Tätigkeits-bericht - Bericht der Bundesanwaltschaft über ihre Tätigkeit im Jahr 2020 an die Aufsichtsbehörde

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Tätigkeits-bericht - Bericht der Bundesanwaltschaft über ihre Tätigkeit im Jahr 2020 an die Aufsichtsbehörde
2020
Tätigkeits-
bericht

        Bericht der Bundesanwaltschaft
        über ihre Tätigkeit im Jahr 2020 an
        die Aufsichtsbehörde
Tätigkeits-bericht - Bericht der Bundesanwaltschaft über ihre Tätigkeit im Jahr 2020 an die Aufsichtsbehörde
Vorwort

Wir freuen uns, den Tätigkeitsbericht 2020 der Bundes-
anwaltschaft (BA) vorlegen zu können. Der Bericht um-
fasst insbesondere die jährliche Berichterstattung zuhan-
den der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft
(AB-BA), deren aufsichtsrechtlichen Weisungen er Rech-
nung trägt.
      Nach dem Rücktritt von Bundesanwalt Michael
Lauber nehmen wir beide als Stellvertretende Bundes-
anwälte seit dem 1. September 2020 bis zum Amtsantritt
eines Nachfolgers oder einer Nachfolgerin die Co-Leitung
der BA wahr. Mit der wertvollen Unterstützung unserer
Mitarbeitenden stellen wir sicher, dass die BA ihre ge-
setzlichen Aufgaben in dieser Übergangsphase weiter-
hin uneingeschränkt erfüllt. Unser diesbezügliches Ziel
ist es, Kontinuität, Stabilität und bestmögliche Rahmen-
bedingungen für unsere Mitarbeitenden zu gewährleisten.
      Im Kerngeschäft der BA konnten im Berichtsjahr
wichtige Verfahren zu einem Abschluss resp. zur An-
klage gebracht werden. Die Arbeiten in den grossen,
ressourcenintensiven Verfahrenskomplexen wurden
vorangetrieben. In ihren Verfahren konnte die BA – ge-
treu dem Grundsatz, dass sich strafbares Verhalten
nicht lohnen soll – wiederum die Einziehung namhafter
Deliktsbeträge erwirken. Die Realität des Berichtsjahres
machte aber leider auch deutlich, dass die Schweiz
nicht vor terroristisch motivierten Straftaten gefeit ist
und wie wichtig die wirksame Koordination und Zusam-
menarbeit aller nationaler und internationaler Sicher-
heitsbehörden ist.
      In organisatorischer Hinsicht bildete für die BA die
COVID-19-Pandemie eine Herausforderung. Zu deren Be-
wältigung wurde eine Taskforce eingesetzt, mit welcher
umfassende Massnahmen zum Schutz der Mitarbeiten-
den entwickelt und umgesetzt wurden. Dank der gut
funktionierenden internen Organisation konnten die Aus-
wirkungen der Pandemie aufgefangen und konnte der
operative Betrieb der BA jederzeit gewährleistet werden.
      Die BA blickt auf ein anspruchsvolles, in vielerlei
Hinsicht ausserordentliches Jahr zurück. Der vorliegende
Bericht dokumentiert in Auszügen, wie vielfältig die von
der BA wahrgenommenen gesetzlichen Aufgaben sind.
      Abschliessend danken wir den zahlreichen Partner-
behörden der BA beim Bund und in den Kantonen für
die gute Zusammenarbeit sowie den Mitarbeitenden der
BA für deren unermüdlichen Einsatz.

Ruedi Montanari,              Jacques Rayroud,
Stv. Bundesanwalt             Stv. Bundesanwalt

Bern, im Januar 2021
Inhalt

Einleitung
1 Stellung und gesetzlicher Auftrag
  der Bundesanwaltschaft (BA)                    4
2 Internationale Zusammenarbeit                  4
3 Nationale Zusammenarbeit                       6
4 Rechtsfragen und allgemeine Hinweise
  an den Gesetzgeber                             8

Interview
Interview mit den Stellvertretenden
Bundesanwälten                                  12

Operative Tätigkeiten
1   Strategie 2020–2023                         16
2   Zentrale Eingangsbearbeitung der BA (ZEB)   17
3   Fälle im Interesse der Öffentlichkeit       17
4   Ermächtigungsdelikte                        23
5   Urteilsvollzug                              24

Administrative Tätigkeiten
1 Rechtliche Grundlagen für die Organisation    26
2 Generalsekretariat                            26
3 Einsatz von Finanz- und Sachmitteln:
  Rechnung 2020                                 29
4 Allgemeine Weisungen                          29
5 Code of Conduct                               30
6 Personalwesen                                 30
7 Organigramm                                   32
8 Belastung der einzelnen Abteilungen           33

Reporting
Zahlen und Statistiken                          36
(Reporting per 31. Dezember 2020)
1 Stellung und gesetzlicher       2 Internationale Zusammenarbeit
  Auftrag der Bundesanwalt­schaft
  (BA)

1.1   Stellung der BA (organisatorisch)                        2.1   Rechtshilfe
Die BA ist gemäss Art. 7 des Strafbehördenorganisati-          Im Bereich der Rechtshilfe war das Jahr 2020 von den
onsgesetzes (StBOG, SR 173.71) die Staatsanwaltschaft          Folgen der COVID-19-Pandemie geprägt. Die Aktivitäten
des Bundes. Sie steht unter der Gesamtverantwortung            der Justiz im Ausland waren anscheinend leicht ver-
des Bundesanwalts, der von der Bundesversammlung               langsamt, wenn man die Zahl der neuen Rechtshilfeer-
gewählt wird und über umfassende Organisations- und            suchen anschaut, die die BA im Jahr 2020 erhalten hat.
Führungskompetenzen verfügt. Der Bundesanwalt hat              Dank Schutzkonzepten konnte die Tätigkeit der BA
zwei Stellvertreter, welche ebenfalls von der Bundesver-       jedoch sowohl in der Beweiserhebung als auch in den
sammlung gewählt werden und im Vertretungsfall alle            Personalressourcen aufrechterhalten werden.
Befugnisse des Bundesanwalts haben. Die Wahl der                     Sobald dies notwendig wurde, gab es indessen
übrigen Staatsanwälte und die Anstellung aller weiteren        Auswirkungen insbesondere bei der Durchführung von
Mitarbeitenden obliegen dem Bundesanwalt. Er ist ei-           Einvernahmen im Ausland auf Rechtshilfeersuchen der
genständiger Arbeitgeber nach Bundespersonalrecht.             BA, aber auch bei der Durchführung von Einvernahmen
     Die BA unterliegt der ungeteilten Aufsicht einer          von nichtansässigen Personen in der Schweiz. Im ersten
ebenfalls von der Bundesversammlung gewählten Auf-             Fall zeigten sich die Auswirkungen, wenn die Abkom-
sichtsbehörde (AB-BA; Art. 23 ff. StBOG).                      men mit den ersuchten Staaten keine Möglichkeit von
                                                               Einvernahmen per Videokonferenz vorsahen und der
1.2   Gesetzlicher Auftrag (operativ)                          ersuchte Staat seine Tätigkeit im Bereich des Vollzugs
Als Staatsanwaltschaft des Bundes ist die BA zustän-           von Rechtshilfeersuchen pandemiebedingt reduzierte.
dig für die Ermittlung und Anklage von Straftaten im           In diesen Fällen musste die BA mit Verzögerungen und
Bereich der Bundesgerichtsbarkeit, wie sie in Art. 23          mitunter dem Verzicht auf die Durchführung bestimmter
und 24 der Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) so-            Verfahrenshandlungen im Ausland rechnen, mit mögli-
wie in besonderen Bundesgesetzen aufgeführt werden.            chen Konsequenzen auf die Verfahren. Im zweiten Fall
Einerseits handelt es sich dabei um klassische Staats-         zeigte sich das Problem, als die Mobilität der Personen
schutzdelikte, also Straftaten, die sich vornehmlich           eingeschränkt wurde und Quarantänefristen eingeführt
gegen den Bund richten oder dessen Interessen stark            wurden. Die Situation wurde durch die starke Volatilität
berühren. Andererseits handelt es sich um die Strafver-        dieser Massnahmen noch komplexer. Diese wurden oft
folgung komplexer interkantonaler bzw. internationaler         in die eine oder andere Richtung hin angepasst und
Fälle von organisierter Kriminalität (einschliesslich Terro-   ermöglichten deshalb keine mittelfristige Prognose der
rismus und dessen Finanzierung), Geldwäscherei und             Massnahmen und ihrer Organisation.
Korruption. Im Rahmen einer fakultativen Bundeskom-                  Des Weiteren konnte im Jahr 2020 ein unerwarteter
petenz befasst sich die BA mit Fällen von Wirtschafts-         Effekt der Einführung der Berufungskammer im Bundes-
kriminalität gesamtschweizerischer oder internationaler        strafgericht festgestellt werden, nämlich dass Revisions-
Ausprägung. Schliesslich gehört auch der Vollzug von           gesuche gegen Urteile der Beschwerdekammer im
Rechtshilfegesuchen ausländischer Strafverfolgungs-            Bereich der Rechtshilfe (die vorher von dieser selbst be-
behörden zu den Aufgaben der BA.                               handelt wurden) in die Zuständigkeit dieser Berufungs-
                                                               kammer fallen. Verglichen zur üblichen Beschwerde ans
                                                               Bundesgericht (10 Tage, begrenzte Beschwerdegründe
                                                               und in der Regel kein Schriftenwechsel) konnte die
                                                               Übermittlung von Dokumenten ins Ausland mit einer Re-
                                                               vision um mehrere Monate verzögert werden, auch
                                                               wenn diese keine Aussicht auf Erfolg hatte. Während
                                                               in den letzten zehn Jahren nur eine Handvoll Urteile Ge-
                                                               genstand eines Revisionsgesuchs gebildet haben, be-
                                                               urteilte die Berufungskammer 2020 17 Revisionsgesu-
                                                               che. Im Bewusstsein der Gefahr einer Instrumentalisierung
                                                               urteilte die Berufungskammer jeweils sehr kurzfristig
                                                               (z.B. Urteil CR.2019.11 vom 20. Dezember 2019, 4 Tage)
                                                               oder betrachtete Gesuche, die auf eine Sistierung der
                                                               Übermittlung der Unterlagen hinausliefen, kritisch (Urteil
                                                               CR.2019.10 vom 24. Februar 2020).

4     Einleitung
2.2 GAFI1                                                                Leistungen der BA nach wie vor eines der aktivsten
Die BA ist als Expertin in die schweizerische Arbeits-                   Länder betreffend die Verfolgung der Bestechung frem-
gruppe eingebunden, die unter der Leitung des Staats-                    der Amtsträger sei. Weiter hielt die OECD fest, dass sie
sekretariats für internationale Finanzfragen (SIF) an den                die medial intensiv begleiteten Entwicklungen in gewis-
Arbeiten der GAFI teilnimmt. In diesem Zusammenhang                      sen Verfahrenskomplexen der BA weiterhin aufmerksam
verfasst die BA Stellungnahmen und formuliert Vor-                       verfolgen werde, auch wenn diese die Thematik der Be-
schläge gestützt auf ihre Erfahrungen in ihrem Kompe-                    stechung fremder Amtsträger nicht betroffen bzw. die
tenzbereich, der Strafverfolgung der Geldwäscherei                       Untersuchungsführung der BA im Bereich der Beste-
und der Terrorismusfinanzierung. Die BA koordiniert                      chungsdelikte nicht beeinträchtigt hatten. An der Forde-
auch die Erhebung der Statistiken, die für die Bedürf-                   rung nach strengeren Sanktionen gegen Unternehmen
nisse der GAFI auf Ebene der BA und der kantonalen                       und einem Schutz von Whistleblowern auch im Privat-
Staatsanwaltschaften zu führen sind.                                     sektor hält die OECD fest. Aufgrund ihrer Feststellung,
      Die BA nimmt darüber hinaus an den Arbeiten der                    dass die Schweiz die diesbezüglichen Empfehlungen
«Interdepartementalen Koordinationsgruppe zur Be-                        nicht umgesetzt habe, kündigte die OECD an, ein ent-
kämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfi-                        sprechendes Schreiben an das Eidgenössische Justiz-
nanzierung» (KGGT) und deren Arbeitsgruppen teil, die                    und Polizeidepartement (EJPD) zu richten.
im Auftrag des Bundesrats und unter der Leitung des
SIF die Geldwäscherei- und Terrorismusfinanzierungs-                     2.4 Genocide Network 4
risiken in der Schweiz identifizieren und beurteilen und                 Aufgrund der COVID-19-Pandemie fand im Berichtsjahr
mit welchen der Bundesrat die entsprechende GAFI-                        nur ein Treffen des Europäischen Genocide Networks
Empfehlung zur nationalen Risikobeurteilung umsetzt.                     statt, welches per Videokonferenz durchgeführt wurde
In diesem Kontext beteiligte sich die BA insbesondere                    und an welchem die BA teilnahm. Dieses Netzwerk, das
an der Ausarbeitung einer Studie mit dem Titel «Betrug                   sich aus Praktikern von Staatsanwaltschaften sowie von
und Phishing zwecks betrügerischen Missbrauchs ei-                       Justiz- und Polizeibehörden auf dem Gebiet des Völker-
ner Datenverarbeitungsanlage als Vortat zur Geldwä-                      strafrechts zusammensetzt, bietet den Mitgliedern aus
scherei», die von Januar 2020 datiert.2                                  EU-Ländern sowie den Beobachtern aus Kanada, den
                                                                         USA, Norwegen, Bosnien-Herzegowina, dem Vereinig-
2.3 OECD 3                                                               ten Königreich und der Schweiz die Gelegenheit, Er-
Aufgrund der COVID-19-Pandemie musste die ursprüng-                      fahrungen und Informationen auszutauschen und sich
lich auf März 2020 angesetzte, schriftliche Berichterstat-               fachspezifisch weiterzubilden. Die Themen des 28. Tref-
tung der Schweiz über die Umsetzung der 2018 erlas-                      fens waren insbesondere die Situation in Libyen, die in
senen Empfehlungen der Working Group on Bribery                          Libyen begangenen völkerrechtlichen Verbrechen und
(WGB) auf Oktober 2020 verschoben werden. Die Be-                        deren Verflechtung mit Terrorismus, Menschenschmug-
sprechung dieses Berichts im Plenum erfolgte im Rah-                     gel und Verstössen gegen Embargosanktionen, der
men der virtuell via die IT-Plattform «Zoom» stattfinden-                unabhängige Ermittlungsmechanismus für Myanmar
den und auf Oktober verschobenen Plenarversammlung                       (IIMM), die Umsetzung der EU-Richtlinie für Opfer-
der WGB. Die Vorgabe der WGB zur Benützung von                           rechte 5 sowie der aktuelle Stand der Initiative für ein
«Zoom» als einziger Option schränkte die Diskussions-                    internationales Rechtshilfeinstrument für Völkerstraf-
möglichkeiten angesichts der dieser Plattform gegen-                     rechtsverbrechen.
über bestehenden Sicherheitsbedenken wesentlich ein.                           Des Weiteren konnten sich die Vertreter der Straf-
      Die OECD würdigte im Rahmen der Prüfung der                        verfolgungsbehörden im Rahmen von ausschliesslich
Umsetzung ihrer Empfehlungen die seit 2018 von der                       ihnen vorbehaltenen Besprechungen zwecks Sicher-
BA erwirkten sieben Verurteilungen von Personen und                      stellung einer vernetzten und koordinierten Verfolgung
Unternehmen wegen Bestechung fremder Amtsträger                          von Völkerstrafrechtsverbrechen austauschen.
und hielt fest, dass die Schweiz dank der konstanten

   1   Groupe d’action financière (Arbeitskreis Massnahmen zur             4   Europäisches Netzwerk von Kontaktpunkten in Bezug auf
       Geldwäschebekämpfung).                                                  verantwortliche Personen für Völkermord, Verbrechen gegen
   2   https://www.fedpol.admin.ch/dam/fedpol/de/data/kriminalitaet/           die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.
       geldwaescherei/nra-berichte/nra-bericht-jan-2020-d.pdf.             5   Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und
       download.pdf/nra-bericht-jan-2020-d.pdf                                 des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für
   3   Organisation for Economic Co-operation and Development (Or-             die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von
       ganisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung).         Straftaten.

                                                                                                                          Einleitung         5
3 Nationale Zusammenarbeit

3.1   Bundesamt für Polizei (fedpol)                          übermittelt es die Rechtshilfegesuche und weiteren
 Die positiven Aussagen in den vergangenen Tätigkeits-        Mitteilungen der schweizerischen Strafbehörden an
 berichten der BA zur Zusammenarbeit mit fedpol kön-          ihre ausländischen Gegenstücke. Das BJ kümmert sich
 nen auch für das Berichtsjahr bestätigt werden. Die          ausserdem um die von der BA erbetenen Auslieferun-
 Kooperation mit fedpol ist nach wie vor gut und von          gen und um Fragen der Strafverfolgungsdelegation
 gegenseitigem Verständnis für die jeweiligen Aufgaben        und der internationalen Aufteilung eingezogener Ver-
 und Problemstellungen geprägt. Diese Einschätzung            mögenswerte.
 gilt nicht nur für die Führung von fedpol, sondern auch             Die BA arbeitet täglich mit dem BJ zusammen und
 für die zugehörigen Organisationseinheiten wie die Bun-      die Zusammenarbeit ist ausgezeichnet. Es gibt häufige
 deskriminalpolizei (BKP), den Bundessicherheitsdienst        Kontakte und die Probleme werden auf der adäquaten
(BSD) oder die Meldestelle für Geldwäscherei (MROS).          Ebene geregelt. Eventuelle Divergenzen werden in der
        Der bei allen beteiligten Einheiten vorhandene Res-   Regel pragmatisch geregelt. Andernfalls können sie im
 pekt für die jeweiligen Aufgaben, Rollen und spezifischen    Rahmen der Beschwerden gegen die Entscheide der
 Herausforderungen ist gerade im Bereich der Verfolgung       BA vor das Bundesstrafgericht gebracht werden.
 mutmasslich terroristisch motivierter Straftaten uner-              Ausserdem sind die beiden Verbindungsstaatsan-
 lässlich. Während die BA als Staatsanwaltschaft in erster    wältinnen der Schweiz bei Eurojust auch dem BJ unter-
 Linie aktiv werden kann, nachdem eine Straftat began-        stellt. Eurojust ist ein zentraler Partner der BA im Hinblick
 gen wurde und insofern eine repressive Aufgabe erfüllt,      auf die Koordinierung der internationalen Anstrengungen
 kommen fedpol verschiedene Funktionen zu, welche             zur Kriminalitätsbekämpfung. Die Verbindungsstaatsan-
 teilweise auch präventive Aspekte betreffen. Eine wirk-      wälte und die Eurojust-Infrastruktur erleichtern zudem
 same Kriminalitätsbekämpfung bedingt, dass alle betei-       den Kontakt mit ausländischen Behörden.
 ligten Behörden – auf Bundes- und kantonaler Ebene
– intensiv und koordiniert zusammenarbeiten.                  3.4 Zusammenarbeit im Bereich Luftfahrt
                                                              Um im Bereich der Luftfahrt eine einheitliche Recht-
3.2 Nachrichtendienst des Bundes (NDB)                        sprechung und einen Aufbau des entsprechenden
Der NDB ist mit seiner Einschätzung der Bedrohungs-           Fachwissens zu gewährleisten, zentralisiert die BA ver-
lage ein wichtiger Partner insbesondere des Bereichs          mehrt die strafrechtlich relevanten Vorfälle im Bereich
Terrorismus der BA. Seine Zusammenarbeit mit der BA           der Aviatik. Dies geschieht gestützt auf die bestehende
in diesem Bereich wird namentlich durch das Konzept           Bundeszuständigkeit gemäss Art. 98 Abs. 1 des Luft-
TETRA (TErrorist TRAcking) festgelegt. Diese Zusam-           fahrtgesetzes (LFG, SR 748.0). Hinzu kommt, dass die
menarbeit ist sehr gut, ein regelmässiger und rascher         von beiden Räten angenommene Motion Candinas
Austausch von Informationen ist gewährleistet. Sicher-        18.3700 («Die strafrechtliche Zuständigkeit bei Flugun-
heitsrelevante Informationen dienen dem frühzeitigen          fällen und schweren Vorfällen neu an den Bund über-
Erkennen und Verhindern von Bedrohungen der inne-             tragen») eine Erweiterung der Bundesgerichtsbarkeit
ren und äusseren Sicherheit und müssen zeitgerecht            für Vergehen und Verbrechen im Zusammenhang mit
in der richtigen Form bei der BA eintreffen, um eine          der Luftfahrt vorsieht. Eine entsprechende Gesetzes-
maximale Wirkung zu erzeugen. Die Schnittstellen zwi-         änderung steht noch aus.
schen präventiven Aufgaben des NDB und jenen der                    Die BA ist daran, eine enge Zusammenarbeit mit
Strafverfolgung sind erkannt; sie werden jeweils part-        den Kantonen und weiteren Partnerbehörden – na-
nerschaftlich überprüft und besprochen. Die Amtsbe-           mentlich der BKP, der Schweizerischen Sicherheitsun-
richte des NDB bilden eine wichtige Grundlage für die         tersuchungsstelle (SUST), dem Bundesamt für Zivilluft-
Eröffnung von Strafverfahren. Derzeit gründen ca. 40 %        fahrt (BAZL) und der Luftwaffe – aufzubauen und zu
der Strafverfahren im Bereich des Terrorismus auf die-        festigen.
sen gerichtlich verwertbaren Amtsberichten, die als
Strafanzeigen zu qualifizieren sind.                          3.5 Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA)
                                                              Die BA hat ihre Zusammenarbeit mit der FINMA im Be-
3.3 Bundesamt für Justiz (BJ)                                 reich der Börsendelikte und der Geldwäscherei fortge-
Als Zentral- und Aufsichtsbehörde im Bereich der inter-       setzt. Zu diesem Zweck finden regelmässig, aber auch
nationalen Rechtshilfe verfolgt das BJ die Verfahren der      ad hoc Koordinationstreffen statt. 2020 erstattete die
passiven Rechtshilfe und berät die BA in den Verfahren        FINMA wegen des Verdachts auf Insiderhandel in vier
der aktiven Rechtshilfe. In Ermangelung einer gesetzli-       Fällen Strafanzeige bei der BA.
chen Grundlage, die den direkten Kontakt ermöglicht,

6     Einleitung
3.6 Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV)                 (2) Cyberboard
Auch im Berichtsjahr konnten die ESTV und die BA eng       Auch 2020 konnte beobachtet werden, wie die Cyber-
zusammenarbeiten. Dadurch konnten sie die sich auf-        kriminalität weltweit weiter zugenommen hat. Wie die
grund ihrer jeweiligen Tätigkeitsbereiche ergebenden       BA auch in ihrer Strategie 2020-2023 festgehalten hat,
Synergien optimal nutzen. Entsprechend war die BA in       ist die Cyberkriminalität für die BA eine relevante Ent-
der Lage, im Rahmen ihrer Ermittlungen mutmassliche        wicklung, die es laufend zu berücksichtigen gilt.
Steuerstraftaten zu identifizieren (z.B. unversteuerte           Die koordinierte Bekämpfung der Cyberkriminalität
Einkommen oder Gesellschaften, die in der Schweiz          erfolgt weiterhin über die etablierte Plattform der Straf-
unrechtmässig keine Steuern bezahlen). Solche Fälle        verfolgung, dem sogenannten Cyberboard. Die Haupt-
zeigt die BA bei den zuständigen Steuerbehörden ge-        themen des strategischen Gremiums Cyber-STRAT6
mäss Art. 302 StPO an. Umgekehrt bringen laufende          waren 2020 die Verbesserung der internationalen Zu-
Steuerverfahren bisweilen Verhaltensweisen ans Licht,      sammenarbeit, die Prävention und Public-Private-Part-
die in der Folge Gegenstand eines Strafverfahrens der      nership. So befasst sich Cyber-STRAT auf strategischer
BA bilden können. Um die Identifizierung relevanter        Ebene mit den Möglichkeiten zum Umgang mit den
Sachverhalte und die Zusammenarbeit zu optimieren,         Schwierigkeiten der digitalen Beweismittelerhebung im
sind sogenannte Single Points of Contact als Bindeglie-    Ausland. In punkto Prävention wurde u.a. das Thema
der zwischen den beiden Behörden im Einsatz.               Erfassung von Cyberdelikten mit dem Bundesamt für
                                                           Statistik besprochen. Hinsichtlich der Thematik Public-
3.7 Schweizerische Staatsanwälte-Konferenz (SSK)           Private-Partnership stand unter Federführung des Na-
Die Mitarbeit in der SSK ist der BA wichtig. Denn die      tionalen Zentrums für Cybersicherheit des Bundes die
SSK fördert die Zusammenarbeit der Strafverfolgungs-       Meldepflicht im Fokus der diesjährigen Diskussionen.
behörden der Kantone und des Bundes. Sie bezweckt                Auf operativer Ebene setzte sich das Gremium
insbesondere den Meinungsaustausch zwischen den            Cyber-CASE 7 insbesondere mit der Entwicklung der
Strafverfolgungsbehörden der Kantone untereinander         nationalen Cyber-Fallübersicht, dem Fachaustausch,
und mit denjenigen des Bundes sowie die Koordination       der operativen Koordination (z.B. Investitionsbetrug)
und Durchsetzung gemeinsamer Interessen. Die SSK           und der aktuellen Cyber-Bedrohungslage auseinander.
fördert eine einheitliche Praxis und damit Rechtssicher-         Die Erfahrungen im Cyberboard sind weiterhin
heit im Bereich des Straf- und Strafprozessrechts. Sie     positiv. Mit der Rekrutierung des Referenten Cyber hat
nimmt namentlich Stellung zu Gesetzgebungsvorhaben         die BA die Rahmenbedingungen weiter gestärkt, um
des Bundes, erlässt Empfehlungen und nimmt Einfluss        als zuverlässige Partnerin die Cyber-Landschaft in der
auf die Meinungsbildung in Fragen des Straf- und Straf-    Schweiz aktiv mitzugestalten. Die BA als Organisatorin
prozessrechts sowie verwandter Gebiete.                    des Cyberboards dankt allen Partnerbehörden für das
      Schwerpunktthemen bildeten im Berichtsjahr ins-      konstruktive Engagement.
besondere die im Parlament hängige StPO-Revision
und die Massnahmen zur Aufrechterhaltung der Justiz
während der COVID-19-Pandemie.

3.8 Verbundaufgaben in der Strafverfolgung
(1) Terror Single Point of Contact
Die Staatsanwaltschaften sämtlicher Kantone haben
gegenüber der BA einen Single Point of Contact im
Bereich Terrorismusbekämpfung (BA SPOC T) bezeich-
net. Dieser dient der BA als erster Ansprechpartner im
Kanton bei Fällen mit Verdacht auf terroristische Um-
triebe und bei allgemeinen Fragen zum Thema. Als
Bindeglied zur BA verfügt er über den direkten Kontakt       6   Mitglieder: BA, Eidgenössisches Finanzdepartement (EFD),
zur Leitung des Deliktsfelds Terrorismus. Als entspre-           fedpol, Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorin-
                                                                 nen und -direktoren (KKJPD), Konferenz der kantonalen
chender Ansprechpartner dient der BA SPOC T auch                 Polizeikommandanten (KKPKS), NDB, Schweizerische Kriminal-
seinen Kollegen im Kanton. Die BA versorgt die BA                prävention (SKP), SSK und Sicherheitsverbund Schweiz (SVS).
SPOC T regelmässig mit Informationen, die diese den          7   Mitglieder: Analysten des Nationalen Zentrums für Cybersicherheit
                                                                 (NCSC), spezialisierte Polizisten des Netzwerks für die
Kollegen in den Kantonen zur Sensibilisierung für die            Ermittlungsunterstützung in der digitalen Kriminalität (NEDIK)
Thematik weitergeben.                                            sowie Cyber-Single Points of Contact der Staatsanwaltschaften.

                                                                                                              Einleitung        7
4 Rechtsfragen und allgemeine
  Hinweise an den Gesetzgeber

4.1   Entlastung der Kantone durch die Übernahme        4.2 Festigung und Präzisierung der Rechtsprechung
      von Grossverfahren                                    im Bereich der telefonischen Überwachung
Die Forderung nach einer effizienten Verfolgung der         von Drittpersonen
Drahtzieher von raffiniert angelegten grenzüberschrei- Die BA führt gegen mehrere Personen ein Strafverfah-
tenden oder kantonsübergreifenden Grossbetrügereien ren wegen schwerer Geldwäscherei, gewerbsmässigen
mit bis zu dreistelligen Millionen-Deliktsbeträgen und Betrugs, betrügerischen Konkurses und Urkundenfäl-
volkswirtschaftlicher Relevanz geht u.a. auf Erfahrungen schung. In diesem Kontext wurde gestützt auf Art. 270
mit dem legendären European Kings Club EKC zurück Bst. b Ziff. 1 StPO eine dreimonatige Echtzeitabhörung
und führte Ende der 1990-er Jahre im Rahmen der sog. einer Drittperson angeordnet, die nicht Verfahrenspar-
«Effizienzvorlage» zu neuen Ermittlungskompetenzen tei war. Nachdem diese von der angeordneten Mass-
der BA bei der Bekämpfung einschlägiger Phänomene nahme Kenntnis erhielt, erhob sie Beschwerde beim
der Wirtschaftskriminalität. Diese Kompetenzen haben Bundesgericht (BGer). Dieses hat die Beschwerde mit
sich bewährt und werden von den Kantonen geschätzt folgender Begründung abgewiesen (BGer 1B_134/2020
und in Anspruch genommen.                                vom 8. Juli 2020):
       So hat die BA auf Ersuchen der Kantone Zürich           Das BGer bejahte den Bestand eines dringenden
und Basel-Stadt den «Fall Behring» mit rund 2 000 Ge- Verdachts im Sinne von Art. 269 Abs. 1 Bst. a StPO ins-
schädigten zur Verurteilung geführt, gesamtschweize- besondere im Zusammenhang mit dem Sachverhalt
rische «Paysafe-Betrügereien» an Kiosken untersucht rund um den betrügerischen Konkurs und die Urkun-
oder den «VW-Dieselskandal» mit rund 175 000 Geschä- denfälschung. Angesichts der Schwere der Tat verneinte
digten in Angriff genommen. Alle diese Konstellationen es eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips
zeichnen sich durch besondere Herausforderungen aus, und es verneinte auch eine Verletzung des Subsidiari-
die nach neuen Lösungen verlangen. Seien es Komple- tätsprinzips (Art. 269 Abs. 1 Bst. b und c StPO). Es
xität, internationale Zusammenarbeit, die Bewältigung prüfte die Anwendung von Art. 270 Bst. b Ziff. 1 StPO
einer Vielzahl von Parteien und Beteiligten oder die zu- und folgerte, dass dieser eine hinreichend präzise ge-
nehmende und immer raschere Anonymisierung über setzliche Grundlage für die Überwachung des Fernmel-
alle Grenzen hinweg. Aufgrund ihrer Erfahrung mit sol- dedienstes einer Drittperson ist, die der Beschuldigte
chen Phänomenen, der Implementierung neuer Techno- wahrscheinlich anrufen wird. Dabei präzisierte es, dass
logieansätze und internationaler Vernetzung wird die BA die Überwachung einer Drittperson in einem solchen
gerade auch von Kantonen mit spezialisierten Ermitt- Kontext keinen weitergehenden Eingriff in ihre verfas-
lungsabteilungen regelmässig um Übernahme besonders sungsmässig geschützte Privatsphäre darstellt als die
heikler und ressourcenaufwändiger Verfahren ersucht.     anderen Formen der Überwachung des Post- und Fern-
       Aktuell zeigt sich dies in Bezug auf das Phänomen meldeverkehrs von Drittpersonen gemäss Art. 270 StPO.
von mutmasslichen «Finanzsanierungsbetrügereien». In           Vorliegend bejahte das BGer die Zulässigkeit der
diesem Zusammenhang gingen bei kantonalen Straf- Telefonüberwachung der Drittperson gestützt auf folgende
verfolgungsbehörden in der gesamten Schweiz eine Elemente: Der Beschuldigte sagte am Telefon (er wurde
Vielzahl von Strafanzeigen sowie Meldungen der MROS abgehört), dass er die Drittperson in den kommenden
ein. Es besteht dabei der hinreichende Verdacht, dass Tagen anrufen würde, und man verstand, dass das Ge-
bei bis zu 10 000 kreditsuchenden Personen der Ein- spräch die Einvernahme der Drittperson betreffen würde,
druck erweckt wurde, es würden nach Leistung von die in den folgenden Tagen vorgesehen war. Die Telefon-
Vorauszahlungen Kredite ausbezahlt, die Täterschaft überwachung der Drittperson sollte nicht nur ermittlungs-
nach Eingang der Vorauszahlungen jedoch keine ad- relevante Erkenntnisse ermöglichen, sondern auch Er-
äquate Gegenleistung erbracht haben soll. Die BA hat kenntnisse über den genauen Standort des Beschuldigten
in dieser Angelegenheit bisher über 200 Verfahren von (der sich der Justiz entzog). Da sich der Beschuldigte
kantonalen Strafverfolgungsbehörden übernommen – aller Wahrscheinlichkeit nach im Ausland befand, war die
insbesondere aus den Kantonen Aargau, Basel-Stadt, parallele Abhörung der Drittperson notwendig, um sämt-
Bern, Luzern, St. Gallen und Zürich.                     liche Gespräche zwischen dieser und dem Beschuldigten
                                                         abzuhören. Denn zum einen benutzte der Beschuldigte
                                                         im Ausland möglicherweise andere Telefonanschlüsse
                                                         und zum andern war es aus technischen Gründen nicht
                                                         möglich, allein über den Anschluss des Beschuldigten
                                                         alle Gespräche zwischen dem Beschuldigten (im Aus-
                                                         land) und der Drittperson aufzuzeichnen.

8     Einleitung
4.3 Cyberkriminalität: Rechtliche Qualifikation               Das Bundesstrafgericht wies die Beschwerde gegen
    der sog. «IP history»                                     diesen Entscheid ab (Urteil RR.2020.11, RR.2020.12 vom
Beim Anmelden (Login) und Abmelden (Logout) eines             21. Juli 2020). Die Parteistellung im Rechtshilfeverfahren
E-Mail-Postfachs werden die IP-Adressen gespeichert           wird nur dem Besitzer der durchsuchten Räume zuer-
(sog. «IP history»). Diese IP-Adressen können wichtige        kannt, in dessen unmittelbarem Besitz sich die Beweis-
Ermittlungsansätze bei der Identifikation des Inhabers        mittel befinden. Diese Regel gilt auch für Server, auch
bzw. Benutzers des E-Mail-Kontos sein. Bei der Erhe-          wenn die involvierten Gesellschaften ebenfalls einen
bung dieser Daten stellt sich die Frage der rechtlichen       direkten Zugang zu den gespeicherten Daten haben. Die
Qualifikation solcher Login-/Logout IP-Adressen. Handelt      Tatsache, dass diese Gesellschaften im schweizerischen
es sich um Bestandesdaten im Sinne von Art. 21 des            Strafverfahren Teilnahmerechte nach Art. 246 ff. StPO
Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post-           hatten, ist für das Rechtshilfeverfahren, das anderen
und Fernmeldeverkehrs (BÜPF, SR 780.1), die mittels ein-      Regeln folgt, ohne Belang. Das Bundesgericht hat die
facher Auskunftsanfragen durch den Dienst ÜPF bei den         Beschwerde gegen dieses Urteil für unzulässig erklärt
Providern abgefragt werden können? Oder gelten IP-Ad-         (Urteil 1C_423/2020 vom 5. August 2020).
ressen als Randdaten im Sinne von Art. 8 Bst. b BÜPF,
die mittels genehmigungspflichtiger Teilnehmeridentifika-     4.5 Rechtsprechung zu Treffen mit
tion gemäss Art. 273 StPO erhoben werden müssen?                  ausländischen Behörden
       Das Bundesgericht hatte im Entscheid BGE 141 IV        Im Rahmen des Komplexes 1MDB wurde der Ausstand
108 die «IP history» als Randdaten qualifiziert, was in der   des Bundesanwalts und eines Staatsanwalts des Bun-
Lehre auf Kritik gestossen ist. Die Frage der rechtlichen     des verlangt. Begründet wurde das Begehren mit Kon-
Qualifikation wurde in einer Cyber-CASE Sitzung disku-        takten zwischen den schweizerischen und malaysischen
tiert, an welcher auch der Dienst ÜPF vertreten war. Die      Behörden, zu denen keine Protokolle für die Akten erstellt
einhellige Meinung war, dass es sich bei der «IP history»     wurden. Das Bundesstrafgericht erklärte das Ausstands-
eines E-Mail-Postfachs um simple Bestandesdaten und           begehren wegen verspäteter Eingabe für unzulässig,
nicht um Randdaten handelt. Der Dienst ÜPF hat im             soweit es ein Treffen betraf, das im Tätigkeitsbericht 2018
Rahmen der laufenden Revision der Verordnung über             der BA erwähnt wurde. Das Ausstandsbegehren stützte
die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs               sich auch auf ein angebliches Höflichkeitstreffen zwi-
(VÜPF; SR 780.11) eine entsprechende Anpassung von            schen dem schweizerischen Bundesanwalt und seinem
Art. 42 VÜPF eingebracht, wonach das verwendete Pro-          Gegenstück aus Malaysia von März 2019. Bei dieser Ge-
tokoll, die IP-Adresse und die Portnummer des Clients         legenheit wurden dem Bundesanwalt die Vollzugsakten
beim Zugriff auf, bei der Anmeldung an oder bei der           eines an Malaysia gestellten Rechtshilfeersuchens über-
Abmeldung von der Mailbox mittels Auskunftsersuchen           geben; die Vollzugsakten wurden mit einem Vermerk,
beim E-Mail-Provider eingeholt werden können. Wird            der ihre Herkunft erklärte, in die Akten aufgenommen.
die VÜPF entsprechend revidiert, können Login-/Logout         Das Bundesstrafgericht erklärte das Begehren für unzu-
IP-Adressen eines E-Mail-Postfachs in Zukunft mit ein-        lässig, soweit es auf den Bundesanwalt zielte, weil die-
facher Anfrage abgefragt werden.                              ser keine direkte Kontrolle über das Verfahren ausübt
                                                              und als Vertreter der BA das Recht hat, Vollzugsakten
4.4 Rechtshilfe: Parteistellung für in der Schweiz            eines ausländischen Counterparts entgegenzunehmen.
    gespeicherte elektronische Daten                          Das Ausstandsbegehren gegen den verfahrensleitenden
Im Rahmen der schweizerischen Strafverfahren im Kom-          Staatsanwalt des Bundes wurde abgewiesen. Dessen
plex Petrobras haben die schweizerischen Ermittler meh-       Entscheid, die Einzelheiten des Höflichkeitstreffens von
rere Server lokalisiert und beschlagnahmt. Die Gesell-        März 2019 nicht in die Akten aufzunehmen, stellt eine
schaften, gegen die ermittelt wurde, benutzten diese, um      beweisrechtliche Zwischenverfügung dar, die auf dem
ihre Parallelbuchhaltung zu führen und um verdeckt zu         ordentlichen Rechtsweg zu beanstanden ist und nicht
kommunizieren. Die Server befanden sich in «Datacen-          auf dem Weg des Ausstandsbegehrens.
tern» in der Schweiz. Die beschlagnahmten Daten bilde-              In diesem allgemeinen Kontext sind kürzlich auf
ten Gegenstand von Rechtshilfeersuchen aus dem Aus-           kantonaler und eidgenössischer Ebene mehrere Ent-
land. In diesem Kontext kam die BA zum Schluss, dass          scheide über die Notwendigkeit ergangen, Gespräche
nur die «Datacenter» legitimiert waren, gegen die Daten-      mit ausländischen Behörden zu protokollieren. Generell
übermittlung ins Ausland Einspruch zu erheben. Den            scheint in der Rechtsprechung anerkannt zu sein, dass
involvierten Gesellschaften, die die Server benutzten,        die Staatsanwaltschaft das Recht hat, ihre Strategie
sprach sie diese Legitimation ab.                             und ihr Vorgehen mit den beteiligten ausländischen

                                                                                                        Einleitung     9
Behörden zu bestimmen und zu koordinieren, ohne
diese Treffen protokollieren zu müssen (vgl. z.B. Urteil
SK.2018.46 vom 16. Dezember 2019, E. 8.7.2; Urteil
ACPR/584/2019 vom 2. August 2019, E. 4.4). Beweis-
erhebungen dagegen sind aktenkundig zu machen,
damit die Parteien des Strafverfahrens aufgrund der
Akten nachvollziehen können, wie die Beweise gesam-
melt wurden (Urteil BB.2019.187 vom 3. März 2020,
E. 6.8; vorerwähntes Urteil ACPR/584/2019, E. 4.4).

4.6 Streichung der Parteistellung der BA
    im Verwaltungsstrafrecht
Wie bereits in ihrem Tätigkeitsbericht 2018 sowie in der
Vernehmlassung zur Änderung der StPO ausgeführt,
setzt sich die BA für eine Streichung ihrer Rechtsmit-
telkompetenz in Art. 381 Abs. 4 StPO ein. Für die BA
besteht kein Anlass, in Strafverfahren einzugreifen, die
kantonaler Gerichtsbarkeit unterliegen. Im aktuellen
Entwurf (BBl 2019 6789, S. 6801) bzw. in der Botschaft
(BBl 2019 6697, S. 6768 f.) zur Änderung der StPO
wurde diesem Anliegen in Form einer Streichung von
Art. 381 Abs. 4 StPO entsprochen.
       Wie die BA im Tätigkeitsbericht 2018 ebenfalls fest-
hielt, kommt ihr im Verwaltungsstrafrecht (Art. 24 und
74 Abs. 1 VStrR, SR 313.0) Parteistellung zu, obwohl
sie weder an der Untersuchung beteiligt ist, noch über
die besonderen, verwaltungsrechtlichen Fachkenntnisse
verfügt. Auch hier besteht für die BA kein Anlass, in ver-
waltungsstrafrechtliche Verfahren einzugreifen bzw. sich
an solchen zu beteiligen, zumal die für die Untersuchung
zuständige Fachbehörde (Verwaltung) über vollumfäng-
liche Fallkenntnisse und eine eigene Parteistellung ver-
fügt. Jedoch muss die BA gemäss Finanzmarktaufsichts-
gesetz (Art. 50 Abs. 2 FINMAG, SR 956.1) die Akten des
für die Untersuchungsführung alleine zuständigen Eid-
genössischen Finanzdepartements (EFD) zuhanden des
Bundesstrafgerichts überweisen. Die BA nimmt ihre
Parteirechte – angesichts dieser Umstände und insbe-
sondere der bereits bestehenden Parteistellung der zu-
ständigen Fachbehörde – nicht aktiv wahr, sondern
übermittelt die Akten im Sinne einer rein administrativen
und keinen Mehrwert bringenden «Briefträgerfunktion».
Aus Sicht der BA ist ihre im VStrR vorgesehene Partei-
stellung bzw. Rolle gemäss FINMAG deshalb – analog
Art. 381 Abs. 4 StPO – zu streichen.

10   Einleitung
Interview
Interview mit den
Stellvertretenden Bundesanwälten

Ruedi Montanari,                                             Jacques Rayroud,
Stv. Bundesanwalt                                            Stv. Bundesanwalt

«Kontinuität trotz zahlreichen Herausforderungen»            feldverantwortlichen und allen anderen Mitarbeitenden
                                                             sowie der ausgezeichneten Zusammenarbeit mit Part-
Nach dem Rücktritt von Bundesanwalt Michael Lauber           nerbehörden wie etwa fedpol, dem BJ, dem NDB und
haben die beiden Stellvertretenden Bundesanwälte Ruedi       anderen ist es uns jedoch gelungen, die BA in einer nicht
Montanari und Jacques Rayroud die interimistische Co-        einfachen Zeit durch eine Übergangsphase zu führen.
Leitung der Bundesanwaltschaft übernommen. Im Inter-
view blicken sie zurück auf die verschiedenen Herausfor-     Wie haben Sie die BA in dieser Übergangszeit konkret
derungen und die prägenden Ereignisse des Jahres.            weiterentwickelt?
                                                                   JR: In einer Übergangsphase ist eine völlige Neu-
Herr Montanari, Herr Rayroud – Sie haben nach                organisation nicht angebracht. Unser Ziel war es, im Um-
einer turbulenten Zeit die Leitung der BA übernommen.        feld der zahlreichen Herausforderungen für Kontinuität
Auf was für ein Jahr blicken Sie zurück?                     zu sorgen, für Ruhe und Stabilität. So haben wir in den
       Ruedi Montanari (RM): Es war in der Tat ein inten-    Bereichen Verfahrensführung, Strategie oder Projekt-
sives und ein anspruchsvolles Jahr. Die öffentliche Kon-     entwicklung den bisherigen Weg konsequent weiterver-
troverse um Bundesanwalt Michael Lauber war auch für         folgt. So konnten wichtige Projekte umgesetzt werden,
die Mitarbeitenden der BA belastend. Sein Rücktritt er-      etwa ein Asservatenmanagementsystem zur Inventa-
forderte ein Umorganisieren vieler eingespielter Prozesse,   risierung von sichergestellten Daten und Objekten. Und
denn Michael Lauber hatte die BA während vieler Jahre        beim Bundesstrafgericht konnten im Berichtsjahr so viele
geprägt. Doch sowohl Kollege Rayroud wie auch ich sind       Anklagen eingereicht werden wie noch nie zuvor. Die BA
bereits seit längerem als Stellvertretende Bundesanwälte     hat ihren gesetzlichen Auftrag also auch unter den au-
tätig. In dieser Funktion war uns stets bewusst, dass der    sserordentlichen Bedingungen des Jahres 2020 erfüllt.
sogenannte «Vertretungsfall» eintreten kann. Uns waren             RM: Neben der Übergangsphase im Rahmen der
die Führungsaufgaben mit den verschiedenen Heraus-           Co-Leitung stellten auch die Massnahmen, welche die
forderungen und Spannungsfeldern bekannt.                    COVID-19-Pandemie mit sich brachte, für unsere Mitar-
       Jacques Rayroud (JR): Doch trotz der profunden        beitenden eine nicht zu unterschätzende Herausforde-
Kenntnisse und der guten Vorbereitung hat uns die ge-        rung dar. Deshalb war es uns wichtig, allfällige Verunsiche-
meinsame Führung der BA stark beansprucht, denn viele        rungen und Bedürfnisse aufzunehmen und aufzufangen.
unserer bisherigen Aufgaben galt es ja auch weiterhin        Dies war einer der Gründe, warum wir für die Übergangs-
und parallel dazu wahrzunehmen. Wir waren wie in einer       phase einen Schwerpunkt auf die interne Kommunikation
Doppelfunktion tätig und dementsprechend auch auf            gelegt haben. Entsprechend haben wir beispielsweise
Support und Flexibilität angewiesen. Dank der tatkräfti-     das «Offene Ohr der Co-Leitung» eingeführt, wo die Mit-
gen Unterstützung unserer Abteilungsleitenden, Delikts-      arbeitenden uns ihre Anliegen direkt adressieren können.

12   Interview
Hinzu kommt die allwöchentliche als Informationsgefäss     Das bringt uns zum Kerngeschäft der BA. Wo steht
dienende Videokonferenz, welche wieder sämtlichen          die BA in den grossen Verfahrenskomplexen?
Mitarbeitenden zugänglich gemacht wurde. Gleichzeitig             JR: Wenn die Rede von Verfahrenskomplexen ist,
haben wir mit der Einführung der «Erweiterten Geschäfts-   geht es sicher auch um die Fussball-Thematik. Dass die
leitung» ein Gefäss geschaffen, welches die Abteilungs-    Anklage im Zusammenhang mit dem Deutschen Fuss-
leitenden besser in die Führung der BA einbindet.          ball-Bund (DFB) infolge der Situation der COVID-19-Pan-
                                                           demie keiner sachrichterlichen Beurteilung mehr unter-
Die COVID-19-Pandemie dürfte die Situation auch für        zogen werden konnte, bedauern wir sehr. Positiv war
die BA nicht gerade vereinfacht haben. Was für             hingegen, dass im Februar 2020 in einem weiteren viel-
Auswirkungen hatte die Pandemie auf die Behörde und        beachteten Verfahren im Zusammenhang mit der Ver-
wie ist diese damit umgegangen?                            gabe von Medienrechten Anklage erhoben werden
      RM: Bereits beim Ausbruch der Pandemie im März       konnte, die im Herbst schliesslich auch zu der erstins-
2020 haben wir eine Task-Force eingesetzt und gemein-      tanzlichen Verurteilung eines früheren FIFA-Generalse-
sam mit ihr umfassende Massnahmen zum Schutz der           kretärs geführt hat. Zudem konnten verschiedene andere
Mitarbeitenden entwickelt und umgesetzt, wobei die         Verfahren im Fussball-Umfeld rechtskräftig abgeschlos-
jeweils unterschiedlichen Rahmenbedingungen an den         sen werden. Im Herbst verfügte die BA die Restitution
vier verschiedenen Standorten in Bern, Lausanne, Zürich    von mehr als CHF 36 Millionen an unrechtmässig erwor-
und Lugano zu berücksichtigen waren. Ein Kernteam          benen Geldern. Die übrigen Verfahren werden weiter-
der Task-Force unter der Leitung des Generalsekretärs      geführt, jedoch kann man keine Prognosen machen.
hat die Entwicklungen konstant beobachtet und die be-      Zur Erinnerung: Strafverfolgungsbehörden müssen von
schlossenen Massnahmen laufend überprüft sowie ge-         Amtes wegen alle für die Beurteilung einer Tat und einer
gebenenfalls der jeweiligen Situation angepasst. Die       beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen abklä-
Mitarbeitenden wurden fortwährend über die Entwick-        ren, und bis zu einem rechtskräftigen Urteil gilt für alle
lungen informiert. Das rasche und konsequente Vorge-       Beteiligten die Unschuldsvermutung.
hen hat sich bewährt. Bis zum Herbst 2020 hatten wir              Neben dem Fussball finden auch die Verfahrens-
keinen Fall von COVID-19 zu verzeichnen, und die an-       komplexe rund um 1MDB sowie Petrobras-Odebrecht
schliessend aufgetretenen Fälle unter unseren Mitarbei-    jedes Jahr weltweite Beachtung. Im Zusammenhang mit
tenden konnten gut gehandhabt werden.                      Petrobras-Odebrecht beispielsweise hat das Bundes-
      JR: Und wir waren aufgrund der internen Organisa-    strafgericht im Februar 2020 erstmals ein Urteil gefällt
tion gut dafür aufgestellt, die Auswirkungen der Pande-    und einen ehemaligen Vermögensverwalter verurteilt. Die
mie aufzufangen und die Sicherstellung des operativen      grossen Verfahrenskomplexe binden beachtliche Res-
Betriebs jederzeit gewährleisten zu können. Insbeson-      sourcen und werden von interdisziplinär zusammenge-
dere auf die Führung von Strafverfahren hatte die Situa-   stellten Task-Forces geführt. Eine besondere Herausfor-
tion der COVID-19-Pandemie keine grösseren Auswirkun-      derung ist die Komplexität aufgrund der internationalen
gen. Zwar mussten beispielsweise einzelne Einvernahmen     Verflechtung der untersuchten Sachverhalte, aufgrund
verschoben oder umorganisiert werden, aber dank der        der ausländischen Herkunft vieler Verfahrensbeteiligter
modernen Arbeitsplatz-Infrastruktur der BA konnte für      sowie aufgrund der erforderlichen Aufarbeitung von
die meisten Situationen eine pragmatische Lösung ge-       grenzüberschreitenden Geschäftstätigkeiten und von
funden werden. Die BA konnte ihren gesetzlichen Auf-       Geldflüssen über mehrere Länder hinweg. In diesem
trag jederzeit erfüllen. Den grössten Einfluss auf die     Bereich ist die BA stets auch auf rechtshilfeweise Zu-
operative Tätigkeit hatte die Pandemie in Bezug auf Ge-    sammenarbeit mit anderen Staaten angewiesen.
richtsverfahren, welche vom zuständigen Bundesstraf-
gericht mehrfach verschoben wurden, wie etwa auf den Welches waren die weiteren Meilensteine, die aus Ihrer
mit Spannung erwarteten Prozess im Bereich des Völ- Sicht das Jahr 2020 geprägt haben?
kerstrafrechts im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg             RM: Neben dem Führungswechsel, der COVID-
in Liberia. Oder auf den vielbeachteten Fussballprozess 19-Pandemie und den grossen Verfahrenskomplexen
im Frühjahr, der vom Bundesstrafgericht sogar unter- gab es zahlreiche weitere Beispiele, die im Fokus der
bzw. abgebrochen werden musste.                          Öffentlichkeit standen: Etwa das im Zusammenhang mit
                                                         der «Crypto-Affäre» eröffnete Strafverfahren, eine koor-
                                                         dinierte Anti-Mafia-Aktion in der Schweiz und in Italien
                                                         sowie eine Anklage wegen Insiderhandels. Viel Aufmerk-
                                                         samkeit erfuhr auch die Einstellung eines Strafverfahrens

                                                                                                     Interview   13
im Zusammenhang mit der Schweizer Hochseeschiff-
fahrt. An dieser Stelle möchte ich etwas festhalten, das
oft zu wenig beachtet wird: Ich habe manchmal den
Eindruck, dass in der öffentlichen Debatte die Arbeit von
Strafverfolgungsbehörden nur dann positiv gewertet
wird, wenn es zu Anklagen oder Strafbefehlen kommt.
Dabei ist es nicht unsere Aufgabe, auf eine Verurteilung
hinzuarbeiten. Unsere rechtsstaatliche Aufgabe ist es
vielmehr, belastende und entlastende Umstände mit
gleicher Sorgfalt abzuklären. Wenn ein Verfahren auf der
Grundlage einer solchen Abklärung eingestellt werden
muss, ist dies kein Misserfolg, sondern das Ergebnis
von umfangreichen Untersuchungshandlungen, die am
Schluss zu einem entlastenden Ergebnis geführt haben.
Damit haben wir unsere Aufgabe erfüllt.
      Ein weiteres wesentliches Element des Berichts-
jahres war auch die Strafverfolgung im Bereich des Ter-
rorismus. Die BA konnte im April und im Juli 2020 jeweils
eine Anklage einreichen, denen das Bundesstrafgericht
im Rahmen der noch im selben Jahr ergangenen Verur-
teilungen dann auch weitgehend gefolgt ist. Zudem kam
es im Oktober 2020 zu einer weiteren Verurteilung vor
dem Bundesstrafgericht, welche auf eine frühere An-
klage der BA zurückzuführen war. Darüber hinaus hat
die BA 2020 die aufwändigen Ermittlungen in weiteren
medial stark beachteten Fällen wie dem Tötungsdelikt
in Morges und der Messerattacke in Lugano übernom-
men. Insgesamt konnte die BA in diesem sicherheitsre-
levanten Bereich in enger Kooperation mit ihren Part-
nerbehörden Akzente setzen.

14   Interview
Operative Tätigkeiten
1 Strategie 2020–2023 8

Die Strategie 2020–2023 wurde Anfang 2020 lanciert              • Technologie / IT-Instrumente weiterentwickeln: Die
und orientiert sich an der Vision und Mission der BA. Die         BA entwickelt ihre IT-Instrumente gemeinsam mit
Vision, welche die BA in den nächsten Jahren als Zielbild         den wichtigsten Partnerbehörden fortlaufend wei-
hat, hält fest, dass sich die BA dafür einsetzt, dass sich        ter, damit die Mitarbeitenden in ihrer täglichen Ar-
Verbrechen nicht lohnen, womit die rechtsstaatlichen              beit unterstützt und deren Effizienz und Effektivität
Strukturen gestärkt werden. Die Mission, welche den               gesteigert werden können. Seit 2020 ist z.B. eine
Rahmen der Tätigkeit der BA vorgibt, fokussiert auf das           Applikation für das gemeinsame Asservatenmana-
Engagement der BA zur Durchsetzung des Rechtsstaa-                gement von fedpol und BA in Betrieb (s. Ziff. V.2.1).
tes und zur Wahrheitsfindung, indem sie Strafverfahren            Zentral ist diesbezüglich der Einbezug der Mitar-
führt, Rechtshilfe leistet und mit Partnerorganisationen          beitenden in die Definition der Anforderungen an
wirksam zusammenarbeitet.                                         IT-Instrumente und den damit verbundenen Wan-
      Um die Vision und die Mission umzusetzen, verfolgt          del der Arbeitsprozesse. Dabei steht nicht nur das
die BA für die Amtsperiode 2020–2023 die nachfolgen-              IT-Instrument an sich, sondern auch die enge Be-
den vier strategischen Stossrichtungen:                           gleitung der Mitarbeitenden bei der Einführung
   • Handlungsfreiheit wahren und anpassungsfähig                 und Nutzung der Technologien im Mittelpunkt.
      bleiben: Die BA formuliert deliktsfeldspezifische
      Strategien, um die Deliktsfelder systematisch und Die Steuerung der Strategieumsetzung erfolgt mittels
      strukturiert weiterentwickeln zu können. Aus den «Roadmap», d.h. in Form einer rollenden 12-Monats-
      Massnahmen für die Bereiche Völkerstrafrecht und Planung, die als wesentliches Kernelement auch alle
      Cyberkriminalität resultierte im Berichtsjahr z.B. die Vorhaben des BA-Projektportfolios umfasst. Diese be-
      neue Abteilung RTVC oder die Rekrutierung des inhaltet die Projekte zur Umsetzung der Strategie. Deren
      Referenten Cyber. Ebenso formulierte die BA die Priorisierung erfolgt abhängig von der Wichtigkeit und
      strategische Analyse und Strategie des Delikts- der Ressourcenverfügbarkeit.
      felds Geldwäscherei. Zur Wahrung der Handlungs-
      freiheit optimiert die BA mithilfe der Standardisie-
      rung und Zentralisierung zudem interne Prozesse
      und vereinfacht durch neue Arbeitsmittel die Ver-
      fahrenspriorisierung und -Steuerung. Des Weiteren
      stärkt die BA die bestehende Kooperation mit fed-
      pol und fördert neue Zusammenarbeitsformen.
   • Führung stärken: Die BA investiert in die Stärkung
      der Führung, indem das Führungsverständnis wei-
      ter verankert und die Fach- und Führungsstruktur
      weiter gefestigt werden. Deren Rollen und Zusam-
      menspiel werden in den nächsten Jahren überprüft
      und gegebenenfalls angepasst. Durch die aktive
      Konsolidierung des Führungsverständnisses unter
      den Führungskräften wird die gelebte BA-Kultur
      geschärft und kontinuierlich weiterentwickelt.
   • Strategische Personalplanung fördern: Als Exper-
      tenorganisation stehen bei der BA die Mitarbeiten-
      den und deren Aufgabenerfüllung im Mittelpunkt.
      Folglich will die BA die Arbeitsmodelle sowie Per-
      spektiven und Förderung von Mitarbeitenden wei-
      terentwickeln, um eine attraktive Arbeitgeberin zu
      bleiben. Des Weiteren setzt die BA bewusst einen
      Fokus auf die Nachfolgeplanung, um Funktionen
      optimal zu besetzen und den Wissens- und Erfah-
      rungstransfer frühzeitig zu planen.

     8   https://www.bundesanwaltschaft.ch/mpc/de/home/die-bundes-
         anwaltschaft/vision.html

16       Operative Tätigkeiten
2 Zentrale Eingangsbearbeitung                            3 Fälle im Interesse der
  der BA (ZEB)                                              Öffentlichkeit

Die ZEB registriert, analysiert und triagiert zentral alle Die Information über die Fälle im Interesse der Öffent-
Eingänge, die nicht direkt mit einer bereits eröffneten lichkeit erfolgt mit Stand per Ende 2020.
Strafuntersuchung in Zusammenhang stehen oder von
dieser unabhängig bearbeitet werden sollen. Es handelt 3.1 Hochseeschifffahrt
sich dabei namentlich um Strafanzeigen, Strafanträge, Die BA erliess im Berichtsjahr in der sogenannten
Ersuchen um Verfahrensübernahme aus den Kantonen «Hochseeschifffahrtsaffäre» eine Einstellungsverfügung.
und Meldungen der Meldestelle für Geldwäscherei Das Strafverfahren richtete sich gegen einen ehemali-
(MROS). Wenn erforderlich, wird ein Eingang einem gen Stabschef des Bundesamts für Landesversorgung
Staatsanwalt oder einem Assistenz-Staatsanwalt zur (BWL) und betraf die Vorwürfe der ungetreuen Amtsfüh-
Prüfung übertragen, dessen Antrag für das weitere Vor- rung und des Leistungsbetrugs. Das Verfahren drehte
gehen im operativen Ausschuss des Bundesanwalts sich einerseits um die Vergabe von Bundesbürgschaften
(OAB) diskutiert wird. Klare Fälle werden direkt durch zur Absicherung von Bankkrediten, die verschiedenen
die ZEB erledigt. Dies dient insbesondere der Entlas- Schiffsgesellschaften zur Finanzierung von Hochsee-
tung der verfahrensführenden Einheiten und der För- schiffen gewährt wurden. Andererseits stand die Amts-
derung der unité de doctrine innerhalb der BA.             führung im Zusammenhang mit der Bewilligung von
      Ein wichtiger Partner der BA bei der Bekämpfung Stundungen zur Beurteilung. Mit den Stundungen er-
der Geldwäscherei ist die MROS. Diese hat per 1. Januar laubte das BWL den Schiffsgesellschaften, Darlehensa-
2020 ein neues Datenverarbeitungssystem (goAML) ein- mortisationen gegenüber den kreditgebenden Banken
geführt. Die Abläufe bei der BA mussten dadurch teil- auszusetzen. Praktisch alle mit der Einstellungsverfü-
weise angepasst werden, was zu einer Erweiterung der gung beurteilten Bürgschaften wurden ab 2017 durch
Aufgaben der ZEB geführt hat. Ein weiterer, wesentlicher die kreditgebenden Banken gezogen, was zu einer Be-
Teil der Aufgaben der ZEB war auch im Berichtsjahr die lastung der Bundeskasse von über CHF 230 Mio. führte.
administrative Unterstützung im Bereich Bekämpfung              Die BA stellte in ihrer Beurteilung zunächst gene-
der Cyberkriminalität; die diesbezüglichen Abläufe und rell fest, dass die Bürgschaftsvergaben des BWL vom
die Aufgabenteilung zwischen der Abteilung RTVC und gesetzlichen Auftrag abgedeckt waren und diese weit-
der ZEB werden ab Anfang 2021 angepasst, was zu gehend in die bis 2008 herrschende «Boomphase» der
einer Entlastung der ZEB führen sollte.                    Hochseeschifffahrtsbranche fielen. Die ab 2009 aus-
      Insgesamt wurden im Berichtsjahr 1985 Eingänge gebrochene Jahrhundertkrise im Markt war damals
bearbeitet. Darunter waren 479 Ersuchen um Verfahrens- nicht absehbar, setzte aber eine wesentliche Ursache
übernahme; bei 95 % von diesen anerkannte der OAB für die Notwendigkeit der schwerpunktmässig ab 2009
die Bundeskompetenz. Ferner wurden 172 MROS-Mel- gewährten Stundungen und im Ergebnis auch für die
dungen bearbeitet. Von den Eingängen wurden 1603 in späteren Bürgschaftsziehungen.
die Abteilungen zur weiteren Bearbeitung weitergeleitet         Die BA setzte sich sodann vertieft mit den Mecha-
und 382 direkt von der ZEB bearbeitet und erledigt (Ab- nismen im Bürgschaftswesen des BWL sowie den ein-
lehnung von Ersuchen um Verfahrensübernahme oder zelnen Bürgschaftsvergaben und Stundungen ausein-
Nichtanhandnahme von Strafanzeigen).                       ander. Zusammengefasst kam die BA zum Schluss,
                                                           dass die Beurteilung sowie das Management der Bürg-
                                                           schaftsrisiken adäquat waren und die Entscheide im
                                                           BWL im Rahmen eines Prozesses mit sachgerechter
                                                           Funktionstrennung und einem funktionierenden Vierau-
                                                           genprinzip gefällt wurden. Die Praxis des BWL wurde
                                                           von den externen Kontroll- und Partnerstellen weitge-
                                                           hend unterstützt. Zudem wurde festgestellt, dass nach
                                                           Ausbruch der Wirtschaftskrise im Jahr 2009 die Hand-
                                                           lungsspielräume des BWL aufgrund der spezifischen
                                                           Charakteristiken des Bürgschaftsinstituts und der da-
                                                           mals geltenden gesetzlichen Grundlagen deutlich ein-
                                                           geschränkt waren. Insbesondere eine Einflussnahme
                                                           auf das unternehmerische Verhalten der Schiffsgesell-
                                                           schaften war praktisch ausgeschlossen. Bezeichnend
                                                           war auch die Feststellung, dass die Praxis des BWL zu
                                                           den Stundungen nach Ausscheiden des ehemaligen

                                                                                      Operative Tätigkeiten   17
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