PUNKT. Schadenfrei durch das Labyrinth der Verordnungen - KV Hessen
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AUF DEN PUNKT. Das Servicemagazin für unsere Mitglieder Nr. 6 / Dez. 2020 Schadenfrei durch das Labyrinth der Verordnungen Seite 14 Wie viel Corona verträgt die Substitution? Seite 7 info.service Offizielle Bekanntmachungen Seite 22
INHALT STANDPUNKT Winter is coming 3 AKTUELLES Vertreterversammlung geht auf Abstand 4 Wie viel Corona verträgt die Substitution? 7 Grippesymptome? Immer zuerst die 116117 anrufen 12 Pandemieplanung in der Arztpraxis 13 TITELTHEMA Schadenfrei durch das Labyrinth der Verordnungen 14 2022 kommt das E-Rezept! 16 Auffrischung oder Basiswissen für Mediziner 18 Weniger Bürokratie mit der neuen Heilmittel-Richtlinie 19 Sicherheitscheck bei Praxisbesonderheiten und Impfungen 22 Über das Rezeptformular den Sprechstundenbedarf bestellen 23 Tipps, um Rezepte richtig auszufüllen 24 Frühe Nutzenbewertung unter www.kvhaktuell.de oder in der Praxissoftware 26 Experten für Ihre Fragen zu Verordnungen 27 Das Labyrinth der drei Regressarten entwirren 28 GUT INFORMIERT Blaupause erstellen für eigene Praxis mit der App PRAXISRAUM 30 Cyberkriminalität – eine zweite Pandemie? 32 Praxishacking: Bedrohung ernst nehmen 36 QUALITÄT Qualitätsmanagement hat hohen Stellenwert 38 PRAXISTIPPS Karte zu Impfstoffen 40 Wie war das? Fragen aus der Praxis 41 VERANSTALTUNGEN Fortbildungen buchen für 2021 42 SERVICE Ihr Kontakt zu uns/Impressum 43 2 AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020
STANDPUNKT Winter is coming Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, nein, überrascht von der zweiten Welle der Corona- Pandemie konnte niemand sein. So sicher wie im Blockbuster „Game of Thrones“ musste auch allen Po- litikern bewusst sein, dass etwas auf uns zukommen würde. Dass diese Verschärfung so schnell und mit so hoher Dynamik bereits im Oktober/November sicht- bar wurde, hat trotzdem manchen überrascht. Wäh- rend wir diese Zeilen schreiben, befinden wir uns in der ersten Hälfte des November-Lockdowns und na- rapeuten nur bedingt Einfluss haben. Wie sagte Bun- türlich wissen wir nicht, was sich in den nächsten Wo- desgesundheitsminister Jens Spahn so hellsichtig wie chen ereignen wird, bis diese Ausgabe von Auf den salopp vor einigen Monaten: „Wir werden uns nach PUNKT. in den Praxen ankommt. dieser Krise viel zu verzeihen haben.“ Was wir aber wissen, ist, was für eine riesige Heraus- Und damit haben wir eine perfekte Überleitung zu forderung das Jahr 2020, das so normal angefangen Weihnachten. Auch wenn wir im Moment wenig da- hatte, am Ende war und noch ist: verängstigte Pati- rüber wissen, wie Weihnachten 2020 tatsächlich aus- enten, medialer Dauerdruck, Angst vor Ansteckung, sehen wird, wünschen wir Ihnen so viel Normalität Lockdowns und fehlende Schutzkleidung. Diese Auf- wie möglich, so viel Erholung wie nötig, so viel Ge- zählung reicht, um 2020 zu einem „Annus horribi- sundheit wie irgend denkbar und so viel Zuversicht, lis“ zu machen. Und obwohl sich in der Pandemie mit wie wir sie alle für ein besseres 2021 dringend brau- den sehr ermutigenden Nachrichten rund um den im chen. hessischen Randgebiet von der Firma Biontech ent- wickelten Impfstoff Licht am Horizont abzeichnet, ist Beschließen möchten wir dieses letzte Editorial im der Himmel doch überwiegend noch dunkel. Uns ste- Jahr 2020 mit unserem Dank an Sie: Trotz allem ha- hen viel Arbeit und Belastung bevor, bis es hoffentlich ben Sie es geschafft, die ambulante Versorgung in ab dem Frühjahr wieder heller wird und wir Stück für Hessen aufrechtzuerhalten und dafür gebührt Ihnen Stück die Pandemie bewältigen können. unser Respekt und unsere Anerkennung! Wir hoffen, dass Sie in dieser Pandemie spüren, wie Mit besten kollegialen Grüßen, Ihre sehr wir als KV versuchen, Sie in dieser schwierigen Zeit zu begleiten und bestmöglich zu unterstützen. Dass uns dies vielleicht nicht immer gelungen ist, be- dauern wir, liegt aber leider in der Natur der Sache und hat in dem einen oder anderen Fall mit Faktoren Frank Dastych Dr. Eckhard Starke zu tun, auf die wir als Vertragsärzte und -psychothe- Vorstandsvorsitzender stv. Vorstandsvorsitzender AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020 3
AKTUELLES Vertreterversammlung geht auf Abstand Corona sorgt auch bei den Sitzungen der Vertreterversammlung für Premieren. Fand die Juni-Sitzung noch in einem großen Saal eines Frankfurter Hotels statt, wurde der Abstand am 31.10.2020 richtig groß: Die Vertreter trafen sich zu ihrer ersten rein digitalen Sitzung. Wichtigster Tagesordnungspunkt: die Verabschie- dung des Haushaltsvoranschlags für das Jahr 2021. Die wichtigste Nachricht zu Beginn: Nach knapp Meinung: „Schaut man sich die vergangenen Jah- zehn Jahren Beitragssatzstabilität steigt die Verwal- re an, sieht man, dass wir in den letzten Jahren im- tungskostenumlage, die die KV von ihren Mitglie- mer mehr von der Substanz gelebt haben. Das geht dern erhebt, erstmals wieder an. Ab dem 1. Okto- nicht unbegrenzt, zumal die KV Hessen natürlich ber 2020 gilt damit eine Verwaltungskostenumlage auch unter der Entwicklung auf dem Finanzmarkt lei- von 2,64 Prozent, sie steigt moderat um 0,15 Pro- det. Während wir bis vor ein paar Jahren beträchtli- zent. Sowohl Vorstand als auch die Vorsitzen- che Einnahmen aus Zinsen hatten, ist das nun kaum den der Vertreterversammlung bedauerten diesen möglich.“ Dastych lenkte den Blick auch auf die Schritt, doch gebe es dazu keine vernünftige Alter- „Kostentreiber“ im KV-Geschäft. „Wir können noch native: „Ich war dabei, als wir im Jahr 2008 die Re- so seriös wirtschaften: Wenn man uns permanent strukturierung der KV Hessen und die Verwaltungs- neue Aufgaben ohne zusätzliche Finanzierung auf- umlage beschlossen haben, die ab dem Jahr 2011 bürdet, ist irgendwann das Ende der Fahnenstan- galt“, erklärte Dr. Klaus-Wolfgang Richter, der Vor- ge erreicht. Das ist jetzt der Fall. Als Beispiel sei nur sitzende der Vertreterversammlung. „Und ich hatte die Terminservicestelle genannt, die in kleinem Um- gehofft, dass wir diesen Satz noch viele Jahre bei- fang gestartet ist, auf deren Aufgaben aber in den behalten können. Aber angesichts steigender Kos- letzten Jahren immer mehr zusätzliche Aufgaben ge- ten, die vor allem durch neue, gesetzlich verordne- sattelt wurden. Wir haben außerdem einen weite- te Aufgaben nach oben getrieben werden, mussten ren Kostentreiber identifiziert: die Weiterbildung, die wir diese Entscheidung nun treffen.“ Frank Dastych, bei einer Beispielpraxis bei einer Honorarsumme von Vorstandsvorsitzender der KVH, vertrat die gleiche 120.000 Euro für rund zwei Drittel der Steigerung Verwaltungshaushalt Seit dem Quartal IV/2020 hat sich der Verwaltungskostensatz verändert: Neu ab IV/20 = 2,64 Prozent Zudem sind die folgenden Sonderumlagen vorgesehen: • Sonderumlage Arzt in Weiterbildung 0,51 Prozent (vorher 0,31 Prozent) • Fördermittel Sicherstellung 0,20 Prozent (Strukturfonds) • Ärztlicher Bereitschaftsdienst 0,765 Prozent (0,288 Prozent reduziert), maximal 1.500 Euro pro Mitglied/Quartal gemäß Bereitschaftsdienstordnung (BDO) 4 AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020
AKTUELLES In der KV zusammen vor einem großen Screen: die Vorsitzenden der Vertreterversammlung, die Vorstände, der Geschäftsführer und die Geschäftsbereichsleiter. verantwortlich ist. Dieser Befund ist besorgniser der Sitzung der VV begann. Das Positionspapier der regend und auch, wenn wir die Weiterbildung nicht KBV wurde von KV-Chef Frank Dastych als „wichtige zur Disposition stellen können oder wollen: Die fi- Ergänzung“ eingeordnet, wenn er auch die mangel- nanzielle Belastung durch die Weiterbildung ist nicht hafte Kommunikation der KBV im Vorfeld kritisierte: mehr zu stemmen.“ Die Vertreter, die im Oktober „Ich hätte mir an dieser Stelle ein anderes Vorgehen bereits im Rahmen ausführlicher Informationsaben- der KBV gewünscht und dies auch erwartet. Trotz- de mit dem Haushaltsvoranschlag vertraut gemacht dem kann ich die viel behauptete Kontraposition zur worden waren, folgten den Argumenten von Vor- Regierung oder zu Herrn Drosten in dem Papier nicht stand und VV-Spitze und stimmten dem Voranschlag erkennen. Wir sind aus dem Frühjahr nach der ers- einstimmig zu. ten Welle der Pandemie ohne ein funktionsfähiges Langzeitkonzept herausgegangen. Das rächt sich CORONA UND KEIN ENDE nun und umso wichtiger ist nun, diese Diskussion nachzuholen. In diesem Kontext ist das Papier wert- Die Corona-Pandemie bestimmt derzeit das gesell- voll.“ (Siehe Seite 13.) Sehr kritisch nahm Dastych schaftliche Leben und viele Abläufe in den Praxen auch aktuelle Pläne von Bundesgesundheitsminis- und nahm natürlich auch in den Diskussionen der ter Jens Spahn ins Visier, über gesetzliche Änderun- Vertreter breiten Raum ein. Das nur zwei Tage vor- gen im so genannten „Bevölkerungsschutzgesetz“ her unter anderem von der KBV vorgestellte Positi- KVen und ihre Mitglieder im Kontext von Impfungen onspapier mit der Forderung nach einer langlebigen und der Durchführung von Testungen zwangszuver- Pandemiestrategie, gab dabei den Diskussionen eine pflichten. „Wir sehen das außerordentlich kritisch: besondere Aktualität. Gleiches galt für die Regelun- Zum einen ist Zwang immer ein schlechter Antrieb gen zum „Lockdown light“, der nur zwei Tage nach und verträgt sich nicht mit unserem freien Beruf. AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020 5
AKTUELLES Zum anderen lehnen wir Staatsmedizin ab. Und zu- Ende die Vertreter mit großer Mehrheit eine Resolu- letzt zeigt das Beispiel aus Bayern im Frühjahr, dass tion – „Für bürokratischen Mehraufwand bleibt kei- durch eine zentralistische Gesundheitsversorgung ne Zeit mehr!“ – verabschiedeten und mit ihr Bun- nichts, aber auch gar nichts besser wird.“ desgesundheitsminister Jens Spahn aufforderten, in Sachen Bürokratie auf die Bremse zu treten. NOCH MEHR BÜROKRATIE GEFÄHRDET DIE PATIENTENVERSORGUNG CORONA-SCHUTZSCHIRM MILDERT GRÖBSTE VERWERFUNGEN IM 1. QUARTAL AB Lebhaft diskutierten die Vertreter über aktuelle Re- gelungen, die die Bürokratie in den Praxen weiter zu- Der Vorstandsvorsitzende informierte die Vertre- nehmen lassen. Dabei besonders im Fokus: eine ak- ter auch über die Zahl der Praxen, die im ersten tuelle Gesetzesänderung, die zu Diagnoseangaben Quartal Honorarmittel über die Schutzschirmrege- auch auf einem Rezept verpflichtet und als zusätz- lung erhalten haben. Insgesamt erhielten 1.163 licher „Zeitfresser“ empfunden wird. Und die aktuell Praxen eine Ausgleichszahlung. In Summe wurden allein 20 Pseudoziffern, die für die Kennzeichnung 11.155.053,55 Euro Ausgleichszahlung geleistet. von sieben Fallgestaltungen bei der Testung asymp- Die Berechnung der Ausgleichszahlungen Corona- tomatischer Personen von der Kassenärztlichen Bun- Schutzschirm für das 2. Quartal 2020 werde aktuell desvereinigung geschaffen wurden, um die neue durchgeführt und die Beträge werden voraussichtlich Testverordnung aus dem Bundesgesundheitsministe- noch vor Weihnachten ausgezahlt. Eine erste Ab- rium umzusetzen. „Ein solcher bürokratischer Over- schätzung anhand der Leistungsanforderung zeige, kill ist den Praxen nicht mehr vermittelbar“, „man dass diese im Vergleich zum Vorjahresquartal deut- erreicht damit genau das Gegenteil von dem, was lich stärker sinke als in 1/2020. n man will“ – dies waren nur zwei beispielhafte Wort- Karl M. Roth meldungen einer emotionalen Debatte, an deren RESOLUTION DER VV IM WORTLAUT Die VV der KVH appelliert an Gesundheitsminister Spahn: „Für bürokratischen Mehraufwand bleibt keine Zeit mehr!“ „Die neue, nationale Teststrategie ist grundsätzlich der richtige Weg. Es besteht aber im Moment die Gefahr, die Niedergelassenen im Kampf gegen das Coronavirus durch zusätzliche Bürokratisierung zu verlieren. Die Umsetzung der verschiedenen Testvarianten sind kaum mehr vermittelbar, geschweige denn umzusetzen. Auch führen aktuelle Gesetzesänderungen, die sich beispielsweise rund um Dosie- rungsangaben auf Rezepten drehen, zu zusätzlichen Aufwänden in den Praxen. Ihnen, Herr Minister Spahn, muss klar sein, dass die Zeit, die dafür aufgewendet wird, in der Patientenversorgung fehlt, obwohl sie im Moment dringender denn je gebraucht wird. Das Gegenteil ist deshalb das Gebot der Stunde: Wir brauchen – wie im Frühjahr – eine gemeinsame Kraftanstrengung aller Beteiligten. Die Bewältigung der ersten Welle war nur deshalb möglich, weil sich die Niedergelassenen allen Widrig keiten zum Trotz über die Maßen engagiert haben. Als Vertreter der niedergelassenen Ärzte und Psy- chotherapeuten in Hessen appellieren wir an Sie: Lassen Sie uns ohne immer neuere Regelungen die aktuelle gesundheitliche Notlage bekämpfen, Herr Minister! Wir haben alle Hände voll damit zu tun, die Normalversorgung zu sichern. Die Covid-Versorgung und zusätzlich die notwendige Unterstüt- zung des öffentlichen Gesundheitsdienstes sind herausfordernd genug, mehr Bürokratie ist deshalb kontraproduktiv. Unterstützen Sie die Kolleginnen und Kollegen stattdessen in den Praxen, wo Sie nur können. Denken Sie dabei auch an unsere medizinischen Fachangestellten in unseren Praxen und sor- gen Sie bitte an dieser Stelle für die längst überfällige wertschätzende und finanzielle Anerkennung, die Sie anderen, vergleichbaren Berufsgruppen längst gewährt haben.“ 6 AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020
AKTUELLES Wie viel Corona verträgt die Substitution? Das Coronavirus hält die Welt auf Trab und stellt das Gesundheitswesen vor enorme Herausforderungen. Nichtsdestotrotz muss die Routine versorgung weiterhin aufrechterhalten werden. Wie funktioniert das in einem Bereich, in dem die Patienten so sehr auf ihre Routineversorgung angewiesen sind wie in der Substitution? Wir haben einen Blick in die Praxen geworfen und die neuen Regeln schnell eingesehen und aktiv mit- wollten von Substitutionsärzten aus unterschied gemacht. Natürlich haben sich dadurch die Abläu- lichen Regionen und verschiedenen Praxiskonstella fe verlangsamt, aber die Patienten haben die län- tionen erfahren, wie sie und ihre Patienten die letz- geren Wartezeiten erstaunlich gut akzeptiert. Die ten Monate erlebt haben. angebotenen Erleichterungen wie zum Beispiel das Verschicken von BtM-Rezepten haben wir gar nicht Wie haben Sie die Substitutionsversorgung erst eingeführt, da das Zurückfahren solcher Er- während des Lockdowns erlebt? Was lief gut, leichterungen später erhebliches Konfliktpotenzial was nicht? in sich birgt. Die im Vorfeld mit der BtMVV-Novel- Dr. Bernd Weber, Patrick Haan, Dr. Achim Wie- lierung eingeführten Verbesserungen, zum Beispiel felspütz, Dr. Astrid Haan: Es gab in wenig Zeit die 14-Tage-Rezepte, reichten vollkommen aus, um viel umzustellen und anzupassen, zwei der wichtigs- die Lage zu beherrschen. ten Ziele waren der Schutz unseres Teams, der Pra- xis und der Patienten sowie die Aufrechterhaltung Wolfgang Barth: Wir konnten ab dem 15. März unserer Behandlungsqualität. Das war eine zeitliche 2020 eine erstaunliche Entwicklung im Auftreten und logistische Herausforderung zugleich. Das Er- unserer Patienten erfahren, dieses war geprägt von gebnis dieser Umstellungen und Anpassungen hat Disziplin und einer Akzeptanz gegenüber den er- uns sehr zufriedengestellt. Die Patienten haben gut folgten Hygiene- und Schutzmaßnahmen. Es kam in mitgemacht. dem Zeitraum bis zu den ersten offiziellen Locke- rungen zu keinen besonderen Zwischenfällen. Wir Dr. Abdolhamid Zokai: Zunächst gab es eine gro- haben in der Zeit des Lockdowns die Substitutions- ße Verunsicherung und Orientierungslosigkeit. Am versorgung ohne nennenswerte Probleme aufrecht- wichtigsten war es, den Patienten Zuversicht und erhalten können. Sicherheit zu vermitteln. In dieser Krise wurde mir noch deutlicher, dass die Patienten wegen der Kon- Gab es zu Beginn des Lockdowns Probleme mit taktsperren und ihrer dadurch fehlenden psychoso- der Ausstattung Ihrer Praxis/Ambulanz bezüg- zialen Ansprechpartner emotional sehr verunsichert lich des Hygienekonzepts und des Infektions- waren und viele Fragen hatten. schutzes? Andrea Szilagyi: Anfangs gab es große Probleme Dr. Christian Schmidt-Hestermann: Wir haben mit der Bestellung von persönlicher Schutzausrüs- frühzeitig im Februar unseren Pandemieplan akti- tung und Desinfektionsmitteln. Einiges musste ich viert und eine Mund-Nasen-Schutz-Pflicht sowie auf meine Kosten in Apotheken vor Ort kaufen, bis Abstandsregeln eingeführt. Die Patienten haben die Versorgung richtig rund lief. AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020 7
AKTUELLES Dr. Christian Schmidt-Hestermann stellvertretender Vorsitzender der Qualitätssicherungs- kommission Substitution, Facharzt für Allgemeinmedizin Die Methadonambulanz Marburg versorgt in der Universitätsstadt 140 Sub- stitutionspatienten durch eine Allgemeinärztin und einen Allgemeinarzt. Er- gänzt wird das Angebot durch eine angestellte Ärztin mit einer integrierten Psychosozialen Beratung des sozialpsychiatrischen Dienstes des Gesundheits amtes Marburg. Marburg Wolfgang Barth Diplom-Pädagoge Der Drogennotdienst befindet sich als Krisenzen- trum für Drogenabhängige im Frankfurter Bahn- hofsviertel in der Elbestraße 38. Medizinische Grundversorgung, Notschlafbetten für wohnsitz lose Drogenkonsumenten, eine Substitutionsfachambu- lanz für 110 Patienten, Konsumräume, Tagesruhebetten, Straßensozialarbeit und Beratung und Vermittlung in wei- terführende Hilfeangebote gehören zur Aufgabe einer sze- nenahen Überlebenshilfe. Frankfurt Andrea Szilagyi Fachärztin für Allgemeinmedizin Seit Oktober 2019 substituiert Andrea Szilagyi als ermächtigte Ärz- tin in eigener Praxis in einem sozialen Brennpunkt in Darmstadt. Mit der Drogenhilfe „Scentral“ besteht eine Kooperationsverein- barung. Darmstadt 8 AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020
AKTUELLES Dr. Bernd Weber Facharzt für Allgemeinmedizin Patrick Haan Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Achim Wiefelspütz Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Dr. Astrid Haan Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie In der Stadtmitte von Kassel arbeiten eine Ärztin und drei Ärzte aus den Fachrichtungen Allgemeinmedizin, Psychia- trie, Psychotherapie und Neurologie sowie eine qualifizier- ten Drogenberatungsstelle, Quit – Suchtberatung und Prä- vention e. V., unter der Leitung von Geschäftsführerin Iris Weilmünster unter einem Dach. Es werden ca. 360 Patien- ten behandelt, davon bekommen etwa 60 Prozent eine so- genannte „Take-Home-Verordnung“. Kassel Dr. Abdolhamid Zokai Vorsitzender der Qualitätssicherungskommission Substitution, Facharzt für Psychiatrie In der seit 2018 bestehenden Institutsambulanz in Offenbach behandelt ein Team, bestehend aus einem Facharzt für Psychiatrie, einer Dipl. Sozialarbeite- rin mit langjähriger Erfahrung und einer erfahrenen Substitutionsassistentin. Die Mitarbeiter verfügen über fundierte Erfahrungen in der Behandlung von Menschen mit multiplen Abhängigkeitserkrankungen sowie den meist be- gleitend bestehenden psychiatrischen Diagnosebildern. Darüber hinaus wird eine große Zahl abhängiger Menschen mit Migrationshintergrund behandelt. Das Einzugsgebiet erstreckt sich von Fulda über Würzburg bis Biblis. Offenbach AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020 9
AKTUELLES Wolfgang Barth: Die Engpässe bei den Lieferun- Wie haben die Patienten die erweiterte Take- gen von Masken und Desinfektionsmitteln kann Home-Regelung angenommen? ich bestätigen. Durch rasche Intervention der Stadt Dr. Christian Schmidt-Hestermann: Eine erwei- Frankfurt konnten diese allerdings sehr gut aufge- terte Take-Home-Regelung kam bei uns nicht zur fangen werden. Anwendung, weil dies aus unserer Sicht mit zu vie- len Risiken verbunden ist. Dr. Abdolhamid Zokai: Zu Beginn gab es viele Pro- bleme, denn es waren praktisch keine Alkohollösun- Dr. Bernd Weber, Patrick Haan, Dr. Achim Wie- gen und Hygieneartikel oder Masken zu bekommen. felspütz, Dr. Astrid Haan: Da wir die ganze Zeit, Wir hatten glücklicherweise erfinderische Patien- selbst in den Ferien, erweiterte Ausgabezeiten hat- ten, die selbst improvisierend erste selbst gemach- ten, haben wir die erweiterte Take-Home-Regelung te Masken herstellten und auch den anderen Pati- nur in Ausnahmefällen nutzen müssen. enten zur Verfügung stellten. Was mich sehr Wolfgang Barth: Patienten in der erweiterten -32 % stolz machte, war, dass Take-Home-Regelung nahmen diese dankend an, die Patienten von An- wir konnten teilweise eine deutlich unterstützende fang an sehr diszipli- Wirkung im Prozess der Stabilisierung beobachten. niert waren und sich so hoch war der Rückgang der den Hygieneregeln an- Andrea Szilagyi: Die Patienten haben die neu- Abrechnungshäufigkeit der sub- gepasst haben. Auch en Regelungen sehr gut angenommen, fühlten sich stitutionsgestützten Behandlung untereinander waren gesehen und unterstützt. Besonders Patienten mit Opiatabhängiger im 2. Quartal Patienten hilfsbereiter schweren Vorerkrankungen hatten viele Ängste und 2020 gegenüber dem Vorjahres- als zuvor. ich war froh, dass ich ihnen eine Entlastung anbie- quartal. Die Behandlung im Rah- ten konnte. men der Take-Home-Vergabe stieg Dr. Christian Schmidt- hingegen um 6 Prozent. Hestermann: Wir dan- Gab es Patienten, die durch den Wegfall der ken der KV Hessen täglichen Vergabe besonders aufgefangen für die schnelle Ver- werden mussten? sorgung mit FFP2-Masken und Schutzkitteln. Dies Andrea Szilagyi: Es gab einige Patienten, denen hat uns sehr geholfen. Ebenso gilt unser Dank der durch die wöchentliche Take-Home-Vergabe ihre ge- Ärztegenossenschaft Prima, die den Praxen Desin- wohnte Tagesstruktur fehlte. fektionsmittel zur Verfügung stellte, das in der Che- mischen Fakultät der Uni Marburg hergestellt und Dr. Abdolhamid Zokai: Viele abgefüllt wurde. Die Spuckschutzwände haben wir gerieten durch entstehende Ver- selber gebaut. lustängste und die sowieso man- Krisen erfordern besondere Lösungsansätze Infobox Anlässlich der Infektionen entstand zu Beginn der Pandemie in Frankfurt die Sorge um die drogenabhängigen Menschen, die aufgrund ihrer erheblichen Komorbiditä- Dietmar Paul ten eine Hochrisikogruppe darstellen. Diese Menschen verfügen in der Regel nicht über einen geeigneten Wohnraum, in dem eine eventuell notwendige Quarantäne- maßnahme umgesetzt werden könnte. Die Stadt Frankfurt mietete im Gallusviertel ein Hotel an, um Räume vorsorglich bereithalten zu können. In Kooperation mit der Stadt Frankfurt, den Frankfurter Suchthilfeeinrichtungen sowie dem ASB Frankfurt richtete der Bürgerhospital Frank- furt am Main e. V. in den dortigen Räumen eine Substitutionsambulanz ein. Geleitet wird sie von Dietmar Paul, Chefarzt der Klinik für Abhängigkeitserkrankungen am Bürgerhospital, und der Substitutionsambulanz „Grüne Straße“. 10 AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020
AKTUELLES gelnden sozialen Kontakte in Angst oder sogar in Pa- nik, insbesondere Patienten, 33 % mehr therapeutische Gespräche wur- Dr. Bernd Weber, Pa- trick Haan, Dr. Achim Wiefelspütz, Dr. Astrid den durch die substituierenden Ärz- die zuvor schon unter Ängs- Haan: Wir konnten ein te im 2. Quartal 2020 gegenüber dem ten und Phobien litten. Die- wenig mehr Erfahrungen Vorjahresquartal durchgeführt. se Gruppe der Patienten war machen mit erweiterten Die pandemiebedingte Anhebung von sogar bereit, regelmäßiger Regelungen, ausgewei- vier auf acht anrechenbare Gespräche als erforderlich in die Praxis teten Vergabezeiten und findet Anklang. zu kommen, um dadurch ihr individuellen Lösungen, persönliches Sicherheitsge- diese Erfahrungen waren fühl zu erhöhen. hilfreich. Insgesamt sind unsere Patienten flexibler und antizipationswilliger, als vielleicht erwartet. Dr. Bernd Weber, Patrick Haan, Dr. Achim Wie- felspütz, Dr. Astrid Haan: Durch ein ausgeklügel- Andrea Szilagyi: Einige Veränderungen durch die tes Zeit- und Teammanagement gab es bei uns kei- Pandemie sehe ich durchaus positiv, zum Beispiel die nen Wegfall der täglichen Vergabe. Möglichkeit, mehrfach in der Woche Z-Rezepte oder auch längere Take-Home-Rezepte ausstellen zu kön- Wolfgang Barth: Nein, abgesehen vom individuel- nen. Hier wären durchaus Reformen wünschenswert len Bedürfnis nach Gesprächen und dem Austausch und denkbar. Auch die Apotheken unbürokratisch über die weitere Entwicklung der Pandemie und ih- mehr einbeziehen zu können wäre hilfreich. ren gesellschaftlichen Auswirkungen. Dr. Christian Schmidt-Hestermann: Die Pande- Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Sehen mie hat einen Digitalisierungsschub ausgelöst, der Sie die Corona-Pandemie als Türöffner für Re- einerseits Fahrtwege und damit auch Zeit spart, formen? zum Beispiel bei Videokonferenzen, der aber an- Dr. Abdolhamid Zokai: Erst die Ausweitung der dererseits kein voller Ersatz für die persönliche Be- Regelungen hat es uns ermöglicht, die Patienten gegnung und Erörterung von diffizilen Sachverhal- flächendeckend zu versorgen. Viele Patienten, die ten sein kann. Wir konnten erleben, wie wichtig der durch diese Sonderregelung die Möglichkeit der persönliche Kontakt und das motivierende ärztliche Take-Home-Vergabe bekamen, zeigten sich sehr ver- Gespräch besonders in Krisenzeiten ist. Das Zuge- antwortungsvoll und pflichtbewusst. Es zeigt sich, stehen von mehr abrechenbaren Gesprächszeiten ist dass die Berücksichtigung der individuellen Situation ein Schritt in die richtige Richtung, der beibehalten des Einzelnen sehr wichtig ist. werden sollte. n Die Fragen stellten Nicole Spur und Sabine Kühn Erleichterungen für die Substitutionstherapie Infobox Mit Inkrafttreten des erweiterten Infektionsschutzgesetzes haben sich relevante Änderungen durch die SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung des Bundesministeriums für Ge- sundheit für die Substitutionsbehandlung Opioidabhängiger ergeben. Substituierende Ärzte haben seitdem die Möglichkeit, bei der Behandlung von Opioidabhängigen von den Vorgaben der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung abzuweichen. So dürfen beispielsweise Fol- gerezepte auch ohne persönliche Konsultation ausgestellt werden. Im Rahmen der Konsiliar- regelung darf ein suchtmedizinisch nicht qualifizierter Arzt nun mehr als zehn Substitutions- patienten versorgen. Das Therapiegespräch kann auch im Rahmen einer Videosprechstunde durchgeführt werden. AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020 11
AKTUELLES Grippesymptome? Immer zuerst die 116117 anrufen Pünktlich zur Grippesaison hat die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) eine hessenweite Kampagne gestartet. Die Botschaft: Patienten mit Erkältungssympto- men sollen bei Husten, Schnupfen oder Fieber immer zuerst die 116117 anrufen. werden, denn in den ÄBD-Zentralen gibt es bestimm- te Zeitfenster, in die Patienten mit entsprechenden Symptomen von den Disponenten der 116117 gelotst werden. „Um Neuinfektionen mit dem Coronavirus zu vermeiden, müssen wir potenziell infizierte Patienten aus dem Normalbetrieb der Bereitschaftsdienstzentra- len heraushalten. Das gelingt nur, wenn wir die Men- schen sensibilisieren und ihnen erklären, was sie tun sollen. Aus diesem Grund haben wir unsere Kampa- gne gestartet und wir hoffen, dass diese so wichti- ge Botschaft bei möglichst vielen Menschen in Hessen ankommt“, so die Vorstandsvorsitzenden der KVH, Frank Dastych und Dr. Eckhard Starke. Ergänzend zu den Plakaten und Postern hat die KVH Kaum ist der Winter und mit ihm das nasskalte Wet- 50.000 Postkarten an hessische Städte und Gemein- ter da, wimmelt es in den Arztpraxen von Patienten den geschickt. Die Karten liegen dort in den Bürger mit Erkältungssymptomen. Auch in den Bereitschafts- ämtern zur Mitnahme bereit. Auch in vielen Arztpra- dienstzentralen haben laufende Nasen und kratzende xen ist die Kampagne zu sehen: So hat die KVH mehr Hälse Hochkonjunktur. Mit Blick auf die Ausbreitung als 3.200 Hausärzte, Kinderärzte, Pneumologen und von SARS-CoV-2 ist es daher eine der wichtigsten Hals-Nasen-Ohren-Ärzte mit Postern versorgt und da- Aufgaben, die Versorgung „normaler“ Patienten von rum gebeten, diese in den Wartezimmern aufzuhän- der Versorgung derjenigen zu trennen, die Symptome gen und die Kampagne zu unterstützen. n wie Husten, Schnupfen oder Fieber haben und mögli- Alexander Kowalski cherweise mit dem Coronavirus infiziert sind. Das Risi- ko, dass sich Patienten in den Wartebereichen gegen- seitig anstecken, ist – trotz aller Hygienemaßnahmen – schlichtweg zu groß. Das gilt nicht nur in den Pra- xen, sondern auch in den ÄBD-Zentralen. Die KVH hat daher zu Beginn der Erkältungszeit eine Kampagne gestartet. Mit mehr als 400 aufmerksam- keitsstarken Plakaten in ganz Hessen und 220 Pos- tern an Frankfurter U- und S-Bahn-Stationen weist sie die Menschen darauf hin, mit Erkältungssymptomen immer zuerst die 116117 anzurufen. So soll verhin- dert werden, dass ÄBD-Zentralen zu Corona-Hotspots 12 AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020
AKTUELLES Pandemieplanung in der Arztpraxis Die neue Broschüre „Pandemieplanung in der Arzt- praxis. Eine Anleitung zum Umgang mit Corona“ des Kompetenzzentrums Hygiene und Medizinprodukte der KVen und der KBV (COC) greift die Maßnahmen auf, die während einer Pandemie in den Arztpraxen besonders wichtig sind. Auf Basis verlässlicher Infor- mationsquellen werden mögliche oder erforderliche organisatorische Maßnahmen rund um das Corona virus strukturiert dargestellt. Das Werk ist eine Sammlung von Checklisten und FRAGEN? Mustervorlagen sowie Hinweisen zum Einsatz und zur Bedarfsermittlung von persönlicher Schutzausrüstung. Zum Thema Hygiene steht Ihnen Dr. med. Norbert Die einzelnen Dokumente können sowohl ausge- Weykunat, Facharzt für Hygiene und Umwelt druckt als auch in digitaler Form verwendet werden. n medizin, gerne zur Verfügung. Norbert Weykunat T. 069 24741-6527 F. 069 24741-68527 Weitere Informationen unter: E. norbert.weykunat@kvhessen.de www.hygiene-medizinprodukte.de/download 3. AUSGABE DAS MAGAZIN DER 2020 KASSENÄRZTLICHEN BUNDESVEREINIGUNG GEMEINSAME POSITION VON WISSENSCHAFT Im November hat die Das gesundheitspo UND ÄRZTESCHAFT KBV dieses Positions- litische Magazin Klar- EVIDENZ- UND papier veröffentlicht. text der KBV 3/2020 ERFAHRUNGSGEWINN IM Die Ausgabe findet WEITEREN MANAGEMENT beschäftigt sich mit dem DER COVID-19-PANDEMIE sich kostenfrei unter Pandemie-Management BERÜCKSICHTIGEN www.kbv.de/html/ für Europa. Die Aus- Pandemie-Management 48910.php gabe findet sich für Europa kostenfrei unter Wege und Lehren aus der Corona-Krise www.kbv.de/html/ Seite 1 von 7 / Gemeinsames Positionspapier zur COVID-19-Pandemie / 2. November 2020 klartext.php EU-Ratspräsidentschaft Politologe Prof. Roland Czada im Interview Versichertenbefragung Großes Vertrauen in Ärzte und Psychotherapeuten Gesundheit anderswo Spanien: Kollaps durch Sparmaßnahmen? AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020 13
TITELTHEMA 14 AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020
TITELTHEMA Schadenfrei durch das Labyrinth der Verordnungen Geht es in den Medien um die kontinuierlich stei- takt als erfüllend wahrnehmen. Wären da nur nicht genden Ausgaben im Gesundheitswesen, ist immer das böse Wort mit dem „R“ und die Bürokratie. Die auch die Rede von den Ausgaben für Arzneimittel. Bürokratie zu verschlanken steht nicht allein in un- Die Berichte über die steigenden Verordnungskos- serer Macht. Was wir aber tun können, ist, Ihnen ten und die damit verbundene Bürokratie verunsi- die Angst vor einem Regress zu nehmen, indem wir chern niedergelassene Ärzte und Nachwuchsmedi- Sie fitmachen in diesem Thema. Sie finden auf den ziner massiv. Zum Teil so stark, dass sie aus Angst nächsten Seiten alle wichtigen Infos und Kontakt- vor finanziellen Repressalien und Gängelungen eine wege zu uns. So wissen Sie jederzeit, an wen Sie Niederlassung im ambulanten Bereich nicht wirklich sich in der KV Hessen wenden müssen, wenn Sie in in Betracht ziehen. Dem wollen wir als KV Hessen Ihrem Praxisalltag Fragen haben zu Durchschnitts- entschieden entgegenwirken. Aus regelmäßigen werten, Heilmittelverordnungen, Sprechstunden- Umfragen wissen wir ganz genau, dass sich ambu- bedarfen, Verordnungsausschlüssen, Ausnahmelis- lant tätige Mediziner wirklich zum Arztsein beru- ten oder Off-Label-Use. n fen fühlen und ihren Beruf und den Patientenkon- Dr. Wolfgang LangHeinrich AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020 15
TITELTHEMA 2022 kommt das E-Rezept! Das E-Rezept soll helfen, Zeit und Wege zu sparen, besonderes bei Videosprech- stunden. Im besten Fall könnten den Patienten die Arzneimittel per Boten zuge- stellt werden. Die Einführung des E-Rezepts zum 1. Januar 2022 In Großbritannien, in den Niederlanden, in Schwe- ist festgeschrieben im „Gesetz für mehr Sicherheit den, in der Schweiz sowie in neun weiteren europäi- in der Arzneimittelversorgung (GSAV)“. Es ist am 16. schen Ländern haben sich E-Rezepte schon etabliert. August 2019 in Kraft getreten. Geplant ist, dass zum In Deutschland gibt es bisher diverse regionale Mo- Start verschreibungspflichtige Arzneimittel verord- dellprojekte. Dazu zählt unter anderem auch Hes- net werden können. Später folgen dann auch Be- sen. Gerade junge Leute dürften davon begeistert täubungsmittel, Gesundheits-Apps, Heilmittel, Hilfs- sein, wenn sie beispielsweise erleben, wie einfach es mittel oder häusliche Krankenpflege. Damit die E-Rezepte der Patienten auch an die Apotheken wei- tergeleitet werden können, soll zudem die gematik eine entsprechende E-Rezept-App für Patienten ent- wickeln. Zudem soll es eine Kompatibilität mit der elektronischen Patientenakte geben. „MORE – Mein Online-Rezept“ Infobox im ÄBD ausgezeichnet Im ÄBD bekommen Patienten im Anschluss an ihre Videosprechstunde ein E-Rezept. Dieses können sie online verwalten und di- gital bei einer teilnehmenden Apotheke in ihrer Nähe einlösen – schnell und unkom- pliziert. Der Branchendienst für das Gesund- heitswesen (dfg) zeichnete das Projekt mit dem dfg Award in der Kategorie „Heraus- ragende digitale Anwendungen im Gesund- heitswesen“ aus. Mit dem Projekt haben die KV Hessen, der Hessische Apothekerver- band, die AOK Hessen, die DAK Gesundheit und die TK sowie der Abrechnungsdienst- leister Optica eine digitale Infrastruktur für hung fand am 2. Oktober in Hamburg statt. die papierlose Übermittlung von Rezepten Mit dabei war KV-Vorstand Dr. Eckhard Star- von Ärzten über Apotheken bis hin zu den ke, der die Auszeichnung entgegennahm. n Krankenkassen entwickelt. Die Preisverlei- Alexander Kowalski 16 AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020
TITELTHEMA Die zukünftigen drei Varianten des Rezepts Das „klassische Das E-Rezept Der Tokenausdruck Papierrezept“ 1 Standardweg für die Übermitt- Zugriffsinformation zur Nutzung In bestimmten Fallkonstellatio- lung von Rezepten (klar lesbar, des E-Rezepts für Versicherte nen (Notfallversorgung, Haus- können nur einmal eingelöst ohne Smartphone und Heimbesuche etc.) auch werden) künftig erforderlich 2 Keine Medienbrüche Weniger Medienbrüche Bekannte Medienbrüche 3 Keine „Zettelwirtschaft“ Neue „Zettelwirtschaft“ Bekannte „Zettelwirtschaft“ 4 Mehrwert für den Patienten in Evtl. Mehrwerte für Patienten in Keine Mehrwerte für Patienten der Verwaltung des E-Rezepts der Verwaltung des E-Rezepts in der Verwaltung des E-Rezepts 5 Einfachere Verarbeitung durch Einfachere Verarbeitung durch Komplexe Verarbeitung durch Krankenkassen und Apotheken Krankenkassen und Apotheken Kassen und Apotheken ist, nach einer Videosprechstunde in eine nahe ge- legene Apotheke zu gehen, um sich dort die Ver- ordnung abzuholen, die der Arzt zuvor elektronisch der Apotheke mitgeteilt hat oder sie die Verordnung sogar zugestellt bekommen oder aber ein E-Rezept auf ihrem Handy empfangen für eine Apotheke in der Nähe. Ab 2022 werden über das E-Rezept zudem weitere neue digitale Anwendungen möglich: eine Medika- tionserinnerung oder auch der Medikationsplan mit eingebautem Wechselwirkungscheck. Von dieser angestrebten höheren Sicherheit rund um die Arz- neimitteltherapie sollen insbesondere multimorbide Patienten profitieren. Gerade bei Wiederholungsver- ordnungen könnten E-Rezepte, die in Videosprech- stunden verordnet werden, Prozesse vereinfachen. Es ist davon auszugehen, dass die Ärzteschaft ab 2022 mit drei Varianten des Rezepts konfrontiert sein wird: dem E-Rezept, dem Tokenausdruck und dem klassischen Papierrezept. Selbstverständlich setzt sich die KV Hessen zusammen mit den ande- ren KVen dafür ein, dass die entstehenden Mehrauf- wände in den Arztpraxen finanziert werden. Weitere Informationen folgen zu gegebener Zeit. n Die gematik hat einen Entwurf des E-Rezepts Petra Bendrich und der dazugehörigen App veröffentlicht. Über den Barcode werden künftig Arzneimittel verordnet. AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020 17
TITELTHEMA Auffrischung oder Basiswissen für Mediziner Ärzte sorgen sich um Prüfungen im Arzneimittelbereich oder um Einzelregresse. Solche Sorgen sind unbegründet, wenn man einige Aspekte berücksichtigt. Kaum ein Thema verunsichert Niedergelassene so sehr gelten. Welche Medikamente das sind, können Sie in wie die Arznei- und Heilmittelausgaben mit den zahlrei- der Anlage I der OTC-Ausnahmeliste nachlesen. Das chen Regelungen und gesetzlichen Vorschriften. Damit können beispielsweise Abführmittel nur zur Behand- bei Ihren Verordnungen von Medikamenten alles rund lung von Erkrankungen im Zusammenhang mit Tu- läuft, ist es wichtig, dass Ihnen die Arzneimittel-Richtlinie morleiden sein oder Calciumverbindungen und Vita- (AM-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) min D nur bei einer manifesten Osteoporose. bekannt ist. Sie hilft beim einwandfreien Verordnen von https://www.g-ba.de/richtlinien/anlage/17/ Medikamenten und bei der Auswahl von therapie- und preisgerechten Arzneimitteln. Hier wird geregelt, welche Anlage III: Verordnungseinschränkungen und Ansprüche Patienten haben. Sie berücksichtigt allge- -ausschlüsse, verschreibungspflichtige Arznei- mein anerkannte Standards der medizinischen Erkennt- mittel für alle Patientengruppen nisse und das Prinzip einer humanen Krankenbehand- Die Übersicht zu den Verordnungseinschränkungen lis- lung. Die Richtlinie hat Rechtscharakter. Verstoßen Ärzte tet über 50 Arzneimittel oder Produkte auf, die auf- gegen diese Richtlinie, ergeben sich daraus Prüfmöglich- grund des Wirtschaftlichkeitsgebots entweder ganz keiten für die Krankenkassen. Zum Start in die eigene von der Versorgung der Versicherten ausgeschlos- Praxis sollten Sie daher von diesen Anlagen unbedingt sen oder nur eingeschränkt verordnungsfähig sind. So schon gehört haben: Anlage I, III und V. gibt es beispielsweise bei Erwachsenen einen Verord- nungsausschluss bei Aggrenox®/Dipyridamol in Kom- Anlage I: OTC-Ausnahmeliste, apotheken- bination mit Acetylsalicylsäure. In der tabellarischen pflichtige Arzneimittel für Erwachsene Übersicht der Anlage III kann man die Bestimmungen OTC steht für „over the counter“ und bezeichnet inklusive aller Ausnahmen nachschlagen. Medikamente, die apothekenpflichtig, aber für Er- https://www.g-ba.de/richtlinien/anlage/16/ wachsene nicht verordnungsfähig sind. Aber aufge- passt: OTC-Medikamente sind sehr wohl für Kinder Anlage V: Verordnungsfähige Medizinprodukte bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und Jugendliche Den verordnungsfähigen Medizinprodukten, die ei- mit Entwicklungsstörungen bis zum vollendeten 18. nen Arzneimittelcharakter haben, widmet sich die An- Lebensjahr verordnungsfähig. Die zweite Ausnahme lage V der AM-RL. In tabellarischer Form werden alle gilt für jene OTC-Arzneimittel, die bei der Behandlung arzneimittelähnlichen Medizinprodukte mit dem Hin- schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard weis aufgelistet, wann eine medizinische Notwendig- keit besteht, sie zu verordnen. https://www.g-ba.de/richtlinien/anlage/120/ n FRAGEN? Team AHH Bei Fragen zu Verordnungen oder Impfungen steht Ihnen das Team Arznei-, Heil- und Hilfsmittel gerne Weitere Informationen unter: zur Verfügung. www.kvhaktuell.de T. 069 24741-7333 (inkl. Hinweisen zu Fortbildungen) E. verordnungsanfragen@kvhessen.de www.g-ba.de/richtlinien/3/ 18 AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020
TITELTHEMA Weniger Bürokratie mit der neuen Heilmittel-Richtlinie Durch die neue Heilmittel-Richtlinie sollen die Verordnungen von Krankengym- nastik oder Logopädie vereinfacht werden. Zum Start der Richtlinie gibt es attraktive Serviceangebote. Der G-BA hat die Vorgaben zur ärzt- Der komplette Heilmittelkatalog ist lichen Verordnung von Heilmitteln ferner ab dem 1. Januar 2021 mobil komplett überarbeitet. Dies war er- abrufbar in der App KBV2GO!. Dazu forderlich, denn die Regelungen müssen die App heruntergeladen sind im Laufe der Jahre immer kom- und der „Heilmittelkatalog“ geöff- plexer und unübersichtlicher gewor- net werden. Die App bietet auch den. Die wichtigste Vereinfachung eine komfortable Suchfunktion. für die Praxen ist, dass es ab Janu- Mehr dazu unter www.kbv.de/ ar 2021 nur noch ein neues Mus- Mediathek/Apps & Tools ter 13 für die Verordnung sämtlicher Heilmittel gibt. Das sind: Physiotherapie, Ergotherapie, Podologie, Zudem gibt es Online-Fortbildungen im KBV-Fort- Stimm-, Sprech-, Sprach- sowie Schlucktherapie und bildungsportal. In Form von zwei Modulen werden Ernährungstherapie. 28 Tage hat der Patient dann Grundsätze und Rahmenbedingungen der Heilmit- Zeit, das Verordnungsblatt einzulösen. Das alte Mus- telverordnung vermittelt. Bei erfolgreicher Teilnah- ter 13 sowie die Muster 14 und 18 sind ab dem 1. Ja- me erhalten Ärzte bis je drei CME-Punkte. Und zu nuar 2021 ungültig. Darüber hinaus entfällt die Un- guter Letzt: Für den 24. Februar 2021 ist von 15-18 terscheidung zwischen Erst- und Folgeverordnung Uhr eine Schulung der KV Hessen zur neuen Richt sowie die Verordnung außerhalb des Regelfalls und linie in Frankfurt geplant. Für die Teilnahme erhalten deren Begründungspflicht. Stattdessen werden der Ärzte vier Qualifizierungspunkte. Weitere Infos auch Verordnungsfall und die orientierende Behandlungs- unter www.kvhaktuell.de n menge eingeführt, von denen im Einzelfall abgewi- Klaus Hollmann, Petra Bendrich chen werden darf. Dies alles dürfte auch zu spürbar weniger Abstimmungen zwischen Heilmittelerbrin- gern und Arztpraxen führen. Ab dem 1. Januar 2021 können Psycho- Infobox Zum Start der neuen Heilmittel-Richtlinie am 1. Ja- logische Psychotherapeuten sowie Kin- nuar gab es bereits mehrere Serviceangebote für der- und Jugendlichenpsychotherapeuten Praxen. Die 24-seitige Broschüre „Heilmittel“ wurde auch Ergotherapie verordnen – allerdings per Post an die entsprechenden Praxen verschickt, nur bei psychischen Erkrankungen sowie und sie lag am 11. Dezember 2020 dem Deutschen bei bestimmten Erkrankungen des zen Ärzteblatt bei. Die Broschüre ist zudem in der KBV- tralen Nervensystems und Entwicklungs Mediathek kostenfrei downzuloaden: störungen. www.kbv.de/Mediathek/PraxisWissen AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020 19
TITELTHEMA Für die Verordnung aller Heilmittel gilt ab dem 1. Januar 2021 1 Muster 13. 2 3 4 5 6 8 9 7 12 11 13 12 AUSFÜLLHILFE ZUM MUSTER 13 3 Diagnosegruppe Diagnosegruppe auswählen – als Orientierung die- 1 Heilmittelbereich, zum Beispiel Physio- nen die im Heilmittelkatalog aufgeführten Beispiel therapie oder Stimm-, Sprech-, Sprach- und diagnosen. Schlucktherapie Hier den Heilmittelbereich ankreuzen – alternativ er- 4 Leitsymptomatik gemäß Heilmittelkatalog folgt die Auswahl anhand der angegebenen Diagnose- oder patientenindividuelle Leitsymptomatik gruppe automatisch durch die Verordnungssoftware. Entweder den Buchstaben ankreuzen oder den Klar- text eintragen, beides ist im Katalog unter Leitsympto- 2 Konkrete behandlungsrelevante Diagnose matik angegeben – es können auch mehrere Leitsym- oder auch Diagnosen ptomatiken auf dem Formular angegeben werden. ICD-10-Code angeben – der durch die Software hin- zugefügte ICD-10-Klartext kann ergänzt oder durch Patientenindividuelle Leitsymptomatik einen Freitext ersetzt werden. Hier alternativ eine patientenindividuelle Leitsympto- matik als Freitext angeben – diese muss mit dem Heil- mittelkatalog vergleichbar sein. 20 AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020
TITELTHEMA 5 Heilmittel nach Maßgabe des Katalogs ergänzend verordnet wurde. Für Verordnungen auf- Je nach ausgewählter Diagnosegruppe die verord- grund eines langfristigen Heilmittelbedarfs oder eines nungsfähigen Heilmittel auswählen. Bei Physiothera- besonderen Verordnungsbedarfs kann die Höchst- pie und Ergotherapie können bis zu drei unterschied- menge je Verordnung in Abhängigkeit von der The- liche vorrangige Heilmittel verordnet werden, soweit rapiefrequenz auf eine Behandlungsdauer von bis zu der Heilmittelkatalog in der Diagnosegruppe mehre- zwölf Wochen bemessen werden. re vorrangige Heilmittel vorsieht. Bei Stimm-, Sprech-, Sprach- und Schlucktherapie können bis zu drei ver- 7 Therapiefrequenz schiedene Behandlungstermine oder Einzel- und Grup- Sie kann als Frequenz, zum Beispiel „1 x täglich“, oder penbehandlungen miteinander kombiniert werden. als Frequenzspanne, zum Beispiel „1–3 x wöchent- lich“, angegeben werden. Ergänzendes Heilmittel gemäß Heilmittelkatalog Die Frequenzempfehlung des Heilmittelkatalogs Soweit medizinisch erforderlich, kann ein „ergänzen- dient der Orientierung. In medizinisch begründe- des Heilmittel“ verordnet werden. Hinweis: Ergänzen- ten Fällen ist es möglich, davon abzuweichen. In der de Heilmittel werden bei der Zählung der Behand- Software sind mehrere Optionen hinterlegt und kön- lungsmenge (orientierende Behandlungsmenge und nen ausgewählt werden. Höchstmenge je Verordnung) nicht mitgezählt. Im Heilmittelbereich Physiotherapie können Elektrothera- 8 Therapiebericht pie, Elektrostimulation oder Ultraschall-Wärmethera- Ankreuzen, wenn ein Therapiebericht angefordert pie auch isoliert verordnet werden (ohne Verordnung wird. eines vorrangigen Heilmittels), soweit der Heilmittel- katalog diese Maßnahmen als ergänzende Heilmittel 9 Hausbesuch JA oder NEIN vorsieht. Ist ein Hausbesuch aus medizinischen Gründen zwin- gend notwendig, so kann er verordnet werden. Gegebenenfalls ergänzende Angaben zum Heilmittel 10 Dringlicher Behandlungsbedarf Doppelbehandlung: In medizinisch begründeten Aus- Ankreuzen, wenn die Behandlung aus medizinischen nahmefällen kann dasselbe Heilmittel auch als zusam- Gründen spätestens innerhalb von 14 Kalendertagen menhängende Doppelbehandlung verordnet werden, beginnen muss. Ansonsten muss die Behandlung in- indem zum Beispiel der Text „als Doppelbehandlung“ nerhalb von 28 Tagen nach Verordnung beginnen, hinter dem Heilmittel ergänzt wird. sonst verliert sie ihre Gültigkeit. 6 Behandlungseinheiten 11 Befunde, die für die Heilmitteltherapie Die Anzahl der Behandlungseinheiten je Verordnung relevant sind ist begrenzt – die konkrete Anzahl steht im Heilmit- Wenn weitere medizinische Befunde an den Thera- telkatalog. Bei der Verordnung mehrerer vorrangiger peuten übermittelt werden sollen, können diese hier Heilmittel sind die Einheiten entsprechend aufzutei- abgebildet oder per Beiblatt beigefügt werden (zum len, damit die Höchstmenge pro Verordnung nicht Beispiel Tonaudiogramme). überschritten wird – nur ergänzende Heilmittel wer- den nicht mitgezählt, denn die Höchstmenge wird 12 IK des Leistungserbringers nur aus den vorrangigen Heilmitteln errechnet. Es ist vom Therapeuten einzutragen. Beispiel: Werden dreimal manuelle Lymphdrainage 13 Stempel/Unterschrift (vorrangig), dreimal Krankengymnastik (vorrangig) Vertragsarztstempel einfügen oder die Software lie- und dreimal Wärmetherapie (ergänzend) verordnet, fert einen Stempeleindruck, zudem ist jede Verord- ergibt das zusammen sechs verordnete Einheiten. nung persönlich durch den verordnenden Arzt zu un- Die Wärmetherapie wird nicht mitgerechnet, da sie terzeichnen. AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020 21
TITELTHEMA Sicherheitscheck bei Praxis besonderheiten und Impfungen Schonen Sie Ihre Verordnungsausgaben anhand der Listen für Praxisbesonder heiten oder Impfungen. PRAXISBESONDERHEITEN sen. Dies sind in der Allgemeinmedizin/Inneren Medizin beispielsweise erheblich über dem Fachgruppendurch- Bei den Arzneimittelverordnungen gibt es in Hessen schnitt liegende Schmerztherapie, Herzinsuffizienz, Di- mit den Krankenkassen vereinbarte Praxisbesonderhei- abetes mellitus oder orthopädische Krankheitsbilder. ten/Krankheiten nach den Gebührenordnungspositio- Auch die Betreuung von Patienten in Pflegeeinrichtun- nen (GOP) 98502 bis 98522, deren Kosten in einem gen kann eine weitere Praxisbesonderheit darstellen. Prüfverfahren in dem Umfang aus den Verordnungs- kosten herausgerechnet werden, in dem sie den Fach- Eine aktuelle Übersicht aller bundesweiten Praxisbe- gruppendurchschnitt überschreiten. Voraussetzung ist sonderheiten finden Sie hier: kvh.link/vkvh001 natürlich, dass diese Krankheitsbilder in der Abrech- nung codiert worden sind. SCHUTZIMPFUNGS-RICHTLINIE Weitere Praxisbesonderheiten sind die Therapien von Empfehlungen zu Schutzimpfungen gehen zunächst Krankheitsbildern, bei denen der G-BA in der frühen immer von der Ständigen Impfkommission, einem un- Nutzenbewertung einen Zusatznutzen festgestellt hat abhängigen Expertengremium, aus. Dann entschei- und die Krankenkassen diese Therapien zur Praxisbeson- det der G-BA über die Aufnahme in den Leistungska- derheit erklärt haben. Diese Verordnungskosten werden talog der gesetzlichen Krankenkassen und lässt seine in einem Prüfverfahren zu 100 Prozent oder 1:1 aus dem Entscheidung vom Bundesministerium für Gesundheit Verordnungsvolumen der Praxis herausgerechnet. ebenfalls prüfen und bestätigen. Als Nächstes müs- sen dann bei neuen Impfungen auf Länderebene die Weitere nicht vereinbarte Praxisbesonderheiten sind Details, wie der Bezug des Impfstoffs und das Hono- ein besonderes Patientenklientel oder Behandlungs- rar, mit den Krankenkassen verhandelt werden, damit schwerpunkte einer Praxis, die in einem Prüfverfah- die Impfungen auch zulasten der GKV durchgeführt ren der Prüfungsstelle gegenüber belegt werden müs- werden können. In Hessen regeln die Schutzimp- fungs-Richtlinie und der Impfvertrag, welche Imp- fungen von den Krankenkassen bezahlt werden. Von Impfleistungen für „Japanische Infobox wenigen Ausnahmen abgesehen, werden Impfstoffe Enzephalitis“ und „Typhus oral“ über den Sprechstundenbedarf bezogen. Bei berufsbedingten Impfungen können in Hessen über Impfungen dienen sowohl dem Individual- als auch den Weg der Kostenerstattung Impfleistungen für „Japani- dem Gemeinschaftsschutz und zeichnen sich durch sche Enzephalitis“ und „Typhus oral“ verabreicht werden. eine gute Verträglichkeit aus. Ein Bezug über den Sprechstundenbedarf ist daher noch nicht möglich. Diese Impfungen werden aber in die Hessi- Informationen zu Impfstoffen wie auch die Schutz sche Impfvereinbarung aufgenommen, sobald die laufen- impfungs-Richtlinie und die hessischen Gebührenord- den Verhandlungen mit den Krankenkassen abgeschlos- nungspositionen finden Sie hier: sen sind. Informationen dazu folgen zu gegebener Zeit. kvh.link/vkvh002 n Team AHH 22 AUF DEN PUNKT NR. 6 / DEZ 2020
Nr. 6 – Dezember 2020 info.service Offizielle Bekanntmachungen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen EBM aktuell Abrechnung 2 EBM-Änderungen seit 1. Juli 2020 2 EBM-Änderungen seit 1. Oktober 2020 Qualität Organisierte Krebsfrüherkennung (oKFE) 10 Fragen und Antworten zum Start der Dokumentationspflicht am 1. Oktober 2020 Honorarverteilungsmaßstab (HVM) Honorar 12 Änderung des Honorarverteilungsmaßstabs (HVM) gem. § 87b Abs. 1 S. 2 SGB V der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen Allgemeine Erläuterungen zum Haushaltsplan Sonstiges 17 Verwaltungshaushalt Ärztlicher Bereitschaftsdienst (ÄBD) 17 Besetzung „zwischen den Jahren“ und Brückentage 2021 Sitzungstermine 18 Zulassungsausschuss 2021 Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV) 19 Zulassung zum Durchgangsarztverfahren
ABRECHNUNG EBM aktuell EBM-Änderungen seit 1. Juli 2020 Die EBM-Änderungen zum 01.07.2020 sind bereits in Ferner beschloss der BA: den Ausgaben Nr. 4/August 2020 und Nr. 5/Oktober 2020 veröffentlicht. • Auch für Pathologen und Anästhesisten mit Schmerztherapie werden Höchstwerte zum eArztbrief, Porto und Faxe angepasst 01.10.2021 eingeführt. Für Sie als Arzt und Psychotherapeut ist die Vergü- • Für Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin mit tung für Porto und Faxe seit dem 01.07.2020 um- Schwerpunkt oder Zusatzweiterbildung, die in gestellt: Seitdem gibt es nur eine Kostenpauscha- mindestens 50 Prozent ihrer Arztfälle im Quartal le für Porto (GOP 40110) und eine Kostenpauschale im fachärztlichen Versorgungsbereich tätig sind, für Faxe (GOP 40111) im EBM. Der Bewertungsaus- gilt zum 01.10.2021 der Höchstwert gemäß dem schuss (BA) hat nun rückwirkend in der 513. Sitzung Schwerpunkt der Inneren Medizin. im September 2020 beschlossen, dass die ebenfalls zum 01.07.2020 eingeführten Höchstwerte für die • Klarstellung: Fachärzte für Laboratoriumsmedizin, GOP 40110 und 40111 bis zum 30.09.2021 ausge- Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, Trans- setzt werden. fusionsmedizin und ermächtigte Fachwissenschaft- ler der Medizin können die Kostenpauschalen nach den GOP 40110 und 40111 nicht abrechnen. Sie er- halten Zuschläge nach den GOP 01699 und 12230. EBM-Änderungen seit 1. Oktober 2020 Die weiteren EBM-Änderungen zum 01.10.2020 sind Mayzent® verabreichen: Beobachtung und Be- bereits in der Ausgabe Nr. 5/Oktober 2020 veröffent- treuung abrechnen licht. Seit dem 01.10.2020 können Sie eine neue Leistung Ersatzverfahren für Kinder ohne eGK abrechnen, wenn Sie Patienten mit Multipler Sklerose nach oraler Gabe von Siponimod (Mayzent®) mehr als Sie wenden bei Kindern, bei denen bis zum vollen- sechs Stunden betreuen und beobachten. Hierfür wur- deten dritten Lebensmonat noch keine eigene elekt- de die neue GOP 01517 in den EBM aufgenommen. ronische Gesundheitskarte (eGK) vorliegt, das Ersatz- verfahren an. Die GOP 01517 für die Beobachtung und Betreuung ist 142,72 Euro (1299 Punkte) wert; bundeseinheitli- Wichtig: Die Regelung gilt sowohl für Früherken- cher Punktwert 2020 ist 10,9871 Cent. Als Arzt der nungsuntersuchungen (U-Untersuchungen) als auch Neurologie und Nervenheilkunde können Sie die neue für kurative Leistungen. Zum Beispiel bei der ersten GOP 01517 abrechnen. und zweiten Früherkennungsuntersuchung (U1 und U2) nach der Kinder-Richtlinie des Gemeinsamen Zum 01.10.2022 soll die GOP 01517 in den Leistungs- Bundesausschusses (G-BA). katalog nach den GOP 01510 bis 01512 (Zusatzpau- schalen für Beobachtung und Betreuung) überführt Seit dem 01.10.2020 wird die bisherige Anwen- werden. dung einer elterlichen eGK, die im EBM (Abschnitt 1.7.1) geregelt war, gestrichen. Im Bundesmantelver- Telekonsilien abrechnen trag-Ärzte (BMV-Ä) werden die Regelungen zur eGK in dem § 19 und § 22 erweitert. Seit dem 01.10.2020 können Sie als Arzt und Psycho- therapeut die neuen GOP 01670, 01671 und 01672 2 AUF DEN PUNKT INFO.SERVICE NR. 6 / DEZ 2020
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