STEUERN UND FINANZEN IM MITTELSTAND - POSITIONSPAPIER - BVMW
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POSITIONSPAPIER STEUERN UND FINANZEN IM MITTELSTAND Liebe Leserinnen und Leser, der deutsche Mittelstand erfüllt bislang seine Rolle als Wachs- 883 Mrd. Euro anwachsen.1 Auch das Thema Bürokratieabbau tums- und Jobmotor Europas. Allerdings gefährden die Rezes- muss endlich konsequent angepackt werden, denn ein Mittel- sion der Corona-Pandemie, die steigende Steuerlast und die ständler muss in Deutschland pro Jahr 218 Stunden für Steu- zunehmende internationale Wettbewerbsverzerrung den Er- erbürokratie aufwenden und damit beispielsweise 79 Stunden folg der mittelständischen Wirtschaft. mehr als die Konkurrenz in Frankreich.2 Neben der Steuer- und Abgabenbelastung gehört der Zugang zu Finanzmitteln zu den Die Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs haben 2020 ein wesentlichen Determinanten der Wettbewerbsfähigkeit und promptes Ende gefunden. Durch die Corona-Pandemie wird der Attraktivität eines Standortes. Die Finanzierung innova- uns vor Augen geführt, wie fragil die Weltwirtschaft und so- tiver Ideen muss weiter gestärkt werden. Kleine und mittlere mit auch unser eigener Wohlstand ist. Umso wichtiger ist es, Unternehmen (KMU) sind die Keimzelle von Innovationen und den deutschen Wirtschaftsmotor Mittelstand nun nicht abzu- technologischen Revolutionen, jedoch fehlen oftmals ausrei- würgen, sondern mit den richtigen Wachstumsimpulsen und chend Finanzmittel. Die Anfangs- und Anschlussfinanzierung Innovationen zu fördern. Wie ein Blick auf die aktuellen Zah- von jungen Unternehmen muss dringend verbessert werden, len zeigt, ist die Zeit reif, den Unternehmen unter die Arme zu damit Deutschland seinen Platz im Feld der innovationsstar- greifen: Dazu brauchen wir eine Agenda 2025. Die akute Kri- ken Länder halten kann. senbekämpfung war gut und richtig. Jetzt aber ist Strukturpo- litik von Nöten, die im Kern Wachstumspolitik sein muss, um Die Politik muss die richtigen steuerlichen und wirtschaftli- die Grundlagen des Erfolgs zu erneuern und die Wachstum- chen Rahmenbedingungen schaffen und Wachstumsimpulse skräfte zu stärken. Die deutsche Abgabenquote ist mit 48,8 setzen – dazu gehören die Weiterentwicklung der Steuer- und Prozent – verglichen mit dem weltweiten Durchschnitt von Abgabenpolitik und ein verbesserter Zugang zu alternativen 40 Prozent und einem schwachen 46. Platz von 189 im Steu- Finanzierungsformen. In diesem Positionspapier werden dazu erranking – mehr als verbesserungswürdig. Dem deutschen konkrete Vorschläge gemacht. Mittelstand bleibt kaum Kapital für Rücklagen, Innovationen und Investitionen übrig. In der Krise wird wieder einmal deut- lich: Selbst gesunde mittelständische Unternehmen können Ihr Stand: September 2020 in Existenznot geraten. Kurzfristig an Liquidität mangelt es Mario Ohoven vor allem den kleineren Unternehmen ohne große Reserven. Die aktuelle Steuerschätzung prognostiziert Einnahmen von Mario Ohoven ist Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirt- knapp 718 Mrd. Euro die von Bund, Ländern und Gemeinden schaft (BVMW) und Präsident des Europäischen Mittelstandsdachverbands (CEA-PME /European Entrepreneurs) erhoben werden. Bis zum Jahr 2024 sollen die Einnahmen auf 1 BMF (2020): Ergebnisse der Steuerschätzungen vom 8. September 2020 bis 10. September 2020. Abrufbar unter: https://www.bundesfinanzministerium.de/ Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Steuerschaetzungen_und_Steuereinnahmen/Steuerschaetzung/2020-09-10-ergebnisse-158-sitzung-steuer- schaetzung.html 2 PwC (2020): Paying Taxes. Abrufbar unter: https://www.pwc.de/de/steuerberatung/paying-taxes-2020.html#kennzahlen. © BVMW 2020. Alle Rechte vorbehalten. Transparenzregisternummer: 082217218282-59
Kernforderungen des Mittelstands 1. Steuerliche Wettbewerbsfähigkeit erhalten 2. Unternehmenssteuersätze und Steuerbürokratie senken Schweiz 8,5 3. Kalte Progression abbauen Ungarn 9,0 4. Keine Spitzensteuer auf mittlere Einkommen erheben 5. Unternehmensnachfolge sichern Bulgarien 10 6. Solidaritätszuschlag streichen Irland 12,5 7. Vollständige Anrechnung der G ewerbesteuer auf Zypern 12,5 die Einkommensteuer möglich machen 8. Mehrwertsteuersatz angleichen Litauen 15 9. Grenzen für Kleinunternehmer und Ist-Versteuerung anheben Rumänien 16 10. Sachspenden entlasten Kroatien 18 11. Spektrum der Finanzierungsformen erweitern 12. Abgeltungsteuer beibehalten Polen 19 13. Versicherungssteuer reduzieren Slowenien 19 14. Zinssatz für Steuernachforderungen und Abzinsung Tschechien 19 von Pensionsrückstellungen senken 15. Verlustvorträge nutzbar machen UK 19 16. Rechtssicherheit im Leistungsverkehr schaffen Estland 20 Finnland 20 Lettland 20 Slowakei 21 Dänemark 22 1. Steuerliche Wettbewerbsfähigkeit erhalten Schweden 21,4 Internationale Großkonzerne verfügen über die Struktur und das notwendige Bud- Portugal 21 get, um durch gezielte Gestaltungsmaßnahmen die Steuersysteme verschiedener Norwegen 22 Nationalstaaten gegeneinander auszuspielen. Die hierdurch entstehenden legalen Steuerschlupflöcher nutzen sie effizient aus und reduzieren somit ihre effektive Niederlande 25 Steuerbelastung auf einen Bruchteil des gesetzlich festgeschriebenen Steuersat- Österreich 25 zes – und das auf Kosten aller anderen Steuerpflichtigen. Für die allermeisten mit- Spanien 25 telständischen Unternehmen sind entsprechende Steuertricks aus vielerlei Gründen keine Option. Im Ergebnis beschert ihnen der internationale Flickenteppich steuer- Luxemburg 17 rechtlicher Vorschriften einen erheblichen Nachteil im ohnehin schon schwierigen USA 21 Wettbewerb mit den großen Konzernen. Hinzu kommt, dass die dem Fiskus ent- Kanada 15 gehenden Steuereinnahmen zur dringend benötigten Senkung der Unternehmens- steuerbelastung für die Breite der mittelständisch geprägten Betriebe am Standort Italien 24 Deutschland fehlen. Dabei kann man dem Management und den Beratern der Kon- Griechenland 24 zerne nur wenige Vorwürfe machen. Vielmehr ist es die originäre Aufgabe der nati- Belgien 29 onalstaatlichen Gesetzgeber sowie der staatlichen Verbunde und Organisationen, eine faire und angemessene Besteuerung internationaler Konzerne sicherzustellen. Deutschland 15 Japan 23,2 Vorschlag des BVMW: Steuerrechtliche Wettbewerbsnachteile zu Ungunsten mittel- Frankreich 31 ständischer Unternehmen müssen beseitigt werden. Der BVMW fordert, dass auch internationale Konzerne ihren gerechten Anteil zum Steueraufkommen in Deutsch- Malta 35 land beitragen. Es darf weder zu einer Nicht-Besteuerung von Unternehmensgewin- Körperschaftssteuersätze 2019 nen noch zu einer Doppelbesteuerung kommen. Ohne Zuschläge und Steuern der nachgeordneten Gebietskörperschaften (Standartsätze in Prozent) © BVMW 2020. Alle Rechte vorbehalten. Transparenzregisternummer: 082217218282-59
2. Unternehmenssteuersätze und 3. Kalte Progression abbauen Steuerbürokratie senken Die kalte Progression ist eine versteckte Steuererhöhung, die vor allem den Mittelstand und seine Beschäftigten belastet – Im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im und das in Zeiten, in der die öffentliche Hand Rekordsteuer- internationalen Vergleich müssen Unternehmenssteuern re- einnahmen verzeichnet. Die kalte Progression beschreibt den duziert und das Unternehmenssteuerrecht vereinfacht wer- paradox anmutenden Fall, dass Arbeitnehmer trotz Lohnerhö- den. Es ist notwendig, auf den globalen Steuerwettbewerb zu hung oder Personenunternehmer trotz Gewinnsteigerung real reagieren. Dass eine Senkung der Unternehmenssteuersätze weniger Einkommen zur Verfügung haben. Dieser Fall tritt ein, nicht zwangsläufig zu unerwünschten Verteilungswirkungen wenn die Erhöhung lediglich die Preissteigerung (Inflation) aus- führt, ist wissenschaftlich belegt. So zeigt eine Analyse des gleicht, die Steuerbelastung jedoch stärker als das Einkommen ifo-Instituts, dass Erhöhungen der Gewerbesteuer, die im inter- steigt. Unter dem Strich profitiert nur der Staat durch die stei- nationalen Vergleich ein Unikum ist, zu einem geringeren Lohn- genden Steuereinnahmen. Berechnungen zeigen, dass die kal- wachstum führen. Je größer dabei die Steuererhöhung, des- te Progression von 2011 bis 2016 zu Steuermehreinnahmen to geringer fallen die Löhne aus. KMU mit nur einem Standort von über 30 Mrd. Euro geführt hat – Steuern, die vor allem von sind von dem reduzierten Lohnwachstum besonders deutlich Arbeitnehmern und KMU gezahlt werden. Für das Jahr 2019 betroffen. Kapitalgesellschaften verfügen über keinerlei Frei- schätzt das Bundesministerium der Finanzen im dritten Steu- beträge, schon der erste Euro Gewinn muss versteuert wer- erprogressionsbericht die Höhe der kalten Progression auf den. Die Belastung durch die Körperschaftsteuer in Höhe von 3,81 Milliarden Euro. Betroffen von der Steuermehrbelastung 15 Prozent ist demnach nicht von der Hand zu weisen. Dane- sind rund 32,8 Millionen Steuerpflichtige mit durchschnittlich ben weist steuersystematisch vor allem die Gewerbesteuer 116 Euro pro Jahr. gravierende Mängel auf. Außerdem belastet das Steuerrecht die mittelständischen Unternehmen mit hohen Bürokratie- und Die kalte Progression muss deshalb abgemildert und letztend- Befolgungskosten. Allein die Pflicht, eine Gewerbesteuererklä- lich ganz beseitigt werden. Dabei dürfen nur real steigende Ein- rung abzugeben, kostet die Unternehmen laut Statistischem nahmen der steuerlichen Progression unterworfen werden, um Bundesamt jährlich 1,9 Milliarden Euro. Häufig haben KMU dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit zu entsprechen. Darü- keine ausreichend große Steuerabteilung, sodass externe Be- ber herrscht im Grundsatz parteiübergreifend Einigkeit. Das rater eingeschaltet werden müssen. Dies führt zu erhöhten Argument der fehlenden Gegenfinanzierung ist nicht haltbar, Kosten. Eine zusätzliche Belastung stellen die unklaren Ab- da Mehreinnahmen aus der kalten Progression nicht vorge- schreibungsmodalitäten dar. Ihre Entwicklung war für Unter- sehen sind und eine Einplanung in den Haushalt nicht legitim nehmen in den letzten Jahren kaum vorhersehbar und hat da- ist. Zusätzlich ist anzumerken, dass der Gesetzgeber das Ar- durch die Investitionsentscheidungen verzerrt. gument steigender Löhne nur infolge des Inflationsausgleichs für die jährliche Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen Vorschlag des BVMW: Eine Harmonisierung der Unterneh- bei der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung nutzt: mensbesteuerung auf europäischer Ebene ist wünschenswert. zu Lasten der Beitragszahlenden. An diesem „Zangengriff“ Allerdings müssen von einem Harmonisierungsfortschritt der steigenden Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge lei- nicht nur die Kapitalgesellschaften durch eine gemeinsame den vor allem die mittleren Einkommen und der Mittelstand. Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, sondern auch die Breite der Personenunternehmen durch eine Angleichung der Die untenstehende Grafik stellt den Verlauf des Grenzsteu- Gewinnermittlungsvorschriften profitieren. Hierfür sollte die ersatzes in Deutschland in Abhängigkeit von zu versteuern- Gewerbesteuer abgeschafft und die Gemeinden stärker an dem Einkommen dar. Die durchschnittlichen Einkommensteu- den Gemeinschaftssteuern beteiligt werden. Außerdem for- ersätze 2019 (schwarze Linie) werden ins Verhältnis mit den dern wir eine Reduzierung des Körperschaftssteuersatzes um Grenzsteuersätzen (rote Linie) gesetzt. An dieser Grafik ist der mindestens einen Prozentpunkt, die Reduzierung der hohen Mittelstandsbauch, der durch die kalte Progression entsteht, Bürokratiekosten durch zeitnahe Betriebsprüfungen, kürzere sehr gut sichtbar: Schon ab einem Jahreseinkommen von gut Abschreibungsfristen von höchstens drei Jahren bei digitalen 55.000 Euro greift der Spitzensteuersatz. Auch für Verheira- Anlagegütern, eine beständige Steuergesetzgebung sowie an- tete setzt der Spitzentarif zu hoch an: Schon ab einem Jah- gemessene Aufbewahrungsfristen, Pauschalen, Freigrenzen reseinkommen von 109.000 Euro, also einem Jahreseinkom- und Freibeträge. men von 54.500 Euro pro Person, muss der Spitzensteuersatz bezahlt werden. © BVMW 2020. Alle Rechte vorbehalten. Transparenzregisternummer: 082217218282-59
Vorschlag des BVMW: Durch einen sogenannten „Tarif auf Rä- Einkommensgrenzen, ab denen der jeweilige Steuersatz greift, dern“ kann die kalte Progression effektiv abgebaut werden. sondern auch für alle Tarifelemente wie Freigrenzen, Freibe- Der Steuertarif ist dabei an die tatsächliche Einkommens- träge oder Höchstgrenzen wie etwa die Grenze zur Abschrei- und Preisentwicklung zu koppeln. Dies gilt nicht nur für die bung geringwertiger Wirtschaftsgüter. 50 40 30 Grenzsteuersätze¹ in % 20 Durchschnittssteuersätze² in % 10 ¹Der Eingangssteuersatz greift ab einem Jahreseinkommen von 9.168 Euro. Der Spitzensteuersatz beginnt ab einem (zu versteuernden) Jahreseinkommen von 55.691 Euro. ²Durchschnittssteuersätze = effektive Steuerbelastung 0 9.000 10.000 15.000 20.000 25.000 30.000 35.000 40.000 45.000 50.000 53.000 55.000 60.000 65.000 zu versteuerndes Jahreseinkommmen in Euro Grenz- und Durchschnittssteuersätze 2019 (Quelle: IAQ (2019): Grenz- und Durchschnittssteuersätze 2019. Abrufbar unter: http://www.sozialpolitik-aktuell.de/tl_ files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Finanzierung/Datensammlung/PDF-Dateien/abbIII21a.pdf) verringert sich die Kaufkraft des Geldes stetig. Die Teuerung 4. Beständiger Inflationsausgleich bei führt dazu, dass ein Euro immer weniger wert wird. Aus die- sem Grund spricht man bei einer Inflation auch von einer exis- Freigrenzen, Freibeträgen und Pau- tenten Geldentwertung. schalen Für die Einschätzung des Preisauftriebs ist die Geschwindig- Freigrenzen, Freibeträge, Pausch- und Höchstbeträge wurden keit der Geldentwertung – man spricht auch von der Umlauf- in den vergangenen 20 Jahren zum Großteil auf dem ursprüng- geschwindigkeit des Geldes – von Bedeutung. Bei einer ange- lichen Niveau belassen. Eine Anpassung an die reale Preisstei- nommenen durchschnittlich schleichenden Inflation von nur gerung hat nicht stattgefunden. 3% p.a. spiegelt sich das in einem realen Kaufkraftverlust nach X Jahren wie folgt wider: Die Bürger spüren die Inflation, denn Waren und Dienstleistun- gen werden stetig teurer. Die reale Preissteigerung spiegelt 5 Jahren: 14,1% sich auf nahezu allen Ebenen wider. Das für die Bürger ver- 10 Jahren: 26,3% fügbare Einkommen büßt beständig an Kaufkraft ein. Der Be- 15 Jahren: 36,7% griff Inflation entstammt dem Lateinischen „inflare“ und be- 20 Jahren: 45,6% deutet so viel wie aufblähen. Steigt das Preisniveau anhaltend, © BVMW 2020. Alle Rechte vorbehalten. Transparenzregisternummer: 082217218282-59
Konkret bedeutet das, dass eine heutige Rate von 1000 Euro Millionen Jahr3 mit einer Inflationsrate von 3% nach 20 Jahren noch 553 Euro Personen einbringt. Bei steigendem Preisniveau und stabilen Freigren- 0,5 1995 zen kommen diese einer immer kleiner werdenden Personen- gruppe zugutekommen. 0,7 1998 1,3 2001 Vorschlag des BVMW: Bei allen bisher noch nicht angepass- 1,6 2004 ten Beträgen fordern wir eine einmalige Nachholung der längst 2,2 2007 überfälligen Anpassungen. Zukünftig einen beständigen Infla- tionsausgleich durch jährliche Anpassung aller Freigrenzen, 2,1 2010 Freibeträge, Pausch- und Höchstbeträge wie folgt: § 3 ff EStG, 3 2013 § 8 ff EStG, § 9 ff EStG, § 10 ff EStG, § 19 ff EStG, § 24 ff EStG, 3,7 2017 § 37 ff EStG, § 40 ff EStG, §41 ff EStG, § 100 ff EStG 5 2021* 3,9 2021** 5. Keine Spitzensteuer auf mittlere 2,1 2021*** Einkommen erheben *Einkommensgrenze für Spitzensteuersatz: 54.950 Euro (Tarif 2018) **Einkommensgrenze von 60.000 Euro. ***Einkommensgrenze von 80.000 Euro (DSi-Vorschlag). Vier von fünf mittelständischen Unternehmen sind Personen- Daten 1995-2017: BMF (2001), (2013), (2017a) und (2017b), Statistisches unternehmen, deren Gewinne auf Ebene der Gesellschafter Bundesamt (2005), (2006) und (2017b). der Einkommensteuer unterliegen. Das hohe Steuerniveau in Daten 2021: Eigene Schätzung anhand der fortgeschriebenen Lohn- und Ein- Deutschland – insbesondere im Bereich mittlerer Einkommen kommensteuerstatistik 2013 – führt dazu, dass Unternehmerinnen und Unternehmer ihren Gesellschaften weniger Kapital zur Verfügung stellen können, welches für Rücklagen, Innovationen und Investitionen drin- 6. Unternehmensnachfolge sichern gend benötigt wird. Das Erbschaftsteuerrecht ist ein Problemkind. Seit über zehn Zugleich zahlen immer mehr Fachkräfte den Spitzensteuersatz Jahren versucht der Gesetzgeber ein Regelwerk zu schaffen, von 42 Prozent. Rund zehn Prozent der Deutschen und damit dem nicht sogleich wieder die Verfassungswidrigkeit attes- 4,2 Millionen Personen sind für fast die Hälfte des Einkom- tiert wird. Bisher ohne durchgreifenden Erfolg. Im Rahmen der mensteueraufkommens verantwortlich. Vor 60 Jahren wurde jüngsten Reform des ErbStG wurden zahlreiche Detailfragen der Spitzensteuersatz nur bezahlt, wenn das Einkommen 20 der Betriebsverschonungsregelungen reformiert und dabei ein Mal so hoch wie der Durchschnitt war. Heutzutage reicht be- bisher noch nie dagewesenes Niveau an Komplexität erreicht. reits das 1,3 fache des Durchschnittseinkommens, um unter Die Erbschaftsteuererklärung für Betriebsvermögen kann nur die Spitzensteuerregelung zu fallen. noch von Spezialkanzleien erstellt werden – mit der Folge ent- sprechend deutlich höherer Gebühren für die Betriebsinhaber. Vorschlag des BVMW: Durchschnittsverdiener sollten mit Es ist absehbar, dass gerade der Mittelstand durch diese Än- einem durchschnittlichen Steuersatz belastet werden. Der derungen in mehrfacher Weise belastet wird. Damit werden die BVMW fordert deshalb, dass die Einkommensgrenze für den Wettbewerbsnachteile von Familienunternehmen mit gegen- Spitzensteuersatz deutlich erhöht wird. Darüber hinaus muss über Nicht-Familienunternehmen ohne Erbschaftsteuerbelas- der gesamte Tarifverlauf abgeflacht werden, mit dem Ziel ei- tung nicht nur zementiert, sondern sogar noch verschärft. Zum nes linear progressiven Steuertarifs. Der sogenannte „Mittel- einen ist eine Erhöhung der zu zahlenden Erbschaftsteuer zu standsbauch“ ist sukzessive zurückzuführen und im Ziel in erwarten und zum anderen ist es vorhersehbar, dass vielen mit- Gänze abzuschaffen. telständischen Unternehmen die Kapazitäten fehlen, langfris- tige Planungen zu entwickeln und für vergleichsweise geringe Verschonungsvorteile wie den Verschonungsabschlag, die zu erfüllenden Anforderungen über Zeiträume von mehr als zwan- zig Jahren nachzuhalten. Damit bleibt die Erbschaftsteuer ein 3 DSi (2018): Reformbedürftige Unternehmensbesteuerung. Bausteine für einen wettbewerbsfähigen Standort Deutschland. S.12. © BVMW 2020. Alle Rechte vorbehalten. Transparenzregisternummer: 082217218282-59
Damoklesschwert für die Betriebe. Planungs- und Rechtssi- durch aufwendige Bewertungsgutachten nachgewiesen wer- cherheit sind nach wie vor nicht gegeben. den muss. Gleiches gilt für das unveränderte Fortbestehen- lassen der hohen Steuersätze. Das Zusammenwirken beider Angesichts des äußerst beschränkten Anteils der Erbschaftsteu- Faktoren wird zu einer deutlichen Mehrbelastung der abzu- er am steuerlichen Gesamtaufkommen, lediglich 0,8 Prozent führenden Erbschaftsteuern führen und kann insbesondere im Jahr 2019,4 erscheint die gesamtwirtschaftliche Bedeutung bei mittelständischen und Familienbetrieben zu fatalen Kon- der Erbschaftsteuer fragwürdig. Ihr Erhebungsaufwand hinge- sequenzen führen. gen ist unverhältnismäßig hoch. Die Erhebung der Erbschaft- und Schenkungsteuer verursacht hohe bürokratische Kosten – Vorschlag des BVMW: Die Erbschaftsteuer sollte vollständig der Verwaltungsaufwand der Erbschaftsteuer ist im Vergleich abgeschafft werden. Betriebsvermögen, das der Sicherung zu allen anderen Steuerarten am höchsten.5 Bei etwa 30.000 und dem Erhalt von Arbeitsplätzen dient, darf in Folge der Familienunternehmen steht pro Jahr der Generationenwechsel Übergabe im Erb- oder Schenkungsfall grundsätzlich nicht be- an, davon sind auch jährlich 490.000 Beschäftigte betroffen.6 steuert werden. Hilfsweise müssen Freigrenzen für kleine Un- Mit der Reform von 2016 wurden die Möglichkeiten zur Ge- ternehmern und Handwerksbetriebe geschaffen, die derzeit staltung einer gerechten und wirtschaftlich tragbaren Erb- hohen Steuersätze auf ein vernünftiges Maß gesenkt und die schaftsteuer verpasst. Neben der Einführung der komplexen gesetzlich vorgesehenen Bewertungsverfahren für unterneh- Steuerverschonungsregeln wurde es versäumt, die typisierten merisches Vermögen in einer Weise angepasst werden, die re- Bewertungsverfahren für Unternehmen so auszurichten, dass alitätsgerechte Bewertungen gewährleisten. eine realitätsgerechte Bewertung erreicht wird und nicht erst Nachfolger ge- Nachfolger ge- Nachfolgersuche/ Informationsbe- Noch gar nicht funden/Ver- funden/Verhand- konkrete Planung schaffung/grobe handlungen lungen laufen Planung abgeschlossen Alle Nachfolgen 2017 13 14 10 16 48 Alle Nachfolgen 2018 13 15 13 15 44 Alle Nachfolgen 2019 12 12 9 18 48 Stand der Verteilungen nach geplanter Variante der Nachfolge (in Prozent) Solidarpakts II rund 156 Milliarden Euro erhalten.7 Das Auf- 7. Solidaritätszuschlag kommen aus dem Solidaritätszuschlag belief sich im gleichen Zeitraum auf 214,3 Milliarden Euro.8 streichen Mit dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags Seit 1995 wird der Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabga- verpasst der Gesetzgeber die Chance den Solidaritätszuschlag be zur Einkommen- und Körperschaftsteuer in Deutschland er- vollständig abzuschaffen. Die ab 2021 geltende Rückführung hoben. Er wurde ohne zeitliche Befristung in das Gesetz auf- wird für gehobene Einkommen aufgrund der zu niedrig gewähl- genommen und dient dem erklärten Ziel, die Vollendung der ten Freigrenzen keine Wirkung entfalten, sodass insbesondere Einheit Deutschlands zu finanzieren. Dass der Solidaritäts- die Inhaber mittelgroßer Unternehmen von der Steuerentlas- zuschlag für den Aufbau Ost nicht mehr benötigt wird, tritt tung nichts merken werden. Ferner sind Kapitalgesellschaf- immer mehr in die öffentliche Wahrnehmung. Im Zeitraum ten von der Entlastung ausgeschlossen und mithin Verlierer 2005 bis 2019 haben die neuen Bundesländer im Rahmen des der Reform. 4 Statistisches Bundesamt (2020): Kassenmäßige Steuereinnahmen des Bundes, der Länder und der Gemeinden nach Steuerarten vor der Steuerverteilung. 5 Bundesministerium der Finanzen (2003): Monatsbericht Juli 2003. S. 84. 6 Institut für Mittelstandsforschung Bonn (2020): Unternehmensnachfolgen in Deutschland 2018 bis 2022. 7 Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag (2018): Leistungen des Bundes an die ostdeutschen Länder. S.7. 8 Statista (2019): Steuereinnahmen durch den Solidaritätszuschlag in Deutschland von 2003 bis 2019. Abrufbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/ studie/30376/umfrage/steuereinnahmen-des-bundes-durch-den-solidaritaetszuschlag/. © BVMW 2020. Alle Rechte vorbehalten. Transparenzregisternummer: 082217218282-59
Unter 61.717 Euro Freigrenze unter 339 67.717 bis 96.409 Euro Milderungszone (schrittwei- se Heranführung an den vol- 339-374 len Satz von 5,5 Prozent) 375-414 Ab 96.410 Euro Keine Entlastung 415 und mehr Zahlungen des Solidaritätszuschlags nach zu versteuerndem Jahreseinkommen Vorschlag des BVMW: Der Solidaritätszuschlag hat nach über Quelle: Statistisches 23 Erhebungsjahren seine Legitimation verloren. Der BVMW Bundesamt (2019): Finanzen und Steuern. fordert die ersatzlose Abschaffung für alle Steuerpflich- Realsteuervergleich – tigen ohne Übergangszeitraum jedenfalls aber eine deut- Realsteuern, kommunale liche Anhebung der Freigrenzen und eine Erweiterung auf Einkommen- und Umsatz Kapitalgesellschaften. steuerbeteiligung. S.5. 8. Vollständige Anrechnung der Gewerbe- Durchschnittliche Hebesätze der Gewerbesteuer10 steuer auf die Einkommensteuer mög- Bundesland Durchschnittlicher Gewer- lich machen besteuerhebesatz 201811 Die Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer Brandenburg 319 von Personenunternehmen wurde im Zuge der Unternehmens- Berlin 410 steuerreform 2008 bei einem damals durchschnittlichen Ge- Baden-Württemberg 367 werbesteuerhebesatz der Kommunen in Höhe von 380 Prozent mit einem Anrechnungsfaktor von 3,8 eingeführt. Mittlerwei- Bayern 375 le liegt der durchschnittliche Gewerbesteuerhebesatz bei 436 Bremen 469 Prozent.9 Um das Ziel der vollständigen Nivellierung der Gewer- Hessen 413 besteuer für Personenunternehmen noch zu erreichen, müsste der Anrechnungsfaktor demnach auf heute 4,3 angehoben wer- Hamburg 470 den. Das Konjunkturpaket der Bundesregierung zur Bekämp- Mecklenburg-Vorpommern 380 fung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie geht Niedersachsen 407 mit der vorgeschlagenen Anhebung des Anrechnungsfaktors von 3,8 auf 4,0 bereits in die richtige Richtung, greift aber Nordrhein-Westfalen 451 noch zu kurz. Einzelunternehmen oder Personengesellschaft Rheinland-Pfalz 378 werden lediglich dann vollständig von der Gewerbesteuer ent- Schleswig-Holstein 380 lastet, wenn der Gewerbesteuerhebesatz 380 Prozent oder weniger beträgt. In allen anderen Fällen kommt es zu einer Saarland 445 Doppelbelastung mit Einkommen- und Gewerbesteuer. Im Er- Sachsen 422 gebnis kann die Ertragssteuerbelastung trotz Anrechnung der Sachsen-Anhalt 363 Gewerbesteuer in der Spitze mehr als 50 Prozent betragen. Thüringen 408 Vorschlag des BVMW: Der BVMW fordert eine maßvolle Be- steuerung mittelständischer Unternehmen. Die Gewerbesteu- er sollte vollständig auf die Einkommensteuer anrechenbar sein. Behelfsweise fordert der BVMW, dass die Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer auf mindestens das 4,3-fache des Gewerbesteuermessbetrags erhöht wird. 9 Eigene Berechnungen 10 Statistisches Bundesamt (2019): Finanzen und Steuern. Realsteuervergleich – Realsteuern, kommunale Einkommen- und Umsatzsteuerbeteiligung. S.5 11 Statistisches Bundesamt (2019): Finanzen und Steuern. Realsteuervergleich – Realsteuern, kommunale Einkommen- und Umsatzsteuerbeteiligung. S.39f. © BVMW 2020. Alle Rechte vorbehalten. Transparenzregisternummer: 082217218282-59
9. Mehrwertsteuersatz angleichen Umsatzgrenze lag bis zum Jahr 2019 bei 500.000 Euro. Zum 01.01.2020 wurde die Grenze auf 600.000 Euro angehoben. Um Mit einem Gesamtaufkommen von rund 234,8 Milliarden Euro die Liquidität der KMU zu stärken (was gerade angesichts der in 2019 ist die Umsatzsteuer die aufkommensstärkste Steuer- Corona-Krise von zentraler Bedeutung ist), sollten die Umsatz- art des Bundes. Der aus ordnungs- und sozialpolitischen Grün- grenzen bei der Ist-Versteuerung weiter – auf mindestens 1 den 1968 eingeführte reduzierte Steuersatz von sieben Pro- Million € – angehoben werden. Dies ist im Rahmen der 6. EU- zent erfüllt längst nicht mehr seinen ursprünglichen Zweck, Mehrwertsteuerrichtlinie kurzfristig möglich und wird auch in nämlich die Entlastung sozialschwacher Haushalte, sondern anderen EU-Mitgliedstaaten praktiziert. wird für Interessenpolitik genutzt. Eine Vereinfachung der Um- satzsteuergesetzgebung hätte somit erheblichen Einfluss auf Mittelfristig sollte ein genereller Übergang von der Soll- zur die Bürokratiekosten und würde Wachstumsimpulse setzen. Ist-Versteuerung angestrebt werden. Dazu könnte die deut- sche Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 eine ent- Der 140-Seiten starke Ausnahme-Katalog für die Anwendung sprechende Initiative ergreifen. Es ist nicht akzeptabel, dass des reduzierten Steuersatzes verursacht sowohl bei Unter- mittelständische Unternehmen die Mehrwertsteuer bereits an nehmen als auch bei der öffentlichen Verwaltung erhebliche den Fiskus abführen müssen, wenn Sie die Leistung erbracht Recherche- und Informationskosten. Denn die Regelungen und die Rechnung geschrieben haben, der Auftraggeber aber treiben zum Teil absurde Blüten. So wird auf Tierfutter, wie seinerseits die Rechnung (noch) nicht bezahlt hat und sich Hundekekse, oder Feinschmeckerprodukte, wie Gänseleber, dennoch bereits die Vorsteuer vom Finanzamt erstatten lässt. der reduzierte Steuersatz angewendet, während Babynahrung, Babywindeln oder Mineralwasser mit 19 Prozent besteuert wer- Auch die Kleinunternehmergrenze bei der Umsatzsteuer wurde den. Eine konsequente übergeordnete sozialpolitische Zielset- erstmals seit 2003 zu Anfang diesen Jahres von 17.500 Euro zung ist nicht erkennbar. Bei einem einheitlichen Mehrwert- im vergangenen Kalenderjahr auf 22.000 Euro erhöht. Sofern steuersatz geht es nicht um Entlastung und auch nicht um weniger Einnahmen vorliegen, kann auf die Inrechnungstel- Mehreinnahmen, sondern um Gerechtigkeit und um eine deut- lung der Umsatzsteuer verzichtet werden. Außerdem entfällt liche Vereinfachung des Steuersystems. die Umsatzsteuer-Voranmeldung, was mit einer erheblichen Bürokratieentlastung einhergeht. Vorschlag des BVMW: Der BVMW schlägt eine Kategorisie- rung von Branchen vor, die dem regulären oder dem ermäßig- Vorschlag des BVMW: Sowohl die Grenze des Umsatzes für die ten Mehrwertsteuersatz unterliegen sollen. Ist das Unterneh- Ist-Versteuerung als auch die Kleinunternehmergrenze waren men in mehreren Branchen oder Geschäftstätigkeiten tätig, nicht mehr zeitgemäß. Der BVMW befürwortet die Anhebun- für die Anwendung des Steuersatzes ist die Hauptbranche des gen der Grenzen, um Liquidität zu sichern. Allerdings könnten Unternehmens entscheidend. Kategorien für den ermäßigten mit einer Erhöhung auf 30.000 Euro bei der Kleinunternehmer- Steuersatz könnten hierbei insb. Nahrungsmittelversorgung grenze deutlich mehr Unternehmen von Bürokratie entlastet (inkl. Zubereitung), Kultur und Gemeinwohl/Wohlfahrtspfle- werden. Es könnten zudem deutlich mehr Unternehmen ge- ge sein. Diese Reform wäre annährend aufkommensneutral gründet werden, wenn bürokratische Hemmnisse abgebaut und würde eine erhebliche bürokratische Entlastung für Bür- werden. Es wäre wünschenswert, die starren Grenzen künftig ger, Unternehmen und Staat bewirken. Langfristig fordern wir im jährlichen Zyklus an die Inflationsrate anzupassen. eine Vereinheitlichung der Steuersätze von 19 auf 15 Prozent. 11. Sachspenden entlasten 10. Weitere Anhebung der Grenzen In Deutschland werden jedes Jahr Konsumgüter im Wert von für Kleinunternehmer und Ist- zwei Milliarden Euro vernichtet, weil Produkte falsch etiket- Versteuerung tiert, überproduziert oder aus dem Sortiment genommen wer- den. Anstatt diese Produkte an gemeinnützige Organisatio- Grundsätzlich unterliegen Unternehmen in Deutschland der nen oder Bedürftige zu spenden, werden diese in der Regel Soll-Versteuerung bei der Umsatzsteuervoranmeldung. Hier aus betriebswirtschaftlichen Gründen vernichtet. Aufgrund zahlen die Unternehmen die fällige Umsatzsteuer direkt nach- der aktuellen Gesetzeslage unterliegen Sachspenden an ge- dem sie die Rechnungsstellung an den Kunden vorgenommen meinnützige Organisationen denselben umsatzsteuerlichen haben. Im Gegensatz dazu wird bei der Ist-Versteuerung die Grundsätzen wie der Verkauf der Waren und somit dem ak- Umsatzsteuer erst an das Finanzamt abgeführt, sobald sie tuell gültigen Umsatzsteuersatz. Dies hat zur Folge, dass die vom Kunden bezahlt worden ist. Dies sichert einen erhebli- Vernichtung neuwertiger Waren hierzulande für das Unter- chen Liquiditätsvorteil, der für Gründerinnen und Gründer so- nehmen meist kostengünstiger ist, als deren umsatzsteuer- wie kleine Unternehmen entscheidend sein kann. Die jährliche pflichtige Spende. Würde die Sachspende an gemeinnützige © BVMW 2020. Alle Rechte vorbehalten. Transparenzregisternummer: 082217218282-59
Organisationen nicht der Umsatzsteuer unterworfen, könnte der gesamtvolkwirtschaftliche Schaden durch die Vernichtung Vorschlag des BVMW: Neben der klassischen Finanzierung in dieser Waren reduziert und im gleichen Zuge die Spendenbe- Form von Krediten muss die Finanzierung von jungen Unterneh- reitschaft erhöht werden. Eine Steuerbefreiung würde hierbei men und innovativen Mittelständlern durch Alternativen wie zu kurz greifen, da aufgrund der Gesetzessystematik die Steu- das Wagniskapitalgesetz erleichtert werden. Gewinne aus Ver- erbefreiung mit der Versagung des Vorsteuerabzugs einher- äußerungen von Anteilen an innovativen Mittelständlern müs- ginge und insoweit unverändert eine Mehrbelastung des Un- sen für Eigenkapitalgeber (beispielsweise Business Angels) ternehmers darstellen würde. steuerfrei bleiben, wenn sie in vergleichbare Unternehmen rein- vestiert werden. Der BVMW fordert zusätzlich eine bessere Vorschlag des BVMW: Sachspenden an gemeinnützige Or- Koordination der Mittelstandsförderung unter den Bundeslän- ganisationen durch Unternehmen sollten gesetzlich als nicht dern sowie ein einheitliches bundesweites Fördernetzwerk. steuerbare Leistung definiert werden. Diese Maßnahme würde die bisherige „Doppelbelastung“ der durch Sachspenden sozi- Venture-Capital-Investitionen in europäische Unternehmen al engagierten Unternehmen beseitigen und die Spendenbe- haben sich seit 2012 fast vervierfacht - doch die USA und reitschaft stärken sowie der Schizophrenie einer günstigeren Asien sind Europa weit voraus Vernichtung entgegenwirken. 80 Venture-Capital-Investitionen 12. Spektrum der Finanzierungsformen 70 nach Standort des Portfolio- Unternehmens (Mrd Euro) erweitern 60 Europa +278% Asien +1.452% Für die Finanzierung von Startups und innovativen Mittelständ- USA +151% lern sind Finanzierungsformen neben dem klassischen Bank- 50 kredit von großer Bedeutung. Während in den USA oder Groß- britannien alternative Finanzierungsformen längst etabliert 40 sind, bleiben Finanzierungsformen, wie Venture Capital (VC), Private Equity, Crowdfunding und Business Angels in Deutsch- 30 land hinter den Möglichkeiten zurück. Im Jahr 2019 wurde in Deutschland von Venture Capital-Gebern ein Beitrag in Höhe von rund 1,7 Mrd. Euro investiert, das entspricht 0,049 Prozent 20 des deutschen Bruttoinlandsprodukts. In anderen innovativen Ländern werden deutlich höhere Werte erzielt – so liegt der An- 10 teil von Venture Capital am Bruttoinlandsprodukt in den USA bei 0,371 Prozent und damit 12,4-mal so hoch wie in Deutsch- 0 land. Die Rahmenbedingungen für innovative Finanzierungsal- 2012 2013 2014 2015 2016 2017 ternativen müssen verbessert werden, um wichtige Impulse für Venture-Capital-Investitionen in europäische Unternehmen (Quelle: Roland Innovationen und Wachstum zu setzen sowie Arbeitsplätze zu Berger (2018): Treibstoff Venture Captial. Wie wir Innovationen und Wachs- tum befeuern. S.24) schaffen. Der Eigenkapitaleinsatz für innovative Mittelständler muss sich mehr lohnen. Neben der Anfangsfinanzierung berei- tet vor allem die Anschlussfinanzierung jungen Unternehmen Jedes fünfte kleine Unternehmen (bis eine Millionen Euro immense Probleme. Große Wachstumschancen bleiben derzeit Umsatz) hat Schwierigkeiten beim Kreditzugang. ungenutzt. Generell gilt es, die Förderlandschaft für Gründung und Innovation in Deutschland einfacher und einheitlicher zu gestalten, um die jungen, innovativen Unternehmen nicht mit 13. Abgeltungsteuer beibehalten zusätzlicher Bürokratie bei Anträgen zu belasten. Das System der Abgeltungsteuer wurde seit seiner Einführung 2009 durch den Gesetzgeber, die Finanzverwaltung und die Finanzgerichte kontinuierlich weiterentwickelt. Es lässt sich konstatieren, dass sich die Bemühungen gelohnt haben. Die Abgeltungsteuer trägt zu einer einfachen, sicheren und ge- rechten Erhebung von Steueraufkommen bei. © BVMW 2020. Alle Rechte vorbehalten. Transparenzregisternummer: 082217218282-59
Eben diese Vorteile würden durch die Abschaffung der Ab- Vorschlag des BVMW: Der BVMW fordert eine Abschaffung der geltungsteuer zunichtegemacht. Eine Verkomplizierung und gesonderten Versicherungssteuer und die Streichung der ent- Bürokratisierung bei der Besteuerung von Kapitaleinkünften sprechenden Steuerbefreiung in § 4 Nr. 10 UStG. Auf diese Wei- wäre die Folge und zwar sowohl für den Steuerpflichtigen als se würden KMU aufgrund des künftigen Vorsteuerabzugs um auch für die Finanzverwaltung. Darüber hinaus belegen Stu- die bisherige Verkehrsteuer entlastet und die Besteuerung bei dien, dass die Abschaffung der Abgeltungsteuer und mithin den Privathaushalten unverändert sichergestellt. Da die Versi- die Rückkehr zur persönlichen Besteuerung zu Steuerausfäl- cherungsunternehmen bislang der Steuerentrichtungsschuld- len führt und höhere Einkommen kaum belastet. Hinzu kommt, ner waren, sind die grundsätzlichen Voraussetzungen für die dass der sogenannte automatische Informationsaustausch zur Steuererhebung bereits geschaffen und bedürfen insoweit nur Besteuerung von Kapitalerträgen zwischen den Finanzverwal- einer Anpassung auf das Umsatzsteuererhebungsverfahren. tungen der Länder nach wie vor nicht funktioniert. Vor diesem Hintergrund erscheint die Diskussion über die Abschaffung der Abgeltungsteuer kontraproduktiv. 15. Zinssatz für Steuernachforderungen Vorschlag des BVMW: Die Abgeltungssteuer hat sich in und Abzinsung von Pensionsrückstel- der Praxis bewährt und profiliert. Der BVMW fordert deren lungen senken Beibehaltung. Die seit Jahren anhaltende Niedrigzinsphase hat erheblichen Einfluss auf Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen 14. Versicherungssteuer reduzieren mittelständischer Unternehmen. Trotz der aktuellen Entwick- lung lässt sich der Gesetzgeber seit 1961 Steuernachforderun- Die Versicherungssteuer ist ihrer Art nach eine Verkehrsteuer, gen mit einem Zinssatz von sechs Prozent verzinsen. Auch für deren Rechtsgrundlage für die Erhebung sich aus dem Versi- die Abzinsung von Pensionsrückstellungen ist laut den Steu- cherungssteuergesetz (VersStG) ergibt. Hiernach werden Prä- ergesetzen ein Zinssatz von sechs Prozent per anno anzu- mien- oder Beitragszahlungen aus Versicherungsverträgen be- wenden. Für die Höhe der Rückstellung sowie die zukünftigen steuert. Der aktuelle Regelsteuersatz liegt seit 2007 bei 19 Zuführungen ist der Rechnungszinsfuß von herausragender Prozent. Das jährliche Aufkommen der Versicherungssteuer Bedeutung. Je höher der Zinsfuß, desto niedriger die steuer- betrug im Jahr 2019 rund 14,1 Milliarden Euro und macht da- rechtlich zulässige Pensionsrückstellung. Hier gilt gleicherma- mit nur etwa 1,8 Prozent der deutschen Gesamtsteuereinnah- ßen, dass sich der gesetzliche Zinssatz von der realen Zinsent- men aus. Im direkten Vergleich liegt das Versicherungssteu- wicklung weit entfernt. Unternehmer müssen tatsächlich einen eraufkommen sowohl hinter dem Grundsteuer-B-Aufkommen, weitaus höheren Teil von ihrem Gewinn für zukünftige Pensi- als auch hinter dem Aufkommen aus der Tabaksteuer. onsleistungen zur Seite legen, als steuerlich anerkannt wird. Gemäß einem Beschluss des Bundesfinanzhofs aus 2010 sieht Vorschlag des BVMW: Vor dem Hintergrund der andauern- dieser die Versicherungssteuer nicht als Vorsteuer. den Niedrigzinsphase ist der gesetzlich festgelegte Zinssatz für Steuernachforderungen und die Abzinsung von Pensions- Der BFH vertritt die Auffassung, dass die Versicherungssteuer rückstellungen an das aktuelle Zinsniveau anzugleichen. Der keineswegs als „klassische“ Mehrwertsteuer betrachtet und BVMW fordert die Verwendung des durchschnittlichen Markt- somit auch nicht als gesetzlich geschuldete Steuer bewertet zinssatzes der letzten zehn Jahre. werden darf. Die Versicherungssteuer gilt nach seiner Auffas- sung nicht als eine allgemeine Steuer, die im Rahmen bestimm- ter wirtschaftlicher Vorgänge erhoben wird. Diese Beurteilung 16. Verlustvorträge nutzbar m achen einer strikten Trennung von Umsatzsteuer und Versicherungs- steuer muss aufgrund der zuletzt mit dem Haushaltsbegleit- Die Besteuerung hat sich an der Leistungsfähigkeit des Steu- gesetz 2006 erfolgten Kopplung der Regelsatzanpassung von erpflichtigen zu orientieren. Diesem Grundsatz trägt der Ge- 16 Prozent auf 19 Prozent jedoch in Frage gestellt werden. setzgeber nur eingeschränkt Rechnung, wenn es um die Be- rücksichtigung von Verlusten geht. Neben der eingeschränkten Aufgrund dieser angenommenen Trennung kommt es insbe- Verlustverrechnung der Höhe und der zeitlichen Beschrän- sondere bei KMU zu erheblichen Mehrbelastungen im Rahmen kung können Verluste in Folge eines Gesellschafterwechsels der nötigen versicherungstechnischen Grundabsicherung, die gänzlich untergehen. Auch im Schenk- oder Erbfall ist eine den wirtschaftlichen Grundsätzen der Endbesteuerung einer Verlustübertragung auf den Rechtsnachfolger nicht vorge- Verkehrsteuer diametral entgegenstehen. sehen. Im Ergebnis kommt es zu einer Ungleichbehandlung © BVMW 2020. Alle Rechte vorbehalten. Transparenzregisternummer: 082217218282-59
von Gewinnen und Verlusten im Steuerrecht. Wer die Ver- 17. Rechtssicherheit im Leistungsverkehr lustberücksichtigung einseitig behindert, erschwert die Bildung von Eigenkapital und bestraft unternehmerische schaffen Fehlentscheidungen. Die etablierte Praxis der Insolvenzverwalter sowie die in An- Vorschlag des BVMW: Die Verlustberücksichtigung sollte wendung der aktuellen Rechtslage etablierte Rechtsprechung unternehmensfreundlich reformiert werden. Verluste müs- zum Anfechtungsrecht belasten den deutschen Mittelstand sen vererbbar sein und die betragsmäßige Beschränkung des zum Teil in existenzbedrohender Weise. Es besteht keine Si- Verlustrücktrags sowie die Mindestbesteuerung gehören ab- cherheit im gewöhnlichen Geschäftsverkehr, ob die vom Ge- geschafft. Ferner sollte der Verlustrücktrag auf mindestens schäftspartner erhaltene Vergütung für erbrachte Leistungen zwei Jahre ausgeweitet und der Verlustuntergang beim Ge- später nicht eventuell aufgrund finanzieller Schieflage des Kun- sellschafterwechsel auf missbräuchliche Gestaltungen be- den durch den Insolvenzverwalter zurückgefordert werden. schränkt werden. Vorschlag des BVMW: Der BVMW fordert, das Anfechtungs- recht zu Gunsten der Planungs- und Rechtssicherheit zu ent- schärfen. Transaktionen des gewöhnlichen operativen Ge- schäftsverkehrs sollten gänzlich ausgenommen oder durch Freigrenzen abgesichert werden. Kontakt Der BVMW vertritt im Rahmen der Mittelstandsallianz Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) e. V. über 900.000 Mitglieder. Die mehr als 300 Repräsentanten Bereich Politik und Volkswirtschaft des Verbandes haben jährlich rund 800.000 direkte Unter- Potsdamer Straße 7, 10785 Berlin nehmerkontakte. Der BVMW organisiert mehr als 2.000 Ver- Telefon: + 49 30 533206-0 anstaltungen pro Jahr. Telefax: +49 30 533206-50 E-Mail: politik@bvmw.de; Social Media: @BVMWeV © BVMW 2020. Alle Rechte vorbehalten. Transparenzregisternummer: 082217218282-59
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