Wissen & Forschen - Schwer pun ktddo os lkdj lfk - Innovative Projekte im UKE

Die Seite wird erstellt Niklas-Daniel Wimmer
 
WEITER LESEN
Wissen & Forschen - Schwer pun ktddo os lkdj lfk - Innovative Projekte im UKE
Wissen & Forschen
Innovative Projekte im UKE

   Schwer pun ktddo os lkdj lfk
Wissen & Forschen - Schwer pun ktddo os lkdj lfk - Innovative Projekte im UKE
Nachgefragt
    Professor Debatin und Professor Koch-Gromus
    über Erfolge, Projekte und Perspektiven

    Das Jahr 2010 verlief sehr erfolgreich für die Forschung im UKE.
    Was waren die Höhepunkte?
    Professor Koch-Gromus: Wir sind sehr stolz darauf, dass wir eine Reihe von
    großen Verbundprojekten auf nationaler und europäischer Ebene einwerben
    konnten. Herausragend war sicher der neue Sonderforschungsbereich, bei
    dem unsere Wissenschaftler entschlüsseln wollen, wie die Leber durch die
    Auseinandersetzung zwischen Krankheitserreger und Immunsystem geschä-
    digt wird.Auch unsere wissenschaftlichen Netzwerke haben sich sehr gut ent-
    wickelt – etwa die Neurowissenschaften und die Kardiologie.

    Professor Debatin: Der Sonderforschungsbereich war in der Tat ein Riesen-
    sprung für uns. Wir ernten jetzt langsam aber sicher das, was wir mit der
    Eröffnung unseres Campus Forschung gesät haben. Der enge Austausch von
    Forschern unter einem Dach, über die Fachdisziplinen hinweg, bringt das
    UKE enorm nach vorn. Wir finden so viel Akzeptanz wie nie zuvor, sei es bei
    den Gremien der Europäischen Union, bei der Deutschen Forschungsgemein-
    schaft oder beim Bundesforschungsministerium.

2     Wissen und Forschen
Wissen & Forschen - Schwer pun ktddo os lkdj lfk - Innovative Projekte im UKE
Schlägt sich das auch in den Fördersummen nieder?
                                           Professor Koch-Gromus: Ja, sehr deutlich sogar. Die eingeworbenen Dritt-
                                           mittel haben in den vergangenen drei Jahren um über 50 Prozent zugenommen.
                                                      Das ist erheblich.

                                                      Im Sommer war hoher Besuch im UKE, der diese positive
                                                      Entwicklung sehr wohl registriert hat …
                                                      Professor Debatin: Der Besuch der Delegation des Wissenschafts-
                                                      rats war für mich eines der spannendsten Ereignisse dieses Jahres.
                                                      Die Delegationsmitglieder haben sich ein genaues Bild von der
                                                      Leistungsfähigkeit unserer Hochschulmedizin gemacht. Und ihr
                                                      spontanes Zwischenfazit war sehr erfreulich für uns: substanzielle
„Ich möchte dazu beitragen,                Fortschritte gegenüber der letzten Begutachtung 1997, sehr hohes Potenzial in
dass wir in der Forschung                  der Forschung.
international sichtbar werden“
                                           Welche bedeutenden Forschungsvorhaben stehen für das kommende
Professor Dr. Dr. Uwe Koch-Gromus,
Dekan der Medizinischen Fakultät des UKE   Jahr an?
                                           Professor Debatin: Wir werden den eingeschlagenen Kurs sehr konsequent
                                           fortsetzen. Und uns noch stärker auf unsere wissenschaftlichen Schwerpunkte
                                           konzentrieren. Dort, wo Exzellenz und ein hoher Grad der Vernetzung in
                                           besonderem Maß aufeinandertreffen, werden wir noch intensiver als bisher
                                           fördern. Zum Beispiel durch gezielte Berufungen von Professorinnen und
                                                        Professoren.

                                                       Professor Koch-Gromus: Für das kommende Jahr haben wir
                                                       außerdem zahlreiche Groß­projekte auf den Weg gebracht. Stark
                                                       beteiligt haben wir uns beispielsweise am Standortwettbewerb zu
                                                       den Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung. Da sind wir
                                                       mit Anträgen in den Bereichen Infektion, Herz-Kreislauf und
                                                       translationale Krebsforschung im Rennen. Auch bei der Bundes-
                                                       exzellenzinitiative hoffen wir auf Erfolge. Aktuell in Vorberei-
„Wir möchten noch stärker                  tung ist die Begutachtung eines zweiten Sonderforschungsbereichs, die im
als bisher kreative Wissen-                kommenden März ansteht.
schaftler längerfristig an uns
                                           Was treibt Sie beide an, die Leistungsfähigkeit der Wissenschaft
binden“                                    ständig zu verbessern?
Professor Dr. Jörg F. Debatin,
                                           Professor Koch-Gromus: Ich liebe Hamburg und das UKE. Daher möchte ich
Ärztlicher Direktor und
Vorstandsvorsitzender des UKE              mit den Kolleginnen und Kollegen dazu beitragen, dass wir in der Forschung
                                           zu den leistungsstärksten Universitätskliniken Deutschlands gehören – und
                                           international sichtbar werden.

                                           Professor Debatin: Wenn wir international sichtbarer sind, können wir auch
                                           noch stärker als bisher kreative Wissenschaftler an uns binden. Ich möchte dafür
                                           die optimalen Rahmenbedingungen schaffen. Forscher, die innovative Fragen
                                           stellen und Bahnbrechendes entwickeln, sollen nicht ihr Glück in anderen
                                           Ländern suchen, sondern sich längerfristig hier bei uns im UKE wohlfühlen.

                                                                                                   Wissen und Forschen    3
Wissen & Forschen - Schwer pun ktddo os lkdj lfk - Innovative Projekte im UKE
Inhalt                                      06

    2     Nachgefragt
          Professor Debatin und Professor
          Koch-Gromus im Interview
    6     Hat Krebs ein Gesicht?
          Krebsforscher denken um und
          suchen neue Wege jenseits der
          klassischen Chemotherapie
    10    Entschlüsselungstaktik in XXL
          Eppendorfer Mediziner wirken mit                18
          beim weltweit größten Forschungs­
          projekt zur Klärung der molekularen
          Ursachen von Krebs
    14    Schlafenden Tumorzellen
          auf der Spur
          Der Träger des Deutschen Krebs­preises
          2010 entwickelt einen Test zum
          Ausschluss von Fehlbehandlungen
    18    Zwischen Hoffnung
          und Verzweiflung
          UKE-Forscher suchen nach maßge-            46
          schneiderten Lösungen im Kampf
          gegen Lebermetastasen
    22    Lamas als Helfer
          der Wissenschaft
          Universitätsmediziner entdecken
          tierische Antikörper als Hoffnungsträger

                                           26             34

4   Wissen und Forschen
Wissen & Forschen - Schwer pun ktddo os lkdj lfk - Innovative Projekte im UKE
14

               26 Sauer macht stabil
                      Forscherteam am UKE findet
                      Auslöser für Osteoporose dort,
                      wo sie keiner vermutet
               30 Gewichtige Hoffnungen
                      Interdisziplinäres Verbundprojekt
                      zum weißen und braunen Fettgewebe
                      rückt Übergewicht auf den Leib
          10   34     Von Menschen und Mäusen
                      Ein Teilprojekt des Sonder­for-
                      schungsbereichs ist Hepatitisviren
                      auf der Spur
               38     Von den Toten lernen
                      Mit virtuellen Obduktionen
                      gewinnen Hamburger Mediziner
                      entscheidende Einblicke
               42 Aus dem Takt
                      Wissenschaftler finden vielverspre-
                      chende Ansätze für die Behandlung
                      von Herzrhythmusstörungen
34
               46 Rettung im Mutterleib
                      Forscher entwickeln ein
                      weltweit einmaliges OP-Verfahren
               50 Gedanken in
                      der Einbahnstraße
                      UKE-Mediziner entdecken einen
                      Ausweg aus dem Teufelskreis der
                      Schizophrenie
               54     Spenden für das UKE

               55     Impressum

               Das Titelbild zeigt ein fünf Mikrometer dickes
               Knochenpräparat, das mit einer Spezial­färbung
               versilbert wurde. Das Knochen­gewebe ist dunkel
               dargestellt

                                              Wissen und Forschen   5
Wissen & Forschen - Schwer pun ktddo os lkdj lfk - Innovative Projekte im UKE
Mit ruhiger Hand: Gewinnung
      von Bausteinen der Erbsubs-
      tanz. Diese werden für die
      Herstellung sogenannter
      Genfähren benötigt ‒ Trans-
      porter, die wie ein Taxi neue
      therapeutische Gene in
      kranke Zellen bringen

      Hat Krebs ein Gesicht?
6   Wissen und Forschen
Wissen & Forschen - Schwer pun ktddo os lkdj lfk - Innovative Projekte im UKE
Tumorzellen gleichen sich nicht wie ein Ei dem anderen, im
Gegenteil: Sie besitzen klar unterscheidbare Oberflächen. Diese
Erkenntnis nutzen UKE-Krebsforscher und entwickeln neuartige
Behandlungsansätze, die international große Beachtung finden.     >>>
Wissen & Forschen - Schwer pun ktddo os lkdj lfk - Innovative Projekte im UKE
G
                                         enauso wie kein Patient dem anderen      Mitteln. „Manches Medikament hilft nur bei
                                         gleicht, so eindeutig lassen sich auch   zehn Prozent der Patienten, die es erhalten.
                                         Tumorzellen voneinander unterschei-      Und auch wenn es bei diesen außerordentlich
                                den. Alle haben ein charakteristisches Ober-      gut anschlägt, bleibt im Umkehrschluss immer
                                flächenmuster aus Eiweißen – und sind des-        noch die Tatsache, dass am Ende 90 Prozent
                                halb so spezifisch wie menschliche Gesich­­ter.   aller Patienten unnötig mit der Substanz be-
                                Dieses Wissen nutzen der UKE-Spitzenfor-          handelt wurden“, sagt Prof. Trepel. Vor diesem
                                scher Prof. Dr. Martin Trepel und seine           Hintergrund vollzog die Krebs­forschung vor
                                Arbeitsgruppe, um Therapien zu konzipieren,       mehr als zehn Jahren eine Wende: Die Zu-
                                die individuell auf den einzelnen Patienten       kunft gehört nicht alleine der traditionellen

                  „Als Mediziner sehe ich fast
          täglich, wie Krebspatienten leiden.
               Das treibt einen ungemein an,
       alles daranzusetzen, eine Therapie zu
                 entwickeln, die die Situation
              dieser Erkrankten entscheidend
                                   verbessert“
                                        Prof. Dr. Martin Trepel,
                    Forschungsleiter für Molekulare Onkologie

                                zugeschnitten sind. „Wir wollen Medikamen-        Chemotherapie, sondern der sogenannten
                                te entwickeln, die zielgerichtet das Krebs-       molekularen Krebstherapie, die sich gezielt
                                wachstum hemmen, ohne dabei den ganzen            gegen die einzigartigen Oberflächenstrukturen
                                Körper zu belasten“, sagt der Krebsexperte.       auf den Krebszellen richtet. „Diese Idee hat die
                                „Dabei sind wir schon ein gutes Stück voran-      Krebsbehandlung grundlegend revolutioniert“,
                                gekommen.“ Bislang größter Erfolg der Wis-        sagt Prof. Trepel, der die Molekulare Onkolo-
                                senschaftler: Mit einer europaweit einzig­        gie am Universitätsklinikum leitet.
                                artigen Kombination von Methoden der                 Vor diesem Hintergrund charakterisieren
                                mole­­­kularen Therapie und der Genetik ent­      die UKE-Forscher seit Jahren detailliert die
                                deckten sie Substanzen, die derzeit in den USA    Beschaffenheit einzelner Tumorzellen aus Pa-
                                an Krebs­patienten klinisch getestet werden.      tienten und im Tiermodell. Auf der Oberflä-
                                   Viele Menschen warten noch immer auf das       che der einzelnen Zellen befinden sich Eiwei-
                                Wundermittel gegen Krebs. Die UKE-Forscher        ße, auch Rezeptoren genannt, von denen,
                                sind sich jedoch darüber einig, genauso wie       vergleichbar mit einer Gipsmaske von einem
                                andere führende Wissenschaftler weltweit, dass    Gesicht, eine Art Abdruck erstellt wird. Die-
                                es kein Allheilmittel geben wird, denn Patien-    ser passt zu den Rezeptoren wie ein Schlüssel
                                ten sprechen oft nur in geringem Maße auf         zu einem Schloss. Die Herstellung des
                                Standardtherapien an. Man braucht, verein-        „Schlüssels“ ist komplex und langwierig: Der
                                facht ausgedrückt, für je­den einzelnen Tumor     passende Botenstoff ist ein spezifisches Peptid,
                                eine auf ihn zugeschnittene Kombination von       also eine kleine Aminosäurenkette. Diese

8   Wissen und Forschen
Wissen & Forschen - Schwer pun ktddo os lkdj lfk - Innovative Projekte im UKE
wird aus einer Sammlung von fast einer Mil-        nun gezielter in erkranktes Gewebe gelenkt
liarde möglicher Schlüssel herausgefiltert, die    werden. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich
in einer „Peptidbank“ erfasst sind. Anschlie-      warten: Die Genfähren fanden über das Blut
ßend analysieren die Forscher, welche Peptide      von selbst den Weg in das Gewebe und luden
sich zum Beispiel spezifisch an Blutkrebs-         dort ihre Fracht ab, um die Tumorzellen zu
oder Lymphdrüsenkrebszellen binden.                vernichten. Entscheidende Erkenntnisse er-
                                                   hoffen sich Prof. Trepel und seine Arbeits-
Mit dem Gen-Taxi in die Zelle                      gruppe auch von einem besseren Verständnis
Der lange Atem der Forscher zahlte sich aus:       von Immunreaktionen bei spezifischen Krebs-
Die Wissenschaftler entwickelten einen Boten-      erkrankungen: Bei lymphatischen Krebsarten,
stoff, der über das Blut seinen Weg in die         zum Beispiel bei Lymphdrüsenkrebs, entste-
Lymphknoten findet und so die Nebenwir-            hen die bösartigen Zellen aus Zellen des
kungen von Impfungen verringert und ihre           Immunsystems. Trotzdem hat die Forschung
Wirksamkeit erhöht. Außerdem trug die Tre-         diese Krankheiten bislang nicht als Erkran-
pel-Arbeitsgruppe entscheidend zum Beweis          kung des Immunsystems wahrgenommen.
bei, dass das Schlüssel-Schloss-Prinzip für        „Es gibt aber Hinweise, dass eine Auseinander­
Peptid-Botenstoffe auch beim Menschen mög-         setzung zwischen den Krebszellen und be-
lich ist. Ein ähnliches Prinzip wandte die         stimmten Antigenen im Körper stattfindet“,
Arbeitsgruppe auch für den gezielten Einsatz       sagt der Krebsforscher. „Dieses Zusammen-
von Genfähren an – Transportmittel, die wie        spiel beeinflusst möglicherweise grundlegend,
ein Taxi neue therapeutische Gene in die           ob die Erkrankung sich aggressiv ausbreitet           Die medizinisch-techni-
kranken Zellen bringen und so die Auslöser         oder nur langsam fortschreitet.“ Mit dem              sche Assistentin Barbara
der Krankheit abtöten. „Dieses Konzept war         Schlüssel-Schloss-Prinzip erhoffen sich die           Lechenne aus der Arbeits-
lange der Hoffnungsträger in der Medizin“,         Forscher, zielgerichtete Therapien für diese          gruppe von Prof. Trepel
erklärt Prof. Trepel. „Es konnte aber bis          bisher oft unheilbaren Leiden zu entwickeln. ■        zählt Merkmale von
zuletzt an Patienten nur vereinzelt eingesetzt                                                           Krebszellen, die durch die
werden, weil die Fähren zu unspezifisch waren                                                            Bindung einer spezifischen
und oft das Zielgewebe nicht erreichten.“ Mit                                                            Substanz an die Zellober-
einem innovativen Ansatz, der international                                                              fläche sichtbar gemacht
für viel Aufsehen sorgte, gelang es den For-                                                             werden.
schern vor wenigen Monaten, die Genfähren
treffsicherer an ihr Ziel zu steuern. Dazu
kombinierten sie ihre Erkenntnisse aus dem
Schlüssel-Schloss-Prinzip mit ihrem Know-
how in der Gentherapie. Mit derselben Me-
thode, mit der sie bislang Peptide auswählten,
gewannen sie nun komplexe Proteine. Diese
sind die Hüllen von Genfähren und können

Faszination Forschung – Motivation für die Gesundheit

Ungewöhnliche Wege zu ge-        im Labor aus­zuprobieren,        immer das Potenzial, das Wis-    unter anderem aus ihren
hen und um mehrere Ecken         ob sie funktionieren“, sagt      sen über die Abläufe einer       Erfahrungen am Krankenbett.
zu denken – das ist kennzeich-   Prof. Trepel. „So betrachtet,    spezifischen Erkrankung zu       „Mein Ziel ist ganz klar, eine
nend für die Arbeitsweise der    gibt es auch keine schlechten    erweitern.“ Ihre Motivation      innovative Idee von der
Grundlagenforscher. „Es hat      Ergebnisse. Ein Ergebnis kann    ziehen die Forscher, die größ-   Grundlagenforschung bis
eine starke Faszination, Hypo-   überraschend sein oder an-       tenteils auch als Ärzte in der   zum Patienten zu tragen“,
thesen aufzu­stellen und dann    ders als erhofft – aber es hat   Krankenversorgung arbeiten,      sagt Prof. Trepel.

                                                                                                              Wissen und Forschen     9
Wissen & Forschen - Schwer pun ktddo os lkdj lfk - Innovative Projekte im UKE
Entschlüsselungstaktik

                                                                              in XXL
                                                                               Rund 25 000
                                                                               Tumorarten in
                                                                               fünf Jahren zu
                                                                               analysieren ‒ das
                                                                               ist das Ziel eines
                                                                               einzigartigen
                                                                               Mammutprojekts,
                                                                               zu dem sich welt-
                                                                               weit Spitzenkräfte
                                                                               aus Medizin und
                                                                               Forschung zusam-
                                                                               mengetan haben.
                                                                               Ganz vorn mit
                                                                               dabei und zustän-
     Dargestellt ist der Chromosomensatz einer Prostatakrebszelle in der
     sogenannten Multicolor-FISH-Technik. Zu erkennen ist die krankhaft
                                                                               dig für Prostata-
     veränderte Erbsubstanz, wie sie typisch für einen bösartigen Tumor ist    krebs: das UKE.

10   Wissen und Forschen
>>>
Wissen und Forschen   11
A
               ls im Jahr 2001 die Entschlüsselung                              dem Großprojekt International Cancer Genome
               des menschlichen Erbguts gelang, war                             Consortium (ICGC) mitmischen. Das ICGC
               dieser Schritt für Ärzte und Wissen-                             ist das weltweit größte Forschungsvorhaben
     schaftler ein Meilenstein. Die Methoden von                                zur Klärung der molekularen Ursachen von
     damals sind heute längst überholt, Zeit- und                               Krebserkrankungen. Die Hamburger Medizi-
     Kostenfaktoren stehen in keinem Verhältnis                                 ner arbeiten gemeinsam mit dem Deutschen
     mehr zu den ersten Gehversuchen der De­                                    Krebsforschungszentrum in Heidelberg und
     chiffrierung, als man sich erst langsam zum                                dem Max-Planck-Institut für molekulare Gene-
     Geheimnis der DNA vortastete. Inzwischen ist                               tik in Berlin an ihrem Projekt mit dem Titel
     die Forschung so weit, dass innerhalb kürzes-                              „The genomes of early onset prostate cancer“.
     ter Zeit die komplette DNA einer einzigen Zel-                             Für die drei deutschen Arbeitsgruppen, welt-
     le entschlüsselt werden kann – ein Fortschritt,                            weit sind es insgesamt 23, stellen das Bundes-
     der vor allem für die Untersuchung von Krebs-                              ministerium für Bildung und Forschung und
     zellen interessant ist.                                                                       die Deutsche Krebshilfe ge-
         Prof. Dr. Guido Sauter,                                                                   meinsam 30 Millionen Euro
     Direktor des Instituts für
                                          „Die schonende Operationsmethode                         zur Verfügung. Ziel des
     Pathologie, gehört auf dem           von Prof. Huland bei Prostata-                           Großprojektes ist es, Verän-
     Gebiet der DNA-Entschlüsse-          Erkrankungen hat der Martini-                            derungen der wichtigsten
     lung weltweit zu den Spitzen-        Klinik weltweites Ansehen verschafft“                    Tumorformen zu analysie-
     reitern. Die Anwendung des                                                                    ren. Insgesamt ist die Ent-
     von ihm und seinem Team              Prof. Dr. Guido Sauter,                                  schlüsselung der Erbinfor-
                                          Direktor des Instituts für Pathologie
     entwickelten Tissue Microar-                                                                  mation von mehr als 25 000
     rays (TMA) machte es mög-                                                                     Tumoren geplant. Die ge-
     lich, bis zu 4 000 Prostatakarzinome verschie-                             wonnenen Daten sollen über eine Datenbank
     denster Stadien auf nur einem Chip zu                                      weltweit zugänglich sein. Um dabei möglichst
     speichern und miteinander zu vergleichen.                                  effektiv und kostensparend vorzugehen, wurden
         Durch die systematische Analyse der Proben                             für die Analyse der verschiedenen Tumor­
     lassen sich ganz gezielt Zusammenhänge zwi-                                erkrankungen die Spitzenkräfte der jeweiligen
     schen Oberflächenstrukturen des Tumorge­                                   Fachgebiete für die ICGC gewonnen.
     webes und den Erbinformationen der verschie-
     denen Tumorzellen herstellen. Diese wiederum                               Ohne Impotenz und Inkontinenz
     erlauben Rückschlüsse auf mögliche neue                                    Für die UKE-Mediziner bedeutet die Teilnah-
     Therapien gegen den Prostatakrebs.                                         me eine besondere Auszeichnung. „Das Uni-
                                                                                versitätsklinikum ist Prostataweltmeister“, sagt
     Globale Datenbank geplant                                                  Prof. Sauter. „Die schonende Operationsme-
     Eine Zusammenarbeit von Wissenschaftlern                                   thode von Prof. Huland bei Prostata-Erkran-
     der Arbeitsgruppe der UKE-Pathologie mit                                   kungen hat der Martini-Klinik weltweites
     herausragenden Experten aus der Klinik bot                                 Ansehen verschafft.“ Die Martini-Klinik hat
     sich an, und so war es kein Zufall, dass sich                              im vergangenen Jahr mehr Operationen an
     das Forscherteam mit Prof. Dr. Markus                                      Prostatapatienten durchgeführt hat als jede
     Graefen, Prof. Dr. Hartwig Huland und Priv.-                               andere Klinik weltweit.
     Doz. Dr. Thorsten Schlomm aus der Martini-                                     Dass Patienten aus allen Erdteilen für den
     Klinik komplettierte. Die Martini-Klinik ist                               Eingriff ins UKE kommen, liegt nicht zuletzt
     eine 100-prozentige Tochter des Universitäts-                              an der speziellen Methodik von Prof. Huland.
     klinikums und auf die Diagnose und Therapie                                Er hat es geschafft, mittels der sogenannten
     des Prostatakarzinoms spezialisiert.                                       nervenerhaltenden radikalen Prostatektomie
         Das gebündelte Know-how des Ärzteteams                                 seinen Patienten die beiden unangenehmen
     zog weltweites Interesse auf sich: Die erfolgrei-                          Nebenwirkungen des Eingriffs – die Impotenz
     che Arbeit des Forscherverbunds soll nun bei                               und die Inkontinenz – zu ersparen. Prof. Sauter

12   Wissen und Forschen
gehört längst zu den prominentesten Uro-
Pathologen in Europa.

„Ungeheure Chance“
Innerhalb der fünfjährigen Laufzeit des ICGC-
Projektes sollen er und sein Team 250 Tumore
entschlüsseln. Die Ergebnisse werden Patienten
Hoffnung machen. Denn Krebserkrankungen
– egal, welches Organ des Körpers betroffen ist
– sind immer auf genetische Verän­derungen
in den Körperzellen zurückzuführen. Aller-
dings gibt es nicht den einen Tumor, den es zu
entwaffnen gilt, sondern viele verschiedene
Varianten, die allesamt einer ganz unter-
schiedlichen Behandlung bedürfen.
   Um die optimale Lösung zu finden, ist
es notwendig, die Tumorzellen bis auf das                  Trio im Kampf gegen Prostatakrebs: (v.l) Prof. Dr. Guido Sauter,
Kleinste zu durchschauen. „Leider ist es immer             Priv.-Doz. Dr. Thorsten Schlomm (oben) und Prof. Dr. Markus Graefen
noch so, dass wir viele Patienten übertherapie-
ren, da wir nicht genau erkennen können,
welche Tumorzellen bekämpft werden müssen
und welche nicht“, sagt Priv.-Doz. Dr. Thorsten
Schlomm, Koordinator der Prostataforschung
im UKE. „Um hier in Zukunft gezielter behan-
deln zu können, müssen wir das erbliche
Muster und die Genveränderungen der Zellen
erforschen.“
   Das internationale Forschungsvorhaben
bietet dafür hervorragende Voraussetzungen,
wie Prof. Graefen betont. „Das Projekt birgt
eine ungeheure Chance, etwas wirklich Neues
und Relevantes zu finden“, sagt der Chefarzt
der Martini-Klinik. „Unsere große Hoffnung
beruht darauf, die für uns wichtigen Tumore
zu entdecken und so weit zu analysieren, dass
jeder Patient eine maßgeschneiderte Behand-
lung bekommt.“ ■

Prostatakrebs: Auch jüngere Männer sind betroffen

Trotz der enormen Fortschritte    als verdoppelt. Wurden 1980       ten Diagnosemöglichkeiten,         gen aus der Martini-Klinik.
in den letzten Jahren ist das     jährlich rund 30 000 Neuer-       andererseits aber auch an der      Allein dort wurden 2009 etwa
Prostatakarzinom immer noch       krankungen in Deutschland         demografischen Entwicklung.        100 Fälle diagnostiziert, bei
die häufigste Krebstodesursa-     diagnostiziert, so ist die Zahl   Dass Prostatakrebs aber nicht      denen die Betroffenen unter
che des Mannes. Im Zeitraum       inzwischen auf über 60 000        ausschließlich ein Leiden von      50 waren. Zehn Prozent aller
von 1980 bis heute hat sich die   gestiegen. Die Zunahme liegt      Männern jenseits der 60 ist,       Prostata-Erkrankungen sind
Zahl der Erkrankungen mehr        zum einen an den verbesser-       bestätigen auch die Erfahrun-      erblich bedingt.

                                                                                                                   Wissen und Forschen   13
Schlafenden Tumorzellen
       auf der Spur
       Krebszellen gelten als tickende Zeitbomben. Ob sie nach einer
       Behandlung ganz verschwinden oder weiter im Körper kreisen,
       konnten Mediziner lange Zeit nicht zuverlässig einschätzen. Ein
       neuer Bluttest bringt Erkrankten jetzt Gewissheit.

14   Wissen und Forschen
Stark vergrößert zeigt sich hier der Objektträger eines Spezialmikroskops,
der die Zellen einer Blutprobe enthält. Mit der Glaskapillare von wenigen
Mikrometern Durchmesser können einzelne Zellen für weiterführende
Analysen entnommen werden

                                                                                              >>>
                                                                             Wissen und Forschen   15
Genau bei dieser Problematik setzt die
                                                                                       Arbeit von Prof. Pantel und seinem Team an.
                                                                                       Ihr Ziel: Ein Frühwarnsystem für Tumorzellen
                                                                                       zu entwickeln. Die Gruppe forscht vor allem
                                                                                       auf dem Gebiet der sogenannten soliden Tu-
                                                                                       more. Dazu zählen Lungen-, Darm-, Brust-
                                                                                       und Prostatakrebs – Tumorarten, die relativ
                                                                                       häufig streuen und für die sich daher die Eta-
                                                                                       blierung eines Frühwarnsystems besonders
                                                                                       lohnt.
     Der Mikromanipulator ist ein Mikroskop, das mit einer steuerbaren, extrem            „Es kommt nicht selten bei Krebspatienten
     dünnen Glaskapillare ausgestattet ist. Damit können einzelne Zellen aus           vor, dass sich einzelne Tumorzellen aus ihrem
     der Blutprobe eines Patienten entnommen und analysiert werden                     Zellverband lösen und über die Blutbahn oder
                                                                                       die Lymphe durch den Körper wandern“, sagt
                                                                                       Dr. Juliane Hannemann aus der Arbeitsgrup-

                                  E
                                                                                       pe. „Wir wollen diese zirkulierenden Zellen so
                                         s klingt nach einem makaberen                 früh wie möglich aufspüren und näher analy-
                                         Glücksspiel, wenn nach einer ver-             sieren.“ Die Entschlüsselung dieser sogenann-
                                         meintlich erfolgreichen Tumorbehand-          ten „schlafenden Zellen“ war es letztlich, die
                                  lung Metastasen auftauchen und Arzt und              die Forscher am UKE einen bedeutenden
                                  Patient am Ende der Behandlung plötzlich             Schritt nach vorn brachte. Es gelang den
                                  wieder ganz am Anfang stehen. „Zu den                Wissenschaftlern, anhand verschiedenster
                                  Kerncharakteristika bösartiger Tumore ge-            Verfahren bis zur DNA einzelner Tumorzellen
                                  hört schlichtweg die Tatsache, dass sie streuen      vorzudringen. Diese Methode, für die Prof.
                                  und Tochtergeschwulste bilden“, sagt Prof.           Pantel mit dem Deutschen Krebspreis 2010
                                  Dr. Klaus Pantel, Direktor des Instituts für         ausgezeichnet wurde, gibt Erkrankten neue
                                  Tumorbiologie. Das Unvorhersehbare und               Hoffnung.
                                  Tückische der Metastasen: Die Mediziner                 „Das Belastende für viele Patienten, bei
                                  können nicht genau wissen, über welche               denen Metastasen diagnostiziert wurden, ist
                                  Zeitspanne Vorsicht geboten ist und wie die          die Ungewissheit, ob die ausgesuchte Behand-
                                  Tochtersaat letztlich bekämpft werden kann.          lungsmethode auch wirklich greift“, sagt
                                  „Manchmal können bis zu zehn Jahre verge-            Prof. Pantel. Schließlich sei nicht gesagt, dass
                                  hen, ehe der Krebs erneut ausbricht“, sagt           das Medikament, das den primären Tumor
                                  Prof. Pantel. „Das Fatale daran: Die Metasta-        bekämpfen konnte, auch die Tochterge-
                                  sen bleiben oftmals so lange unentdeckt, bis         schwulste besiegt. „Die Medizin ist lange Zeit
                                  jede Hilfe zu spät kommt.“                           davon ausgegangen, dass Metastasen nach

     Spurensuche mit Magnet und Mikroskop

     Um die Tumorzellen zwischen       erkennt und sich gemäß dem        Abkürzung steht für  „magne-      probefindet schließlich im
     den anderen Blutzellen auf-       Schlüssel-Schloss-Prinzip an      tic activated cell sorting“ –     Mikromanipulator statt –
     zuspüren, sind verschiedene       sie heftet.                       beginnt dann die Zellsortie-      einem Mikroskop mit dünnen
     Schritte notwendig. Zuerst        Diese Antikörper sind mit         rung. Mit einem starken           Glas­kapil­laren. Die Zellen
     werden die Blutproben mit         kleinen magnetischen Eisen-       Magneten werden die Beads         werden in die Kapillaren
     einem Antikörper vermischt,       partikeln versehen, den           und somit die kompletten          eingesaugt und zur weiteren
     der bestimmte Moleküle an         so­genannten Beads. Mit           Tumorzellen angezogen. Die        Analyse in ein Reaktionsgefäß
     der Oberfläche der Zellen         der MACS-Methode – diese          Isolierung vom Rest der Blut-     übertragen.

16   Wissen und Forschen
dem exakt gleichen Prinzip aufgebaut sind und
funktionieren wie ihr Stammtumor“, sagt der
Tumorbiologe. „Heute wissen wir: Die Grund-
züge sind gleich. Aber das heißt noch lange
nicht, dass die Tumorzellen ihre Eigenschaften
beibehalten.“ Aber genau diese Grundzüge und
Eigenschaften sind es, die entschlüsselt werden
müssen, um die Tochtergeschwulste besser

        „Heute können wir viele Detailinformationen
          aus einer einzigen Tumorzelle im Blut eines
                              Krebspatienten ziehen“
                                                       Prof. Dr. Klaus Pantel,
                                    Direktor des Instituts für Tumorbiologie

behandeln zu können. „Früher konnten wir
mit unseren Standardmethoden die schlafen-
den Tumorzellen nicht erfassen. Nun ist nur
ein Bluttest nötig, um die Zellen zu finden und
genau zu untersuchen“, sagt Dr. Hannemann.
   Für Prof. Pantel und sein Team, zu dem
auch Dr. Sabine Riethdorf gehört, ist diese
Entwicklung bahnbrechend. „In der Vergan-
genheit war es lediglich möglich, den primären
Tumor auf seine DNA zu untersuchen. Heute
können wir viele Detailinformationen aus einer
einzigen Tumor­zelle im Blut eines Patienten
ziehen“, so Prof. Pantel. Der Bluttest bringt
vielen Erkrankten Gewissheit und vermeidet
kostspielige Fehlversuche. Prof. Pantel nennt
dafür ein Beispiel: „Ein gängiges Medikament,
das bei Brustkrebs eingesetzt wird, ist Hercep-
tin. Die Behandlung mit dem Mittel kostet
jährlich etwa 30.000 Euro pro Patient. Trotz-
dem weiß man im individuellen Fall noch
nicht genau, ob es hilft oder nicht. Unser Blut-
test könnte eine wichtige diagnostische Lücke
schließen.“ Somit sei der Test, der mit rund
300 Euro zu Buche schlägt, nicht nur ver-
gleichsweise günstig, sondern entlaste mögli-
cherweise auch den Erkrankten durch die                                Setzen ihre
gezielte Diagnose nach nur wenigen Tagen.                  Hoffnungen auf einen
   Das Ziel für die Zukunft steht für den                     Routinebluttest für
Wissenschaftler nach den ersten Erfolgen fest:                   Krebspatienten:
„Wir wollen erreichen, dass in einigen Jahren               Prof. Dr. Klaus Pantel
für jeden Patienten ein Routinebluttest zur                      und seine Mitar­-
Verfügung steht, der uns verrät, ob die ange-                  beiterin Dr. Juliane
wandte Therapie erfolgreich war.“ ■                                   Hannemann

                                                                                      Wissen und Forschen   17
Besorgniserregender Befund: In der Leber einer Darmkrebspatientin
     findet sich, wie die Computertomograpie zeigt, eine Tochtergeschwulst
     von etwa 3 cm Durchmesser

18      Wissen und Forschen
Diagnose Darmkrebs:

    Zwischen Hoffnung
und Verzweiflung

        Geballte Schlagkraft:
        Ein Forschungsverbund
        beschäftigt sich erstmals
        in Deutschland über Fach­
        grenzen hinweg intensiv
        mit den Zusammenhängen
        zwischen Tochtergeschwulsten
        in der Leber und ruhenden
        Krebszellen.
                                                        >>>
                                       Wissen und Forschen   19
Geballtes Know-how gegen Krebs – Die Schwerpunkte des Forschungsverbundes in einem interdisziplinären Netzwerk:
     In einem Zentralprojekt wird für die jeweiligen Arbeitsgruppen eine       Tumorzellen: Prof. Dr. Klaus Pantel, Dr. Juliane Hannemann, Institut
     Plattform für tierexperimentelle Studien gebildet und ein translationa-   für Tumorbiologie; Funktion von nicht-kanonischen Signalwegen
     les Forschungsprojekt mit Patientengeweben etabliert. Erkenntnisse        in der Dissemination und Metastasierung: Dr. Henning Wege,
     der Grundlagenforschung sollen dabei möglichst rasch in klinische         I. Medizinische Klinik; Rolle des inflammatorischen Stromas bei
     Therapien umgesetzt werden. Umgekehrt sollen klinische Beobach-           der Lebermetastasierung: Dr. Jörg Schrader, Prof. Dr. Ansgar Lohse,
     tungen als Rückkoppelung in die Grundlagenforschung einfließen.           I. Medizinische Klinik; Analyse disseminierter Zellen und ihrer
     Die dem Verbund zugehörigen Institute und Kliniken werden mit ihren       metastatischen Nischen: Dr. Dr. Sonja Loges, Prof. Dr. Carsten
     Arbeitsschwerpunkten im Rahmen des Projekts wie folgt genannt:            Bokemeyer, II. Medizinische Klinik; Homing Mechanismen der Leber-
     Funktionale Rolle von Zelladhäsionsmolekülen: Prof. Dr. Udo               metastasierung: Prof. Dr. Martin Trepel, II. Medizinische Klinik;
     Schumacher, Institut für Anatomie; Funktionelle Bedeutung von             Modulation der Zelladhäsion durch Galectin-1: Priv.-Doz. Dr. Oliver
     AKT2, einem Onkogen: Priv.-Doz. Dr. Manfred Jücker, Institut für          Stöltzing, Klinik für Hepatobiliäre Chirurgie.
     Biochemie und Molekularbiologie; Bedeutung von zirkulierenden

                                    N
                                               ach erfolgreicher Operation und                 Aussicht auf Heilung war nun möglich. Auch
                                               Chemotherapie verlassen viele Pati-             dieser komplexe Eingriff, der von den UKE-
                                               enten geheilt das Krankenhaus und               Medizinern aufwendig mit einer 3-D-Rekon-
                                     schöpfen nach einer langen Leidenszeit wie-               struktion des Organs vorbereitet wurde,
                                     der Hoffnung auf einen Neuanfang. Die Kon-                gelang. Alle Beteiligten schöpften nun Hoff-
                                     trolluntersuchungen verlaufen ohne suspekte               nung. Die Patientin schmiedete wieder Zu-
                                     Befunde. Zunächst. Nicht selten kommt die                 kunftspläne. Kaum ein halbes Jahr später kam
                                     Nachricht wie aus dem Nichts: Rückfall mit                die Hiobsbotschaft: Die Ärzte mussten ihr
                                     neuen Tumoren – meist Lebermetastasen.                    eröffnen, dass sich in ihrer Leber an einer an-
                                        Ein interdisziplinäres Team führender                  deren Stelle ein neuer Tumor entwickelt hatte.
                                     UKE-Forscher sucht nach den Mechanismen                      „Alles verläuft bestmöglich: Man kombi-
                                     ihrer Entstehung und hofft, dass die gewon-               niert optimal modernste Behandlungskon-
                                     nenen Erkenntnisse bald für eine bessere                  zepte, sowohl die Chemotherapie als auch die
     Fachübergreifende               Therapie nutzbar gemacht werden können.                   Operation sind erfolgreich“, sagt Priv.-Doz.
     Zusammenarbeit:                 Eine 69-jährige Hamburgerin steht stellver-               Dr. Oliver Stöltzing. „Und trotzdem tritt
     (v.l.) Dr. Dr. Sonja Loges,     tretend für viele Darmkrebspatienten: Zunächst            nach kurzer Zeit ein Rückfall auf.“ Warum
     Dr. Juliane Hannemann           war die Diagnose für sie ein Schock. Der Krebs            kommt der Krebs zurück? Warum so schnell?
     und Priv.-Doz. Dr. Oliver       hatte sich schon im Bauch ausgebreitet; im                Und warum ist erneut die Leber betroffen?
     Stöltzing diskutieren           Röntgenbild zeigte sich ein drei Zentimeter               Auf diese Fragen hat die Krebsmedizin noch
     ihre Analyseergebnisse          großer Tochter-Tumor auf der Leber.                       keine befriedigenden Antworten. Das ehr-
                                                               Der Primärtumor im              geizige Ziel, dies zu ändern, hat sich ein ein-
                                                            Darm wurde entfernt                zigartiger Forschungsverbund auf die Fahnen
                                                            und die Tochterge-                 geschrieben. In dem Projekt mit dem Titel
                                                            schwulst in der Leber,             „Colorektale Lebermetastasen: Von moleku-
                                                            die sogenannte Metas-              laren Mechanismen der Metastasierung zur
                                                            tase, wurde anschlie-              maßgeschneiderten onkologischen Therapie“
                                                            ßend mit einer maß­                arbeiten Klinikärzte und Naturwissen-
                                                            geschneiderten                     schaftler über ihre Fachgrenzen hinweg
                                                            Chemotherapie mit                  zusammen.
                                                            molekularen Substan-                  Bei drei von vier Patienten treten binnen
                                                            zen behandelt, die den             zehn Jahren erneut Metastasen auf. Colorek-
                                                            Tumor verkleinern soll-            tale Lebermetastasen sind eine Folge von
                                                            ten. Ein voller Erfolg:            Darmkrebs. Diese Krebsart ist die zweithäu-
                                                            Die Geschwulst                     figste in Deutschland. Rund 75 000 Menschen
                                                            schrumpfte beträcht-               erkranken jedes Jahr neu daran. Die Sterb-
                                                            lich. Eine Leber-OP mit            lichkeit ist nach wie vor hoch: Bei der Zahl der

20   Wissen und Forschen
„Mit vereinter Kraft wollen wir es
                                                                        schaffen, das Langzeitüberleben
                                                                        nach Darmkrebs entscheidend zu
                                                                        verbessern“
                                                                        Prof. Dr. Björn Nashan,
                                                                        Direktor der Klinik und Poliklinik für Hepatobiliäre
                                                                        Chirurgie und Transplantationschirurgie

jährlichen Krebs-Todesfälle liegt das soge-        Tochter-Geschwulste auftreten. Und dass es
nannte kolorektale Karzinom an zweiter Stelle.     bestimmte molekulare Mechanismen in der
Bei einem Viertel aller Darmkrebs-Patienten        Leber geben muss, die der Grund dafür sind,
haben sich bereits zum Zeitpunkt der Diag-         dass gerade dieses Organ auf Tumorzellen so
nose Tochtergeschwulste auf der Leber ange-        besonders anziehend wirkt.“ Die Forscher-
siedelt. Im weiteren Verlauf des Darmkrebses       gruppe ist die erste in Deutschland, die sich
leiden bis zu 55 Prozent der Erkrankten unter      so tiefgehend mit den Zusammenhängen von
solchen Lebermetastasen. Selbst wenn Patien-       Lebermetastasen und zirkulierenden Tumor-
ten mit Aussicht auf Heilung operiert werden       zellen befasst.
können, tritt der Krebs bei drei Vierteln von         Die Herausforderung besteht nun darin,
ihnen im Lauf von zehn Jahren wieder auf.          zum einen zu definieren, wie die molekularen
   An dem groß angelegten Verbund sind             Strukturen aussehen, die Tumorzellen dazu
sechs Institutionen und Kliniken beteiligt.        bringen, sich immer wieder in der Leber ein-
Die Ärzte und Wissenschaftler kommen aus           zunisten. Und zum anderen, herauszufinden,
so unterschiedlichen Fachbereichen wie etwa        welche Arten von Signalen sie empfangen,
der Anatomie, der Biochemie, der Leber-            die das Wachstum bösartiger Zellen auslösen
Chirurgie und der Onkologie. „Wir alle tei-        und beschleunigen. „Nur wenn wir diese
len eine Hypothese, die uns vorantreibt“, sagt     Zusammenhänge besser verstehen, können
Prof. Dr. Björn Nashan, Direktor der Klinik        wir neue Therapieansätze für Patienten ent-
für Hepatobiliäre Chirurgie und Transplanta-       wickeln, Lebermetastasen vorbeugen oder
tionschirurgie. „Wir gehen davon aus, dass         Rückfälle verhindern“, sagt Prof. Nashan.
Tumorzellen aus dem Knochenmark, die im            „Mit vereinter Kraft wollen wir es schaffen,
Körper zirkulieren, dafür verantwortlich           das Langzeitüberleben nach Darmkrebs
sind, dass auch nach einer OP immer wieder         entscheidend zu verbessern.“ ■

Innovative Chirurgie und neuen Substanzen

Gerade in den vergangenen        OP, können sie mit einer maß-    des Eingriffs. Zielgerichtet       hungern den Tumor aus,
fünf bis sieben Jahren hat so-   geschneiderten Chemothera-       sind auch die neuen Therapi-       indem sie das Wachstum der
wohl die chirurgische als auch   pie verkleinert werden. Sollte   en, die unmittelbar gegen die      Blutgefäße hemmen, oder
die medikamentöse Therapie       die Geschwulst anatomisch        Krebszellen eingesetzt wer-        verhindern die Signalübertra-
von Lebermetastasen deutli-      ungünstig liegen, planen die     den. Sie blockieren beispiels-     gung zwischen Tumorzellen,
che Fortschritte gemacht.        Chirurgen mithilfe von 3-D-      weise Faktoren, die das            ohne benachbarte gesunde
Sind Tumore zu groß für eine     Rekonstruktionen den Verlauf     Tumorwachstum fördern,             Zellen zu beeinträchtigen.

                                                                                                                  Wissen und Forschen   21
Equi te dolutat lum quatie vendit praesecte tion esequis dolor

22   Wissen und Forschen
Lamas als Helfer
der Wissenschaft

Lamas sind als Lastenträger und Woll-Lieferanten
bekannt. Neu ist aber, dass sie für die Medizin
höchst interessante Eigenschaften besitzen, die
vielversprechende Perspektiven für die Therapie von
Krebs und entzündlichen Erkrankungen eröffnen.        >>>
G
                                    eh nicht so nah ran, die spucken“,      Weil große Hoffnungen auf dem Vorhaben
                                    hören Kinder oft, die im Zoo dicht an   ruhen, stellen sowohl die Deutsche For-
                                    ein Lama-Gehege treten. Im Gegen-       schungsgemeinschaft als auch das Bundesmi-
                           satz zum Speichel der Kameltiere, einer für      nisterium für wirtschaftliche Zusammenar-
                           Menschen im direkten Kontakt eher unange-        beit und Entwicklung Mittel zur Verfügung.
                           nehmen Flüssigkeit, stellen die Lamas aber       Und der Deutsche Akademische Austausch-
                           auch ungewöhnlich nützliche Wirkstoffe her.      dienst unterstützt eine Kooperation mit For-
                           Die Tiere produzieren Antikörper, die sich in    schern in Mexiko. Dort arbeitet ein Team an
                           Medikamente gegen kranke Zellen verwan-          der Produktion von Nanobodies aus dem Blut
                           deln lassen. Weil die Bindungsbereiche dieser    von Haien. Die Antikörper der Fische haben
                           Antikörper, mit denen sie an andere Molekü-      ähnliche Eigenschaften wie die der Lamas.

                                                                                      „Nanobodies sind
                                                                                      Hoffnungsträger im
                                                                                      Kampf gegen Krebs
                                                                                      und Entzündung“
                                                                                      Prof. Friedrich Koch-Nolte,
                                                                                      Institut für Immunologie

     Die Köpfe des         le andocken können, besonders klein sind,        Weitere Mittel fließen aus der Industrie und
     Forschungsprojektes   werden sie Nanobodies genannt.                   von der Hamburger Werner Otto Stiftung.
     im Dialog:                Mit den Nanobodies der Lamas befasst            In den Laborräumen im Campus Forschung
     Prof. Dr. Friedrich   sich ein Pilotprojekt am Institut für Immuno-    züchtet das UKE-Team die Nanobodies in
     Haag (links) und      logie des Universitätsklinikums. Das Team        Brutschränken. Beteiligt sind unter anderem
     Prof. Dr. Friedrich   um Prof. Dr. Friedrich Koch-Nolte und Prof.      die Doktoranden Janusz Wesolowski, Mandy
     Koch-Nolte (rechts)   Dr. Friedrich Haag produziert die Antikörper     Unger, Welbeck Danquah und Björn Rissiek.
                           für Therapiekonzepte. Gewonnen werden sie
                           aus den weißen Blutkörperchen geimpfter          Patent eingereicht
                           Lamas. Vier Mal werden die Tiere für die         Erste große Erfolge können die Wissenschaft-
                           Wissenschaft immunisiert, so wie das sonst       ler bereits verbuchen. In Zusammenarbeit mit
                           auch bei der Tierhaltung im Rahmen der           den Kollegen aus Argentinien ist es gelungen,
                           Schutzmaßnahmen durch den Veterinär ge-          Nanobodies zu züchten, die gegen spezielle
                           schieht. Einmal wird ihnen anschließend Blut     Toxine und gegen ein Enzym auf Entzün-
                           abgenommen. Das alles geschieht mit einer        dungszellen wirksam sind, das mit diesen
                           schonenden Technik mithilfe von Tierärzten       Toxinen verwandt ist. Dieser Schritt eröffnet
                           und Tierpflegern des UKE.                        die weitreichende therapeutische Hoffnung,
                               An dem Projekt arbeiten die Hamburger        auf diese Art und Weise bakterielle Toxine
                           zusammen mit Kollegen aus Argentinien.           mittels der Nanobodies einfach abzuschalten.

24   Wissen und Forschen
Das könnte ein Mittel sein gegen schwerwie-       verabreichen sind. Sie
gende Infektionserkrankungen wie Durchfall,       können intravenös,
Keuchhusten oder Diphtherie. Doch inzwi-          als Salben oder Pillen
schen ist das Team noch einen Schritt weiter.     gegeben werden“, sagt
In Zusammenarbeit mit der Firma Ablynx            Prof. Koch-Nolte. Der
aus dem belgischen Gent, die auf die Produk-      Körper scheidet sie
tion von Nanobodies spezialisiert ist, haben      über die Nieren wie-
die Eppendorfer als weltweit Erste Nanobo-        der aus. In den Labor-
dies entwickelt, die einen Ionenkanal blockie-    versuchen hatten die
ren können. Dieser Ionenkanal kontrolliert        Nanobodies Entzün-
Entzündungsreaktionen und die Schmerz-            dungsreaktionen in Minuten-
empfindung.                                       schnelle blockiert. In Verbindungen mit an-            Die Abbildung zeigt die
   Ablynx ist ein junges Biotechnologie-Unter-    deren Medikamenten ergab sich – jedenfalls             vergleichsweise flache
nehmen, als Ausgründung der Universität           im Labor – bereits ein positiver Effekt beim           Interaktion zwischen
Brüssel entstanden. Der gemeinsame Erfolg         Einsatz gegen Diabetes Typ I. „Nanobodies              einem Enzym und dem
der Belgier und der Hamburger Immunolo-           sind Hoffnungsträger im Kampf gegen Krebs              Bindungsbereich eines
gen öffnet eine Tür für die Behandlung von        und Entzündung“, sagt Prof. Koch-Nolte.                konventionellen Antikör-
Entzündungen und Autoimmunerkrankun-              Auch als Helfer der Bildgebung eignen sich             pers (links) sowie die
gen. Es besteht die Hoffnung, auf diese Weise     die kleinen Alleskönner. Sie könnten etwa für          tiefe Interaktion eines
bei entzündlichen und allergischen Erkran-        eine bessere Darstellung von Entzündungs­              Nanobodies mit dem
kungen die entzündungsaus­lösenden Makro-         reaktionen eingesetzt werden.                          Zielenzym (rechts). Zu
moleküle einfach zu blockieren. Deshalb haben        Die Immunologen arbeiten an diesem                  erkennen ist eine tiefe
die Partner das Projekt mithilfe der auf Wis-     Thema mit Kollegen aus der medizinischen               Ausstülpung, die die
senstransfer spezialisierten UKE-Tochter          Klinik und der Radiologie zusammen. Weitere            Aktivität des Enzyms
Medigate bereits zum Patent eingereicht.          Verbindungen gibt es zum Graduiertenkolleg             blockieren kann.
Auch auf ihre Eignung zur Hemmung der             „Entzündung und Regeneration“ des Sonder-
Blutgerinnung werden Nanobodies bereits           forschungsbereichs 841 der Deutschen For-
in einer ersten klinischen Studie von Exper-      schungsgemeinschaft, mit dem Sonderfor-
ten des Universitären Herzzentrums geprüft.       schungsbereich 877 „Proteolyse“ sowie mit
                                                  dem Landesexzellencluster „Nanotechnology
Blockade in Minutenschnelle                       in Medicine“, das fächerübergreifend die
„Der Vorteil der kleinen Antikörper liegt dar-    Möglichkeiten der gezielten Therapie mit-
in, dass sie leicht herzustellen und leicht zu    hilfe von Nanopartikeln untersucht. ■

Allzweckwaffe Antikörper

Antikörper, Y-förmige Eiweiß-   cken können. Lamas dagegen,      sind sie stabil, klein und        Die Nanobodies erinnern an
stoffe, haben große Bedeu-      andere Kamelarten und Hai­       gut löslich. Und sie haben        den Begriff der „Zauberku-
tung für Forschung und          fische haben Antikörper, die     besonders wirksame Andock-        geln“, den der Medizin-Nobel-
Therapie. Es gibt Millionen     nur aus schweren Ketten zu-      stellen, mit denen sie sich mit   preisträger Paul Ehrlich vor
verschiedener Antikörper. Die   sammengesetzt sind.              ihren Ziel-Molekülen verbin-      rund 100 Jahren für medizini-
meisten bestehen aus zwei       Das macht sie besonders inte-    den können.                       sche Wirkstoffe prägte, die
schweren und zwei leichten      ressant für die Wissenschaft-    Das heißt, dass sie als Medi-     gezielt und passgenau gegen
Polypeptidketten.               ler: Zum einen, weil ihre Bin-   kamente leicht zu verabrei-       Erreger eingesetzt werden
Die Antikörper besitzen be-     dungsbereiche gentechnisch       chen sind und zuverlässig ans     sollten. Mit den Nanobodies
stimmte Bindungsanteile, mit    in großen Mengen hergestellt     Ziel gelangen – eine Art          könnte sein Konzept Realität
denen sie an Moleküle ando-     werden können. Zum anderen       schnelle Eingreiftruppe also.     werden.

                                                                                                              Wissen und Forschen   25
Eine Knochenprobe ist
 in dem Plexiglasblock
 eingebettet und wird
 hier auf einem speziellen
 Schneidegerät, dem
 Hartschnittmikrotom,
 zu tausendstel Milli­meter
 dünnen Schnitten
 aufgearbeitet

 Sauer macht stabil
 Wenn die Knochensubstanz porös wird und das Skelett
 geschwächt ist, kann die Ursache dafür auch dort liegen,
 wo sie niemand vermutet. Forscher des UKE haben nach
 Gründen gesucht und die Antwort im Magen gefunden.

26   Wissen und Forschen
>>>
Wissen und Forschen   27
ringerung der Magensäureproduktion. Zum
                                                                                anderen nehmen allein in Deutschland rund
                                                                                acht Millionen Menschen regelmäßig Medi-
                                                                                kamente gegen Sodbrennen und den Rück-
                                                                                fluss der Magensäure in die Speiseröhre ein.

                                                                                Milliarden-Entlastung möglich
                                                                                Die Untersuchungen von Prof. Amling und
                                                                                seinem Team sollten zum einen klären, wie
                                                                                sich die verminderte Magensäurebildung im
                                                                                Detail auf die Knochenqualität auswirkt.
                                                                                Zum anderen zielten sie darauf, Therapiean-
                                                                                sätze zu erarbeiten, die die zerstörerischen

                               R
     Erforscht die                     und acht Millionen Menschen in           Nebenwirkungen der Magensäureblocker auf
     Auswirkungen von                  Deutschland leiden an Osteoporose.       die Knochen verhindern. Die Zusammenhän-
     Magensäure­blockern               Dabei geraten Knochenauf- und -ab-       ge, die im Laborversuch untermauert wurden
     auf die Knochen­          bau aus der Balance. Die Knochenmasse            und sich mechanistisch auf den Menschen
     stabilität: Dr. Florian   schwindet, das Skelett wird geschwächt und       übertragen ließen, belegten eindeutig, dass bei
     Barvencik, Leitender      es kommt zu Knochenbrüchen. Schuld an            fehlender Magensäure bestimmte Kalziumver-
     Oberarzt am Institut      dem Leiden ist häufig die unzureichende Auf-     bindungen, etwa Kalziumkarbonat, vom Or-
     für Osteologie und        nahme von Kalzium aus der Nahrung. Und           ganismus nur schwer aufgenommen werden
     Biomechanik               dafür wiederum gilt als eine Ursache der         können. Andere Verbindungen wie beispiels-
                               Mangel an Vitamin D.                             weise Kalziumglukonat oder Kalziumcitrat
                                  Doch mit der Zuführung von Vitamin D          dagegen werden unabhängig von der Magen-
                               allein ist es nicht getan, wenn man Osteopo-     säure vom Körper resorbiert.
                               rose vermeiden will. Ein Wissenschaftlerteam        Das ist eine entscheidende Erkenntnis, die
                               um Prof. Dr. Michael Amling, Direktor des        zunächst für Osteoporose-Patienten bedeut-
                               Instituts für Osteologie und Biomechanik im      sam ist, deren Organismus nicht ausreichend
                               Universitätsklinikum, hat herausgefunden,        Magensäure herstellt. Da die Kalziumpräpa-
                               dass der Kalziummangel auch die Folge einer      rate, die in Deutschland verordnet werden,
                               bislang nicht erkannten Kettenreaktion sein      zum überwiegenden Teil auf einer Kalzium-
                               kann. Schließlich ist eine wichtige Vorausset-   karbonat-Basis beruhen, können sie diesen
                               zung für die Aufnahme von Kalzium eine           Kranken folglich nicht helfen. „Damit liefert
                               ausgeglichene Magensäurebildung, wie die         die translationale Forschung einen entschei-
                               Hamburger jetzt nachgewiesen haben.              denden Beitrag zur Verbesserung der Osteo-
                                  Anlass für die Untersuchungen war die         porose-Therapie“, sagt Prof. Amling. Transla-
                               Tatsache, dass Patienten, die über lange Zeit    tionale Forschung hat die Aufgabe, Erkennt-
                               Magensäureblocker einnahmen, ein „drama-         nisse der Grundlagenwissenschaftler aus dem
                               tisch gesteigertes Knochenbruchrisiko auf-       Labor direkt für Erkrankte nutzbar zu machen.
                               wiesen“, wie Dr. Florian Barvencik sagt,            Aber die Bedeutung der Ergebnisse geht
                               Leitender Oberarzt des Instituts. Obwohl         weit über die Gruppe der Osteoporose-Pati-
                               mehrere Beobachtungsstudien die Gleichzei-       enten hinaus. Sie betreffen Millionen Men-
                               tigkeit der Medikamenteneinnahme und des         schen in Deutschland, die wegen Magenleiden
                               erhöhten Knochenbruchrisikos bestätigten,        Magensäureblocker einnehmen müssen. Auf-
                               führte das lange Zeit nicht zu den entspre-      grund der neuen Erkenntnisse könnten bei
                               chenden Schlussfolgerungen. „Aber gerade         ihnen die Gefahren einer drohenden Osteo-
                               das ist von großer Bedeutung“, sagt Prof.        porose durch alternative Kalziumpräparate
                               Amling. Denn zum einen kommt es bei bis zu       gemindert werden. Dies sei eine wichtige
                               30 Prozent der über 60-Jährigen zu einer Ver-    Aufgabe, wie Amling betont. Denn Erkran-

28   Wissen und Forschen
„Würde man die Bevölkerung
   ausreichend mit Vitamin D und
   Kalzium versorgen, könnte man
   das deutsche Gesundheitssystem
  um 2,5 Milliarden Euro entlasten“
                             Prof. Dr. Michael Amling,
                  Direktor des Instituts für Osteologie
                                     und Biomechanik

kungen von Muskeln und Skelett verursachen            Die Osteologie ist die Lehre von den Knochen
in Deutschland rund ein Drittel der Gesund-           und dem Skelettsystem. Das Fach fußt in der
heitskosten. Allein für die Behandlung und            Hansestadt auf einer langjährigen Tradition.
Folgen von Knochenbrüchen aufgrund von                Die Osteologie steht dabei gleichsam im Zen-
Osteoporose würden 5,6 Milliarden Euro                trum des interdisziplinären Dialogs von Or-
fällig.                                               thopädie, Unfallchirurgie, Innerer Medizin,
                                                      Endokrinologie und Sportmedizin.
International noch zu wenig beachtet                     Das Institut für Osteologie und Biomecha-
Im Sport ist die heilsame Wirkung von Vita-           nik ist die größte Einrichtung in Deutschland
min D längst bekannt – bei Fußball-Bundes-            für die Diagnose der Osteoporose. Die Ep-
ligisten bis hin zu den Sprinter-Stars. Dort          pendorfer Wissenschaftler betreiben interdis-
hat man längst erkannt, dass das Vitamin die          ziplinäre und patientenbezogene Forschung
Muskelleistung verbessert. Bereits in den             im Bereich von Muskeln und Skelett. Erkran-
50er-Jahren ist sein Einsatz vom Internatio-          kungen in diesem Bereich – darunter neben
nalen Olympischen Komitee geprüft und als             der Osteoporose beispielsweise auch Arthro-
zulässig eingeschätzt worden. Eine verbesser-         se, Sarkopenie und Knochenmetastasen –
te muskuläre Situation ist auch für die Kno-          sind von zentraler gesundheitsökonomischer
chen wichtig, denn sie vermindert die Gefahr          Relevanz. Sie sind in der Forschungsaktivität
von Stürzen und damit von Brüchen.                    international bislang aber unterrepräsentiert.
Prof. Amling hat den bislang einzigen Lehr-           Das Institut will dazu beitragen, diese Lücke
stuhl für Osteologie in Deutschland inne.             zu schließen. ■

Knochendiagnostik mit Durchblick

Bei der Untersuchung des         Schritt sichtbar werden.          über Struktur und Beschaf-       putertomografie können die
Knochengerüsts auf poten-        Die Knochendichte wird per        fenheit der Knochen offenba-     Knochenproben in Größen-
zielle Brüche oder Schädigun-    Dual-Energy-X-Ray-Absorp-         ren sich mit der peripheren      ordnungen bis auf sechstau-
gen können Prof. Amling und      tiometrie gemessen – eben-        quantitativen Computerto-        sendstel Millimeter unter-
sein Wissenschaftler-Team        falls eine Methode der Rönt-      mografie. Das sogenannte         sucht werden.
auf ein ausgefeiltes techni-     gendiagnostik.                    Xtreme CT zeigt die Knochen-     Schließlich bietet die Raster-
sches Arsenal setzen. Das        Die Funktionsweise: Je porö-      architektur von Patienten bis    elektronenmikroskopie die
beginnt bereits mit dem          ser die Knochen sind, desto       in ihre feinsten dreidimensio-   Möglichkeit, Knochenproben
Röntgen, bei dem eventuelle      mehr Strahlen können durch-       nalen Strukturen. Mithilfe       bis aufs letzte Kalziumkristall
Brüche in einem ersten           dringen. Weitere Erkenntnisse     von Biopsien und Mikro-Com-      zu analysieren.

                                                                                                               Wissen und Forschen    29
Der Ausschnitt zeigt weißes
      Fettgewebe in 200-facher
      Vergrößerung. Durch die
      Blaufärbung des Präparats ist
      deutlich das blasenartige
      Muster des Gewebes zu
      erkennen

       Gewichtige Hoffnungen
       Von Kleinkindern war bislang schon bekannt, dass sie
       braune Fettzellen besitzen, die beim Abnehmen helfen
       können. UKE-Forschern gelang der Nachweis, dass das
       braune Fettgewebe tatsächlich einen Ansatz zur Therapie
       von Fettleibigkeit und erhöhten Blutfetten bietet.

30   Wissen und Forschen
>>>
Wissen und Forschen   31
Dr. Harald Ittrich, Oberarzt in der Klinik und Poliklinik            Alexander Bartelt, Biochemiker aus dem Zentrum
     für Diagnostische und Interventionelle Radiologie                    für Experimentelle Medizin

                                    E
                                            s ist eine scheinbar einfache Glei-      können pro Tag etwa ein Fünftel der tägli-
                                            chung: Bei Nahrungsüberangebot           chen Energiezufuhr verbrennen.“ Bei Men-
                                            speichert der Körper Fett für schlech-   schen mit Übergewicht dagegen scheint die
                                     te Zeiten. Und das dokumentiert sich in Ret-    Stoffwechselaktivität des braunen Fetts stark
                                     tungsringen, wenn die Vorräte zu opulent        herabgesetzt zu sein. Und genau hier tun
                                     werden. Diese sind unschön und können           sich Hoffnungen auf: Wenn man das braune
                                     krank machen. Tatsächlich ist alles etwas       Fett aktivieren würde, könnte das gegen
                                     komplizierter und noch dazu ist Fett nicht      Übergewicht und seine Folgeerkrankungen
                                     gleich Fett. Ein interdisziplinäres Wissen-     helfen.
                                     schaftlerteam des Instituts für Biochemie          Das interdisziplinäre Verbundprojekt un-
                                     und Molekularbiologie will nun in Zusam-        tersucht nun, was die Lipide im Körper be-
                                     menarbeit mit anderen deutschen Forschern       wirken und welche Mechanismen dabei wich-
                                     die Zusammenhänge im Detail klären und          tig sind. „Vor allem die Rolle des braunen
                                     untersucht den Fettstoffwechsel auf moleku-     Fettgewebes in der Verarbeitung der Nah-
                                     larer Ebene. Dabei setzen die Wissenschaft-     rungslipide war bislang nicht bekannt“, sagt
                                     ler bahnbrechende Methoden der Bildge-          Diplom-Biochemiker Alexander Bartelt, der
                                     bung ein: Mit Nanoteilchen verfolgen sie        über den Fettstoffwechsel promoviert.
                                     den Weg der Fette im Körper.
                                        Die erste entscheidende Erkenntnis für die   Live-Einblicke in den Körper
                                     Forschung ist der Beleg, dass es zwei Arten     Die Forscher blicken mithilfe der Bildgebung
                                     von Fett gibt: zum einen das weiße Fett, den    und der Möglichkeiten der Nanotechnologie
                                     Energiespeicher für schlechte Zeiten mit den    live in den Körper hinein. „Wir setzen spezi-
                                     verhängnisvollen Nebenwirkungen. Und zum        elle Nanoteilchen ein und markieren Lipo-
                                     anderen braunes Fett, der wohltätige Ver-       proteine, um die Aktivität des braunen Fett-
                                     wandte, der sich in Energie zur Wärmepro-       gewebes zu bestimmen“, erläutert Dr. Harald
                                     duktion umwandeln lässt und so den Körper       Ittrich, Oberarzt der Klinik für Diagnostische
                                     vor Kälte schützt.                              und Interventionelle Radiologie. Die Nano-
                                        Die Existenz des braunen Fetts war von       partikel auf Eisenoxidbasis dienen dabei als
                                     Nagetieren und Kleinkindern bereits be-         Kontrastmittel. Mithilfe der Magnetreso-
                                     kannt. Jetzt weiß man, dass auch Erwachse-      nanztomografie lassen sich dann die Stoff-
                                     ne diese Fettart besitzen. „Die Zellen sind     wechselprozesse darstellen. „Wir wollten ge-
                                     ein wahres schwarzes Loch für Kalorien“,        nau untersuchen, welche Moleküle für den
                                     sagt Priv.-Doz. Dr. Jörg Heeren, Leiter der     Fettstoffwechsel verantwortlich sind“, erläu-
                                     UKE-Forschungsgruppe. „Schon 50 Gramm           tert Dr. Heeren die Vorgehensweise des For-

32   Wissen und Forschen
Sie können auch lesen