Theologicum - #120 - Fakultätsvertretung Katholische Theologie
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Inhaltsverzeichnis 3 Editorial 4 Wir und die Anderen 8 Zwei Grazer Kinder des II. Vatikanums feiern Geburtstag 10 Vertraut und neu 12 „Das mit dem Kloster, das wird jetzt ernst“ 16 Religionsfreiheit als „Recht der Freiheit, nicht der Frommen“ 18 Der Westen – Europa – Abendland 20 Bachelorstudium NEU 22 Minderbrüder in der Welt von heute 24 Kabarett und Religion – wie geht das zusammen? 28 Theologen in außergewöhnlichen Arbeitsfeldern 30 „Wir und die Anderen“ als „Klammer über das Fach Religionswissenschaft“ 34 Christen brauchen ein Profil 38 Judas – Passion 2.0 39 Rezensionen 2 Theologicum
Editorial Foto: Marian Lukas Ureutz Liebe Leserinnen und Leser, Mit dieser neuen Ausgabe unserer Fakultätszeitschrift der Studierenden an der Ka- Marian Lukas Ureutz tholisch-Theologischen Fakultät Graz liegt der Versuch vor sich der scheinbar allgegen- wärtigen Unterscheidung von “Wir” und den oder dem “Anderen” zu stellen. Allzu gerne Impressum und allzu oft bilden sich in unserer Gesellschaft Segmente, die diese Unterscheidung in Kollektive zusammenführen und so von Vereinnahmung und Generalisierung regelrecht Herausgeber: HochschülerInnenschaft an der strotzen. Im religiösen Bereich heißt es dann “die Katholikinnen und Katholiken”, oder es Karl-Franzens-Universität Graz wird von “den Muslimen” gesprochen, politisch heißt es “die Linken” oder “die Rechten”. Fakultätsvertretung Theologie Aber, wie überall, scheint der Grundsatz zu gelten: Je einfacher die Unterscheidung (oder sollte man hier vielleicht lieber von Nicht-Unterscheidung sprechen?), desto einfacher die Verantwortlich für Inhalt: Julia Brunner Welt und die Antworten auf Fragen. Schließlich geht es dann doch um so etwas Grundle- gendes wie Identität. Selbst in der Theologie findet sich die Rede vom Kollektiv. So etwa, Chefredaktion: wenn in der Rede vom Gottesknecht im leidenden Gerechten kollektiv das Volk der Juden Marian Lukas Ureutz gesehen wird. Redaktionsmitarbeitende: Marian Lukas Ureutz Diese Spurensuche führt uns in dieser Ausgabe vom Leitartikel der jungen Forscherin Gudrun Rausch Hannes Mayer Isabella Bruckner mit ihrem fundamentaltheologischen Ansatz über die Ordensschwester Evelyne Fößleitner Gerti Harb, hin zu Gedankenstrichen einer begrifflichen Fassung von Europa und Abend- Christina Zisser land, einem Beitrag zum Vortrag von Heiner Bielefeldt und der Religionsfreiheit, einem persönlichen Erfahrungsbericht aus dem Frauenwohnhaus, “Minderbrüder in der Welt Layout: Florian Altendorfer von heute”, schließlich zu einem Interview mit dem Kabarettisten Thomas Stipsits und den bewährten Beiträgen zu Kultur, Fakultätsgeschehen, dem Portrait und Rezensionen. Anschrift: Schubertstraße 6a, 8010 Graz Heinrichstraße 78, 8010 Graz Wer auch immer anders, der, die oder das Andere ist - es soll wird sich lohnen neu- gierig, interessiert und offen darauf zu zu gehen. Vielleicht findet der eine oder die andere Druck: durch einen dieser Beiträge einen gedanklichen Anstoß. Servicecenter ÖH-Uni Graz GmbH Schubertstraße 6a Einen frohen Lesegenuss! 8010 Graz Marian Lukas Ureutz Für Anregungen und Wünsche bitte marian.ureutz@oehunigraz.at kontaktieren. Der Inhalt namentlich gekennzeich- neter Gastartikel muss nicht mit der Meinung der Redaktion überein- stimmen. Theologicum 3
Wir und die Anderen Überlegungen zur christlichen (Nicht-)Identität Die Frage nach der Identität ist keine, mit ne“ immer aus einer dialektischen Beziehung Die Gotteskindschaft als christliche der allein pubertierende Jugendliche oder mit dem „Anderen“ konstituiert. Spannend (Nicht-)Identität Männer „in ihrer Lebensmitte“ ringen. Sie ist es diesbezüglich zu beobachten, wer oder Wählt man nun den theologisch deduk- ist eine, welche sich die Philosophie seit je- was überhaupt als „Anderes“ wahrgenom- tiven Weg und wirft zunächst einen Blick her in allgemein anthropologischer Hinsicht men wird und wie sich das Eigene erst in auf die Urkunde der christlichen Tradition, zum Thema macht. Klassisch wurde sie bei der Auseinandersetzung mit diesem Ande- so kann von Paulus her festgehalten werden, Immanuel Kant, der formulierte „Was ist der ren herausbildet und profiliert. Woran kann dass der Mensch des Evangeliums alle weltli- Mensch?“. Doch auch das Individuum oder man anknüpfen, wovon muss/will man sich chen Klassifizierungen transzendiert. Durch Gemeinschaften werden sich von Zeit zu Zeit abgrenzen? Aber auch: Wie nimmt man das das Sterben mit Christus in der Taufe wird in existentieller Weise mit der Frage ausein- Eigene im Vergleich zum anderen wahr; er- der „alte Mensch“ abgelegt und so alle den andersetzen „Wer bin ich?“ bzw. „Wer sind fährt man es als gleichwertig oder als einem Menschen letztlich definierenden Bestim- wir?“. Immer wieder im Leben findet sich selbst über- bzw. untergeordnet? mungen durchkreuzt. Für Paulus ist in der der Mensch dazu genötigt, sich seiner selbst Wirft man einen Blick in die Zeitungen kirchlichen Gemeinschaft weder „Jude noch zu vergewissern und aus der überbordenden und Medienportale so scheint dieses The- Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, Pluralität an möglichen Lebenskonzepten ma auch auf gesellschaftlicher Ebene hoch hier ist kein Mann noch Weib (!)“ (Gal 3,28) „das Seinige“ herauszufiltern. Insbesondere aktuell zu sein. In einigen Nationalstaaten – sie alle sind Einer, ein Anderer, Christus drängt sich die Frage auf, wenn Entschei- regen sich auf Basis dieser Frage ethnische Jesus. Die Wirklichkeiten dieser Welt sind dungen anstehen und man vor Scheidewegen Abspaltungsbewegungen (man denke nur nicht mehr die den Menschen letztlich defi- steht. Ebenso kann sie plötzlich Relevanz ge- an die ständig schwelenden Konflikte in Spa- nierenden. Deshalb kann Paulus diejenigen, winnen, wenn man die Frage von jemand an- nien um die baskischen und katalanischen „die Frauen haben“, auffordern zu „sein, als derem gestellt bekommt: „Wer bist du?“ bzw. Gebiete oder an die Ukraine) und Europa hätten sie keine; und die weinen, als weinten „Wer seid ihr?“. Der darauf wahrscheinlich entdeckt angesichts der angeblichen „Bedro- sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie folgende Prozess der Identitätsbildung voll- hung durch den Islam“ seine christliche Seele sich nicht; und die kaufen, als behielten sie zieht sich aber niemals in einem luftleeren, wieder. An diesem Punkt darf jedoch über- es nicht; und die diese Welt gebrauchen, als neutralen Raum. Zum einen spielt dabei die legt werden, wie es denn um die christliche brauchten sie sie nicht. Denn das Wesen die- eigene Geschichte eine Rolle: Bricht man mit Identität überhaupt steht. Was kann Christ- ser Welt vergeht.“ (1 Kor 7,29-31) Die letztli- dieser, schlägt man eine völlig andere Rich- sein und Kirchesein heute im Angesicht des che Bestimmung ist nun die Beziehung, in die tung ein und optiert für Positionen konträr Anderen bedeuten? Wie geht die christliche der Mensch mit der Taufe hineingenommen zum bisherigen Werdegang, oder entscheidet Gemeinschaft selbst denkerisch mit ihrem ist: die Gotteskindschaft, so wie sie auch im man sich eher für Kontinuität und nimmt Anderen um? Und in der Theologie muss „Vaterunser“ zum Ausdruck gebracht wird. vielleicht nur kleine Verschiebungen vor? natürlich ebenso gefragt werden, ob sich die Doch auch diese „Wesensbestimmung“ kann Auch der teleologische Aspekt ist hier essen- christliche und kirchliche Identität von der schwerlich als positive Definition verstanden tiell: Was ist das größere/letzte Ziel, wo soll es Heiligen Schrift her bestimmen lassen. werden, handelt es sich bei Gott doch um hingehen? Bei alledem sollte man aber nicht den absolut Uneinholbaren und all unserem aus dem Blick verlieren, dass sich das „Eige- Verstehen Entzogenen. Sie stellt vielmehr 4 Theologicum
die Aufhebung und Außerkraftsetzung, die te sich auf unübertreffbare Weise in einem übertrefflicher Weise ausgesagt hat und uns Relativierung all der oben genannten weltli- menschlichen Antlitz und identifizierte sich in ihm alles Heilsnotwendige gegeben ist, die chen Kategorien dar. Denn wenn (spätestens besonders mit den Hungrigen, Nackten, Kirche mit dem Erfassen dieses Ereignisses durch die Taufe) auch der Mensch in die Kranken, Obdachlosen und Gefangenen (vgl. und der Beziehung zu diesem Gott nie an ein göttliche Sphäre hineingehört, dann betont Mt 25). Bei diesen Zeichen kann es sich dem- Ende kommt. In diesem Kontext fällt es nicht der Titel „Kind Gottes“ die letztliche Undefi- nach nur um Entwicklungen und Ereignisse schwer, die Pluralität innerhalb des Chris- nierbarkeit des Menschen. Die Rede von der handeln, die das Humanum, den Menschen tentums als eine gute anzuerkennen, selbst Gotteskindschaft, könnte man sagen, erweist in seinen Beziehungen und in seinem Selbst- wenn es gerade in der vielfachen Zersplitte- sich daher also als eine Sensibilität für die verständnis betreffen, wobei die Perspektive rung unserer heutigen Zeit vielleicht wieder Nicht-Identität des Menschen, wodurch ihm der Schwachen einer Gesellschaft gesondert stärker darauf zu achten gälte, in der Vielfalt der Andere und sogar der Mensch sich selbst in den Blick rücken müssen. Wir können noch das gemeinsame Zeugnis des einen einem letzten Urteil entzogen ist. also sagen, das Kollektiv Kirche charakteri- Gottes deutlich werden zu lassen. Besser als Dieser Gott, von dem her und auf den siert sich als eschatologisch erwartende Deu- von einer christlichen Identität wäre hier aber hin sich Christen und die kirchliche Ge- tungsgemeinschaft, die sich in eine spezielle sicherlich von der Einheit der Christen und meinschaft verstehen, offenbarte sich im Sensibilität für die „Freude und Hoffnung, aller Kirchen bzw. kirchlichen Gemeinschaf- Alten Testament als JHWH, „der sein wird, Trauer und Angst der Menschen von heute, ten zu sprechen. Diese Einheit konstituiert als der er sich erweisen wird“ (Ex 3,14) so- besonders der Armen und Bedrängten aller sich als ein immer wieder neues gemeinsa- wie seiner Schöpfung gegenüber als „gnädig Art“ (GS 1) einzuüben sucht. mes Hören auf die Schrift, aufeinander und und barmherzig, langmütig und reich an auf die Stimmen der Zeit, was die Kirche zum Huld und Treue“ (Ex 34,6). Damit ist dem Der Andere als locus theologicus und Resonanzraum vielfältiger Stimmen werden Gottesnamen (und folglich auch der christ- locus veritatis lässt. lichen Identität) in seiner Undefinierbarkeit Die Kirche ist von daher genuin auf die Mit der These von der Verwiesenheit ein dynamisches, zeitliches Moment einge- anderen verwiesen und zwar nicht nur, um in auf den Anderen zur besseren Erkenntnis schrieben. Gott hat sich zwar bereits als ret- ihnen – im Hören auf deren Nöte und Sehn- des eigenen baut Klaus von Stosch gewisser- tender erwiesen, kann aber dennoch nicht süchte – Christus zu dienen, sondern ebenso maßen auf bester theologischer Tradition, auf dieses Handeln festgelegt werden. Für uns für die Erkenntnis ihrer eigenen Wahrheit. denn auch die Theologie entzündete sich ja Menschen bedeutet dies, dass Gott als der Der französische Jesuit Michel de Certeau bekannterweise am Ringen um das Eigene in immer Andere eine stete Offenheit verlangt mahnt dementsprechend ein, „daß die Wahr- der Auseinandersetzung mit dem Fremden. und radikal auf die Welt und die Geschichte heit sich nicht einfach mit dem identifizieren Die Apologeten und die Kirchenväter der – der Ort, an dem sich Gott in Treue erwei- lässt, was uns von ihr bewußt ist“, sondern ersten nachchristlichen Jahrhunderte sowie sen wird – verweist. In Folge sind auch die dass das Du, das anders ist als ich, notwendig die später stattfindenden frühen Konzilien Christen dazu aufgerufen, der Welt und der ist für meine Wahrheit, oder anders gesagt: formulierten diese ersten mehr oder weniger Geschichte in ebensolcher Weise die Treue zu „es gibt noch weitere Wahrheiten außer der systematischen theologischen Grundtexte halten und für das Wirken Gottes und seine meinigen; ich kann nicht von ihnen getrennt nämlich nicht in rein polemischer Abgren- Zeichen sensibel zu sein. Von daher charak- sein ohne aufzuhören, im Wahren zu sein“ . 1 zung (auch wenn dies in den resultierenden terisiert sich die eschatologische kirchliche Der Mensch als begrenzter vermag immer Formulierungen des anathema sit vielleicht Gemeinschaft als eine, die sich in wachsamer nur einen Bruchteil der Wahrheit zu erken- so aussehen mag), sondern knüpften sehr Hoffnung für den immer noch ausstehenden nen. So wagt auch der Paderborner Theologe wohl an gängige Ideen und Konzepte der Wiederkehrenden offen- und bereithält. Bei Klaus von Stosch davon auszugehen, dass, hellenistischen Umwelt an, adaptierten und diesen Zeichen handelt es sich jedoch nicht selbst wenn sich Gott in Jesus Christus in un- re-formulierten deren Sprache und entwi- in erster Linie um kosmologische Zeichen ckelten somit die Theologie aus dem Zusam- am Himmel, denn „der Gott Abrahams, der mentreffen der frühen christlichen Zeugnisse 1 Certeau, Michel: „Gibt es eine Sprache der Gott Isaaks und der Gott Jakobs“ offenbar- Einheit“, in: Concilium (6/1) 1970, S. 38-45, hier: S. 40. mit der antiken Philosophie. Folgten danach Theologicum 5
auch immer wieder Perioden der Selbstver- Doch noch auf ganz andere Weise ist in Anderen dabei sofort christlich zu verein- gewisserung durch Abschottung, so re-for- der Theologie das Thema des Anderen – und nahmen? Kann man auf diese Weise den di- mierte sich die kirchliche Gemeinschaft hier sind nun besonders die anderen Religio- vergierenden Geltungsansprüchen angemes- – nicht nur im Bereich der Lehre, sondern nen gemeint – von steter Relevanz gewesen: sen begegnen, oder wäre nicht vielmehr die u.a. auch in ihren liturgischen Vollzügen Aufgrund der Heilsnotwendigkeit Christi Universalität der eigenen Geltungsansprüche – grundsätzlich stets in Wechselbeziehung drängte sich bereits recht früh die ekklesio- zu relativieren? Kann bei den unterschiedli- zu ihr Äußerlichem. Wo die wirkliche Aus- zentrisch formulierte Frage nach der Heils- chen Gottes- und Vollendungsvorstellungen einandersetzung mit dem von Kontext zu möglichkeit für Nichtchristen auf. Der über überhaupt noch von einem gemeinsamen Kontext jeweils unterschiedlichen Anderen Jahrhunderte hinweg dominierende Grund- Ziel der Wege die Rede sein? Solche und ausbleibt, drohen die Formen zu verknö- satz „Extra ecclesiam nulla salus“ – „Außer- ähnliche Anfragen tönen aus dem Kreis der chern, zu leeren Worthülsen zu werden und halb der Kirche kein Heil“ – resultierte aus pluralistischen Theologinnen und Theolo- den Fragen der Zeit nicht mehr begegnen zu dieser Diskussion. Erst in der Zeit um das gen. Wie die Kategorisierung dieser Richtung können. Dies betonte auch das Zweite Vatika- Zweite Vatikanum verschob sich die ekklesi- schon besagt, wird von ihren Denkern (z.B. num mit dem von Johannes XXIII. geprägten ozentrische Perspektive (wieder) hin zu einer John Hick, Perry Schmidt-Leukel) eine Viel- Leitwort „Aggiornamento“ und seiner Öff- christozentrischen, und damit verschob sich zahl und Gleichwertigkeit möglicher Wege nung hin zur Moderne nach einer längeren außerdem die Problemfokussierung: Nicht angenommen – die Superiorität des christli- Phase der kirchlichen Verschlossenheit und mehr die Heilsmöglichkeit für einzelne Zu- chen Bekenntnisses wird damit ausgeschlos- Ablehnung. gehörige anderer Traditionen bildet seitdem sen. Aber kann von Seiten der christlichen In der heutigen Theologie hat in beson- den Kern des Interesses, sondern die Bedeu- Theologie und des christlichen Glaubens die derer Weise die Fundamentaltheologie die tung anderer religiöser Traditionen für das universale Heilsbedeutung Jesu Christi legiti- Aufgabe des Dialogs mit dem Anderen ge- Christentum und die Kirche an und für sich. merweise verabschiedet werden? Ist die Aus- erbt. Nicht nur andere Religionen bilden ihre In der daraus sich entspinnenden Theologie einandersetzung mit Anderen tatsächlich nur Gesprächspartner; im universitären Kontext der Religionen wird zumeist – neben der be- durch die Einklammerung oder Beschnei- sind es vor allem benachbarte wissenschaft- reits erwähnten exklusivistischen Position – dung eigener Wahrheitsansprüche möglich? liche Disziplinen – im Speziellen die Phi- eine inklusivistische und eine pluralistische Dieser von manchen bereits als frucht- losophie und diverse Kulturwissenschaften Grundausrichtung unterschieden. Inklusivis- los erachteten Diskussion um eine adäquate –, aber auch die Naturwissenschaften sowie tische Denker (unter ihnen z.B. Karl Rahner, Theologie der Religionen versucht die in neu- andere gesellschaftliche Bereiche wie z.B. die Raimon Panikkar, Jacques Dupuis u.v.m.) erer Zeit besonders im amerikanischen und Kunst, mit denen im Modus der Übersetzung pflegen an der universalen Heilsbedeutung deutschen theologischen Raum erstarken- der Austausch gesucht wird. Im Hören auf Jesu Christi festzuhalten, vermögen es je- de Komparative Theologie auf alternativem den Anderen versucht die Fundamentaltheo- doch, andere religiöse Traditionen – wenigs- Wege zu entkommen. Ohne das Verhältnis logie, die Welt, in welcher die Kirche steht, tens als praeparatio evangelica und zumindest des Christentums zu den anderen Religio- und sich selbst besser zu verstehen und den teilweise – als an sich heils- und wahrheits- nen insgesamt zu bestimmen und selbst ohne Fragen und Nöten, dem Denken und der vermittelnd anzuerkennen. Das Wirken des über die theologische Relevanz auch nur ei- Sprache der Menschen der jeweiligen Zeit Heiligen Geistes und des nicht-inkarnierten ner einzelnen religiösen Tradition als Ganzer auf die Spur zu kommen und sich davon her- Logos beschränken sich in dieser Sicht nicht zu urteilen, bemüht sich dieser Ansatz um ausfordern zu lassen. Nicht zuletzt gilt es, mit auf das unübertreffbare Handeln Gottes in die theologische Bearbeitung von theoreti- deren Hilfe und im gemeinsamen Dialog die Jesus Christus, sondern rufen auch in und schen und praktischen Einzelfragen, um die Zeichen der Zeit zu erspüren. durch andere religiöse Traditionen echte im unvoreingenommenen Dialog mit Ande- Frömmigkeit, Demut, Barmherzigkeit, Hin- ren gerungen wird. Nur durch das Ablassen Die Diskussion um eine Theologie der gabe und Erkenntnis hervor. Aber kann ein von einer „Position Gottes“, die das letztliche Religionen und die Antwort der Kompara- solcher Ansatz eine echte Andersheit der Verhältnis der Religionen zueinander bereits tiven Theologie anderen Traditionen anerkennen, ohne die zu überblicken können meint, kann der An- 6 Theologicum
dere wirklich als Anderer begegnen. Die Be- wie Christus aufzunehmen und ihnen die ge- sich die zu anfangs noch unbestimmte Be- deutung des einen für den Anderen ergibt bührende Ehre zuteilwerden zu lassen. Nicht ziehung womöglich mit der Zeit in Freund- sich dann erst aus dem konkreten Dialog und zuletzt durch die kulturbildenden Kräfte die- schaft wandelt. Denn auch die Freundschaft kann nicht bereits vorab durch theoretische ses Ordens schrieb sich die Gastfreundschaft lebt von den Überraschungen, die mir der Überlegungen ermittelt werden. Ziel ist es als zentraler Wert in die „europäische Seele“ Andere von sich herzukommen lässt und die auch nicht unbedingt, von hier ausgehend ein. eine immer wieder neue hinhörende Bekeh- wieder zu einer allgemeinen Theologie der Zum Gast ist hierbei zu sagen, dass sich rung zum Anderen verlangt. Religionen zu gelangen. In jedem Fall wer- dieser als eine Figur charakterisiert, die sich Was das alles für das „christliche Abend- den aber durch solche Begegnungen nicht allen weiteren Kategorisierungen prinzipiell land“ oder für eine mögliche Theologie nur manch fixierte Bilder des Anderen zu entzieht. Der Gast kann jemand Befreunde- der Religionen bedeuten kann, möchte ich bröckeln beginnen, auch das Eigene wird sich tes sein, aber auch jemand Fremdes; es gibt an dieser Stelle offenlassen. Dass sich die durch die Anfragen und die Perspektive des keine eigene weibliche Form wie z.B. „die christliche Gemeinschaft in ihrem Wir im- Anderen auf neue Weise erschließen – zu- Gästin“, sodass der Gast nicht von vornherein mer wieder durch die Auseinandersetzung mindest wenn eine dementsprechend offene einem Geschlecht zugeordnet werden kann; mit den von ihr definierten wechselnden Haltung an den Tag gelegt wird. ebenso wenig lässt sich ein Adjektiv vom Anderen herausgebildet und neu verstehen Gast ableiten, was ihm eine bestimmte Qua- gelernt hat, dürfte jedoch deutlich geworden Die Gastfreundschaft als Grundzug lität zuschriebe. Verwundert es da, dass Jesus, sein. Klar ist auch, dass das Scheitern dieser christlicher Praxis der letztlich auch nicht festgehalten werden Dialektik vielfach zu blutigen Kriegen und Für das komparative Vorhaben rekla- durfte, weil er „zum Vater gehen musste“, wie Verfolgungen in der Geschichte geführt hat. miert von Stosch neben den Haltungen der dies die Begegnungen mit dem Auferstande- Allein deshalb sollte die lange Tradition und Demut und Empathie folglich ebenso die nen und die Himmelfahrt andeuten, in den Haltung der Gastfreundschaft als Grundzug Tugend der Gastfreundschaft. Diese heißt Evangelien immer wieder als Gast begegnet? christlicher Praxis nicht in Vergessenheit ge- die Anderen bedingungslos in Offenheit Und klingt hier nicht auch das Moment der raten. Vielfach liegt es demnach an uns, sich und Freundlichkeit willkommen, unabhän- Undefinierbarkeit an, wie Paulus diese für die – bei allem ehrlichen Ringen um die Wahr- gig davon, ob mir von diesen nun tatsäch- christliche (Nicht)Identität formulierte? Die heit – in der reich überlieferten Tradition auf lich Wahrheitsrelevantes zuteilwird oder Gastfreundschaft jedenfalls, die, so sie eine die friedensstiftenden und brückenbauenden nicht. Auch wenn sie den Anderen nicht sein will, die Achtung der Andersheit des An- Wege zu besinnen und sich – bei allem missi- schon von vornherein Wahrheitserkenntnis deren stets zu bewahren hat, geht als wesent- onarischen Eifer – der steten Andersheit und unterstellt, setzt die gastfreundschaftliche liches Moment auch nicht verloren, wenn Menschenfreundlichkeit Gottes zu erinnern. Haltung jedenfalls Lern- und gegebenen- falls sogar Revisionsbereitschaft der eigenen Univ.-Ass. Mag. Isabella Bruckner, geboren 1991 in Amstetten/Niederösterreich; Standpunkte voraus. Damit wird der eigene Studium der Katholischen Fachtheologie in Wien; ab März 2015 Organisationsassistentin Wahrheitsanspruch mit einem in der Traditi- an der Forschungsplattform „Religion and Transformation in Contemporary Society“ der on wesentlich verankerten Grundzug christ- Universität Wien; Diplomarbeit am Fachbereich Theo- lichen Handelns verknüpft. So war es in den logische Grundlagenforschung (Fundamentaltheologie) ersten nachchristlichen Jahrhunderten in über das Thema der Freundschaft im Denken von Ivan den christlichen Haushalten üblich, stets ein Illich („Ivan Illich – Freundschaft als Topos christlicher Stück Brot, eine Matratze und eine Kerze be- Weltbegegnung“); seit März 2017 Universitätsassisten- reitzuhalten – für Christus, der vielleicht in tin am Institut für Fundamentaltheologie der Katho- der Gestalt des nächsten Obdachlosen oder lisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz; aktu- Foto: Isabella Bruckner Reisenden an die Tür klopfte. In ähnlicher elles Forschungsinteresse im Bereich des interreligiösen Weise schrieb es im Mittelalter die Regel des Dialogs mit dem Islam und hier insbesondere auf der Heiligen Benedikt für seine Klöster vor, Gäste Gebetstheologie. Theologicum 7
Zwei Grazer Kinder des II. Vati- kanums feiern Geburtstag 50 Jahre Institut für Ökumenische Theologie, Ostkirchliche Orthodoxie und Patrologie an der Universität Graz / 30 Jahre Pro Oriente Sektion Steiermark von Univ. Prof. DDr. Pablo Argárate Ende März feierten zwei Institutionen den Päpstlichen Rat zur Förderung der seiner Venia an der Katholisch-Theologi- in Graz gemeinsam Geburtstag: Das Institut Einheit der Christen) und den Orthodoxen schen Fakultät erhalten. für Ökumenische Theologie, Ostkirchliche Kirchen 2004 in ein neues Stadium getreten. Orthodoxie und Patrologie besteht seit 50 Doch die Aktivitäten von Pro Oriente – Vor- In seiner 50-jährigen Geschichte konn- Jahren und die Sektion Steiermark der Stif- träge, Publikationen, Exkursionen – tragen te das Institut einiges erreichen; ich möchte tung Pro Oriente beging ihr 30. Jubiläum. weiterhin Bedeutendes zur Verbesserung hier nur ein paar der Highlights kursorisch Beide sind sozusagen Kinder des 2. Vatika- und Pflege der inter-kirchlichen Kontakte erwähnen, wie etwa zwei der wohl bedeu- nischen Konzils. Das Dekret „Unitatis re- bei. tendsten „Besucher“, die auf Einladung bzw. dintegratio“ ermöglichte als wichtiger Mei- Vermittlung des Instituts die Universität lenstein neue Möglichkeiten zum Dialog Institut für Ökumenische Theologie, besucht haben: Kardinal Ratzinger hat in mit den Orthodoxen und Protestanten. Am Ostkirchliche Orthodoxie und Patrologie Graz seine Position gegenüber der ortho- vorletzten Tag des Konzils hoben der Öku- doxen Kirche in der Primatsfrage präzisiert menische Patriarch von Konstantinopel, Gegründet wurde das Institut als „Insti- – „Rom muss vom Osten nicht mehr an Pri- Athenagoras und Papst Paul VI. die 1054 tut für Dogmengeschichte und Ökumenische matslehre fordern, als auch im ersten Jahr- von ihren Vorgängern verhängten gegensei- Theologie“; es war das erste Ökumene-Ins- tausend formuliert und gelebt wurde“, eine tigen Exkommunikationen auf und öffneten titut in Österreich und hat auch sonst eine Aussage des späteren Papstes Benedikt, die so den Weg in eine gemeinsame Zukunft des ganze Reihe von wegbereitenden Leistun- auch vom Seiner Heiligkeit, Bartholomaios Dialogs. gen aufzuweisen. Der „Institutsgründer“ I., dem Patriarchen von Konstantinopel an- und erste Vorstand, Univ.-Prof. Dr. Johan- lässlich der seiner Ehrenpromotion durch Der Blick zurück… nes Baptist Bauer, war der erste Laie, der im die Universität in Graz wieder aufgenom- Pro Oriente deutschsprachigen Raum einen Lehrstuhl men wurde. an einer katholisch-theologischen Fakultät. Pro Oriente wurde 1964 von Kardinal Seine Nachfolgerin Univ.-Prof. Dr. Anne Wer Graz und Ökumene googelt, wird Franz König gegründet, um im Geiste dieser Jensen sollte als erste Frau einen Lehrstuhl auch bald auf ein weiteres Ereignis stoßen, neuen Aufbruchsstimmung ein Forum zu an der theologischen Fakultät innehaben, das eng mit unserem Institut verbunden ist: bieten, dass es Katholiken und Orthodoxen und auch Univ.-Prof. Dr. Grigorios La- Die 2. Europäische Ökumenische Versamm- ermöglichte, in einen fundierten und doch rentzakis, dessen vielfältige internationale lung im Jahr 1997 wurde mit Hilfe von Prof. inoffiziellen Dialog zu treten, voneinander Aktivitäten das Institut über die Grenzen Larentzakis aus der Taufe gehoben, ein in- und über einander zu lernen und nicht zu- Österreichs bekannt gemacht haben, war ternationales Großereignis, das nicht nur letzt auch enge persönliche Bande zu knüp- ein Vorreiter: Er war der erste orthodoxe Tausende Menschen im öffentlichen Raum fen, die im Sinne einer zwischenkirchlichen Theologe an einer deutschsprachigen ka- von Graz zusammenbrachte, sondern auch Diplomatie den Weg für eine allmähliche tholisch-theologischen Fakultät, mit einer den Grundstein zur Formulierung der auch offizielle Annäherung der Kirchen eb- Lehrbefugnis der Geisteswissenschaftlichen Charta Oecumenica legte, in der praktische neten. Diese ist mit der Aufnahme des offizi- Fakultät. Erst kurz vor seiner Pensionierung Leitlinien für die wachsende Zusammen- ellen Dialogs zwischen dem Vatikan (durch hat er auch die kirchliche Zustimmung zu 8 Theologicum
arbeit unter den Kirchen in Europa festge- als in den Zeiten des Zweiten Vatikanums. einen Beitrag zu dieser spannenden Ent- schrieben wurden. Ökumene wird vielerorts selbstverständlich wicklung leisten zu können. Das gemein- gelebt und viele Probleme sind auch deshalb same Studium der Quellen der Kirchenvä- Parallel zur kirchlichen Zusammenar- nicht mehr ganz so „heiße Eisen“, weil wei- ter mit orthodoxen Kollegen bringt immer beit ist auch die Zusammenarbeit im Bereich te Teile der heutigen Gesellschaft religiöse wieder überraschende Gemeinsamkeiten der theologischen Ausbildung ein wichtiges Tabus und Berührungsängste für irrelevant und Unterschiede in der Lesart derselben Anliegen. Der Grazer Prozess hat sich zur halten. In den letzten Jahren hatte wohl auch gemeinsamen Quellen zutage. Der Kontakt Aufgabe gemacht, die Vernetzung der theo- in interessierten Kreisen eine Art Ökume- zu Mitgliedern christlicher Gemeinden und logischen Fakultäten bzw. vergleichbarer ne-Müdigkeit eingesetzt; vieles ist schließ- Universitäten in bzw. aus Ländern, die heute Bildungseinrichtungen unterschiedlicher lich erreicht und „allzu radikale“ Ideen einer Kriegsgebiet oder Ort akuter Christenver- Kirchen und Konfessionen in Europa im gemeinsamen Kirche sind einem pragmati- folgung sind, führt uns gleichzeitig auf die Bereich von Forschung und Lehre voranzu- schen Konsensus gewichen. Doch in der Spuren jahrhundertelangen Zusammenle- treiben. Die Koordination dieser Arbeit war letzten Zeit scheint sich das Blatt zu wenden. bens verschiedenster christlicher Religionen lange an unserem Institut angesiedelt, bevor In der Politik wird neben wirtschaftlichen und auch des Zusammenlebens von Chris- sie unter Prof. Angel in seiner Dekanatszeit und monetären Aspekten eine grundlegen- ten und Muslimen. Dieser ökumenische auf Fakultätsebene „gehoben wurde“. Der de Wertediskussion wieder stärker geführt Austausch ist durchaus auch als ein Beitrag Prozess, dessen Name ursprünglich an den und in der Identitätsfrage – ob persönlich, zu verstehen, die bisherige – vermeintli- Bologna-Prozess angelehnt wurde, wird national oder europäisch – wird die Rolle che - Hegemonialstellung Westeuropas noch heute von internationalen Partnern der Religion wieder mit viel Herzblut dis- auch auf der Ebene der theologischen For- als fruchtbringende Plattform gesehen, die kutiert. Gerade hier in Österreich, in Graz, schung zu hinterfragen und ein Stück weit gerade durch ihren informellen Charakter an diesem Schnittpunkt zwischen Ost und aufzubrechen. Idealerweise lehrt uns dieser zukunftsweisende und mutige Ansätze er- West, so nahe an einer Grenze, die in den Austausch, dieser gemeinsame Blick auf ge- möglicht. letzten Jahrzehnten Menschen aus dem Bal- meinsame Wurzeln, wichtige Lektionen für kankrieg und in jüngster Zeit auch aus dem unser gemeinsames Christ-Sein, aber auch Der Blick nach vorne… Nahen Osten oft als Flüchtlinge überquert für unsere persönliche und gesellschaftliche haben, um sich hier niederzulassen, zeigt Identität in Zeiten sich wandelnder religi- Es ist wohl verständlich und sicherlich sich, dass die Beschäftigung mit anderen ös-konfessioneller Demographie und wach- angebracht, anlässlich eines Jubiläums einen christlichen Konfessionen und unseren ge- sender Globalisierung. Wenn Prof. Bauer Blick auf die Geschichte zu werfen und den meinsamen historischen und theologischen von einer Balance zwischen Kontinuität und großen Personen und Leistungen einer Ins- Wurzeln von ungemeiner Aktualität ist und Erneuerung unter Berücksichtigung der titution – oder in unserem Fall zweier Ins- uns in so vieler Hinsicht bereichern kann. aktuellen Fragen gesprochen hat, so hat er titutionen – gebührenden Raum zu geben. damit „seinem“ Institut eine grundlegende Dennoch wäre es wohl gerade nicht im Sin- Als jüngster Institutsvorstand in der Richtung und Vision gegeben, die bis heu- ne der damaligen Pioniere und Vordenker, Geschichte des Instituts für Ökumenische te eine treue Richtschnur für unsere Arbeit wenn wir uns auf diese glanzvolle Geschichte Theologie, Ostkirchliche Orthodoxie und sein kann. konzentrieren würden und nicht auch nach Patrologie, und als Vorstandsmitglied der vorne denken. Die Welt ist heute eine andere Stiftung Pro Oriente bin ich besonders froh, Theologicum 9
Vertraut und neu Wahrnehmungen aus dem FranzisCa Frauenwohnhaus von Valeria Saulevich Mitten im Grünen in Eggenberg steht der Besucherinnen und Besucher beim Por- gen. Sie sprachen Deutsch mit unterschied- das FranzisCa Frauenwohnhaus - ein vier- tier. Als ich von der Hausordnung erfuhr lichen Akzenten, unterhielten sich in mir stöckiges Gebäude des ehemaligen Schulin- und die Wohnräume besichtigte, erinnerte unbekannte Sprachen oder mit Gesten. ternats, umgeben von einem kleinen Garten ich mich das sofort an mein Leben im Stu- und Feldern. Es beherbergt asylsuchende dentenheim. Es wurde mir immer mehr bewusst, Frauen und bietet ihnen vielseitige Unter- dass Asylwerberinnen belastende, aus dem stützung. Während der Vorbereitungen zu Die Frauen aus dem Frauenwohnhaus Alltag ausreißende Erfahrungen mit sich einem praktischen Seminar besichtigte ich sind durch die Umstände der Flucht in einer tragen. Dass die dünne Linie zwischen Stär- die Einrichtung und kam mit den Mitar- WG zusammengekommen und müssen nun ke und Verletzlichkeit, alltäglicher Routine beiterinnen ins Gespräch. Während dieses den Alltag gemeinsam bewältigen. Viele von und Unsicherheit vor dem kommenden Tag Besuchs konnte ich persönlich Räume und ihnen haben in ihren Heimatländern eine in Hinblick auf ihre Lebenslage besonders Personen beobachten und die Atmosphäre eigene Familie und einen Haushalt gehabt. sichtbar wird. Mich selbst beschäftigte aber wahrnehmen. Andere haben ihr zuhause noch als Kinder vielmehr die Individualität der Frauen, die oder Heranwachsende verlassen müssen. mir begegnen. Wer sind sie? Was bringen sie In jedem der drei Stockwerke befinden Natürlich waren meine Mitbewohnerinnen mit? Wie sieht ihr Alltag in so einer bunten, sich zwei Wohngemeinschaften, wo derzeit und ich im Studentenwohnheim in einer sich ständig verändernden Wohngemein- achtundsiebzig asylsuchende Frauen unter- anderen Lage. Vor allem haben wir uns in schaft aus? So neugierig ich zu Beginn un- gebracht sind. Jede WG besteht aus Doppel- einer WG freiwillig angesiedelt. Doch die serer Besichtigung die Schwelle des Hauses und Einzelzimmern und verfügt über eine Gemeinsamkeit liegt für mich in einer sol- betrat, verließ ich es mit einer noch größe- eigene Küche und Dusche. Der breite Gang chen Lebensform an sich, mit ihren Anfor- ren Neugier auf das Leben, das mir bekannt mündet am Ende des Stockwerkes in den derungen und ihrer Atmosphäre. WG-Le- und zugleich ganz neu vorkommt. improvisierten Gemeinschaftsraum Couch ben ist für mich eine vertraute, durch und und Spielplatz für die Kinder. Die Wohnblö- durch alltägliche Erfahrung. cke sind allerdings weder mit Wänden noch Türen voneinander getrennt. Frauen teilen Von der ganzen großen Gemeinschaft miteinander somit nicht nur den Haushalt, war am ruhigen leeren Freitagvormittag in sondern auch ihr Privatleben. den Gängen und Stiegen vom Frauenwohn- haus wenig zu bemerken. Aber selbst in fünf Das Zusammenleben der großen Ge- kurzen Begegnungen fiel mir eine bunte Mi- meinschaft wird durch eine Hausordnung schung aus Kulturen, Ethnien, Charakteren geregelt. Es gibt einige Vorschriften, um auf. Ich traf Frauen von jung bis alt, mit Hi- eine sichere, geschützte Umgebung für die jab und ohne, mit dunkler und heller Haut, Bewohnerinnen zu schaffen. Frauen sollen mit einer Starter-Frisur, losen und hochge- diese Regeln befolgen - von der Reinigung steckten Haaren... Freundlich, leuchtend, der Küche und Dusche bis zur Anmeldung energievoll, erschöpft kamen sie mir entge- 10 Theologicum
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„Das mit dem Kloster, das wird jetzt ernst“ Sr. Gertraud Johanna Harb erzählt von ihrer Gemeinschaft und ihrer Berufung als Kreuzschwester Eigentlich wollte ich nie Ordensschwes- te weiß ich, dass das zu meinem Glauben die Offenheit in der Gemeinschaft, die mich ter werden. Ich hatte 2002 begonnen Theo- gehört aber damals hat es mich verunsi- in Graz bald angesprochen und eine wach- logie zu studieren, weil es mich einfach in- chert. Es war für mich schon schwer mich sende innere Klarheit in mir ausgelöst hat. teressiert hat. Damals konnte ich mir noch überhaupt für Gott zu entscheiden, noch Noch leicht zögerlich meldete ich dann bei nicht einmal so recht vorstellen überhaupt schwerer fiel mir die Entscheidung für ei- den Schwestern an, dass ich diesen Weg in der Kirche zu arbeiten. Doch die Dinge nen Orden. Doch die Idee lies mich nicht ernsthaft gehen wollte. Mehrere Gespräche veränderten sich. Im Laufe der Zeit bekam los und schließlich begann ich aktiv nach mit Schwestern (der Provinzoberin und ein- ich nicht nur Wissen über meinen Glau- einer passenden Gemeinschaft zu suchen. zelnen Provinzrätinnen) folgten. Schließlich ben, mir wurde auch mehr Innerlichkeit Zunächst hatte ich einen richtigen Plan, wie wurde ich als Kandidatin bezeichnet und geschenkt. Aber ich habe noch keinen Or- denn ein Orden sein müsste, damit ich mich reiste zu verschiedenen Wochenenden nach den gesucht. Im Nachhinein würde ich nicht darin wohlfühlen würde. Später merkte ich, Linz oder Wels um etwas über „meine“ neue einmal behaupten, dass ich wirklich Gott dass meine ursprünglichen Motivationen Gemeinschaft zu erfahren. Ich kann mich gesucht habe. Ich wurde zunächst eher zwei- nur vereinzelt sinnvoll waren. Damals habe gut erinnern, wie ich meinen Eltern damals felnder und unruhiger. Irgendwann habe ich mir viele Gemeinschaften angesehen am Mittagstisch verkündete: „Das mit dem ich gemerkt, dass ich im Innersten nicht und bin schließlich bei den Kreuzschwes- Kloster, das wird jetzt langsam ernst.“ glücklich bin. Es war nicht nur eine stille tern hängengeblieben. Dabei waren drei Unzufriedenheit, es war eine existentielle Momente besonders wichtig für mich: Es Ordensfrau werden Unzufriedenheit, die mich packte und nur war eine franziskanische Gemeinschaft, sie zwischendurch kurzzeitig los lies. Schließ- war international und wurde für die „Not Nach dieser Phase der Kandidatur und lich wusste ich, ich musste etwas verändern. der Zeit“ gegründet. Besonders der Grün- des längeren Mitlebens in den Gemein- Ich habe etwas gesucht, was anders ist. Ich dungsauftrag der Kreuzschwestern war es, schaften in Graz und Hall in Tirol hieß es war auf der Suche nach irgendeiner Art von der mein Innerstes ansprach. Es war für ganz neu aufbrechen. Drei Jahre sollte ich Sinn oder Glück oder einem Mehr … und mich völlig logisch, dass es sinnvoll ist, Not im Rahmen der Ordensausbildung in Heg- ich fand es einfach nicht. zu lindern – auf allen Ebenen. Praktisch be- ne am Bodensee (Deutschland) leben und deutet das einerseits, dass Kreuzschwestern dort der Ausbildungsgemeinschaft angehö- Aufbrechen auf vielen Gebieten tätig sind und in vielen ren. Hier durfte ich einerseits verschiedene Berufen arbeiten, andererseits lässt das aber Berufsfelder kennenlernen, hatte aber auch Ich habe immer wieder ignatianische auch viel Platz für neue Aktivitäten. Dieses mehr Zeit zum Gebet und lernte die Ge- Einzelexerzitien gemacht und im Laufe der Gründungscharisma passt einfach in jede meinschaft besser kennen. Unterbrochen Studienjahre langsam zu einer inneren Be- Zeit. war diese Zeit immer wieder von Schulun- ziehung zu Gott gefunden. Gerade am Be- gen und Praktika in verschiedenen Ordens- ginn hatte ich einzelne ergreifende Gebet- Meine Entscheidung war zunächst nicht betrieben oder in anderen Bereichen. Nach serfahrungen, doch es gab auch lange und sehr deutlich – kein Blitz vom Himmel dem ersten Jahr durfte ich das Noviziat be- durchaus quälende Zeiten der Abwesenheit, machte mir klar, dass ich angekommen war. ginnen und musste mich entscheiden, ob des erneuten Zweifelns und Fragens. Heu- Es war aber die Art des Gebets, des Lebens, ich ein Ordenskleid tragen will. Wer hätte 12 Theologicum
gedacht, dass ich jemals vor so einer Ent- lutionärem Weg, sondern aus der innovati- Typhuskranken Opfer ihres Berufes gewor- scheidung stehe!? ven Kraft des Christentums, die über Schule den waren. und Caritas wirksam werden sollte. Dazu Rückblickend war ich damals noch im- suchte er Frauen, die sich für seine Idee be- Bis heute ist dieser Pioniergeist unserer mer nicht sicher, ob ich wirklich am richti- geistern konnten. Gründer aktuell: Wir versuchen den Be- gen Fleck war. Aber immer tiefer wuchs ich dürfnissen der Zeit entsprechend zu han- in die Gemeinschaft hinein. Immer mehr Eine dieser Frauen war Katharina Sche- deln und in unserer Zeit und Welt etwas von lernte ich, was es eigentlich heißen kann, rer, die sich dem energischen Kapuziner der Liebe Gottes erfahrbar zu machen. In Ordensfrau in der heutigen Zeit zu sein anschloss. Sr. Maria Theresia Scherer (1825 Österreich haben Kreuzschwestern Schulen, und Gott im Leben die erste Priorität zu – 1888), wie sie später hieß, wurde erste Kindergärten, Krankenhäuser, Altenheime, geben. Auch wenn es auf dem Ausbildungs- Generaloberin und Mitbegründerin der Exerzitienhäuser und Erholungshäuser. weg Zwischenstücke gab, an denen es nicht „Barmherzigen Schwestern vom heiligen Schwestern arbeiten in vielen verschiedenen leicht war – ob mit mir selbst, mit Gott oder Kreuz“. Als Pater Theodosius 1865 überra- Berufsfeldern: z.B. als Krankenschwestern, mit der Gemeinschaft – war es eine sehr be- schend starb, führte sie nicht nur die Kon- in der Altenpflege, in der Krankenhausseel- reichernde Zeit. Ich hatte in meinen zehn gregation weiter, sondern trug auch den sorge, als Pfarrsekretärinnen, als Therapeu- Jahren Theologiestudium inhaltlich sehr gigantischen Schuldenberg ab, den er auf- tinnen oder als Pastoralassistentinnen. Viele viel gelernt, aber hier lernte ich in drei Jah- grund seiner unglücklichen Fabriksgeschäf- unserer Klöster (auch das Kloster Graz) ha- ren viel mehr. Es handelte sich nur um eine te hinterlassen hatte. ben in dieser schweren Zeit Flüchtlinge auf- ganz andere Ebene. Es ist von außen schwer genommen. In den allermeisten Niederlas- nachvollziehbar, was sich innerlich in einem Die rasch wachsende Gemeinschaft sungen gibt es auch eine Essensmöglichkeit Menschen verändern kann, wenn man sei- wurde ein Teil der großen „Frauenbewe- für Obdachlose. Eine Vielzahl an Projek- nem Herzen folgt. gung“ des 19. Jahrhunderts. Die Schwes- ten bringt Hilfe an die unterschiedlichsten tern engagierten sich dort, wo ihre Hilfe am Orte (u.a. Rumänien und Albanien). Viele Barmherzige Schwester vom heiligen dringendsten benötigt wurde: In Armen- Schwestern sind bereits hochbetagt und Kreuz häusern, Altenheimen oder Anstalten für werden in eigenen Einrichtungen versorgt körperlich und geistig Behinderte betreu- und gepflegt. Der Quellgrund unseres Le- Kreuzschwester werden heißt eigent- ten sie Menschen, die von der Gesellschaft bens und Arbeitens liegt in der barmherzi- lich: „Barmherzige Schwester vom heili- vergessen worden waren. Sie unterrichteten gen Liebe Gottes, die sich in Jesus Christus gen Kreuz“ werden. Das Mutterhaus un- in Kindergärten und Schulen, betreuten In- entäußert bis zum Tod am Kreuz. serer weltweiten Kongregation von heute ternate und Kosthäuser für Lehrlinge, um über 3000 Schwestern liegt in Ingenbohl durch Bildung die Weichen für ein besseres Franziskanisch (Schweiz) am schönen Vierwaldstättersee. Leben zu stellen. Der Schweizer Kapuziner P. Theodosius Flo- Die enge Verbindung von Gottes- und rentini (1808 – 1865) setzte sich in der Zeit Die Schwestern waren aber auch verfüg- Nächstenliebe ist etwas zutiefst Christliches, der fortschreitenden Industrialisierung das bar, wenn sie zu verwundeten Soldaten auf wird aber auch von Franziskus erneut stark Ziel, die drängenden sozialen Probleme der Kriegsschauplätze und in Lazarette gerufen betont und auf die ganze Schöpfung ausge- Zeit und das Elend der Fabrikarbeiter zu lin- wurden oder wenn Kranke in Epidemie- weitet. Franziskus erkennt auch in Tieren, dern und vor allem die Ursachen dieser Not gebieten ihrer Hilfe bedurften. „Ganz dem Pflanzen und Gestirnen seine Brüder und – Bildungsnotstand, das Erziehungsdefizit Gekreuzigten, darum ganz dem Nächsten: Schwestern und legt besonderen Wert auf der Jugend und schließlich das ausbeuteri- Der Liebe Christi Stellvertreterin“, so die eine geschwisterliche Haltung. Als Franzis- sche kapitalistische Wirtschaftssystem – zu Inschrift Mutter Maria Theresias auf der kanerinnen sind wir verstärkt zur Armut, bekämpfen. Pater Theodosius wollte eine Grabplatte der ersten vier Schwestern, die zur Schöpfungsverantwortung und zur De- Erneuerung der Gesellschaft nicht auf revo- in jungen Jahren in Rom bei der Pflege von mut berufen. Was bedeutet das? Theologicum 13
Zunächst ist unsere Lebenshaltung be- sius hat festgehalten: „Das Gebet, das heißt Und die Armut? stimmt von der Liebe und dem Vertrauen der Verkehr mit Gott, ist dem Menschen so in das grenzenlose Angenommensein jedes notwendig wie das Atemholen, wie die Ver- Wichtig ist, dass man das Gelübde der Menschen durch Gott. Dieses Vertrauen bindung der Pflanze mit der Erde, wie die Armut nicht auf das rein Finanzielle oder bestärkt uns darin, solidarisch für Gerech- Verbindung des Astes mit dem Baum.“ In den Besitz beschränkt. Es geht vielmehr tigkeit einzustehen, uns der Glaubenser- dem Wissen, dass unsere Liebe, unsere Ge- um eine Haltung. Mich selbst als Geschöpf fahrung zu öffnen und dankbar zu werden. duld und unsere Freude aus der Verbindung in meiner Geschöpflichkeit annehmen ist Schöpfungsverantwortung und Umwelt- mit Gott erwachsen, bemühen wir uns auch auch gelebte Armut. Solidarität und Dank- schutz sind uns wesentliche Werte. Als im Alltag und in der Arbeit in einer Gott zu- barkeit erwachsen aus einer wahren inneren Franziskanerinnen suchen wir die Einfach- gewandten Haltung zu leben. Dabei helfen Armut. So kann ich mir selbst und anderen heit, abseits vom materiellen Status- und uns Zeiten der Unterbrechung, in denen wir Fehler leichter verzeihen. Geschwisterliche Leistungsdenken. Im Weniger erfahren wir uns wieder zum gemeinsamen Gebet tref- Armut heißt auch, dass ich manchmal mit- das Mehr und setzen unsere Prioritäten auf fen. Vor dem Mittagessen beten wir die Sext tags zu den Leuten hinübergehe, die unsere das Sein anstatt auf das Haben. Auch wenn und nach dem Abendessen die Vesper in der Essensausgabe in Anspruch nehmen oder die gelebte materielle Armut oft für unsere Kirche. Das Stundengebet dient uns so zur mit einer Selbstverständlichkeit meiner Tätigkeiten oder Einrichtungen in den Hin- Stärkung, Sammlung und Neuausrichtung Mitschwester beim Geschirrspüler helfe. tergrund rückt und viele unserer Häuser auf Gott hin. Es kann aber auch bedeuten, nicht ständig auch für die älteren Schwestern ausgebaut meine Titel und Ausbildungen vor mir her- oder saniert werden müssen, glaube ich Am Sonntag feiern wir die Messe um zutragen. Denn weder meine Denkfähigkeit doch, dass wir wirklich bescheiden leben. 8:00 Uhr und beten davor die Laudes. Alle noch meine körperliche Kraft habe ich mir Es geht dabei um eine freie Entscheidung zu Gottesdienste sind für Besucher offen. Wö- selbst gegeben. einer einfachen Lebensweise, die Freude am chentlich haben wir eine Chorprobe, ein Teilen und das immer neue Mühen auch auf Bibelgespräch und einen Gemeinschafts- Natürlich schließt das Gelübde der geliebte Kleinigkeiten zu verzichten. Los- abend. Zweimal in der Woche gibt es eine Armut auch die Gütergemeinschaft ein. lassen können bzw. wenig haben ist etwas gemeinsame Zeit der Eucharistischen Anbe- Konkret heißt das zum Beispiel, dass mein Wertvolles, das – richtig verstanden – zu tung, monatlich einen Einkehrtag. Gehalt direkt an die Gemeinschaft geht, einer großen inneren Freiheit führen kann. während ich ein kleines Taschengeld (Ver- Aus beruflichen Gründen kann nicht fügungsgeld) bekomme. Damit muss man Und konkret? jede Schwester bei jeder einzelnen Gebets- freilich mehr abwägen, was nötig ist, was zeit dabei sein. Ich bin z.B. im Augustinum man sich leistet oder was einem wirklich Konkret lebe ich hier in einem großen als Pastoralassistentin tätig. Das ist ein wei- etwas wert ist. Zug- und Busfahrten sollten Kloster in der Kreuzgasse mit 20 Mitschwes- tes Feld mit sehr vielen Einrichtungen und gut geplant bzw. miteinander abgestimmt tern. In Graz gibt es noch vier andere Kon- Veranstaltungen. Gerade die Arbeit mit den werden und möglichst billig sein. Teure Ur- vente der Kreuzschwestern, die aber zumeist Jugendlichen im Internat aber auch Ein- laube sind auch in Zukunft ausgeschlossen. kleiner sind. Wir beginnen unseren Tag kehrtage, Tagungen oder Reisebegleitungen gemeinsam um 6:40 Uhr in der Kirche mit machen mir viel Freude. Diese vielfältigen Für mich ist es noch immer nicht leicht, den Laudes und feiern um 7:00 die hl. Mes- Tätigkeiten lassen sich aber nicht in fes- im Alltag wirklich sparsam zu leben. Jetzt se. Das Frühstück nehmen wir als einzige te Zeiten zwängen. So kommt es auch vor, erst merke ich, was ich mir früher alles pro- Mahlzeit schweigend ein und anschließend dass ich an einem Tag nur in der Früh mit blemlos leisten konnte. Besonders bewusst geht jede an ihre Arbeit. Mindestens eine der Gemeinschaft bete. Aber jede Schwester wird mir das immer wieder bei Eintritten halbe Stunde sollte sich jede Schwester täg- müht sich um ihr geistliches Leben und es – ins Kino, in ein Museum, in eine Kirche. lich zur Betrachtung des Evangeliums neh- ist uns ein ehrliches Anliegen gemeinsam zu Am Schwersten ist es für mich aber, nichts men. Schon unser Gründer Pater Theodo- beten und stimmig Liturgie zu feiern. selbst online bestellen oder keine größeren 14 Theologicum
Geschenke machen zu können. Gerade vor Das ganz normale Leben Grunde schon immer war. Ich wusste es Weihnachten oder Geburtstagen wird mir vorher nur nicht. meine Entscheidung immer wieder auch Vieles im Ordensleben mag zunächst schmerzlich bewusst. seltsam anmuten oder ungewohnt sein. Mehr Infos zur Kongregation der Barm- Wenn man darin lebt, wird es normal. herzigen Schwestern vom hl. Kreuz (SCSC) Aber Gütergemeinschaft ist nicht nur Ich hinterfrage hier noch einiges, bin mit unter: www.kreuzschwestern.eu eine Einschränkung. So gebe ich z.B. mein manchem nicht zufrieden oder frage nach Schreiben vom Kirchenbeitrag oder von der den Gründen. Aber ich habe MEIN Leben Autorin: Sr. Gertraud Johanna Harb Pensionsversicherung einfach vertrauens- gefunden. Hier kann ich sein, wie ich im gertraud.harb@graz-seckau.at voll an unsere Ökonomin weiter. Das Auto in der Garage muss ich reservieren, aber je- Ich wurde 1983 in Graz geboren, habe dann die mand anders wartet es und fährt damit zur BBA für Kindergartenpädagogik besucht und mit der Werkstatt, wenn etwas nicht passt. Ich habe Matura abgeschlossen, dann Theologie studiert (in ein warmes Zimmer, ein Handy und habe Münster und Graz) und das Doktorat (bei Prof C. Heil) jeden Tag ein warmes Essen, ohne selber ko- gemacht, parallel dazu Religionswissenschaft studiert, chen zu müssen. Im Gemeinschaftsraum ist dann habe ich das Pastoralpraktikum gemacht und bin ein Fernseher und der Kühlschrank im Spei- 2013 in den Orden der Barmherzigen Schwestern vom sezimmer ist nie ganz leer. Im gemeinsamen Heiligen Kreuz eingetreten. Dort war ich in der Aus- Foto: Sr. Gertraud Johanna Harb Leben ist viel Kommunikation und manche bildung hauptsächlich in Hegne am Bodensee, aber Planung nötig aber es wird einem auch sehr auch in Hall in Tirol und in Münster in NRW und bin viel abgenommen. seit September 2016 wieder in Graz und im Augusti- num als Pastoralassistentin tätig. Theologicum 15
Religionsfreiheit als „Recht der Freiheit, nicht der Frommen“ Univ.-Prof. Dr. Heiner Bielefeldt über Formen und Motive der Verlet- zungen von Religionsfreiheit und die Frage „Was tun“ von Gudrun Rausch Bereits zum dritten Mal berichtete Hei- bien, Iran oder dem Sudan. Geahndet wird Provinz Xinjiang – die einen hohen Anteil ner Bielefeldt am 11. Mai in Graz über das hier zum Beispiel der Abfall vom Islam. In an Uiguren (ein mehrheitlich muslimisches Thema Religionsfreiheit; dieses Mal auf Ein- Pakistan steht aus Blasphemie die Topdes- Turkvolk) aufweist und wegen ihrer rigo- ladung von ProOriente, Universität Graz, strafe und in Indien gibt es Anti-Konversi- rose Vorschriften gegen das Tragen langer Katholische Hochschulgemeinde, dem ons-Gesetze. Bärte bei Männern und von Kopftüchern Welthaus und viele anderen. bei Fragen im Frühling in allen Medien In Kasachstan wird die Religionsfrei- war – werden alle Kinder auch während des Die Religionsfreiheit an sich ist ein heit eher auf bürokratischer Ebene einge- Ramadans dazu gedrängt am Schulessen Menschenrecht und an sich mit Gedanken- schränkt. Hier muss beispielsweise für den teilzunehmen. In Ostzypern wird Kindern Gewissens- und Religionsfreiheit betitelt. Import von religiöser Literatur, für den beispielweise während der Schulstunden die Zusätzlich ist sie mit der Meinungs- und Verkauf von religiöser Literatur oder für das Beichte abgenommen. Versammlungsfreiheit eng verbunden. Sub- Gespräch über religiöse Fragen getrennt um jekt dieses Rechts sind die Menschen, nicht Sondererlaubnis angefragt werde, welche Motive für die Verletzung der Religi- die Religion. Im Moment ist die Religions- allerdings stets örtlich und zeitlich begrenzt onsfreiheit ist meist die religiöse „Wahrheit“ freiheit allerdings in großen Teilen der Be- sind. Laut Bielefeldt bleibt „vom Geist eines von der sowohl auf Seiten der Täter als auch völkerung recht unpopulär, vor allem, weil Menschenrechts auf Religionsfreiheit dann auf der der Opfer ausgegangen wird. Hier Menschen auf den Begriff „Religion“ ambi- nichts“. spielt ebenso die religiöse und rituelle Rein- valent reagieren. Die meisten bewegen sich heit eine große Rolle. Weitere Motive sind irgendwo zwischen skeptischer Faszination, Auf der Ebene des Familienrechts gibt Angst (im Moment vor allem vor dem Is- es unter anderem im Libanon Konflikte mit lam), Ablehnung und Fürsprache. der Religionsfreiheit, hier gibt es zwar 16 Rechtsinstanzen des Familienrechts für die Formen und Motive der Verletzungen verschiedenen Religionsgemeinschaften, je- der Religionsfreiheit doch können zum Beispiel keine interreligi- ösen Ehen geschlossen werden, außer man Verletzungen der Religionsfreiheit gibt weicht ins Ausland aus oder ein Partner es in allen Teilen der Welt, sie unterschei- konvertiert. Auch in Israel und Myanmar den sich allerdings in Intensität und Mus- gibt es hier Probleme; in Israel besonders, ter. Diese Muster findet man auf Ebene der da viele liberale Juden mit der streng ortho- Strafgesetze, der Bürokratie, im Familien- doxen Auslegung des Familienrechts nicht recht, in Schule und vielen anderen. einverstanden sind. Foto: Heiner Bielefeldt Strafgesetze, in denen Religion im Titel Seltener bemerkt üben einige Staaten steht finden sich hauptsächlich in einigen is- auch über Schulen religiösen Druck auf lamisch geprägten Ländern wie Saudi-Ara- Kinder aus. In der autonomen chinesischen 16 Theologicum
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