Weltweit. 2017 - Institut für Auslandsbeziehungen

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Weltweit. 2017 - Institut für Auslandsbeziehungen
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Weltweit. 2017 - Institut für Auslandsbeziehungen
I FA 2 0 1 7 . W E LT W E I T

„Mit seinem Engagement fördert das ifa den Zugang zu
 Kultur und Bildung über kulturelle, religiöse und soziale
 Grenzen hinweg. Dabei hat es die Koproduktion von Bildung,
 Wissen und Kultur zu einem Schwerpunkt der Kulturbezie­
 hungen gemacht. Innovative Begleitveranstaltungen zu
 Kunstausstellungen, das CrossCulture Programm sowie
 andere Formate stehen beispielhaft dafür.
 Natürlich gibt es keine Garantie, dass solche Bemühungen
 Erfolg haben und zu einer friedlichen Lösung der Konflikte
 dieser Welt beitragen. Aber eines ist sicher: Wenn wir die
 Chancen zur Verständigung in all diesen Konflikten über­
 haupt erhalten wollen, dann spielt die Zusammenarbeit
 mit und zwischen den Zivilgesellschaften eine immer ent­
 scheidendere Rolle. Ich bin den deutschen Kultur- und
 Bildungseinrichtungen dankbar dafür, dass sie sich dieser
 zentralen Aufgabe gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt
 widmen. Insbesondere dem ifa, unserem ältesten Kultur­
 mittler, danke ich ausdrücklich dafür, dass es inmitten von
 wachsender Verunsicherung und sich auflösender Ordnung
 wichtige Friedensarbeit leistet und so im besten denkbaren
 Sinn an seine Gründungsdevise anknüpft.“

 Frank-Walter Steinmeier in seinem Beitrag
 „Über globale Herausforderungen – Ordnung und
 Verantwortung“ in: Geschichten, Beziehungen,
 Perspektiven. 100 Jahre ifa
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I N H A LT S­V E R Z E I C H N I S

VORWORT                                                     S.   6

100 JAHRE IFA                                               S.   8
KULTUREN DES WIR                                            S. 11

KULTUR UND KONFLIKT                                         S. 12
Wie liebt man Europa im 21. Jahrhundert?

DIALOG DER ZIVIL­G ESELLSCHAF T                             S. 16
7 Städte – 7 Geschichten: Die CrossCulture Tour 2017

FLUCHT UND MIGRATION                                        S. 19
Mit Kunst gegen Blockaden

KUNST UND KULTURAUSTAUSCH                                   S. 22
Pure Gold – Upcycled! Upgraded!

AUSSTELLUNGEN 2017                                          S. 26

EUROPA                                                      S. 28
Was aus Europa wird, liegt in der Hand der Jugend Europas

AUSWÄRTIGE KULTUR- UND BILDUNGSPOLITIK                      S. 32
Forschung am ifa

IFA – E
       IN JAHR IN BILDERN                                  S. 36

DESHALB MUSS ICH REDEN                                      S. 40

IFA 2017. WISSENSWERTES IN ZAHLEN                           S. 44

PUBLIKATIONEN 2017                                          S. 46

PRÄSIDIUM, MITGLIEDER UND BEIRÄTE                           S. 48

DANKE                                                       S. 52

ORGANIGRAMM                                                 S. 53

BILDNACHWEIS                                                S. 54
IMPRESSUM                                                   S. 55

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Weltweit. 2017 - Institut für Auslandsbeziehungen
2017 war in mehrfacher Weise ein           Auch jenseits der Feierlichkeiten zu
         prägendes und außergewöhnliches            100 Jahren konnte das ifa weltweit
         Jahr. 100 Jahre alt wurde das ehema-       Erfolge verzeichnen – sei es mit der
         lige Deutsche Ausland-Institut, das        Verleihung des Golden Löwen für
         jetzige ifa (Institut für Auslandsbezie-   den Deutschen Beitrag auf der Bien-
         hungen). Die entsprechenden Feier-         nale Venedig, der Verleihung des
         lichkeiten am hundertsten „Geburts-        Theodor-Wanner-Preises an Königin
         tag“, dem 10. Januar 2017, im würdi-       Silvia von Schweden oder der Pre-
         gen Rahmen des Stuttgarter Neuen           miere von FABRIK in Beirut mit
         Schlosses und in Anwesenheit von           Arbeiten von Hito Steyerl, die 2017
         Außenminister Frank-Walter Stein-
         meier, Ministerpräsident Winfried          VOR-
                                                    zur einflussreichsten Künstlerin der
                                                    Welt gekürt wurde.

                                                    W O RT
         Kretschmann und Oberbürgermeister

VOR-
         Fritz Kuhn, bildeten den offiziellen       Der Tag des Sommerfestes war
         Festakt des Jubiläumsjahres. Wenig         zugleich der Abschied von Staats­
         später folgte in Berlin eine Feier mit     ministerin und Botschafterin a. D.

W O RT   unserem dortigen Netzwerk. In der
         Landesvertretung Baden-Württem-
         bergs beim Bund stießen zahlreiche
                                                    Ursula Seiler-Albring, die zehn Jahre
                                                    als Präsidentin des ifa seine Geschicke
                                                    mitgelenkt und mitbegleitet hatte.
         Partnerinnen und Partner, Organisa-        Auf Frau Seiler-Albring folgte als
         tionen und Vertreterinnen und Ver-         Präsident Prof. Dr. Martin Roth, der
         treter der Politik, der Kultur und         nach nur kurzer Amtszeit im August
         Wirtschaft Berlins mit uns auf das         2017 verstarb. Das Jahr war somit
         Jubiläum an. Und in großem Rahmen          nicht nur von vielen positiven, son-
         feierten wir schließlich beim Sommer­      dern auch traurigen Zäsuren geprägt.
         fest im Innenhof des ifa-Areals in
         Stuttgart mit über 1.000 Bürgerinnen       Neben den Jubiläumsaktivitäten und
         und Bürgern, Musik, Performances           dem Schwerpunktthema „Kulturen
         und Unterhaltung dieses besondere          des Wir“ waren wir in unseren fünf
         Jahr. Bei allen Feierlichkeiten zeigten    Kernthemen Flucht und Migration,
         sich die große Wertschätzung, die das      Europa, Dialog der Zivilgesellschaften,
         Institut erfährt, und die großen           Kultur und Konflikt sowie Kunst und
         Erwartungen, die man an seine              Kulturaustausch auch 2017 weiterhin
         Zukunft richtet.                           erfolgreich tätig. Flucht und Migra-
                                                    tion waren im vergangenen Jahr nach
                                                    wie vor große Herausforderungen
                                                    für unsere Gesellschaft. Das ifa hat
                                                    mit Nachdruck in Projekten, Publika-
                                                    tionen und Veranstaltungen darauf
                                                    hingearbeitet, Menschenrechte zu
                                                    verteidigen; gegen Abschottungs­
                                                    tendenzen und Phobien gleich wel-
                                                    cher Art. Unsere Gesellschaft hat sich
                                                    aber nicht erst seit den zunehmenden
                                                    Flüchtlingsbewegungen aus ver­
                                                    schiedenen Teilen der Welt nach
                                                    Europa verändert. Angesichts unserer
                                                    digitalisierten Lebenswelt, der globa-
                                                    lisierten Zusammenhänge unserer

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Weltweit. 2017 - Institut für Auslandsbeziehungen
Gesellschaften sowie der zunehmen-         Das Ziel der aktiven, wissens- und         Dank gebührt den Mitgliedern des
den internationalen Krisen und Kon-        wertebasierten Gestaltung der Zukunft      Präsidiums und der Mitgliederver-
flikte ist die Auswärtige Kultur- und      verfolgt das ifa nicht nur mit seinen      sammlung, den Beiräten für Kunst,
Bildungspolitik mit all ihren Instituti-   Kunstförderungen, der Unterstützung        für die Zeitschrift KULTURAUS-
onen und Vertretern gefordert, nicht       von Kunst-Biennalen oder seinen            TAUSCH und für das Forschungs-
nur für Verständigung zu sorgen,           Galerien in Stuttgart und Berlin.          programm. Nicht zuletzt gilt ein
sondern tiefgreifenden, nachhaltigen       Hierzu dient ebenso die umfangreiche       besonderer Dank allen Kolleginnen
Dialog zu praktizieren.                    internationale zivilgesellschaftliche      und Kollegen des ifa in Stuttgart und
                                           Arbeit des Instituts beispielsweise in     Berlin, die auch unter immer wieder
Hiervon sind auch unser Engagement         Gestalt der Förderung deutschen            herausfordernden Bedingungen
für Europa und die große Sorge um          Minderheiten, der Humanitären Hilfe,       großes Engagement gezeigt haben.
den Zusammenhalt der Europäischen          der zivilen Konfliktbearbeitung (zivik)    Der Erfolg des ifa ist ihr Erfolg.
Union angesichts nationalistischer         oder des CrossCultureProgramms.
Tendenzen gekennzeichnet. Wir ver-         Auch sein wissenschaftliches For-          Wir wünschen Ihnen allen viel
stehen den Staatenbund der Europäi-        schungsprogramm, seine hervorra-           Freude bei der Lektüre des Jahresbe-
schen Union auch als einen Verbund         gende Spezialbibliothek und seine          richts 2017 und neue Einblicke in die
der Kulturen Europas, der Identitäts-      publizistischen Aktivitäten wie z. B.      Arbeitsweisen und Schwerpunkte
räume von Menschen, Räume, welche          die Zeitschrift KULTUR­­AUSTAUSCH          des ifa. Für die Verbundenheit unse-
die Menschen unseres Kontinents            tragen zur Umsetzung dieses Ziels          rem Institut gegenüber danke ich
maßgeblich prägen. Unsere Perspek-         bei, die von den Mitarbeiterinnen          Ihnen allen herzlich.
tive auf den Zusammenhang von              und Mitarbeitern in Kommunikation
Kultur und Konflikt, in der Kultur         und Verwaltung an unseren beiden           Ronald Grätz,
nicht nur möglicherweise ein Instru-       Standorten in Stuttgart und Berlin         Generalsekretär
ment der Konfliktbearbeitung, son-         tatkräftig unterstützt werden.
dern im Kern eine Alternative zum          All dies spiegelt die Vielfältigkeit der
Konflikt darstellt, bildet unser Narra-    Arbeit des ifa in seinem Jubiläums-
tiv: Kulturarbeit ist Friedensarbeit.      jahr wider.

Uns ist es wichtig, den Wert ästheti-      Wir danken dem Auswärtigen Amt
scher Ausdrucksweisen als Freiraum         für seine Förderung und die umfang-
zum Denken, Kunst als Experimentier­       reiche Zuwendung von institutionellen
raum neuen Zusammenlebens und              und Projektmitteln, für die kollegiale
die Freiheit der Kultur an sich zu         und produktive Zusammenarbeit
verteidigen. Kunst als Reflexion über      sowie vielfältige Unterstützung unse-
Gesellschaft, Politik und Leben            rer Initiativen. Wir danken dem Land
macht überkommene Denkmuster               Baden-Württemberg und der Stadt
sichtbar und fragt nach den Werten,        Stuttgart für die wertvolle institutio-
die uns in der globalen Welt auch          nelle Förderung, dem Förderverein
zukünftig tragen und leiten. All dies      für das ifa für sein Engagement für
bliebe jedoch folgenlos, wenn wir          die Belange des Hauses sowie den
daraus nicht Er­­kenntnisse gewinnen       Freundinnen und Freunden des
würden, mittels derer politische Ent-      Deutschen Pavillons auf der Biennale
scheidungen fundierter getroffen,          Venedig für ihre Unterstützung dieses
Wissen für unsere Gesellschaft gene-       größten Kunstereignisses der Welt.
riert und die Zukunft produktiver
gestaltet werden könnten.

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100 Jahre ifa

Ursula Seiler-Albring

Der 100. Geburtstag einer Institution       mann würdigte in seiner Festrede die      Nationalismus, Abschottung, Frem-
ist ein besonderes Ereignis. Es erfüllt     Bedeutung des Kulturaustauschs für        denfeindlichkeit und latenten Kon-
uns mit Freude, Stolz und Dankbar-          den Frieden: „Kulturpolitik kann          flikten, bitterster Auseinandersetzun-
keit gegenüber allen, die das Institut      Brücken bauen, nachhaltige Koopera-       gen um Deutungshoheiten, um
für Auslandsbeziehungen in diesen           tionen initiieren und Krisen mildern.     Sinnstiftungen und Werte. Das ifa
vielen Jahren begleitet haben, es ge­för-   Dabei ist das ifa eine der wichtigsten    wird weiterhin an einer Vision der
dert und gefordert haben und zu             Institutionen, um Kultur über alle        Weltgemeinschaft arbeiten, die gegen
dem herausragenden Kulturmittler            Grenzen zu tragen. Es kann hierbei        Fremdenhass und Vorurteile, gegen
gemacht haben, auf den wir heute            auf die wertvollen Erfahrungen eines      egoistische Interessen und Ignoranz
stolz sind.                                 ganzen Jahrhunderts zurückblicken,        gegenüber Problemen anderer
                                            wozu ich ganz herzlich gratuliere.“       gesiegt hat.
100 Jahre ifa – wir haben während           Oberbürgermeister Fritz Kuhn ver-
dieses Jahres die Gelegenheit ergriffen,    wies auf eine besondere Nähe von ifa      Die Globalisierung ist eine Medaille
das Institut mit dem vielfältigen           und Stadt: „Wie das ifa das Mitein­       mit zwei Seiten: einerseits dem
Spektrum seiner Tätigkeiten darzu-          ander der Kulturen weltweit fördert,      Geschenk unseres Wohlstands, unse-
stellen, die Möglichkeit, neue Dialoge      so versteht sich die Stadt Stuttgart      rer Sicherheit und unserer Privilegien,
anzustoßen und neue Kulturbezie-            als ein Ort, an dem unterschiedliche      auf der anderen Seite die damit ver-
hungen aufzubauen und damit die             Kulturen friedlich und tolerant zu­­      bundene Verantwortung für die in
Arbeit des Hauses weiterzuentwickeln.       sammenleben. ifa und Stadt befruch-       der Welt, deren prekäre Lebens- und
Das Jubiläum war Darstellung und            ten sich gegenseitig, und wir sind        Arbeitsbedingungen nicht zuletzt
Lernen zugleich.                            froh, dass das Institut seit 100 Jahren   Bedingung sind für unseren Wohlstand.
                                            in Stuttgart ist.“                        Unser Wohlergehen verpflichtet uns,
Bundesaußenminister Frank-Walter                                                      anderen zu helfen. Das unschätzbare
Steinmeier dankte dem ifa in seiner         100 Jahre ifa, das war auch der kriti-    Privileg und Geschenk des Friedens
Festrede für seine Leistungen in der        sche Rückblick auf dunkle Zeiten der      in Europa fordert uns auf, uns täglich
Auswärtigen Kultur- und Bildungs-           Institutsgeschichte und das Bewusst-      dafür einzusetzen, das Unrecht auf
politik: „Angesichts der aktuellen          sein, dass Demokratie, Menschen-          dieser Welt zu vermindern.
weltpolitischen Situation brauchen          rechte, Freiheit und Humanität die
wir Kulturaustausch mehr denn je:           Ziele und Aufgaben sind, um die es
Er bereitet im vorpolitischen Raum          dem ifa geht. All das sind Elemente       Ursula Seiler-Albring war von
den Boden für politische Verständi-         einer großen Idee und eines großen        31. März 2006 bis 30. Juni 2017
gung. In Zeiten zunehmender Krisen          uns leitenden Gedankens: Kultur­          Präsidentin des ifa
und sich auflösender Ordnungen              arbeit ist Friedensarbeit.
leistet das ifa als Kompetenzzentrum
für kulturelle Zusammenarbeit               100 Jahre ifa, das ist ein Auftrag, die
darum einen bedeutsamen Beitrag zu          immer wichtiger, immer vielfältiger,
Frieden und Konfliktlösungen.“              immer anspruchsvoller werdenden
Auch der baden-württembergische             Aufgaben des Kulturdialogs zu pfle-
Ministerpräsident Winfried Kretsch-         gen und zu fördern in Zeiten von

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K U LT U R E N D E S W I R

                                            Kulturen des Wir

                                            Ronald Grätz

Kulturen des Wir lautete der Themen­­       hat zu überraschenden, wichtigen        schaft und nur mit multilateralen
schwerpunkt, den das ifa zum                Ergebnissen geführt, nicht zuletzt      Kooperationen begegnet werden.
100-­­­­jährigen Jubiläum abteilungsüber-   hinsichtlich der markanten außer­       Dieses „Wir“ – Fundament der Demo-
greifend intensiv behandelt hat. Es         europäischen Perspektiven. Es war       kratie – muss unter den aktuellen
wurde eine Vielzahl von Synergien           ein Lernprozess für alle.               politischen Gegebenheiten und vor
deutlich, die in einem Institut vor-                                                dem Hintergrund einer globalisierten
handen sind, das so unterschiedliche        Die Frage, wer Teil eines „Wir“ ist,    Welt neu gedacht und aktiv gefördert
Arbeitsbereiche wie Kunstvermitt-           gehört heute zu den viel und kontro-    werden. Dabei gilt es, verschiedene
lung, zivilgesellschaftlichen Dialog,       vers diskutierten Themen, beispiels-    Konzepte, Interessen, Probleme und
Forschung und Dokumentation unter           weise im Selbstverständnis als Ein-     Voraussetzungen zu berücksichtigen
einem Dach zusammenführt.                   wanderungsgesellschaft. Durch           und in einen produktiven Dialog
Im Rahmen von „Kulturen des Wir“            Globalisierung und Digitalisierung      einzubinden.
be­­leuchtete das ifa aktuelle Fragestel-   entstehen zudem neue Dynamiken
lungen von Gemeinschaft, Vielfalt           von sowohl längerfristigen als auch
und Frieden und zeigte teils sehr           spontanen Wir-Bildungen. Die ökolo-     Ronald Grätz ist seit 1. September 2008
divergierende Vorstellungen von             gischen, ökonomischen und sozialen      Generalsekretär des ifa
„Wir“, Fallstricke und Potenziale,          Risiken des globalen Zusammenle-
aber auch neue, produktive Perspek-         bens können nur in einer „globalen
tiven. In einem Onlinemagazin zum           Gemeinschaft“ bewältigt und nur in
Thema sowie einer zentralen Konfe-          multilateralen Kooperationen begeg-
renz „Kulturen des Wir“ standen             net werden. Auch dies ist eine neue
Fragen wie „Welche Wir-Verständ-            Wir-Konstellation. Die transnationa-
nisse brauchen wir zur Bewältigung          len Herausforderungen fallen dabei
globaler Zukunftsaufgaben?“, „Wie           in eine Zeit, in der in Europa und
bilden sich Wir-Verständnisse?“,            weltweit Nationalismen sowie auto-
„Wie kann man sie erproben?“,               ritäre Haltungen zunehmen. Dies ist
„Kann es eine Welt ohne ‚Wir‘ und           das Wir eines „Ihr seid nicht wir“.
‚die anderen‘ geben?“, „Kann Kultur
ein Schlüssel sein, um Ideen für ein        Bestärkt haben uns die Erkenntnisse
globales Miteinander weiterzuentwi-         der Diskurse in unserer Überzeugung,
ckeln?“ oder „Wie wird der aktuelle         dass Gesellschaften für die zentralen
Diskurs um Nationalismus und                Zukunftsaufgaben internationalen
Populismus außerhalb Europas                Austausch, Dialoge und Kooperatio-
wahrgenommen?“ im Mittelpunkt.              nen benötigen, um Vielfalt sichtbar
Der mitunter leidenschaftliche              zu machen und neue Gemeinschafts-
Diskurs mit Vordenkerinnen und              konstellationen entstehen zu lassen.
Vordenkern wie Chandran Nair, Cees          Globalen Bedrohungen wie Konflik-
J. Hamelink, L. H. M. Ling, Shahid          ten, Krisen, Fluchtbewegungen und
Nadeem, Banu Karaca und anderen             Klimawandel kann nur als Gemein-

                                                                                                                         11
K U LT U R
 UND
 KONFLIKT

12
Wie liebt man Europa im 21. Jahrhundert?

                                           Jagoda Marini

Noch immer ist in Europa die Gefahr        Kolumbus­statue, die 1888 während        Fällen haben wir Glück, und es ist so.
des Populismus nicht gebannt, an den       der Welt­­ausstellung errichtet wurde.   Tür auf, Tür zu. Man streitet, liebt
Gestaden des Kontinents grassieren         Seefahrer, Festungen wie in Dubrov-      und schimpft ein bisschen, bevor
Nationalismus und Xenophobie, Euro-­       nik, Piraten, Reichtum, Welteroberung    man einschläft. Wir dürfen uns über
Skeptizismus und European Angst.           und Hoffnungsschimmer.                   Banalitäten ärgern und täglich Tonnen
Dabei gibt es so viele Gründe, Europa                                               von Milch in Form von Latte Macchi-
zu lieben. Hilfreich könnte es sein, den   In den letzten Jahren war Europa vor     atos in uns hineinkippen. Wir glau-
Blick über das Mittelmeer schweifen zu     allem Hoffnungsschimmer. Doch das        ben an dieses Leben, wie wir es füh-
lassen und den Horizont zu weiten.         Mittelmeer wurde zunehmend zum           ren, als stehe es uns Zufallsgeborenen
Von Jagoda Marinić                         Symbol der untergegangen Hoffnun-        aus irgendeinem Grund mehr zu als
                                           gen, der Leben, die das Meer ver-        anderen. Doch genau deshalb sollte
Europa und Migration sind nicht            schluckte. 3.081 Menschen sind allein    dieses Leben eine Verpflichtung sein.
trennbar voneinander. Das Thema            2017 im Mittelmeer ertrunken. Wer        Genau deshalb darf man das Sterben
„Migration“ ist keine Ecke, in die         die Geschichte des Mittelmeers liest,    der anderen nicht aushalten. Genau
man gestellt werden kann, denn             wagt kaum, danach zu fragen, wie         deshalb darf man nicht so tun, als
„Migration“ ist der Marktplatz Euro-       viel Blut dieses Mittelmeer birgt.       könnte man das Erkalten gegenüber
pas. Die Städte Europas sind die           Die Geschichte des Mittelmeers war       dem Leid ohne Schaden organisieren.
Halsschlagadern dieses Kontinents.         oft blutig. Vielleicht müsste man
Sie sind geprägt von der Vielfalt, die     akzeptieren können, dass es heute,       Ja, es sind immer Menschen im Mittel-
Europa ausmacht. Wenn jeder                im 21. Jahrhundert, wieder so ist.       meer gestorben, doch Europa war ein
Mensch in einer deutschen Stadt die        Vielleicht müsste man aufhören,          Kontinent des Fortschritts der Zivili-
Orte aufzählen müsste, die sein            daran zu glauben, dass Frieden mach­     sation, nachdem sie an ihrem Null-
Leben geprägt haben, so hätten wir         ­bar ist. Doch dann, was ist das         punkt angelangt war. Europa wurde
mit Sicherheit einen großen Teil Euro-     Europa der letzten 70 Jahre anderes      als der dunkle Kontinent bezeichnet
pas abgedeckt. Europa steckt in            als ein Friedensprojekt? Wir leben       und bei allem, was wir aus guten
jedem von uns.                             Europa seit Jahrzehnten. Europäer        Gründen an Europa kritisieren, darf
                                           glauben an diesen Frieden, an die        nicht vergessen werden, dass aus
Ich denke Europa vom Mittelmeer            Erlaubnis zur Banalität des Alltags:     diesem dunklen Kontinent ein Konti-
aus. Das hat damit zu tun, dass am         Wir Europäer gehen schlafen und          nent des Lichts geworden ist. Er steht
Mittelmeer das Licht in unvergess­         wachen auf, neben den Menschen,          jedoch nicht isoliert in einem Welt­
lichen Farben spielt und in meiner         mit denen wir leben wollen. Die          gefüge und wird nicht tangiert von
Kindheit dieses türkisblaue Meer           meisten von uns gehen durch den          den anderen Kräften. Es geht für den
ständig mit dem hellblauen Himmel          Alltag mit den Fragen nach dem           Kontinent auch darum, zu verstehen,
um meine Aufmerksamkeit konkur-            guten Leben, nicht dem Überleben.        dass eine ausbalancierte Welt ein
rierte. Es ist dieses Mittelmeer, das      Wir glauben, ohne uns groß Gedan-        waches Europa verlangt. Europa
die Menschen arm und reich gemacht         ken darüber zu machen, dass wir          kann nicht zur Kulisse für Fantasy-­
hat. In Barcelona, einer meiner            morgens zur Arbeit können und            Thrilller und Touristen degradiert
Lieblingsstädte am Mittelmeer, findet      abends die Menschen, die wir lieben,     werden; die Kinder des europäischen
sich am Hafen die 60 Meter hohe            wiedersehen dürfen. In dem meisten       Südens werden nicht geboren, um –

                                                                                                                           13
K U LT U R U N D K O N F L I K T

wie ein Tourismusminister Kroatiens       Die Migrantin Europa kam zurück          wenn der neue Bundespräsident sein
dies einmal beanspruchte – die Bett-      aus der Welt wie sie gegangen war,       Amt antritt und von einer möglichen
laken der Nordeuropäer zu waschen.        nur etwas reicher.                       neuen Weltordnung redet. Das Chaos,
Europa braucht eine Vision, die über      Aus heutiger, bundesdeutscher Sicht,     das sich derzeit auftut und über das
das, was sie derzeit ist, hinauswächst.   würde man eine solche Einwanderin        ungelöste Chaos der letzten Jahre
                                          mit Sicherheit für integrationsunwil-    legt, macht die Welt nicht überschau-
Europas eigene                            lig halten. Sie kennen ja die deutsche   barer. Staatschefs, die von einem
Migrationsgeschichte                      Redensart „Fühlen Sie sich wie zu        neuen Zeitalter reden, könnten Recht
                                          Hause!“ Europa fühlte sich überall       haben, doch sie tragen auch bei zu
Dazu muss sich Europa seiner              wie zu Hause. Und als Menschen           einer Verstärkung der Beunruhigung.
Geschichte besinnen. Europa, das ist      nach Europa kamen, wollte man            Wenn die Welt schon nicht verstehbar
auch das Kapitel der Verletzung der       sichergehen, dass Europa sich nicht      ist und ihre Probleme nicht lösbar
Menschenrechte in der Geschichte          plötzlich unwohl fühlen könnte im        sind, warum nicht zurück zur Klein-
moderner Zivilisation. Um Europas         eigenen Haus. Wo wären wir denn          staaterei? Viele sprechen von einer
Verantwortung gerecht zu werden,          da? Sicher nicht in Europa.              Zukunft, die anders wird, doch diese
müssten die Europäer lokal leben,         Sie sehen schon, worauf ich hinaus-      Zukunft ist bereits Gegenwart.
doch global denken. Die meisten wohl­­    will. Wir leben in einer Zeit, in der    Anschläge in Europas Hauptstädten.
habenden Europäer sind nicht des-         manche Menschen sich für euro­           Einerseits fürchten die Europäer den
halb wohlhabend, weil Europa stets        päischer halten als andere. Die Fran-    organisierten Terror, andererseits
Zuhause geblieben ist. Europa selbst      zosen hinterfragen ihre großzügige       fürchten sie den durchgeknallten
hat eine Migrationsgeschichte:            Staatsbürgerschaftspolitik, denn die     Einzelnen, vielleicht sogar den eige-
Europa mit Migrationshintergrund          jungen Algerier sind nie Franzosen       nen Nachbarn. Die Londoner Zeitun-
also, und diese Europa war wahrlich       geworden, behaupten die Franzosen,       gen titeln: Es war ein Anschlag auf
keine assimilierungsfreudige Migran-      die nie Algerier waren. Der algerische   die Demokratie. Am Jahrestag des
tin. Europa kam und meinte, sie sei       Boden war jedoch in Windeseile fran-     Anschlags in Brüssel. Als Paris ange-
aus welchen Gründen auch immer,           zösisch. Hätten sich die jungen Alge-    griffen wurde, war es ein Anschlag
dort wo sie angekommen war,               rier in Frankreich benommen wie          auf die Freiheit. Egalité, Liberté, Fra-
irgendwie mehr zu Hause und mehr          Europa in Algerien, dann wären sie       ternité. Gleichheit, Freiheit, Brüder-
Herrin als die Einheimischen selbst.      vermutlich heute integriert, denn sie    lichkeit, das sind drei Werte der west-
Europa war immer schon elegant            hätten sich das Land zu Eigen            lichen Wertegemeinschaft. Mit dem
und musste sich schmücken. Alles,         gemacht. Frieden hätten wir keinen.      Anschlag auf die Demokratie wird
was ihr in die Quere kam, musste          Europa brachte mit seinem Beneh-         im Grunde die Gleichheit angegrif-
herhalten. Sie kam, wenn sie              men alles, nur keinen Frieden.           fen, mit dem Anschlag auf das
irgendwo außerhalb Europas ankam,         Bis zu den letzten Jahrzehnten, den      Bataclan oder in Nizza war es die
nie auf die Idee, die Sprache der Ein-    letzten 70 Jahren. Dieser Frieden kam    Freiheit. Sie alle sollen dabei helfen,
heimischen zu lernen. Europa kam          buchstäblich aus dem Nichts. Er kam      die Brüderlichkeit zu zerstören, den
an und lehrte die Menschen ihre           aus dem stückweisen Verzicht auf         Zusammenhalt, die Solidarität.
Sprache. Das war dann aus ihrer Sicht     das vermeintlich Eigene zugunsten
vielleicht ein globaler Integrations-     des Gemeinsamen. Dieser Frieden ist      Wenn es jetzt heißt, der Täter sei in
kurs. Aber das reichte nicht, Europa      das Erbe, das wir, die wir ihn erleben   Großbritannien geboren und hätte
verbot gerne den Einheimischen auch       durften, zu verteidigen haben.           einen britischen Pass, dann wird die
noch die Muttersprache. Ich weiß          Die Verantwortung, die wir tragen,       Solidarität weiter in Frage gestellt
auch, welcher Idee das zu verdanken       ist nicht die für das beste Integrati-   werden. Als in Barcelona Menschen
sein könnte: Vielleicht dachte Europa,    onszertifikat, sondern die für den       in den beliebten Ramblas durch ein
das macht Platz im Kopf. Vielleicht       sozialen, europäischen und – es mag      Attentat starben, hielten die Be­­
dachte sie aber auch einfach, was         uns Europäern Angst machen – den         wohner dieser Stadt zusammen und
sollten sie denn mit ihrer eigenen        weltweiten Frieden.                      stellten klar, dass die Angst diese
Sprache, so können sie sich überhaupt     Es sind keine beruhigenden Zeiten.       Stadt nicht regieren werde. Dieser
nicht mit Europa unterhalten?             Es ist geradezu eine Beunruhigung,       Zusammenhalt gerade nach solchen

14
A U S G E WÄ H LT E P R O J E K T E

Angriffen auf die Freiheit ist beein-
druckend – und doch wird es wichtig
sein, auf die alltäglichen Probleme
der Menschen einzugehen, um sie
vor ihren Ängsten zu schützen. […]

Jagoda Marinić ist eine kroatisch-­        • zivik – zivile Konfliktbearbeitung      • Stay connected
deutsche Schriftstellerin, Kulturmanage­   Das Programm zivik fördert inter­         Gedenken und Umgang mit Ge­­
rin und Journalistin. Der Text ist eine    nationale Friedensprojekte in Krisen-     schichte, Konfliktbearbeitung, Jugend­­
gekürzte Fassung aus einem Beitrag für     regionen und berät Nichtregierungs-       begegnungen und die Aktivierung
den Kulturreport/EUNIC-Jahrbuch            organisationen sowie das Auswärtige       junger zivilgesellschaftlicher Akteure –
2017/18.                                   Amt auf diesem Gebiet. Im Durch-          diese Themen standen im Mittelpunkt
                                           schnitt unterstützt zivik hierbei welt-   einer dreitägigen Netzwerkveranstal-
                                           weit jährlich rund 80 Projekte der        tung im Oktober 2017 in Berlin.
                                           zivilen Krisenprävention und Kon-         Unter dem Motto „Stay Connected“
                                           fliktbearbeitung, im Nahen Osten          trafen sich auf Einladung des ifa Filme­
                                           und in Nordafrika zusätzlich auch im      macherinnen, Menschenrechtler,
                                           Rahmen der Transformationspartner-        Umweltschützer, Expertinnen im
                                           schaften. Beispielweise wird im Liba-     Kulturbereich und andere, die Pro-
                                           non die Organisation Fighters for         jekte im Rahmen des Programms
                                           Peace unterstützt. Sie besteht aus ehe­   „Ausbau der Zusammenarbeit mit
                                           ­maligen Kämpfern mit verschiedenen       der Zivilgesellschaft in den Ländern
                                           politischen und religiösen Hinter-        der Östlichen Partnerschaft und
                                           gründen, die öffentlich für eine Kul-     Russland“ des Auswärtigen Amts
                                           tur des Friedens und der Versöhnung       umsetzen.
                                           im Libanon eintreten. Im Dialog mit
                                           Jugendlichen sollen diese von der Ab­­­   • Forschungsprogramm
                                           kehr von Gewalt überzeugt werden.         Im Rahmen des ifa-Forschungs­
                                                                                     programms fand in Berlin ein Work-
                                           • Humanitäre Hilfe                        shop zum Friedenspotenzial nicht-­
                                           Im Rahmen des ifa-Förderprogramms         abrahamitischer Religionen statt.
                                           werden ausgewählte Partnerorgani-         Außerdem befasste sich eine Podiums­
                                           sationen im In- und Ausland beraten,      diskussion auf der Frankfurter Buch-
                                           um Menschen zu helfen, die durch          messe mit dem Thema Religion. Bei
                                           Naturkatastrophen, Krisen, bewaff-        dieser Veranstaltung „Macht Religion
                                           nete Konflikte oder andere Ursachen       Politik?“ debattierten Friedens- und
                                           in akute Not geraten sind. Aktuelle       Konfliktforscher Prof. Dr. Andreas
                                           Projektbeispiele sind hierbei die Hilfe   Hasenclever vom Institut für Politik-
                                           nach den Überschwemmungen und             wissenschaft Tübingen, der Bereichs-
                                           Erdrutschen Anfang April 2017 in          leiter Frieden der Stiftung Weltethos,
                                           Kolumbien sowie den Erdrutschen           Dr. Markus Weingardt und der Re­­
                                           im August 2017 in Freetown, Sierra        daktionsleiter von Qantara.de, Loay
                                           Leone. Beim Klimaphänomen                 Mudhoon, ob Religionen zur Lösung
                                           „El Niño Costero“ 2017 in Peru finan-     politischer Konflikte beitragen können.
                                           zierte und begleitete das ifa-Förder-
                                           programm Hilfsaktionen, welche das
                                           gesamte Spektrum humanitärer
                                           Soforthilfe abdeckten.

                                                                                                                          15
DIALOG DER ZIVILGESELLSCHAFT

7 Städte – 7 Geschichten:
Die CrossCulture Tour 2017

Von April bis Oktober tourten sieben
Alumni des CrossCulture Programms
(CCP) mit ihren Projekten durch
Deutschland: In sieben Städten mach-
ten sie grenzenlosen Austausch zwi-
schen Menschen und Kulturen erfahr-
bar. Unterstützt wurden die Alumni
von Partnerorganisationen des ifa,
die als Co-Veranstalter die jeweiligen
Tourstationen mitgestalteten.               „Syrian Elsewhere“, Freiburg, 23.4.–30.4.
                                             In Kooperation mit: AMICA e. V.

                                            Den Auftakt der CrossCulture Tour markierte Rula Asad, die gemeinsam
                                            mit dem Fotografen Mohan Dehne von Identitäten geflüchteter Syrerinnen
                                            und Syrer in Europa erzählte. Porträts, Videointerviews und ein Buch be­­­
                                            schrieben Erfahrungen der Menschen in ihrer neuen Umgebung.

                                                                 „Lady Dada Kalam“, Berlin, 29.6.–2.7.
                                                                 	In Kooperation mit: A. S. Bruckstein Çoruh,
                                                                  Taswir-Projects

                                                                 Bei der Ausstellungs-Performance durchmischten sich
                                                                 verschiedene Formate, in denen zeitgenössische,
                                                                 antike, exotische und heimische Objekte üblicherweise
                                                                 gezeigt werden. Gleich drei ifa-Alumnae waren an der
                                                                 Ausstellung beteiligt: Huma Sherzai (Afghanistan),
                                                                 Huda Al-Janabi (Irak) und Friederike Ruf (Deutschland).

 „Dabkeh Flash Mobs“, Bremen, 28.5.–3.6.
 	In Kooperation mit: Jugendbildungsstätte
     „LidiceHaus“
 Osama Awwad, Tänzer aus Bethlehem, wusste mit
 seinem siebenköpfigen Tanzensemble die Bremer
 Zuschauer mit dem arabischen Folkloretanz Dabkeh
 zu überraschen. Die spontanen Tanzeinlagen fanden
 an öffentlichen Orten statt, darunter Bahnhöfen oder
 Einkaufsstraßen.

16
„Celebrating Diversity“, Nürnberg, 13.7.
	In Kooperation mit: Nürnberger Menschenrechts­
 zentrum, Terre Des Femmes Nürnberg

Die Podiumsveranstaltung der Sudanesin Jumana Elt-        „Die Lebendige Bibliothek“, Stuttgart, 7.9.
gani zeigte, dass es Wege abseits des populistischen      	In Kooperation mit: ifa-Bibliothek, Stuttgart
Rückwärtsgangs geben kann. Argumente für ihre Sicht
auf eine pluralistische Gesellschaft erfuhren Zuschauer   Bei der Lebendigen Bibliothek, initiiert von Katharina
durch drei Podiumsgäste bei der gemeinschaftlich          Merz, wurde die Diversität von Menschen im Dialog
organisierten Veranstaltung in Nürnberg.                  erlebbar. Jeder interessierte Leser konnte sich ein „Buch“
                                                          ausleihen und lesen. Die Besonderheit: Die Bücher
                                                          waren echte Menschen, die neben ihrem Fachwissen
                                                          und ihren Geschichten auch ihre eigenen Identitäten
                                                          mitbrachten.

                                                          „Theater der Unterdrückten“, Dresden, 10.9.
                                                          	In Kooperation mit: HELLERAU – Europäisches Zent-
                                                           rum der Künste Dresden

                                                          Im Beitrag der Iranerin Ramshid Rashidpour verband
                                                          sich politische Bewusstseinsbildung mit befreiender
                                                          Pädagogik. Wohin die Theaterreise des iranisch-deut-
                                                          schen Ensembles führte, blieb offen. Denn die Entwick-
                                                          lung und Inhalte des Theaterstücks wurden maßgebend
„Freedom of Expression – A Cultural Difference“,         von den Zuschauern bestimmt.
 25.10.
	In Kooperation mit: Deutsche Welle, Redaktion Urdu

Debatten um Meinungsfreiheit, Satire und ihre Grenzen
prägen den europäisch-islamischen Kulturdialog seit
vielen Jahren. Gemeinsam mit seinen Podiumsgästen
ging der pakistanische CCP-Alumnus Abdul Rauf
Anjum auf die Suche nach Antworten: Gibt es typisch
islamische Narrative, wenn es um das Thema Meinungs-
freiheit geht? Wo liegen Gemeinsamkeiten? Wo Gegen-
sätze?

                                                                                                                   17
A U S G E WÄ H LT E P R O J E K T E

• Total Glokal.                         • Akteursforum Jugendstrategie
 Stuttgarter Weltgespräche               Diese Fortbildungsveranstaltung in
Die in 2017 gestartete Veranstaltungs-   Stuttgart diskutierte und vermittelte
reihe greift aktuelle Fragestellungen    Strategien der Selbstorganisation für
zu den Wechselwirkungen von              Jugendverbände und -gruppen der
globalen und lokalen Entwicklungen       deutschen Minderheit in Mittelost-
auf und bietet Raum für Diskussionen     und Südosteuropa sowie den GUS-­
zwischen internationalen Experten,       Staaten. Fachleute, Akteure und
regionlen Akteuren und dem Publi-        Jugendliche kamen zusammen, um
kum vor Ort. Im vergangenen Jahr         sich zu aktuellen Themen und Trends
fanden Veranstaltungen zu den The-       der Jugendbildung, -förderung und
men „Lernende Stadt – Lernen in der      -partizipation auszutauschen, neue
Stadt“, dem öffentlichen Umgang mit      Denkmuster kennenzulernen und
der Flüchtlingsthematik, den Vorstel-    Perspektiven zu wechseln.
lungen von „Wir“ in der afrikanischen
Kinderliteratur, und zur kritischen      • Quo vadis, Europa? Die Rolle der
Auseinandersetzung mit dem west­          Zivilgesellschaft
lichen Begriff der Moderne statt.        Was bedeutet Europa für uns?
Mit dem Publikum diskutierten            Welche Aufgabe haben wir als Zivil-
dabei unter anderem Nikita Dhawan,       gesellschaft? Wie gehen wir mit den
Ken’ichi Mishima, Robert Muponde,        aktuellen Herausforderungen um?
Daniele Vieira und Timo Aarrevaara.      Mit diesen und weiteren Fragen
                                         beschäftigten sich die Alumni des
• Deutsch-chinesisches Forum            Bereichs „Integration und Medien“
 „Kulturelle Bildung und Digitalisie-    während einem zweitägigen Seminar
 rung“                                   in Berlin. Darüber hinaus wurden im
Der deutsch-chinesische Austausch        Rahmen eines Open Space neue Pro-
zum Thema „Kulturelle Bildung und        jekte entwickelt und Netzwerke
Digitalisierung“ befasste sich Ende      gestärkt.
November mit der Frage nach der
Bedeutung und den Folgen der             • Civic – „Shaping Neighbourhood“
Digitalisierung für die Kulturelle       Das Planspiel „Shaping Neighbour-
Bildung in Deutschland und China.        hood“ eröffnet Teilnehmerinnen und
Dazu wurde ein transkultureller          Teilnehmern neue Denkalternativen
Fachdialog zwischen Wissenschaft-        für den europäischen Kontinent und
lern und Praktikern aus China und        verdeutlicht, welche entscheidende
Deutschland organisiert. Das Projekt     Rolle, der Prozess der Partizipation
wurde von der Stiftung Mercator          in der europäischen Nachbarschaft
gefördert und fand in Kooperation        innehat. Interaktiv und praxisnah führt
mit der China Soong Ching Ling           die Spielsimulation an die Bedeutsam-
Stiftung statt.                          keit eines friedlichen und respektvol-
                                         len Miteinanderlebens in Europa
                                         heran. An insgesamt zehn verschie-
                                         denen Orten in Armenien, Georgien,
                                         Moldawien und der Ukraine wurde
                                         das Projekt im Jahr 2017 in Koopera-
                                         tion mit Auswärtigen Amt durchge-
                                         führt.

18
FLUCHT
U N D M I G R A-
TION

              19
F L U C H T U N D M I G R AT I O N

Mit Kunst gegen Blockaden

Philipp Mausshardt

Als Sally Elgizouli im April 2017 eine    Sally fragt sich seit Langem, was mit    Als Sally das erzählt, sitzt sie im
Mail vom Leiter des Goethe-Instituts      Geflüchteten geschieht, die nur kurz     Wohn­­zimmer einer Stuttgarter
in Khartum (Sudan) erhält, arbeitet sie   im Sudan einen Zwischenstopp             Wohngruppe für männliche Jugendli-
gerade im Traumazentrum der Ahfad-­       ein­legen, um weiterzufliehen nach       che, unter denen sich auch unbeglei-
Frauen-Universität. Sie ent­wickelt       Europa, in die USA oder in ein           tete minderjährige Geflüchtete befin-
dort eine neue Methode für Kinder         benachbartes afrikanisches Land, das     den. Sallys Aufenthalt in der Einrich-
und Jugendliche, mit der sie durch        ihnen eine bessere Perspektive bietet.   tung St. Josef gGmbH neigt sich
künstlerische Ausdrucksformen ihre        Wie geht es ihnen dort? Wer kümmert      schon dem Ende zu. Fast drei Monate
traumatischen Erlebnisse bearbeiten       sich um sie? Rund eine halbe Millionen   hat sie bei der von Franziskanerinnen
können. Die Mail macht sie neu­­gierig:   Menschen leben derzeit vorwiegend        gegründeten Organisation den
Ob sie Interesse an einem interkultu-     in Camps der UN-Flüchtlingsorgani-       Umgang mit Jugendlichen beobachtet
rellen Programm zur Flüchtlingsarbeit     sation UNHCR im Sudan, und fast          – nicht nur von Geflüchteten, sondern
habe – in Deutschland würden dazu         noch einmal viermal so viele, mehr       auch von deutschen Heranwachsen-
gerade einige Stipendien vergeben.        als zwei Millionen Menschen, gelten      den, die mit unterschiedlichen Prob-
                                          als Vertriebene im eigenen Land, als     lemen zu kämpfen haben. Vor allem
                                          „Internally Displaced Persons (IDP)“.    ein Wort fällt häufig, wenn sie über
                                                                                   ihre Erfahrungen spricht: „Interven-
                                          Aus beiden Gruppen hat Sally Elgi-       tion“. „Diese Methode, jeden Jugend-
                                          zouli in den letzten Jahren Patienten    lichen als Individuum zu sehen und
                                          behandelt. Vor allem Frauen, Kinder      auf seine speziellen Bedürfnisse ein-
                                          und Jugendliche, die keine Worte         zugehen, hat mich beeindruckt. Das
                                          mehr fanden für das, was sie erlebt      nehme ich mit.“
                                          hatten. Es waren Flüchtlinge aus
                                          Syrien, Eritrea, Äthiopien, dem Süd-­    In den Gesprächen mit jungen
                                          Sudan, aber auch Sudanesen, die          Geflüchteten habe sie aber auch fest-
                                          durch ethnische Konflikte im eigenen     gestellt, wie wichtig es ist, die kultu-
                                          Land vertrieben worden waren.            rellen Hintergründe der Jugendlichen
                                                                                   zu kennen und zu verstehen. Zum
                                          „Als ich die Mail vom Goethe-Institut    Beispiel bei Mohamed, der vor zwei
                                          las, wusste ich sofort: Das muss ich     Jahren als unbegleiteter Minder­
                                          machen“, sagt Sally Elgizouli. Das       jähriger nach einer traumatischen
                                          CrossCulture Programm CCP Flucht         Flucht aus Syrien schließlich in Stutt-
                                          und Migration des ifa, auf das sich      gart landete. „Es war für mich als
                                          die Mail bezog, schien wie maßge-        Muslimin vielleicht etwas einfacher,
                                          schneidert auf sie.                      zu ihm und anderen arabischen
                                                                                   Jugendlichen mit einem ähnlichen
                                                                                   Schicksal ein Vertrauensverhältnis
                                                                                   aufzubauen.“

20
A U S G E WÄ H LT E P R O J E K T E

Dabei hat es Sally zu keinem Zeit-         Methode arbeiten, über künstlerische      Stipendiaten der Auslandsaufenthalt
punkt als Einschränkung empfunden,         Ausdrucksformen die inneren               in einer gastgebenden Organisation
dass sie als Muslimin in einer christli-   Blockaden ihrer Patienten aufzubre-       ermöglicht. Weitere Porträts befinden
chen Organisation ihr Praktikum            chen. Dazu bringt Sally auch Erfah-       sich auf der Webseite des ifa unter www.
absolvierte. „Religion war kein            rungen aus der eigenen Familie mit.       ifa.de/themen/flucht-und-migration.html.
Thema, hier ist man offen für alle“,       Ihr Vater ist Kunst-Dozent an der         Das Förderprogramm CCP Flucht und
sagt sie. Gerade das Zusammenleben         Ahfad-Frauen-Universität von Khar-        Migration wurde im Dezember 2017
so vieler junger Menschen mit kultu-       tum, ihre Mutter arbeitet mit Kindern     beendet.
rell ganz verschiedenen Hintergrün-        aus schwierigen sozialen Verhältnis-
den hat sie fasziniert. Diese Erfahrung    sen. Durch das Stipendium konnte          • Filmscreenings und Workshops
will sie mitnehmen, wenn sie nach          sie ein breites Netzwerk auch mit          in der ifa-Galerie Stuttgart
einem kurzen Berlin-Aufenthalt             Migrationsexperten anderer Länder         Im vergangenen Jahr fanden in der
Anfang Dezember zurück in den              aufbauen. Es ist ihr wichtig, dieses      ifa-Galerie Stuttgart verschiedene
Sudan fliegt.                              an ihrem Institut in Khartum weiter       Veranstaltungen unter dem Themen­
                                           zu pflegen.                               schwerpunkt Migration und Identität
Auch für ihre Gast-Organisation, die                                                 statt. Gemeinsam mit dem Stuttgarter
gemeinnützige St.-Josefs-Gesellschaft,     „See you again und good luck“,            Filmwinter-Festival for Expanded
war die Zusammenarbeit mit der             wünscht sie ihrer Kurzzeit-Betreuerin     Media startete eine Filmreihe zum
sudanesischen Trauma-Expertin eine         zum Ab­schied. Dann schwingt sich         Thema Migration und Identität mit
neue Erfahrung. Stella Gellner vom         Sally ihren langen Wollschal um den       anschließender Diskussionsrunde.
Therapeutischen Fachdienst fand den        Hals und geht winkend in den kalten       Des Weiteren wurden für den Verein
Austausch mit ihrer afrikanischen          Wintertag hinaus.                         für Internationale Jugendarbeit (VIJ)
Kollegin spannend: „Aufschlussreich                                                  und interessierte Jugendliche
war es vor allem in Be­­­zug auf die       Das Förderprogramm CCP Flucht und         Workshops mit dem Künstler Hart-
Materialien in der Trauma- und Kunst­      Migration war eine Erweiterung des        mut Landauer zu den Ausstellungen
­therapie, die interkulturellen Schnitt-   CrossCulture Programms (CCP) des ifa      „Zwischen Sonne und Mond – Studio
stellen und Unterschiede. Sally hat        und wurde vom Auswärtigen Amt ge­­        Mumbai architects“ und „Eine Welt
außerdem mit Jugendlichen ein Pro-         fördert. Damit wurde die Vernetzung,      in der Stadt. Zoologische und botani-
jekt durchgeführt zum Thema Um­            fachliche Weiterbildung und der Aus­      sche Gärten“ angeboten.
gang mit Konflikten, in dem auch           tausch zwischen Akteuren der Flücht­
theatertherapeutische Ideen integriert     lings- und Migrationsarbeit ermöglicht.
waren. Insgesamt eine gelungene            Im vergangenen Jahr lag der regionale
Zusammenarbeit und tolle Erfahrung         Fokus auf afrikanischen Ländern entlang
– sowohl persönlich als auch fachlich.“    der Flucht- und Migrationsrouten zum
Doch jetzt muss sich Sally erst einmal     Mittelmeer. Teilnehmende Länder waren
von ihren jungen Schützlingen der          Deutschland, Äthiopien, Elfenbeinküste,
Stuttgarter Wohngruppe verabschie-         Gambia, Guinea, Mali, Niger, Nigeria,
den. Sie haben sich mit ihr zum            Senegal, Sudan, Tschad und Uganda.
Kaffee­trinken verabredet, Tee, Kaffee     Für einen Zeitraum von mindestens fünf
und Käsekuchen stehen auf dem              Wochen bis zu drei Monaten wurden
Tisch, und das Verständigungspro-          Mitarbeitende von Nichtregierungs­
blem wird durch Englisch überwun-          organisationen, Regierungsstellen und
den. Sally und die Jugendlichen im         internationalen Organisationen bei
Alter zwischen 14 und 20 Jahren            ihrem berufsspezifischen Auslandsauf­
sprechen es fast fehlerfrei.               enthalt mit den Schwerpunkten Migrati­
                                           onsmanagement und Bearbeitung von
Zurück im Sudan warten nicht weni-         Flucht­ursachen gefördert.
ger Aufgaben auf die junge Trauma­         Neben Sally Elgizouli wurde zweiund­
spezialistin. Sie will weiter an einer     zwanzig weiteren Stipendiatinnen und

                                                                                                                             21
KUNST UND
K U LT U R -
A U S TA U S C H

22
Pure Gold – Upcycled! Upgraded!

                                         Henrike Hoffmann und Paula Kohlmann

Was in westlichen Industrienationen      In Pure Gold – Upcycled! Upgraded!        Umdenken beitragen“, so der Kura-
als „Müll“ angesehen wird, ist für       stellen die Kuratorinnen und Kura­        tor Volker Albus.
eine große Mehrheit der Weltbevöl-       toren eine neue globale Generation
kerung Ressource und tagtägliches        ökologisch und ethisch nachhaltig         Die Tourneeführung orientiert sich
Handelsgut. Die Lebenszyklen von         agierender Designerinnen und Desig-       dabei an den Regionen der außer­
Produkten zu verlängern, ist schlicht    ner vor und versammeln multipers-         europäischen Kuratorinnen und
eine Überlebensstrategie, so die         pektivisch Lösungsansätze für ein         Kuratoren, die als Spezialisten auch
Brasilianerin Adélia Borges aus São      gravierendes Problem der Gegenwart:       oft an Universitäten tätig sind und
Paulo bei einer Konferenz des ifa.       Müll und seine Verarbeitung.              als Multiplikatoren im Rahmen der
So lässt sich kurz die Idee der neuen    Das Thema „Upcycling“, also die           Vorbereitungen vor Ort die Vernet-
ifa-Ausstellung Pure Gold – Upcycled!    Wiederverwendung von bereits ver-         zung mit Universitäten und Studie-
Upgraded!, die 2017 im Museum für        arbeitetem Material als Rohstoff für      renden, mit der lokalen Maker-Szene
Kunst und Gewerbe in Hamburg             neue, hochwertigere und ästhetisch        und Design­büros anbahnen. Sie tref-
Premiere hatte, zusammenfassen.          gearbeitete Objekte, schärft den Blick    fen außerdem die Auswahl lokaler
Pure Gold – Upcycled! Upgraded! wird     für alternative Produktionstechniken      Designerinnen und Designer für die
in den kommenden zehn Jahren an          und lenkt ihn dabei auf zeitgenössische   Ausstellung.
voraussichtlich 20 Standorten weltweit   europäische und außereuropäische
gezeigt und sich dabei kontinuierlich    Designentwicklungen. Die Entwürfe         Das Ausstellungsformat, für das Kura­­­
verändern.                               verwenden scheinbar minderwertige         torinnen und Kuratoren aus sieben
                                         Ausgangsmaterialien, kombinieren          Regionen insgesamt 53 Designerinnen
                                         auf unkonventionelle Weise verschie-      und Designer mit 76 Arbeiten zur
                                         denartige Objekte oder verarbeiten        Thematik „Upcycling“ vorstellen,
                                         ungewollte Nebenprodukte schöpfe-         gliedert sich in drei maßgebende
                                         risch weiter.                             Bestandteile: eine Tournee­ausstellung,
                                                                                   Workshops an den Ausstellungsorten
                                         „Unsere Konsumgesellschaft funktio-       und eine digitale Plattform. Den Kern
                                         niert nach dem Prinzip des Begehrens.     bildet die von Volker Albus (Europa)
                                         Diese Ausstellung will nicht pädago-      initiierte und mit den Kuratoren und
                                         gisch sein, sondern setzt auf die         Kuratorinnen Adélia Borges (Südame-
                                         ästhetische Überzeugungskraft der         rika), Tapiwa Matsinde (Subsahara-­
                                         gezeigten Beispiele. Aus diesem           Afrika), Divia Patel (Südasien), Bahia
                                         Grund wurde auch der Ausstellungs-        Shehab (Nordafrika/Nahost), Eggarat
                                         titel Pure Gold gewählt. Die Objekte      Wongcharit (Südostasien) und Zhang
                                         bedienen sich nicht mehr der Methode      Jie (Ostasien) konzipierte Tournee-
                                         des Bastelns oder der Bricolage, son-     ausstellung, die an jedem Ausstel-
                                         dern sind etwas Neues, handwerklich       lungsort um Arbeiten lokaler Desig-
                                         präzise Verarbeitetes, sind Finessen.     nerinnen und Designer ergänzt wird.
                                         Eine Ausstellung, die nicht erziehe-      Dazu konzipierte Axel Kufus ausstel-
                                         risch argumentiert, kann besser zum       lungsbegleitende Workshops mit

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K U N S T U N D K U LT U ­R A U S TA U S C H

lokalen Maker-Szenen und Hochschu-             In den Hands-on-Workshops, die die
len thematisieren lokale Herausforde-          Ausstellung auf ihrer Tournee beglei-
rungen und Upcyclingtechniken.                 ten, wird zunächst herausgefunden,
Hintergrundinformationen zum Kon-              was sich bereits mit den einfachsten
zept, Akteuren und Ergebnissen wer-            Utensilien machen lässt. Die nächste
den kontinuierlich auf der digitalen           Stufe der Workshops widmet sich den
Plattform puregold.ifa.de gesammelt            Feinheiten. Maker, die diese Work-       Eine Besonderheit sind die mit den
und weltweit zugänglich gemacht.               shops für ihre Pionierarbeit nutzen,     Studierenden erstellten „Instructables“
                                               können dabei eine ganz andere            – Videos, die auf der Plattform zu
                                               Klientel ansprechen, für die Design,     sehen sind und ein großes Archiv an
                                               in Form schon gezielt aufbereiteter      Upcycling-­Strategien weltweit bilden.
                                               Rezepturen, als Orientierung dienen      Fragestellungen, Wahrnehmungen
                                               kann. Upcycling ist ein Bottom-up-­      und Ästhetiken können flexibel auf-
                                               Prozess. Hier kann Design zeigen,        genommen und diskutiert werden.
                                               dass es nicht nur von oben nach          Durch die sozialen Medien schafft
                                               unten in Richtung Verbrauch geht,        die Plattform einen digitalen Reflexi-
                                               sondern auch von unten nach oben         onsraum für globalen Dialog und
                                               wirken kann. Das bringt das Upgra-       Kreativität weltweit.
                                               ding auf den Punkt: Es ist dezentral,
                                               hat ein Lokalkolorit, das genutzt        Die internationale Konferenz Trash it?
                                               werden soll, anstatt statisch verstan-   Burn It? Use It! Rubbish Dump or
                                               den zu werden“, so der Designer          Workshop? Creative Approaches to Trash
„Beim Upcycling geht es nicht nur um           Axel Kufus.                              in Kooperation mit dem MKG thema-
den Umgang mit energetischen, son-                                                      tisierte die Strukturen einer globali-
dern auch mit symbolischen Werten.             Eine Auswahl der bei den Workshops       sierten Konsumgesellschaft mit ihren
Aufmerksamkeit für das, was wir an             entstandenen Upcycling-Objekte           unübersehbaren ökologischen Folge-
Bestand längst haben, indem wir ihn            wurde in die Ausstellung im Museum       erscheinungen.
durch Umnutzen, Weiternutzen und               für Kunst und Gewerbe (MKG) Ham-         Diskutiert wurden Lösungsansätze
Rekombinieren neuen Bedeutungen,               burg mit aufgenommen. So wurde           zur Müllvermeidung sowie zur Ver-
neuen Gebrauchswerten und neuen                der partizipative und kollaborative      und Aufwertung von Abfallprodukten.
Symbolwerten zuführen.                         Charakter des Projekts auf musealer      Die Kuratorinnen und Kuratoren
                                               Ebene deutlich. Doch nicht nur die       sowie Experten aus den Bereichen
                                               Endprodukte, sondern insbesondere        Umwelt, Forschung und Kreativ­
                                               die Entstehungsprozesse spielen in       wirtschaft führten in Keynotes in die
                                               einem neuen Designbegriff eine Rolle,    vielschichtige Thematik ein.
                                               der ökonomische Prozesse kritisch
                                               hinterfragt und einen verantwortungs­
                                               vollen Umgang mit Ressourcen fordert
                                               und fördert.

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A U S G E WÄ H LT E P R O J E K T E

                                                                                  •   Kunstförderung
                                                                                  Über die Ausstellungsförderung
                                                                                  unterstützt das ifa Vorhaben deutscher
                                                                                  und in Deutschland lebender Künst-
                                                                                  lerinnen und Künstler im Ausland.
                                                                                  Das Programm Künstlerkontakte
Als offene Plattform für Gestalterin-                                             fördert die internationale Zusammen­
nen und Gestalter, für die Maker-         • Goldener Löwe für den Deutschen      arbeit deutscher und ausländischer
Szene und die Zivilgesellschaft bot        Pavillon mit Anne Imhof                Kulturschaffender. Die Rave­­
die Konferenz zudem Workshops,            Bereits zum sechsten Mal wurde der      Stipendien für Nachwuchskräfte aus
interaktive Diskurs- und Aktions­         Länderbeitrag Deutschlands im ver-      Entwicklungs- und Transformations-
formate sowie Möglichkeiten der Ver­­     gangenen Jahr auf der Biennale in       ländern ermöglichen Aufenthalte an
netzung.                                  Venedig durch eine internationale       Museen, Galerien u. ä. in Deutschland.
                                          Jury mit dem Goldenen Löwen aus-        Die kommentierte Linksammlung
Dabei wurde der sichtbare ko-krea-        gezeichnet. Mit dem Preis wurde die     „Artguide Germany“ stellt die Kunst-
tive Ansatz live erlebbar: Aus allen      Arbeit „Faust“ der Künstlerin Anne      landschaft Deutschlands vor.
Regionen der Welt stellten die Ko­­-      Imhof (Kuratorin: Susanne Pfeffer)
Kuratorinnen und -Kuratoren in einer      im Deutschen Pavillon gewürdigt.
„Welt­­reise“ die jeweilige Situation     Seit 1971 koordiniert das ifa im Auf-
zum Um­­gang mit Ressourcen, zum          trag des Auswärtigen Amts erfolg-
Problem der Vermüllung und zu den         reich den deutschen Länderbeitrag
Methoden, welche Design als Lösungs-      für die Kunstschau.
ansätze anbietet, dar.
Besonders beeindruckend waren die         • FABRIK auf Tournee
gleichzeitige Vielseitigkeit und Paral-   Das Ausstellungsprojekt „FABRIK“
lelität der regionalen Expertisen, der    sandte die künstlerische Besatzung
lokalen Wissensbestände und der           des Deutschen Pavillons 2015 der
Nutzung von neuen Technologien in         Biennale di Venezia auf die Reise.      • Contemporary And (C&)
den jeweiligen Ländern. Mit der Kon-      Die Arbeiten von Hito Steyerl, Tobias   Das kritische Onlinemagazin zu
ferenz wurde ein Startschuss gesetzt      Zielony, Jasmina Metwaly/Philip         Themen und Informationen zeit­
für den Aufbau eines globalen Netz-       Rizk und Olaf Nicolai setzen sich mit   genössischer Kunstpraxis aus afrika-
werks, das zusätzlich zur Tournee-        dem oft geübten Begriff der Partizi-    nischen Perspektiven, das vom ifa
ausstellung und zum digitalen             pation, der Teilhabe des Einzelnen an   publiziert wird, bietet fundierte Ein-
Wissensspeicher der Website als Basis     sozialen Prozessen und politischer      blicke in die afrikanische Kunstszene.
für eine gemeinsame Wertschätzung         Repräsentation auseinander.             Die siebte Printausgabe mit einer
unserer Ressourcen dient.                 Premiere war im März 2017 in Beirut.    Auflage von 12.000 Exemplaren
                                                                                  erschien während der documenta 14.
                                          • Under the Mango Tree –
                                           Sites of Learning                      • New Narratives
                                          In Kooperation mit „eine Erfahrung”     In Kooperation mit der Akademie
                                          der documenta 14 initiierte das ifa     Schloss Solitude, dem Schauspiel
                                          eine Zusammenkunft in Kassel, bei       Stuttgart, der Staatlichen Akademie
                                          der neue Formen des Lernens disku-      der Bildenden Künste, dem Theater
                                          tiert wurden. Dabei standen der         Rampe, dem Württembergischen
                                          Dialog zu historischen und aktuellen    Kunstverein Stuttgart und dem ifa
                                          Veränderungen von Bildungskonzep-       fand unter dem Titel „New Narratives“
                                          ten sowie das Zusammenfließen           ein „Gipfeltreffen“ statt, das sich mit
                                          verschiedener Ansätze von Wissens­      alternativen Ansätzen zum neolibera-
                                          produktion im Mittelpunkt.              len Finanzkapitalismus beschäftigte.

                                                                                                                       25
AUSSTELLUNGEN 2017

Ausstellungen
in den ifa-Galerien
- In the carpet/Über den Teppich [1]
- Mit anderen Augen. Deutschland in
 den 1960er Jahren – Fotografien von
 Johannes Haile [2]
- #Sommerstudio … das weiß nur
 der Dschungel
- Studio Mumbai Architects.
 Zwischen Sonne und Mond. [3]
- Untie to Tie – Über koloniale
 Vermächtnisse und zeitgenössische
 Gesellschaften [4]
- Eine Welt in der Stadt: Zoologische
 und botanische Gärten [5]                1

 2                                        3   5

Ausstellungsförderung
Durch Übernahme von Transport-
und Reisekosten sowie Mietkosten für
technische Gerätschaften wurden
70 Ausstellungsprojekte mit 161 Künst­
lerinnen und Künstlern im Ausland
gefördert, darunter folgende Biennalen:
Venedig, Istanbul, Karachi, Shanghai,
Lubumbashi, Thessaloniki, Island,
Jakarta, Göteborg, Lagos                  4

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Sie können auch lesen