Syrien: Wer gegen wen? - Israelreport 5 | 2013 Das Magazin von Israelnetz. Berichte und Hintergründe aus Israel und dem Nahen Osten

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Syrien: Wer gegen wen? - Israelreport 5 | 2013 Das Magazin von Israelnetz. Berichte und Hintergründe aus Israel und dem Nahen Osten
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           Syrien:
       Wer gegen wen?
Syrien: Wer gegen wen? - Israelreport 5 | 2013 Das Magazin von Israelnetz. Berichte und Hintergründe aus Israel und dem Nahen Osten
Editorial

„Zeit für Gespräche“

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

hatten wir nicht alle mit einem mächtigen Militärschlag der       ne beschrieben. Die Art der Bomben, die Zahl der Flugzeuge
USA gegen Syriens Präsidenten Assad gerechnet? Einem              und die Dauer des Einsatzes – die deutschen Medien schienen
Countdown gleich wurden Tage und Stunden herunterge-              alles zu wissen. Doch jetzt gibt es Zeit für Gespräche. Erst die
zählt bis zum Start der Raketen, die als Vergeltung für den       Zukunft wird zeigen, ob diese Kontakte zum Frieden helfen.
angenommenen Giftgaseinsatz durch Regierungstruppen auf
Ziele in Syrien abgefeuert werden. Voller Angst richteten sich    Nahezu im Hintergrund laufen Gespräche zwischen Israel und
die Menschen auf diesen Beschuss ein. Eine weitere Flücht-        den Palästinensern. Nur wenig dringt nach außen. Manche se-
lingswelle rollte auf die Nachbarländer zu. Von roten Linien      hen darin eher ein positives Zeichen.
war immer wieder die Rede und von der Glaubwürdigkeit der
Obama-Regierung, andererseits vom Wert der militärischen          Wir haben in diesem Israelreport wieder sorgfältig Themen
Abschreckung überhaupt. Über Erfolg und Misserfolg solcher        aufbereitet und Zusammenhänge erläutert. Ein Beitrag be-
Aktionen diskutierten Journalisten, Politiker und Militärexper-   schäftigt sich mit den brennenden Kirchen und einer neuen
ten. Doch der Finger am Abzug zuckte bereits. Und dann hatte      Welle der Christenverfolgungen im Nahen Osten. Gerade in
plötzlich jemand die Hand am Sicherungshebel der Waffen.          den Ländern der Revolten und Rebellionen geraten Christen
Unmittelbar nach einem weltweiten Gebetstag für Syrien gab        zwischen alle Fronten. Der Syrienexperte Professor Eyal Zisser
es diesen Umschwung. Plötzlich öffnete sich ein Fenster und       prophezeite auf dem Weltgipfeltreffen zum Kampf gegen den
es begann eine Zeit für Gespräche.                                Terror im israelischen Herzlija: „Der arabische Frühling ist das
                                                                  Ende des orientalischen Christentums.“ Doch lesen Sie selbst.
Die traurige Wirklichkeit: Das Sterben in Syriens Dörfern und
Städten geht weiter – und doch: Hoffnung keimt auf.               Angesichts der vielen Kämpfe und Kriege auf der Erde seh-
                                                                  nen sich viele Menschen danach, dass der lebendige Gott ein
Neue Töne kommen aus Teheran. Nach den harten Ansagen             letztes Wort spricht, dem Bösen wehrt und dem Frieden die
gegen Israel und bösen Sprüchen über den Holocaust fallen         Tür öffnet. „Er wird richten unter den Heiden und zurechtwei-
die milden Worte auf. Glückwünsche zum jüdischen Neujahrs-        sen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen
fest und die Beteuerung, dass der Iran allein zur friedlichen     und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk
Nutzung der Kernenergie forschen will, brachten Bewegung          wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort
in die europäische und amerikanische Iran-Diplomatie. Am          nicht mehr lernen, Krieg zu führen“ (Jesaja 2,4).
Rande der UN-Vollversammlung liefen Gespräche mit ira-
nischen Politikern. Seit dreißig Jahren gab es erstmals einen     In diesem Sinne Schalom!
Gesprächsfaden zwischen dem US-Präsidenten und dem ira-
nischen Präsidenten. Vor einem Jahr hatte Israels Premiermi-      Ihr
nister Netanjahu eine andere rote Linie markiert. Mit einem
Zeichenblock in der Hand trat er vor die UN-Vertreter und
warnte vor der iranischen Atombombe. In deutschen Zei-
tungen wurden haargenau angebliche israelische Angriffsplä-       Egmond Prill

                                                                                           Impressum

Inhalt                                                                                     Herausgeber
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Editorial:         „Zeit für Gespräche“                                         2          www.israelnetz.com
                                                                                           editor@israelnetz.com | gerloff@kep.de (J. Gerloff)
Titel:             Wer in Syrien kämpft                                         3          Bankverbindung
Zeitgeschehen: USA erstatten Raubgut an Räuber                                  5          Volksbank Mittelhessen eG
Geschichte:        Fatale Überheblichkeit                                       6          Konto 40983201, BLZ 513 900 00
                                                                                           IBAN DE73513900000040983201, BIC VBMHDE5F
Christentum:       „Arabischer Frühling“: Ende des Christentums im Orient?      8          Vorsitzende: Margarete Hühnerbein
Hintergrund Islam: Schiiten und Sunniten                                       10          Geschäftsführer: Wolfgang Baake
                                                                                           Redaktionsleitung: Dana Nowak, Johannes Gerloff
Zeitgeschehen: Ein afrikanischer Traum                                         12          (stv.) | Redaktion: Moritz Breckner, Daniel Frick,
Meldungen:         Radprofi für Judenrettung geehrt                            14          Elisabeth Hausen, Mirjam Holmer, Egmond Prill,
                                                                                           Martina Schubert, Swanhild Zacharias
Kommentar:         Ist Schweigen doch Gold?                                    15          Der Israelreport erscheint als Beilage des
                                                                                           Christlichen Medienmagazins pro.
                                                                                           Titelfoto: picture alliance

2                                                                                                                 Israelreport 5 | 2013
Syrien: Wer gegen wen? - Israelreport 5 | 2013 Das Magazin von Israelnetz. Berichte und Hintergründe aus Israel und dem Nahen Osten
Titel
Wer in Syrien kämpft
Seit fast drei Jahren tobt in Syrien ein Krieg, der bereits weit mehr als 120.000 Menschen das Leben gekostet hat.
Vordergründig kämpft ein Volk gegen einen brutalen Diktator um seine Freiheit. Bei näherem Hinsehen zeigt
sich allerdings ein kompliziertes Bild mit weltweiten Verflechtungen und Implikationen. || Johannes Gerloff

                                                                                                                                      Foto: picture alliance
Auch Al-Qaida-Anhänger kämpfen in Syrien

E
       rster Israeli im Kampf gegen Assad    rige Student Abd el-Kader Altala aus dem     Masrawa behauptet, nur seinen Bruder
       gefallen“, war am Vorabend des        israelischen Taibe muss sich vor dem Be-     gesucht zu haben, der in Syrien verschol-
       Laubhüttenfestes 2013 Schlagzei-      zirksgericht in Lod verantworten, weil er    len sei.
le in israelischen Medien. Am Tag zuvor      sich der radikal-islamischen Dschabhat          Die Beziehungen zwischen den Län-
hatte die Familie Dschuma’ah aus Mu-         al-Nusra angeschlossen haben soll. Ende      dern des Nahen Ostens sind allen feind-
schirfa, einem kleinen Dorf neben Umm        Juli hatte ein Medizinstudent, der im Aus-   lichen politischen Beziehungen zum
el-Fahm im Wadi Ara, das Bild von einem      land studiert, seine Familie in Untergali-   Trotz eng. Das zeigte sich, als die Na-
zerschossenen Leichnam erhalten. Die         läa wissen lassen, er werde sich den Re-     zarether Familie Waqed im August er-
Familie glaubt, ihren Sohn Mu’eid ein-       bellen in Syrien anschließen.                fuhr, dass 21 ihrer Verwandten bei dem
deutig identifizieren zu können. Wenige         Im April war der 29-jährige Hechmat       Chemiewaffen-­  Massaker in einem Vor-
Monate zuvor hatte der 28-jährige Mu’eid     Masrawa aus Taibe zu zweieinhalb Jah-        ort von Damaskus ermordet worden wa-
Zachi Agabaria geheiratet. Niemand           ren Haft verurteilt worden, nachdem          ren – darunter eine Mutter und ihre sechs
will gewusst haben, dass er im Sommer        er im Februar über die Türkei nach Sy-       Kinder, sowie ein Ehepaar mitsamt sei-
ausgezogen war, um sich den Aufstän-         rien eingereist war. Bei seiner Rückkehr     nen vier Kindern. Über Verwandte in Jor-
dischen in Syrien anzuschließen.             am 19. März war er auf dem Ben-Gurion-       danien war die Nachricht nach Israel ge-
   Israelische Medien wissen von minde-      Flughafen verhaftet worden. In seiner        langt. Im selben Vorfall waren auch elf
stens 25 Israelis, die in Syrien gegen das   Anklageschrift steht, er habe sich eine      Mitglieder der Familie Churani – im Al-
Regime von Baschar al-Assad kämpfen.         Woche lang bei einer Rebelleneinheit         ter von drei bis 75 Jahren – aus dem pa-
So meldete Anfang September ein Vater        aufgehalten, dort seinem Willen, sich        lästinensischen Dschenin im nördlichen
aus Zentralisrael seinen Sohn bei der Po-    Kampfhandlungen anzuschließen, Aus-          Westjordanland ums Leben gekommen.
lizei als vermisst, nachdem er feststellen   druck verliehen, beim Aufbau eines mi-          Der Onkel eines mutmaßlichen israe-
musste, dass der ein Ticket in die Türkei    litärischen Trainingslagers geholfen und     lischen Dschihadkämpfers in Syrien, der
ohne Rückflug gekauft hatte. Der 26-jäh-     an Übungen mit Waffen teilgenommen.          gerne anonym bleiben möchte, bezeich-

Israelreport 5 | 2013                                                                                                            3
Syrien: Wer gegen wen? - Israelreport 5 | 2013 Das Magazin von Israelnetz. Berichte und Hintergründe aus Israel und dem Nahen Osten
raten. Insofern ist es nicht ganz abwegig,
                                                                                                                wenn Assad behauptet, der Krieg sei ein
                                                                                                                internationales Komplott, seine Regie-
                                                                                                                rung zu stürzen.
                                                                                                                   200.000 Soldaten Assads stehen also
                                                                                                                schätzungsweise 100.000 Kämpfern ge-
                                                                                                                genüber, die sich in Dutzenden Milizen
                                                                                                                unterschiedlichster Prägung, Ausbil-
                                                                                                                dung, Kampfstärke, Ideologie und Ziel-
                                                                                                                setzung zusammengeschlossen haben.
                                                                                                                Dabei ist sich die syrische Opposition al-
                                                                                                                les, nur nicht einig. So zeigte etwa ein Vi-
                                                                                                                deoclip im Internet angeblich die Hinrich-
                                                                                                                tung von sieben syrischen Soldaten durch
Foto: picture alliance

                                                                                                                Dschihadisten. Experten-Recherchen er-
                                                                                                                gaben indes, dass es sich bei den Hinge-
                                                                                                                richteten nicht um Soldaten, sondern um
                                                                                                                konkurrierende Oppositionelle handelt.
                     Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“

                                                                                                                Kampf für Großsyrien
                     nete das Phänomen, dass junge israe-           An erster Stelle ist die so genannte
                     lische Araber nach Syrien in den Kampf       „Freie Syrische Armee“ (FSA) zu nennen,       In dieser dritten Gruppe sticht ein Ver-
                     ziehen, gegenüber der israelischen Ta-       die sich aus desertierten syrischen Solda-    bund heraus, durch seine klare ideo-
                     geszeitung „Ha‘aretz“ als Besorgnis erre-    ten gebildet hat. Die FSA will ein verein-    logische Zielsetzung, aber auch durch
                     gend. Er appellierte an die Führung der      tes, säkulares Syrien, wie es einmal war –    seine effektive Vorgehensweise: Die
                     israelischen Muslime, sich öffentlich und    allerdings ohne Assad. Islam ist definitiv    „Dschabhat an-Nusrah li-Ahl asch-
                     vor allem in den Moscheen dagegen aus-       nicht ihre Agenda. Die USA und Europa         Scham“, was übersetzt so viel wie „Un-
                     zusprechen.                                  unterstützen die FSA.                         terstützungsfront für das Volk von Groß-
                        Natürlich stellt sich angesichts dieser     Daneben gibt es lokale Milizen, die in      syrien“ bedeutet. Anführer der kurz
                     Meldungen die Frage: Wer kämpft da ei-       der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit         „Dschabhat al-Nusra“ genannten Organi-
                     gentlich gegen wen im syrischen Bürger-      verwurzelt sind. Sie sind von der Ideo-       sation ist Abu Mohammad al-Golani.
                     krieg?                                       logie der Muslimbruderschaft geprägt,            Die „Dschabhat al-Nusra“ lehnt „Staa-
                        Das Assad-Regime wird von Alawiten,       wünschen aber ein herkömmliches               ten“ als eine westlich-kolonialistische
                     Drusen, Kurden, Christen und Schiiten        Staatswesen. Eventuell sehen sich dieser      Erfindung grundsätzlich ab. Ihre An-
                     gestützt. Hinzu kommen nicht wenige          zweiten Gruppe die islamistischen Pa-         hänger reden nicht von „Syrien“, son-
                     sunnitische Muslime, die zwar kaum be-       lästinenserorganisationen, etwa die Ha-       dern von „Asch-Scham“, einem Gebiet,
                     geistert sind von der Diktatur Assad, de-    mas, verbunden. Bei palästinensischen         das man als „Großsyrien“ bezeichnen
                     ren säkularen Charakter aber der radikal-    Flüchtlingen, die teilweise schon in          könnte, und das auch den Libanon, Is-
                     islamischen Alternative, die sich am Ho-     vierter Generation in Syrien leben, stellt    rael und Jordanien umfasst. Sie wollen
                     rizont abzeichnet, vorziehen. Aktiv wird     sich die Frage, ob sie Ausländer oder Ein-    die alawitischen „Götzenanbeter“ besei-
                     Assad noch von der schiitischen Hisbol-      heimische sind. Sie haben zwar keine          tigen, sehen den Kampf gegen das jü-
                     lah aus dem Libanon und Revolutions-         Staatsbürgerschaft, können Syrien aber        dische Israel als nächsten Schritt und
                     gardisten aus dem Iran unterstützt. Hin-     auch nicht verlassen, weil sie niemand        haben als Ziel die Verbreitung des Islam
                     zu kommen säkulare palästinensische          haben will.                                   über die ganze Welt. Die Türkei unter-
                     Gruppierungen, wie die Volksfront zur          Als dritte Gruppierung, die einen ent-      stützt die „Al-Nusra-Front“ und hat sie
                     Befreiung Palästinas – Generalkomman-        scheidenden Einfluss auf den Fortgang         in der Vergangenheit mehrfach mit Waf-
                     do (PFLP-GC). Auf der internationalen        der Ereignisse ausübt, sind internatio-       fen versorgt.
                     Bühne stehen neben dem Iran vor allem        nale Dschihadisten erkennbar. Experten           Der israelische Inlandsgeheimdienst
                     Russland und China hinter der syrischen      in Israel haben in akribischer Kleinar-       „Schabak“ fürchtet, dass vor allem in-
                     Regierung, die ihr auch massiv Rüstungs-     beit Bildmaterial ausgewertet und Grup-       ternationale Dschihadisten junge isra-
                     güter zukommen lassen.                       pen oder Individuen aus mindestens 83         elische Araber dazu benutzen könnten,
                                                                  Ländern identifiziert, darunter aus Af-       um Informationen über Israel zu sam-
                                                                  ghanistan, Ägypten, Australien, Bahrain,      meln oder dort gar einen Anschlag aus-
                     Konkurrierende                               Belgien, Dänemark, Deutschland, Finn-         zuführen. Ebenso wenig dürften sich
                     Opposition                                   land, Frankreich, Großbritannien, In-         andere westliche Polizei- und Geheim-
                                                                  donesien, Irak, Irland, Israel, Jemen, Jor-   dienste bei dem Gedanken wohl fühlen,
                     Die Opposition besteht aus einem Kon-        danien, Kuwait, Libanon, Libyen, Norwe-       dass Hunderte von Bürgern ihrer eigenen
                     glomerat von lose verbundenen und            gen, Pakistan, den Palästinensischen Au-      Länder in Syrien nicht nur ideologisch
                     kaum koordinierten Milizen, die sich         tonomiegebieten, Russland, Somalia, Tu-       radikalisiert werden, sondern zudem
                     grob in drei Gruppierungen einteilen las-    nesien, Türkei, Tschetschenien, den USA       eine Ausbildung und Kampferfahrung in
                     sen.                                         und den Vereinigten Arabischen Emi-           der Praxis erhalten. ||

                     4                                                                                                              Israelreport 5 | 2013
Syrien: Wer gegen wen? - Israelreport 5 | 2013 Das Magazin von Israelnetz. Berichte und Hintergründe aus Israel und dem Nahen Osten
Zeitgeschehen
                                   USA erstatten Raubgut
                                   an Räuber
                                   Im Mai 2003, nach der Eroberung von Bagdad, entdeckten amerikanische Soldaten im überschwemmten Keller
                                   des ehemaligen Geheimdienstes von Saddam Hussein das Archiv der irakischen jüdischen Gemeinden mitsamt
                                   Sakralgeräten. Es wurde „ausgeplündert“ und „zur Sicherheit“ in die USA gebracht. Im Juni 2014 soll das Raub-
                                   gut an seinen „rechtmäßigen Besitzer“, die Regierung des Irak, zurückgegeben werden. || Ulrich W. Sahm

                                   I
                                      m Oktober will das amerikanische          Zwischen Blindgängern und trop-              zeugte dann auch die amerikanische Regie-
                                      Nationalarchiv in Washington eine       fenden Rohren drangen die Einge-               rung von dem Projekt. Die US-Armee stell-
                                      Ausstellung zu dem Archiv der ira-      weihten in den überfluteten Keller vor.        te daraufhin größere Pumpen und Kühlwa-
                                   kischen Judenheit eröffnen. Von insge-     Dort entdeckten sie erst die „Israel-­         gen zur Verfügung, bis alles Material nach
                                   samt 2.700 Büchern und Zehntausenden       Abteilung“ mit Bildern des Felsendoms          Texas ausgeflogen werden konnte. Dort ha-
                                   Dokumenten auf Hebräisch, Arabisch         und russischen Luftaufnahmen des is-           ben Fachleute die nassen Dokumente im
                                   und Judäo-­Arabisch sollen eine Hebrä-     raelischen Atomreaktors von Dimona.            Vakuum gefriergetrocknet. Das Außenmi-
                                   ische Bibel von 1568, ein Babylonischer    Dann stießen sie auf die „jüdische Ab-         nisterium stellte drei Millionen US-Dollar
                                   Talmud von 1793, Fragmente einer der       teilung“ mit Torah-Rollen und Tausen-          zur Verfügung, um die Dokumente zu digi-
                                   48 Torah-Rollen und Dokumente gezeigt      den im Wasser liegenden Dokumenten.            talisieren und zu restaurieren.

                                                                                                                             Wem gehört der Schatz?
                                                                                                                             Rhode erklärte zum Fund: „Die Frage ist,
Fotos: YouTube, Screenshot Israelnetz

                                                                                                                             wem das Material gehört. Gemäß inter-
                                                                                                                             nationalem Recht dürfen keine Schätze
                                                                                                                             von einem besetzten Land ins Ausland
                                                                                                                             gebracht werden. Aber dieser Fall liegt
                                                                                                                             außerhalb der Norm, weil die Fundsa-
                                                                                                                             chen geraubtes Eigentum der jüdischen
                                                                                                                             Gemeinde sind. Die gibt es im Irak aber
                                                                                                                             nicht mehr.“
                                   Aus dem Keller des Geheimdienstes in Bagdad wurden Dokumente der vertriebenen                Siv Jehuda vom Institut für die Erfor-
                                   irakischen Juden geborgen.                                                                schung des Erbes der Juden aus Babylon
                                                                                                                             im israelischen Or Jehuda verfolgt seit
                                   werden, die der irakische Geheimdienst       Iraker hätten geraten, das Material au-      Jahren das Schicksal des Archivs. Der Wis-
                                   aus Synagogen und jüdischen Häusern        ßer Landes nach Amerika zu bringen,            senschaftler fühlt sich an den Raub jü-
                                   geraubt hat, ehe alles wieder nach Bag-    ehe dessen Existenz bekannt würde. Oh-         discher Wertsachen durch die Nazis erin-
                                   dad transportiert wird.                    nehin wäre eine Konservierung des nas-         nert. „Man stelle sich vor, dass von Juden
                                                                              sen Papiers im Irak unmöglich gewesen.         geraubte Kunstwerke und andere Wertsa-
                                                                                                                             chen heute an irgendwelche Nazis erstat-
                                   Die Entdeckung                                                                            tet würden und nicht an ihre rechtmä-
                                                                              Nächtliche Bergung                             ßigen jüdischen Besitzer“, sagte Jehuda
                                   Das irakische Regime hatte im Keller des                                                  auf Anfrage. Sowohl die Amerikaner wie
                                   „Muchabarat“ (Geheimdienst) in Bagdad      Mithilfe der Spende eines New Yorker Ban-      der Irak hätten bestätigt, dass es einen
                                   die Schätze der vertriebenen irakischen    kiers besorgte Hirshberg Pumpen, um den        Vertrag gebe, der jedoch die Rückgabe des
                                   Juden gehortet. Ein irakischer Ex-Agent    vollgelaufenen Keller leer zu pumpen. Mit      Archivs an den Irak vorsehe. Traurig fügte
                                   gab Ahmad Chalabi, dem Vorsitzenden        Soldaten und irakischen Arbeitern barg er      er hinzu: „Die Iraker werden das Archiv
                                   des Irakischen Nationalrats, dem ameri-    über mehrere Wochen hinweg in „nächt-          weder schützen noch pflegen. Nachdem
                                   kanischen Sprachexperten Mark Hirsh-       lichen Kommandoaktionen“ den Fund.             der Irak die fast 3.000 Jahre alte jüdische
                                   berg und dem Pentagon-Mitarbeiter Ha-      Hirshberg hatte Juden in aller Welt über das   Gemeinde seit dem babylonischen Exil
                                   rold Rhode den Tipp, wo sich das Archiv    heimliche Projekt informiert, darunter Na-     zerstört, ausgeraubt und vertrieben hat,
                                   befand. Im Gegenzug erwartete der Agent    than Scharanski, früherer Sowjet-­Dissident    wird nun auch ihr schriftliches Erbe un-
                                   einen „Persilschein“.                      und israelischer Minister. Dieser über-        wiederbringlich verloren gehen.“ ||

                                   Israelreport 5 | 2013                                                                                                              5
Syrien: Wer gegen wen? - Israelreport 5 | 2013 Das Magazin von Israelnetz. Berichte und Hintergründe aus Israel und dem Nahen Osten
Geschichte
Fatale Überheblichkeit

    Am frühen Nachmittag des 6. Oktober 1973 griff
    eine Staatenkoalition unter Führung Ägyp-
    tens und Syriens den jüdischen Staat an. Die
    israelische Regierung war völlig überrascht.
    Als knapp drei Wochen später ein Waffenstill-

                                                                                                                                      Foto: Israelnetz, Johannes Gerloff
    stand in Kraft trat, waren 2.656 israelische und
    schätzungsweise 18.500 arabische Soldaten tot,
    mehr als 40.000 verletzt. Damit ist der Jom-
    Kippur-Krieg der bislang blutigste arabisch-
    israelische Waffengang. || Johannes Gerloff

Zeitzeuge des Jom-Kippur-Krieges: Jossi Bar Kochba

M
          ein Gesprächspartner bittet        gedehnt, so dass heute zwei Drittel des      die Aschkenasen – die europäischen Ju-
          mich, von der „milchigen“ Piz-     Ortes auf Gebiet liegen, das vor 1967 zu     den – meinen ursprünglichen Namen
          zeria in die „neutrale“ Bäcke-     der Enklave um die Hebräischen Uni-          nicht aussprechen können“. Im militä-
rei umzuziehen. Er hält sich streng an jü-   versität auf dem Skopusberg, also zum        rischen Nachrichtendienst brachte er es
dische Speisegebote, möchte unmittelbar      Staat Israel gehörte. Auf Sichtweite,        bis zum Hauptmann: „In den Anfangs-
vor dem „fleischigen“ Mittagessen nichts     gleich hinter Issawije, beginnt das inter-   jahren des Staates waren alle Geheim-
„Milchiges“ zu sich nehmen. „Ismail!“,       national heftig diskutierte Gebiet „E-1“,    dienste Israels von irakischen Juden be-
bestellt er lautstark auf Arabisch und       auf dem Israel bauen will, um Ma‘aleh        stimmt. In meiner Einheit sprach jeder
zieht den Stuhl vom Tisch zurück: „Zwei      Adumim, die größte jüdische Siedlung         den Slang aus Bagdad – außer dem Vize-
schwarze Kaffee ohne Zucker, bitte – und     im Westjordanland, mit Jerusalem zu          kommandeur, der war Aschkenase – aber
bring uns Gebäck!“                           verbinden. Aber diese komplizierten          deswegen trotzdem kein Esel!“ Das zwei-
  Der Jerusalemer Stadtteil „French          politischen Korrektheiten interessieren      deutige Lob für den Vizekommandeur ist
Hill“ ist laut EU-Richtlinien eine „ille-    weder Ismail noch meinen Gesprächs-          symptomatisch dafür, was Bar Kochba
gale jüdische Siedlung“. Ismail kommt        partner, Jossi Bar Kochba.                   gemeinhin von Aschkenasen hält. Dass
aus dem palästinensischen Dorf Issa-           Bar Kochba ist am 1. Juli 1951 im Al-      die „mit ihren europäischen Köpfen“
wije, nur wenige Hundert Meter unter-        ter von neun Jahren mit seinen Eltern        nicht verstehen, wie ein Orientale tickt,
halb des French Hill. Issawiye hat sich      aus dem Irak nach Israel eingewandert.       hält er für einen der Hauptgründe des
unter israelischer Herrschaft kräftig aus-   Schnell änderte er seinen Namen, „weil       Nahostkonflikts.

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Syrien: Wer gegen wen? - Israelreport 5 | 2013 Das Magazin von Israelnetz. Berichte und Hintergründe aus Israel und dem Nahen Osten
Hinweise auf                                 Auf den Golanhöhen legten Panzerkom-        Schon während der ersten Tage des Jom-
einen Angriff                                mandeure wie Avigdor Kahalani und Zvi-      Kippur-Krieges zeichnete sich intern ein
                                             ka Greengold, die mit 15 Panzern drei sy-   „Krieg der Generäle“ Israels ab. Mei-
„Eigentlich wollte ich nur nach Hause,       rische Brigaden aufhielten, die Grundla-    nungsverschiedenheiten werden in der
duschen, die Zeitung lesen, bis es Zeit      ge für Legenden. Erstmals fielen Hunder-    israelischen Gesellschaft schonungslos
war in die Synagoge zu gehen“, erinnert      te von Israelis in die Hände der Ägypter    ausgetragen. So auch der Zwist zwischen
sich Jossi Bar Kochba an den Vorabend        und Syrer. Schlimmste Befürchtungen         dem Kommandeur des Südabschnitts,
des Jom Kippur im Oktober 1973. Er arbei-    bewahrheiteten sich: Die Syrer igno-        Generalmajor Schmuel „Gorodisch“
tete damals in der Militärverwaltung in      rierten die Genfer Konventionen, fol-       Gonen, und Generalmajor Ariel „Arik“
Ramallah, wo er es letztendlich bis zum      terten und töteten viele der Kriegsge-      Scharon, dem Kommandeur der Panzer-
Gouverneur brachte. „Doch dann rief          fangenen. Im Dezember 1973 brüstete         division 143, die im Sinai operierte. Scha-
mich der Stellvertreter des Gouverneurs.     sich der syrische Verteidigungsminister     ron war Vorgänger Gonens als Befehlsha-
Ich solle bleiben. Begründung: Es gibt       Mustafa Tlass vor der Nationalversamm-      ber des Südabschnitts gewesen. Offen-
Krieg!“ – „Ja’ani“, sinniert Bar Kochba in   lung seines Landes, einem Soldaten die      sichtlich hatte „Gorodisch“ keine Chance,
einem seltsamen Gemisch aus Hebräisch        Medaille der Republik dafür verliehen zu    den dickköpfigen „Arik“ in den Griff zu
und Arabisch, „wenn ich kleine Schrau-       haben, dass er 28 israelische Gefangene     bekommen. Bar Kochba meint im Rück-
be im großen Getriebe das um 10.00 Uhr       mit einer Axt erschlagen habe.              blick: „Gonen war ein Esel. Gerade mal
wusste, dann wusste das mein Vorgesetz-         Tatsächlich war die militärische Lage    vier Monate im Amt hätte er bei Kriegs-
ter schon um 9.00 Uhr – und der General-     in den ersten Kriegstagen so kritisch,      ausbruch dem kompetenteren Scharon
stab um 7.00 Uhr … – offiziell brach der     dass der israelische Verteidigungsminis­    das Kommando übergeben sollen.“
Krieg aber erst am darauf folgenden Tag      ter Mosche Dajan in der Nacht vom 8. auf
um 14.00 Uhr aus …?!“                        den 9. Oktober seiner Premierministerin
   Tatsächlich hatte es genug Warnungen      mitteilte: „Dies ist das Ende des dritten   Rückblick und Deutung
im Vorfeld des Krieges gegeben. Bar          Tempels!“ „Tempel“ war das Codewort
Kochbas Kollege im militärischen Nach-       für Atomwaffen. Golda Meir gab grünes       Nach dem Krieg untersuchte eine Kom-
richtendienst, Leutnant Benjamin Siman-      Licht für die Installation taktischer Nu-   mission unter Vorsitz des Präsidenten
Tov, hatte in der vorhergehenden Woche       klearwaffen. Als die Amerikaner davon       des Obersten Gerichts Israels, Schimon
anhand von Luftaufnahmen ägyptische          erfuhren, ordneten sie eine Luftbrücke      Agranat, das Geschehen. Ein „Krieg der
Manöver als Kriegsvorbereitungen ent-        an, die alle materiellen Verluste Isra-     Zeitungen“ um das Versagen von Poli-
tarnt. „Sie haben ihn einfach rausgewor-     els ersetzen sollte. Außer Portugal und     tikern und Militärs ringt bis in jüngste
fen“, weiß Bar Kochba. Auch der Verweis,     den Niederlanden verweigerte ganz Eu-       Zeit um die Auswertung des Jom-Kippur-­
dass die Gleichzeitigkeit ägyptischer und    ropa den Flugzeugen dieser Luftbrücke       Krieges. Neu aufgetauchte Tonbandauf-
syrischer Manöver verdächtig sei, über-      die Zwischenlandung. Nur knapp wurde        zeichnungen bringen kaum mehr als
zeugte nicht. Dann ließ Aschraf Marwan,      eine Eskalation zwischen den Großmäch-      eine Auffrischung der Erinnerung an alt-
Schwiegersohn des drei Jahre zuvor ver-      ten USA und UdSSR vermieden.                bekannte Stimmen kommandierender
storbenen ägyptischen Präsidenten Ga-                                                    Offiziere. Vor zehn Jahren machte der
mal Abdel Nasser, der für den Mossad ar-                                                 Vorwurf die Runde, eine revidierte Ge-
beitete, Israel wissen, ein Angriff stehe    „Ihr werdet siegen“                         schichtsschreibung wolle das Image von
unmittelbar bevor. Und schließlich war                                                   Ariel Scharon aufbessern. Klar bleibt:
König Hussein von Jordanien in der letz-  Jossi Bar Kochba erinnert sich an die de-      Der Überraschungsangriff hätte niemals
ten Septemberwoche heimlich nach Isra-    primierte Stimmung der ersten Tage –           gelingen dürfen.
el gekommen, um Premierministerin Gol-    und an eine eigenartige Situation: „Da            Die Frage, wie Israel 1973 trotzdem
da Meir persönlich zu warnen.             kam am Dienstag ein Priester aus Bir Seit      überrascht werden konnte, beantwortet
                                          zu mir: ‚Warum bist du traurig?‘ – Ich         der fromme Bar Kochba: „Der Heilige,
                                          fragte mich, was ich einem arabischen          gelobt sei Er, hat uns alle geblendet, da-
Am Rand der Niederlage                    Priester in so einer Situation antworten       mit wir zur Vernunft kommen. Nach dem
                                          solle und sagte: ‚Nein, nein, ich bin nicht    Sieg von 1967, als wir drei arabische Staa-
Als dann am heiligsten Tag des Juden- traurig!‘ – Sagt er zu mir: ‚Morgen werdet         ten besiegten und Gebiete eroberten, von
tums Ägypten, Syrien, der Irak und Jorda- ihr siegen! Das steht im Propheten Jesa-       denen niemand zu träumen wagte, wur-
nien mit Unterstützung der Sowjet­union, ja …‘“ Bar Kochba lacht – und der Zwei-         den wir arrogant. Wir haben die Araber
Algeriens, Kubas, Kuwaits, des Libanon, fel von damals steht ihm noch heute ins          gering geschätzt. Deshalb hat Gott uns
Libyens, Nordkoreas, Pakistans, Saudi- Gesicht geschrieben –, gibt aber zu: „Im-         mit Dummheit geschlagen. Araber den-
Arabiens und Tunesiens auf den Golan- merhin hat dieser Pope mich aufgebaut.“            ken anders, sind deshalb aber noch lange
höhen und am Suezkanal die Offensive Zwei Tage später stand er wieder da. Das            nicht dumm.“ Auf die Frage, ob die isra-
begannen, stand Israel mit dem Rücken Blatt auf dem Schlachtfeld hatte sich in-          elische Gesellschaft die Lektion des Jom-
zu Wand. In den Wochen vor dem Krieg zwischen gewendet. Er lachte und meint:             Kippur-Krieges gelernt habe, winkt Bar
hatte Ägyptens Präsident Anwar el-Sadat „Ich hatte Recht, nicht wahr?! Ihr wer-          Kochba ab. Immerhin hat der politische
gar behauptet, eine Koalition von über det siegen. Siehst du!“ Der gläubige Jude         und strategische Gewinn, den vor allem
hundert Staaten hinter sich zu haben. scheint bis heute ambivalent gegenüber             Ägypten aus diesem Krieg gezogen hat,
Erstmals in der Geschichte stellten sich derartigen Aussagen von Christen, aber:         die Tür für vierzig Jahre Ruhe im Süden
Großbritannien und Frankreich im UN-­ „Das hat mir einfach in der Seele gut ge-          geöffnet – wenngleich diese Ruhe heute
Sicherheitsrat auf die Seite der Araber.  tan.“                                          wieder ganz neu auf dem Spiel steht. ||

Israelreport 5 | 2013                                                                                                             7
Syrien: Wer gegen wen? - Israelreport 5 | 2013 Das Magazin von Israelnetz. Berichte und Hintergründe aus Israel und dem Nahen Osten
Christentum
„Arabischer Frühling“: Ende
des Christentums im Orient?
Die Demütigung und Bedrohung von Christen in der arabischen Welt hat ein erschreckendes Ausmaß erreicht.
Das „christliche Europa“ und mit ihm der Vatikan haben lange geschwiegen. Welche Gründe das hat und ob den
ältesten christlichen Gemeinden das gleiche Schicksal wie zuvor den Juden droht, weil der Islam keine „Ungläu-
bigen“ duldet – diesen Fragen ist Ulrich W. Sahm nachgegangen.

                                                                                                                                       Foto: Israelnetz, Johannes Gerloff
Ma‘alula als es noch unversehrt war. Die Bewohner des Bergdorfes sprechen Aramäisch.

C
      hristen sind die meistverfolgte Minderheit weltweit!“ Das    und uralter Kirchen in Damaskus, Aleppo und anderen Städ­
      ging im Februar als Meldung um die Welt. Unklar blieb,       ten mit tausendjähriger Vergangenheit nur am Rande erwähnt.
      nach welchem Maßstab dieser Superlativ zustande kam:         Ausführlicher wurde über „schwere Kämpfe“ im syrischen Dorf
Sind Christen die am meisten verfolgte Minderheit gemäß der        Ma‘alula berichtet, dessen Bewohner seit 3.000 Jahren das Ara­
Anzahl der Länder, in denen sie verfolgt werden? Oder wurde        mäische bewahrt haben, die Muttersprache von Jesus Christus.
die Menge der Toten und Flüchtlinge gezählt? Der Syrienexper­
te Professor Ejal Zisser prophezeite auf dem Weltgipfeltreffen
zum Kampf gegen den Terror im israelischen Herzlija: „Der ara­     Gründe für das Wegschauen
bische Frühling ist das Ende des orientalischen Christentums.“
                                                                   Für das auffällige Schweigen der „christlichen Welt“ zu Chris­
                                                                   tenverfolgung in der islamischen Welt gibt es mehrere Gründe.
Selektive Wahrnehmung                                                Europa präsentiert sich als „christliche Wertegemein­
                                                                   schaft“, wenn es darum geht, die muslimische Türkei aus der
Erst als auffällig viele verbrannte Kirchen in Ägypten in Medi­    EU fernzuhalten. Doch mit Blick auf „christliche Gemeinschaf­
enberichten auftauchten, wurde über die Verfolgungen kop­          ten“, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden, ist von dieser
tischer Christen dort berichtet. Das Schicksal der Christen im     „christlichen Wertegemeinschaft“ nichts zu spüren. In einer
Irak, in Libyen, dem Sudan oder Nigeria wurde im so genann­        Welt, wo besonders der Islam eine gesetzgebende Rolle in Ge­
ten „christlichen Abendland“ kaum wahrgenommen. Im sy­             sellschaft und Politik spielt, hat das langfristig fatale Folgen.
rischen Bürgerkrieg wurde die Zerstörung christlicher Dörfer       Für offizielle Vertreter des schiitischen wie sunnitischen Islams

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Syrien: Wer gegen wen? - Israelreport 5 | 2013 Das Magazin von Israelnetz. Berichte und Hintergründe aus Israel und dem Nahen Osten
war der 11. September 2001 ein erster Höhepunkt der Erobe­
rung „Roms“, also des christlichen Westens. Diese religiös mo­
tivierte, aber politisch und militärisch gemeinte Kriegserklä­
rung ignoriert der Westen. Es passt nicht mehr in sein Konzept,
als „christliche Gemeinschaft“ definiert zu werden.
   Problematisch erweist sich bei den Christen des Orients das
Phänomen der Treue von Minderheiten zum jeweiligen Unter­
drückerregime. Nur so können sie ihr physisches Überleben si­
chern. Das galt für die Juden im europäischen Mittelalter wie
für Christen und Juden in islamischen Ländern, wo sie als
„Dhimmis“ geduldet wurden. Für die Juden in der arabischen
Welt brach dieses System schon im 19. Jahrhundert zusammen,
als christliche Imperialmächte ihren rassisch definierten An­
tisemitismus erst nach Damaskus und dann in den Irak und
nach Ägypten exportierten. Die Gründung des Staates Israel
bedeutete das Ende der 3.000 Jahre alten jüdischen Gemeinden
in Ländern mit „biblischen“ Traditionen wie Babylon (Irak), Je­
men, Syrien, Ägypten und Libyen. Doch die „aufgeklärte“ Welt
interessierte sich nicht für die Juden. Bis heute ist nur die Rede
von arabischen Flüchtlingen aus Palästina, nicht aber von der
Vertreibung von wesentlich mehr jüdischen Flüchtlingen aus
allen arabischen Ländern. Zum Verhängnis wird die Nähe zum
Diktator, sobald es, wie jetzt beim „arabischen Frühling“, zum
Umsturz kommt und die wehrlosen Minderheiten plötzlich

                                                                                                                                       Foto: Ulrich W. Sahm
als Kollaborateure Saddam Husseins, Hosni Mubaraks oder
Baschar al-Assads dastehen.

Schweigen des Vatikan                                                Über dem Eingang der Geburtskirche hatten Muslime im
                                                                     Dezember 1994 ein Bild Arafats angebracht.
Der Vatikan als prominentester Sprecher der westlichen Chris­
tenheit ist auffallend zurückhaltend. Dabei sollte man doch          das unter ihm versammelte Volk. An der Kirchenwand hingen
gerade von Kirchen Solidarität erwarten, wenn Menschen der           erstmals palästinensische Nationalflaggen. Auf das Dach hatte
gleichen Glaubensrichtung verfolgt werden. Im Irak war der           man ein Modell des muslimischen Felsendoms gehievt. Noch
säkulare Saddam Hussein der Garant für das Überleben der             symbolhafter hätte die angestrebte Herrschaft des Islam über
Christen, in Syrien ist es Baschar al-Assad. Deshalb vermied der     das Christentum nicht kundgetan werden können. Journalisten
Vatikan bisher jede Kritik an Assad.                                 aus aller Welt standen auf einem höheren Dach und konnten
   Symptomatisch war der weltweite Gebetsaufruf des Papstes          diese Beleidigung des Christentums nicht übersehen. Wieso ist
gegen einen amerikanischen Angriff auf Syrien. Die Entrüstung        dieser Skandal weltweit wegzensiert worden? Unbeachtet blieb
über militärisches Eingreifen der Amerikaner klingt pazifis­         auch eine „Ikone“ mit Arafats Abbild über dem Eingang zur Ge­
tisch, ist aber unglaubwürdig, wenn militärisches Eingreifen         burtskirche, durch den Christen nur tief gebückt das Innere be­
etwa der Hisbollah aus dem Libanon ignoriert wird und Völker­        treten konnten. Solange über derartige symbolische Akte ein
mord wie der Einsatz von Massenvernichtungswaffen kein An­           Tuch des Schweigens gelegt wird, bleiben auch Mord und Ver­
lass für internationale Friedensgebete oder Lichterketten sind.      treibung unerwähnt, sofern als Täter nicht die üblichen Sün­
   Immerhin gibt es „Kirche in Not“, ein „weltweites Hilfswerk       denböcke ausgemacht werden können, speziell die Amerikaner
päpstlichen Rechts“. 2013 wurde die Dokumentation „Chris­            und Israelis.
ten in großer Bedrängnis“ veröffentlicht. In kurzen Kapiteln
wird die Lage der Christen in China, Myanmar, Ägypten, Tan­
sania, Kuba und weiteren Ländern dargestellt. Von einer Milli­       Christen ignorierten Zeichen
on Christen im Irak 2003 gebe es heute nur noch 300.000. Ge­
spickt mit faktischen Fehlern ist das Kapitel „Israel und die pa­    Die Welt und sogar die Christen im Orient wollten das Zeichen
lästinensischen Gebiete“, obgleich Israel das einzige Land zwi­      an der Wand der systematischen Vertreibung aller Juden aus
schen Marokko und Afghanistan ist, wo die Anzahl der Chris­          den arabischen Ländern nicht sehen. Inzwischen sind Liby­
ten in absoluten Zahlen seit 1948 stetig wächst.                     en, der Irak, Saudi-Arabien und Syrien „judenfrei“. In Ägyp­
                                                                     ten leben noch zehn alte Jüdinnen und im Jemen noch maxi­
                                                                     mal 60 Juden. Heute droht den ältesten christlichen Gemein­
Symbolische Erniedrigung                                             den das gleiche Schicksal wie zuvor den Juden, weil der Islam
                                                                     keine „Ungläubigen“ duldet. So wird eine weitere große Kultur
Beispielhaft für die Lage der Christen in der arabischen Welt        ausgerottet. Wie hatte doch Heinrich Heine sinngemäß gesagt?
sei hier ein von den Medien verschwiegenes Ereignis. Am 23.          „Wer Buddhafiguren sprengt, und vorschlägt, die Pyramiden
Dezember 1994, als PLO-Chef Jasser Arafat in Bethlehem fei­          zu schleifen, weil sie das Symbol von Götzendienst sind, wird
erlich einzog, wandte er sich vom Dach der Geburtskirche an          am Ende auch Menschen verbrennen.“ ||

Israelreport 5 | 2013                                                                                                             9
Syrien: Wer gegen wen? - Israelreport 5 | 2013 Das Magazin von Israelnetz. Berichte und Hintergründe aus Israel und dem Nahen Osten
Hintergrund Islam
Schiiten und Sunniten

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                                                                                   Aschura ist eines der höchsten Feste der
                                                                                   Schiiten. Bei Prozessionen geißeln sich
                                                                                   die Männer, um ihrer Trauer Ausdruck zu
                                                                                   verleihen.

Muslimische Apologeten stellten den Islam in früheren Zeiten gerne als Religion der Einheit im Kontrast zu
einem hoffnungslos zerstrittenen Christentum dar. Heute ist von dieser Einheit wenig sichtbar. Die Liste der
„Stellvertreterkriege“ zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran ist lang. Wer aber
sind die Schiiten? Und was unterscheidet sie von den Sunniten? || Christine Schirrmacher

U
       nerwartet war Muhammad am        Ringen um die Macht                        danach folgten Umar (634-644) und Uth-
       8. Juni 632 gestorben, ohne                                                 man (644-656). Erst 656 kam Ali an die
       eine Nachfolgeregelung ge-       Nach Meinung der Schiiten kann nur auf     Macht. Laut Schia waren die drei ersten
troffen zu haben. Daraus folgte die     einem Verwandten Muhammads die Se-         Kalifen „unrechtmäßig“, ihre Wahl eine
geschichtlich und theologisch fol-      genskraft des Propheten liegen. Außer-     schwere Sünde. Daher lehnten Schiiten
genschwerste Spaltung des Islam in      dem habe Gott selbst Ali zum Nachfolger    die sunnitischen Kalifen-Dynastien der
„Sunniten“ und „Schiiten“. „Schiiten“   erwählt und dies Muhammad vor dessen       Umajjaden und Abbasiden von Anfang
sind die Anhänger der „Schi’at Ali“,    Tod mitgeteilt – was Sunniten bestrei-     an ab und verfluchen die ersten drei Kali-
der „Partei Alis“, des Cousins und      ten. Alle leiblichen Söhne Muhammads       fen bei ihren Feierlichkeiten.
Schwiegersohns Muhammads. Sie for-      waren vor ihm verstorben. Seine Enkel
derten einen direkten Abkömmling        Hassan und Hussein waren bei seinem
Muhammads als Nachfolger des Pro-       Tod erst sechs und acht Jahre alt. Daher   Geschichte des Leidens
pheten. Die sunnitische Mehrheit da-    bestimmten die Schiiten Muhammads
gegen verlangte einen Nachfolger aus    Schwiegersohn Ali zum Anwärter auf das     Nach der Ermordung Alis 661 versuchten
Muhammads Stamm, den Quraisch,          Kalifat.                                   die Schiiten, die Macht an sich zu reißen.
gleichzeitig aber auch dessen Wahl        Ali konnte sich jedoch nicht durchset-   Der Prophetenenkel Hassan erklärte sei-
durch einen Rat und seine öffentliche   zen. In seiner Abwesenheit wurde 632       nen Verzicht auf das Kalifat und Hussein
Huldigung.                              Abu Bakr zum ersten Kalifen gewählt,       fiel 680 in der Schlacht von Kerbela im

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heutigen Irak. Damit waren alle direkten      Sunniten und Schiiten – wichtigste Unterschiede
männlichen Nachfahren Muhammads
ausgelöscht. Im Gedenken an Kerbela           Sunniten/Sunna                                   Schiiten/Schia
veranstalten Schiiten am 10. Tag des Mo-      1. Der Kalif ist rechtmäßiger Herrscher,         1. Der Imam muss als religiöser und welt-
nats Muharram, dem Aschura-Tag, große            Richter und Heerführer, sollte dem               licher Führer direkt mit Muhammad ver-
Prozessionen und Geißlergruppen. Wer             Stamm Muhammads angehören und von                wandt sein. Als oberste Lehrautorität ist
bei den Passionsspielen und Umzügen              der muslimischen Gemeinschaft bestä-             er unfehlbar und sündlos, lebt heute „in
                                                 tigt werden. Er bringt die Scharia zur An-       der Verborgenheit“ und erteilt von dort
Tränen für Hussein vergießt, erhält nach
                                                 wendung, jedoch ohne Lehrautorität.              Weisungen.
Auffassung der Schiiten Teil an seiner Er-
lösung, die er durch sein Leiden und sei-     2. Der Glaube, dass am Ende der Zeiten der       2. Das Kommen des Mahdi – häufig mit
ne Fürbitte im Gericht erwirkt.                  Mahdi – von manchen mit Jesus Christus           dem verborgenen Imam gleichgesetzt
   Leiden wurde in der Schia zum Leit-           gleichgesetzt – wiederkommt, spielt bei          – ist von großer Bedeutung. Er wird die
                                                 den meisten Gelehrten keine bedeuten-            Scharia aufrichten, alle Menschen wer-
motiv. Alis und Husseins Tod findet sei-
                                                 de Rolle.                                        den sich dem schiitischen Glauben zu-
ne Fortsetzung im Märtyrertod aller schi-                                                         wenden müssen.
itischen Imame (Leiter der islamischen
                                              3. Zeitlich begrenzte Ehe gegen Bezahlung        3. Mehrheitlich wird die „Zeit-“ oder „Ge-
Gemeinschaft). Die Gräber Alis, Hassans
                                                 wird von den meisten als „Prostitution“          nussehe“, weil sie von Muhammad prak-
und Husseins wurden im schiitischen              abgelehnt.                                       tiziert wurde, auch heute erlaubt, ja
Volksislam für viele Gläubige bedeu-                                                              empfohlen.
tendere Wallfahrtsorte als Mekka.
                                              4. Bis zum 10. Jh. bildeten sich vier Rechts-    4. Sie folgen eigenen Rechtsauslegungen.
                                                 schulen, die auf bedeutende Rechtsge-            Überlieferungen der drei ersten sunniti-
                                                 lehrte der Frühzeit des Islam zurückge-          schen Kalifen werden nicht anerkannt,
Endzeithoffnung                                  hen und bis heute gültig sind.                   da diese als „Ursupatoren“ gelten.
                                              5. Geringe Unterschiede im Ritus verhin-         5. Sie beten in schiitischen Moscheen und
Nachdem Hassan und Hussein im Macht-             dern nicht die gegenseitige Anerken-             unterscheiden sich im Gebetsritus von
kampf gescheitert waren, verlagerten             nung verschiedener Rechtsschulen.                der sunnitischen Mehrheit.
Schiiten ihre Hoffnung auf die Endzeit,       6. Der heutige Korantext gilt als fehlerloses    6. Text des Koran von Sunniten gefälscht:
in der der Mahdi, der „Rechtgeleitete”,          Wort Allahs.                                     Bedeutung der Familie Muhammads und
als Erlöser aus der Verborgenheit wie-                                                            die Bestimmung Alis als Nachfolger wur-
derkommen und ein Friedensreich auf-                                                              den gelöscht.
richten werde. Seinem Auftreten werden        7. Leiden und Erlösung haben keine Bedeu-        7. Das Leiden der Imame und besonders
Sonnen- und Mondfinsternisse, Erdbe-             tung. Kreuzestod Jesu wird im Koran ab-          des Prophetenenkels Hussein (gest. 680
ben, Heuschreckenplagen und Wasser-              gelehnt.                                         als „Märtyrer“) für die Erlösung sehr
fluten vorausgehen. Falsche Mahdis wer-                                                           wichtig.
den sich erheben und Kriege gegeneinan-       8. Die Fatwa (Rechtsgutachten) eines Ge-         8. Fatwas des schiitischen Gelehrten, des-
der führen, bevor Stürme die Erde reini-         lehrten gilt als Meinungsäußerung, nicht         sen Tradition („Nachahmung“) ein Gläu-
gen und alle Krankheiten von den wah-            als verpflichtende Handlungsanweisung.           biger folgt, haben absolute Autorität.
ren Gläubigen nehmen. Danach soll der         9. Der heutige Korantext gilt zunächst im        9. Der Korantext besitzt über den einfachen
wahre Mahdi in Mekka erscheinen und              Wortlaut; bedeutende Auslegungen sind            Wortlaut hinaus viele verborgene Bedeu-
alle Ungläubigen erschlagen. Seine Herr-         einflussreich; Mystiker versenken sich in        tungen, die der Imam kennt und aus dem
                                                 den Text.                                        Verborgenen mitteilt.
schaft wird das Paradies auf Erden sein.
                                              10. Sie betrachten die Gräberverehrung           10. Die Trauerfeierlichkeiten im Monat
                                                schiitischer Heiliger, insbesondere als          Muharram (Gedenken an den Tod Hus-
Lehre                                           Ersatz für die Pilgerfahrt nach Mekka,
                                                als Ketzerei, wenngleich der Volksislam
                                                                                                 seins in Kerbela) sind die wichtigste Fei-
                                                                                                 erlichkeit des Jahres. Wer „den Imam sei-
                                                auch Heiligenverehrung kennt.                    ner Zeit nicht kennt, stirbt den Tod eines
Herausragendes Kennzeichen schii-                                                                Ungläubigen“.
tischer Lehre ist der Glaube an den Imam.
Er ist der oberste Führer der Gemeinde,
von Gott auserwählt, Vertreter des Pro-
pheten, von dem er abstammen muss.           von begrenzter Dauer mit Entlohnung              Weltweite Verteilung und
Er interpretiert den Koran, vor allem des-   der Frau, erwähnenswert, sowie die Tat-          aktuelle Konflikte
sen verborgenen Sinn. Er ist Mittler zwi-    sache, dass Männer und Frauen zu glei-
schen Gott und Gemeinde und hat über-        chen Teilen erben.                               90 Prozent der Muslime weltweit sind
natürliches Wissen. Seine Lehrentschei-         Schiiten unterscheiden sich in mehrere        Sunniten, 8 bis 9 Prozent Schiiten. Schi-
dungen sind unfehlbar und sündlos.           Splittergruppen, von denen die Zwölfer-          iten leben heute vor allem im Iran, dem
Aussprüche der Imame besitzen dieselbe       schiiten am bedeutendsten sind. In West-         einzigen Land, in dem die Zwölferschia
Autorität wie der Koran. Sunniten besit-     syrien haben sich die Alawiten bzw. Nusai-       Staatsreligion ist, sowie in der Türkei,
zen keine vergleichbare Lehrinstitution.     rier von der Schia abgespalten, zu unter-        dem Libanon, Syrien, dem Irak, auf der
   In Rechtsfragen sind die Unterschiede     scheiden von den Aleviten, die mehrheit-         arabischen Halbinsel, in Afghanistan,
zwischen Sunna und Schia gering. Der         lich in der Osttürkei leben. Beide Gruppen       Indien und Pakistan. Spannungen zwi-
Wortlaut des Gebetsrufs weicht gering-       neigen zu einer Vergöttlichung Alis und          schen sunnitischen und schiitischen
fügig ab. Auf schiitischer Seite sind die    werden daher von Sunniten und vielen             Kräften haben viele Konflikte der ver-
Zeitehe, eine vereinfachte Eheschließung     Schiiten nicht als Muslime anerkannt.            gangenen Jahre verschärft. ||

Israelreport 5 | 2013                                                                                                                        11
Zeitgeschehen
Ein afrikanischer Traum
Am 28. August 2013 sind 450 äthiopische Juden auf dem Ben-Gurion-Flughafen bei Tel Aviv gelandet. Sie gehö-
ren zu den letzten der 7.000 „Beita Israel“, die seit November 2010 im Rahmen der „Operation Taubenflügel“
nach Israel einwandern. Richtig angekommen sind aber weder sie noch ihre Vorgänger, die bereits vor Jahr-
zehnten in das Land kamen. || Daniel Frick

                                                                                                                                           Foto: Moshik Brin / The Jewish Agency for Israel
Ein Traum wird wahr: Bei der Ankunft auf dem Ben-Gurion-Flughafen erfüllt sich eine Jahrhunderte alte Sehnsucht.

D
        er Traum währt bereits 2.800 Jahre: Die Rückkehr in das      heim erlaubte. Das Unternehmen flog auf, nachdem Informati-
        Land Israel aus der Fremde, wo den Juden oft Argwohn         onen darüber in der israelischen Presse durchsickerten.
        und Ausgrenzung entgegenschlugen. Seit dem vergan-              Wegen der verfrüht abgebrochenen Aktion wurden Familien
genem Jahrhundert beginnt für die „Beita Israel“ (Haus Isra-         auseinandergerissen: Etwa 1.000 „Waisen der Umstände hal-
el) genannten äthiopischen Juden der Traum wahr zu werden,           ber“ lebten in Israel, während deren Eltern im Sudan der Aus-
wandern sie nach Israel ein. Rund 500 kamen, bevor sie das           reise harrten. Erst die „Operation Josua“ (1985) und die 36-stün-
israelische Rabbinat und schließlich der Staat Israel im April       dige „Operation Salomo“ (1991) mit 14.400 Einwanderern er-
1975 als Juden anerkannt haben.                                      möglichten die Zusammenführung der Familien.
   Im September 1974 übernahm eine marxistische Militärdik-             Seit der „Operation Salomo“ wanderten bis heute weitere
tatur die Macht in Äthiopien. Sie wandte sich mit antireligi-        52.000 Beita Israel in den jüdischen Staat ein. Unter ihnen be-
ösem Impetus auch gegen die Juden des Landes. Bürgerkrieg            fanden sich auch „Falasch Mura“. Deren Vorfahren sind im 19.
und Hungersnot führten zur Massenflucht in den benachbar-            und 20. Jahrhundert, oft unter Druck, zum Christentum über-
ten Sudan. Bis 1984 machten sich etwa 8.000 äthiopische Ju-          getreten. Sie konnten daher nicht das Rückkehrgesetz in An-
den auf diesen gefährlichen Weg. Doch die Hälfte, rund 4.000         spruch nehmen und wanderten illegal ein. 2003 anerkannte
Menschen, starb unterwegs an Krankheit, Hunger oder durch            Israels Regierung jene, die mütterlicherseits jüdische Vorfah-
die Hand von Banditen.                                               ren nachweisen konnten. Zusätzlich mussten sie eine Konver-
   Angesichts der schlimmen Lage in Äthiopien und in den             sion zum Judentum vornehmen. Insgesamt sind seit den 1970er
Flüchtlingslagern des Sudan organisierte Israel mit dem ameri-       Jahren laut der „Jewish Agency“ rund 92.000 äthiopische Ju-
kanischen Geheimdienst CIA Ausreisen im großen Stil: Mit der         den nach Israel eingewandert. Heute leben laut israelischem
„Operation Mose“ kamen zwischen November 1984 und Janu-              Statistikamt etwa 130.000 Beita Israel in dem jüdischen Staat,
ar 1985 etwa 8.000 Beita Israel via Luftbrücke nach Israel. Den      32.500 von ihnen sind im Land geboren.
Behörden am Flughafen in Khartum gaukelte man vor, die Pas-             Aber wie gelangten Juden nach Äthiopien? Über ihren Ur-
sagiere seien Muslime auf Pilgerreise nach Mekka, während die        sprung gibt es mehrere Theorien. Entscheidend ist wohl ihr ei-
Regierung des Sudan die Operation auf Druck der USA insge-           gener Gründungsmythos einer Liaison von König Salomo und

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                                der Königin von Saba und dem daraus hervorgegangenen Sohn
                                Menelik I., mit dem ein Teil der Israeliten nach Äthiopien ge-
                                                                                                                     SCHECHINGER
                                kommen sei. Die Beita Israel kennen entsprechend nicht die
                                jüngeren Traditionen des Judentums wie Channukka und das
                                Purim-Fest. Am 29. Tag des jüdischen Monats Cheschwan, 50
                                Tage nach Jom Kippur, feiern sie das eigene Sigd-Fest („Verbeu-
                                                                                                         Reisen mit Schechinger-To!
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                                gung“). Sie versammeln sich in Jerusalem, tragen die Torah
                                und bunte Regenschirme, und gedenken unter Fasten des Got-                   Israelreise für Hörende und Taube
                                                                                                                  Mit Pfarrer Heiko Bräuning (Wilhelmsdorf)
                                tesbundes sowie der Gabe der Torah. Mit einem Festmahl bre-
                                                                                                                    und Pfarrer Roland Martin (Stuttgart)
                                chen sie das Fasten und feiern bis in den Abend. Seit 2008 ist                            vom 09.02.2014 – 18.02.2014
                                das Fest ein offizieller Feiertag in Israel.
                                                                                                                     Israel-Schnäppchenreise
                                                                                                                     Mit Georg Terner (Bad Liebenzell),
                                Integration mit Hindernissen                                              Walter und Marianne Schechinger (Wildberg-Sulz am Eck)
                                                                                                                        vom 19.02.2014 – 26.02.2014
                                Der Staat Israel bemüht sich um die Einbindung der Beita Is-
                                rael, doch verläuft diese nicht unproblematisch. Vielen äthi-                           Israel-Frühlingsreise
                                                                                                                 Mit Wolfgang Wangler (Pfalzgrafenweiler),
                                opischen Juden mangelt es an Bildung. Das erschwert in der
                                                                                                          Walter und Marianne Schechinger (Wildberg-Sulz am Eck)
                                hochentwickelten Arbeitsgesellschaft Israels ihre Eingliede-                            vom 02.03.2014 – 09.03.2014
                                rung. Und wenn sie eine Anstellung finden, dann ist die meist
                                schlecht bezahlt: Einer Studie der Bar-Ilan-Universität aus dem                      Israel-Bibelstudienreise
                                Jahr 2012 zufolge verdienen äthiopische Juden 30 bis 40 Pro-                    Mit Johannes Pflaum (Neu St. Johann/Schweiz)
                                zent weniger als arabische Israelis, die ebenfalls Schwierig-                            vom 02.03.2014 – 13.03.2014
                                keiten auf dem Arbeitsmarkt haben. Hinzu kommt, dass äthi-
                                opische Juden in manchen Fällen Ausgrenzung erfahren: Ihre                               Israel-Erlebnisreise
                                                                                                                  Mit Evangelist Willi Buchwald (Helmenzen)
                                Kinder wurden mitunter nicht in Schulen zugelassen, Immobi-
                                                                                                                        und Manfred Weßler (Dierdorf)
                                lienbesitzer weigerten sich, an äthiopische Juden zu verkaufen                            vom 17.04.2014 – 27.04.2014
                                oder zu vermieten. Diese Hindernisse führten Anfang 2012 zu
                                Protesten vor der Knesset gegen die Diskriminierung.                                       Israel-Osterreise
                                                                                                               Mit Johannes Vogel (Bibel-Center Breckerfeld),
                                                                                                          Walter und Marianne Schechinger (Wildberg-Sulz am Eck)
                                                                                                                        vom 20.04.2014 – 01.05.2014

                                                                                                                   Israel-Festreise-Pfingsten
Foto: Israelnetz, Johannes Gerloff

                                                                                                                     Mit Georg Terner (Bad Liebenzell),
                                                                                                          Walter und Marianne Schechinger (Wildberg-Sulz am Eck)
                                                                                                                        vom 08.06.2014 – 20.06.2014

                                                                                                                      Israel-Erlebnisreise
                                                                                                                    „Wüste, Meer und mehr“
                                                                                                                Mit Rocco Grämmel (Bibel-Center Breckerfeld)
                                                                                                               und Markus Schechinger (Wildberg-Sulz am Eck)
                                Die Integration äthiopischer Juden in die Gesellschaft ist                               vom 03.08.2014 – 17.08.2014
                                schwierig, doch es gibt Lichtblicke.
                                                                                                                         Israel-Erlebnisreise
                                                                                                                   Mit Hanspeter Wolfsberger (Betberg),
                                Dennoch gibt es Hoffnungszeichen. Bei den Knesset-­Wahlen
                                                                                                          Walter und Marianne Schechinger (Wildberg-Sulz am Eck)
                                2013 wurde die 31-jährige Pnina Tamano-Schata (Jesch Atid)                              vom 01.09.2014 – 12.09.2014
                                als erste äthiopische Jüdin zur Abgeordneten gewählt. Sie kam
                                1984 mit ihrer Familie mit der „Operation Mose“ nach Israel. Im                                   Israelreise
                                März gewann die 21-jährige Jitjisch Ainaw den Schönheitswett-                        Mit Lutz Scheufler (Waldenburg),
                                bewerb „Miss Israel 2013“. Und im gleichen Monat waren gleich             Walter und Marianne Schechinger (Wildberg-Sulz am Eck)
                                zwei Juden äthiopischer Herkunft beim Jerusalem-­Marathon                               vom 24.10.2014 – 02.11.2014
                                siegreich: Abraham Kabeto Ketla gewann beim Wettbewerb der
                                Männer und stellte einen Rekord auf. Bei den Frauen siegte Mi-
                                hiret Anamo Anotonios.
                                   Der Marathon der Integration geht in Israel jedoch weiter.
                                Und auch die Alijah selbst ist noch keinesfalls abgeschlossen,                                               ek        te kostenlos an!
                                jedenfalls aus Sicht einiger Protestler, die am Tag des Einflugs         Bitte fordern Sie unsere Reiseprosp
                                der 450 Juden gegen das Ende der offiziellen Einwanderung
                                protestierten. Einige Falasch Mura befänden sich noch in dem                SCHECHINGER               Tours          Walter Schechinger
                                                                                                                      Im Kloster 33 • D - 72218 Wildberg-Sulz am Eck
                                Zwischenlager in Äthiopien, während ihre Verwandten in Isra-                                Tel. 07054-5287 • Fax 07054-7804
                                el lebten. Der Jahrhunderte alte Traum, nach Israel zurückzuge-              e-mail: info@schechingertours.de • www.schechinger-tours.de
                                kehren, hält für einige Beita Israel vorerst weiter an ... ||

                                Israelreport 5 | 2013                                                                                                                          13
                                                                                             2013_10_01_PRO_855x258mm_4c.indd 1                                       02.10.2013 09:04:00
Meldungen
                     Radprofi für Judenrettung geehrt                                                             Goldschatz in
                                                                  werten sportlichen Erfolge wurde er ein
                                                                                                                  Jerusalem
                                                                  äußerst berühmter und weithin bewun-
                                                                  derter Nationalheld“, schreibt die Jerusa-
                                                                  lemer Gedenkstätte Yad Vashem auf ihrer         N    ahe der Südmauer des Jerusalemer
                                                                                                                       Tempelbergs haben Archäologen ei-
Foto: picture alliance

                                                                  Internetseite.                                  nen antiken Goldschatz gefunden. For-
                                                                     Ein professioneller Radfahrer muss be-       scher datieren ihn in die Zeit vom 4. bis
                                                                  kanntlich viel trainieren. Dies machte          zum 7. Jahrhundert nach Christus. Ent-
                                                                  sich der Italiener im Widerstand gegen          deckt wurden unter anderem Münzen
                     Der Radprofi Bartali half verfolgten Juden   die Nazis zunutze. Auf Trainingsfahrten         aus Gold und Silber, Ohrringe sowie ein
                                                                  transportierte er gefälschte Dokumente          großes Medaillon. Auf diesem sind eine

                     D    ie Holocaustgedenkstätte Yad Vashem
                          hat den italienischen Radprofi Gino
                     Bartali posthum zum „Gerechten unter
                                                                  in Klöster. Juden, die sich dort versteckt
                                                                  hielten, konnten dank der Papiere aus-
                                                                  reisen. Die Dokumente verbarg der Athlet
                                                                                                                  Menorah, ein Schofar und eine Torah-
                                                                                                                  Rolle eingraviert. Für die Forscher ist
                                                                                                                  der Fund mit den jüdischen Symbolen
                     den Völkern“ erklärt. Der zweifache „Tour    im Lenker und im Sitz seines Fahrrades.         ein Beleg für jüdische Präsenz im Jeru-
                     de France“-Sieger hatte während der deut-       Der strenggläubige Katholik arbeite-         salem dieser Zeit. Muslime bestreiten
                     schen Besatzung etwa 800 Juden gehol-        te für kirchliche Netzwerke zur Judenret-       immer wieder, dass auf dem Tempel-
                     fen. Dafür diente ihm sein Sportgerät.       tung. Auch versteckte er Verfolgte in sei-      berg in Jerusalem jemals ein jüdischer
                       Dreimal gewann der 1914 gebore-            nem Haus in Florenz. Nach dem Krieg             Tempel gestanden hat. Der israelische
                     ne Bartali den Radwettbewerb „Giro           schwieg der Radprofi über seinen Einsatz        Premierminister Benjamin Netanjahu
                     d‘Italia“. In den Jahren 1938 und 1948 be-   für die Juden. Erst nach Bartalis Tod im        würdigte den Fund als „historisches
                     legte er den ersten Platz bei der „Tour de   Jahr 2000 wurde sein Mitwirken im Wi-           Zeugnis höchster Ordnung“. || Daniel
                     France“. „Angesichts seiner bemerkens-       derstand bekannt. || Elisabeth Hausen           Frick

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                                                                                           Berlin · 7.–  9.11.2013
                                                                                                     Berlin · 7.– 9.11.2013

                                                                                                        „aus der     Kraft der Wurzel
                                                                                          „aus der         Kraft     der
                                                                                                            die Zukunft      Wurzel
                                                                                                                        gestalten“
                                                                                                   die Zukunft gestalten“
                                                                                                         Deutschland, Israel und die Berufung der Gemeinde.

                                                                                           Deutschland, Israel und die Berufung der Gemeinde.

                                                                                                 C H R I S T L I C H E S   F O R U M    F Ü R   I S R A E L

                                                                                                                                   Jetzt anmelden:
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