, woraus che, sondern beinhaltete neben dem interkulturel- wieder neue Erfahrungen entstehen und len Lernen Bereiche der sozialen und beruflichen so weiter. Das Lernen und die Entwick- Orientierung. Die Zielgruppen erforderten eine be- lung von Verstehensstrategien in Kombi- sondere Methodik, die Art der Unterrichtsgestal- nation mit der erweiterten Erfahrung sind tung, die Organisation des Unterrichts sowie das Schlüsselqualifikationen, die helfen das System der Vermittlung orientierten sich an den Lernen zu organisieren und in seiner Kom- Bedürfnissen und Voraussetzungen der TN. plexität schrittweise anzuwenden, wie z.B. - 10 -
PRODUKTGRUPPE 2 - BERICHT im Bereich Lese- oder Hörverstehen zu unterschei- petenz zu begreifen, sondern als einzig den zwischen globalem und selektivem Verstehen: wichtige Sprache zu deklarieren1, kann be- Lernungewohnte TN müssen langsam herangeführt sonders für Kinder von MigrantInnen eine werden an Textarbeit, die Ermunterung Hilfsmittel verhängnisvolle Entwicklung initiieren. Die wie Lexika zu benutzen, kann ins Gegenteil umschla- (relativ neue) Bezeichnung Zweitsprache gen (wenn begeistert jedes Wort nachgeschlagen konnotiert ja bereits, dass es sich nicht wird) und muss ergänzt werden durch Strategien, nur um eine Fremdsprache handelt, son- sich den Sinn zu erschließen, ohne jedes einzelne dern um eine Sprache, der neben der Mut- Wort zu verstehen. Auf der Bedeutungsebene, wenn tersprache eine sehr wichtige wenn nicht es darum geht, einer grammatikalischen Form eine existentielle Bedeutung zukommt. Bedeutung zuzuordnen, die beim Gesprächspartner eine bestimmte Wirkung erzielt, kann als Beispiel Ein politisches Spannungsfeld scheint sich die Höflichkeitsform (Anrede mit Sie statt du) sowie zu eröffnen, in dem unterschieden wird der Gebrauch von Redewendungen aus dem Alltag zwischen oben und unten, gebildet und dienen. Wird auf einer Behörde die falsche Anrede bildungsfern, arm und reich. DaZ wird im gebraucht in Kombination mit (unhöflich empfun- Gegensatz zu DaF oftmals außerschulisch2, denen) kurzen Befehlssätzen, ruft Sprache mitun- ungesteuert und somit unter erschwerten ter die „falsche“ Reaktion hervor. In Kombination Bedingungen erworben, mitunter entste- mit nonverbalen Kommunikationsmitteln, wie Au- hen jene „Fließend-Falschsprecher“, die genkontakt vermeiden, ist der Misserfolg beinahe sich zwar im Alltag verständigen kön- vorprogrammiert. Die kritische und die kulturelle nen, aber nur ungern von ihren bereits Dimension wirken hier weitaus stärker als die funk- fossilierten3 Fehlern trennen – haben sie tionelle (ob ein falscher Artikel oder eine falschen Strukturen und Regeln doch unter großer Endung benutzt wird), und dies gilt es im Unterricht Anstrengung selbst erworben. Das neu für DaF oder DaZ zu betonen. Gelernte funktioniert daher oftmals nur im isolierten Kontext, z.B. im Klassenzimmer, Die Tatsache, dass MigrantInnen in Deutschland le- nicht jedoch in spontanen kommunikati- ben und arbeiten, dass sie die neue Sprache anders ven Situationen. lernen als Kinder oder Jugendliche eine Fremdspra- che (in ihrem Heimatland, in ihrer Muttersprache, Dass wir es dennoch mit Mehrsprachig- in der Schule), die Bedeutung des Faktors Migration keit4 zu tun haben, wird oft vergessen und für den Fremd- oder Zweitsprachenerwerb ist erst unterschätzt, was auch daran liegen kann, seit kurzem Gegenstand der Forschung, ebenso wie dass unterschiedliche Maßstäbe in der Be- die Tatsache, dass Deutsch als Fremdsprache wertung existieren - innerhalb Europas. (DaF) sich von Deutsch als Zweitsprache (DaZ) Dass gerade Migrantinnen und Migranten unterscheidet. Eine Fremdsprache wird meist ge- viele Sprachen auf relativ hohem Niveau lernt in einem gesteuerten Prozess, die Zweitspra- „nur“ mündlich beherrschen, liegt oft dar- che dagegen wird erworben in einem „natürlichen“ an, dass es für diese Sprachen keine oder Prozess. Während Lernen im Rahmen von Erfahrun- geringe schriftliche Traditionen gibt (vgl. gen in einem geschützten Kommunikationsbereich Kurdisch). Es müssen daher Wege der Do- (Klassenzimmer) zu formaler Bewusstheit und Kor- kumentation gefunden werden wie Spra- rektheit führt, wird die Zweitsprache meist durch chenportfolios.5 Erfahrungen im Umgang mit der Zielkultur erwor- ben – und hat von Anfang an existentielle Bedeu- tung. Bis jetzt existieren kaum Forschungsergeb- 2.1 Merkmale der Zielgruppe nisse zum ungesteuerten Erwerb der Schriftsprache und nicht selten werden gesellschaftspolitische In- „Im Exil ist alles ungewöhnlich. Das Exil ist teressensgegensätze mit dem Verweis auf kulturel- ein Ozean von chaotischen Informationen. Der le Faktoren interpretiert oder überformt: Migration Mangel an Redundanzen dort erlaubt nicht, wird zum „Problemherd“, Negativentwicklungen diesen Informationsschwall als sinnvolle Bot- werden bewertet ohne nach den Ursachen zu fra- schaften zu empfangen. Das Exil ist da unge- gen. Deutsch dabei nicht als Erweiterung der Kom- wöhnlich, unbewohnbar (…)“ 6 - 11 -
PRODUKTGRUPPE 2 - BERICHT Im Verlauf der Projekte stellte sich immer wieder mit Behörden wurden immer wieder the- heraus, dass die Rahmenbedingungen der Asylbe- matisiert und wirkten sich wenig förderlich werberInnen, die Tatsache, dass dieser Gruppe die auf den Unterrichtsverlauf aus. Dem ent- Partizipation, der Zugang zu Fortbildungen oder gegenzuwirken durch klare Anforderungen zum Arbeitsmarkt verweigert werden, es erschwer- und einen verlässlichen, herausfordernden ten, bestehende Konzepte eines praxisnahen und Tagesablauf war ein begleitendes Merkmal motivierenden Unterrichts zu übernehmen. Wel- der Deutschkurse. chen Anteil hat die Beherrschung der „Zielspra- che Deutsch“, wenn die Handlungsfähigkeit einge- Die Definition von Integrationshinder- schränkt ist und es wenig Gelegenheiten gibt, das nissen und –motiven und die Frage, Gelernte anzuwenden?7 Die ungünstige Ausgangs- wie Integration als Prozess und Eigen- situation der TN schafft soziale Distanz und nicht initiative angeregt werden kann, steht selten führt Sprachnot zu Rollenunsicherheit und am Anfang und schnell wird die wichtige Statusverlust (wenn beispielsweise in einer Familie Schnittstellenfunktion des DaZ-Unterrichts die Kinder besser Deutsch sprechen als die Eltern). offensichtlich – die aber auch wahrgenom- Im Sinne von Empowerment sind professionelle An- men werden muss. gebote zur Qualifizierung zielführender als „Misch- formen“, die ausgehend von einer angenommenen Die Tatsache, dass es Gemeinsamkeiten Hilfebedürftigkeit sozialpädagogische Ansätze be- zwischen den Zielgruppen „MigrantInnen“ wusst in den Deutschunterricht integrieren. und „AsylbewerberInnen“ gibt, soll nicht über die Unterschiede hinwegtäuschen. Durch das Bereitstellen klarer struktureller Rah- Besonders was die Qualifizierung der Mit- menbedingungen (geschützter Unterrichtsraum, arbeiterInnen (MA) angeht, ist hier neben kleine Lerngruppen, qualifizierte MA, speziell er- der Belastbarkeit die interkulturelle Kom- stelltes Curriculum) werden Möglichkeiten zur Ver- petenz ein wichtiger Faktor in der Arbeit änderung der eigenen Situation angeboten. Sprach- mit Menschen aus anderen Kulturen, die liche Handlungsfähigkeit als Weg aus der Isolation in Deutschland nicht willkommen oder an- ist eines der Lernziele, für das die TN selbst die erkannt sind. Es erfordert viel Toleranz, Verantwortung übernehmen können und müssen. Offenheit und Sensibilität im Umgang mit Verhaltensweisen und Denkansätzen, ein- Die Kernfrage ist jedoch, wann ein Projekt erfolg- fache Diskussionen im Unterricht etwa reich ist und wie dieser Erfolg gemessen werden über Religion können zur Belastungsprobe kann. Ein ganz wichtiger Faktor ist die Zusammen- werden für Menschen, die ihr Herkunfts- setzung der jeweiligen Gruppe, neben Persönlich- land verlassen mussten weil sie wegen keitsmerkmalen ist hier die spezielle Lebenssitua- ihrer Glaubensrichtung verfolgt wurden.8 tion zu nennen und die Auswirkung derselben auf Den AsylbewerberInnen wurden Ver- Schlüsselqualifikationen (wie sich organisieren, sich stehensleistungen abgefordert, die ihre informieren, entscheiden, im Team arbeiten usw.), Identität in Frage stellen, durch das Ler- aber auch auf jene als typisch deutsch bezeichne- nen einer Sprache werden sie mit neuen ten „Sekundärtugenden“ wie Zuverlässigkeit und oder anderen Werten konfrontiert, die ihre Pünktlichkeit. eigenen in Frage stellen. Dieser mögliche Identitätskonflikt kann zum Lernhindernis Heterogenität, was Alter, Herkunft, Vorbildung und werden, wenn die Sprache als Träger ei- Motivation betrifft, dürfte ein Merkmal sein, das nes Wertesystems abgelehnt wird. auch in Integrationskursen zu beobachten ist und daher ein Gruppenmerkmal der TN mit Fluchter- Ein weiteres, funktionales Lernhinder- fahrung bzw. AsylbewerberInnen. Die Frage, ob es nis ist die so genannte Fossilierung, ein Gründe für flüchtlingsspezifischen Deutschun- Problem, das in Regelkursen ebenso häu- terricht gibt, stand nicht im Vordergrund, vielmehr fig auftaucht wie bei AsylbewerberInnen, galt es zu reagieren auf eine spezifische Zielgruppe, die schon lange in Deutschland leben, die deren Bedürfnisse und Hemmnisse. Externe „Stö- Sprache aber bisher nicht systematisch rungen“ wie Abschiebedrohungen oder Probleme gelernt haben. Lernhemmende Umstände - 12 -
PRODUKTGRUPPE 2 - BERICHT (kein Raum oder wenig Rückzugsmöglichkeiten für In Augsburg kristallisierten sich als Er- konzentriertes Lernen usw.) sind zusätzliche Ver- folgsfaktoren für diese Zielgruppe neben stärker. Hier können bereits kleine Änderungen wie der straffen Organisation10 das Angebot ei- die Schaffung neuer, äußerer Bedingungen dazu ner Qualifizierung, einer Perspektive nach beitragen, Probleme zu lösen. dem Deutschkurs heraus, in Verbindung mit einem ganzheitlichen Konzept, das In Augsburg und auch in München wurde eine eine niedrigschwellige sozialpädagogische Nachmittagsbetreuung durch Freiwillige Mitarbei- Betreuung durchgehend garantierte11 und terinnen (FWMA) und Mitarbeiter eingerichtet, wo bewusst außerschulische Lernsituationen in geeigneter Umgebung Sprachkontakte gepflegt als ergänzendes Angebot etablierte. oder einfach die Hausaufgaben gemacht werden. Die FWMA wurden stets durch eine MA des Projekts betreut, durch standardisierte Kommunikationsfor- 2.2 Lernen men wie Übergabeprotokolle wurde gewährleistet, dass diese außerunterrichtliche Übungsform effek- „Wenn sich die Erkenntnisse der Lehr-Lernfor- tiv und sinnvoll ergänzend zum Vormittagsunter- schung allgemein wie der Sprachlernforschung richt eingesetzt wird.9 speziell aus den letzten Jahren überhaupt auf einen Nenner bringen lassen, so ist es…die Organisatorische oder logistische Konzepte dürfen Erkenntnis, dass Lernen ein außerordent- nicht unterschätzt werden, wenn es um das Gelin- lich individueller Vorgang ist, dass Lerngrup- gen einer Maßnahme geht. Klare Regeln und Ab- pen durch eine zunehmende Heterogenität gekennzeichnet sind und dass Lernprozesse sprachen, das Einhalten von Vereinbarungen, for- dann besonders gut funktionieren, wenn nicht mulierte Ziele – und das am besten in schriftlicher nur auf individuelle Lernvoraussetzungen und Form, tragen dazu bei, die Akzeptanz bei den TN – dispositionen, sondern auch auf individuelle zu steigern. Neben der Wertschätzung der eigenen Zielsetzungen Rücksicht genommen wird.“12 Person entsteht eine professionelle Arbeitsatmo- sphäre, ohne dass der Faktor Empathie auf Seiten Im Rahmen der innerhalb des SEPA-Ver- der Mitarbeiterinnen darunter leidet. Die strikte bundes gesteckten Ziele, Qualitätsstan- Trennung von Hilfsangeboten und Qualifizierung, dards zu entwickeln und Standards zu set- das Klassenzimmer als geschützter Raum mit ei- zen, bilden theoretische Kenntnisse über genen Regeln sowie eine stringente Durchführung Lernen im Allgemeinen und Spracherwerb angekündigter Aktionen schafft Transparenz und im Besonderen eine wichtige Grundlage. erleichtert auch einer extrem benachteiligten Ziel- Lernen als Prozess, der Erwerb von gruppe den erfolgreichen Abschluss einer Maßnah- Wissen oder Fähigkeiten durch Studium, me. Übung oder Unterricht, ablesbar an den Verbesserungen der Leistungen, findet auf Die Anforderungen an eine Kursleiterin sind durch- drei verschiedenen, miteinander verbun- gehend hoch: Die Ansprüche an sich und die Ler- denen Ebenen statt: auf der kognitiven, nenden sollte man sich bewusst machen, die eige- der emotionalen und der Verhaltensebe- ne Belastungssituation und Methoden des Umgangs ne. „Echtes“ Lernen bezieht alle drei Ebe- damit reflektieren, wenn nötig Etappenziele definie- nen mit ein: Mit Stäbchen essen lernt man ren sowie Techniken zur Selbstevaluation entwik- durch eine mündliche oder schriftliche An- keln. leitung, die Wirkung ist jedoch nur anhal- tend, wenn man gerne mit Stäbchen isst Inwiefern sind nun aber äußere Rahmenbedingun- oder zumindest einen Vorteil darin sieht. gen das Ergebnis einer gewachsenen Struktur und sind diese aus Erfahrungen gewonnenen Erkennt- Ein Kind lernt Sprachen anders und schein- nisse übertragbar? Wie können Erfolgsfaktoren, die bar leichter als Erwachsene13, am Ende der aus einer „Institutskultur“ entstanden sind (z.B. Pubertät entsteht ein repliziertes Sprach- Trägerkooperation mehrerer Partner) übersetzt verhalten gemäß der sozialen Umgebung werden auf Kurse in Unterkünften, durchgeführt (der Wortschatz kann variieren zwischen von Wohlfahrtsverbänden, deren Aufgabe originär 600 und mehreren tausend Wörtern). Kin- ganz andere sind als Deutschunterricht? der erwerben mit der Muttersprache aber - 13 -
PRODUKTGRUPPE 2 - BERICHT auch eine soziale Identität, über die ein erwach- Die Lehr- und Lernziele im Fremd- oder sener Zweitsprachenlerner bereits verfügt und um Zweitsprachenunterricht können in drei deren Verlust er/sie fürchten könnte im Fall einer Teile gegliedert werden: neben dem Er- Assimilation. Dass mit dem Erlernen einer neuen werb von Wissen (kognitiv) spielen auch Sprache unter bestimmten Bedingungen der Faktor Einstellungen (affektiv) und Haltungen Angst vor dem Verlust der sozialen Identität eine eine Rolle ebenso wie sprachpraktische Lernblockade darstellen kann, ist ein relativ neu- Fertigkeiten („skills“). Der Erfolg beim er Gedanke, der besonders für MigrantInnen mit Erlernen einer neuen Sprache kann nur Fluchterfahrung von Bedeutung sein könnte. bedingt durch Messen der allgemeinen Intelligenz vorausgesagt werden, eine Im täglichen Unterricht stehen einer oftmals gro- Sprachbegabung oder Sprachlernneigung ßen lexikalischen Kompetenz bei den TN erhebliche ist nur schwer messbar und auf solche grammatikalische Mängel gegenüber (z.B. bewus- Ergebnisse kann im Alltag so gut wie nie stes Vereinfachen oder Weglassen von Endungen) zurückgegriffen werden. Natürlich gibt und es stellt sich die Frage, wie dieser Diskrepanz es verschiedene Typen von Lernenden, durch adäquate Methodik und Didaktik entgegen- die demzufolge unterschiedliche Metho- gewirkt werden kann, wie im Prozess „Lernen“ vor- den fordern oder brauchen. So kann z.B. handene Kompetenzen integriert werden können. Grammatik nicht nur über Regeln, sondern Sprache dient der Orientierung in der Umwelt, sie durch Übung vermittelt werden – Spra- beinhaltet individuelle und kollektive Erfahrungen, che nicht als kognitive Leistung sondern ermöglicht aber auch überhaupt erst die Aneignung als praktische Fertigkeit. Oder es kann von Wissen. Wenn es um Sprachenlernen geht, kön- über den Gebrauch, also die Anwendung nen Lernende die Zielsprache in einem kreativen in kommunikativen Situationen, auf den Prozess über den Einsatz von Strategien erschlie- Alltagsgebrauch einer Sprache vorbereitet ßen, wenn sie über bestimmte intellektuelle Struk- werden – mit wenig Regeln und authen- turen verfügen, die es ihnen erlauben, Regeln zu tischen Texten. Doch gerade im Hinblick konstruieren, zu erproben und gegebenenfalls wie- auf bereits fossilierte Fehler ist vielleicht der zu verwerfen. Sprache findet immer in einem doch im Besonderen das Bereitstellen ei- Kontext statt, Kommunikation ist nichts anderes als nes transparenten Systems notwendig. die Aushandlung von Bedeutungen zwischen zwei Kommunikationspartnern – darum ist das Erlernen Es gibt Lerner, die hauptsächlich im Kon- einer Fremd- oder Zweitsprache eine besondere text, also assoziativ lernen und dabei Herausforderung. ganzheitlich vorgehen. Eine andere Grup- pe kann dagegen ohne Kontext lernen, Lernen kann auf Zufall beruhen oder das Ergeb- da sie über Möglichkeiten der induktiven nis eines geplanten Prozesses sein. Verschiedene Regelerkennung verfügt und analytisch Faktoren spielen zusammen wie Lernalter, Art des vorgeht. Der holistische Lerntyp ist oft Erwerbs, Lernbedingungen wie Intensität/Qualität personenbezogen und kommunikativ ori- des Unterrichts, kommunikative Wichtigkeit, Ge- entiert, sammelt Daten aus einer Sprache dächtnis, Leichtigkeit der Verarbeitung, Zugang zu und wendet diese risikobereit beim Spre- neuem Material, Antrieb. Neben biologischen Gege- chen an. Der analytische Lerntyp dage- benheiten spielt auch das bis dahin erworbene Wis- gen ist eher unabhängig vom Lernfeld und sen, die Vorbildung, eine Rolle, denn dieses Wis- bevorzugt deskriptive Analysen – Lernen sen bildet die Grundlage für neues Wissen in einem statt (zufälliges) Erwerben. Korrektes unendlichen Prozess. Zum Können einer Sprache Sprechen ist oftmals wichtiger als flüssi- gehört mehr als Kenntnis der Grammatik. Sprach- ges Kommunizieren und Risiken werden kompetenz ist ein Profil, in dem es neben der Be- eher vermieden. Wie können nun diese schreibung der Fertigkeiten und des Wissens auch Erkenntnisse sinnvoll in die Praxis einge- um den erfolgreichen Sprachgebrauch geht und der hen? Sollen Lerner klassifiziert werden, neben sprachlichem Wissen auch soziokulturelles um ihnen dann in homogenen Gruppen Wissen und Diskurswissen umfasst. den ihnen adäquaten „Stil“ anzubieten? Was passiert, wenn die Lerngruppe aber - 14 -
PRODUKTGRUPPE 2 - BERICHT extrem heterogen ist im Hinblick auf Alter, Her- möglichkeiten in Bezug auf Lerninhalte in kunft, Vorbildung und kognitive Fähigkeiten? Wie den Unterricht einzubauen. können Erkenntnisse über Lernstil oder Lerntyp in die tägliche Arbeit einfließen? Lernberatung als integrativer Bestandteil In der Erfahrung hat sich gezeigt, dass die affekti- und über die Einstufung oder Bewertung ven Lernfaktoren, also die Motivation, eine große oder Fehleranalyse hinaus kann helfen, Rolle spielen. Es mag durchaus sein, dass begab- Konzepte gemeinsam zu erstellen, diese te Lehrerinnen und Lehrer mit einer entsprechen- in den Alltag zu überführen, die zu erler- den Persönlichkeit intuitiv die richtigen Methoden nende Sprache greifbarer machen. Oft ist wählen, ebenso ist es denkbar, dass es immer eine es hilfreich, sich bewusst zu machen, dass Teilmenge geben wird, die mit großem Erfolg lernt, die Vorstellung einer Sprachlernklasse als während einer anderen dieser Erfolg versagt bleibt. geschlossene Gruppe, die sich im Gleich- Wenn es aber darum geht, Qualität zu sichern und schritt vom gemeinsamen Start zum ge- den Lernern den ihnen passenden Unterricht zu meinsame Ziel bewegt, realitätsfern ist, bieten, erweisen sich theoretische Kenntnisse über vielmehr suchen einzelne TN ihre unter- Lernen im Allgemeinen und Spracherwerb im Be- schiedlichen Wege (auch Um- oder Abwe- sonderen als notwendige Hilfestellung, um nicht in ge) in unterschiedlichem Tempo. alltäglichen Problemen zu verharren. Wenn bei TN eine intrinsische, also integrative Motivation Die Kernfrage bleibt allerdings: Wann vorhanden ist, d.h. ein Bedürfnis zur Identifikation funktionieren Lernprozesse gut und wann mit der Zielsprache und deren Kultur, kann diese weniger gut? Welche Faktoren können/ leichter aufrecht erhalten werden, auch oder gera- müssen berücksichtigt werden, welche de weil sie längerfristig angelegt ist.14 können beeinflusst werden? Wie können alle Dimensionen des Lernens (funktionel- In einem Sprachkurs für Flüchtlinge wird man häu- le, kulturelle und kritische) berücksichtigt fig auf eine utilitaristische Herangehensweise an werden? Evident ist, dass Sprachunter- das Thema Sprachenlernen treffen, TN die nur so- richt sich keinesfalls auf die funktionelle viel lernen wollen wie sie aktuell brauchen, eine Dimension beschränken darf, auch wenn Art „Überlebensdeutsch“. Dieser instrumentellen dieser unter außergewöhnlich erschwerten Motivation kann man aber auch durch bestimm- te Konzepte entgegenkommen, wie z.B. durch ein Bedingungen durchgeführt wird. Erleich- modulares Kurssystem, kleinschrittige Lernziele, tert wird der Lernprozess, wenn neben zielgruppenorientierten Tests statt standardisierten dem Deutschkurs auch andere Angebote Leistungsmessungen, zirkuläres statt lineares Cur- existieren (wie z.B. in Augsburg im Quif- riculum. So können neben regelmäßigen schriftli- Kurs die anschließende berufliche Qualifi- chen Zwischentests so genannte Sprachstandsbe- zierung im Handwerk oder im Hotel- und obachtungen durchgeführt werden, die eventuell Gaststättenbereich), und wenn permanent ein Motivationstief auffangen können, indem klar eine professionelle sozialpädagogische wird, dass sich die Fertigkeiten Sprechen und Hö- Betreuung dazu führt, Probleme nicht im ren durchaus verbessert haben. Darin wird neben Unterricht thematisieren zu müssen. der formalen Richtigkeit die kommunikative Kom- petenz erfasst, ob ein TN sich mit dem zur Ver- fügung stehenden Wortschatz frei äußern kann, Auch die Dauer und die Intensität der Grad der Verständlichkeit und Angemessenheit, Deutschkurse spielen eine Rolle besonders die soziale Kompetenz (Verhalten gegenüber ande- im Hinblick auf Motivation und Lernerper- ren TN, hilfsbereit, fähig zur Gruppenarbeit), aber sönlichkeit. So kann in einem längerfristig auch Aussprache (Satzakzent und Wortakzent, angelegten Kurssystem eher an „Proble- Verständlichkeit). men“ gearbeitet werden (Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit etc.) und das benannte In der Praxis hilft es oft, kleine Ziele setzen (nicht bzw. gemeinsam vereinbarte Ziel15 kann „perfekt Deutsch sprechen“) und den TN dabei hel- dazu dienen, eine Perspektive zu gewin- fen, sich daran auszurichten, motivationsfördernde nen. Maßnahmen, entdeckendes, handelndes und selbst- gesteuertes Lernen in Form von Mitbestimmungs- Bereits gemachte Lernerfahrungen, Lern- - 15 -
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