STUDIEN zur Bedeutung der Luftfeuchte - SAISONALITÄT DER RESPIRATORISCHEN VIRALEN INFEKTIONEN - Condair
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STUDIEN zur Bedeutung der Luftfeuchte SAISONALITÄT DER RESPIRATORISCHEN Autoren: Miyu Moriyama,1 VIRALEN INFEKTIONEN Walter J. Hugentobler,2 und Akiko Iwasaki1,3,4 Originaltitel: Schlüsselwörter Seasonality of Respiratory Viral Infections Atemwegsinfektion, antivirale Immunantworten, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Saisonalität, Raumklima, Außenklima Literaturstelle: https://www.annualreviews.org/doi/10.1146/ Zusammenfassung annurev-virology-012420-022445 Der saisonale Zyklus von respiratorischen Virusinfektionen ist seit Tausenden von Jahren bekannt. Jahr für Jahr wird die Bevölkerung der gemäßigten Klimazonen Veröffentlicht: von Erkältungs- und Grippewellen heimgesucht. Auch Viren wie das SARS-Corona- September 2020/Review in Advance virus (SARS-CoV) (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom, SARS) und das neu- first posted online on March 20, 2020 artigen SARS-CoV-2 verursachen Epidemien, die in den Wintermonaten aufgetre- ten sind. Der Mechanismus, welcher für die Saisonalität respiratorischer Virusinfektionen verantwortlich ist, wird seit vielen Jahren erforscht und disku- tiert. Die zwei wesentlichen Ursachen sind Veränderungen von Umweltparame- tern und menschliches Verhalten. Die Auswirkungen von Temperatur und Luftfeuchtigkeit auf die Infektiosität und die Übertragungsraten von respiratori- schen Viren sind gut belegt. Der große Einfluss von Umweltfaktoren, insbesondere der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit, auf die intrinsische, angeborene und __________________________________________ erworbene Immunantwort des Wirtes auf virale Infektionen der Atemwege wurde erst unlängst aufgedeckt. Wir fassen den Wissenstand zum Einfluss des Raumkli- 1 Department of Immunobiology, Yale University School of Medicine, New Haven, Connecticut 06520, mas und des Außenklimas auf die Saisonalität respiratorischer Virusinfektionen USA; E-Mail: akiko.iwasaki@yale.edu zusammen und diskutieren anhand aktuellster Studien die Faktoren, welche ver- 2 Institut für Hausarztmedizin, Universität Zürich und Universitätsspital Zürich, Schweiz CH-8091 antwortlich sind für die saisonal unterschiedlich ausfallende Immunantwort auf respiratorische Viren. 3 Department of Molecular, Cellular, and Developmental Biology, Yale University, New Haven, Connecticut 06512, USA 4 Howard Hughes Medical Institute, Chevy Chase, Maryland 20815, USA
Saisonalität der respiratorischen viralen Infektionen STUDIEN zur Bedeutung der Luftfeuchte Einführung Einer der ersten Berichte zur Winter-Saisonalität von Infektionserkrankungen der Atemwege ist im „Buch der Epidemien,” einem altgriechischen, von Hippokrates um 400 v. Chr. verfassten, Schriftstück zu finden (1). Seither konnten viele respiratori- sche Viren als Erreger und Verursacher von Epidemien identifiziert werden. Trotz großer Anstrengungen des öffentlichen Gesundheitssektors erfassen Epidemien mit viralen Atemwegsinfektionen immer noch Jahr für Jahr große Bevölkerungsan- teile und können bei anfälligen Personen zum Tod führen. Die geschätzten Kosten im Zusammenhang mit Erkältungskrankheiten belaufen sich in den USA auf 40 Mrd. USD pro Jahr (2) und mehr als 87 Mrd. USD jährlichen Kosten entstehen im Zusammenhang mit saisonalen Grippeepidemien (3). Dass winterliche Umweltbe- dingungen die Ausbreitung verschiedenster respiratorischer Virusinfektionen begünstigen, wird bestätigt durch das neuartige SARS-Coronavirus (SARS-CoV) (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom) und das neuartige SARS-CoV-2, die beide in den Wintermonaten aufgetreten sind (4–7). Eine steigende Zahl von Studien haben saisonale Faktoren identifiziert, welche Epidemien mit respiratorischen Viren direkt oder über die Beeinflussung der Ab- wehrbereitschaft in der Bevölkerung beeinflussen. Saisonale Änderungen von Tem- peratur, absoluter Luftfeuchtigkeit (AF), Sonnenlicht, Vitaminstatus, virale Faktoren und das Verhalten der Bevölkerung wurden als Faktoren identifiziert (8–16), Abbil- dung 1. Umweltfaktoren beeinflussen die Anfälligkeit des Wirtes durch Modulie- rung der Abwehrmechanismen in den Atemwegen, wirken sich aber auch auf die Infektiosität und die Übertragung der respiratorischen Viren aus. Menschliche Ver- haltensmuster haben Einfluss auf die Kontaktraten zwischen infizierten und anfäl- ligen Personen. Die saisonalen Veränderungen der Temperatur und der AF wurden als entscheidende, auslösende Faktoren identifiziert, die dem Anstieg respiratori- scher Virusinfektionen im Winter vorausgehen (12, 15–18). Ein Schwerpunkt dieser Review liegt auf den Auswirkungen der Umweltfaktoren Temperatur und AF im Au- ßenbereich auf das Klima im Innenraum, auf Virusübertragung und Abwehrreaktion der Atemwege sowie auf die saisonale Zirkulation der Viren. Auswirkungen des saisonalen Außenklimas auf das Raumklima Der Begriff „saisonale Infektion“ assoziiert eine bestimmte Infektion mit einer spe- zifischen Jahreszeit. Der Bezug zwischen der Infektion und dem assoziierten saiso- Temperatur und Luftfeuchte nalen Klima wird unbewusst als kausal wahrgenommen. Dies war weitgehend zutreffend, solange die Menschheit in primitiven, nur minimalen Schutz bietenden Behausungen mehrheitlich im Freien lebte und arbeitete. Die industrielle Revolu- tion hat dies radikal verändert. Die fast ausschließlich landwirtschaftlichen Arbeits- plätze im Freien wurden in Fabriken und Büros verlagert. Der Lebensstil der Menschen entfernte sich zunehmend von der Natur und vom Außenklima. Dank der verbreiteten Einführung von Zentralheizungen und den zunehmend luftdichteren, gedämmten Gebäudehüllen, konnte eine gleichbleibende thermische Komfortzone in den Innenräumen realisiert werden. Die Exposition gegenüber den täglichen Schwankungen des Außenklimas ging mehr und mehr verloren. Die Abweichungen zwischen Außen- und Innenklima sind im Winter ganz besonders ausgeprägt. Das Aufheizen der Raumluft führt zu einer massiven Differenz der Temperatur und der relativen Luftfeuchtigkeit (RF) zwischen Innenraum und Außenklima, bei identi- scher absoluter Luftfeuchtigkeit (AF). Messungen der relativen Raumluftfeuchtig- keit in 40 Wohnungen in New York (19) und in 6 hochwertigen Gewerbegebäuden 2
Saisonalität der respiratorischen viralen Infektionen STUDIEN zur Bedeutung der Luftfeuchte im Mittleren Westen (20) haben gezeigt, dass im Winter die relative Raumluftfeuch- tigkeit durchschnittlich unter 24% lag. Die niedrige absolute Feuchtigkeit (AF) der kalten Außenluft führt durch das Aufheizen der Raumluft in den Komfortbereich zwischen 20 und 24°C zu einer sehr niedrigen relativen Luftfeuchtigkeit (RF) im In- nenraum. Die Anzahl der direkten Kontakte zwischen Menschen ist an Werktagen erheblich höher als am Wochenende. Örtliche Wetterbedingungen wie Regen, Sonnenschein und Kälte haben hingegen nur geringfügige Auswirkungen auf Art- und Häufigkeit der zwischenmenschlichen Kontakte (21). Dieses Ergebnis stehen im Widerspruch zur häufig vertretenen Ansicht, dass schlechtes Wetter sich auf die Saisonalität von Infektionen auswirke, da sich die Bevölkerung vermehrt in den Gebäuden aufhalte. In der industrialisierten Welt von heute interagieren, arbeiten, schlafen und pendeln die meisten Menschen in geschlossenen Räumen. Sie verbringen so 90% ihrer Le- benszeit in abgegrenzten Räumen, wo sie sich mit anderen Menschen eine be- grenzte Menge Atemluft teilen (22, 23). Abbildung 1 Faktoren, die die Übertragung von respiratorischen Viren beeinflussen. Saisonale Umweltfaktoren modulie- ren die Immunantworten der Atemwege des Wirtes und beeinflussen die Infektiosität und die Übertragungs- wege von respiratorischen Viren. Menschliches Verhalten hat einen Einfluss auf die Kontaktraten zwischen infizierten und anfälligen Personen. Abkürzungen: AF, absolute Luftfeuchtigkeit; RF, relative Luftfeuchtigkeit. 3
Saisonalität der respiratorischen viralen Infektionen STUDIEN zur Bedeutung der Luftfeuchte Das bedeutet, dass die überwältigende Mehrheit der Mensch-zu-Mensch-Über- tragungen in Innenräumen geschehen muss. Demzufolge sind das Raumklima und die Luftaustauschrate, moduliert durch das saisonale Außenklima, die Hauptfaktoren, die das saisonale Muster der Epidemiologie prägen und nicht das Aussenklima. Der Aufenthalt im Freien hat jedoch großen Einfluss auf die Immunabwehr der Atemwege, obwohl die allermeisten Menschen sich nur 10% ihrer Lebenszeit im Freien aufhalten (24). Die in Abbildung 1 aufgeführten Fak- toren modulieren den raumzeitlichen Beginn und Verlauf saisonaler respirato- rischer Virusinfektionen. Mit Fokus auf die gemäßigte Klimazone werden wir die entscheidende Rolle der Umweltfaktoren für die Übertragung von respiratori- schen Viren und die Immunantwort des Wirtes erörtern. Saisonalität der respiratorischen Viren in der Bevölkerung Bis heute wurden mindestens neun verschiedene Viren als häufige Erreger von Atemwegserkrankungen identifiziert (25, 26). Gemäß epidemiologischen Stu- dien sind in der gemäßigten Klimazone bei den meisten respiratorischen Viren saisonale Schwankungen zu beobachten (Abbildung 2). Abbildung 2 Schema zur Saisonalität respiratorischer Virusinfektionen in gemäßigten Klimazonen. Respiratorische Viren werden gemäß ihren saisonalen Präferenzen in drei Kategorien unterteilt. Das Influenzavirus (Grippe), das humane Coronavirus (HCoV, Stämme OC43, HKU1, 229E und NL63) und das humane respiratorische Synzytialvirus (RSV) kommen gehäuft im Winter vor (Winterviren). Das Adenovirus, das humane Bocavirus (HBoV), das Parainfluenzavirus (PIV), das humane Metapneumovirus (hMPV) und das Rhinovirus können ganz- jährig beobachtet werden (ganzjährige Viren). Die saisonalen Muster des PIV sind typspezifisch. Epidemien mit dem PIV Typ 1 (PIV1) und PIV Type 3 (PIV3) erreichen ihre Höhepunkte jeweils im Herbst und im Sommer. Nicht-Rhionvirus-Enteroviren treten im Sommer gehäuft auf (Sommerviren). Influenzaviren, humane Coronaviren und die humanen respiratorischen Synzyti- alviren (RSV) kommen gehäuft in den Wintermonaten vor (aus diesem Grund werden sie gelegentlich als Winterviren bezeichnet) (14, 27–31). Die Adenoviren, das humane Bocavirus, das humane Metapneumovirus (hMPV) und die Rhino- viren können hingegen das ganze Jahr über beobachtet werden (ganzjährige Viren) (30–32). Bei einigen Enteroviren steigt die Nachweishäufigkeit und die Fallzahlen im Sommer (Sommerviren) (33, 34). Auch wenn die Infektionsraten im Frühling und Herbst ihre Spitzenwerte erreichen, steigt der Schweregrad der durch das Rhinovirus verursachten Infektion im Winter an (35, 36). Beim Parainfluenzavirus (PIV) ist darüber hinaus ein typspezifisches Muster 4
Saisonalität der respiratorischen viralen Infektionen STUDIEN zur Bedeutung der Luftfeuchte des saisonalen Auftretens zu verzeichnen (37) (Abbildung 2). Replikationskonflikte unter respiratorischen Viren könnten dazu beitragen, dass sich die Spitzeninzidenzen nicht zeitlich überschneiden. Eine Konflikt zwischen res- piratorischen Viren kann abgeleitet werden aus der epidemiologischen Beobach- tung, dass Influenzaviren und RSV nie gleichzeitig ihren Häufigkeitsgipfel erreichen, obwohl beide ausschließlich im Winter auftreten (38). Während der Influenza-Pan- demie im Jahr 2009 konnte beobachtet werden, dass die hohe Prävalenz der Rhino- viren den Beginn der Influenza-Pandemie in Europa verzögerte (39, 40). Eine neue Studie mit statistischem Ansatz konnte eine stark negative Wechselwirkung zwi- schen dem Influenzavirus A und dem Rhinovirus, sowohl auf Populations- als auch auf individueller Ebene aufzeigen (41). Es werden mehrere mögliche Mechanismen der Interferenz diskutiert, darunter die Blockierung des Virus-Rezeptors auf der Zell Oberfläche, Zelltod oder die Interferon-Antworten des Wirtes (41–43). Schützende, von Antikörpern ausgehende Interferenzen wurden als Erklärung für den Konflikt zwischen genetisch ähnlichen Viren wie PIV, hMPV und RSV vorgeschlagen (44). Auswirkungen von Umweltfaktoren auf die Stabilität und Übertragung von respiratorischen Viren Eine respiratorische Virusinfektion kann erfolgen durch (a) direkten/indirekten Kon- Übertragungswege takt, (b) Tröpfchen-Spray bei Übertragung in unmittelbarer Nähe oder (c) Aero- sol-Übertragung über eine größere Distanz (Luftübertragung) (45). Luftübertragung erfolgt, wenn ein Tröpfchen-Spray aus großen und kleinen Tröpfchen durch direkten oder indirekten Kontakt auf die Schleimhäute gelangt bzw. durch Einatmung von grö- ßeren aerogenen Tröpfchen (Durchmesser >10 μm) oder kleinen Tröpfchen-Kernen (Durchmesser
Saisonalität der respiratorischen viralen Infektionen STUDIEN zur Bedeutung der Luftfeuchte Daher wirkt sich die RF auf alle Übertragungswege aus, vor allem jedoch auf die Luftübertragung. Übertragungsstudie mit Tieren (Meerschweinchen und Frettchen) Luftübertragung haben gezeigt, dass bei hoher RF (>60 %) und niedriger RF (
Saisonalität der respiratorischen viralen Infektionen STUDIEN zur Bedeutung der Luftfeuchte Fälle eine Übertragung zuließ. Eine Erklärung für dieses Ergebnis könnten die bei 5°C verringerte mukoziliäre Clearance (MCC) und/oder die höhere Infektiosität der in den Schleimhäuten der oberen Atemwege verbleibenden Viren sein (52). Eine weitere Erklärung wäre, dass die AF bei 5°C (~5,5 g/m3) niedriger ist als bei 20°C (~14 g/m3), bei identischer RF (80%). Im Gegensatz zu gemäßigten Klimazonen weisen respiratorische Infektionen in tropischen Regionen keine eindeutig saisonale Häufigkeitsverteilung auf. Eine Stu- die konnte zeigen, dass bei 30°C unabhängig von der Höhe der Luftfeuchtigkeit, keine Aerosolübertragung mehr möglich ist. Die Raten der Kontaktübertragung hin- Kontaktübertragung gegen waren bei 30°C und 20°C vergleichbar (53). Basierend auf dieser Erkenntnis, stellten Lowen & Palese die Hypothese auf (47), dass die Aerosol-Übertragung im Winter in gemäßigten Klimazonen der dominierende Übertragungsweg ist, weil das trockene und warme Raumklima die Stabilität von Influenzaviren in ausgetrockne- ten Tröpfchen-Kernen begünstigt, sie über lange Zeit in der Luft verbleiben und die Bedingungen damit ideal sind für die Aerosolübertragung. Kontakt-Übertragungen sind dagegen in den Tropen der Hauptübertragungsweg, weil Tröpfchen im feucht- warmen Klima weniger Wasser verdampfen und die schwereren Tröpfchen rascher auf den Oberflächen sedimentieren und von dort als Schmierinfektionen weiter übertragen werden. Diese Hypothese wird in Tabelle 1 ausführlich dargestellt. Sie hat Auswirkungen auf die sinnvollen Maßnahmen des öffentlichen Gesundheits- sektors gegen respiratorische Virusinfektionen in unterschiedlichen Klimazonen. Auch mit Frettchen wurde der Einfluss der Umweltbedingungen auf die Übertra- gung des Influenzavirus untersucht (54). In Übereinstimmung mit früheren Mäuse- und Meerschweinchen-Studien wurde festgestellt, dass die Effizienz der Aerosol-Übertragung bei Temperaturen unter 23°C und einer RF von weniger als 30% am höchsten und bei 23°C/50% RF und 5°C/70% am niedrigsten war. Dass niedrige RF die Aerosol-Übertragung von Influenzaviren erleichtert, wurde damit übereinstimmend in allen Tiermodellen festgestellt. Dass die Aerosol-Übertragung Geringe Übertragung bei mittlerer von Grippeviren bei mittlerer RF am wenigsten effizient ist, war eine Erkenntnis aus Luftfeuchte allen Tierversuchen. Lowen et al. (52) stellten fest, dass die Aerosol-Übertragung zwischen Meerschweinchen bei einer mittleren RF von 50% (20°C) nicht erfolgreich war. Sowohl bei niedriger RF (20–35%) als auch bei hoher RF (65%) war das Grippe- virus jedoch einfach über die Luft übertragbar. Auch die Übertragungsraten zwi- schen Frettchen waren bei 30% und 70% RF höher als bei einer mittleren Luftfeuchtigkeit von 50% (alle Versuche bei 20°C) (54). Diese Ergebnisse steht im Einklang mit Resultaten aus früheren Mäuse-Versuchen (70). Sie haben die Erkran- kungsinzidenz von Mäusen untersucht, die in unterschiedlicher relativer Luftfeuch- tigkeit bei 22–24°C einem Influenza-Aerosol ausgesetzt wurden. Bei mittlerer RF (40–60%) überlebten 77,5% der exponierten Mäuse, obwohl dasselbe Aerosol bei 23% RF alle exponierten Mäuse tötete. Alle Untersuchungen belegen, dass 40% bis 60% die ideale Luftfeuchtigkeit ist, um Aerosol-Übertragung respiratorischer Viren bei Raumtemperatur zu reduzieren. 7
Saisonalität der respiratorischen viralen Infektionen STUDIEN zur Bedeutung der Luftfeuchte Abbildung 3: Wirkung von Umweltfaktoren auf die Abwehrmechanismen der Atemwege des Wirtes. Die saisonalen Änderungen von Temperatur und Wassergehalt der eingeatmeten Luft beeinflussen die Abwehrkräfte der ex- trathorakalen und trachealen Schleimhaut sowohl bereits infizierter als auch noch gesunder Personen. Der immunologische Teil der Auswirkung erstreckt sich aus unbekannten Gründen auch auf die Lungenperipherie und das Lungengewebe, obwohl das Milieu distal der Trachea vom Raumklima unbeeinflusst bleibt. Abkür- zung: IFN, Interferon. Effekte von Umweltfaktoren auf die Abwehrmechanismen der Atemwege gegen Viren Die Schleimhaut der Atemwege ist kontinuierlich der eingeatmeten Umgebungs- luft ausgesetzt, die flüchtige und nichtflüchtige Schadstoffe und potenziell gefähr- liche Pathogene enthält. Mehrstufige Abwehrmechanismen in den Atemwegen des Wirtes sollen eine Infektion durch eindringende respiratorische Viren verhindern (73). Es wurde nachgewiesen, dass saisonale Schwankungen der Temperatur und Luftfeuchtigkeit in der Atemluft auf mehreren Ebenen direkte Auswirkungen auf die Abwehrbereitschaft der Schleimhaut der Atemwege haben (Abbildung 3). Intrinsische Barrieren Die intrinsische Barriere bildet die erste Verteidigungslinie der Atemwege gegen res- piratorische Viren. Da die Atemwegsepithelien in verschiedenen Abschnitten der Atemwege unterschiedlich aufgebaut sind, kann von einer „Durchmesser-abhängi- gen“ Barrieren-Funktion der Atemwege gesprochen werden (73). Die Epithelzellen bilden eine wirksame mechanische Barriere und sind zusammen mit dem Schleimbe- lag für die MCC verantwortlich. Der von Becherzellen und submukösen Drüsen der luftleitenden Atemwegen gebildete Schleim ist auch eine chemische Barriere (74). Schleimproduktion Ein eingeatmetes Virus muss zu den Epithelzellen vordringen können, um in die Wirtszelle einzudringen. Die Schleimschicht fängt die Viren effizient ab, bevor sie in die Wirtszellen eindringen können (Abbildung 4). Von den Drüsen in der Lamina propria gebildeter Schleim wirkt als mechanische und durch seine antimikrobiellen Eigenschaften auch als chemische Barriere (74, 75). Der Schleimbelag besteht aus 93–97% w/w Wasser, 3–7% w/w Feststoffen, 1–3% w/w Glykoproteinen, 1% w/w 8
Saisonalität der respiratorischen viralen Infektionen STUDIEN zur Bedeutung der Luftfeuchte Proteinen, 0,5–1% w/w Lipiden und 0,70–1,4% w/w Mineralstoffen (76). Die wich- tigsten Glykoproteine im Schleim der Atemwege sind die sekretorischen Muzin-Pro- teine MUC5AC und MUC5B (77). Kaltes Klima wird oft mit einer Verschlechterung der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) in Verbindung gebracht, die sich als Atemwegsobstruktion, Entzündung und Schleim-Hypersekretion äußert (78, 79). Abbildung 4: Wirkung trockener Luft auf die mukoziliäre Clearance. (a) Eine angemessene Schleimhydrierung ist für den effizienten Schleimtransport erforderlich. (b) Durch trockene Atemluft verursachte Dehydrierung führt zu erhöhter Viskoelastizität der Schleimschicht und immobilisiert die Zilien, die durch die verringerte Höhe der dehydrierten periziliären Schicht nach unten gedrückt werden. In normalen humanen bronchialen epithelialen Zellen (NBHE), die von COPD-Pa- tienten isoliert wurden, wird das Expressionsniveau des TRPM8 (Transient Rezeptor Potential Melastatin 8, ein Kälterezeptor) hochreguliert (82) durch Temperaturen unter 27°C oder Kältemittel, wie z.B. Menthol (80, 81). Darüber hinaus wird die MUC5AC-Sekretion auf eine TRPM8-abhängige Weise durch Kälte- (18°C) oder Men- thol-Behandlung erhöht (82, 83). Eine andere Studie untersuchte die Auswirkungen von Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Flow der Atemluft auf die Schleimsekretion von humanen, nasalen Epithelzell-Kulturen in einer Klimakammer (84). Die Schleim- bildung erhöhte sich unter 25°C, 40% RF, im Vergleich zu 37°C, 80% RF. Ein erhöhter Flow steigert die Mucinbildung unter 25°C, 40% RF, jedoch nicht bei 37°C, 80% RF. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Beeinträchtigung der MCC unter niedrigen Tem- peraturen und Luftfeuchtigkeit auch durch eine Hypersekretion von Schleim be- dingt ist. Intaktheit der Atemwegsepithelien Die Atemwege sind ausgekleidet von einer Typ I Schleimhaut, die von einer einzelli- gen, epithelialen Schicht bedeckt ist (85). Dieses Epithel ist die zweite Verteidi- Schädigung Atemwege gungslinie nach der Schleimschicht und bildet eine physische Barriere gegen Schädigungen aller Art. Eine rasche Reparatur des Epithels ist für die Erhaltung der Unversehrtheit der Atemwege entscheidend. Eine Meerschweinchen-Studie konnte zeigen, dass eine experimentell verletzte epitheliale Oberfläche der Atemwege in- nerhalb von 8 bis 15 Stunden repariert werden kann (86). Die epithelialen Zellen am Rande des beschädigten Bereiches migrieren und verflachen sich, decken so den 9
Saisonalität der respiratorischen viralen Infektionen STUDIEN zur Bedeutung der Luftfeuchte beschädigten Bereich schnell ab, gefolgt von einer vollständigen Re-Epithelisierung (86). Das Einatmen trockener Luft führt zu einem Verlust Zilien tragender Epithel- zellen in der Luftröhre von Meerscheinchen, der Ablösung der Epithelien von der Basalmembran und einer Entzündungsreaktion (87). Zudem konnte gezeigt werden, dass die Reparatur epithelialer Zellen in der Lunge nach einer Influenzavirus-Infek- tion beeinträchtigt war, wenn Mäuse vorgängig trockener Luft ausgesetzt waren (88). Geschädigte Atemwegsepithelien durch Einatmung trockener Raumluft könn- ten bei Winterepidemien von respiratorischen Viren eine Rolle spielen. Mukoziliäre Clearance Die MCC ist ein wichtiger Mechanismus für die Beseitigung eingeatmeter Patho- gene und Reizstoffe von der Oberfläche respiratorischer Epithelien (75). Die dop- pelte Schleimschicht mit unterschiedlichen Viskositäten ist Voraussetzung für eine effiziente MCC (Abbildung 4). Die gegen den Luftstrom gerichtete, klebrig-visköse Schleimschicht dient dem Selbstreinigung Schleimhäute Abfangen von Mikropartikel und Mikroorganismen. Die wässrige, periziliäre Schicht, in der sich die Zilien bewegen, überträgt die Bewegung der Zilien auf die oberfläch- liche Schleimschicht. Der mit Mikroorganismen und Partikeln beladene Schleim wird bei Mäusen zur Nasenöffnung hin und beim Menschen Richtung Kehlkopf be- wegt. Hier kann der Schleim und die anhaftenden Partikel und Mikroben geschluckt oder ausgehustet werden (75). Die Einatmung kalter Luft, die immer auch trocken ist, da kalte Luft nur eine begrenzte Wasserspeicherkapazität besitzt, führt zu einer Beeinträchtigung der MCC. Die Wirkung der Umgebungstemperatur auf die Schlag- frequenz der Zilien von nasalen und trachealen Zilien tragenden, humanen Zellen wurde untersucht. Die Schlagfrequenz verlangsamt sich, wenn die Temperatur unter 20°C sinkt und wird bei 5°C ganz eingestellt (89). In einem anderen Experi- ment wurde die MCC bei verschiedenen physiologischen Bedingungen untersucht. Die Einatmung kalter Luft führte, bei lebenden Hühnern beobachtet, zu einer Ver- langsamung der MCC Transportgeschwindigkeit (83). Eine ganz aktuelle Studie hat gezeigte, dass die Präinkubation von Mäusen in einer Umgebung mit niedriger RF (10%) die MCC im Vergleich zu 50% RF deutlich verschlechtert. Dies hatte zudem eine verminderte virale Clearance nach einer Influenzavirus-Infektion zur Folge (88). Da die Effizienz der MCC von der Aufrechterhaltung von zwei Schichten unter- schiedlicher Viskosität und damit von einem sensiblen osmotischen Gleichgewicht abhängig ist, spielt die ausreichende Schleimhydrierung für den effizienten Schleim- transport eine entscheidende Rolle. Die Untersuchung der Auswirkungen unter- schiedlich temperierter und befeuchteter Atemluft auf den Schleimbelag der Atemwege hat gezeigt, dass 100% RF bei Kerntemperatur die optimalen Bedingun- gen sind für einen effizienten Schleimtransport und eine optimale Immunabwehr (90). Das Atmen von Luft mit tiefer Luftfeuchtigkeit verursacht eine Schleimhautau- Weniger Schleimtransport bei tiefer strocknung und verringert die MCC. Der Wasserverlust aus der oberflächlichen Luftfeuchtigkeit Schleimschicht überträgt sich auf die periziliäre Schicht, verringert deren Höhe und immobilisiert die Zilien welche niedergedrückt werden (75) (Abbildung 4). Die Aus- wirkungen unterschiedlicher Feuchtigkeit auf die nasale, tracheale und bronchiale MCC sind bei Tieren gut erforscht, beim Menschen in vivo jedoch nur sehr einge- schränkt möglich (88, 90, 91). Beim Menschen wurde die nasale MCC mehrfach untersucht (92–94). Die Studien haben gezeigt, dass die nasale MCC bei jungen, gesunden Menschen (92) nicht durch trockene Atemluft beeinträchtigt wurde. Bei 174 Probanden unterschiedli- 10
Saisonalität der respiratorischen viralen Infektionen STUDIEN zur Bedeutung der Luftfeuchte chen Alters und Geschlechts wurde jedoch gezeigt, dass eine schrittweise Verringe- rung der RF der Atemluft von 70% auf 20% die MCC ebenfalls schrittweise verringerte (93). Eine andere Studie ergab, dass die mukoziliäre Fließ-Geschwindig- keit auch durch den Nasenzyklus beeinflusst wird (94). Die Beatmung von narkoti- sierten Patienten mit nicht erwärmten (
Saisonalität der respiratorischen viralen Infektionen STUDIEN zur Bedeutung der Luftfeuchte voraus (18). Wie kann sich niedrige AF auf saisonale Grippeepidemien auswirken? Wie erwähnt, führt eine niedrige AF zu einer niedrigen RF in den geheizten Innen- räumen. Der Auslöser AF führt im Innenraum zu tiefer RF, dem ursächlichen Faktor für den saisonalen Anstieg der Grippe im Winter. Eine aktuelle Studie, bei der Mäuse niedriger RF von 10–20% ausgesetzt wurden, konnte die gestellte Frage beantwor- ten. Der verwendete Mäusestamm mit einem funktionsfähigen Myxovirus-Resis- tenz-Protein (Mx1-Gen), das die Replikation des Influenzavirus einschränkt, fehlt den meisten Inzucht-Mausstämmen (102). Die Studie zeigte, dass Mx1-Mäuse, die bei einer RF von 10–20% gehalten wurden, schneller dem Influenzavirus erlagen als diejenigen, die bei 50% RF gehalten wurden. Die Studie fand mindestens drei eigen- Drei Mechanismen für Grippe- ständige Mechanismen, welche die Grippe-Anfälligkeit der Mäuse bei niedriger Anfälligkeit Luftfeuchtigkeit erklären können. Erstens war die MCC bei niedriger Luftfeuchtigkeit stark beeinträchtigt (88). Zweitens wurde durch die niedrige Luftfeuchtigkeit der Mechanismus zur Reparatur der Atemwegsepithelien beeinträchtigt. Drittens zeigte eine Analyse der Einzelzell-RNA-Sequenzierung im Lungengewebe, dass der Einfluss der trockenen Luft die globale ISG-Expressionen nach einer intranasalen Influenzavirus-Infektion vermindert (88). Bemerkenswert war auch die Feststellung, dass die ISG-Expression nicht nur in den epithelialen Zellen der Atemwege beein- trächtigt war, sondern auch in den Zelltypen im übrigen Lungengewebe. Wie tro- ckene Luft sich im Detail auf die IFN-Antwort der Atemwege auswirkt, ist derzeit noch nicht bekannt. Andere angeborene Abwehrmechanismen Direkte Pathogen-Clearance durch Phagozytose und Bildung reaktiver Sauerstoffspe- zies (reactive oxygen species, ROS) spielen eine bedeutende Rolle als nicht spezifische Immunreaktionen. Saisonale Schwankungen der Tageslichtdauer modulieren die Ak- Tageslicht tivität der Säugetiere durch Melatonin Impulse (9). Bei sibirischen Hamstern, die einer kurzen Tageslichtdauer (8 h) ausgesetzt waren, konnten im Vergleich zu denjenigen, die der langen Tageslichtdauer (16 h) ausgesetzt waren, verringerte Phagozyten Akti- vitäten und ROS-Bildung von Granulozyten und Monozyten beobachtet werden (103). Im Gegensatz dazu erhöhte sich bei der kurzen Tageslichtdauer die Zytotoxizität der natürlichen Killerzellen. Auch die Vitamin D-Biosynthese wird durch Sonnenlicht be- einflusst. Im Winter tritt häufiger ein Vitamin D-Mangel auf, der wahrscheinlich auf das unzureichende Sonnenlicht zurückzuführen ist (10). In in-vitro-Kulturen von Ma- krophagen aus dem Knochenmark von Mäusen mit Vitamin D-Mangel, war die Mak- rophagen-Reifung, die Bildung von Oberflächen-Antigenen und von lysosomalen Enzymen sowie die H2O2-Bildung vermindert (104). Zusammengefasst weisen die Resultate darauf hin, dass die kurze Tageslichtdauer im Winter ein Einflussfaktor ist, der die angeborenen Immunmechanismen schwächt. Virusspezifische adaptive Immunität Adaptive Immunität bietet einen sehr spezifischen und langfristigen Schutz gegen infektiöse Erreger. Die Initialisierung der adaptiven Immunität beginnt, wenn anti- gen-präsentierende Zellen die naiven virusspezifischen T-Zellen stimulieren. Dies führt zu deren Aktivierung und Differenzierung in Effektor-T-Zellen, welche die an- tivirale Immunantworten an den Ort der Infektion heranführen (105). Follikuläre T-Helfer-Zellen sind entscheidend für die Unterstützung der B-Zellen-Aktivierung und -Differenzierung zur Bereitstellung antiviraler Antikörper-Reaktionen (106). Eine verstärkte Antwort der Effektor-T-Zellen im Zusammenhang mit Anti- 12
Saisonalität der respiratorischen viralen Infektionen STUDIEN zur Bedeutung der Luftfeuchte tumor-Immunität (107, 108) sowie bei Transplantat-versus-Wirt-Erkrankung (GVHD) (109) konnte bei Mäusen, die bei erhöhten Temperaturen gehalten wurden, Umgebungstemperatur beobachtet werden. Das Halten von Mäusen bei 30°C, einer thermoneutralen Tem- peratur für Mäuse, konnte das Tumorwachstum im Vergleich zur üblichen Kä- fig-Temperatur von 22°C durch eine erhöhte Anzahl von antigenspezifischen CD8+ T-Zellen unterdrücken (107). Auch die Ansprechrate auf eine Pankreas-Krebsbe- handlung bei Mäusen war höher bei 30°C Umgebungstemperatur als bei 22°C (108). Die Transplantation von Knochenmarkzellen mit unvereinbaren Histokompa- tibilitätskomplexen löst eine Abstoßungsreaktion aus, wenn die Mäuse bei 30°C gehalten werden, während bei 22°C keine Immunreaktion erfolgt (109). Die Studien zeigen, dass die Umgebungstemperatur des Wirtes sich auf alle adaptiven Immun- antworten auswirkt. Impfstoffe sollten deshalb wohl bei optimaler Temperatur ver- abreicht werden, um maximale Immunität erzeugen zu können. Im Kontext mit respiratorischen Virusinfektion deutete eine aktuelle Studie dar- auf hin, dass eine hohe Umgebungstemperatur, die eine Hitzewelle im Sommer nachahmt, die virusspezifische adaptive Immunität auf eine Influenzavirus-Infek- tion bei Mäusen schwächt (101). Die Studie zeigte, dass bei Mäusen, die Hitze aus- gesetzt wurden (36°C), die virusspezifischen Immunantworten der CD8+ T-Zellen und die Antikörperbildung nach einer nasal induzierten Influenzavirus-Infektion abgeschwächt waren. Die abgeschwächten antiviralen Immunantworten konnten teilweise durch Gabe von Glukose oder kurzkettigen Fettsäuren verbessert werden. Das weist darauf hin, dass Ernährung und das Mikrobiom bei einer durch Hitze her- vorgerufenen Immunschwäche eine Rolle spielen. Gemäß den Daten des Centers for Disease Control and Prevention (CDC) traten allen sechs Influenza-Pandemien, die auf der Nordhalbkugel von 1957 bis 2009 verzeichnet wurden, im Frühling bis Som- mer auf (110). Die Bedeutung von abnormen Temperaturschwankungen für Grip- pe-Pandemien wächst mit zunehmenden Auswirkungen der globalen Erwärmung und des Klimawandels weiter. Auswirkungen von Umweltfaktoren auf die Toleranz gegenüber Infektionen mit respiratorischen Viren Mit Toleranz wird ein Reaktionsverhalten des Organismus auf Infektionen beschrie- ben, das abzielt auf die Begrenzung der Gewebeschädigung, ausgelöst durch die Immunantwort des Wirtes, ohne direkt den Erreger zu attackieren (111). Zum Bei- spiel werden tödliche Krankheitsfolgen einer Grippe-Infektion bei kongenen Mx1-Mäusen mit einem TLR7- und MAVS-Mangel bei fehlender Caspase-1/11 tole- riert, ohne dass die Viruslast beeinflusst wird (102). Die Studie zeigte, dass der töd- liche Verlauf einer Grippe-Infektion bei fehlender angeborener Immunität durch die von der Inflammasom-Aktivierung abhängige Neutrophilen-Aktivierung herbeige- führt wird. Bei kongenen Mx1-Mäusen, die niedriger Luftfeuchtigkeit ausgesetzt waren, wurde eine erhöhte Sterblichkeit, Gewichtsabnahme und pulmonale Viruslast nach einer Grippe-Infektion nachgewiesen (88). Darüber hinaus wurden im Lungenge- webe dieser Mäuse schwere Gewebeschädigungen nach der Grippe-Infektion be- obachtet. Ein Caspase-1/11-Mangel schützt infizierte Mäuse, die vorher trockener Luft ausgesetzt waren, vor Erkrankung und Tod. Die Untersuchung zeigte weiter, dass Mäuse die über keine Inflammasom-Caspasen verfügten, Infektionen tolerie- ren konnten, auch wenn sie bei niedriger Luftfeuchtigkeit gehalten wurden. Dieses Erkenntnis kann auch auf andere Situationen übertragen werden, in denen die an- 13
Saisonalität der respiratorischen viralen Infektionen STUDIEN zur Bedeutung der Luftfeuchte geborene antivirale Immunität geschwächt ist, wie zum Beispiel bei älteren Perso- nen (112). Die Beeinflussung der Inflammasom-Caspasen kann ein therapeutisches Fenster aufmachen, um Folgeschäden einer Infektion mit Influenza durch bessere Krankheitstoleranz entgegenzuwirken. Schlussbemerkungen und zukünftige Entwicklungen Da die nasale und tracheale Schleimhaut beim Atmen der Umgebungsluft ausge- setzt ist, wird sie von deren Temperatur und Feuchtegehalt beeinflusst (74). Das Einatmen sehr trockener Luft führt zu epithelialen Schäden, Beeinträchtigung der MCC und erhöhter Schleimbildung (84, 87, 88). Eine Beeinträchtigung der ISG-Ex- pression und der Gewebereparatur sowie eine erhöhte Viruslast und Sterblichkeit nach einer Influenzavirus-Infektion konnten bei Mäusen nachgewiesen werden, die 7 Tage lang einer niedrigen RF von 10–20% ausgesetzt waren (88). Der schwere Mittlere Luftfeuchtigkeit reduziert Krankheitsverlauf nach Aufenthalt in trockener Luft wird durch Aktivierung von In- Atemwegsinfektionen flammasom-Caspasen herbeigeführt. Zudem führt die Einatmung trockener Luft zu einer Beeinträchtigung der MCC und einer erhöhten Schleimbildung (82, 83, 89). Niedrige Temperaturen schwächen die von Typ I IFN induzierten und die IFN-unab- hängige antivirale Abwehr nach einer Rhinovirus-Infektion (99, 100). Im Gegensatz dazu werden bei Mäusen, die Hitzewellen-Temperaturen ausgesetzt waren, die vi- russpezifischen adaptiven Immunantworten geschwächt (101). Die Tierstudien zeigen eindrückliche Auswirkungen der Umweltbedingungen auf jeden Aspekt der Immunantwort des Wirtes auf respiratorische Infektionen. In zahlreichen Interventionsstudien mit Schul- und Kindergartenkindern, Office- personal und Soldaten konnte gezeigt werden, dass die Erhöhung der Luftfeuchtig- keit von niedrigen auf mittlere Werte die Zahl der respiratorischen Infektionen und Arbeitsabsenzen reduzierte (113, 123-127). Die Mensch-zu-Mensch-Übertragung des SARS-CoV-2 in Wuhan, China, begann im Dezember 2019 (4, 5). SARS-CoV-2 ist ein naher Verwandter des SARS-CoV (114), dessen Ausbreitung im Winter 2002– 2003 begann (6, 7). Die Expression des Rezeptors für SARS-CoV-2 und SARS-CoV, das Angiotensin-konvertierende Enzym 2, ACE2 (114, 115), scheint in einer kleinen Po- pulation der Typ-II-Alveolar Zellen konzentriert zu sein. Wir spekulieren, dass nied- rige Luftfeuchtigkeit und Temperatur die Infektiosität von SARS-CoV-2 in Tröpfchen Covid-19 erhöht. Die gleichzeitige Beeinträchtigung der MCC und der angeborenen Immun- abwehr erlaubt eine starke Virenvermehrung in den Atemwegen und erleichtert so die Viren-Übertragung. Da die Atemwege, in denen sich Typ-I- und Typ-II-Alveolar Zellen befinden, nicht durch respiratorische Tröpfchen mit einem Durchmesser von mehr als 5 Mikrometern erreichbar sind (45, 46), wäre es naheliegend, dass zumin- dest die schweren Fälle von COVID-19 mit viraler Lungenentzündung durch Luftübertragungen mit Aerosol-Tröpfchen kleiner 5 µm erfolgten. Eine aktuelle Stu- die, die die Variabilität der Reproduktionszahlen von COVID-19 in China untersuchte, ergab, dass die Ausbreitung des Virus nicht nur in trockenen und kalten Regionen erfolgt (117). Der genaue Zusammenhang zwischen Temperatur, Luftfeuchtigkeit und COVID-19 wird sich wohl erst deutlicher zeigen, wenn der Sommer die Nord- halbkugel erreicht haben wird. Saisonale Änderungen der Umweltfaktoren wirken sich nicht nur auf lokale Ab- Temperatur, Luftfeuchte, Licht wehrmechanismus aus, sondern können auch systemische, physiologische Verän- derungen bewirken. Die Haltung von Mäusen bei thermoneutraler Temperatur verstärkt die Antitumor-Immunität und das Auftreten von Gewebe-Abstoßungsre- aktionen (107–109). Kurze Tageslichtdauer und der damit verbundene Vitamin 14
Saisonalität der respiratorischen viralen Infektionen STUDIEN zur Bedeutung der Luftfeuchte D-Mangel schwächen die spezifische Immunantwort (103, 104). Die Kombination von niedriger Luftfeuchtigkeit und Temperatur mit wenig Sonnenlicht führt zu einer Beeinträchtigung der lokalen und systemischen antiviralen Abwehrmechanismen, was generell die erhöhte Anfälligkeit des Wirtes gegenüber respiratorischen Viren im Winter erklärt (Abbildung 5). Ein Teil der vorgestellten Studien untersuchte die Wirkung von Umweltfaktoren auf die Infektiosität und die Übertragungseffizienz von respiratorischen Viren. An- dere untersuchten die Auswirkungen von Umweltfaktoren auf die Abwehr des Wir- tes und die zugrundeliegenden molekularen Mechanismen. Zusammengenommen erklären sie den saisonalen Anstieg von Erkältungs- und Grippe-Erkrankungen im Winter. Einige respiratorische Virusinfektionen erreichen allerdings ihre Häufigkeits- gipfel im Frühling oder Sommer. Eine Erklärung hierfür ist ein möglicher Replikati- onskonflikt zwischen respiratorischen Viren. Experimentelle Co-Infektionen von respiratorischen Winterviren und Frühlingsviren im Tiermodell könnten neue Er- kenntnisse liefern zu den noch unbekannten Mechanismen, welche Frühlings- und Sommer-Epidemien steuern. Eine weitere, bislang nicht erklärbare Beobachtung wurde 1963 von Schulmann publiziert (65). Selbst bei strengster Kontrolle der Um- gebungsbedingungen in den Mäuse-Käfigen (22,2°C, 50% RF, kontrollierter Hell-Dunkel-Zyklus) war die Übertragungsrate des Grippevirus höher, wenn die Ex- perimente im Winter (November bis April, 58,2% Übertragungsrate) durchgeführt wurden als im Sommer (Mai bis Oktober, 34,1% Übertragungsrate) (65). Es ist des- halb wahrscheinlich, dass es zusätzlich zu Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Licht weitere, von den Jahreszeiten abhängige Umweltfaktoren gibt, die zu höheren Zah- len von Gripperkrankungen in den Wintermonaten beitragen. Abbildung 5: Mögliche Mechanismen einer erhöhten Anfälligkeit des Wirtes gegenüber respiratorischen Virusinfektionen im Winter. Die Einatmung kalter Luft wirkt sich unmittelbar auf die Schleimhäute der oberen Atemwege aus, beeinträchtigt die mukoziliäre Clearance und erhöht die Schleimbildung. Darüber hinaus verursacht die trockene Luft per se epitheliale Schäden. Eine kurze Tageslichtdauer und der daraus resultierende Vitamin D-Mangel schwächen die direkte Pathogen-Clearance. Kalte und trockene Luft schwächt die lokalen, angebo- renen antiviralen Immunantworten. Abkürzungen: DC, dendritische Zelle; IFN, Interferon; ROS, reaktive Sauerstoffspezies. 15
Saisonalität der respiratorischen viralen Infektionen STUDIEN zur Bedeutung der Luftfeuchte Wie können wir all diese Erkenntnisse zur Vorbeugung von respiratorischen Infek- Luftbefeuchtung tionen und Erkrankungen in den Wintermonaten anwenden? Zusätzlich zu Impfun- gen und antiviralen Medikamenten finden nicht pharmazeutische Interventionen immer mehr Aufmerksamkeit. Der Lebensstil (gesunde Ernährung, mehr als 7 Stun- den Schlafe pro Nacht) und konsequente Hygiene (Händewaschen, Tragen von Ge- sichtsmasken) erhöhen nachweislich die antimikrobielle Abwehr bzw. verhindern Übertragungen (118–121). Zudem können wir das Raumklima so regeln, dass es zur Verhinderung von respiratorischen Infektionen beiträgt. Interventionen mit Luftbe- Tabelle 2 Tipps für die Einschränkung der Übertragung respiratorischer Viren im Winter Tipps Zugehörige/Referenz(en) Befeuchtung der Raumluft, Einhaltung einer relative Luftfeuchtigkeit 47, 49, 52, 70, 113, 128 von 40–60% bei Raumtemperatur Belüftung (Austausch Raumluft gegen Frischluft) 69 Tragen einer Gesichtsmaske, um die Nase warm und feucht zu halten 88, 90, 93, 99, 100 Vitamin D-Ergänzung, um einen durch kurze Tageslichtdauer bedingten 103, 104, 118, 120 Vitamin D-Mangel zu vermeiden Mehr als 7 Stunden Schlaf pro Nacht 119 Händewaschen, um die Übertragung durch indirekten Kontakt zu vermindern 120, 121 feuchtern wurden seit den 1960er Jahren in vielen Studien mit guten Resultaten eingesetzt (122–127). Eine aktuelle Studie in Minnesota ergab, dass eine Luftbe- feuchtung in Kindergärten in der Zeit von Januar bis März auf ~45% RF zu einer er- heblichen Verringerung der Gesamtanzahl der Influenzaviren und der viralen Gen-Kopien in der Luft und auf Gegenständen führte, im Vergleich zum unbefeuch- teten Kontroll-Kindergarten (128). Solche nicht pharmazeutischen Interventionen können mit Impfstrategien verbunden werden, um die Prävention gegen respirato- rischer Virusinfektionen zu verbessern (Tabelle 2). Tabelle 3 Stabilität/Infektiosität von aerosolisierten „Winter-Viren“ Nicht-Rhinovirus Enteroviren sind “Sommer Viren”, Bezeichnung Virenhülle rel. Feuchte (%) Bemerkung Quellen- Ausnahme: Norovirus. Die Stabilität von anderen verweis Enteroviren - außer Polioviren - ist nicht bekannt. 23 rote Farbe markiert die RF, bei der die Stabilität/ gute Stabilität in tiefer RF, mini- Influenza A (WS/33) umhüllt 56 Infektiosität maximal lange erhalten bleibt 43 male Stabilität in mittlerer RF 30 - 40 gute Stabilität in tiefer RF, mini- 7, 62 Influenza A umhüllt 50 - 80 male Stabilität in mittlerer RF Harper1 20 - 40 beste Stabilität in niedriger RF, Loosli2, Influenza A umhüllt 40 - 60 minimal in mittlerer RF und Schaffer3, mäßig in hoher RF Shechmeister4 60 - 80 20 Parainfluenza 3 umhüllt 50 beste Stabilität in niedriger RF 58 80 30 beste Stabilität in niedriger und Coronavirus 229 E umhüllt 50 59 mittlerer RF 80 20 30 beste Stabilität in niedriger und RS Virus umhüllt 60 60 mittlerer RF 80 16
Saisonalität der respiratorischen viralen Infektionen STUDIEN zur Bedeutung der Luftfeuchte Stabilität/Infektiosität von aerosolisierten „Ganzjahres-Viren“ Bezeichnung Virenhülle rel. Feuchte (%) Bemerkung Quellen- verweis 20 beste Stabilität in hoher RF Adenovirus nicht- 50 Häufigkeitsgipfel im späten 58 Typ 4&7 umhüllt Winter und Frühjahr 80 30 beste Stabilität in hoher RF nicht- Rhinovirus 14 50 Häufigkeitsgipfel im Herbst 61 umhüllt und Frühjahr 80 Stabilität/Infektiosität von aerosolisierten „Sommer-Viren“ Bezeichnung Virenhülle rel. Feuchte (%) Bemerkung Quellen- verweis 30 beste Stabilität in hoher RF 57, 59, 62, nicht- Poliovirus Typ 1 50 Übertragungen vor allem im Harper1, umhüllt Sommer de Jong/Winkler5 80 17
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