Theologicum - #120 - Fakultätsvertretung Katholische Theologie

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Theologicum - #120 - Fakultätsvertretung Katholische Theologie
#120
Theologicum

                            Juli 2017
                  Wir und die Anderen
               Gedanken zum Kollektiv

         Theologicum

                              Theologicum   1
Theologicum - #120 - Fakultätsvertretung Katholische Theologie
Inhaltsverzeichnis
             3    Editorial

             4    Wir und die Anderen

             8    Zwei Grazer Kinder des II. Vatikanums feiern Geburtstag

             10   Vertraut und neu

             12   „Das mit dem Kloster, das wird jetzt ernst“

             16   Religionsfreiheit als „Recht der Freiheit, nicht der Frommen“

             18   Der Westen – Europa – Abendland

             20   Bachelorstudium NEU

             22   Minderbrüder in der Welt von heute

             24   Kabarett und Religion – wie geht das zusammen?

             28   Theologen in außergewöhnlichen Arbeitsfeldern

             30   „Wir und die Anderen“ als „Klammer über das Fach Religionswissenschaft“

             34   Christen brauchen ein Profil

             38   Judas – Passion 2.0

             39   Rezensionen

2   Theologicum
Theologicum - #120 - Fakultätsvertretung Katholische Theologie
Editorial

                                                                                                                               Foto: Marian Lukas Ureutz
Liebe Leserinnen und Leser,

    Mit dieser neuen Ausgabe unserer Fakultätszeitschrift der Studierenden an der Ka-           Marian Lukas Ureutz
tholisch-Theologischen Fakultät Graz liegt der Versuch vor sich der scheinbar allgegen-
wärtigen Unterscheidung von “Wir” und den oder dem “Anderen” zu stellen. Allzu gerne            Impressum
und allzu oft bilden sich in unserer Gesellschaft Segmente, die diese Unterscheidung in
Kollektive zusammenführen und so von Vereinnahmung und Generalisierung regelrecht               Herausgeber:
                                                                                                HochschülerInnenschaft an der
strotzen. Im religiösen Bereich heißt es dann “die Katholikinnen und Katholiken”, oder es
                                                                                                Karl-Franzens-Universität Graz
wird von “den Muslimen” gesprochen, politisch heißt es “die Linken” oder “die Rechten”.         Fakultätsvertretung Theologie
Aber, wie überall, scheint der Grundsatz zu gelten: Je einfacher die Unterscheidung (oder
sollte man hier vielleicht lieber von Nicht-Unterscheidung sprechen?), desto einfacher die
                                                                                                Verantwortlich für Inhalt:
                                                                                                Julia Brunner
Welt und die Antworten auf Fragen. Schließlich geht es dann doch um so etwas Grundle-
gendes wie Identität. Selbst in der Theologie findet sich die Rede vom Kollektiv. So etwa,      Chefredaktion:
wenn in der Rede vom Gottesknecht im leidenden Gerechten kollektiv das Volk der Juden           Marian Lukas Ureutz
gesehen wird.
                                                                                                Redaktionsmitarbeitende:
                                                                                                Marian Lukas Ureutz
    Diese Spurensuche führt uns in dieser Ausgabe vom Leitartikel der jungen Forscherin         Gudrun Rausch
                                                                                                Hannes Mayer
Isabella Bruckner mit ihrem fundamentaltheologischen Ansatz über die Ordensschwester
                                                                                                Evelyne Fößleitner
Gerti Harb, hin zu Gedankenstrichen einer begrifflichen Fassung von Europa und Abend-           Christina Zisser
land, einem Beitrag zum Vortrag von Heiner Bielefeldt und der Religionsfreiheit, einem
persönlichen Erfahrungsbericht aus dem Frauenwohnhaus, “Minderbrüder in der Welt                Layout:
                                                                                                Florian Altendorfer
von heute”, schließlich zu einem Interview mit dem Kabarettisten Thomas Stipsits und
den bewährten Beiträgen zu Kultur, Fakultätsgeschehen, dem Portrait und Rezensionen.            Anschrift:
                                                                                                Schubertstraße 6a, 8010 Graz
                                                                                                Heinrichstraße 78, 8010 Graz
    Wer auch immer anders, der, die oder das Andere ist - es soll wird sich lohnen neu-
gierig, interessiert und offen darauf zu zu gehen. Vielleicht findet der eine oder die andere   Druck:
durch einen dieser Beiträge einen gedanklichen Anstoß.                                          Servicecenter
                                                                                                ÖH-Uni Graz GmbH
                                                                                                Schubertstraße 6a
Einen frohen Lesegenuss!                                                                        8010 Graz

Marian Lukas Ureutz                                                                             Für Anregungen und Wünsche
                                                                                                bitte marian.ureutz@oehunigraz.at
                                                                                                kontaktieren.
                                                                                                Der Inhalt namentlich gekennzeich-
                                                                                                neter Gastartikel muss nicht mit der
                                                                                                Meinung der Redaktion überein-
                                                                                                stimmen.

                                                                                                                       Theologicum                         3
Theologicum - #120 - Fakultätsvertretung Katholische Theologie
Wir und die Anderen

                     Überlegungen zur christlichen (Nicht-)Identität

        Die Frage nach der Identität ist keine, mit      ne“ immer aus einer dialektischen Beziehung         Die Gotteskindschaft als christliche
    der allein pubertierende Jugendliche oder            mit dem „Anderen“ konstituiert. Spannend        (Nicht-)Identität
    Männer „in ihrer Lebensmitte“ ringen. Sie            ist es diesbezüglich zu beobachten, wer oder        Wählt man nun den theologisch deduk-
    ist eine, welche sich die Philosophie seit je-       was überhaupt als „Anderes“ wahrgenom-          tiven Weg und wirft zunächst einen Blick
    her in allgemein anthropologischer Hinsicht          men wird und wie sich das Eigene erst in        auf die Urkunde der christlichen Tradition,
    zum Thema macht. Klassisch wurde sie bei             der Auseinandersetzung mit diesem Ande-         so kann von Paulus her festgehalten werden,
    Immanuel Kant, der formulierte „Was ist der          ren herausbildet und profiliert. Woran kann     dass der Mensch des Evangeliums alle weltli-
    Mensch?“. Doch auch das Individuum oder              man anknüpfen, wovon muss/will man sich         chen Klassifizierungen transzendiert. Durch
    Gemeinschaften werden sich von Zeit zu Zeit          abgrenzen? Aber auch: Wie nimmt man das         das Sterben mit Christus in der Taufe wird
    in existentieller Weise mit der Frage ausein-        Eigene im Vergleich zum anderen wahr; er-       der „alte Mensch“ abgelegt und so alle den
    andersetzen „Wer bin ich?“ bzw. „Wer sind            fährt man es als gleichwertig oder als einem    Menschen letztlich definierenden Bestim-
    wir?“. Immer wieder im Leben findet sich             selbst über- bzw. untergeordnet?                mungen durchkreuzt. Für Paulus ist in der
    der Mensch dazu genötigt, sich seiner selbst            Wirft man einen Blick in die Zeitungen       kirchlichen Gemeinschaft weder „Jude noch
    zu vergewissern und aus der überbordenden            und Medienportale so scheint dieses The-        Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier,
    Pluralität an möglichen Lebenskonzepten              ma auch auf gesellschaftlicher Ebene hoch       hier ist kein Mann noch Weib (!)“ (Gal 3,28)
    „das Seinige“ herauszufiltern. Insbesondere          aktuell zu sein. In einigen Nationalstaaten     – sie alle sind Einer, ein Anderer, Christus
    drängt sich die Frage auf, wenn Entschei-            regen sich auf Basis dieser Frage ethnische     Jesus. Die Wirklichkeiten dieser Welt sind
    dungen anstehen und man vor Scheidewegen             Abspaltungsbewegungen (man denke nur            nicht mehr die den Menschen letztlich defi-
    steht. Ebenso kann sie plötzlich Relevanz ge-        an die ständig schwelenden Konflikte in Spa-    nierenden. Deshalb kann Paulus diejenigen,
    winnen, wenn man die Frage von jemand an-            nien um die baskischen und katalanischen        „die Frauen haben“, auffordern zu „sein, als
    derem gestellt bekommt: „Wer bist du?“ bzw.          Gebiete oder an die Ukraine) und Europa         hätten sie keine; und die weinen, als weinten
    „Wer seid ihr?“. Der darauf wahrscheinlich           entdeckt angesichts der angeblichen „Bedro-     sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie
    folgende Prozess der Identitätsbildung voll-         hung durch den Islam“ seine christliche Seele   sich nicht; und die kaufen, als behielten sie
    zieht sich aber niemals in einem luftleeren,         wieder. An diesem Punkt darf jedoch über-       es nicht; und die diese Welt gebrauchen, als
    neutralen Raum. Zum einen spielt dabei die           legt werden, wie es denn um die christliche     brauchten sie sie nicht. Denn das Wesen die-
    eigene Geschichte eine Rolle: Bricht man mit         Identität überhaupt steht. Was kann Christ-     ser Welt vergeht.“ (1 Kor 7,29-31) Die letztli-
    dieser, schlägt man eine völlig andere Rich-         sein und Kirchesein heute im Angesicht des      che Bestimmung ist nun die Beziehung, in die
    tung ein und optiert für Positionen konträr          Anderen bedeuten? Wie geht die christliche      der Mensch mit der Taufe hineingenommen
    zum bisherigen Werdegang, oder entscheidet           Gemeinschaft selbst denkerisch mit ihrem        ist: die Gotteskindschaft, so wie sie auch im
    man sich eher für Kontinuität und nimmt              Anderen um? Und in der Theologie muss           „Vaterunser“ zum Ausdruck gebracht wird.
    vielleicht nur kleine Verschiebungen vor?            natürlich ebenso gefragt werden, ob sich die    Doch auch diese „Wesensbestimmung“ kann
    Auch der teleologische Aspekt ist hier essen-        christliche und kirchliche Identität von der    schwerlich als positive Definition verstanden
    tiell: Was ist das größere/letzte Ziel, wo soll es   Heiligen Schrift her bestimmen lassen.          werden, handelt es sich bei Gott doch um
    hingehen? Bei alledem sollte man aber nicht                                                          den absolut Uneinholbaren und all unserem
    aus dem Blick verlieren, dass sich das „Eige-                                                        Verstehen Entzogenen. Sie stellt vielmehr

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die Aufhebung und Außerkraftsetzung, die         te sich auf unübertreffbare Weise in einem                   übertrefflicher Weise ausgesagt hat und uns
Relativierung all der oben genannten weltli-     menschlichen Antlitz und identifizierte sich                 in ihm alles Heilsnotwendige gegeben ist, die
chen Kategorien dar. Denn wenn (spätestens       besonders mit den Hungrigen, Nackten,                        Kirche mit dem Erfassen dieses Ereignisses
durch die Taufe) auch der Mensch in die          Kranken, Obdachlosen und Gefangenen (vgl.                    und der Beziehung zu diesem Gott nie an ein
göttliche Sphäre hineingehört, dann betont       Mt 25). Bei diesen Zeichen kann es sich dem-                 Ende kommt. In diesem Kontext fällt es nicht
der Titel „Kind Gottes“ die letztliche Undefi-   nach nur um Entwicklungen und Ereignisse                     schwer, die Pluralität innerhalb des Chris-
nierbarkeit des Menschen. Die Rede von der       handeln, die das Humanum, den Menschen                       tentums als eine gute anzuerkennen, selbst
Gotteskindschaft, könnte man sagen, erweist      in seinen Beziehungen und in seinem Selbst-                  wenn es gerade in der vielfachen Zersplitte-
sich daher also als eine Sensibilität für die    verständnis betreffen, wobei die Perspektive                 rung unserer heutigen Zeit vielleicht wieder
Nicht-Identität des Menschen, wodurch ihm        der Schwachen einer Gesellschaft gesondert                   stärker darauf zu achten gälte, in der Vielfalt
der Andere und sogar der Mensch sich selbst      in den Blick rücken müssen. Wir können                       noch das gemeinsame Zeugnis des einen
einem letzten Urteil entzogen ist.               also sagen, das Kollektiv Kirche charakteri-                 Gottes deutlich werden zu lassen. Besser als
    Dieser Gott, von dem her und auf den         siert sich als eschatologisch erwartende Deu-                von einer christlichen Identität wäre hier aber
hin sich Christen und die kirchliche Ge-         tungsgemeinschaft, die sich in eine spezielle                sicherlich von der Einheit der Christen und
meinschaft verstehen, offenbarte sich im         Sensibilität für die „Freude und Hoffnung,                   aller Kirchen bzw. kirchlichen Gemeinschaf-
Alten Testament als JHWH, „der sein wird,        Trauer und Angst der Menschen von heute,                     ten zu sprechen. Diese Einheit konstituiert
als der er sich erweisen wird“ (Ex 3,14) so-     besonders der Armen und Bedrängten aller                     sich als ein immer wieder neues gemeinsa-
wie seiner Schöpfung gegenüber als „gnädig       Art“ (GS 1) einzuüben sucht.                                 mes Hören auf die Schrift, aufeinander und
und barmherzig, langmütig und reich an                                                                        auf die Stimmen der Zeit, was die Kirche zum
Huld und Treue“ (Ex 34,6). Damit ist dem              Der Andere als locus theologicus und                    Resonanzraum vielfältiger Stimmen werden
Gottesnamen (und folglich auch der christ-       locus veritatis                                              lässt.
lichen Identität) in seiner Undefinierbarkeit         Die Kirche ist von daher genuin auf die                     Mit der These von der Verwiesenheit
ein dynamisches, zeitliches Moment einge-        anderen verwiesen und zwar nicht nur, um in                  auf den Anderen zur besseren Erkenntnis
schrieben. Gott hat sich zwar bereits als ret-   ihnen – im Hören auf deren Nöte und Sehn-                    des eigenen baut Klaus von Stosch gewisser-
tender erwiesen, kann aber dennoch nicht         süchte – Christus zu dienen, sondern ebenso                  maßen auf bester theologischer Tradition,
auf dieses Handeln festgelegt werden. Für uns    für die Erkenntnis ihrer eigenen Wahrheit.                   denn auch die Theologie entzündete sich ja
Menschen bedeutet dies, dass Gott als der        Der französische Jesuit Michel de Certeau                    bekannterweise am Ringen um das Eigene in
immer Andere eine stete Offenheit verlangt       mahnt dementsprechend ein, „daß die Wahr-                    der Auseinandersetzung mit dem Fremden.
und radikal auf die Welt und die Geschichte      heit sich nicht einfach mit dem identifizieren               Die Apologeten und die Kirchenväter der
– der Ort, an dem sich Gott in Treue erwei-      lässt, was uns von ihr bewußt ist“, sondern                  ersten nachchristlichen Jahrhunderte sowie
sen wird – verweist. In Folge sind auch die      dass das Du, das anders ist als ich, notwendig               die später stattfindenden frühen Konzilien
Christen dazu aufgerufen, der Welt und der       ist für meine Wahrheit, oder anders gesagt:                  formulierten diese ersten mehr oder weniger
Geschichte in ebensolcher Weise die Treue zu     „es gibt noch weitere Wahrheiten außer der                   systematischen theologischen Grundtexte
halten und für das Wirken Gottes und seine       meinigen; ich kann nicht von ihnen getrennt                  nämlich nicht in rein polemischer Abgren-
Zeichen sensibel zu sein. Von daher charak-      sein ohne aufzuhören, im Wahren zu sein“ .               1
                                                                                                              zung (auch wenn dies in den resultierenden
terisiert sich die eschatologische kirchliche    Der Mensch als begrenzter vermag immer                       Formulierungen des anathema sit vielleicht
Gemeinschaft als eine, die sich in wachsamer     nur einen Bruchteil der Wahrheit zu erken-                   so aussehen mag), sondern knüpften sehr
Hoffnung für den immer noch ausstehenden         nen. So wagt auch der Paderborner Theologe                   wohl an gängige Ideen und Konzepte der
Wiederkehrenden offen- und bereithält. Bei       Klaus von Stosch davon auszugehen, dass,                     hellenistischen Umwelt an, adaptierten und
diesen Zeichen handelt es sich jedoch nicht      selbst wenn sich Gott in Jesus Christus in un-               re-formulierten deren Sprache und entwi-
in erster Linie um kosmologische Zeichen                                                                      ckelten somit die Theologie aus dem Zusam-
am Himmel, denn „der Gott Abrahams, der                                                                       mentreffen der frühen christlichen Zeugnisse
                                                 1              Certeau, Michel: „Gibt es eine Sprache der
Gott Isaaks und der Gott Jakobs“ offenbar-       Einheit“, in: Concilium (6/1) 1970, S. 38-45, hier: S. 40.   mit der antiken Philosophie. Folgten danach

                                                                                                                                               Theologicum      5
Theologicum - #120 - Fakultätsvertretung Katholische Theologie
auch immer wieder Perioden der Selbstver-             Doch noch auf ganz andere Weise ist in       Anderen dabei sofort christlich zu verein-
    gewisserung durch Abschottung, so re-for-          der Theologie das Thema des Anderen – und       nahmen? Kann man auf diese Weise den di-
    mierte sich die kirchliche Gemeinschaft            hier sind nun besonders die anderen Religio-    vergierenden Geltungsansprüchen angemes-
    – nicht nur im Bereich der Lehre, sondern          nen gemeint – von steter Relevanz gewesen:      sen begegnen, oder wäre nicht vielmehr die
    u.a. auch in ihren liturgischen Vollzügen          Aufgrund der Heilsnotwendigkeit Christi         Universalität der eigenen Geltungsansprüche
    – grundsätzlich stets in Wechselbeziehung          drängte sich bereits recht früh die ekklesio-   zu relativieren? Kann bei den unterschiedli-
    zu ihr Äußerlichem. Wo die wirkliche Aus-          zentrisch formulierte Frage nach der Heils-     chen Gottes- und Vollendungsvorstellungen
    einandersetzung mit dem von Kontext zu             möglichkeit für Nichtchristen auf. Der über     überhaupt noch von einem gemeinsamen
    Kontext jeweils unterschiedlichen Anderen          Jahrhunderte hinweg dominierende Grund-         Ziel der Wege die Rede sein? Solche und
    ausbleibt, drohen die Formen zu verknö-            satz „Extra ecclesiam nulla salus“ – „Außer-    ähnliche Anfragen tönen aus dem Kreis der
    chern, zu leeren Worthülsen zu werden und          halb der Kirche kein Heil“ – resultierte aus    pluralistischen Theologinnen und Theolo-
    den Fragen der Zeit nicht mehr begegnen zu         dieser Diskussion. Erst in der Zeit um das      gen. Wie die Kategorisierung dieser Richtung
    können. Dies betonte auch das Zweite Vatika-       Zweite Vatikanum verschob sich die ekklesi-     schon besagt, wird von ihren Denkern (z.B.
    num mit dem von Johannes XXIII. geprägten          ozentrische Perspektive (wieder) hin zu einer   John Hick, Perry Schmidt-Leukel) eine Viel-
    Leitwort „Aggiornamento“ und seiner Öff-           christozentrischen, und damit verschob sich     zahl und Gleichwertigkeit möglicher Wege
    nung hin zur Moderne nach einer längeren           außerdem die Problemfokussierung: Nicht         angenommen – die Superiorität des christli-
    Phase der kirchlichen Verschlossenheit und         mehr die Heilsmöglichkeit für einzelne Zu-      chen Bekenntnisses wird damit ausgeschlos-
    Ablehnung.                                         gehörige anderer Traditionen bildet seitdem     sen. Aber kann von Seiten der christlichen
        In der heutigen Theologie hat in beson-        den Kern des Interesses, sondern die Bedeu-     Theologie und des christlichen Glaubens die
    derer Weise die Fundamentaltheologie die           tung anderer religiöser Traditionen für das     universale Heilsbedeutung Jesu Christi legiti-
    Aufgabe des Dialogs mit dem Anderen ge-            Christentum und die Kirche an und für sich.     merweise verabschiedet werden? Ist die Aus-
    erbt. Nicht nur andere Religionen bilden ihre      In der daraus sich entspinnenden Theologie      einandersetzung mit Anderen tatsächlich nur
    Gesprächspartner; im universitären Kontext         der Religionen wird zumeist – neben der be-     durch die Einklammerung oder Beschnei-
    sind es vor allem benachbarte wissenschaft-        reits erwähnten exklusivistischen Position –    dung eigener Wahrheitsansprüche möglich?
    liche Disziplinen – im Speziellen die Phi-         eine inklusivistische und eine pluralistische       Dieser von manchen bereits als frucht-
    losophie und diverse Kulturwissenschaften          Grundausrichtung unterschieden. Inklusivis-     los erachteten Diskussion um eine adäquate
    –, aber auch die Naturwissenschaften sowie         tische Denker (unter ihnen z.B. Karl Rahner,    Theologie der Religionen versucht die in neu-
    andere gesellschaftliche Bereiche wie z.B. die     Raimon Panikkar, Jacques Dupuis u.v.m.)         erer Zeit besonders im amerikanischen und
    Kunst, mit denen im Modus der Übersetzung          pflegen an der universalen Heilsbedeutung       deutschen theologischen Raum erstarken-
    der Austausch gesucht wird. Im Hören auf           Jesu Christi festzuhalten, vermögen es je-      de Komparative Theologie auf alternativem
    den Anderen versucht die Fundamentaltheo-          doch, andere religiöse Traditionen – wenigs-    Wege zu entkommen. Ohne das Verhältnis
    logie, die Welt, in welcher die Kirche steht,      tens als praeparatio evangelica und zumindest   des Christentums zu den anderen Religio-
    und sich selbst besser zu verstehen und den        teilweise – als an sich heils- und wahrheits-   nen insgesamt zu bestimmen und selbst ohne
    Fragen und Nöten, dem Denken und der               vermittelnd anzuerkennen. Das Wirken des        über die theologische Relevanz auch nur ei-
    Sprache der Menschen der jeweiligen Zeit           Heiligen Geistes und des nicht-inkarnierten     ner einzelnen religiösen Tradition als Ganzer
    auf die Spur zu kommen und sich davon her-         Logos beschränken sich in dieser Sicht nicht    zu urteilen, bemüht sich dieser Ansatz um
    ausfordern zu lassen. Nicht zuletzt gilt es, mit   auf das unübertreffbare Handeln Gottes in       die theologische Bearbeitung von theoreti-
    deren Hilfe und im gemeinsamen Dialog die          Jesus Christus, sondern rufen auch in und       schen und praktischen Einzelfragen, um die
    Zeichen der Zeit zu erspüren.                      durch andere religiöse Traditionen echte        im unvoreingenommenen Dialog mit Ande-
                                                       Frömmigkeit, Demut, Barmherzigkeit, Hin-        ren gerungen wird. Nur durch das Ablassen
        Die Diskussion um eine Theologie der           gabe und Erkenntnis hervor. Aber kann ein       von einer „Position Gottes“, die das letztliche
    Religionen und die Antwort der Kompara-            solcher Ansatz eine echte Andersheit der        Verhältnis der Religionen zueinander bereits
    tiven Theologie                                    anderen Traditionen anerkennen, ohne die        zu überblicken können meint, kann der An-

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Theologicum - #120 - Fakultätsvertretung Katholische Theologie
dere wirklich als Anderer begegnen. Die Be-      wie Christus aufzunehmen und ihnen die ge-        sich die zu anfangs noch unbestimmte Be-
deutung des einen für den Anderen ergibt         bührende Ehre zuteilwerden zu lassen. Nicht       ziehung womöglich mit der Zeit in Freund-
sich dann erst aus dem konkreten Dialog und      zuletzt durch die kulturbildenden Kräfte die-     schaft wandelt. Denn auch die Freundschaft
kann nicht bereits vorab durch theoretische      ses Ordens schrieb sich die Gastfreundschaft      lebt von den Überraschungen, die mir der
Überlegungen ermittelt werden. Ziel ist es       als zentraler Wert in die „europäische Seele“     Andere von sich herzukommen lässt und die
auch nicht unbedingt, von hier ausgehend         ein.                                              eine immer wieder neue hinhörende Bekeh-
wieder zu einer allgemeinen Theologie der               Zum Gast ist hierbei zu sagen, dass sich   rung zum Anderen verlangt.
Religionen zu gelangen. In jedem Fall wer-       dieser als eine Figur charakterisiert, die sich       Was das alles für das „christliche Abend-
den aber durch solche Begegnungen nicht          allen weiteren Kategorisierungen prinzipiell      land“ oder für eine mögliche Theologie
nur manch fixierte Bilder des Anderen zu         entzieht. Der Gast kann jemand Befreunde-         der Religionen bedeuten kann, möchte ich
bröckeln beginnen, auch das Eigene wird sich     tes sein, aber auch jemand Fremdes; es gibt       an dieser Stelle offenlassen. Dass sich die
durch die Anfragen und die Perspektive des       keine eigene weibliche Form wie z.B. „die         christliche Gemeinschaft in ihrem Wir im-
Anderen auf neue Weise erschließen – zu-         Gästin“, sodass der Gast nicht von vornherein     mer wieder durch die Auseinandersetzung
mindest wenn eine dementsprechend offene         einem Geschlecht zugeordnet werden kann;          mit den von ihr definierten wechselnden
Haltung an den Tag gelegt wird.                  ebenso wenig lässt sich ein Adjektiv vom          Anderen herausgebildet und neu verstehen
                                                 Gast ableiten, was ihm eine bestimmte Qua-        gelernt hat, dürfte jedoch deutlich geworden
    Die Gastfreundschaft als Grundzug            lität zuschriebe. Verwundert es da, dass Jesus,   sein. Klar ist auch, dass das Scheitern dieser
christlicher Praxis                              der letztlich auch nicht festgehalten werden      Dialektik vielfach zu blutigen Kriegen und
    Für das komparative Vorhaben rekla-          durfte, weil er „zum Vater gehen musste“, wie     Verfolgungen in der Geschichte geführt hat.
miert von Stosch neben den Haltungen der         dies die Begegnungen mit dem Auferstande-         Allein deshalb sollte die lange Tradition und
Demut und Empathie folglich ebenso die           nen und die Himmelfahrt andeuten, in den          Haltung der Gastfreundschaft als Grundzug
Tugend der Gastfreundschaft. Diese heißt         Evangelien immer wieder als Gast begegnet?        christlicher Praxis nicht in Vergessenheit ge-
die Anderen bedingungslos in Offenheit           Und klingt hier nicht auch das Moment der         raten. Vielfach liegt es demnach an uns, sich
und Freundlichkeit willkommen, unabhän-          Undefinierbarkeit an, wie Paulus diese für die    – bei allem ehrlichen Ringen um die Wahr-
gig davon, ob mir von diesen nun tatsäch-        christliche (Nicht)Identität formulierte? Die     heit – in der reich überlieferten Tradition auf
lich Wahrheitsrelevantes zuteilwird oder         Gastfreundschaft jedenfalls, die, so sie eine     die friedensstiftenden und brückenbauenden
nicht. Auch wenn sie den Anderen nicht           sein will, die Achtung der Andersheit des An-     Wege zu besinnen und sich – bei allem missi-
schon von vornherein Wahrheitserkenntnis         deren stets zu bewahren hat, geht als wesent-     onarischen Eifer – der steten Andersheit und
unterstellt, setzt die gastfreundschaftliche     liches Moment auch nicht verloren, wenn           Menschenfreundlichkeit Gottes zu erinnern.
Haltung jedenfalls Lern- und gegebenen-
falls sogar Revisionsbereitschaft der eigenen            Univ.-Ass. Mag. Isabella Bruckner, geboren 1991 in Amstetten/Niederösterreich;
Standpunkte voraus. Damit wird der eigene         Studium der Katholischen Fachtheologie in Wien; ab März 2015 Organisationsassistentin
Wahrheitsanspruch mit einem in der Traditi-       an der Forschungsplattform „Religion and Transformation in Contemporary Society“ der
on wesentlich verankerten Grundzug christ-        Universität Wien; Diplomarbeit am Fachbereich Theo-
lichen Handelns verknüpft. So war es in den       logische Grundlagenforschung (Fundamentaltheologie)
ersten nachchristlichen Jahrhunderten in          über das Thema der Freundschaft im Denken von Ivan
den christlichen Haushalten üblich, stets ein     Illich („Ivan Illich – Freundschaft als Topos christlicher
Stück Brot, eine Matratze und eine Kerze be-      Weltbegegnung“); seit März 2017 Universitätsassisten-
reitzuhalten – für Christus, der vielleicht in    tin am Institut für Fundamentaltheologie der Katho-
der Gestalt des nächsten Obdachlosen oder         lisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz; aktu-
                                                                                                                                                     Foto: Isabella Bruckner

Reisenden an die Tür klopfte. In ähnlicher        elles Forschungsinteresse im Bereich des interreligiösen
Weise schrieb es im Mittelalter die Regel des     Dialogs mit dem Islam und hier insbesondere auf der
Heiligen Benedikt für seine Klöster vor, Gäste    Gebetstheologie.

                                                                                                                                    Theologicum                       7
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Zwei Grazer Kinder des II. Vati-
                   kanums feiern Geburtstag
                   50 Jahre Institut für Ökumenische Theologie, Ostkirchliche Orthodoxie
                   und Patrologie an der Universität Graz / 30 Jahre Pro Oriente Sektion
                   Steiermark
                       von Univ. Prof. DDr. Pablo Argárate

       Ende März feierten zwei Institutionen        den Päpstlichen Rat zur Förderung der             seiner Venia an der Katholisch-Theologi-
    in Graz gemeinsam Geburtstag: Das Institut      Einheit der Christen) und den Orthodoxen          schen Fakultät erhalten.
    für Ökumenische Theologie, Ostkirchliche        Kirchen 2004 in ein neues Stadium getreten.
    Orthodoxie und Patrologie besteht seit 50       Doch die Aktivitäten von Pro Oriente – Vor-          In seiner 50-jährigen Geschichte konn-
    Jahren und die Sektion Steiermark der Stif-     träge, Publikationen, Exkursionen – tragen        te das Institut einiges erreichen; ich möchte
    tung Pro Oriente beging ihr 30. Jubiläum.       weiterhin Bedeutendes zur Verbesserung            hier nur ein paar der Highlights kursorisch
    Beide sind sozusagen Kinder des 2. Vatika-      und Pflege der inter-kirchlichen Kontakte         erwähnen, wie etwa zwei der wohl bedeu-
    nischen Konzils. Das Dekret „Unitatis re-       bei.                                              tendsten „Besucher“, die auf Einladung bzw.
    dintegratio“ ermöglichte als wichtiger Mei-                                                       Vermittlung des Instituts die Universität
    lenstein neue Möglichkeiten zum Dialog                 Institut für Ökumenische Theologie,        besucht haben: Kardinal Ratzinger hat in
    mit den Orthodoxen und Protestanten. Am         Ostkirchliche Orthodoxie und Patrologie           Graz seine Position gegenüber der ortho-
    vorletzten Tag des Konzils hoben der Öku-                                                         doxen Kirche in der Primatsfrage präzisiert
    menische Patriarch von Konstantinopel,                 Gegründet wurde das Institut als „Insti-   – „Rom muss vom Osten nicht mehr an Pri-
    Athenagoras und Papst Paul VI. die 1054         tut für Dogmengeschichte und Ökumenische          matslehre fordern, als auch im ersten Jahr-
    von ihren Vorgängern verhängten gegensei-       Theologie“; es war das erste Ökumene-Ins-         tausend formuliert und gelebt wurde“, eine
    tigen Exkommunikationen auf und öffneten        titut in Österreich und hat auch sonst eine       Aussage des späteren Papstes Benedikt, die
    so den Weg in eine gemeinsame Zukunft des       ganze Reihe von wegbereitenden Leistun-           auch vom Seiner Heiligkeit, Bartholomaios
    Dialogs.                                        gen aufzuweisen. Der „Institutsgründer“           I., dem Patriarchen von Konstantinopel an-
                                                    und erste Vorstand, Univ.-Prof. Dr. Johan-        lässlich der seiner Ehrenpromotion durch
    Der Blick zurück…                               nes Baptist Bauer, war der erste Laie, der im     die Universität in Graz wieder aufgenom-
       Pro Oriente                                  deutschsprachigen Raum einen Lehrstuhl            men wurde.
                                                    an einer katholisch-theologischen Fakultät.
       Pro Oriente wurde 1964 von Kardinal          Seine Nachfolgerin Univ.-Prof. Dr. Anne              Wer Graz und Ökumene googelt, wird
    Franz König gegründet, um im Geiste dieser      Jensen sollte als erste Frau einen Lehrstuhl      auch bald auf ein weiteres Ereignis stoßen,
    neuen Aufbruchsstimmung ein Forum zu            an der theologischen Fakultät innehaben,          das eng mit unserem Institut verbunden ist:
    bieten, dass es Katholiken und Orthodoxen       und auch Univ.-Prof. Dr. Grigorios La-            Die 2. Europäische Ökumenische Versamm-
    ermöglichte, in einen fundierten und doch       rentzakis, dessen vielfältige internationale      lung im Jahr 1997 wurde mit Hilfe von Prof.
    inoffiziellen Dialog zu treten, voneinander     Aktivitäten das Institut über die Grenzen         Larentzakis aus der Taufe gehoben, ein in-
    und über einander zu lernen und nicht zu-       Österreichs bekannt gemacht haben, war            ternationales Großereignis, das nicht nur
    letzt auch enge persönliche Bande zu knüp-      ein Vorreiter: Er war der erste orthodoxe         Tausende Menschen im öffentlichen Raum
    fen, die im Sinne einer zwischenkirchlichen     Theologe an einer deutschsprachigen ka-           von Graz zusammenbrachte, sondern auch
    Diplomatie den Weg für eine allmähliche         tholisch-theologischen Fakultät, mit einer        den Grundstein zur Formulierung der
    auch offizielle Annäherung der Kirchen eb-      Lehrbefugnis der Geisteswissenschaftlichen        Charta Oecumenica legte, in der praktische
    neten. Diese ist mit der Aufnahme des offizi-   Fakultät. Erst kurz vor seiner Pensionierung      Leitlinien für die wachsende Zusammen-
    ellen Dialogs zwischen dem Vatikan (durch       hat er auch die kirchliche Zustimmung zu

8   Theologicum
Theologicum - #120 - Fakultätsvertretung Katholische Theologie
arbeit unter den Kirchen in Europa festge-     als in den Zeiten des Zweiten Vatikanums.        einen Beitrag zu dieser spannenden Ent-
schrieben wurden.                              Ökumene wird vielerorts selbstverständlich       wicklung leisten zu können. Das gemein-
                                               gelebt und viele Probleme sind auch deshalb      same Studium der Quellen der Kirchenvä-
   Parallel zur kirchlichen Zusammenar-        nicht mehr ganz so „heiße Eisen“, weil wei-      ter mit orthodoxen Kollegen bringt immer
beit ist auch die Zusammenarbeit im Bereich    te Teile der heutigen Gesellschaft religiöse     wieder überraschende Gemeinsamkeiten
der theologischen Ausbildung ein wichtiges     Tabus und Berührungsängste für irrelevant        und Unterschiede in der Lesart derselben
Anliegen. Der Grazer Prozess hat sich zur      halten. In den letzten Jahren hatte wohl auch    gemeinsamen Quellen zutage. Der Kontakt
Aufgabe gemacht, die Vernetzung der theo-      in interessierten Kreisen eine Art Ökume-        zu Mitgliedern christlicher Gemeinden und
logischen Fakultäten bzw. vergleichbarer       ne-Müdigkeit eingesetzt; vieles ist schließ-     Universitäten in bzw. aus Ländern, die heute
Bildungseinrichtungen     unterschiedlicher    lich erreicht und „allzu radikale“ Ideen einer   Kriegsgebiet oder Ort akuter Christenver-
Kirchen und Konfessionen in Europa im          gemeinsamen Kirche sind einem pragmati-          folgung sind, führt uns gleichzeitig auf die
Bereich von Forschung und Lehre voranzu-       schen Konsensus gewichen. Doch in der            Spuren jahrhundertelangen Zusammenle-
treiben. Die Koordination dieser Arbeit war    letzten Zeit scheint sich das Blatt zu wenden.   bens verschiedenster christlicher Religionen
lange an unserem Institut angesiedelt, bevor   In der Politik wird neben wirtschaftlichen       und auch des Zusammenlebens von Chris-
sie unter Prof. Angel in seiner Dekanatszeit   und monetären Aspekten eine grundlegen-          ten und Muslimen. Dieser ökumenische
auf Fakultätsebene „gehoben wurde“. Der        de Wertediskussion wieder stärker geführt        Austausch ist durchaus auch als ein Beitrag
Prozess, dessen Name ursprünglich an den       und in der Identitätsfrage – ob persönlich,      zu verstehen, die bisherige – vermeintli-
Bologna-Prozess angelehnt wurde, wird          national oder europäisch – wird die Rolle        che - Hegemonialstellung Westeuropas
noch heute von internationalen Partnern        der Religion wieder mit viel Herzblut dis-       auch auf der Ebene der theologischen For-
als fruchtbringende Plattform gesehen, die     kutiert. Gerade hier in Österreich, in Graz,     schung zu hinterfragen und ein Stück weit
gerade durch ihren informellen Charakter       an diesem Schnittpunkt zwischen Ost und          aufzubrechen. Idealerweise lehrt uns dieser
zukunftsweisende und mutige Ansätze er-        West, so nahe an einer Grenze, die in den        Austausch, dieser gemeinsame Blick auf ge-
möglicht.                                      letzten Jahrzehnten Menschen aus dem Bal-        meinsame Wurzeln, wichtige Lektionen für
                                               kankrieg und in jüngster Zeit auch aus dem       unser gemeinsames Christ-Sein, aber auch
   Der Blick nach vorne…                       Nahen Osten oft als Flüchtlinge überquert        für unsere persönliche und gesellschaftliche
                                               haben, um sich hier niederzulassen, zeigt        Identität in Zeiten sich wandelnder religi-
   Es ist wohl verständlich und sicherlich     sich, dass die Beschäftigung mit anderen         ös-konfessioneller Demographie und wach-
angebracht, anlässlich eines Jubiläums einen   christlichen Konfessionen und unseren ge-        sender Globalisierung. Wenn Prof. Bauer
Blick auf die Geschichte zu werfen und den     meinsamen historischen und theologischen         von einer Balance zwischen Kontinuität und
großen Personen und Leistungen einer Ins-      Wurzeln von ungemeiner Aktualität ist und        Erneuerung unter Berücksichtigung der
titution – oder in unserem Fall zweier Ins-    uns in so vieler Hinsicht bereichern kann.       aktuellen Fragen gesprochen hat, so hat er
titutionen – gebührenden Raum zu geben.                                                         damit „seinem“ Institut eine grundlegende
Dennoch wäre es wohl gerade nicht im Sin-          Als jüngster Institutsvorstand in der        Richtung und Vision gegeben, die bis heu-
ne der damaligen Pioniere und Vordenker,       Geschichte des Instituts für Ökumenische         te eine treue Richtschnur für unsere Arbeit
wenn wir uns auf diese glanzvolle Geschichte   Theologie, Ostkirchliche Orthodoxie und          sein kann.
konzentrieren würden und nicht auch nach       Patrologie, und als Vorstandsmitglied der
vorne denken. Die Welt ist heute eine andere   Stiftung Pro Oriente bin ich besonders froh,

                                                                                                                              Theologicum      9
Theologicum - #120 - Fakultätsvertretung Katholische Theologie
Vertraut und neu

                   Wahrnehmungen aus dem FranzisCa Frauenwohnhaus
                       von Valeria Saulevich

        Mitten im Grünen in Eggenberg steht        der Besucherinnen und Besucher beim Por-         gen. Sie sprachen Deutsch mit unterschied-
     das FranzisCa Frauenwohnhaus - ein vier-      tier. Als ich von der Hausordnung erfuhr         lichen Akzenten, unterhielten sich in mir
     stöckiges Gebäude des ehemaligen Schulin-     und die Wohnräume besichtigte, erinnerte         unbekannte Sprachen oder mit Gesten.
     ternats, umgeben von einem kleinen Garten     ich mich das sofort an mein Leben im Stu-
     und Feldern. Es beherbergt asylsuchende       dentenheim.                                         Es wurde mir immer mehr bewusst,
     Frauen und bietet ihnen vielseitige Unter-                                                     dass Asylwerberinnen belastende, aus dem
     stützung. Während der Vorbereitungen zu           Die Frauen aus dem Frauenwohnhaus            Alltag ausreißende Erfahrungen mit sich
     einem praktischen Seminar besichtigte ich     sind durch die Umstände der Flucht in einer      tragen. Dass die dünne Linie zwischen Stär-
     die Einrichtung und kam mit den Mitar-        WG zusammengekommen und müssen nun               ke und Verletzlichkeit, alltäglicher Routine
     beiterinnen ins Gespräch. Während dieses      den Alltag gemeinsam bewältigen. Viele von       und Unsicherheit vor dem kommenden Tag
     Besuchs konnte ich persönlich Räume und       ihnen haben in ihren Heimatländern eine          in Hinblick auf ihre Lebenslage besonders
     Personen beobachten und die Atmosphäre        eigene Familie und einen Haushalt gehabt.        sichtbar wird. Mich selbst beschäftigte aber
     wahrnehmen.                                   Andere haben ihr zuhause noch als Kinder         vielmehr die Individualität der Frauen, die
                                                   oder Heranwachsende verlassen müssen.            mir begegnen. Wer sind sie? Was bringen sie
        In jedem der drei Stockwerke befinden      Natürlich waren meine Mitbewohnerinnen           mit? Wie sieht ihr Alltag in so einer bunten,
     sich zwei Wohngemeinschaften, wo derzeit      und ich im Studentenwohnheim in einer            sich ständig verändernden Wohngemein-
     achtundsiebzig asylsuchende Frauen unter-     anderen Lage. Vor allem haben wir uns in         schaft aus? So neugierig ich zu Beginn un-
     gebracht sind. Jede WG besteht aus Doppel-    einer WG freiwillig angesiedelt. Doch die        serer Besichtigung die Schwelle des Hauses
     und Einzelzimmern und verfügt über eine       Gemeinsamkeit liegt für mich in einer sol-       betrat, verließ ich es mit einer noch größe-
     eigene Küche und Dusche. Der breite Gang      chen Lebensform an sich, mit ihren Anfor-        ren Neugier auf das Leben, das mir bekannt
     mündet am Ende des Stockwerkes in den         derungen und ihrer Atmosphäre. WG-Le-            und zugleich ganz neu vorkommt.
     improvisierten Gemeinschaftsraum Couch        ben ist für mich eine vertraute, durch und
     und Spielplatz für die Kinder. Die Wohnblö-   durch alltägliche Erfahrung.
     cke sind allerdings weder mit Wänden noch
     Türen voneinander getrennt. Frauen teilen         Von der ganzen großen Gemeinschaft
     miteinander somit nicht nur den Haushalt,     war am ruhigen leeren Freitagvormittag in
     sondern auch ihr Privatleben.                 den Gängen und Stiegen vom Frauenwohn-
                                                   haus wenig zu bemerken. Aber selbst in fünf
        Das Zusammenleben der großen Ge-           kurzen Begegnungen fiel mir eine bunte Mi-
     meinschaft wird durch eine Hausordnung        schung aus Kulturen, Ethnien, Charakteren
     geregelt. Es gibt einige Vorschriften, um     auf. Ich traf Frauen von jung bis alt, mit Hi-
     eine sichere, geschützte Umgebung für die     jab und ohne, mit dunkler und heller Haut,
     Bewohnerinnen zu schaffen. Frauen sollen      mit einer Starter-Frisur, losen und hochge-
     diese Regeln befolgen - von der Reinigung     steckten Haaren... Freundlich, leuchtend,
     der Küche und Dusche bis zur Anmeldung        energievoll, erschöpft kamen sie mir entge-

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Theologicum   11
„Das mit dem Kloster, das wird
                    jetzt ernst“
                    Sr. Gertraud Johanna Harb erzählt von ihrer Gemeinschaft und ihrer
                    Berufung als Kreuzschwester

         Eigentlich wollte ich nie Ordensschwes-    te weiß ich, dass das zu meinem Glauben          die Offenheit in der Gemeinschaft, die mich
     ter werden. Ich hatte 2002 begonnen Theo-      gehört aber damals hat es mich verunsi-          in Graz bald angesprochen und eine wach-
     logie zu studieren, weil es mich einfach in-   chert. Es war für mich schon schwer mich         sende innere Klarheit in mir ausgelöst hat.
     teressiert hat. Damals konnte ich mir noch     überhaupt für Gott zu entscheiden, noch          Noch leicht zögerlich meldete ich dann bei
     nicht einmal so recht vorstellen überhaupt     schwerer fiel mir die Entscheidung für ei-       den Schwestern an, dass ich diesen Weg
     in der Kirche zu arbeiten. Doch die Dinge      nen Orden. Doch die Idee lies mich nicht         ernsthaft gehen wollte. Mehrere Gespräche
     veränderten sich. Im Laufe der Zeit bekam      los und schließlich begann ich aktiv nach        mit Schwestern (der Provinzoberin und ein-
     ich nicht nur Wissen über meinen Glau-         einer passenden Gemeinschaft zu suchen.          zelnen Provinzrätinnen) folgten. Schließlich
     ben, mir wurde auch mehr Innerlichkeit         Zunächst hatte ich einen richtigen Plan, wie     wurde ich als Kandidatin bezeichnet und
     geschenkt. Aber ich habe noch keinen Or-       denn ein Orden sein müsste, damit ich mich       reiste zu verschiedenen Wochenenden nach
     den gesucht. Im Nachhinein würde ich nicht     darin wohlfühlen würde. Später merkte ich,       Linz oder Wels um etwas über „meine“ neue
     einmal behaupten, dass ich wirklich Gott       dass meine ursprünglichen Motivationen           Gemeinschaft zu erfahren. Ich kann mich
     gesucht habe. Ich wurde zunächst eher zwei-    nur vereinzelt sinnvoll waren. Damals habe       gut erinnern, wie ich meinen Eltern damals
     felnder und unruhiger. Irgendwann habe         ich mir viele Gemeinschaften angesehen           am Mittagstisch verkündete: „Das mit dem
     ich gemerkt, dass ich im Innersten nicht       und bin schließlich bei den Kreuzschwes-         Kloster, das wird jetzt langsam ernst.“
     glücklich bin. Es war nicht nur eine stille    tern hängengeblieben. Dabei waren drei
     Unzufriedenheit, es war eine existentielle     Momente besonders wichtig für mich: Es              Ordensfrau werden
     Unzufriedenheit, die mich packte und nur       war eine franziskanische Gemeinschaft, sie
     zwischendurch kurzzeitig los lies. Schließ-    war international und wurde für die „Not            Nach dieser Phase der Kandidatur und
     lich wusste ich, ich musste etwas verändern.   der Zeit“ gegründet. Besonders der Grün-         des längeren Mitlebens in den Gemein-
     Ich habe etwas gesucht, was anders ist. Ich    dungsauftrag der Kreuzschwestern war es,         schaften in Graz und Hall in Tirol hieß es
     war auf der Suche nach irgendeiner Art von     der mein Innerstes ansprach. Es war für          ganz neu aufbrechen. Drei Jahre sollte ich
     Sinn oder Glück oder einem Mehr … und          mich völlig logisch, dass es sinnvoll ist, Not   im Rahmen der Ordensausbildung in Heg-
     ich fand es einfach nicht.                     zu lindern – auf allen Ebenen. Praktisch be-     ne am Bodensee (Deutschland) leben und
                                                    deutet das einerseits, dass Kreuzschwestern      dort der Ausbildungsgemeinschaft angehö-
         Aufbrechen                                 auf vielen Gebieten tätig sind und in vielen     ren. Hier durfte ich einerseits verschiedene
                                                    Berufen arbeiten, andererseits lässt das aber    Berufsfelder kennenlernen, hatte aber auch
         Ich habe immer wieder ignatianische        auch viel Platz für neue Aktivitäten. Dieses     mehr Zeit zum Gebet und lernte die Ge-
     Einzelexerzitien gemacht und im Laufe der      Gründungscharisma passt einfach in jede          meinschaft besser kennen. Unterbrochen
     Studienjahre langsam zu einer inneren Be-      Zeit.                                            war diese Zeit immer wieder von Schulun-
     ziehung zu Gott gefunden. Gerade am Be-                                                         gen und Praktika in verschiedenen Ordens-
     ginn hatte ich einzelne ergreifende Gebet-         Meine Entscheidung war zunächst nicht        betrieben oder in anderen Bereichen. Nach
     serfahrungen, doch es gab auch lange und       sehr deutlich – kein Blitz vom Himmel            dem ersten Jahr durfte ich das Noviziat be-
     durchaus quälende Zeiten der Abwesenheit,      machte mir klar, dass ich angekommen war.        ginnen und musste mich entscheiden, ob
     des erneuten Zweifelns und Fragens. Heu-       Es war aber die Art des Gebets, des Lebens,      ich ein Ordenskleid tragen will. Wer hätte

12   Theologicum
gedacht, dass ich jemals vor so einer Ent-        lutionärem Weg, sondern aus der innovati-       Typhuskranken Opfer ihres Berufes gewor-
scheidung stehe!?                                 ven Kraft des Christentums, die über Schule     den waren.
                                                  und Caritas wirksam werden sollte. Dazu
    Rückblickend war ich damals noch im-          suchte er Frauen, die sich für seine Idee be-       Bis heute ist dieser Pioniergeist unserer
mer nicht sicher, ob ich wirklich am richti-      geistern konnten.                               Gründer aktuell: Wir versuchen den Be-
gen Fleck war. Aber immer tiefer wuchs ich                                                        dürfnissen der Zeit entsprechend zu han-
in die Gemeinschaft hinein. Immer mehr                Eine dieser Frauen war Katharina Sche-      deln und in unserer Zeit und Welt etwas von
lernte ich, was es eigentlich heißen kann,        rer, die sich dem energischen Kapuziner         der Liebe Gottes erfahrbar zu machen. In
Ordensfrau in der heutigen Zeit zu sein           anschloss. Sr. Maria Theresia Scherer (1825     Österreich haben Kreuzschwestern Schulen,
und Gott im Leben die erste Priorität zu          – 1888), wie sie später hieß, wurde erste       Kindergärten, Krankenhäuser, Altenheime,
geben. Auch wenn es auf dem Ausbildungs-          Generaloberin und Mitbegründerin der            Exerzitienhäuser     und   Erholungshäuser.
weg Zwischenstücke gab, an denen es nicht         „Barmherzigen Schwestern vom heiligen           Schwestern arbeiten in vielen verschiedenen
leicht war – ob mit mir selbst, mit Gott oder     Kreuz“. Als Pater Theodosius 1865 überra-       Berufsfeldern: z.B. als Krankenschwestern,
mit der Gemeinschaft – war es eine sehr be-       schend starb, führte sie nicht nur die Kon-     in der Altenpflege, in der Krankenhausseel-
reichernde Zeit. Ich hatte in meinen zehn         gregation weiter, sondern trug auch den         sorge, als Pfarrsekretärinnen, als Therapeu-
Jahren Theologiestudium inhaltlich sehr           gigantischen Schuldenberg ab, den er auf-       tinnen oder als Pastoralassistentinnen. Viele
viel gelernt, aber hier lernte ich in drei Jah-   grund seiner unglücklichen Fabriksgeschäf-      unserer Klöster (auch das Kloster Graz) ha-
ren viel mehr. Es handelte sich nur um eine       te hinterlassen hatte.                          ben in dieser schweren Zeit Flüchtlinge auf-
ganz andere Ebene. Es ist von außen schwer                                                        genommen. In den allermeisten Niederlas-
nachvollziehbar, was sich innerlich in einem          Die rasch wachsende Gemeinschaft            sungen gibt es auch eine Essensmöglichkeit
Menschen verändern kann, wenn man sei-            wurde ein Teil der großen „Frauenbewe-          für Obdachlose. Eine Vielzahl an Projek-
nem Herzen folgt.                                 gung“ des 19. Jahrhunderts. Die Schwes-         ten bringt Hilfe an die unterschiedlichsten
                                                  tern engagierten sich dort, wo ihre Hilfe am    Orte (u.a. Rumänien und Albanien). Viele
    Barmherzige Schwester vom heiligen            dringendsten benötigt wurde: In Armen-          Schwestern sind bereits hochbetagt und
Kreuz                                             häusern, Altenheimen oder Anstalten für         werden in eigenen Einrichtungen versorgt
                                                  körperlich und geistig Behinderte betreu-       und gepflegt. Der Quellgrund unseres Le-
    Kreuzschwester werden heißt eigent-           ten sie Menschen, die von der Gesellschaft      bens und Arbeitens liegt in der barmherzi-
lich: „Barmherzige Schwester vom heili-           vergessen worden waren. Sie unterrichteten      gen Liebe Gottes, die sich in Jesus Christus
gen Kreuz“ werden. Das Mutterhaus un-             in Kindergärten und Schulen, betreuten In-      entäußert bis zum Tod am Kreuz.
serer weltweiten Kongregation von heute           ternate und Kosthäuser für Lehrlinge, um
über 3000 Schwestern liegt in Ingenbohl           durch Bildung die Weichen für ein besseres          Franziskanisch
(Schweiz) am schönen Vierwaldstättersee.          Leben zu stellen.
Der Schweizer Kapuziner P. Theodosius Flo-                                                            Die enge Verbindung von Gottes- und
rentini (1808 – 1865) setzte sich in der Zeit         Die Schwestern waren aber auch verfüg-      Nächstenliebe ist etwas zutiefst Christliches,
der fortschreitenden Industrialisierung das       bar, wenn sie zu verwundeten Soldaten auf       wird aber auch von Franziskus erneut stark
Ziel, die drängenden sozialen Probleme der        Kriegsschauplätze und in Lazarette gerufen      betont und auf die ganze Schöpfung ausge-
Zeit und das Elend der Fabrikarbeiter zu lin-     wurden oder wenn Kranke in Epidemie-            weitet. Franziskus erkennt auch in Tieren,
dern und vor allem die Ursachen dieser Not        gebieten ihrer Hilfe bedurften. „Ganz dem       Pflanzen und Gestirnen seine Brüder und
– Bildungsnotstand, das Erziehungsdefizit         Gekreuzigten, darum ganz dem Nächsten:          Schwestern und legt besonderen Wert auf
der Jugend und schließlich das ausbeuteri-        Der Liebe Christi Stellvertreterin“, so die     eine geschwisterliche Haltung. Als Franzis-
sche kapitalistische Wirtschaftssystem – zu       Inschrift Mutter Maria Theresias auf der        kanerinnen sind wir verstärkt zur Armut,
bekämpfen. Pater Theodosius wollte eine           Grabplatte der ersten vier Schwestern, die      zur Schöpfungsverantwortung und zur De-
Erneuerung der Gesellschaft nicht auf revo-       in jungen Jahren in Rom bei der Pflege von      mut berufen. Was bedeutet das?

                                                                                                                                  Theologicum      13
Zunächst ist unsere Lebenshaltung be-       sius hat festgehalten: „Das Gebet, das heißt         Und die Armut?
     stimmt von der Liebe und dem Vertrauen         der Verkehr mit Gott, ist dem Menschen so
     in das grenzenlose Angenommensein jedes        notwendig wie das Atemholen, wie die Ver-            Wichtig ist, dass man das Gelübde der
     Menschen durch Gott. Dieses Vertrauen          bindung der Pflanze mit der Erde, wie die         Armut nicht auf das rein Finanzielle oder
     bestärkt uns darin, solidarisch für Gerech-    Verbindung des Astes mit dem Baum.“ In            den Besitz beschränkt. Es geht vielmehr
     tigkeit einzustehen, uns der Glaubenser-       dem Wissen, dass unsere Liebe, unsere Ge-         um eine Haltung. Mich selbst als Geschöpf
     fahrung zu öffnen und dankbar zu werden.       duld und unsere Freude aus der Verbindung         in meiner Geschöpflichkeit annehmen ist
     Schöpfungsverantwortung und Umwelt-            mit Gott erwachsen, bemühen wir uns auch          auch gelebte Armut. Solidarität und Dank-
     schutz sind uns wesentliche Werte. Als         im Alltag und in der Arbeit in einer Gott zu-     barkeit erwachsen aus einer wahren inneren
     Franziskanerinnen suchen wir die Einfach-      gewandten Haltung zu leben. Dabei helfen          Armut. So kann ich mir selbst und anderen
     heit, abseits vom materiellen Status- und      uns Zeiten der Unterbrechung, in denen wir        Fehler leichter verzeihen. Geschwisterliche
     Leistungsdenken. Im Weniger erfahren wir       uns wieder zum gemeinsamen Gebet tref-            Armut heißt auch, dass ich manchmal mit-
     das Mehr und setzen unsere Prioritäten auf     fen. Vor dem Mittagessen beten wir die Sext       tags zu den Leuten hinübergehe, die unsere
     das Sein anstatt auf das Haben. Auch wenn      und nach dem Abendessen die Vesper in der         Essensausgabe in Anspruch nehmen oder
     die gelebte materielle Armut oft für unsere    Kirche. Das Stundengebet dient uns so zur         mit einer Selbstverständlichkeit meiner
     Tätigkeiten oder Einrichtungen in den Hin-     Stärkung, Sammlung und Neuausrichtung             Mitschwester beim Geschirrspüler helfe.
     tergrund rückt und viele unserer Häuser        auf Gott hin.                                     Es kann aber auch bedeuten, nicht ständig
     auch für die älteren Schwestern ausgebaut                                                        meine Titel und Ausbildungen vor mir her-
     oder saniert werden müssen, glaube ich             Am Sonntag feiern wir die Messe um            zutragen. Denn weder meine Denkfähigkeit
     doch, dass wir wirklich bescheiden leben.      8:00 Uhr und beten davor die Laudes. Alle         noch meine körperliche Kraft habe ich mir
     Es geht dabei um eine freie Entscheidung zu    Gottesdienste sind für Besucher offen. Wö-        selbst gegeben.
     einer einfachen Lebensweise, die Freude am     chentlich haben wir eine Chorprobe, ein
     Teilen und das immer neue Mühen auch auf       Bibelgespräch und einen Gemeinschafts-               Natürlich schließt das Gelübde der
     geliebte Kleinigkeiten zu verzichten. Los-     abend. Zweimal in der Woche gibt es eine          Armut auch die Gütergemeinschaft ein.
     lassen können bzw. wenig haben ist etwas       gemeinsame Zeit der Eucharistischen Anbe-         Konkret heißt das zum Beispiel, dass mein
     Wertvolles, das – richtig verstanden – zu      tung, monatlich einen Einkehrtag.                 Gehalt direkt an die Gemeinschaft geht,
     einer großen inneren Freiheit führen kann.                                                       während ich ein kleines Taschengeld (Ver-
                                                        Aus beruflichen Gründen kann nicht            fügungsgeld) bekomme. Damit muss man
        Und konkret?                                jede Schwester bei jeder einzelnen Gebets-        freilich mehr abwägen, was nötig ist, was
                                                    zeit dabei sein. Ich bin z.B. im Augustinum       man sich leistet oder was einem wirklich
        Konkret lebe ich hier in einem großen       als Pastoralassistentin tätig. Das ist ein wei-   etwas wert ist. Zug- und Busfahrten sollten
     Kloster in der Kreuzgasse mit 20 Mitschwes-    tes Feld mit sehr vielen Einrichtungen und        gut geplant bzw. miteinander abgestimmt
     tern. In Graz gibt es noch vier andere Kon-    Veranstaltungen. Gerade die Arbeit mit den        werden und möglichst billig sein. Teure Ur-
     vente der Kreuzschwestern, die aber zumeist    Jugendlichen im Internat aber auch Ein-           laube sind auch in Zukunft ausgeschlossen.
     kleiner sind. Wir beginnen unseren Tag         kehrtage, Tagungen oder Reisebegleitungen
     gemeinsam um 6:40 Uhr in der Kirche mit        machen mir viel Freude. Diese vielfältigen           Für mich ist es noch immer nicht leicht,
     den Laudes und feiern um 7:00 die hl. Mes-     Tätigkeiten lassen sich aber nicht in fes-        im Alltag wirklich sparsam zu leben. Jetzt
     se. Das Frühstück nehmen wir als einzige       te Zeiten zwängen. So kommt es auch vor,          erst merke ich, was ich mir früher alles pro-
     Mahlzeit schweigend ein und anschließend       dass ich an einem Tag nur in der Früh mit         blemlos leisten konnte. Besonders bewusst
     geht jede an ihre Arbeit. Mindestens eine      der Gemeinschaft bete. Aber jede Schwester        wird mir das immer wieder bei Eintritten
     halbe Stunde sollte sich jede Schwester täg-   müht sich um ihr geistliches Leben und es         – ins Kino, in ein Museum, in eine Kirche.
     lich zur Betrachtung des Evangeliums neh-      ist uns ein ehrliches Anliegen gemeinsam zu       Am Schwersten ist es für mich aber, nichts
     men. Schon unser Gründer Pater Theodo-         beten und stimmig Liturgie zu feiern.             selbst online bestellen oder keine größeren

14   Theologicum
Geschenke machen zu können. Gerade vor            Das ganz normale Leben                     Grunde schon immer war. Ich wusste es
Weihnachten oder Geburtstagen wird mir                                                       vorher nur nicht.
meine Entscheidung immer wieder auch              Vieles im Ordensleben mag zunächst
schmerzlich bewusst.                           seltsam anmuten oder ungewohnt sein.              Mehr Infos zur Kongregation der Barm-
                                               Wenn man darin lebt, wird es normal.          herzigen Schwestern vom hl. Kreuz (SCSC)
   Aber Gütergemeinschaft ist nicht nur        Ich hinterfrage hier noch einiges, bin mit    unter: www.kreuzschwestern.eu
eine Einschränkung. So gebe ich z.B. mein      manchem nicht zufrieden oder frage nach
Schreiben vom Kirchenbeitrag oder von der      den Gründen. Aber ich habe MEIN Leben             Autorin: Sr. Gertraud Johanna Harb
Pensionsversicherung einfach vertrauens-       gefunden. Hier kann ich sein, wie ich im      gertraud.harb@graz-seckau.at
voll an unsere Ökonomin weiter. Das Auto
in der Garage muss ich reservieren, aber je-         Ich wurde 1983 in Graz geboren, habe dann die
mand anders wartet es und fährt damit zur        BBA für Kindergartenpädagogik besucht und mit der
Werkstatt, wenn etwas nicht passt. Ich habe      Matura abgeschlossen, dann Theologie studiert (in
ein warmes Zimmer, ein Handy und habe            Münster und Graz) und das Doktorat (bei Prof C. Heil)
jeden Tag ein warmes Essen, ohne selber ko-      gemacht, parallel dazu Religionswissenschaft studiert,
chen zu müssen. Im Gemeinschaftsraum ist         dann habe ich das Pastoralpraktikum gemacht und bin
ein Fernseher und der Kühlschrank im Spei-       2013 in den Orden der Barmherzigen Schwestern vom
sezimmer ist nie ganz leer. Im gemeinsamen       Heiligen Kreuz eingetreten. Dort war ich in der Aus-

                                                                                                                                         Foto: Sr. Gertraud Johanna Harb
Leben ist viel Kommunikation und manche          bildung hauptsächlich in Hegne am Bodensee, aber
Planung nötig aber es wird einem auch sehr       auch in Hall in Tirol und in Münster in NRW und bin
viel abgenommen.                                 seit September 2016 wieder in Graz und im Augusti-
                                                 num als Pastoralassistentin tätig.

                                                                                                                         Theologicum                    15
Religionsfreiheit als „Recht der
                    Freiheit, nicht der Frommen“
                    Univ.-Prof. Dr. Heiner Bielefeldt über Formen und Motive der Verlet-
                    zungen von Religionsfreiheit und die Frage „Was tun“
                        von Gudrun Rausch

         Bereits zum dritten Mal berichtete Hei-      bien, Iran oder dem Sudan. Geahndet wird         Provinz Xinjiang – die einen hohen Anteil
     ner Bielefeldt am 11. Mai in Graz über das       hier zum Beispiel der Abfall vom Islam. In       an Uiguren (ein mehrheitlich muslimisches
     Thema Religionsfreiheit; dieses Mal auf Ein-     Pakistan steht aus Blasphemie die Topdes-        Turkvolk) aufweist und wegen ihrer rigo-
     ladung von ProOriente, Universität Graz,         strafe und in Indien gibt es Anti-Konversi-      rose Vorschriften gegen das Tragen langer
     Katholische    Hochschulgemeinde,        dem     ons-Gesetze.                                     Bärte bei Männern und von Kopftüchern
     Welthaus und viele anderen.                                                                       bei Fragen im Frühling in allen Medien
                                                          In Kasachstan wird die Religionsfrei-        war – werden alle Kinder auch während des
         Die Religionsfreiheit an sich ist ein        heit eher auf bürokratischer Ebene einge-        Ramadans dazu gedrängt am Schulessen
     Menschenrecht und an sich mit Gedanken-          schränkt. Hier muss beispielsweise für den       teilzunehmen. In Ostzypern wird Kindern
     Gewissens- und Religionsfreiheit betitelt.       Import von religiöser Literatur, für den         beispielweise während der Schulstunden die
     Zusätzlich ist sie mit der Meinungs- und         Verkauf von religiöser Literatur oder für das    Beichte abgenommen.
     Versammlungsfreiheit eng verbunden. Sub-         Gespräch über religiöse Fragen getrennt um
     jekt dieses Rechts sind die Menschen, nicht      Sondererlaubnis angefragt werde, welche              Motive für die Verletzung der Religi-
     die Religion. Im Moment ist die Religions-       allerdings stets örtlich und zeitlich begrenzt   onsfreiheit ist meist die religiöse „Wahrheit“
     freiheit allerdings in großen Teilen der Be-     sind. Laut Bielefeldt bleibt „vom Geist eines    von der sowohl auf Seiten der Täter als auch
     völkerung recht unpopulär, vor allem, weil       Menschenrechts auf Religionsfreiheit dann        auf der der Opfer ausgegangen wird. Hier
     Menschen auf den Begriff „Religion“ ambi-        nichts“.                                         spielt ebenso die religiöse und rituelle Rein-
     valent reagieren. Die meisten bewegen sich                                                        heit eine große Rolle. Weitere Motive sind
     irgendwo zwischen skeptischer Faszination,           Auf der Ebene des Familienrechts gibt
     Angst (im Moment vor allem vor dem Is-           es unter anderem im Libanon Konflikte mit
     lam), Ablehnung und Fürsprache.                  der Religionsfreiheit, hier gibt es zwar 16
                                                      Rechtsinstanzen des Familienrechts für die
         Formen und Motive der Verletzungen           verschiedenen Religionsgemeinschaften, je-
     der Religionsfreiheit                            doch können zum Beispiel keine interreligi-
                                                      ösen Ehen geschlossen werden, außer man
         Verletzungen der Religionsfreiheit gibt      weicht ins Ausland aus oder ein Partner
     es in allen Teilen der Welt, sie unterschei-     konvertiert. Auch in Israel und Myanmar
     den sich allerdings in Intensität und Mus-       gibt es hier Probleme; in Israel besonders,
     ter. Diese Muster findet man auf Ebene der       da viele liberale Juden mit der streng ortho-
     Strafgesetze, der Bürokratie, im Familien-       doxen Auslegung des Familienrechts nicht
     recht, in Schule und vielen anderen.             einverstanden sind.
                                                                                                                                                        Foto: Heiner Bielefeldt

         Strafgesetze, in denen Religion im Titel         Seltener bemerkt üben einige Staaten
     steht finden sich hauptsächlich in einigen is-   auch über Schulen religiösen Druck auf
     lamisch geprägten Ländern wie Saudi-Ara-         Kinder aus. In der autonomen chinesischen

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