Suffering in Silence Zehn humanitäre Krisen, die 2020 keine Schlagzeilen machten - CARE Deutschland
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Breaking the Silence Von Burundi über Guatemala bis nach Sambia: Wir hören kaum etwas von den Menschen, die in den zehn Ländern leben, von denen dieser Bericht erzählt. Und wenn wir etwas von ihnen lesen, dann sind es Geschichten über ihre Not. Aber hinter den Zahlen stehen Frauen, Männer und Kinder, die sich nicht unterkriegen lassen. Menschen, die Herausforderungen annehmen und ihre Zukunft verbessern. Mit den Fotos in diesem Bericht stellen wir Frauen und Männer aus dem Bezirk Shiwa Ng’andu in Sambia ins Rampenlicht, die gemeinsam mit CARE ihre Ernährung verbessern, Bildung fördern und die Gleichstellung der Geschlechter vorantreiben. 2
Die Fotos sind in Sambia entstanden, das Land ist 2020 auf Platz 10 der Liste. Während sich der Bericht auf die humanitäre Situation der Menschen in Krisen konzentriert, zeigen die Fotos Menschen, die ihr Leben selbst verbessern. Das Titelbild zeigt Mary Mwiche, eine Bäuerin. Seitdem Mary an einem Ernährungsprojekt von CARE teilgenommen hat, ernährt sie sich und ihre drei Enkelkinder wesentlich ausgewogener. Daniel Chanda (hier abgebildet) erklärt anderen Männern, wie wichtig es ist, Babys zu stillen und Aufgaben im Haushalt gerecht aufzuteilen. „Mich stört es nicht, ausgelacht zu werden“, berichtet er ganz selbstbewusst. 3
Einleitung Blinde Das Jahr 2020 hat niemand so kommen sehen. Flecken COVID-19 traf jedes Land der Erde und stellte das Leben, wie wir es kannten, vollkommen auf den Kopf. 10 humanitäre Krisen, Über eine Million Menschen starben bisher an der gelistet nach ihrer Nennung Viruserkrankung, die Wirtschaft geriet weltweit ins in Medien Stocken. Millionen von Menschen haben ihre Arbeits- plätze und damit ihre Lebensgrundlage verloren. Als der Frühling kam, zogen die Black Lives Matter- Proteste durch die USA und fanden auf der ganzen Welt Widerhall – ein globaler Ruf nach Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität. Länder, die normalerwei- se keine internationale humanitäre Hilfe benötigen, offenbarten Schwachstellen. Wir erkannten, dass Krankheit, Tod und Verzweiflung nicht das Los einer 542 Guatemala sozialen Schicht, eines Landes oder Kontinents sind. Und wir lernten, dass wir voneinander abhängig und miteinander verbunden sind. Unser Leben und Wohl- ergehen sind mit dem Leben und Wohlergehen anderer verflochten. Doch trotz dieser Umwälzungen sind einige Dinge im Jahr 2020 gleichgeblieben: Auch in seiner fünften Aus- gabe beleuchtet Suffering in Silence diejenigen humani- Im Vergleich ... tären Krisen, über die weltweit am wenigsten berichtet wird. Die Stimmen von Millionen Menschen in diesen zehn Ländern bleiben international weitgehend un- gehört. Über alle zehn Krisen in diesem Bericht wurde zusammengenommen weniger berichtet als über den 334 k Artikel über den Launch der PlayStation 5 50,3 k Sänger Kanye West und seine Präsidentschaftskan- Artikel über den didatur in den USA.1 Oder noch deutlicher: Die zehn Eurovision Song Contest Länder, von denen im Folgenden berichtet wird, er- hielten 26 Mal weniger Aufmerksamkeit in Form von Online-Nachrichtenartikeln als die Veröffentlichung der PlayStation 5.2 39,9 k Artikel über Kanye Wests Kandidatur als US-Präsident Seit dem Ausbruch der globalen Pandemie beherrschen Nachrichten über das Virus die Schlagzeilen. Als man die Auswirkungen auf die Gesundheitssysteme erkannt hatte, richteten die Nationen und ihre Medien ihr Au- nete Anstieg. Dieses historische Ausmaß an menschli- genmerk nach innen, auf den Schutz der Bevölkerung chem Leid geht einher mit einem deutlichen Rückgang und die nationale Eindämmung des Virus. Aber wie uns der bilateralen Entwicklungsgelder, da sich die Re- das Jahr 2020 erneut bewiesen hat, kennen humanitäre gierungen in Geberländern um die wirtschaftlichen Krisen keine Grenzen, keine Nationalitäten, keine Reli- und sozialen Auswirkungen von COVID-19 in ihren gionen. Für die Millionen Menschen in den zehn Krisen eigenen Ländern kümmern müssen. Nach Angaben dieses Berichts ist COVID-19 schlicht eine zusätzliche des Amtes der UN für die Koordinierung humanitärer Bedrohung, die zu ihrem Überlebenskampf hinzu- Angelegenheiten (OCHA) vom Dezember 2020 wurde kommt. Konflikte, Gewalt und Missbrauch, die Klima- die humanitäre Hilfe für dieses Jahr nur zu 44,7 Pro- krise, tödliche Krankheiten wie Tuberkulose, Malaria zent finanziert.5 Für das Jahr 2021 werden schätzungs- und HIV, Nahrungsmittelknappheit und Zugang zu weise rund 29 Milliarden Euro Nothilfe benötigt.6 Dies sauberem Wasser sind tägliche Realität. hat zur Folge, dass Menschen in fast 20 Ländern vom Hungertod bedroht sind. Solange man sich nicht um Ende 2020 schätzten die Vereinten Nationen (UN), dass diese vernachlässigten Krisen kümmert, bleibt jedes im Jahr 2021 mindestens 235,4 Millionen Menschen Land der Erde verwundbar – denn niemand ist sicher, humanitäre Hilfe benötigen.3 Die Auswirkungen von solange alle unsicher sind. Der UN-Generalsekretär COVID-19 in Verbindung mit dem voranschreitenden Antonio Guterres sagte dazu: „Wir sind nur so stark wie Klimawandel haben diese Zahl um 40 Prozent gestei- das schwächste Gesundheitssystem in unserer ver- gert.4 Dies ist der größte jemals in einem Jahr verzeich- netzten Welt.“7 4 Einleitung
702 Ukraine 1.515 Pakistan 1.816 621 Mali Zentralafrikanische Republik 429 2.014 Burundi Papua- 2.143 Neuguinea Sambia 1.473 Malawi 1.464 Madagaskar Um es deutlich zu sagen: Die ‚Stille‘, die der Titel dieses Die Medienanalyse stützt sich auf Online-Artikel in Berichtes anklagt, ist eine Stille der internationalen Arabisch, Englisch, Französisch, Deutsch und Spa- Medien und der Perspektive des Globalen Nordens. nisch. Natürlich kann der Bericht nur einen Trend in Und obwohl die Zahlen in diesem Bericht erschütternd der Berichterstattung aufzeigen. Gleichwohl gibt er sind, gibt es in jeder der Krisen unzählige Menschen, Aufschluss über die weltweite Aufmerksamkeit, die den die helfen, anpacken und Hoffnung geben. Wir würdi- Krisen in Online-Medien zukommt. Er soll dazu bei- gen einige dieser Heldinnen und Helden in der Foto- tragen, dass Hilfsorganisationen, Medien, politische geschichte aus Sambia, die diesen Bericht begleitet. Entscheidungsträger und die betroffenen Gemein- Und wir ermutigen jede Leserin und jeden Leser, diese schaften miteinander diskutieren, wie man gemeinsam Geschichten weiter zu tragen und den Menschen damit die Wahrnehmung von Menschen in Not schärfen und Tribut zu zollen. ihnen Hilfe zukommen lassen kann. Methodik In Zusammenarbeit mit dem Medienbeobachtungs- Alle Fußnoten in diesem Bericht können hier dienst Meltwater analysierte CARE International abgerufen werden: www.care.de/sis2020-endnoten diejenigen humanitären Krisen, die im Jahr 2020 die geringste Medienaufmerksamkeit erhielten. Im Zeit- raum vom 1. Januar bis zum 30. September 2020 wurden mehr als 1,2 Millionen Online-Artikel ausgewertet. Dafür identifizierten wir jene Länder, in denen min- Inhalt destens eine Million Menschen von Konflikten oder Naturkatastrophen betroffen waren. Wenn immer möglich haben wir mehrere Quellen benutzt, vor allem die, die sich in der Vergangenheit als besonders genau Zehn humanitäre Krisen, die 2020 und aktuell bewiesen. Die Gesamtzahl der von jeder keine Schlagzeilen machten 6 Krise betroffenen Menschen ergibt sich aus den Daten von ACAPS, Reliefweb und CARE. Das Ergebnis, eine Was können wir tun? 19 Liste von 45 Krisen, wurde dann einer Medienanalyse unterzogen und nach der Anzahl der zum Thema pub- Unwrite the Silence – Journalistinnen lizierten Online-Artikel geordnet. Dieser Bericht fasst und Journalisten erzählen 22 die zehn am wenigsten beachteten Krisen zusammen. Methodik 5
Mary Mwiche ist eine treibende Kraft bei der Bekämpfung von Unterernährung. Die 68-jährige Bäuerin aus Sambia brachte ihre Felder auf ein völlig neues Produktivitätsniveau, indem sie dürre- resistentes Saatgut und neue Düngemethoden für den Anbau von Bohnen und Gemüse einsetzte. „Jetzt kann ich meine drei Enkelkinder mit einer Vielzahl von Lebensmitteln versorgen, um ihre und meine eigene Ernährung zu verbessern.“ 1 Burundi Katastrophen Burundi und knappes Land Demokratische Republik Kongo Tansania Nach Jahren politischer Unruhen und einem Macht- wechsel kehrten viele ehemalige burundische Ge- flüchtete, die in Ruanda und Tansania im Exil lebten, in ihre Heimat zurück.8 Im Mai 2020 fanden in Burundi allgemeine Wahlen in einem relativ ruhigen Umfeld statt. Das war ein wichtiger Schritt zur Beendigung der sozio-politischen Krise, die das Land seit 2015 erfasst hat. Die Lage ist jedoch nach wie vor instabil, da we- sentliche soziale und politische Herausforderungen für Frieden und Stabilität nicht angegangen werden. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) geht davon aus, dass im Jahr 2020 mindestens 50.000 burundische Nr. 5 der ärmsten Länder weltweit Geflüchtete in ihre Heimat zurückkehren.9 Doch die 2,3 fünftärmste Nation der Welt10 hat es schwer, Rückkeh- rer aufzunehmen: Burundi ist eines der am dichtesten besiedelten Länder im subsaharischen Afrika.11 Als ressourcenarmes Land mit einem unterentwickelten Fertigungssektor ist Burundis Wirtschaft überwiegend landwirtschaftlich geprägt. Über 90 Prozent der Bevöl- Millionen Menschen in kerung sind von der kleinbäuerlichen Subsistenzland- Burundi sind auf humanitäre wirtschaft abhängig.12 Hilfe angewiesen 6
Extreme Witterungsbedingungen und Naturkatastro- phen kombiniert mit politischer Instabilität haben seit 2015 über 135.000 Menschen innerhalb der Grenzen13 10 Burundis entwurzelt (von dieser Zahl wurden 83 Pro- Millionen Menschen leben zent durch Naturkatastrophen vertrieben).14 Vertrei- unterhalb der Armutsgrenze bung, hohe Bevölkerungsdichte, zahlreiche Rückkehrer und fast 80.000 Geflüchtete aus der Demokratischen Republik Kongo (DRC)15 führen zu Konkurrenz um Landflächen.16 Infolgedessen werden die ärmsten und verwundbarsten Gruppen der Bevölkerung, hauptsäch- lich Frauen, auf wenig ertragreiches Land gedrängt.17 Aufgrund der Tatsache, dass Burundi auf große Krisen Unter den 10 anfälligsten schlecht vorbereitet und für wiederkehrende drama- Ländern für Naturkatastrophen tische Ereignisse wie Überschwemmungen, Dürren, Epidemien und politische Unruhen nicht gerüstet ist, weist das Land den höchsten Wert an chronischer Unterernährung in der Welt auf. Vor COVID-19, im Jahr 2016/2017, waren durchschnittlich 56 Prozent aller Mexiko Kinder unterentwickelt. 18 Im Jahr 2020 haben Erdrutsche und Überschwemmun- gen, die durch sintflutartige Regenfälle verursacht wurden, die Lebensgrundlagen der ärmsten Menschen in Burundi zerstört und zu intensivem Hunger geführt.19 Im Dezember 2020 benötigten über 2,3 Millionen Guatemala Burundier humanitäre Hilfe.20 Die globale Pandemie hat den Handel, insbesondere 2 Guatemala den informellen Handel, in Grenzgebieten und städ- tischen Zentren reduziert und grenzüberschreitende Fahnen der Bewegungen eingeschränkt. Dies führte etwa zum Verlust von Arbeitsplätzen und zum Ausfall von Geld- Verzweiflung überweisungen in ländliche Gebiete, die üblicherweise landwirtschaftliche Produktion und andere kommer- zielle Aktivitäten finanzieren. Malariaepidemien und das Risiko, dass Ebola aus dem benachbarten Kongo ins Land gelangt, verstärken die bereits prekäre Situation.21 Wie in allen Notsituationen tragen Frauen und Mäd- In Guatemala schwenken ganze Gemeinden die weiße chen auch in Burundi die meiste Last. Sie übernehmen Flagge.23 Seit April 2020 haben Tausende von Guatemal- nicht nur zusätzliche finanzielle und häusliche Pflich- teken im Land begonnen, weiße Fahnen in den Stra- ten, sondern viele von ihnen leiden auch unter täglicher ßen und aus ihren Fenstern zu hissen, um zu zeigen, Gewalt und Unsicherheit. Vor COVID-19 spielten Frauen dass sie Hunger leiden. Für die 10 Millionen Menschen eine sehr wichtige Rolle in der burundischen Volks- im Land, die unterhalb der Armutsgrenze leben, hat wirtschaft, denn sie stellen über 55 Prozent der COVID-19 eine ernste Nahrungsmittelkrise noch ver- Erwerbstätigen, wobei die Mehrheit im Agrarsektor schlimmert.24 tätig ist.22 Als die Pandemie ausbrach, schätzte man, dass etwa CARE Burundi hat ein Programm zur Stärkung der 3,3 Millionen Menschen von einer Gesamtbevölkerung Rolle der Frau entwickelt, das sich vor allem auf länd- von 14,9 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen liche Gebiete konzentriert, aber auch eine landesweite waren.25 Chronische Armut und mehrere aufeinander Plattform für Frauenrechte umfasst. Darüber hinaus folgende Dürrejahre ließen die Ernährungsunsicher- veranstaltet CARE Jugendprogramme zur Verbesserung heit ansteigen, insbesondere entlang des sogenannten der sexuellen und reproduktiven Gesundheit sowie zur Trockenkorridors26, einer tropischen Trockenwaldre- Stärkung der wirtschaftlichen Selbstbestimmung und gion an der Pazifikküste Zentralamerikas, zu der der Gleichstellung der Geschlechter. CARE unterstützt auch Guatemala gehört. Laut Weltrisikobericht 2019 lokal ausgerichtete Innovationen im Kampf gegen zählt Guatemala zu den zehn Ländern, die für Natur- COVID-19 und fördert Initiativen zur Bekämpfung ge- gefahren am anfälligsten sind.27 Seit 2015 haben lang schlechtsspezifischer Gewalt und Ungleichheiten. anhaltende Dürren und sintflutartige Regenfälle das Land heimgesucht und zu wiederholten Ernteausfällen Zehn humanitäre Krisen, die 2020 keine Schlagzeilen machten 7
und Viehsterben geführt.28 Jüngst wüteten auch zwei Wirbelstürme der Kategorie vier kurz hintereinander im Land: Von Eta und Iota waren in Guatemala mehr als zwei Millionen Menschen betroffen.29 Guatemala, das von der Weltbank als Land mit mittle- rem Einkommen betrachtet wird, hatte in den letzten Tschad Sudan fünf Jahren ein anhaltendes, moderates Wachstum. Diese wirtschaftliche Stabilität hat jedoch die Armut und Ungleichheit nicht wesentlich verringert.30 Schon Süd- sudan vor COVID-19 hatte Guatemala die sechsthöchste Rate an chronischer Unterernährung in der Welt, wobei fast die Hälfte aller guatemaltekischen Kinder vom Risiko der Unterentwicklung bedroht waren.31 Besorgnis- Zentralafrikanische Demokratische erregend ist auch die nationale Müttersterblichkeits- Republik Republik Kongo rate, die vor COVID-19 bei 108 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten lag.32 Etwa fünfunddreißig von 1.000 in Guatemala geborenen Kindern sterben vor dem fünften Lebensjahr.33 Im April 2020 warnten die UN davor, dass die COVID-19- Beschränkungen den saisonal auftretenden Hunger 3 im Osten Guatemalas verschlimmern würden. Viele Familien verloren ihr gesamtes Einkommen. Die meis- 3 Zentralafrikanische ten Menschen arbeiten im informellen Sektor ohne jeglichen sozialen Schutz.34 Ein Rückgang der finan- Republik ziellen Unterstützung von Verwandten, die im Ausland arbeiten, ist daher für viele Familien ein zusätzlicher Von der Welt vergessen Schlag. Überweisungen aus dem Ausland sind beson- ders für Frauen, die 69 Prozent der Empfängerinnen ausmachen, überlebenswichtig.35 In ihrer Verzweiflung suchen Migrantinnen und Migranten36 trotz der Pande- mie und trotz eines US-amerikanischen Gesetzes, das ihnen faktisch die Einreise verwehrt, weiterhin den Weg in die USA. Die weit verbreitete Armut sowie hohe Mordraten aufgrund von Bandengewalt und Korrup- 2020 war ein Meilenstein für die Zentralafrikanische tion haben während der Pandemie nicht nachgelassen. Republik (ZAR): 60 Jahre Unabhängigkeit. Dies war je- Trotz der COVID-19-bedingten Blockaden wird berich- doch kaum ein Grund zum Feiern in diesem dünn besie- tet, dass kriminelle Gruppen die Abschottung nutzen, delten Land mit 4,9 Millionen Menschen.40 Die Zentral- um ihre Kontrolle zu verstärken und Erpressung, afrikanische Republik befindet sich nach wie vor Drogenhandel und Gewalt zu intensivieren.37 Auch die in einer der größten und schlimmsten humanitären Gewalt gegen Frauen und Mädchen hat während der Krisen der Welt. Pandemie zugenommen. Zwischen Januar und Oktober 2020 wurden 319 Frauen getötet und über 5.600 Fälle Trotz bedeutender Mineralvorkommen sowie frucht- von sexueller Gewalt gemeldet.38 baren Ackerlandes steht die ZAR auf dem Human De- velopment Index 2019 an vorletzter Stelle.41 Vor COVID-19 In Guatemala haben sich lokale Frauengruppen und lebten mehr als 71 Prozent der Bevölkerung unter der Hilfsorganisationen zusammengetan, um bedürftige internationalen Armutsgrenze von umgerechnet 1,60 Familien zu unterstützen. Diese Aktionen kamen ins- Euro pro Tag.42 Im Land fehlt es an grundlegender Ver- besondere Afro-Guatemalteken und indigenen Ge- sorgung, und in vielen Gebieten sind die Menschen voll- meinschaften sowie Arbeiterinnen und Arbeitern zu- ständig von humanitärer Hilfe abhängig.43 gute, die besonders unter den Maßnahmen zur sozialen Isolation litten.39 Die von jahrzehntelangen bewaffneten Konflikten, grassierender Armut, einer nicht enden wollenden Flut CARE Guatemala setzt COVID-19-Hilfsprojekte um und von Naturkatastrophen und der COVID-19-Pandemie leistet Unterstützung in den Bereichen Ernährungs- heimgesuchte ZAR steht vor unzähligen Herausfor- sicherheit, Wirtschaft und geschlechtsspezifische derungen. In den letzten fünf Jahren gab es noch nie so Gewalt. Zusammen mit Partnern wie Movimiento de viele Zentralafrikaner in humanitärer Not wie heute. Mujeres Tz‛ununija hilft CARE auch den von den Tropen- Die UN warnen, dass im Jahr 2021 2,8 Millionen Zen- stürmen betroffenen Gemeinden mit Nahrungsmitteln, tralafrikaner – mehr als die Hälfte der Bevölkerung – Wasser und Hygieneartikeln zum Schutz vor COVID-19. humanitäre Hilfe und Schutz benötigen werden.44 8 Zehn humanitäre Krisen, die 2020 keine Schlagzeilen machten
Ausgewogene Ernährung: Mary Mwiche aus Sambia kennt sich aus. Seit 2012 befindet sich das Land im Bürgerkrieg. Men- Die Pandemie verschlechtert auch die Sicherheit von schenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung, Frauen und Mädchen. Vor dem Auftreten von COVID-19 darunter Attentate, Folter und Vergewaltigungen. Die gingen stündlich Berichte über Gewalt gegen Frauen humanitäre Lage wird durch schlechte Regierungs- und Mädchen über ein nationales Warnsystem ein, das führung, Armut und Ressourcenplünderung weiter bisher 42 Prozent aller Haushalte in der ZAR abdeckte. beeinträchtigt. Im Februar 2019 unterzeichneten Seitdem nun viele Menschen gezwungen sind, sich zu die Regierung und 14 bewaffnete Gruppen unter der isolieren, hat sich die Zahl der Meldungen fast ver- Schirmherrschaft der Afrikanischen Union ein histori- doppelt. Auch Kinder sind nach wie vor einem hohen sches Friedensabkommen, um den bewaffneten Kon- Missbrauchsrisiko ausgesetzt. Ein Viertel aller Fami- flikten ein Ende zu setzen. Trotzdem geht die Gewalt lien befürchtet, dass ihre Kinder sexualisierter Gewalt, weiter, auch mit Angriffen auf UN-Friedenstruppen Zwangsarbeit oder der Rekrutierung durch bewaffnete und Zivilisten.45 Gruppen zum Opfer fallen könnten.49 Die ZAR ist auch eines der gefährlichsten Länder der Welt für humani- Der Konflikt zwingt viele Familien dazu, ihre Landwirt- täre Helferinnen und Helfer. Im Durchschnitt wurde schaft aufzugeben.46 Einer von vier Menschen wurde zwischen Januar und Ende September 2020 mehr als entweder innerhalb des Landes oder in ein Nachbarland ein Vorfall pro Tag verzeichnet. Zwei Helfer wurden vertrieben, und die Zahl der Rückkehrenden ist gesun- getötet und 21 verletzt.50 ken.47 Diese Vertreibungen, kombiniert mit geringem Niederschlag während der Pflanzsaison, Schädlingsbe- Der Gewalt überdrüssig, kommen Frauengruppen im fall und einer Heuschreckenplage, haben 1,93 Millionen ganzen Land zusammen, um Frieden und Fortschritt Menschen an den Rand einer Hungersnot gebracht. Da- auf Gemeindeebene zu erreichen. Eine Gruppe namens rüber hinaus haben die Maßnahmen zur Eindämmung Femme Debout (Die aufrechte Frau) bringt Frauen aller des Coronavirus und Grenzkontrollen für Importe aus religiösen und ethnischen Hintergründe zusammen. Kamerun zu Versorgungsengpässen auf den lokalen Die Gruppe fördert Unternehmertum und Unabhängig- Märkten geführt. Die Preise für Grundnahrungsmittel keit, indem sie den Mitgliedern hilft, sich eine Exis- wie Reis und Öl stiegen in der Folge stark an.48 tenzgrundlage und ein neues Leben aufzubauen.51 ¼ der Bevölkerung wurde im Land vertrieben oder lebt in einem der Nachbarländer 9
Russia Russland Belarus Polen Die Zivilbevölkerung bleibt in diesem Konflikt ohne Schutz und Versorgung zurück. Viele jüngere und arbeitsfähige Menschen sind in andere Teile des Lan- des abgewandert. Ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen machen 30 Prozent der in den Konflikt- Ukraine gebieten lebenden Bevölkerung aus. 70.000 Menschen leben in von der Regierung kontrollierten Siedlun- gen und sind aufgrund der unsicheren Lage und der Schäden an der Straßeninfrastruktur isoliert und für lebenswichtige Dienstleistungen wie mobile medizini- sche Versorgung auf humanitäre Hilfe angewiesen.56 4 4 Angst vor Granatenangriffen, gewalttätige Zusam- Ukraine menstöße und die Bedrohung durch Landminen sind tägliche Realität für jene Menschen, die auf beiden Ältere Menschen auf Seiten der ‚Kontaktlinie‘ leben. Viele von ihnen leiden zunehmend unter psychischen Problemen, sowohl aus sich allein gestellt Angst vor Gewalt als auch aufgrund der langfristi- gen sozioökonomischen Auswirkungen des Konflikts. Durch die COVID-19-Pandemie wurde die Situation verschärft. Menschen können nur noch eingeschränkt die ‚Kontaktlinie‘ überqueren und haben kaum Zugang Mitte 2020 machten Videos von Neugeborenen, die in zu Basisdienstleistungen, Märkten und humanitärer einem ukrainischen Hotel ‚gestrandet‘ waren, weltweit Hilfe, auf die sie dringend angewiesen sind.57 Schlagzeilen. Die Babys waren Kinder ausländischer Paare, die von ukrainischen Leihmüttern geboren wur- Ende September verschärften Waldbrände, die eine den. Sie konnten wegen des COVID-19-Lockdowns nicht Woche lang in den von der Regierung kontrollierten zu ihren Eltern kommen.52 Die Ukraine ist eines der Gebieten der Oblast Luhanska wüteten, die ohne- ärmsten Länder Europas. Während diese Geschichte hin schon prekäre Lage. Über 32 Siedlungen entlang die Notlage verarmter ukrainischer Frauen hervor- der ‚Kontaktlinie‘ waren betroffen. Etwa 500 Häuser hob, die bereit waren, gegen Bezahlung Kinder auszu- gingen in Flammen auf, neun Menschen wurden tragen, wurde die humanitäre Krise im östlichen Teil getötet und 19 verletzt.58 Es wird befürchtet, dass die- des Landes, von der mehr als fünf Millionen Menschen jenigen, die ihre Häuser verloren haben, den Winter in betroffen sind, 2020 weitgehend ignoriert. provisorischen Unterkünften verbringen müssen.59 Schon vor COVID-19 schätzten die UN, dass 3,4 Mil- Geschlechtsspezifische Gewalt ist in der Ukraine ein lionen Menschen in der Region Donbas im Jahr 2020 großes Problem: Etwa drei Viertel der ukrainischen humanitäre Hilfe benötigen würden.53 Die COVID-19- Frauen haben seit ihrem 15. Lebensjahr Gewalt erfah- Pandemie hat die Herausforderungen für die betroffene ren.60 Nach Angaben des UN-Bevölkerungsprogramms Bevölkerung nur noch vergrößert. Besonders schlimm UNFPA verschlechterte sich die Situation während der ist die Lage entlang der ‚Kontaktlinie‘, die das von der Pandemie noch weiter. Bei der nationalen Hotline für ukrainischen Regierung kontrollierte Land von den häusliche Gewalt gingen im zweiten Monat seit Beginn von Separatisten verwalteten Gebieten trennt. Trotz der Quarantäne 72 Prozent mehr Anrufe ein als zuvor.61 wiederholter Waffenstillstandsvereinbarungen wird Die ukrainische Regierung hat sich verpflichtet, Pro- zivile Infrastruktur wie Wasser- und Stromversorgung gramme zu unterstützen, die Überlebenden von Gewalt häufig beschädigt.54 Die mehr als 420 Kilometer lange helfen und sie schützen. Während der Pandemie sind ‚Kontaktlinie‘ - das entspricht der Länge der deutsch- viele dieser Dienste auf neue Plattformen ausgewichen. französischen Grenze - ist eines der am stärksten mit Zum Beispiel können Gewaltüberlebende nun über mo- Minen verseuchten Gebiete der Welt.55 bile Apps und andere anonyme Kanäle Hilfe erhalten.62 Eines der ärmsten Länder Europas 3,4 Millionen Menschen benötigen humanitäre Hilfe 10
Tansania Sambia Simbabwe Botswana leben forderte70, Denguefieber im zentralen Westen und eine schwere Dürre im Süden.71 Während die Masernepidemie von 2019 weitgehend unter Kontrolle Südafrika ist, bleibt die Wahrscheinlichkeit einer neuerlichen Madagaskar Epidemie hoch.72 Im Süden des Landes haben die Auswirkungen der anhaltenden Dürre und COVID-19 die Ernährungsun- sicherheit verschlimmert, sodass fast 120.000 Kinder unter fünf Jahren von akuter Unterernährung und fast 20.000 vom Hungertod bedroht sind.73 Vor der Pande- 5 mie herrschte unter madagassischen Kindern die viert- 5 höchste Rate an chronischer Mangelernährung welt- Madagaskar weit, fast jedes zweite Kind unter fünf Jahren litt unter Unterernährung.74 Die Müttersterblichkeit zählt zu den An vorderster Front höchsten der Welt, und was den Zugang zu sauberem Trinkwasser betrifft, gehört Madagaskar zu den vier der Klimakrise am wenigsten entwickelten Ländern des afrikanischen Kontinents.75 Aufgrund der Auswirkungen der Pan- demie ist es unwahrscheinlich, dass Madagaskar von der UN-Liste der am wenigsten entwickelten Länder gestrichen wird. Da Handel und Tourismus durch die Geologen gehen davon aus, dass Madagaskar vor 165 COVID-19-Krise stark beeinträchtigt wurden, wird er- Millionen Jahren noch mit Afrika verbunden war und wartet, dass das Wirtschaftswachstum sinkt.76 dann nach und nach vom Kontinent abdriftete. In- folgedessen entwickelte es sich in Isolation, wie seine In Madagaskar unterstützt CARE die Bevölkerung in einzigartige Fauna und Flora belegen. Die Insel im mehreren Regionen des Landes vor und nach Naturka- Indischen Ozean steht bereits das dritte Jahr in Folge tastrophen. Parallel dazu setzt sich CARE zusammen auf der Liste von Suffering in Silence. mit seinem lokalen Partner SAF/FJKM dafür ein, dass innovative Finanzierungs- und Versicherungs- Jedes Jahr sind tausende Menschen in Madagaskar von lösungen gegen Klimarisiken und Katastrophen zum Naturkatastrophen und Missernten betroffen, doch Nutzen der Menschen entstehen. Um den Auswirkun- über ihre Situation wird in den internationalen Medien gen der COVID-19-Pandemie zu begegnen, unterstützt nur selten berichtet. Drei Viertel der Bevölkerung, rund CARE öffentliche Dienstleistungen und hilft den am 20 Millionen Menschen, leben unter der Armutsgrenze.63 stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen durch ein Geldtransferprogramm, die Instandhaltung von Madagaskar ist mit einem Reichtum an natürlichen Infrastruktur in Gesundheitszentren sowie Zugang zu Ressourcen, landwirtschaftlichen Produkten und einer Wasser und Hygieneschulungen, vor allem für Schul- Tourismusindustrie gesegnet, die von der einzigartigen kinder. CARE leistet auch Nothilfe für Gemeinden, die Biodiversität der Insel lebt. Über 90 Prozent der Tier- Anfang des Jahres von Überschwemmungen heimge- welt findet man nirgendwo sonst auf der Welt. Das Land sucht wurden und unterstützt die Betroffenen beim ist jedoch auch stark vom Klimawandel betroffen. Es Bau oder der Reparatur ihrer Häuser und bei der leidet unter wiederkehrenden, lang anhaltenden Dür- Wiederaufnahme landwirtschaftlicher Tätigkeiten. reperioden und rund 1,5 Zyklonen pro Jahr – der höchs- ten Rate in Afrika.64 Schätzungsweise ein Fünftel der Bevölkerung – rund fünf Millionen Menschen – sind direkt davon betroffen.65 Darüber hinaus wird Mada- gaskar aufgrund seiner niedrigen Impfraten und der 50 schlechten sanitären und hygienischen Verhältnisse regelmäßig von Epidemien heimgesucht. Malaria sowie Beulen- und Lungenpest sind im Land weit verbreitet.66 % Allein im Jahr 2020 gab es eine Vielzahl an Krisen: COVID-19 im ganzen Land67, Überschwemmungen Fast die Hälfte der Kinder leidet in 13 Distrikten68, bei denen 35 Menschen starben69, unter Verzögerungen des Wachstums Malaria in den südlichen Regionen, die 398 Menschen- Zehn humanitäre Krisen, die 2020 keine Schlagzeilen machten 11
6 6 Tansania Malawi Mehr Selbstmorde Sambia und Frühehen Malawi In dem kleinen Land im südlichen Afrika wächst die der Bevölkerung unter 18 Jahre alt ist80, hat Malawi Besorgnis über die steigende Zahl der Suizide. Natur- mit nur 264 Euro auch eines der niedrigsten Pro-Kopf- katastrophen, Schädlingsbefall, extreme Armut und Bruttosozialeinkommen der Welt.81 Seine Wirtschaft, COVID-19 setzen die Bevölkerung unter Druck. Nach die stark von der regenabhängigen Landwirtschaft Berichten der malawischen Polizei ist die Selbstmord- bestimmt wird, ist extrem anfällig.82 rate im Jahr 2020 stark angestiegen (um 57 Prozent).77 Im März 2019 überschwemmte Zyklon Idai weite Teile Die UN schätzt, dass 8,3 Millionen Malawier in Folge des Ackerlandes in Malawi, noch immer kämpfen die der COVID-19-Pandemie humanitäre Hilfe benötigen.78 Menschen in betroffenen Gebieten mit den Folgen.83 In diesem Land, das zu den am dichtesten besiedelten In den letzten Jahren erreichte Fortschritte bei der Afrikas gehört, leben sieben von zehn Menschen unter- Bekämpfung von akuter Unterernährung drohen zu- halb der Armutsgrenze.79 Da etwas mehr als die Hälfte nichte gemacht zu werden. Der von 4,1 Prozent im Jahr Männersache in Sambia: Der 27-jährige Emmanuel Mwamba lebt Gleichberechtigung. Wasser holen, bügeln und anderen Männern erklären, warum Stillen so wichtig ist – er bricht mit traditionellen Geschlechterrollen und trägt zum positiven Wandel bei. 12
7 7 Pakistan 2016 auf weniger als ein Prozent im Jahr 2019 gesenkte Anteil akut unterernährter Menschen84 wird angesichts Gewalt, Armut und unterbrochener Lieferketten und Versorgungseng- pässen wieder steigen.85 Das Welternährungsprogramm (WFP) schätzt, dass Naturkatastrophen im November 2020 etwa 2,6 Millionen Malawier Nah- rungsmittelhilfe benötigen.86 Verschärft wird die Situ- ation noch durch die hohe HIV/AIDS-Infektionsrate (9,6 Prozent)87, die niedrige Grundschulabschluss- n ta rate (51 Prozent)88, die hohe Anzahl unterentwickelter is an Kinder (37 Prozent der Kinder unter fünf Jahren)89 und Iran gh Af durch die mehr als 75.000 Flüchtlinge aus der Demokra- tischen Republik Kongo und anderen Nachbarländern.90 Die Schließung der Schulen während des Lockdowns hat zu einem Anstieg von Frühheirat geführt. Zwischen Indien März und Juli 2020 kam es zu 13.000 Fällen von Früh- heirat und über 40.000 Teenagerschwangerschaften. Pakistan Das entspricht einem Anstieg von 11 Prozent bei Schwangerschaften von Minderjährigen seit 2019.91 In Malawi bietet CARE Schulungen zu geschlechts- spezifischer Gewalt an, versorgt Einrichtungen zur In Pakistan, dem Land mit der fünfthöchsten Bevölke- Unterstützung von Überlebenden mit Matratzen und rungszahl der Welt, leiden die Menschen unter Vertrei- Bettzeug und stattet das Personal mit COVID-19- bungen aufgrund von Konflikten, den Auswirkungen Schutzausrüstung wie Masken und Hygieneartikel aus. des Klimawandels und weit verbreiteter Armut. Das Land ist sehr anfällig für Überschwemmungen, La- CARE setzt sich für die Beteiligung von Frauen in Ent- winen und Erdbeben. Jedes Jahr sind mindestens drei scheidungsgremien bei der Bekämpfung der Pandemie Millionen Menschen von Naturkatastrophen betroffen.92 ein. Um Frauen und Jugendliche wirtschaftlich zu Eine schwache Infrastruktur, schlechte Warnsysteme stärken, unterstützt CARE Kleinspargruppen. Wäh- und unwegsames Gelände verschlimmern die Schäden rend der Pandemie arbeiten Mitglieder der Kleinspar- und erschweren die humanitäre Hilfe. gruppen und CARE zusammen, um die Bevölkerung umfassend über COVID-19 zu informieren. Im Jahr 2020 kämpfte das Land gegen COVID-19, eine Heuschreckenplage und ein noch nie dagewesenes Ausmaß an Überschwemmungen in den Städten. Zum ersten Mal seit sechs Jahren war die Regierung ge- zwungen, Weizen zu importieren.93 Doch als der Mon- sunregen im August weite Teile des Landes überflutete, darunter Karatschi, die bevölkerungsreichste Stadt und das Wirtschaftszentrum Pakistans, wurden Ernten 2,6 und Existenzgrundlagen erneut zerstört.94 Über 400 Menschen kamen durch die Überschwemmungen ums Leben, rund 68.000 Menschen verloren ihr Zuhause.95 Die Provinzen Belutschistan und Sindh sind besonders Millionen Menschen brauchen anfällig für Dürren, Überschwemmungen, Wirbel- Nahrungsmittelhilfe stürme und Heuschreckenplagen. Sindh hat die höchste Armutsrate im Land.96 Die bei den extremen Über- schwemmungen des Jahres 2020 entstandenen Ausfälle durch vernichtete Ernten und verendetes Vieh wer- Mehr Frühehen und den erst in vielen Jahren wieder ausgeglichen werden Missbrauchsfälle: Seit können. Diese dreifache Katastrophe hat dazu geführt, 2019 wurden 11 Prozent dass etwa 6,7 Millionen Menschen auf Nahrungs- mehr Schwangerschaften von Minder- mittelhilfe und Zuschüsse für die landwirtschaftli- jährigen verzeichnet. che Produktion angewiesen sind.97 Eine gemeinsame Analyse des Welternährungsprogramms (WFP) und der Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO), die wäh- rend der Pandemie durchgeführt wurde, ergab, dass 25 Prozent der pakistanischen Haushalte – das sind rund Zehn humanitäre Krisen, die 2020 keine Schlagzeilen machten 13
49 Millionen Menschen – von Ernährungsunsicherheit Mali betroffen sind. Zehn Prozent (21 Millionen Menschen) benötigen dringend Nahrungsmittelhilfe.98 Schon vor Algerien COVID-19 war Unterernährung in ganz Pakistan weit verbreitet, vier von zehn pakistanischen Kindern unter fünf Jahren litten daran.99 Mauretanien Für Menschen, die in Konfliktgebieten leben, wird die Niger Ernährungsunsicherheit durch Armut und ein über- lastetes Gesundheitssystem noch verstärkt.100 Gleich- zeitig leben fast 1,4 Millionen afghanische Geflüchtete im Land101, was den Druck auf die bereits überlastete Burkina öffentliche Infrastruktur, etwa Schulen und Kranken- Faso häuser noch erhöht. Im Jahr 2019 wurde im Distrikt Larkana ein Ausbruch von HIV/AIDS festgestellt. Laut 8 dem Bevölkerungsfonds der UN (UNFPA) fehlen Pakis- tan ausreichend antiretrovirale Medikamente, weshalb 8 Mali die weitere Verbreitung der Krankheit eine dauerhafte Gefahr darstellt.102 Vor COVID-19 gehörte Pakistan laut Weltbank zu den Gewalt und COVID-19 schüren humanitäre Krise fünf am schnellsten wachsenden Volkswirtschaf- ten Asiens. Doch die Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19, die einen partiellen Lockdown und die Schließung vieler Unternehmen umfassten, haben zu einem Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts Pakistans geführt. Die Pandemie vergrößert auch die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern im Land und Das westafrikanische Land Mali befindet sich in einer weckt die Sorge, dass einige der Errungenschaften, für Krise. Schon vor der Pandemie hatten Jahre des Kon- die Frauen gekämpft haben, verloren gehen werden.103 flikts, der Unsicherheit und schlechter Regierungs- Vor COVID-19 rangierte Pakistan auf dem Index der führung gepaart mit extremen Wetterereignissen und Geschlechterungleichheit auf Platz 136 von 162.104 Naturkatastrophen in diesem riesigen Land im Sahel Vielen pakistanischen Frauen fehlt der Zugang zur Spuren hinterlassen. Gesundheitsversorgung, zur Durchsetzung von Rech- ten und zu sozialer Unterstützung. Und obwohl Pa- Vor acht Jahren begann im Norden Malis ein Aufstand, kistan Gesetze gegen geschlechtsspezifische Gewalt der sich inzwischen auf das Zentrum des Landes aus- erlassen hat, steht die Umsetzung noch aus.105 Mehr als gedehnt hat. Auch die Nachbarstaaten Burkina Faso ein Viertel der pakistanischen Frauen hat eine Form und Niger geraten zunehmend unter Druck. körperlicher oder sexueller Gewalt erlebt.106 Gewalt, Naturkatastrophen und weit verbreitete Armut CARE und seine lokalen Partner haben bereits auf haben dazu geführt, dass in diesen drei Ländern eine die Heuschreckenplage in der Provinz Belutschistan Rekordzahl von 13,4 Millionen Menschen dringend hu- reagiert. CARE hat auch die Maßnahmen der Regierung manitäre Hilfe benötigt. Rund 7,4 Millionen von ihnen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie unterstützt droht der Hungertod, über 1,6 Millionen wurden aus und Wasser- und Sanitäreinrichtungen verbessert. In ihrer Heimat vertrieben.107 Durch die Pandemie hat sich der Stadt Peschawar und in weiteren Bezirken wurden die humanitäre Lage noch weiter zugespitzt. über 40.000 Menschen mit Radiobotschaften zur Krankheitsprävention erreicht. In der Provinz Khyber Vor COVID-19 lebte fast die Hälfte der Menschen in ext- Pakhtunkhwa versorgte CARE über 13.000 Menschen remer Armut.108 Im Human Development Index 2019 mit Nahrungsmitteln und Hygiene-Kits. Die Program- belegt Mali Platz 184 von 189 Ländern.109 Die Sicher- me von CARE Pakistan kümmern sich um Gesund- heitslage, die für den wirtschaftlichen Aufschwung heitsversorgung, sanitäre Einrichtungen und sauberes und die Armutsbekämpfung entscheidend ist, bleibt Wasser für gefährdete Bevölkerungsgruppen. Außer- instabil. Erst im August 2020 wurde Präsident Ibrahim dem hilft CARE bei der Vorbereitung auf Katastrophen Boubacar Keita durch einen Militärputsch gestürzt. Die und ist bei Bedarf im Nothilfeeinsatz. neue Übergangsregierung gibt zwar wieder Hoffnung auf Frieden110, doch jahrelange Konflikte und Gewalt in den zentralen und nördlichen Regionen des Landes 49 haben Tausende von Menschen vertrieben. In den länd- Millionen Menschen fehlt lichen Gebieten des Südens, wo die Bevölkerungsdichte es an ausreichend Nahrung am höchsten ist, leben neun von zehn Menschen unter- halb der Armutsgrenze.111 14 Zehn humanitäre Krisen, die 2020 keine Schlagzeilen machten
Fast zwei Drittel der Bevölkerung lebt von der Land- Minderjährige. Dazu gehörten Tötung, Verstümme- wirtschaft. Da Ackerbau und Viehwirtschaft durch lung, Vergewaltigung und andere sexualisierte Gewalt Wetterextreme und COVID-19-Beschränkungen nur sowie die Rekrutierung durch bewaffnete Gruppen. begrenzt betrieben werden können, stieg die Zahl der Allein in den ersten drei Monaten des Jahres 2020 gab Menschen, die Nothilfe benötigen, zwischen Januar es insgesamt 228 solcher Übergriffe gegen Minder- und August 2020 von 4,3 Millionen auf 6,8 Millionen. jährige. Die UN stellte auch einen starken Anstieg von Mit anderen Worten: Jeder dritte Mensch in Mali benö- gewaltsamen Vertreibungen fest, bei denen zwischen tigt humanitäre Hilfe,112 darunter 1,3 Millionen Men- Januar und Mai 2020 mehr als 137.000 malische Kinder schen, die unter Nahrungsknappheit leiden.113 von ihren Familien getrennt wurden.115 Die Pandemie hat auch die Situation für Frauen und Seit der Eskalation der Nahrungsmittelkrise in der Kinder verschlechtert. Mali ist eines der Länder, in Sahelzone im Juni 2012 unterstützt CARE gemeinsam denen Frauen in großem Ausmaß Ungleichbehandlung mit Partnern wie der malischen Hilfsorganisation erfahren. Im globalen Gleichstellungsindex stand Mali YAGTU Menschen, die besonders unter Konflikten vor COVID-19 auf Platz 158 von 162.114 Grenzschließun- leiden und von Dürre und anderen Naturkatastrophen gen behindern den regionalen Handel des Binnen- betroffen sind, mit Ernährungsprogrammen. Zwischen landes erheblich und schränken auch für Frauen die 2013 und 2019 erreichten die Wasser-, Hygiene- und Möglichkeit ein, selbst Geld zu verdienen. Ernährungsprojekte von CARE über drei Millionen Menschen in den Regionen Koulikoro, Segou und Die Pandemie verschlimmert auch die Situation der Mopti. Die Zahl der unterentwickelten Kinder ist um Kinder in der gesamten zentralen Sahelzone: In allen 40 Prozent zurückgegangen und auch die Wahrschein- drei Ländern wurden Schulen geschlossen, um die Aus- lichkeit, dass Familien sauberes Wasser trinken, ist breitung des Virus einzudämmen. Wenn Kinder nicht um 43 Prozent gestiegen. Nicht zuletzt haben Frauen zur Schule gehen, sind sie einem größeren Risiko für mehr Mitspracherecht: Sie sind dreimal häufiger an Ausbeutung und Missbrauch ausgesetzt. Die UN in Mali Entscheidungen über die Gesundheit ihrer Kinder und verzeichnete im Jahr 2019 745 schwere Verstöße gegen häusliche Ausgaben beteiligt. 1,3 Millionen Menschen leiden Hunger 90 % leben unterhalb der Armutsgrenze Rubrikentitel 15
Handschuhen, Handdesinfektionsmitteln und sogar Decken und Waschmittel.120 Die Behörden sind besorgt, dass COVID-19 das Gesundheitssystem weiter schwä- Indonesien chen und die Bemühungen zur Bekämpfung endemi- scher Krankheiten wie Tuberkulose, HIV/AIDS, Malaria und Polio, die 2018 erneut auftraten, zunichtemachen könnte.121 Papua- Die Bevölkerung von PNG ist auch stark von Unterer- Neuguinea nährung betroffen. Bereits vor der globalen Pandemie war fast jedes zweite Kind nicht altersgemäß entwi- ckelt.122 Schätzungen zur Folge werden rund eine halbe Million Kinder nie ihr volles Wachstumspotenzial aus- schöpfen können. In einem Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung von Subsistenzlandwirtschaft lebt123, 9 wurde die Mangelernährung bei Kindern und Erwach- 9 senen durch die Schließung lokaler Märkte zwischen Papua-Neuguinea März und Juni 2020 weiter verschärft.124 Die Wirtschaft von PNG wird von der Rohstoffindustrie und Agrarroh- Den Widrigkeiten stoffen, der Fischerei und Forstwirtschaft angetrieben. Durch die COVID-19-Beschränkungen und die gerin- trotzen gere Nachfrage nach Rohstoffen wurde die Wirtschaft erheblich geschwächt. Die Menschen in PNG kämpfen deshalb mit einer höheren Inflationsrate und gestiege- nen Preisen für Güter des täglichen Bedarfs.125 Weniger als zehn Kilometer von den nördlichsten In- In der Bevölkerung sind die Frauen am stärksten be- seln Australiens entfernt liegt Papua-Neuguinea (PNG). troffen. Auf den Märkten arbeiten größtenteils Frauen. Hier leben über 1.000 verschiedene ethnische Gruppen Viele haben ihr Einkommen verloren, damit sinkt ihr und die Bevölkerung spricht mehr als 800 Sprachen. Einfluss in der Familie. Gleichzeitig sind sie einem Im krassen Gegensatz zu seinem Nachbarn ist PNG größeren Risiko von Gewalt ausgesetzt.126 Weltweit hat jedoch eines der am wenigsten urbanisierten Länder PNG eine der höchsten Raten sexualisierter und physi- der Welt, mit der niedrigsten Lebenserwartung in der scher Gewalt gegen Frauen. Fast zwei von drei Frauen Pazifikregion. Der Inselstaat verfügt über eine große in Papua-Neuguinea geben an, schon einmal eine Form biologische Vielfalt und zahlreiche Tierarten, wird aber von Gewalt erlitten zu haben.127 Insgesamt sind Frau- auch von Vulkanausbrüchen, Erdbeben und Tsunamis en in PNG weniger gebildet und verfügen über einen heimgesucht. Im Jahr 2020 waren seine Einwohner beschränkten Zugang zu formeller Beschäftigung zusätzlich zu den Folgen der globalen Pandemie mit und grundlegender Versorgung. Im Jahr 2019 lag PNG Überschwemmungen, Erdrutschen und kleineren Erd- deshalb auf dem vorletzten Platz im Gender-Ungleich- beben konfrontiert. Wegen des rauen Territoriums, das heits-Index der UN.128 Die Regierung hat jedoch eine den Ausbau einer Infrastruktur und damit den Trans- nationale Strategie zur Prävention von und Reaktion port erschwert, hat das Land bis heute mit Entwick- auf geschlechtsspezifische Gewalt entworfen und lungsdefiziten zu kämpfen. Die mehr als acht Millionen implementiert.129 Menschen leben weitgehend ländlich und stark zer- streut. Sie verteilen sich auf das Hochland und über Alle Programme von CARE Papua-Neuguinea konzen- 600 verschiedene Inseln und Atolle.116 trieren sich darauf, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten und Frauen dabei zu unterstützen, positive Veränderungen Die UN schätzt, dass im Jahr 2020 etwa 4,6 Millionen für ihr Leben zu schaffen. Wir bilden Gesundheits- Menschen, mehr als die Hälfte der Bevölkerung, personal aus, stärken den Dienstleistungssektor und humanitäre Hilfe benötigen.117 Nur 46 Prozent der Be- verbessern die Infrastruktur von Gesundheitszentren völkerung haben Zugang zu sauberem Trinkwasser. In in abgelegenen Regionen. CARE arbeitet auch mit der einigen Teilen des Landes leiden die Menschen unter Regierung, Gemeinden und Lehrkräften daran, mehr Mangelernährung, da auf ihrem Speiseplan wichtige Mädchen in die Schule zu schicken. Nährstoffe fehlen. Sowohl Wasser als auch eine gesun- de Ernährung sind entscheidende Voraussetzungen, um Krankheiten wie COVID-19 vorzubeugen.118 Bereits vor COVID-19 war das Gesundheitssystem von PNG überlastet.119 Im Juli 2020 startete das Port Mores- by General Hospital – das größte des Landes – einen Spendenaufruf zur Unterstützung mit Gesichtsmasken, Nur 46 % der Bevölkerung hat Zugang zu sauberem Trinkwasser 16 The 10 most under-reported humanitarian crises of 2020
Demokratische kämpfen138 und mussten auch wegen der Bewegungs- Republik einschränkungen durch COVID-19 wirtschaftliche Ein- Kongo Tansania bußen hinnehmen.139 Zusätzlich kämpft Sambia aktuell auch gegen eine Heuschreckeninvasion, durch die rund 90.000 Haushalte dringend humanitäre Hilfe benöti- Angola gen.140 Ein einziger Heuschreckenschwarm – und es schwirren bereits mehrere Heuschreckenschwärme über der südlichen Region des Landes – kann an einem Tag so viel Nahrung aufnehmen wie 2.500 Menschen.141 Namibia Die Störung der globalen Rohstoffmärkte durch COVID-19 hat auch den Preis für Kupfer, dessen Haupt- Sambia produzent Sambia ist, gedrückt.142 Die Weltbank er- wartet, dass die sambische Wirtschaft im Jahr 2020 um etwa 4,5 Prozent schrumpfen wird.143 Derzeit leben 10 etwa 70 Prozent der Stadtbewohner dichtgedrängt in 10 informellen Siedlungen mit schlechter Wasserinfra- Sambia struktur.144 Laut einer Bevölkerungs- und Gesund- heitsumfrage hatten nur 33 Prozent der Menschen Extremwetter Zugang zu grundlegenden sanitären Diensten.145 Im Falle eines drastischen Anstiegs der COVID-19 Fälle in verursacht Hunger Sambia wären schwangere und stillende Mütter beson- ders gefährdet, da das Land mit durchschnittlich 2.062 Geburten pro Tag die höchste Geburtenrate Afrikas aufweist.146 Gleichzeitig weist das Land im globalen Vergleich auch eine der höchsten Raten für Frühehen Im südlichen Afrika liegt Sambia – ein großes, friedli- und Teenagerschwangerschaften auf.147 ches Land, das für seine Kupferminen und landschaft- liche Schönheit bekannt ist. Gleichzeitig gehört Sambia CARE verfolgt bei der Überbrückung von Dürreperio- aber auch zu den Ländern weltweit, die die Hauptlast den und der Stärkung der Widerstandsfähigkeit einen der globalen Klimakrise tragen. Insgesamt 10,1 Mil- geschlechtersensiblen Ansatz. So wird sichergestellt, lionen Menschen, das sind etwa 56 Prozent der sam- dass am stärksten gefährdete Gruppen wie Frauen bischen Bevölkerung, benötigen aufgrund von Dürren und Mädchen unterstützt werden. Dazu gehört auch und Überschwemmungen humanitäre Hilfe.130 die Zusammenarbeit mit Frauen bei der Gründung von Kleinspargruppen. Außerdem repariert CARE Seit 1960 sind die Temperaturen in Sambia um etwa sanitäre Einrichtungen und stellt Hygieneartikel für 1,3°C gestiegen, gleichzeitig ist die jährliche Nieder- Frauen und Mädchen bereit. Rund 130.000 Menschen schlagsmenge um durchschnittlich 2,3 Prozent pro erreichte CARE mit Ernährungsprogrammen. Außer- Jahrzehnt zurückgegangen.131 Wiederkehrende Dürre- dem versorgte CARE Frauen, Männer und Kinder mit perioden drohen die berühmten Victoriafälle auszu- Nahrungsmitteln, Wasser, Hygieneprodukten sowie trocknen132 und der Wasserstand des Kariba-Sees – des anderen Nothilfemaßnahmen. größten künstlichen Sees weltweit und Sambias wich- tigster Wasserkraftquelle – ist in nur drei Jahren um sechs Meter gesunken.133 Während sich häufige Stromausfälle negativ auf den Produktionssektor in Sambia auswirkten134, waren die Folgen der Dürre besonders verheerend für den Agrar- sektor. Das Land ist seit langem ein großer Maisprodu- zent für das südliche Afrika. In diesem Jahr sah sich die Über 10 Millionen Menschen benötigen sambische Regierung jedoch gezwungen, alle Getreide- humanitäre Unterstützung exporte zu verbieten135, während das Nachbarland Namibia den Ausnahmezustand ausrief.136 Die Bevölkerung ist von akutem Hunger und Unter- ernährung bedroht. Im Juli 2020 benötigten 2,6 Millio- nen Menschen dringend Nahrungsmittelhilfe.137 Auf- 2,6 Millionen Menschen brauchen Lebensmittelhilfe einanderfolgende Dürreperioden, Heuschreckenplagen 33 % und Überschwemmungen führten dazu, dass land- wirtschaftliche Erträge ausblieben. Gleichzeitig hatten haben Zugang die Menschen mit dem Ausbruch von Viehseuchen zu zu Sanitäranlagen Zehn humanitäre Krisen, die 2020 keine Schlagzeilen machten 17
Von der Bildung bis hin zu einer ausgewogenen Ernährung: Der 48-jährige Sambier Stephen Chilufya und seine Frau entscheiden gemeinsam, was für ihre Familie am besten funktioniert. „Wir haben eine Toilette und ein Waschbecken zum Händewaschen installiert und kochen Rezepte von Kochvideos nach. Unsere Kinder sind gesünder und besser in der Schule, weil wir beide für unsere Familie sorgen.“ 18 Rubrikentitel
Wie man in einer globalen Pandemie vergessene Krisen beleuchtet COVID-19 breitet sich in einer Welt aus, in der humanitäre Not bereits überall zu sehen ist und weiter zunimmt. Schon vor dem Ausbruch des Virus waren über eine Milliarde Menschen von Konflikten, Vertreibungen und der Klimakrise betroffen.148 Die aktuelle Pandemie verschärft diese Herausforderungen. Während sich COVID-19 weiter aus- breitet, konzentrieren sich die Regierungen und Institutionen, die traditionell die internationale humanitäre Hilfe unterstützen, auf die Gesundheit ihrer eigenen Bürgerinnen und Bürger sowie ihrer angeschlagenen Volkswirtschaften. Angesichts dieses Trends werden humanitäre Gelder wahrscheinlich knapper werden. Was können wir also in Zeiten von COVID-19 tun, um auf andere schwere humanitäre Krisen auf- merksam zu machen, die Millionen Menschen auf der ganzen Welt betreffen? Viele Menschen und Organisationen in den genannten Ländern tun alles, um Leid zu lindern, aber sie können es nicht allein tun. Wenn es uns als internationaler Gemeinschaft nicht gelingt, diesen gefährdeten Ländern zu helfen, sind wir alle in Gefahr. Ohne Solidarität gehen wir alle als Verlierer aus dieser Krise hervor. Wie überwinden wir die mediale Stille? Wir bieten keine magische Lösung an, sondern vielmehr eine Vielzahl von Möglichkeiten, mit denen wir beginnen können. Nichts zu tun, ist keine Option. Wichtig ist, dass wir weiterhin auf Leid aufmerksam machen, wo immer es in der Welt geschieht. Hier sind einige der Möglichkeiten: Zehn Dinge, die wir tun können Was können wir tun? 19
1. egierungen müssen Medien R arbeiten mit Medien zusammen, um zu verstehen, wie redaktionelle Entscheidungen getroffen werden und Zugang gewähren wie neue Berichte über Krisen auf die Tagesordnung gesetzt werden können. Hilfsorganisationen können � Seit dem Ausbruch von COVID-19 kämpfen Jour- Medienschaffende auch weiterhin unterstützen, indem nalistinnen und Journalisten gegen innenpolitische sie qualitativ hochwertige Recherchen, Einblicke und Agenden und Fehlinformation. Sie stehen in der Krise Hintergrundinformationen zur Verfügung stellen, um an vorderster Front. Medien informieren und sensibi- weniger bekannte, aber wichtige Themen ins Rampen- lisieren die Öffentlichkeit, gleichzeitig tragen sie dazu licht zu rücken. Eine nachhaltige Zusammenarbeit mit bei, Massenpanik zu verhindern. Im Kampf gegen die Medien kommt auch zustande, wenn Hilfsorganisa- Pandemie sind genaue Informationen entscheidend. tionen sich als vertrauenswürdige Quelle für Kontakte Regierungen können ihre wichtige Arbeit erleichtern, und Inhalte etablieren, wenn sie Recherchen unterstüt- indem sie die Qualität ihrer Daten verbessern und den zen und strukturelle Ursachen verstehen helfen. Dafür Zugang zu Informationen gewähren. Dies bedeutet in sind genaue und vertrauenswürdige Quellen sowie vielen Ländern auch, Zensur und Einschüchterung zu Kontakte zu guten Übersetzerinnen, Fotografen und verbieten – sowohl online als auch offline. Vor allem Expertinnen unerlässlich. aber bedeutet es, das Leben von Medienschaffenden zu 4. schützen. Zwischen 2006 und 2019 wurden weltweit fast 1.200 Journalisten getötet, viele weitere wurden okale Partner in den L verletzt, gefoltert, entführt, illegal festgehalten, ein- Vordergrund stellen geschüchtert oder schikaniert, weil sie ihre Arbeit taten. In neun von zehn Mordfällen kamen die Mörder ungestraft davon. 149 Ein freier Informationsfluss ist für � Wir müssen weiterhin dem Irrglauben entgegenwir- Demokratien unbedingt notwendig, in Krisenzeiten ist ken, dass Gemeinschaften ‚hilflos‘ seien. Dazu gehört er umso wichtiger. Dass Verbrechen gegen Reporterin- es, ihre Erfolge zu zeigen. Internationale Organisa- nen und Reporter ohne Strafe bleiben, muss aufhören. tionen können ihre lokalen Partner etwa durch die Weiterentwicklung ihrer Medien- und Öffentlichkeits- 2. arbeit unterstützen, von der Vorbereitung und Verbrei- Internationale Geber müssen tung von Kommunikationsmaterialien über die effizi- Nothilfe ausreichend finanzieren ente Nutzung von sozialen Medien für ihre Anliegen bis hin zum Kontakt mit Medienhäusern außerhalb ihrer Länder. Wichtig sind dabei auch angemessene Kommu- � Laut UN OCHA benötigen im Jahr 2021 weltweit über nikationsbudgets in Projektanträgen, die für lokale 235,4 Millionen Menschen lebensrettende Hilfe. Um die Fotografinnen und Reporter aufgewendet werden. 5. Not der am stärksten Betroffenen zu lindern, werden knapp 29 Milliarden Euro benötigt.150 Dieser riesige globale Bedarf kommt zu einem Zeitpunkt, an dem In Bürgerjournalismus investieren Geldgeber wirtschaftliche Rettungspakete und Sicher- heitsnetze in ihren eigenen Ländern finanzieren und � Durch die COVID-19-Reisebeschränkungen sind gleichzeitig den Zugang zu Impfstoffen sicherstellen digitale Lösungen einmal mehr zu einem überaus müssen. 2021 wird eine Bewährungsprobe für die wichtigen Instrument der Medienberichterstattung Geldgeber darstellen, die zwischen innenpolitischen geworden. Der Zugang zu Quellen ist günstiger, schnel- Herausforderungen und globaler Solidarität hin- und ler und sicherer. Noch wichtiger ist, dass Menschen in hergerissen sein werden. Im Geiste des Multilateralis- Krisengebieten durch digitale Technologien sowohl mus fordern wir die institutionellen Geber nachdrück- humanitäre Helfer als auch die Medien über ihre Lage lich dazu auf, ihr Engagement für humanitäre Hilfe informieren können. Hilfsorganisationen können aufrechtzuerhalten und, wo möglich, zu verstärken. diese neuen Entwicklungen unterstützen, indem sie Die internationalen Finanzinstitutionen sollten Schul- verschiedene Bevölkerungsgruppen – insbesondere den streichen und die Regierungen der Empfängerlän- Frauen, Mädchen und andere marginalisierten Grup- der von Hilfsgeldern in die Pflicht nehmen, finanzielle pen – ermutigen, aus ihrer eigenen Perspektive zu er- Mittel für die Notlinderung und Basisdienstleistungen zählen. Die Unterstützung kann beispielsweise in Form einzusetzen, einschließlich des freien und gleich- der Bereitstellung von Telefonen oder Geld für mobile berechtigten Zugangs zu einem COVID-19-Impfstoff Daten, Schulungen im journalistischen Schreiben aus für alle. einer Gender-Perspektive oder einer engeren Ver- 3. knüpfung von Bürgerjournalistinnen mit etablierten Medien erfolgen. Die Berichterstattung über Konflikte In Medienarbeit investieren oder Katastrophen ist oft gefährlich. Deshalb ist es wichtig, dass Hilfsorganisationen bei Partnerschaf- � Wir befinden uns mitten in einer globalen Krise, doch ten mit lokalen Medienschaffenden den sogenannten immer wieder tauchen neue Krisen auf. Manche Krisen ‚Do-No-Harm‘-Ansatz wählen. Hier geht es darum, werden chronisch. Die meisten Hilfsorganisationen in Konflikten sensibel vorzugehen und Risiken regel- 20 Was können wir tun?
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