Täter-Opfer-Ausgleich und Adhäsionsverfahren - Effektive Mittel im Strafprozess? 2/2020 - Freilaw eV

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Täter-Opfer-Ausgleich und Adhäsionsverfahren - Effektive Mittel im Strafprozess? 2/2020 - Freilaw eV
2/2020

       Täter-Opfer-Ausgleich
      und Adhäsionsverfahren
                   Effektive Mittel im
                      Strafprozess?

                           TOA als
  Die Zukunft des      Aushängeschild    Corona und das
Adhäsionsverfahrens   von „Restorative    Grundgesetz
   Maurice Fritz         Justice“ in     Franz Schmelzing
                        Deutschland
                       Julius Hommel
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Karla Becker

ISSN: 1865-0015

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Freilaw 2/2020

                                                        Freilaw 2/2020

Thema: TOA und Adhäsionsverfahren

Maurice Fritz
Opferschutz im Strafverfahren – Die Zukunft des Adhäsionsverfahrens .................................................... 29
Julius Hommel
Der Täter-Opfer-Ausgleich als Aushängeschild von „Restorative Justive“ in Deutschland ..................... 37
Max Walter Kinninger
Zur Bedeutung des Gerichtsverfahrens bei Michel Foucault und Niklas Luhmann ................................... 41

Gesellschaftsrecht

Adrian Koch
Die Familie als Unternehmen – Der Gesellschaftsvertrag der Tchibo GmbH ........................................... 49
Leonard Schilmöller
Cyberrisiken und Business Judgement Rule ............................................................................................... 57

Öffentliches Recht

Berivan Cebba
Hate speech oder Blasphemie? Zum Umgang mit Angriffen gegen religiöse Überzeugungen: Der Fall E.S.
gegen Österreich (Nr. 38450/12 – 2018) .................................................................................................... 66
Franz Schmelzing
Corona und das Grundgesetz ..................................................................................................................... 76

     www.freilaw.de                                               ISSN: 1865-0015                                                              III
Freilaw 2/2020

                              Vorwort der Chefredaktion

Liebe Leserinnen und Leser,

Schwerpunktthema der zweiten Ausgabe 2020 ist das Strafprozessrecht. Ein Ziel des
Strafverfahrens ist die Wiederherstellung des Rechtsfriedens. Dieses kann neben oder anstatt
einer Verurteilung und Bestrafung des Täters auch auf anderem Wege erreicht werden.

Das Adhäsionsverfahren ermöglicht dem Verletzten einer Straftat, zivilrechtliche
Schadensersatzansprüche bereits im Strafverfahren geltend zu machen. Hierzulande ist es aber
im Vergleich zu ähnlichen Rechtsinstituten in anderen Ländern in der Praxis kaum relevant.
Maurice Fritz betrachtet die Ursachen und Möglichkeiten, das Adhäsionsverfahren zu reformieren.

Julius Hommel beschäftigt sich mit dem „Täter-Opfer-Ausgleich“. Dieser soll Täter und Opfer einen
Rahmen bieten, in dem sie ihren Konflikt aufarbeiten können. Aufgezeigt werden dabei sowohl
Kritikpunkte als auch Stärken dieses Instruments der „Restorative Justice“.

Max Walter Kinninger analysiert die Bedeutung des Gerichtsverfahrens in der Diskursanalyse
Michel Foucaults und der Systemtheorie Niklas Luhmanns und entwickelt dafür einen
Vergleichsrahmen anhand des Begriffs der Macht.

Familienunternehmen machen einen Großteil der in Deutschland ansässigen Unternehmen aus.
Adrian Koch untersucht am Beispiel der Tchibo GmbH, inwiefern sich Familienunternehmen
anhand gesellschaftsrechtlicher Kategorien von anderen Unternehmen unterscheiden.

Die Digitalisierung eröffnet Unternehmen neue Möglichkeiten, geht aber auch mit neuen Gefahren
einher. Leonard Schilmöller zeigt Cyberrisiken als eines dieser Probleme auf und beschäftigt sich
hierbei insbesondere mit der Geschäftsleiterhaftung in Bezug auf Cyberrisiken.

Im Spannungsverhältnis zwischen Meinungs- und Religionsfreiheit stellt sich vor dem EGMR seit
Jahren die Frage, wie mit Aussagen, die vermeintliche Angriffe gegen religiöse Überzeugungen
darstellen, umgegangen werden soll. Berivan Cebba befasst sich mit diesem Problem unter
Berücksichtigung des Urteils des EGMR „E.S. gegen Österreich“ (Nr. 38450/12 – 2018).

Abschließend bietet Franz Schmelzing einen Überblick über gegenwärtige Regelungen betreffend
der Corona-Pandemie und befasst sich dabei insbesondere mit deren Verfassungsmäßigkeit.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit der neuen Freilaw-Ausgabe!

Ihre Chefredaktion

(Mirjam Marte)                                (Jakob Nicola)

IV   www.freilaw.de                               ISSN: 1865-0015
Fritz, Adhäsionsverfahren                                     Thema - Strafprozessrecht                                                         Freilaw 2/2020

                                            Opferschutz im Strafverfahren

                                                 Die Zukunft des Adhäsionsverfahrens

                                                                               -

                                                                    Maurice Fritz*

A. Einleitung                                                                      insbesondere bei Gewalt- und Sexualdelikten mit traumatisier-
                                                                                   ten Opfern eine große Rolle.8
Das in den §§ 403 ff. StPO1 geregelte Adhäsionsverfahren
wurde schon mit zahlreichen Vergleichen und Metaphern                                 Die gemeinsame Erledigung von Strafe und Schadensersatz-
beschrieben. Es sei „totes Recht“2, führe lediglich eine                           forderungen beruht auf dem Gedanken des Sachzusammen-
„Scheinexistenz“3 und befinde sich in einem „Dämmerzu-                             hangs.9 Liegt beidem der gleiche Sachverhalt zugrunde, ergibt
stand“4. Seit nunmehr 77 Jahren ermöglicht dieses Ver-                             es Sinn, beides gemeinsam abzuhandeln.
fahren dem Verletzten einer Straftat, Schadensersatz- und                             Auch Art. 9 des Rahmenbeschlusses des Rates der europäi-
Schmerzensgeldansprüche bereits im Strafverfahren gel-                             schen Union vom 15.03.2001, der einen Interpretationsmaßstab
tend zu machen. In anderen Ländern ein unverzichtbarer                             für das nationale Recht darstellt10, wirkt auf die Möglichkeit der
Teil des Strafprozesses, ist dieses Opferschutzinstrument                          Geltendmachung von Schadensersatz im Strafverfahren hin.
hierzulande in der Praxis kaum relevant. In diesem Beitrag
betrachtet der Verfasser die Gründe für dessen Schicksal                           II. Ablauf
und stellt sich die Frage, ob es Möglichkeiten gibt, das Ad-
häsionsverfahren aus seinem „Dornröschen-Schlaf“5 zu                               Das Adhäsionsverfahren wird gemäß § 404 durch einen Antrag
wecken.                                                                            des Verletzten eingeleitet. Es können dabei gemäß § 403 nur
                                                                                   vermögensrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden, die
B. Überblick über die §§ 403 ff.                                                   aus der Straftat erwachsen sind und der ordentlichen Gerichts-
I. Hintergrund                                                                     barkeit angehören.
Der grundlegende Zweck des Adhäsionsverfahrens ist einerseits                         Antragsberechtigt sind gemäß § 403 nur der Verletzte und
die Prozessökonomie. Die Justiz soll durch schnellere Verfahren                    sein Erbe, unabhängig von deren Rechtsstellung. Ausgeschlos-
entlastet werden und divergierende Urteile in getrennten straf-                    sen sind jedoch andere Rechtsnachfolger als der Erbe, wie bei-
und zivilrechtlichen Prozessen sollen verhindert werden.6 Als                      spielsweise der Haftpflichtversicherer11 oder der Sozialversi-
im Laufe der achtziger Jahre der Opferschutz im Strafverfahren                     cherungsträger.12 Dies liegt daran, dass sie ihren Anspruch nicht
wiederentdeckt wurde, rückte auch das Adhäsionsverfahren                           unmittelbar aus der Tat erwerben.13
wieder in den Fokus. Dem Verletzten wurde die Möglichkeit an                          Antragsgegner ist gemäß § 403 nur der Beschuldigte. Andere
die Hand gegeben, schneller und einfacher an den Ersatz seines                     zivilrechtlich Mithaftende, wie z.B. der Haftpflichtversicherer
Schadens zu gelangen, als dies im Zivilverfahren möglich war,                      können dagegen nicht in die Pflicht genommen werden.14
da ein Strafprozess in der Regel zeitnaher durchgeführt wird als
ein Zivilprozess.7 Auch wird eine sekundäre Viktimisierung                            Dasselbe gilt gemäß § 81 JGG auch für Jugendliche.15
durch einen separaten Zivilprozess verhindert. Die spielt

1
  Alle folgenden §§ ohne weitere Angabe sind solche der StPO.                           länger. Vor den Strafgerichten liegt die Wartezeit hingegen bei etwa 2-3
2
  Jescheck, JZ 1958, 591 (593).                                                         Monaten. Auch vor dem AG ergibt sich eine solche Tendenz (Plümpe,
3
  Scholz, JZ 1972, 726.                                                                 ZinsO 2002, 409 (410)).
4                                                                                  8
  Schirmer, DAR 1988, 121 (128).                                                     Systematische Kommentar StPO 2013/Velten, Vor §§403-406c Rn. 5.
5                                                                                  9
  Fey, AnwBl. 1986, 491.                                                             Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht 2017, §65 Rn. 1, Granderath, NStZ
6
  Satzger/Schluckebier StPO 2018, Schöch, Vor §403 ff. Rn 1; Meyer-Goßner               1984, 399.
                                                                                   10
     StPO 2018/Schmitt Vor §403 Rn. 1; StPO-Kommentar 2005 Pfeiffer Vor               EuGH NJW 2005, 2839.
                                                                                   11
     §403 Rn. 1; Dallmeyer, Jus 2005, 327 (328); Granderath, NStZ 1984,               OLG Karlsruhe, Az. 3 Ws 169/83.
                                                                                   12
     399; Herzler, NJ 2000, 399 (404); BGH NStZ 2003, 321.                            Granderath, NStZ 1984, 399 (400); Meier/Dürre, JZ 2006, 18 (20).
7                                                                                  13
  Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht 2017, §65 Rn. 1; Löwe/Rosenberg              OLG Karlsruhe, aaO.; Köckerbauer, Das Adhäsionsverfahren 1993, S. 189.
                                                                                   14
     StPO 2009/Hilger §406 StPO Rn. 6 und Vor §403 Rn. 11; Köckerbauer,               Granderath, NStZ 1984, 399 (400).
                                                                                   15
     NStZ 1994, 305; BGH NStZ 2003, 321; Jaeger, VersR 2017, 449 (450).               Seit dem Inkrafttreten des 2. Justizmodernisierungsgesetz können aber Her-
     Vor dem LG findet häufig ein schriftliches Vorverfahren statt, die Vor-            anwachsende Gegner im Adhäsionsverfahren sein, vgl. BGBl. 2006 I, S.
     laufszeit der Terminierung beträgt rund 6-9 Monate, teilweise sogar                3416 (3433).

www.freilaw.de                                                        ISSN: 1865-0015                                                                        29
Fritz, Adhäsionsverfahren                                 Thema - Strafprozessrecht                                                       Freilaw 2/2020

   Hält das Gericht den Antrag für zulässig und begründet und                 des § 287 ZPO. Die Richter dürfen hier unter Umständen den
wird der Beschuldigte wegen einer Straftat schuldig gesprochen                Schaden schätzen. Damit wird dem Gericht die Beweisführung
oder gegen ihn eine Maßregel der Besserung und Sicherung ver-                 erleichtert.24 Die Grundlage der Adhäsionsentscheidung bilden
hängt, so gibt es dem Antrag im Urteil statt (§ 406 I). Das Ge-               wie beim Strafurteil die als erwiesen erachteten Tatsachen im
richt hat dabei gemäß § 406 I 2 die Möglichkeit, die Entschei-                Sinne des § 267 I.25
dung auf den Grund oder einen Teil des Begehrens zu beschrän-
                                                                                 Da der Adhäsionskläger keine Prozesspartei ist, kann er auch
ken. Das Nähere entscheidet dann ein Zivilgericht (§ 406 III 2).
                                                                              als Zeuge auftreten und ist so vollwertiges Beweismittel. Der
Dieses ist an den Urteilsausspruch des Strafgerichts gebunden
                                                                              Zivilprozess kennt zwar auch die Parteienvernehmung als ge-
(§ 403 I 2 i.V.m. § 318 ZPO). Im Strafbefehlsverfahren16 und
                                                                              setzliches Beweismittel, diese ist aber nur unter engen Voraus-
bei einer Einstellung nach den §§ 153 ff.17 kann keine Entschei-
                                                                              setzungen möglich (§§ 445 ff. ZPO).26
dung gefällt werden.
                                                                                 Im Zivilprozess gilt die Wahrheitspflicht des § 138 I, II ZPO.
   Ist der Antrag unzulässig oder unbegründet, sieht das Gericht
                                                                              Äußert der Gegner sich nicht, so wird das Vorbringen des Klä-
von einer Entscheidung ab (§ 406 I 3). Hierin liegt eine Beson-
                                                                              gers als wahr erachtet (§ 138 III ZPO). Im Adhäsionsverfahren
derheit des Adhäsionsverfahrens. Ist der Antrag nicht erfolg-
                                                                              hat der Beschuldigte hingegen das Recht, die Aussage zu ver-
reich, wird kein Negativurteil gefällt, dem Verletzten steht hin-
                                                                              weigern. Schweigt er, kann dies – zumindest bei vollständigem
sichtlich des geltend gemachten Anspruchs weiterhin der Zivil-
                                                                              oder vorübergehendem Schweigen – nicht zu seinem Nachteil
rechtsweg offen.18 Andere Möglichkeiten, dem Antrag nicht
                                                                              verwendet werden.27 Darüber hinaus gilt im Adhäsionsverfah-
stattzugeben, stehen dem Gericht nur stark eingeschränkt zur
                                                                              ren die Streitwertgrenze, an die die Zivilgerichte gebunden sind
Verfügung. Seit dem Opferrechtsreformgesetz von 2004 besteht
                                                                              (vgl. § 23 Nr. 1 GVG), nicht.28
außerdem die Möglichkeit eines Prozessvergleichs (§ 405) und
eines Anerkenntnisurteils (§ 406 II).                                            Der in-dubio-Grundsatz, der im Strafverfahren Prozessma-
                                                                              xime ist, gilt im Adhäsionsverfahren nicht. Dies liegt darin be-
   Gemäß § 406 III 1 steht die Entscheidung einem Urteil vor
                                                                              gründet, dass es hier nicht darum geht, eine Partei einseitig zu
einem Zivilgericht gleich. Ein nachfolgendes Zivilgericht ist an
                                                                              belasten, sondern herauszufinden, wer von beiden Recht hat.29
das Urteil nur insoweit gebunden, wie dem Antrag stattgegeben
wurde. Wenn teilweise von der Entscheidung abgesehen wurde,
                                                                              C. Die praktische Relevanz des Adhäsionsverfahrens
kann dieser Teil nun vor dem Zivilgericht geltend gemacht wer-
                                                                              I. Die Rechtswirklichkeit
den (§ 406 III 3). Das Urteil stellt einen Titel dar, der für sofort
vollstreckbar erklärt wird (§ 406 III 2).                                     Wirft man einen Blick auf die Statistik, ist die Bilanz des Adhä-
                                                                              sionsverfahrens ernüchternd. Im Jahre 2018 wurden nur in 0,8%
III. Verfahrensprinzipien                                                     der vor dem Amtsgericht erledigten Fälle zivilrechtliche An-
                                                                              sprüche abgeurteilt. Vor den Landgerichten sieht es auch nur
Das Adhäsionsverfahren ist geprägt durch eine Mischung straff-
                                                                              mäßig besser aus. Diese können immerhin einen Anteil von
prozessualer Maximen19 und zivilprozessualer Rechtsinstitute20.
                                                                              4,5% aller Verfahren verbuchen.30 Auch dieser Wert erscheint
Die strafprozessualen Regeln finden nur dann keine Anwen-
                                                                              jedoch verschwindend gering, wenn man den Schätzungen
dung, wenn die StPO ausdrücklich auf zivilrechtliche Normen
                                                                              glaubt, dass bis zu 67,6%31 der Fälle sich für das Adhäsionsver-
verweist (z.B. § 404 V i.V.m. §§ 114 ff. ZPO) oder eine straf-
                                                                              fahren eignen.
prozessuale Lücke mit zivilrechtlichen Vorschriften gefüllt wer-
den muss.21                                                                      Die Erledigungszahlen der Statistik können zwar keine Aus-
                                                                              sagen darüber treffen, wie oft tatsächlich ein Antrag durch den
   Die zentralen Unterschiede zum Zivilprozess liegen zum ei-
                                                                              Verletzten gestellt wird. Aber die Intention des Gesetzgebers,
nen in der Geltung der Inquisitionsmaxime gemäß § 244 II.
                                                                              die Erledigung im Adhäsionsverfahren zur Regel und die Ent-
Während im reinen Zivilverfahren der Verfahrensstoff von den
                                                                              scheidung vor dem Zivilgericht zur Ausnahme zu machen32,
Prozessparteien eingebracht wird (Beibringungsgrundsatz) und
nur diese Tatsachen und Beweismittel die Grundlage des Urteils                     konnte ohne Zweifel nicht erreicht werden.33
bilden dürfen22, müssen im Strafprozess alle wesentlichen Tat-
                                                                                 Bemühungen des Gesetzgebers, durch zwei umfassende Re-
sachen und Beweismittel von Amts wegen aufgeklärt werden.23
                                                                              formen in Gestalt des Opferschutzgesetzes im Jahre 198634 und
Eine Ausnahme hiervon ergibt sich durch die Anwendbarkeit

16                                                                            26
   Prechtel, ZAP 2005, 399; BGH, Az. VIII ZR 318/80, Rn. 9; Loos, GA 2006,       Dallmeyer, JuS 2005, 327 (329); Plüür/Herbst, NJ 2008, 14.
                                                                              27
     195 (197 f.).                                                               BGH, Az. 3 StR 531/99, Rn. 7.
17                                                                            28
   Prechtel, ZAP 2005, 399 (403).                                                Dallmeyer, JuS 2005, 327 (328).
18                                                                            29
   Dallmeyer, JuS 2005, 327 (329).                                               Systematischer Kommentar StPO 2013/Velten §404 Rn. 12.
19                                                                            30
   Prechtel, ZAP 2005, 399 (401); Weiner, Handbuch des Adhäsionsverfahrens       Statistisches Bundesamt, Strafgerichte 2018, Tab. 2.1 und 4.1, Stand:
     2016, S. 31; Löwe/Rosenberg StPO 2009/Hilger, Vor §403 Rn. 6.                 23.10.2019.
20                                                                            31
   Dallmeyer, JuS 2005, 327 (328), Löwe/Rosenberg StPO 2009/Hilger aaO.          Kaiser, Die Stellung des Verletzten im Strafverfahren 1992, 263 f.
21                                                                            32
   Plüür/Herbst, NJ 2005, 153; Weiner, aaO.                                      BT-Drs. 15/1976, S. 16; Jaeger, VersR 2017, 449 (451).
22                                                                            33
   BeckOK ZPO/Bacher §284 Rn. 34.                                                Eine Umfrage Zanders ergab, dass vor den Gerichten, die an seiner Studie
23
   Dallmeyer JuS 2005, 327 (329); Plüür/ Herbst, NJ 2005, 153; Meier/Dürre,        teilnahmen, etwa in 5,3% aller geeigneten Verfahren ein Antrag gestellt
     JZ 2006, 18 (22).                                                             wurde, Zander, Das Adhäsionsverfahren im neuen Gewand 2011 227.
24                                                                            34
   Meyer-Goßner StPO 2018/Schmitt §404 Rn. 11.                                   BGBl I, 2496.
25
   Plüür/Herbst NJ 2005, 153.

30                                                                  ISSN: 1865-0015                                                       www.freilaw.de
Fritz, Adhäsionsverfahren                                    Thema - Strafprozessrecht                                                  Freilaw 2/2020

des OpferRRG im Jahre 200435 dem Adhäsionsverfahren eine                       „flüchten“47, falls sie ein Adhäsionsverfahren umgehen wollen.
wichtigere Rolle in der Praxis zukommen zu lassen, scheiterten.                Inwieweit dieser Weg systematischer Umgehung tatsächlich ge-
Warum das Adhäsionsverfahren in der Praxis immer noch eine                     nutzt wird, kann jedoch kaum festgestellt werden.
solch untergeordnete Rolle spielt, soll im Folgenden ergründet
werden.                                                                        3. Praktische Hindernisse
                                                                               Weiterhin bestehen massive praktische und psychische Hemm-
II. Gründe der geringen praktischen Relevanz
                                                                               schwellen bei Justiz und Verletzten.
1. Unterschiede zwischen Straf- und Zivilrecht
                                                                                  Der Zentralgestalt des Adhäsionsverfahren, dem Verletzten,
Als eines der größten Hindernisse für eine häufigere Anwen-
                                                                               mangele es an Informationen, wenn er überhaupt Kenntnis von
dung des Adhäsionsverfahrens wird die „forensische Verschie-
                                                                               der Möglichkeit eines Adhäsionsverfahrens habe, so einige
denheit“36 der Aufgaben des Straf- und des Zivilrichters gese-
                                                                               Stimmen in der Literatur.48 Diese Annahme wird gestützt durch
hen. Im Adhäsionsverfahren wird ein materieller Zivilrechts-
                                                                               diverse Studien. Staiger-Allroggen stellte fest, dass 78% der Op-
streit in den Formen eines Strafprozesses durchgeführt. Durch
                                                                               fer, die keinen Antrag gestellt hatten, nicht auf die Möglichkeit
die Unterschiede in materieller, als auch in prozessualer Sicht
                                                                               hingewiesen wurden, dies zu tun. Nur 9% hatten demgegenüber
können Friktionen entstehen.37
                                                                               kein Interesse an einem Antrag.49 Laut Zander sahen auch 54%
   Als Beispiele in materieller Hinsicht wären etwa zu nennen                  der von ihm befragten Juristen die mangelnde Information der
der unterschiedliche Maßstab der Kausalität in beiden Rechts-                  Verletzten als (Mit-)Ursache der geringen Praxisrelevanz an.50
gebieten38 und die verschiedenen Fahrlässigkeitsbegriffe39. Au-                Auch die von Spiess befragten Juristen teilten die Auffassung,
ßerdem ergeben sich hinsichtlich der Haftung im Zivilrecht und                 dass die Kenntnis des Adhäsionsverfahrens unter den Verletzten
der Schuld im Strafrecht verschiedene Voraussetzungen.40                       äußerst gering ist.51 Der Gesetzgeber versuchte im Rahmen der
                                                                               Reform 2004 gegen das Problem vorzugehen, indem die Staats-
   Prozessual ergibt sich eine Divergenz zwischen der Wahr-
                                                                               anwaltschaft verpflichtet wurde, den Verletzten zu informieren
heitspflicht im Zivilverfahrensrecht und den entgegenstehenden
                                                                               (§ 406i I Nr. 3). Die Information soll gemäß Abschnitt 173
Grundsätzen des Strafprozesses.41 Außerdem verträgt sich der
                                                                               RiStBV möglichst früh erfolgen. Dennoch ist nur eine unwe-
in-dubio-Grundsatz nicht mit dem zivilprozessrechtlichen
                                                                               sentliche Verbesserung erkennbar.52 Als Ursachen für die feh-
prima-facie-Beweis, der freien Schadensschätzung des § 287
                                                                               lende Information durch die Justiz wird teilweise das Vergessen
ZPO und den differenzierten Mitverschuldensabwägungen des
                                                                               des Hinweises aufgrund der alltäglichen Routine im Umgang
Zivilrechts.42 Überdies stehen sich die Inquisitions- und die Dis-
                                                                               mit Verletzten genannt. Größtenteils wird aber die mangelnde
positionsmaxime unvereinbar gegenüber.43
                                                                               Hinweisbereitschaft der Justiz als Hauptproblem angegeben.53
2. Die Regelungen der §§ 403 ff.                                                  Doch nicht nur die Unkenntnis vieler Verletzter schwächt das
                                                                               Adhäsionsverfahren in der Praxis, auch das Unwissen vieler An-
Oft kritisiert wird der begrenzte Anwendungsbereich der §§ 403
                                                                               wälte stellt ein Problem dar.54 Immerhin 20% der von Zander
ff. Da nur der Beschuldigte Antragsgegner sein kann, ist das Ad-
                                                                               befragten Juristen bemängelten dies.55 Außerdem äußern viele
häsionsverfahren in Verkehrsstrafsachen oftmals nicht anwend-
                                                                               Rechtsanwälte die Sorge, es könne Streit mit dem Gericht ge-
bar, weil der Versicherer, der regelmäßig für den Schaden auf-
                                                                               ben, wenn man einen eher unbeliebten Adhäsionsprozess an-
kommt, nicht in die Pflicht genommen werden kann.44 Außer-
                                                                               strenge.56 Aus prozesstaktischen Gründen erscheint es in sol-
dem ist für ein Adhäsionsverfahren eine Hauptverhandlung not-
                                                                               chen Situationen meist naheliegender, auf einen Antrag zu ver-
wendig.45 Von 648.918 Verfahren vor den Amtsgerichten 2018
                                                                               zichten. Ebenso befürchten einige Opferanwälte, die Glaubwür-
wurden gerade einmal 261.628 durch Urteil erledigt. Damit fal-
                                                                               digkeit des Opfers als Zeuge könne leiden, weil es im Prozess
len schon knapp 60% der Verfahren von vorneherein aus dem
                                                                               auch seine eigenen wirtschaftlichen Interessen befolgt.57 Das
Anwendungsbereich der §§403 ff. heraus. Vor den Landgerich-
                                                                               größte Hemmnis stelle jedoch die im Vergleich zur Anstrengung
ten sind es knapp 30%.46 Vereinzelt wird auch befürchtet, dass
                                                                               eines Zivilprozesses niedrigere Vergütung für die
die Richter dadurch die Möglichkeit haben, sich in ein Strafbe-
fehlsverfahren oder eine Einstellung über § 153 ff. zu

35                                                                             45
   BGBl I, 1354.                                                                  Zander, 337.
36                                                                             46
   Meyer-Goßner StPO 2018/Schmitt Vor §403 Rn. 2.                                  Statistisches Bundesamt, Strafgerichte 2018, Tab. 2.2 und 4.2, Stand:
37
   Sachsen Gessaphe, ZZP 112, 3 (9).                                                23.10.2019.
38                                                                             47
   Löwe/Rosenberg StPO 2009/Hilger, Vor §403 Rn. 9; Zander, Das Adhäsions-        Loos, GA 2006, 195 (197 ff.); Haller, NJW 2011, 970 (971).
                                                                               48
     verfahren im neuen Gewand 2011, 360; Weigend, Deliktsopfer und Straf-        Dallmeyer, JuS 2005, 327 (330); Löwe/Rosenberg StPO 2009/Hilger Vor
     verfahren 1989, 525.                                                           §403 Rn. 8.
39                                                                             49
   Löwe/Rosenberg StPO 2009/Hilger Vor §403 Rn. 9; Weigend aaO.                   Staiger-Allroggen, Auswirkungen des Opferschutzgesetzes 1992, 109.
40                                                                             50
   Systematischer Kommentar StPO 2013/Velten Rn. 5; Löwe/Rosenberg StPO           Zander, 229.
                                                                               51
     2009/Hilger Vor §403 Rn. 9; Zander 360; Weigend aaO.                         Spiess, Das Adhäsionsverfahren in der Rechtswirklichkeit 2008, 173 f.
41                                                                             52
   Löwe/Rosenberg StPO 2009/Hilger, Vor §403 Rn. 9.                               Zander, 330.
42                                                                             53
   Achenbach, Kommentar StPO 1996/Schöch, Vor §403 Rn. 7 ff., ders. in Tä-        Spiess, 185.
                                                                               54
     terrechte – Opferrechte 1996, S. 20; Iffert-Schmücker, Mängel und Opfer      Prechtel, ZAP 2005, 399.
                                                                               55
     des Opferschutzgesetzes 1988, 108.                                           Zander, 229.
43                                                                             56
   Systematischer Kommentar StPO 2013/Velten, Vor §§403-406c, Rn. 5.              Haller, NJW 2011, 970 (971).
44                                                                             57
   Weiner, 32; Loos, GA 2006, 195 (197); Prechtel, ZAP 2005 22, 399; Syste-       Haller, aaO.
     matischer Kommentar StPO 2013/Velten Rn. 5.

www.freilaw.de                                                       ISSN: 1865-0015                                                                 31
Fritz, Adhäsionsverfahren                                 Thema - Strafprozessrecht                                                       Freilaw 2/2020

Rechtsanwälte dar.58 30% der von Zander befragten Juristen wa-                werden.70 Dies liegt unter anderem an der fehlenden Berück-
ren dieser Auffassung.59 Schon in der alten Regelung des § 89                 sichtigung des Adhäsionsverfahrens in den Pensenschlüsseln.71
BRAGO erhielt der Opferanwalt nur halb so viel Vergütung, wie
                                                                                 Die Anwendung von Zivilrecht sahen auch 55% der von Zan-
in einem separaten Zivilprozess. Auch in der neuen Regelung
                                                                              der Befragten als Ursache an.72 Dies stellte in seiner Umfrage
der Nr. 4143 und 4144 VV RVG hat sich nicht viel geändert.
                                                                              damit den Hauptgrund der geringen praktischen Bedeutung des
Die 2/1 Gebühr für das Adhäsionsverfahren wurde beibehalten,
                                                                              Adhäsionsverfahrens dar.
während die Gebühr für einen Zivilprozess von 4/1 auf 3,15
sank.60 Außerdem wird die erhaltene Gebühr auf die Entlohnung
                                                                              4. Zwischenergebnis
eines nachfolgenden Zivilprozesses angerechnet.61 Das macht
das Adhäsionsverfahren zumindest auf den ersten Blick gebüh-                  Mithin ergibt sich aus der vorigen Betrachtung, dass das Adhä-
rentechnisch unattraktiver für den Rechtsanwalt, als ein separa-              sionsverfahren ein Schattendasein in der deutschen Rechtswirk-
tes Zivilverfahren, weshalb er in der Regel nur ungern auf einen              lichkeit führt und das trotz ambitionierter Versuche, es wieder
Adhäsionsantrag hinwirken wird.                                               stärker in der Praxis zu fördern. Dies ist auf vielfältige Gründe
                                                                              zurückzuführen. Nach 75 Jahren fruchtlosen Daseins stellt sich
   Auch die Haltung der Strafrichter gegenüber dem Adhäsions-
                                                                              die Frage, ob das Adhäsionsverfahren überhaupt noch eine Zu-
verfahren ist eher kritisch. Viele sind einer Befassung mit zivil-
                                                                              kunft hat.
rechtlichen Fragen von vornherein abgeneigt.62 Nach jahrelan-
ger Spezialisierung geht den Richtern die spontane Sicherheit
                                                                              D. Lösungs- und Reformansätze
im Umgang mit dem jeweils anderen Rechtsgebiet verloren.63
Gerade bei schwierigen Fragen des Zivilrechts geraten sie                     In der Folge werden verschiedene Verbesserungs- und Reform-
schnell an ihre Grenzen.64 Teilweise wurde hier schon entgegen-               vorschläge diskutiert, die die geringe praktische Relevanz in der
gesteuert, etwa durch die Anwendbarkeit des § 287 ZPO in Son-                 Praxis bekämpfen sollen und Nachteile des deutschen Systems
derfällen. Dennoch bewegen sich die Richter auf ungewohntem                   auszumerzen suchen. Nicht näher diskutiert werden Vorschläge
Terrain. Dies hängt stark mit der schon angesprochenen Ver-                   einer rein strafrechtlichen Lösung73 oder die Möglichkeit der
schiedenheit der beiden Rechtsgebiete zusammen, liegt aber                    Abschaffung des Adhäsionsverfahrens74, da der Verfasser der
auch zu einem großen Teil an der apodiktischen Trennung von                   Auffassung ist, dass mit den §§ 403 ff. den Opfern und der Justiz
Straf- und Zivilrecht, wie sie schon im Studium eindrücklich                  ein grundsätzlich funktionelles Instrument an die Hand gegeben
vermittelt wird.65 Dieser strikte Gegensatz zwischen den Rechts-              wurde.
gebieten ist überhaupt ein tief sitzender Teil der westlichen
Rechtskultur66 und löst dadurch Vorbehalte bei den Rechtsan-                  I. Anwendungsbereich
wendern aus. Was den Opferschutz angeht, wird mangelnde
                                                                              Ein in der Literatur sehr kontrovers diskutierter Punkt ist die
fachliche Kompetenz beklagt. Wo Rechtsanwälten regelmäßig
                                                                              Ausdehnung der Aktiv- und Passivlegitimation.
Fortbildungen zur Verfügung stehen, sollen Richter als Autodi-
dakten allein aufgrund ihres zweiten Staatsexamens hinreichend                   Immer wieder wird gefordert, die Aktivlegitimation auf Zes-
befähigt sein.67                                                              sionare und Versicherer auszudehnen.75 Dass dieser Schritt das
                                                                              Adhäsionsverfahren in der Praxis wiederbeleben könnte, zeigt
   Neben der fachlichen befürchten viele Richter auch noch eine
                                                                              ein Blick nach Österreich. Dort sind der Hauptteil der Antrags-
tatsächliche Überforderung. Der erwartete Mehraufwand68 in
                                                                              steller Versicherer.76 Dieser Vorstoß ist dennoch eher abzu-
Verbindung mit der mangelnden Personalausstattung an vielen
                                                                              lehnen. Zum einen werden Personen in das Strafverfahren mit-
Strafgerichten, die regelmäßig überlastet sind69 trägt nicht zur
                                                                              einbezogen, die zur Straftat gar nicht in Verbindung stehen. Der
Beliebtheit des Adhäsionsverfahrens bei. Die Richter befürch-
                                                                              mittlerweile grundlegende Zweck des Adhäsionsverfahrens, der
ten, dass sie dem ohnehin schon hohen Druck aufgrund der
                                                                              Opferschutz, liefe so leer.77 Außerdem träfe das Gericht in die-
strengen Fristen – beispielsweise bei U-Häftlingen oder wegen
                                                                              sen Fällen dann regelmäßig die Pflicht zu prüfen, ob der An-
der Höchstdauer von Unterbrechungen – nicht mehr genügen
                                                                              spruch auf den Versicherer übergegangen ist, wodurch die Rich-
können, wenn sie zusätzlich mit Zivilrechtsfragen belastet
                                                                              ter zusätzlich mit zivilrechtlichen Fragen, die keinen Bezug

58                                                                            69
   Dallmeyer, JuS 2005, 327 (330); Schöch in FS-Riess, S. 513; Brokamp, Das      Keil/Best, DAR 2013, 628 (632).
                                                                              70
     Adhäsionsverfahren 1990, 175 f.                                             Krey/Wilhelmi, FS-Otto, S. 946.
59                                                                            71
   Zander, 229.                                                                  Vgl. http://www.drb.de/fileadmin/pdf/Belastung/150410_PEBBSY_Haupt-
60
   Zander, 365.                                                                    band.pdf, S. 34; so auch: Dallmeyer, JuS 2005, 327 (330); Brokamp, 178;
61
   Brokamp, 175 f.                                                                 Keil/Best, DAR 2013, 628 (632); Weigend, 522.
62                                                                            72
   Dallmeyer, JuS 2005, 327 (330); Prechtel, ZAP 2005, 399; Löwe/Rosenberg       Zander, 229.
                                                                              73
     StPO 2009/Hilger Vor §403 Rn. 8; Zander, 334; Herzler, NJ 2000, 399         So etwa Kintzi in Wiedergutmachung, S. 18; Weigend in Will, S. 19 f.; AE-
     (404); Weigend, 522.                                                          WGM; Riess, Gutachten C für den 55. Deutschen Juristentag 1984 C95, Rn.
63
   Schöch in Täterrechte – Opferrechte, S. 20; ders. Achenbach, Kommentar          139, C134 Rn. 209.
                                                                              74
     StPO 1996/Schöch Vor §403 Rn. 7.                                            So etwa Weigend, 526.
64                                                                            75
   Zander, 334.                                                                  Spiess, 284; Sachsen Gessaphe, ZZP 112, 3 (34); Hirsch, ZStW 102, 534
65
   Kintzi in Wiedergutmachung für Kriminalitätsopfer 1999, S. 17.                  (554).
66                                                                            76
   Nilius in Will – Schadensersatz im Strafverfahren 1990, S. 62.                Eder-Rieder, StPdG 26, 43 (61).
67                                                                            77
   Haller, NJW 2011, S. 970 (972).                                               Zander, 338; Klein, Das Adhäsionsverfahren 2007, 214; Brokamp 180; Kö-
68
   Sachsen Gessaphe, ZZP 112, 3 (10); Kintzi in Wiedergutmachung, S. 17.           ckerbauer, NStZ 1994, 305 (306).

32                                                                 ISSN: 1865-0015                                                        www.freilaw.de
Fritz, Adhäsionsverfahren                                        Thema - Strafprozessrecht                                                      Freilaw 2/2020

mehr zur Straftat haben, belastet werden.78 Dies widerspräche                       mittellose Täter erst lohnenswert.92 Der moderaten Schadenser-
dem Grundkonzept des Adhäsionsverfahrens, das auf dem Ge-                           satzgestaltung kann zumindest entgegengewirkt werden, indem
danken des Sachzusammenhangs basiert. Überdies ergibt sich                          man die Richter auch für das erlittene Leid des Opfers sensibili-
die berechtigte Befürchtung, dass durch die Einbeziehung von                        siert. Dies geschieht gerade durch die Beteiligung des Opfers am
Versicherern und Zessionaren kommerzielle Interessen ins                            Verfahren. Außerdem ist eine Tendenz zur Zusprechung gerin-
Strafverfahren getragen werden.79                                                   gerer Schadensersatzsummen in der Praxis nicht belegt.93 Au-
                                                                                    ßerdem stehen dem Verlust die eingesparten Kosten und Mühen,
   Auch eine Erweiterung der Passivlegitimation auf zivilrecht-
                                                                                    die das Adhäsionsverfahren mit sich bringt, gegenüber. Insge-
lich Mithaftende, insbesondere Versicherer wird befürwortet.80
                                                                                    samt überwiegen die finanziellen Vorteile die Risiken. Diese
Insbesondere die in der Praxis zahlreichen Verkehrsdelikte sind
                                                                                    können außerdem durch geschicktes Vorgehen vor und im Pro-
nach der gegenwärtigen Gesetzeslage ausgenommen, da hier in
                                                                                    zess stark minimiert werden.94
der Regel der Versicherer haftet.81 In Frankreich, wo die „action
civile“ große praktische Relevanz genießt82, ist eine Inanspruch-                      Ein weiteres Argument, das gegen die Erweiterung vorge-
nahme des Versicherers möglich.83 Dieser Ansicht ist zuzuge-                        bracht wird, ist, dass im Jugendstrafverfahren mehr opferbezo-
ben, dass die in Frage gestellten Ansprüche tatsächlich aus der                     gene Maßnahmen möglich sind, als im Erwachsenenstrafrecht,
Straftat selbst entstehen.84 Als Beispiel genannt sei der Direk-                    wodurch den Opferinteressen schon ohne das Adhäsionsverfah-
tanspruch gegen den Versicherer aus § 115 I VVG. Dem ist je-                        ren genüge getan wird.95 Für sich allein genommen kann dieses
doch entgegenzuhalten, dass die Gefahr des Bezugsverlust wei-                       Argument jedoch nicht überzeugen. Auch im Erwachsenenstraf-
ter besteht, wenn Fragen über das Versicherungsverhältnis Ein-                      recht gibt es Möglichkeiten der Wiedergutmachung, die jedoch
gang in den Strafprozess finden.85 Andererseits bestünde in die-                    neben und nicht in Konkurrenz zum Adhäsionsverfahren ste-
sen Fällen immer noch die Möglichkeit einer Absehensentschei-                       hen.96 Dieses ist gerade für die Fälle da, in denen der Täter nicht
dung.86 Dies würde zumindest für die große Zahl einfach gela-                       zum freiwilligen Ausgleich bereit ist.97
gerter Fälle die Erweiterung des Anwendungsbereiches zulas-
                                                                                        Gewichtiger erscheint die Tatsache, dass im Jugendstrafver-
sen. Jedoch kann die Anwendung von strafprozessualen Verfah-
                                                                                    fahren das Beschleunigungsgebot ein besonderes Gewicht hat98,
rensgrundsätzen, insbesondere des Untersuchungsgrundsatzes,
                                                                                    weil es dem Jugendlichen zeitnah den Zusammenhang zwischen
gegenüber nur zivilrechtlich Mithaftenden, die nicht aktiv an der
                                                                                    der Tat und den strafrechtlichen Folgen vor Augen führen soll.99
Tat beteiligt waren, nicht gerechtfertigt werden.87
                                                                                    Der Zweck des § 81 JGG ist es, das Strafverfahren davor zu
  Eine Erweiterung der Passivlegitimation auf zivilrechtlich                        schützen, dass der Erziehungsgedanke in den Hintergrund
Mithaftende ist mithin nicht erstrebenswert.                                        tritt.100 Im Jugendstrafverfahren ist der Täter noch mehr Zentral-
                                                                                    gestalt, als im Erwachsenenverfahren, es geht vor allem um die
    Auch über die Erweiterung der Passivlegitimation auf Ju-
                                                                                    positive Einwirkung auf ihn.101 § 81 JGG sichert dieses spezielle
gendliche, die durch § 81 JGG ausgeschlossen ist, wird in der
                                                                                    Verfahren, indem es nicht mit zivilrechtlichen Ansprüchen be-
Literatur diskutiert.88 Hierfür wird häufig die Möglichkeit des
                                                                                    lastet wird.102
schnelleren finanziellen Ausgleichs und der Verhinderung der
sekundären Viktimisierung ins Feld geführt.89 Dem wird entge-                           Jedoch kann das Adhäsionsverfahren ebenso einen erzieheri-
gengehalten, dass der jugendliche Täter in der Regel mittellos                      schen Wert entfalten, indem dem Jugendlichen auch die materi-
sein wird90 und selbst für den Fall der Ausgleichsfähigkeit die                     ellen Folgen der Tat vor Augen geführt werden103 und er er-
Gefahr besteht, dass der Richter nicht nur die Strafe, sondern in                   kennt, dass es nicht ausreicht, den Schuldspruch entgegenzuneh-
dem Zuge auch gleich die Schadensersatzhöhe moderat gestal-                         men, sondern dass auch beim Opfer etwas wiedergutzumachen
tet.91 Dem Argument, gerade bei vermögenslosen Tätern sei der                       ist.104 Diese Konfrontation mit dem angerichteten Schaden und
Titel nutzlos, ist nicht zuzustimmen. Durch das niedrige finan-                     der Pflicht zur Wiedergutmachung steht mit dem Erziehungsge-
zielle Risiko wird die Anstrengung eines Verfahrens gegen                           danken des Jugendstrafverfahrens in Einklang.105 Ein

78                                                                                  93
   Brokamp, 179; Zander, aaO.; Köckerbauer, aaO.                                       Dauer, Das Adhäsionsverfahren im Rechtsvergleich 2018, 43.
79                                                                                  94
   Schönke, Beiträge zur Lehre vom Adhäsionsverfahren 1935, 167; Brokamp,              Z.B. kann das Risiko einer Absehensentscheidung minimiert werden, indem
     180.                                                                                im Voraus die Erfolgsaussichten genau geprüft werden. Der Antrag kann
80
   Patsourakou, Die Stellung des Verletzten im Strafrechtssystem 1994, 295;              etwa zunächst formal gestellt werden, um lediglich die Einschätzung der
     Spiess, 284; Scholz, JZ 1972, 725 (731); Amelunxen, ZStW 86, 457 (466);             Beteiligten einzuholen und gemäß §404 IV bis zur Verkündung des Urteils
     Brause, ZRP 1985, 103 (104).                                                        zurückgenommen werden (Weiner, 36; Plümpe, ZinsO 2002, 409 (413)).
81                                                                                  95
   Prechtel, ZAP 2005, 399; Spiess, aaO.                                               Zander, 340 ff.
82                                                                                  96
   Gewaltig, Die action civile im französischen Strafverfahren 1990, 94 ff.; Kai-      Dauer, 36.
                                                                                    97
     ser, 86; Jescheck, JZ 1958, 591 ff.                                               Klaus, Neuere Beiträge zur Lehre vom Adhäsionsprozeß 2000, 222.
83                                                                                  98
   Spiess, 238.                                                                        OLG Celle, Az. 1 Ws 206/08, Rn. 3.
84                                                                                  99
   Zander, 339.                                                                        Höynck, ZJJ 2005, 34 (38); Zander, 342.
85                                                                                  100
   Zander, aaO.; Schönke, 167.                                                          Eisenberg JGG §81 Rn. 4; Brunner/Dölling JGG §81 Rn. 2; Schönke, 153;
86
   Spiess, 284.                                                                          Bahnson, Das Adhäsionsverfahren 2008, 67.
87                                                                                  101
   Brokamp, 179.                                                                        Brunner/Dölling JGG §81 Rn. 1.
88                                                                                  102
   Haller, NJW 2011, 970 (973); von Elling, Die Stellung des Geschädigten im            Ostendorf, JGG 2009, Grdl. z. §§79–81 Rn. 5; Hinz, ZRP 2002, 475 (477).
                                                                                    103
     Strafverfahren der DDR 2006, 428.                                                  BT-Drs. 14/8788, S. 3.
89                                                                                  104
   BT-Drs. 14/8788, S. 3.                                                               Zander, 341; Hinz, ZRP 2002, 475 (477).
90                                                                                  105
   Zander, 342; Hinz, ZRP 2002, 475 (478).                                               Strafrechtspolitische Forderung des Weissen Rings https://weisser-
91
   Hinz, aaO.                                                                            ring.de/experten/recht/strafrecht unter 3.
92
   Plüür/Herbst, NJ 2008, 14.

www.freilaw.de                                                            ISSN: 1865-0015                                                                   33
Fritz, Adhäsionsverfahren                               Thema - Strafprozessrecht                                                          Freilaw 2/2020

nachfolgender Zivilprozess enthält hingegen keine erzieherische             Entscheidung nicht vom Schuldspruch losgelöst, die nötige Ak-
Komponente.106 Darüber hinaus wird das erneute Aufrollen des                zessorietät bliebe gewahrt.119 Überdies könnte man so einer in
Falls in einem Zivilprozess auch für den Täter regelmäßig                   Teilen der Literatur befürchteten Flucht in den Strafbefehl ent-
schwer verständlich sein. Die Abhandlung in einem Verfahren                 gegenwirken.120 Die h.M. hält eine Hauptverhandlung für zwin-
kommt so auch ihm zugute.107 Schließlich macht es für das Op-               gend notwendig.121 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass es im
fer keinen Unterschied, ob der Täter volljährig oder minderjäh-             Zivilrecht anerkannt ist, dass auch in einem schriftlichen Ver-
rig war. Es ergeben sich keine Gründe, warum das Opfer be-                  fahren Ansprüche dem Grund und der Höhe nach zuerkannt
nachteiligt werden soll, nur weil der Täter zufällig unter 18 Jahre         werden können (z.B. §§ 331, 331a ZPO).122 Selbst wenn man
alt war.108 Eine Erweiterung der Passivlegitimation auf Jugend-             anbringt, dass sich aus dem Sachverhalt allein regelmäßig nur
liche ist also zu begrüßen, wobei überlegt werden kann, das Ad-             schwer Aussagen über die Schadenshöhe treffen lassen123, ist in
häsionsverfahren im Jugendstrafrecht anzupassen, sodass die In-             solchen Fällen immer noch ein Grundurteil möglich.124 Mithin
teressen des Jugendlichen in angemessener Weise geschützt                   kann die Zulassung einer Adhäsionsentscheidung in den zahlen-
werden.109                                                                  mäßig bedeutenden Strafbefehlsverfahren empfohlen werden.
   Teilweise wird die Erweiterung der Zuständigkeit über die                   Des Weiteren wird die Einschränkung der Absehensentschei-
Ansprüche der ordentlichen Gerichte hinaus auf arbeitsrechtli-              dung diskutiert. Es wird teilweise gefordert, die Möglichkeit der
che Ansprüche befürwortet, weil es den Bereich der Betriebskri-             Absehensentscheidung gänzlich abzuschaffen.125 Dies ist aber
minalität ausklammert.110 Die starke richterrechtliche Prägung              kein gangbarer Vorschlag, da nicht jedes Verfahren für eine Ad-
des Arbeitsrechts erfordere aber regelmäßig Spezialkennt-                   häsionsentscheidung geeignet ist.126 In diesen Fällen muss das
nisse.111 Für den zuständigen Richter macht es meist jedoch kei-            Gericht von der Entscheidung absehen können. Vorschläge, ein
nen Unterschied, welcher Lebenssachverhalt der Beurteilung                  Zwangsgrundurteil einzuführen127, sind praktisch schon ver-
zugrunde liegt.112 Überdies ist immer noch eine Absehensent-                wirklicht, da von einer Entscheidung nur abgesehen werden
scheidung möglich, um schwierige Sachverhalte zu umgehen.113                darf, wenn ein Grundurteil nicht möglich ist.128 Denkbar wäre
Im Ergebnis ist eine Erweiterung auf arbeitsrechtliche Ansprü-              die Alternative, einen Katalog an Straftaten aufzustellen, bei de-
che zu begrüßen.                                                            nen das Absehen nicht möglich ist.129 Dies erscheint indes nicht
                                                                            zielführend, weil die Besonderheiten des Einzelfalls immer noch
II. Rechtliche Ausgestaltung                                                gegen eine Adhäsionsentscheidung sprechen können. Außer-
                                                                            dem ist der Rahmen, in dem das Gesetz den Gerichten eine Ab-
Teilweise wird gefordert, dass eine Adhäsionsentscheidung
                                                                            sehensentscheidung erlaubt, hinreichend eng gesteckt.130 Eine
auch losgelöst von einem Schuldspruch möglich gemacht wird,
                                                                            Verringerung dieses Spielraums durch den Gesetzgeber ist nicht
also beispielsweise bei einem Freispruch oder einer Einstellung
                                                                            angezeigt.
nach § 153a.114 Dafür spricht, dass der Zweck der Prozessöko-
nomie weiterhin erfüllt werden kann, da der Zivilrichter sich im               Zu begrüßen wäre hingegen der Vorstoß, eine Begründungs-
Gegensatz zum Strafrichter erneut einarbeiten müsste.115 Es ist             pflicht einzuführen.131 Reicht bisher ein einfacher Hinweis auf
jedoch zu befürchten, dass in der Folge die Strafgerichte über              die Ungeeignetheit, wäre in Zukunft der Aufwand für eine Ab-
Gebühr mit rein zivilrechtlichen Fragen belastet werden.116 Bei             sehensentscheidung erhöht, was viele Richter wohl eher moti-
einem Freispruch wird darüber hinaus nicht mehr über die Fol-               vieren würde, die Möglichkeit eines Verfahrens nicht direkt zu
gen einer Straftat beschieden, obwohl das Adhäsionsverfahren                verwerfen.
gerade auf diesem Sachzusammenhang beruht, der die Anwen-
dung strafprozessualer Grundsätze rechtfertigt.117 Die Argu-                III. Praktische Verbesserungen
mentation, dass der Sachverhalt weiter Ausfluss der Handlung
bleibt, die Gegenstand des Strafverfahrens war118, kann den nö-             1. Problem der mangelnden Information der Verletzten
tigen Sachzusammenhang nicht begründen.
                                                                            Das Problem der mangelnden Information der Verletzten kann
   Man könnte auch in Erwägung ziehen, im Strafbefehlsverfah-               über den Ausbau der Informationspflicht des § 406i angegangen
ren eine Adhäsionsentscheidung zuzulassen. Hier würde die                   werden. Die Qualität der Information ist zu verbessern.132 Dem

106                                                                         120
    Siegismund in FS-Riess S. 872.                                              Zander, 346 f.
107                                                                         121
    Höynck, ZJJ 2005, 34 (38).                                                  Klein, 67 f.
108                                                                         122
    BT-Drs. 14/8788, S. 3; Siegismund in FS-Riess S. 860 f.                     Haller, NJW 2011, 970 (971); Zander, 347.
109                                                                         123
    So etwa Hinz, ZRP 2002, 475 (478).                                          Loos, GA 2006, 195, 198.
110                                                                         124
    Rieß, Gutachten C103 Rn. 152.                                               Zander, 348.
111                                                                         125
    BT-Drs. 15/2536, S. 10; Bahnson, 72; Schmanns, Das Adhäsionsverfahren       Keiser, FPR 2002, 1 (5); Bielefeld, DRiZ 2000, 277 (278); Kintzi, DRiZ 1998,
      1987, 151.                                                                 65 (72); Bielefeld, Protokoll Nr. 36 des Rechtsausschusses, 10.12.2003, S.
112
    Wessing, Der Entschädigungsanspruch des Straftatopfers 1998, 25.             49.
113                                                                         126
    Dauer, 41; Zander, 354.                                                     Zander, 355.
114                                                                         127
     Schmahl, Das Adhäsionsverfahren im dänischen Recht 1980, 118; Gla-         Volckart, JR 2005, 181 (185); Kropp, JA 2002, 328 (333).
                                                                            128
      remin/Becker, JA 1988, 602 (605); Schönke, 174.                           Zander, 356.
115                                                                         129
    Zander, 344.                                                                So etwa BT-Drs. 15/814, S. 9.
116                                                                         130
    Zander, aaO.                                                                Zander, 355 f.
117                                                                         131
    Brokamp, 181; Zander, 345.                                                  Dauer, 80.
118                                                                         132
    v. Holst, Der Adhäsionsprozess 1969, 177.                                   Zander, 331; Schroth, GA 1987, 49 (54); Rössner/Klaus, ZRP 1998, 162
119
    Zander, 347.                                                                 (163).

34                                                                ISSN: 1865-0015                                                           www.freilaw.de
Fritz, Adhäsionsverfahren                                     Thema - Strafprozessrecht                                                      Freilaw 2/2020

Verletzten ist nicht nur die Möglichkeit des Adhäsionsverfah-                   fordert, die mit Opfern Kontakt unterhalten. Dieser Anforderung
rens aufzuzeigen, sondern auch die Vorteile, die es mit sich                    genügt die juristische Ausbildung bis zum zweiten Staatsexa-
bringt.133 Dem Verletzten sind einfache und vereinheitlichte                    men, aufgrund dessen allein die Richter zu ihrem Amt befähigt
Formblätter für den Antrag134 und Broschüren135 zur Verfügung                   sind (§ 5 DRiG), nicht. In der Praxis steht Fortbildungen aller-
zu stellen. Um zu verhindern, dass die Staatsanwaltschaft                       dings regelmäßig die Arbeitsbelastung der Richter entgegen.151
schlicht vergisst, den Verletzten zu informieren, kann ein ver-                 Dies zeugt von tiefergehenden strukturellen Problemen der
pflichtender Aktenvermerk über die Belehrung eingeführt wer-                    Strafjustiz, auf die der Verfasser nicht näher eingehen wird.
den.136 Der einzige Grund, der gegen eine Ausweitung der In-
                                                                                  Insgesamt könnte durch die genannten Vorschläge die Unsi-
formationspflicht angebracht werden kann, ist, dass beim Ver-
                                                                                cherheit der Strafrichter im Umgang mit dem Zivilrecht abge-
letzten unberechtigte Erwartungen geweckt werden könnten.137
                                                                                baut werden und schließlich auch der Mehraufwand in Grenzen
Dies überzeugt indes nicht, da der Opferanwalt auch über die
                                                                                gehalten werden, da sich mit Routine der zivilrechtliche Teil der
Risiken des Verfahrens aufklären muss und damit dem Verletz-
                                                                                Urteilsfindung schneller abhandeln lässt.
ten übertriebene Erwartungen nehmen kann.
                                                                                   Ein weiterer Faktor ist die angesprochene Nichtberücksichti-
2. Geringe Attraktivität für den Richter                                        gung in den Pensenschlüsseln. Die Wiederaufnahme in den Ka-
                                                                                talog der Berechnung ist unbedingt zu fordern.152 Zwar hat sich
Die geringe Attraktivität für die Richter wird mit der Diskrepanz
                                                                                nach der Aufnahme in den Pensenschlüssel 2005 nur wenig an
zwischen Straf- und Zivilrecht und der daraus folgenden Aver-
                                                                                der praktischen Relevanz geändert, was darauf schließen lässt,
sion gegen die ungewohnte Materie des Zivilrechts begründet.
                                                                                dass dieser Faktor allein keine große Rolle spielt.153 Allerdings
Erfahrungen aus dem Ausland zeigen jedoch, dass auch bei Vor-
                                                                                kann die Nichtberücksichtigung im Falle steigender Anwen-
liegen einer solchen Diskrepanz ein Adhäsionsverfahren gut
                                                                                dungszahlen eine erneute Ablehnungshaltung der Justiz zur
durchführbar ist.138 Auch Aufgrund der Generalistenausbildung
                                                                                Folge haben. Nur wenn die zusätzliche Arbeit auch honoriert
der Juristen ist es den Richtern zumutbar, sich über die Grenzen
                                                                                und in der Aufwandsberechnung gewürdigt wird, kann das Ad-
ihres Fachgebietes hinauszubewegen139, umso mehr da ein Rich-
                                                                                häsionsverfahren aus seinem Schattendasein hervortreten.
ter auch regelmäßig Entscheidungen über fachfremde Materie
fällen muss.140 Die Spezialisierung der Strafrichter kann zusätz-
                                                                                3. Geringe Attraktivität für den Anwalt
lich über die Geschäftsverteilung abgebaut werden141, so wie
dies schon in Frankreich erfolgreich praktiziert wird.142 Außer-                Obwohl die Gebührenlage sich für die Anwälte auf dem Papier
dem können Musterakten mit typischen Problemen des Adhäsi-                      leicht verbessert hat (vgl. oben), wird in der Literatur weiterhin
onsverfahrens zur Verfügung gestellt wird.143 Gerade vor den                    die Erhöhung derselben gefordert, in der Regel die Anpassung
Landgerichten wäre zu überlegen, ob in schweren Fällen ein er-                  an die Gebühren, die dem Rechtsbeistand im Zivilverfahren zu-
fahrener Zivilrichter der Strafkammer beisitzt.144 Die zentralen                stehen.154 Ursprünglich wurde die Gebühr niedriger angesetzt,
Bemühungen sollten sich jedoch auf die Bereitstellung von In-                   damit der Verletzte den Vorteil zum Zivilverfahren erkennt und
formationsschriften und -veranstaltungen145, sowie Fortbildun-                  so dazu motiviert wird, den Antrag zu stellen. Dieser Ansatz
gen146 konzentrieren. Erfreulicherweise gibt es solche Tenden-                  läuft jedoch leer, wenn der Verteidiger ihn nicht auf die Mög-
zen schon. In Bayern finden etwa jährlich Informationsveran-                    lichkeit des Adhäsionsverfahrens aufmerksam macht, weil es
staltungen für die Einführung in die richterliche Praxis statt, bei             sich für ihn nicht lohnt.155 Es wird bemängelt, die Opferhilfe
denen auch das Adhäsionsverfahren eine Rolle spielt147 und                      gehe so zulasten der Anwälte.156 Tatsächlich bedeutet ein Adhä-
auch in anderen Teilen Deutschlands gibt es vergleichbare An-                   sionsverfahren auch für den Anwalt einen deutlich geringeren
gebote.148 Für Anwälte sind solche Veranstaltungen schon Gang                   Aufwand, wodurch die niedrigere Vergütung im Vergleich zum
und Gäbe.149 Haller fordert sogar eine gesetzliche Fortbildungs-                Zivilverfahren gerechtfertigt ist.157 Dies muss den Rechtsanwäl-
pflicht in Fragen des Opferschutzes.150 Diese Forderung kann                    ten in Fortbildungen und Informationsveranstaltungen deutlich
sich auf Nr. 11 der Präambel und Art. 14 des EU-Rahmenbe-                       gemacht werden. Auch die konsequente Durchsetzung der Hin-
schlusses zur Stellung des Opfers im Strafverfahren stützen, der                weispflicht der Staatsanwaltschaft kann der fehlenden
eine besondere Ausbildung für diejenigen Verfahrensbeteiligten

133                                                                             148
    Rössner/Klaus aaO.                                                              Richterskript „Das Adhäsionsverfahren“ https://www.berlin.de/gerichte/_as-
134
    Klaus, 216; Dauer, 79; Kaiser, 291; Staiger-Allroggen, 166; Bahnson, 162.        sets/was-moechten-sie-erledigen/richterskript_8_17.pdf von Herbst/Plüür
135
    Kaiser, aaO.; Spiess, 279.                                                       (Stand 2017).
136                                                                             149
    Kaiser, 292; Spiess, 280.                                                        Bsp.: https://www.rak-mv.de/sites/default/files/Fortbildung_Berlin_Aus-
137
    Rieß, Gutachten, C104, Rn. 153.                                                  schreibung.pdf.
138                                                                             150
    Schmahl, ZRP 1971, 141 (142) zum dänischen Pendant der Proceskumula-            Haller, NJW 2011, 970 (972 f.).
                                                                                151
     tion.                                                                          Haller, NJW 2011, 970 (973).
139                                                                             152
    Dauer, 40.                                                                      So auch Achenbach, Kommentar StPO 1996/Schöch Vor §403 Rn. 7; Klein,
140
    Kühler, ZStW 71, 617 (626).                                                      218; Jerouschek, JZ 2000, 185 (191); Kintzi, DRiZ 1998, 65 (72); 49;
141
    Fuchs, StPdG 26, 1 (23).                                                         Spiess, 281.
142                                                                             153
    Spiess, 255; Sachsen Gessaphe, ZZP 112, 3 (25).                                 Zander, 364 f.; Spiess, 282.
143                                                                             154
    Zander, 362.                                                                    Spiess, 280 f.; Klein, 218.
144                                                                             155
    Zander, 336.                                                                    Zander, 365.
145                                                                             156
    Spiess, 278; Kaiser, 289.                                                       Brokamp, 176.
146                                                                             157
    Dauer, 41; Zander, 333.                                                         Dauer, 40; Zander, 366.
147
    Spiess, 278 f.

www.freilaw.de                                                        ISSN: 1865-0015                                                                     35
Fritz, Adhäsionsverfahren                               Thema - Strafprozessrecht   Freilaw 2/2020

Information durch die Anwälte entgegenwirken. Eine Anhebung
der Gebühren erscheint hingegen nicht unbedingt notwendig.

E. Fazit
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die überwiegenden Probleme
des Adhäsionsverfahrens nicht in seiner gesetzlichen Fassung zu
suchen sind, sondern sich aus der praktischen Handhabe erge-
ben. Mit den mehrmals reformierten §§ 403 ff. ist der Justiz und
den Verletzten ein an sich funktionales Instrument an die Hand
gegeben worden. Korrekturen durch den Gesetzgeber sind mög-
lich und bisweilen auch zu empfehlen. Gerade die Erweiterung
der Passivlegitimation auf Jugendliche und die Ausdehnung des
Anwendungsbereichs auf arbeitsrechtliche Ansprüche und
Strafbefehlsverfahren, sowie das Einführen einer Begründungs-
pflicht erscheinen zweckmäßig. Der Schwerpunkt der Bemü-
hungen muss sich jedoch darauf konzentrieren, die praxispsy-
chologischen Hemmschwellen der Verfahrensbeteiligten abzu-
bauen. Dazu ist eine bessere Information der Verletzten, sowie
der Richter und Anwälte nötig, darüber hinaus ein hinreichendes
Fortbildungsangebot und eine Honorierung des Mehraufwandes
in den Pensenschlüsseln. Nur, wenn die Justiz das Verfahren ak-
zeptiert und annimmt, kann es verstärkten Eingang in den deut-
schen Rechtsalltag finden. Dies wäre im Hinblick auf die Vor-
teile, die das Adhäsionsverfahren mit sich bringt, wünschens-
wert.

           * Der Autor studiert im 9.Semester Rechtswissenschaften
           an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Der Artikel ba-
           siert auf einer Arbeit, die im Rahmen des Seminars „Opfer-
           rechte im Strafverfahren“ bei Prof Dr. Dr. h.c. Walter Perron
           im Sommersemester 2018 entstand.

36                                                               ISSN: 1865-0015    www.freilaw.de
Hommel, Täter-Opfer-Ausgleich                                   Thema - Strafprozessrecht                                                        Freilaw 2/2020

                                                 Der Täter-Opfer-Ausgleich
        als Aushängeschild von „Restorative Justice“ in Deutschland

                                                            Ergänzung oder Ersatz?

                                                                               -

                                                                   Julius Hommel*

„Restorative Justice“ wird überwiegend als „wiederherstel-                         dieses Rahmens findet mit der Unterstützung eines neutralen
lende Gerechtigkeit“ übersetzt, obwohl etymologisch                                Dritten, in der Regel eines ausgebildeten Mediators, eine Aufar-
„heilende Gerechtigkeit“ treffender sein dürfte1. Im Kern                          beitung des Konflikts statt14.
steht der Gedanke, dem System von Strafen und
                                                                                      Das Opfer bekommt die Gelegenheit, zu schildern, wie es die
Maßregeln weitere Instrumente an die Hand zu geben, um
                                                                                   Tat und vor allem die Zeit danach erlebt hat. Der Täter erfährt
das angerichtete Unheil zu beseitigen2 und den sozialen
                                                                                   dadurch, welchen Schaden sein eigenes Verhalten angerichtet
Frieden wiederherzustellen3. Tragende Aspekte sind
                                                                                   hat und gewinnt als neue Handlungsoption die Möglichkeit,
sowohl die Wiedergutmachung als Ergebnis, aber mehr
                                                                                   diesen gezielt wieder gut zu machen15. Zusätzlich kann das
noch der partizipatorische Prozess der Wiedergutma-
                                                                                   Opfer, durch die direkte Konfrontation mit dem Täter in einem
chung als solcher4. Die Methoden und ihre theoretischen
                                                                                   geschützten Kontext, das Erlebte verarbeiten und dadurch ein
Grundlagen werden heute5 als „Weiterentwicklung des
                                                                                   neues Sicherheitsgefühl entwickeln16.
Sanktionensystems“ diskutiert6, waren aber schon bei den
kanadischen Ureinwohnern, ebenso wie bei den neusee-                                  Zusammengefasst hilft der TOA dem Täter, ein besseres
ländischen Maori bekannt7 und werden zum Teil bereits in                           Verständnis für seine Tat zu entwickeln, und soll so weitere
der Bibel verortet8.                                                               Taten verhindern. Dem Opfer hilft der TOA, die Tat hinter sich
In Deutschland führt die Wissenschaft eine lebhafte                                zu lassen, und soll so Lebensqualität wiederherstellen.
Debatte, ob „Restorative Justice“, neben Strafen und
Maßregeln eine sog. „Dritte Spur“ des Sanktionensystems                            I. Geschichte
bilden könnte9. Herkömmlich werden zu „Restorative
                                                                                   Das Bemühen des Täters, den angerichteten Schaden auszuglei-
Justice“ zwar neben dem „Täter-Opfer-Ausgleich“ (TOA),
                                                                                   chen, kann seit 198617 gem. § 46 II StGB bei der Strafzumes-
auch das sog. „Conferencing10“ und sog. „Peace Circles11“
                                                                                   sung berücksichtigt werden. Nachdem besonders im Bereich
gezählt12. In der Praxis hat aber nur der TOA Relevanz13.
                                                                                   jugendlicher Täter von 1985 bis 1989 erfolgreiche Modellpro-
                                                                                   jekte durchgeführt worden waren18, wurde der TOA 199019 im
A. Täter-Opfer-Ausgleich
                                                                                   Jugendstrafrecht eingeführt. Gem. § 10 I Nr. 7 JGG kann er
Ziel des TOA ist, einen Rahmen anzubieten, in welchem sich                         seitdem als erzieherische Weisung angeordnet werden und
Täter und Opfer kommunikativ begegnen können. Innerhalb

1                                                                                  10
  Weitekamp, in: Bannenberg/Brettel/Freund/Meier/Remschmidt/Safferling,               Dazu Früchtel/Halibrand, Restorative Justice, 75 ff., 91 ff.
                                                                                   11
    2015, 565 ff; Früchtel/Halibrand, Restorative Justice, 2016, 28, 35 ff.           Dazu Früchtel/Halibrand, Restorative Justice, 103 ff.
2                                                                                  12
  Weitekamp, Elmar G. M., 2015, 564 (568).                                            Instruktiv: Früchtel/Halibrand, Restorative Justice, 15.
3                                                                                  13
  MüKo-StGB/Radtke, 3. Aufl. 2016, Vor §§ 38 ff. StGB Rn. 88; NK-                     Weitekamp, Elmar G. M., 2015, 564 (568).
                                                                                   14
    StGB/Villmow, 5. Aufl. 2017, Vor §§ 38 ff. StGB Rn. 104.                          Kilchling, NStZ 1996, 309 (310); Servicebüro für Täter-Opfer-Ausgleich
4
  Dünkel, in: Bannenberg/Brettel/Freund/Meier/Remschmidt/Safferling, 2015,              und Konfliktschlichtung, Standards, 7. Aufl. 2017; BeckOK-StGB/Heint-
    501; Hartmann, in: Dölling/Baier, 2013, 263; Früchtel/Halibrand, Resto-             schel-Heinegg, 44. Aufl. 2019, § 46a StGB Rn. 20; Bemmann, JR 2003,
    rative Justice, 17.                                                                 226 (227).
5                                                                                  15
  Vgl. aus dem aktuellen Schrifttum insbes. Müller, Family Group Conference           Roxin, Strafrecht, 103; Kilchling, in: Kerner/Kinzig/Wulf, 2017, 47; Früch-
    (FGC) und Täter-Opfer-Ausgleich (TOA), 2017; Horrer, Restorative Jus-               tel/Halibrand, Restorative Justice, 67.
                                                                                   16
    tice im Strafrecht, 2014; Richter, Täter-Opfer-Ausgleich und Schadens-            Kilchling, Michael, 2017, 45 (47); Früchtel/Halibrand, Restorative Justice,
    wiedergutmachung im Rahmen von § 46a StGB, 2014.                                    66 f.
6                                                                                  17
  NK-StGB/Villmow, Vor §§ 38 ff. StGB Rn. 104.                                        Erstes Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfah-
7
  Weitekamp, Elmar G. M., 2015, 564 (568).                                              ren (Opferschutzgesetz) vom 17. Dezember 1986, BGBl. I, 2496.
8                                                                                  18
  Höffler, Katrin; Gernbeck, Ursula, 2015, 516 (516).                                 KK-StPO/Diemer, 8. Aufl. 2017, § 155a StPO Rn. 4.
9                                                                                  19
  Walther, ZStW 111 (1999), 123 (135 ff.); Roxin, Strafrecht, 4. Aufl. 2006,          Erstes Gesetz zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes (1. JGGÄndG) vom
    102; MüKo-StGB/Radtke, Vor §§ 38 ff. StGB Rn. 88 m.w.N; NK-                         5. September 1990, BGBl. I, 1853.
    StGB/Villmow, Vor §§ 38 ff. StGB Rn. 104 m.w.N.

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