MTCAS - Ein Assistenzsystem zur Kollisionsverhütung auf See - Schiff & Hafen
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SCHIFFFAHRT & HÄFEN NAVIGATION UND KOMMUNIKATION Abb. 1: Vorstellung des Assistenzsystems „MTCAS – Elektronische Maritime Kollisionsverhütung“ in Wilhelmshaven Foto: Daniel Clören MTCAS – Ein Assistenzsystem zur Kollisionsverhütung auf See PROJEKTVORSTELLUNG Das steigende Unfallrisiko erfordert die Verbesserung der Kollisionsverhütung auf See. Das nun der Öffentlichkeit vorgestellte „Maritime Traffic Alert and Collision Avoidance System“ (MTCAS) ist ein innovatives Assistenzsystem und unterstützt Navigatoren dabei, Unfälle zu verhüten. Entwickelt wurde MTCAS von einem Konsortium bestehend aus dem Oldenburger OFFIS – Institut für Informatik, Raytheon Anschütz, Airbus, der Hochschule Wismar und dem Institut für Kommunikation und Navigation des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Dr.-Ing. Christian Denker, Prof. Dr-Ing. Axel Hahn D er anhaltende Trend, immer größere Schiffe zu bauen im Auftragsbücher für Neubauten sind gut gefüllt und es wurden in Hinblick auf die Kapazitäten für Fracht und Passagiere, der jüngsten Vergangenheit weniger Schiffe abgewrackt als neu scheint zur Erhöhung des Unfallrisikos auf See beizutra- gebaut ( Jahresbericht Deutsche Marine 2015). In naher Zukunft gen: Seit Jahren steigt die Anzahl der Schiffsunfälle. Allein im Jahr ist dadurch eine noch höhere Verkehrsdichte zu erwarten. Unter 2017, so berichtete es die European Maritime Safety Agency im anderem wird der Verkehr auch durch weitere Offshore-Tätigkei- August 2018 (EMSA Facts & Figures 2017), waren 1204 Schiffe ten, wie die Errichtung von Windparks, weiter verdichtet. Neben in europäischen Gewässern in navigatorische Unfälle verwickelt. der Einschränkung des Schifffahrtsraums wird diese Gesamtent- 2015 waren es um die 1000 Unfälle, die sich in den Kategorien wicklung ein Umdenken bei bestehenden Systemen erfordern. Strandung, Kollision mit Schiffen und Kontakt widerspiegeln In Wilhelmshaven wurde nun mit „MTCAS – Elektronische (EMSA Marine Casualties and Incidents 2016). Traut man den Maritime Kollisionsverhütung“ ein Assistenzsystem zur voraus- Statistiken und wagt eine Interpretation, so könnte man schluss- schauenden und kooperativen Kollisionsverhütung der Öffent- folgern: Die Verkehrsdichte nimmt zu, der Raum für Manöver lichkeit vorgestellt (Abb. 1). MTCAS hilft Navigatoren dabei, nimmt ab und infolgedessen kommt es zu mehr Unfällen. Die trotz der steigenden Verkehrsdichte, sicher und effizient zu na- 54 Schiff&Hafen | November 2018 | Nr. 11
vigieren. MTCAS adaptiert die Grundidee der Einführung des diktion von Schiffsbewegungen anhand eines Wegenetzes, die die Airborne Collision Avoidance System (ACAS) und dessen Im- Entwicklung einer Verkehrssituation prädiziert, und durch eine plementierung TCAS aus der Luftfahrt. MTCAS zielt darauf ab, b) COLREGs-basierte Manöverprädiktion für zukünftige Schiffs- den Wachoffizier auf der Kommandobrücke eines Schiffes bei begegnungen, die Aussagen darüber trifft, welche Manöver sich der Erkennung und Lösung von kritischen Situationen mit ande- begegnende Schiffe höchstwahrscheinlich durchführen werden. ren Schiffen unter Berücksichtigung der vorherrschenden Um- Beide Methoden wurden vom OFFIS entwickelt und konnten in welt- und Verkehrsumstände zu unterstützen, aber auch relevante den ersten Evaluationsexperimenten in mehr als 80 Prozent der Regelwerke und Vorschriften, die Bathymetrie sowie den Vessel Fälle korrekte Vorhersagen über Zielhäfen, Trajektorien und Ma- Traffic Service (VTS) einzubeziehen. MTCAS greift nicht auto- növer bei Begegnung von Schiffen treffen und die Alarmgenerie- matisch in die Steuerung eines Schiffes ein, sondern unterstützt rung verbessern. Die Prädiktionsmethoden erlauben einen Blick die Seeleute dabei, gemeinsam sichere und effiziente Ausweich- in die zukünftige Entwicklung einer Verkehrssituation zu werfen manöver zu finden. Dies ist ein Hauptunterschied zum TCAS aus und erlauben Navigatoren, sich darauf vorzubereiten. Beide Me- der Luftfahrt, das verpflichtende Manöveranweisungen an die thoden bedürfen noch weiterer Forschung und Entwicklung, um Piloten in einer kritischen Situation gibt. Wie das TCAS besteht deren Verlässlichkeit auszubauen. auch das MTCAS aus zwei wesentlichen technischen Kompo- MTCAS kategorisiert jede Begegnung zwischen zwei nenten, zum einen aus der Kollisionsdetektion und zum ande- Schiffen anhand einer Abstandsfunktion in einen von fünf Es- ren der Kollisionsauflösung. MTCAS ist das Ergebnis eines vom calation States, die den Grad der Eskalation einer Begegnung BMWi geförderten Verbundprojektes. beschreiben. Ist der Abstand zu einer Kollision sehr hoch und damit keine Kollisionsgefahr gegeben, wird die Begegnung als Kollisionsdetektion – Verbesserte Alarme durch Clear State kategorisiert. Kommen sich die Schiffe näher, wird Vorhersagetechnologien die Begegnung als Recommendation State kategorisiert, indem Die Kollisionsdetektion wird heutzutage auf Basis der Be- MTCAS den Navigator bei der taktischen Anpassung seines rechnung des sogenannten Closest Point of Approach (CPA) navigatorischen Verhaltens in einem Seegebiet unterstützt. Im durchgeführt. Dieser Punkt definiert die Position, an der sich Recommendation State sind die Schiffe zeitlich und räumlich das eigene Schiff in Zukunft am nahesten zu einem bestimmten so weit getrennt, dass die Wegerechtsobligationen zwischen anderen Schiff befindet. Auch das Fremdschiff hat einen CPA den Schiffen noch nicht beachtet werden müssen. Falls sich zum Eigenschiff. Die Distanz zwischen beiden CPAs wird CPA die Kollisionssituation weiterentwickelt hat, sodass die > Distance (CPAd) genannt und die Zeit, die es dauert, bis das ei- gene Schiff am CPA angekommen ist, heißt CPA Time (CPAt). In der Praxis gibt es diverse technische Systeme, die die Naviga- toren bei der Berechnung des CPA unterstützen und automatisch Alarme generieren, sobald die definierten Limits für CPAd und CPAt unterschritten werden. Die Limits werden typischerweise von der Schiffsführung vorgegeben. Kommt ein Fremdschiff dem Kloska MK-MARINE Group SOLAS RANGE SERVICES eigenen Schiff zu nah, alarmiert zum Beispiel ARPA- bzw. die Ein Unternehmen www.kloska.com der Kloska Group ATT-Funktionalität im Radar. Diese automatisierte Berechnung nimmt Navigatoren viel Arbeit ab. Bei einer hohen Verkehrsdich- te jedoch kann die Alarmierung zu einem lästigen Unterfangen Seenot- und Rettungsmittel Verkauf und Wartung für die Brückenbesatzung werden. Der Grund dafür ist, dass nicht alle Alarme tatsächlich kritisch sind. Die CPA-Berechnung ist Tragbare Feuerlöscher Tragbare Gaswarngeräte eine lineare Vorausextrapolation auf Basis eines Schnappschusses Feste Brandschutzsysteme Atemluftgeräte und der aktuellen Positionen, Geschwindigkeiten und Kurse von zwei Nieder- und Hochdruck Kompressoren Schiffen. In der Praxis bekommt der Navigator daher auch viele CO2-Anlagen Notfall-Atemschutzgeräte unrealistische CPA-Alarme, zum Beispiel für Begegnungen auf Rettungsinseln FM-200-Löschanlagen Land, für Schiffe, die hinter einer Mole im Hafenbecken liegen, Überlebensanzüge Schaumanlagen für Schiffe, die abseits von No-go Areas sind oder auch abseits der Aufblasbare Wassernebel- eigenen Route. Das zentrale Alarmmanagement des Brückensys- einrichtungen Rettungswesten tems sorgt durch Alarmsignale dafür, dass die Crew die Alarme MK Chemikalienschutzanzüge bemerkt. Verständlicherweise schwindet mit jedem nutzlosen Persönliche und von der Navigation ablenkenden Alarm das Vertrauen in das Schutzausrüstungen System, das für jeden Alarm ein Acknowledgement durch die MK-MARINE GmbH SOLAS-Range Services Navigationscrew verlangt, um das Piepen und Blinken einzustel- Büro: Riedemannstraße 30 · 27572 Bremerhaven Service: Westkai 50 · Tel.: +49 471 - 93220-584 len. Wie wird sich der Navigator hier langfristig verhalten, wird Email: contact.mk-marine@kloska.com Internet: www.mk-marine.net & www.kloska.com er in bestimmten Seegebieten gegenüber diesem System seine Ignoranz aufbauen oder gar die Lautsprecher des Alarmsystems ausbauen? Es läuft auf die Frage hinaus: Wie könnte intelligenter alarmiert werden? MTCAS zielt darauf ab, die Alarme durch neue Vorhersagetechnologien zu verbessern und überflüssige CPA- Alarme werden durch MTCAS‘ Kollisionsdetektion verhindert. MTCAS unterstützt den Navigator durch die Methoden a) Prä- Schiff&Hafen | November 2018 | Nr. 11 55
durchführen zu lassen. Diese gibt Aus- den Schiffe den in der Vergangenheit einge- kunft über die aktuelle Verkehrssituation haltenen Mindestpassierabstand für Schiffe und berechnet ein COLREG-konformes in einem Seegebiet berechnen kann. MT- Ausweichmanöver, das No-go Areas der CAS kann somit Manöver und Kurs lokal beiden Schiffe mit einbezieht. Die Funk- berechnen, die in der Vergangenheit nicht tion berechnet zunächst die Wegerechts- zu Kollisionen geführt haben. obligationen für Frontal-, Überhol- oder In Situationen, in denen alle an einer Kreuzungssituationen, die auf Grundlage potenziellen Kollisionssituation beteiligten der in den internationalen Kollisionsver- Schiffe mit MTCAS ausgestattet sind, kann hütungsregeln definierten Peilungen zum die zweite Assistenzfunktion dafür genutzt Fremdschiff in einer relativen Annäherung werden, einen Vorschlag zur Auflösung der berechnet werden. Der im nächsten Schritt Kollisionssituation semi-automatisiert zu von MTCAS ermittelte Manövervorschlag verhandeln (Abb. 3). Der Navigator star- kann damit entweder eine Kursänderung tet die Assistenzfunktion zur Verhandlung oder das Beibehalten des aktuellen Kurses von Ausweichmanövern. MTCAS bezieht (im Recommendation State oder Danger alle von der kritischen Situation betroffe- State) sein. Der Algorithmus zur Berech- nen Schiffe mit in die Verhandlung ein und nung des Manövervorschlags berechnet berechnet rundenbasiert, automatisch und das minimale Manöver unter Einbeziehung dezentral mögliche konsistente Ausweich- der Schiffskörper, deren Bewegung und manöver und verteilt diese an die Navigato- des Mindestpassierabstands für ein siche- Abb. 3: Visualisierung eines Verhand- ren an Bord der beteiligten Schiffe. Hierfür res und effizientes Manöver. Zur Defini- lungsergebnisses im MTCAS Display beziehen alle MTCAS-Systeme die lokal tion eines Mindestpassierabstands wurde Prototyp – das Fremdschiff (oben) ist auf dem Schiff vorliegenden No-go Areas im Projekt eine Analyse von historischen Kurshalter (rote Markierung), das Eigen- mit ein. Weiter erwirkt der Verhandlungsal- schiff (unten) ist ausweichpflichtig. Schiffsbewegungsdaten durchgeführt. Das Allen Navigatoren werden die vorgeschla- gorithmus, dass das Verhandlungsergebnis Ergebnis der Analyse ist eine statistische genen Ausweichmanöver (oranger Pfeil) COLREG-konform ist. Falls es aber kei- Methode, die auf Basis der Längen der bei- angezeigt. ne strikt COLREG-konforme Lösung > G 7HLO$OOJ9RUVFKULIWHQ 7HLO $OOJ9RUVFKULIWHQ 7HLO $OOJ9RUVFKULIWHQ 0LFKDHOD5RVHQ 0RQLND.UDXWZXUVW 0LFKDHOD5RVHQ 7HLO.ODVVL¿]LHUXQJ 7HLO .ODVVL¿]LHUXQJ 7HLO .ODVVL¿]LHUXQJ *WHUYHU]HLFKQLV *HIDKUJXWOLVWH *WHUYHU]HLFKQLV 7HLO )UHLVWHOOXQJVXQG 7HLO 6RQGHUYRUVFKULIWHQ 7HLO )UHLVWHOOXQJVXQG 6RQGHUYRUVFKULIWHQ XQG$XVQDKPHQ 6RQGHUYRUVFKULIWHQ 9HUZHQGXQJ 9HUZHQGXQJ $'5 $'1 9HUZHQGXQJ 7HLO YRQ9HUSDFNXQJHQ 7HLO YRQ9HUSDFNXQJHQ 7HLO YRQ9HUSDFNXQJHQ ,0'*&RGH XQG7DQNV XQG7DQNV 7DQNVXQG&78 7HLO9HUVDQGYRUVFKULIWHQ 7HLO 9HUVDQGYRUVFKULIWHQ 7HLO 9HUVDQGYRUVFKULIWHQ PLW* HIDKUJXWYRUVFKULIWHQVDP PO X Q J $ P H Q G P H Q W %HI|UGHUXQJYRQJHIlKUOLFKHQ*WHUQ *H ID K UJ X W6 WUD H %DXXQG3UIXQJ %DXXQG3UIXQJ %DXXQG3UIXQJ 7HLO YRQ9HUSDFNXQJHQ XQG7DQNV **%HI*ā*E9ā**96HHā0R8ā&78&RGH 7HLO YRQ9HUSDFNXQJHQ DXI%LQQHQZDVVHUVWUDHQ 7HLO YRQ9HUSDFNXQJHQ 7DQNVXQG&78 XQG7DQNV 9RUVFKULIWHQIUGDV 7HLO %HI|UGHUXQJV 9RUVFKULIWHQIU 7HLO /DGHQ%HI|UGHUQ YRUVFKULIWHQ 7HLO GLH%HI|UGHUXQJ /|VFKHQXQGVRQVWLJH +DQGKDEHQ )DKUHUVFKXOXQJ 9RUVFKULIWHQIUGLH $QKDQJ$ %HVDW]XQJGLH$XV 7HLO $XVUVWXQJXQG%H /LVWHGHUWHFKQLVFKHQ1DPHQ 7HLO UVWXQJGHQ%HWULHE WULHEGHU)DKU]HXJH XQGGLH'RNXPHQWDWLRQ 9RUVFKULIWHQIU 7HLO GHQ%DXXQGGLH $QKDQJ% 7HLO %DXYRUVFKULIWHQ =XODVVXQJGHU *ORVVDUGHU%HQHQQXQJHQ )DKU]HXJH ,1'(; $XV]XJDXVGHP$'5 5/%LQQHQODQG $OSKDEHWLVFKHV9HU]HLFKQLV 7HLO GHU6WRႇHXQG*HJHQVWlQGH .DSLWHOXQG $XV]XJDXVGHP,0'* **%HI* **%HI* $EVFKQLWWXQG ,QNUDIWWUHWHQGHV **96(% *E9 $'1hEHUHLQNRPPHQV 56(% **96HH **96(% **$9 0R8 56(% *E9 &78&RGH **.RQWUROO9 $XÀDJH 2'9 **.RVW9 Bestell-Nr. 11132 Bestell-Nr. 11720 Bestell-Nr. 11702 Staffelpreise Staffelpreise Staffelpreise 1 Stück 43,00 € 1 Stück 135,00 € 1 Stück 75,00 € ab 5 Stück 40,00 € ab 5 Stück 127,50 € ab 5 Stück 71,25 € ab 10 Stück 38,00 € ab 10 Stück 120,00 € ab 10 Stück 67,50 € ab 25 Stück 35,00 € ab 25 Stück 112,50 € ab 25 Stück 63,75 € ab 50 Stück 33,00 € ab 50 Stück 105,00 € ab 50 Stück 60,00 € Erhältlich bei Telefon: 0211-99193 0 · vvf@verkehrsverlag-fischer.de www.verkehrsverlag-fischer.de Schiff&Hafen | November 2018 | Nr. 11 57
SCHIFFFAHRT & HÄFEN NAVIGATION UND KOMMUNIKATION Wegerechtsobligationen zum Tragen kommen, befindet sich die Begegnung zweier Schiffe im Escalation State Danger State: Der Ausweichpflichtige hat dem Kurshalter bei einer Begegnung entspre- chend der Regularien die Vorfahrt zu gewähren. Der intelligente CPA des MT- CAS integriert No-go Areas, die geplante Route des eigenen Schiffs und die verbes- serte Genauigkeit der Positionen mittels resilienter PNT-Datenprozessierung des DLR in die Berechnung. Im Gegensatz zum klassischen CPA wird bei der Be- rechnung des intelligenten CPA eine sogenannte Critical Ship Pose (CSP) ermittelt. Die CSP ist die Pose (Latitu- de, Longitude, Heading) der nahesten Annäherung eines Fremdschiffes an das eigene Schiff. In die Berechnung werden Position sowie Kurs und Geschwindig- keit über Grund als auch die jeweiligen Abb. 2: Die Critical Ship Pose (CSP) zeigt die Pose der dichtesten Annäherung auf Basis von Abweichungen, die durch die PNT-Da- Positionsgenauigkeit, Kursschwankung und Geschwindigkeitsschwankung (links). Die CSP wird aufgrund von No-go Areas und/oder der Route unterdrückt. Es wird kein Alarm ausgelöst (rechts). tenprozessierung ermittelt wurden, mit einbezogen. Stark vereinfacht ergeben sich hieraus zwei trichterförmige Berei- che, die mögliche zukünftige Aufenthalts- hart Steuerbord oder hart Backbord Ma- die Situation unklar ist, zum Beispiel das orte der Schiffe darstellen, wie die Abb. 2 növer die Kollision mit dem Fremdschiff Fremdschiff noch nicht reagiert hat und es (links) darstellt. No-go Areas, die diese noch abwenden könnte. MTCAS alarmiert doch eigentlich ausweichpflichtig wäre. Bereiche schneiden, reduzieren dessen rechtzeitig vor der LLoD, sodass der Na- Ein Grund hierfür kann sein, dass die Si- Größe. In dem Fall, dass die No-go Area so vigator Zeit hat, das richtige Manöver ein- tuationswahrnehmung aus der Perspektive gelegen ist, dass die Schiffe sich gegensei- zuleiten. Überschreitet das Eigenschiff die des jeweiligen Schiffes unterschiedlich ist. tig nicht erreichen können, wird die CSP LLoD, ohne dass ein Manöver eingeleitet Dann gilt es, für Klarheit zu sorgen – ge- unterdrückt und nicht angezeigt (Abb. wurde, befindet sich die Begegnung im Ac- meinsam eine Lösung zu finden. Klassisch 2, rechts). Gleiches gilt, wenn die Route cident State und damit außerhalb der Sys- findet dafür eine Absprache über Seefunk des Eigenschiffes nicht in den Bereich der temgrenzen des MTCAS. Eine Kollision (VHF) zwischen den Navigatoren statt. CSP führt. Wenn sich der klassische CPA kann im Accident State höchstwahrschein- Englisch ist hierbei häufig die Zweitsprache beispielsweise erst in zwölf Minuten erge- lich nicht mehr verhindert werden. Wie die zum Austausch zwischen den beteiligten ben würde, die nächste Etappe der Route Schiffe kollidieren sollten, um Schäden ge- Schiffen, die von Navigatoren aus aller Welt aber nicht in dessen Nähe kommt, weil das ring zu halten, ist Gegenstand anderer Sys- navigiert werden. Man stelle sich zum Bei- Eigenschiff in einer Minute den Wheel- teme und Projekte. spiel einen moldawischen Kapitän im asia- over-Point erreicht, so wird kein Alarm für tischen Seeraum vor. Mögliche Sprachbar- diese vermeintliche Begegnung generiert. Kollisionsauflösung – Reduktion rieren und unzulängliche Akustik können Sind beide Schiffe weitergefahren und von Missverständnissen durch zu folgenschweren Missverständnissen füh- keiner der Navigatoren leitet ein Ausweich- Verhandlung ren. Besonders dann, wenn der Stresspegel manöver ein, so eskaliert die Begegnung der MTCAS erkennt kritische Situationen in steigt, kann es leicht zum „Human Error“ Schiffe weiter in den Last Minute Manoeu- den drei Escalation States Recommendati- kommen. Wie können Kollisionssituatio- vre (LMM) State. In diesem State greift Re- on, Danger und LMM. MTCAS alarmiert nen missverständnisfrei aufgelöst werden? gel 17 b) der internationalen Kollisionsver- zuverlässig und dem Navigator obliegt Im MTCAS Projekt wurden zur Miss- hütungsregeln: Auch der Kurshalter muss die Entscheidung über die nächsten von verständnis freien Auflösung von Kollisi- ein Manöver einleiten, um die Kollision zu ihm einzuleitenden Schritte: Wie kann onssituationen zwei Assistenzfunktionen vermeiden. Das Manöver des letzten Au- er die Situation klären? Kann er sie durch entwickelt: erstens zur Begegnungseva- genblicks und wann dieses eingeleitet wer- ein einfaches Manöver im Rahmen seiner luation für den Navigator und zweitens den muss, ist stark abhängig von den hydro- Ausweichpflicht entschärfen? Oder hat er zur Verhandlung von Ausweichmanövern dynamischen Eigenschaften des jeweiligen durch die lokalen Gegebenheiten eventu- zwischen mehreren Navigatoren auf unter- Schiffes. Auf Basis einer Fast Time Simu- ell gar keine Manöveroptionen und ist dies schiedlichen Schiffen. lation der Hochschule Wismar berechnet dem Navigator des Fremdschiffs bewusst? Befinden sich zwei Schiffe in einer po- MTCAS anhand eines Dynamikmodells Muss er eine Absprache mit einem oder tenziellen Kollisionssituation und ist nur des Eigenschiffes die sogenannte „Last Line mehreren Fremdschiffen treffen, um die Si- eines der beiden mit MTCAS ausgestat- of Defence“ (LLoD). Dies ist die Position tuation zu lösen? Typischerweise sollte der tet, so hat der Navigator die Möglichkeit, des Eigenschiffes in der Zukunft, an der ein Navigator eine Absprache starten, wenn eine Begegnungsevaluation von MTCAS 56 Schiff&Hafen | November 2018 | Nr. 11
SCHIFFFAHRT & HÄFEN NAVIGATION UND KOMMUNIKATION Abb. 4: Während der Systemtests auf der Jade im Juli 2018 kamen sich die mit MTCAS ausgestatteten Schiffe „Senckenberg“ und „Zuse“ recht nah Foto: Daniel Clören gibt, wird eine Lösung mit wenigen, nicht konformen Manövern MTCAS wurde fortlaufend in Simulatoren und auf See getestet gefunden. Als Zwischenergebnis der Verhandlung wird der durch und erprobt. Für die Systemtests wurde zu Projektbeginn ein den Verhandlungsalgorithmus ermittelte Vorschlag auf einem Szenarienkatalog erstellt, der Testläufe in unterschiedlichen MTCAS-Display dargestellt, sodass ein einheitliches Lagebild Seegebieten (freier Seeraum, Küstengebiet, Linienrevier), mit für jeden Navigator auf jedem Schiff entsteht. Im Projekt wurden und ohne Vessel Traffic Service (VTS) und Verkehrstrennungs- hierzu die Funktionalitäten eines MTCAS-Displays in eine kom- gebiet (VTG), mit unterschiedlichen Schiffsausstattungsgraden merzielle Radar-Software integriert. Auf Basis des Vorschlags auf (mit und ohne MTCAS-Ausstattung) sowie einer Differenzie- dem Display kann der Navigator jedes Schiffes über die Annah- rung der anzuwendenden Kollisionsverhütungsregeln vorsieht. me oder Ablehnung des Manövervorschlags entscheiden. Durch Die Szenarien wurden in den Simulator des eMIR-Testbeds eine Ablehnung besteht die Möglichkeit, zusätzliches Wissen, programmiert und dazu genutzt, den Prototypen zu validieren das dem System nicht vorliegt („Eisberg voraus“), mit in den Ver- und zu verifizieren. Die Assistenzfunktionen zur Verbesserung handlungsprozess zu integrieren. der Alarme durch Vorhersagetechnologie und zur Reduktion Einen Einsatz findet MTCAS nicht nur auf der Brücke, son- von Missverständnissen durch Verhandlung wurden erfolgreich dern auch im Vessel Traffic Service (VTS) System, in dem der simulativ und auch an Bord von realen Schiffen in unterschied- Verkehr beobachtet wird. Auch hier kann MTCAS die Alarm- lichen Ausbaustufen erprobt. Das Ziel hierbei war es, die Pra- generierung verbessern. Abstimmungen zwischen Seeschiffen xistauglichkeit der erforschten Funktionalitäten in der Realität werden auch im VTS System angezeigt: Die Information über sicherzustellen. Hierfür kamen das OFFIS-Forschungsboot Annahme oder Ablehnung des Manövervorschlags wird transpa- „Zuse“ und der Forschungskutter „Senckenberg“ zum Einsatz. rent an alle an der Verhandlung beteiligten Navigatoren und auch Beide Schiffe wurden mit MTCAS ausgestattet und fuhren an das VTS verteilt. Sobald alle Einheiten den Manövervorschlag definierte Begegnungssituationen. Die Abb. 4 zeigt die Schiffe angenommen haben, sollte dieser ausgeführt werden, um die Si- während einer Begegnungssituation im Sommer 2018. MTCAS tuation zu entschärfen; anders als in der Luftfahrt ist dies jedoch und ACTRESS sind Projekte des BMWi. Unter dem Shortlink nicht verpflichtend. Wird der Manövervorschlag abgelehnt, emp- https://is.gd/MTCAS ist das MTCAS-Projektvideo zu sehen. fiehlt MTCAS einen Rückfall auf die klassische VHF-Funkkom- munikation. Durch Airbus und Raytheon Anschütz wurden Entwick- Die Autoren: lungsprototypen des MTCAS konzeptioniert und umgesetzt Dr.-Ing. Christian Denker (Cooperative Mobile Systems/Senior und nun im Testfeld eMIR (www.emaritime.de) mit der Techno- Researcher) und Prof. Dr.-Ing. Axel Hahn (Vorstand; Bereichsvor- logieentwicklungsumgebung des ACTRESS-Projektes erprobt. stand Verkehr), OFFIS e.V. – Institut für Informatik, Oldenburg 58 Schiff&Hafen | November 2018 | Nr. 11
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