EINE WELT - SICHERHEIT IN OSTEUROPA LAOS - admin.ch

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EINE
WELT
                             NR. 1 / MÄRZ 2020

                             Das DEZA-Magazin
                             für Entwicklung und
                             Zusammenarbeit
                             www.eine-welt.ch

SICHERHEIT
IN OSTEUROPA
Wichtig für Europa,
wichtig für die Schweiz

LAOS
Ein Land im Ausverkauf

MIGRATION UND
ENTWICKLUNG
Eine kontroverse Beziehung
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INHALT

                          DOSSIER                                             HORIZONTE                                      FORUM
                 SICHERHEIT IN OSTEUROPA                                             LAOS

          8
         Sicherheit in Europa bedeutet
                                                                   20
                                                                   Ein Land im Ausverkauf
                                                                                                              32
                                                                                                              Migration und Entwicklung:
         Sicherheit für die Schweiz                                Laos ist eines der ärmsten Länder in       eine kontroverse Beziehung
         Terrorismus, irreguläre Migration oder                    Südostasien – dessen Regierung will        Vermag internationale Zusammenarbeit
         Menschenhandel – das Thema öffent­liche                   das Land im Eilzugstempo zur Batterie      den Migrationsdruck tatsächlich zu
         Sicherheit hat in Europa an Bedeutung                     Asiens machen                              senken? Eine Kontroverse
         gewonnen
                                                                   24                                         35
         13                                                        Aus dem Alltag von …                       Soziale Sicherheit – ein Menschen­
         «Die Unterstützung ist von                                Michal Harari, Verantwortliche für         recht unter Beschuss
         strategi­scher Bedeutung»                                 Gouvernanz-Programme im                    Immer wieder gerät der Schutz der
         Interview mit dem Sicherheitsexperten                     Kooperationsbüro Vientiane                 Ärmsten durch Sozialhilfe unter politi-
         Roderick Ackermann                                                                                   schen Beschuss – zu Unrecht
                                                                   25
         15                                                        Bleibt beharrlich, hört nicht auf          38
         Positives Fazit trotz schwieriger                         zu lernen!                                 Die Kunst des Lebens!
         Umstände                                                  Trotz schwieriger Kindheit in extremer     Carte blanche: Die Bosnierin Aida Begić
         Die Projekte der Schweiz im Rahmen des                    Armut besitzt Ms Baimoua heute             über die Rolle der Künstlerinnen und
         Erweiterungsbeitrags wurden in Rumänien                   einen Hochschulabschluss und eine          Künstler sowie den Wert der Kultur in
         und Bulgarien abgeschlossen                               Anstellung als IT-Assistentin              Krisenzeiten

         17
         Mit Wissensaustausch zu mehr
         Sicherheit                                                                DEZA                                     KULTUR
         Gefragte Schweizer Expertise
         beim Wissensaustausch zwischen
         Institutionen in der Schweiz und den
         EU-Mitgliedsstaaten

         19
                                                                   26                                         39
         Facts & Figures

                                                                   Mit Lowtech gegen Indiens Hitzekollaps     Der Sound der 20 Millionen
                                                                   Schweizer Ingenieure beraten indische      Mahraganat gehört aktuell zur populärsten
                                                                   Baufachleute, Ministerien und Investoren   Musik Kairos – ein Basler DJ versucht, den
                                                                   im energieeffizienten Bauen                Musikstil auch ausserhalb Ägyptens als
                                                                                                              eigenes Genre zu etablieren
                                                                   29
                                                                   Möglichst schnell weg über die
         Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit          Grenze – und dann?
         (DEZA), die Agentur der internationalen Zusam-
                                                                   Tag für Tag verlassen tausende
         menarbeit im Eidgenössischen Departement für                                                          3 Editorial
                                                                   Venezolanerinnen und Venezolaner
         auswärtige Angelegenheiten (EDA), ist Herausgeberin                                                   4 Periskop
         von «Eine Welt». Die Zeitschrift ist aber keine offizi-   in der Hoffnung auf bessere Lebens-
                                                                                                              31 Einblick DEZA
         elle Publikation im engeren Sinn; in ihr sollen auch      bedingungen ihr desolates Land
         andere Meinungen zu Wort kommen. Deshalb geben
                                                                                                              41 Service
         nicht alle Beiträge notwendigerweise den Standpunkt                                                  43 Fernsucht mit Mario Casella
         der DEZA und der Bundesbehörden wieder.                                                              43 Impressum

         2              EINE WELT 01/2020
EINE WELT - SICHERHEIT IN OSTEUROPA LAOS - admin.ch
EDITORIAL
                       GEFAHREN KENNEN
                        KEINE GRENZEN
                                                                 sprach bei der Schaffung des Erweiterungsbeitrags
                                                                 dem erklärten Ziel des Bundesrats.

                                                                 Polen, Bulgarien und Rumänien überwachen insge­
                                                                 samt mehr als 3000 Kilometer der EU-Aussengrenze,
                                                                 was etwa der Luftdistanz von Bern ans Kaspische
                                                                 Meer entspricht. Das machte diese Länder in den
                                                                 Bereichen des grenzüberschreitenden organisierten
© DEZA

                                                                 Verbrechens, des Menschenhandels oder der irregu­
                                                                 lären Migration zu Schlüsselakteuren. Die Zusammen­
         Vor gut vierzig Jahren sah ich in einem Zeughaus ein    arbeit der Schweiz im Rahmen des Erweiterungsbei­
         Poster mit dem Slogan: «Jedes Land hat eine Armee,      trags setzte deshalb einen Schwerpunkt auf eben
         entweder die eigene oder eine fremde». Das stimmte      diese Bedrohungsformen, die direkt oder indirekt Aus­
         zwar schon damals nicht ganz, da zum Beispiel Costa     wirkungen auf unser Land haben. 116 Millionen Franken
         Rica seit 1948 weder über eine eigene Armee verfügte,   flossen in Massnahmen zur Stärkung der öffentlichen
         noch seither je besetzt worden war. Im Übrigen ent­     Sicherheit der Partnerländer. In Polen unterstützte die
         sprach die Aussage dem Zeitgeist des Kalten Krieges     Schweiz die Verbesserung der Ausstattung von mobi­
         und den damals vorherrschenden Szenarien inter­         len Grenzkontrolleinheiten, in Estland die Errichtung
         nationaler bewaffneter Konflikte. Solche Szenarien      eines Systems zur automatischen Erkennung von
         kann man auch heute nicht ausschliessen; sie sind       Nummernschildern und in Bulgarien den Kampf gegen
         jedoch in den letzten Jahrzehnten glücklicherweise      den Menschenhandel, zum Beispiel durch Mitfinanzie­
         seltener geworden.                                      rung einer Präventionskampagne, welche die bulgari­
                                                                 sche Bevölkerung vor fiktiven Jobangeboten warnt.
         Dafür sind in der Zwischenzeit andere globale Be­
         drohungen entstanden, deren komplexe Ursachen           Eine externe Evaluation stellt den Schweizer Projekten
         höchstens noch von Experten verstanden werden           im Bereich Sicherheit insgesamt ein positives Zeugnis
         und deren weitreichende Auswirkungen auf kei­           aus. Die Unterstützung sei relevant und qualitativ gut
         nem Poster mehr Platz hätten. Zu nennen sind etwa       gewesen, auch wenn (noch) nicht überall die erwarte­
         ­Klimawandel, Wasserknappheit und Pandemien. Ich        ten Veränderungen eingetreten seien.
         denke aber auch an das organisierte Verbrechen,
         Cyberangriffe und Terrorismus. Kein Land kann sich      Der Erweiterungsbeitrag zugunsten der 13 EU-Mit­
         allein gegen diese Gefahren schützen, weil diese        gliedsstaaten entsprang zwar einer anderen Logik,
         selber keine Grenzen kennen. Das heisst, die Frage,     als die Internationale Zusammenarbeit der Schweiz
         gegen welche Staaten wir uns allenfalls wehren          in den ärmsten Ländern der Welt; aber sie haben ein
         müssten, ist heute nur noch eine unter vielen. Zen­     wichtiges Element gemeinsam: Solidarität mit Men­
         traler ist die Frage: Mit welchen Staaten können wir    schen, die unsere Unterstützung brauchen, und die
         angesichts der genannten Risiken zusammenarbei­         längerfristigen Sicherheitsinteressen unseres Lan­
         ten?                                                    des sind keine Gegensätze; sie ergänzen sich.

         Dieses Heft behandelt als Hauptthema die Zusam­         Manuel Sager
         menarbeit der Schweiz im Bereich der Sicherheit         Direktor der DEZA
         mit den 13 Staaten, die seit 2004 der EU beigetreten
         sind und bis Ende 2019 vom Erweiterungsbeitrag der
         Schweiz in der Höhe von rund 1.3 Milliarden Franken
         profitierten (die Umsetzungsphase in Kroatien dau­
         ert noch bis 2024). Die «Förderung von Stabilität und
         Sicherheit auf dem europäischen Kontinent …» ent­

                                                                                                       EINE WELT 01/2020   3
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PERISKOP

                                                                                                                                                   HOHES PANDEMIERISIKO
                                                                                                                                                   (sch) Die Weltgemeinde riskiere, in eine globale Krise zu
                                                                                                                                                   schlafwandeln, die noch schlimmer ausfallen könnte, als
                                                                                                                                                   die Spanische Grippe von 1918 mit 50 Millionen Todesopfern.
                                                                                                                                                   Davor warnen die Verfasser des Berichts «A world at risk»
                                                                                                                                                   des «Global Preparedness Monitoring Board». Alleine zwi-
                                                                                                                                                   schen 2011 und 2018 registrierte die WHO 1483 Epidemien in
           © UNHCR/Georgina Goodwin

                                                                                                                                                   172 Staaten, darunter Grippe, SARS, Ebola, die Pest, Zika und
                                                                                                                                                   Gelbfieber. Damit Pandemien nicht ausser Kontrolle gera-
                                                                                                                                                   ten, seien deutlich höhere Investitionen ins Risikomanage-
                                                                                                                                                   ment notwendig. Dies wäre auch ökonomisch sinnvoll: Die
                                                                                                                                                   Ebola-Epidemie von 2013 bis 2016 kostete die Weltgemeinde
                                                       STAATENLOSIGKEIT:                                                                           53 Milliarden US Dollar. Der Bericht fordert die Ernennung
                                                      MEILENSTEIN ERREICHT                                                                         eines nationalen Koordinators für Gesundheitskrisen auf
                                                                                                                                                   höchster politischer Stufe, mehr Investitionen in neue
                                          (cz) Zusammen mit Hunderten internationalen und regio-                                                   Impfungen und Therapien sowie ein forcierter Wissensaus-
                                          nalen Organisationen haben sich mehr als 85 Regierungen                                                  tausch bezüglich neu auftauchender Pathogene. Gleichzeitig
                                          dazu verpflichtet, die Staatenlosigkeit von Menschen zu                                                  müssten von Pandemien betroffene Regionen und Gemein-
                                          beenden. An einem vom UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR                                                     den besser in die Bewältigung der Krisen involviert werden.
                                          organisierten Treffen in Genf verpflichteten sich zudem
                                          über 50 Staaten dazu, die UN-Konventionen zur Staa-
                                          tenlosigkeit zu ratifizieren. So soll etwa die Einbürgerung
                                          von Staatenlosen erleichtert, Staatenlosigkeit verhin-                                                   GRÜNE ALTERNATIVE ZU DIESELGENERATOREN
                                          dert, Staatenlosen Schutz geboten und eine universelle                                                   (sch) 25 Millionen Diesel- und Benzingeneratoren sind in
                                          Geburtsregistrierung sichergestellt werden. Die Anzahl                                                   167 Entwicklungsländern (ohne China) heute in Betrieb. Sie
                                          der Zusagen zu einem einzigen Zeitpunkt sei beispiellos,                                                 haben eine Gesamtkapazität von 350 bis 500 Gigawatt, was
                                          hiess es vonseiten des UNHCR. «Das Engagement zeigt,                                                     etwa 700 bis 1000 grossen Kohlekraftwerken entspricht.
                                          dass es einen beispiellosen politischen Willen gibt, die-                                                Diese Zahlen finden sich im neuen Bericht «The Dirty
                                          ses Problem zu lösen», sagte der UNO-Hochkommissar für                                                   Footprint of the Broken Grid» der Weltbank-Gruppe, welcher
                                          Flüchtlinge Filippo Grandi. Laut UNHCR ist Staatenlosigkeit                                              die negativen sozioökonomischen Auswirkungen einer
                                          eine der Hauptursachen für Menschenrechtsverletzun-                                                      Stromversorgung analysiert, die mangels eines verlässli-
                                          gen an Millionen von Menschen weltweit.                                                                  chen Elektrizitätsnetzes auf Generatoren angewiesen ist. In
                                                                                                                                                   Westafrika zum Beispiel wird über 40 Prozent des Elektri-
                                                                                                                                                   zitätskonsums mit Generatoren abgedeckt. 40 Milliarden
                                                                                                                                                   US Dollar werden in den untersuchten Ländern jährlich für
                                                                                                                                                   Benzin und Diesel für den Betrieb von Generatoren aus-
                                      GESUNDHEIT: HISTORISCHER ERFOLG                                                                              gegeben. Das führt zu durchschnittlich doppelt so hohen
                                      (cz) Das wilde Poliovirus Typ 3 gilt seit Kurzem als ausge-                                                  Stromkosten wie für Netzstrom. Die Autoren plädieren dafür,
                                      rottet. Das gab eine unabhängige Expertenkommission am                                                       die Generatoren durch Sonnenenergie und neue, intelligente
                                      letztjährigen Welt-Polio-Tag bekannt. Nach der Ausrottung                                                    Stromverteilnetze zu ersetzen. Damit würden nicht nur
                                      der Pocken und des wilden Poliovirus Typ 2 stelle dieser                                                     hohe Stromkosten für arme Haushalte reduziert, sondern
                                      Erfolg einen weiteren Meilenstein dar, sagte der Generaldi-                                                  auch negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt.
                                      rektor der Weltgesundheitsorganisation Tedros Adhanom
                                      Ghebreyesus. «Dank der Kombination von Innovation und
                                      Engagement bleibt nur noch einer von drei Typen des wilden
                                      Poliovirus übrig», so Ghebreyesus. Man wolle nicht den
                                      Eindruck vermitteln, dass die Arbeit beendet sei, sagte ein
                                                                                                        © Wu Wei/Xinhua/Gamma/Eyedea Presse/laif

                                      Sprecher der WHO. «Wir machen Fortschritte, aber Selbst-
                                      zufriedenheit ist jetzt eine der grössten Gefahren.» Denn der
                                      Typ 1 des Poliovirus steckt immer noch Menschen an – und
                                      kommt etwa in Afghanistan oder Pakistan vor. Ausserhalb
                                      des menschlichen Körpers kann das wilde Poliovirus aber
                                      nicht über längere Zeit überleben. Das heisst: Wenn das Virus
                                      keine ungeimpfte Person zur Infektion findet, stirbt es aus.

                                      4           EINE WELT 01/2020
EINE WELT - SICHERHEIT IN OSTEUROPA LAOS - admin.ch
PERISKOP
© Zeichnung von Ilian Savkov, Bulgarien

                                                                                                                  Khadga Prasad Sharma Oli. Das Problem ist Ursache vieler
                                          WENIGER DISKRIMINIERENDE GESETZE                                        Infektionskrankheiten in ärmeren Ländern. 2009 war es in
                                          (zs) Während sich die Lebensbedingungen der Frauen in                   Nepal zu einer katastrophalen Cholera-Epidemie gekom-
                                          rund 60 Ländern verbesserten, haben sie sich in von Kon-                men, die als Weckruf für die Regierung diente. Der Erfolg
                                          flikten heimgesuchten Staaten verschlechtert. Norwegen, die             ist auf eine gross angelegte Kampagne in Kooperation mit
                                          Schweiz und Dänemark stehen an der Spitze des «Women,                   der UNO zurückzuführen, bei der sanitäre Anlagen aus-
                                          Peace, and Security Index 2019/2020»; Jemen, Afghanistan,               gebaut und die Menschen für das Thema sensibilisiert
                                          Syrien, Pakistan und Südsudan sind die Schlusslichter.                  wurden. In über 5,6 Millionen Haushalten sei laut Regierung
                                          Die Forscher des Georgetown Institute for Women, Peace                  mindestens eine Toilette installiert worden. Ob das Prob-
                                          and Security erhoben in 167 Ländern Variablen wie Bil-                  lem allerdings tatsächlich der Vergangenheit angehört, ist
                                          dung, Beschäftigungsverhältnis, Justiz oder Zugang zu                   umstritten: Mehrere Quellen berichten, dass längst nicht
                                          Bankdienstleistungen. Im letztgenannten Bereich wurden                  alle Haushalte Zugang zu einer Toilette hätten. Klar ist
                                          grosse Fortschritte erzielt, sowohl bei mobilen als auch bei            jedoch: Die Fortschritte, die Nepal erzielt hat, sind gross.
                                          herkömmlichen Banken. Aufwärts geht es auch anderswo:
                                          Diskriminierende Gesetze sind auf dem Rückzug und in
                                          den Parlamenten sind die Frauen besser vertreten. Die für
                                          die Lebensbedingungen der Frauen zentrale Sicherheits-
                                          lage hingegen hat sich in fast 50 Ländern verschlechtert.

                                          SIEG DER TOILETTEN
                                          (cz) Nepal hat nach eigenen Angaben geschafft, wovon viele
                                          arme Staaten nur träumen können. In allen 77 Distrikten
                                          des Landes gehört die Defäkation im Freien der Vergan-
                                                                                                         © DEZA

                                          genheit an, verkündete der nepalesische Premierminister

                                                                                                                                                     EINE WELT 01/2020           5
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DOSSIER SICHERHEIT IN OSTEUROPA

                                                        DOSSIER
                                           SICHERHEIT IN
                                            OSTEUROPA
                                  SICHERHEIT IN EUROPA BEDEUTET SICHERHEIT FÜR DIE SCHWEIZ SEITE 8
                                   «DIE UNTERSTÜTZUNG IST VON STRATEGISCHER BEDEUTUNG» SEITE 13
                                         POSITIVES FAZIT TROTZ SCHWIERIGER UMSTÄNDE SEITE 15
                                          MIT WISSENSAUSTAUSCH ZU MEHR SICHERHEIT SEITE 17
                                                        FACTS & FIGURES SEITE 19
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DOSSIER SICHERHEIT IN OSTEUROPA

Bulgarische Polizeiaspiranten werden mit Schweizer
Unterstützung in den neusten forensischen
Technologien in einem modernen Labor ausgebildet.
© Ivo Danchev
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DOSSIER SICHERHEIT IN OSTEUROPA
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DOSSIER SICHERHEIT IN OSTEUROPA
                     SICHERHEIT IN EUROPA
                   BEDEUTET SICHERHEIT FÜR
                         DIE SCHWEIZ
                                         Terrorismus, irreguläre Migration oder Menschenhandel – das Thema
                                              öffentliche Sicherheit hat in Europa an Bedeutung gewonnen.
                                        Mit ihren Sicherheitsprojekten im Rahmen des Erweiterungsbeitrags hat
                                            die Schweiz diese Entwicklung ein Stück weit vorweggenommen.
                                                             Und profitiert davon auch selbst.
                                                                     Text: Christian Zeier

Für Europäerinnen und Europäer war                        menhalt gefährden. «Durch die zuneh-          oder irreguläre Migration zu zentralen
das Thema Sicherheit seit einer ganzen                    mende Unsicherheit im Umfeld hat die          Akteuren. Bulgarien etwa gilt als eines
Generation nicht mehr so wichtig wie in                   Sicherheitspolitik auch für die Schweiz       der Hauptursprungsländer des Men-
den letzten Jahren. Das hat eine Unter-                   an Bedeutung gewonnen», schreibt der          schenhandels innerhalb der EU – und
suchung der EU-Kommission von 2017                        Nachrichtendienst des Bundes im Lage-         in geringerem Masse als Transitland.
ergeben. Zwar hätten die Menschen an                      bericht 2019.                                 Rumänien wiederum ist laut Frontex
ihren Wohnorten nach wie vor ein star-                                                                  eines der wichtigsten Herkunftsländer
kes Gefühl der Sicherheit, doch bewaff-                                                                 von Vermittlern im Bereich Menschen-
nete Konflikte vor der Haustüre der EU,                   Zentrale Akteure im Osten                     schmuggel. Und die geographische Lage
die Rückkehr radikalisierter Europäer                                                                   Polens nennt Interpol «attraktiv für
aus Konfliktgebieten sowie eine Reihe                     Welche konkreten Themen für die in-           regionale Gruppen der organisierten
von Terroranschlägen hätten die innere                    nere Sicherheit Europas bedeutend             Kriminalität, die Drogen-, Waffen- und
Sicherheit zu einem der wichtigsten An-                   sind, zeigen Berichte europäischer Ins-       Menschenschmuggel betreiben wollen».
liegen der Bevölkerung gemacht.                           titutionen. Laut Sicherheitsagenda der
                                                          EU-Kommission stehen Terrorismus,             Kein Wunder also besteht auch im west-
Auch der Schweizer Nachrichtendienst                      grenzüberschreitendes      organisiertes      lichen Europa ein Interesse an der ver-
hält fest, dass die Sicherheitspufferzone                 Verbrechen und Cyberkriminalität ganz         besserten Sicherheitslage der östlichen
aus Rechtsstaaten rund um die Schweiz                     oben auf der Prioritätenliste. Europol        Mitgliedsstaaten. Einen Beitrag dazu
in den letzten Jahren schwächer gewor-                    identifiziert in einem Bericht von 2017       leisten sowohl der Kohäsionsfonds der
den sei. Sowohl die politische Stabilität                 folgende Schwerpunkte krimineller Ak-         EU als auch der von der Schweiz auto-
als auch die wirtschaftliche Robustheit                   tivität: Cyberkriminalität, organisierte      nom umgesetzte Erweiterungsbeitrag.
in Gesamteuropa hätten abgenommen.                        Einbrüche, illegale Drogen, Schleusen
Innereuropäische Migrationsbewegun-                       von Migrantinnen und Migranten sowie
gen und die hohe Anzahl Asylgesuche                       Menschenhandel und Ausbeutung von             Grenzsicherung in Polen,
würden die politische Polarisierung                       Arbeitskräften.                               Hochwasser in Ungarn
in der EU verstärken und den Zusam-
                                                          Die Länder an der östlichen Grenze der        Im Rahmen des Erweiterungsbeitrags
                                                          EU nehmen bei der Bekämpfung dieser           hat die Schweiz in den vergangenen Jah-
                                                          Aktivitäten eine wichtige Rolle ein. Polen,   ren hunderte Projekte unterstützt, die
Eine verbesserte Polizeiausbildung
und verkehrsberuhigende                                   Bulgarien und Rumänien überwachen             in den neuen Mitgliedsstaaten der EU
Massnahmen führten in Polen – hier                        gemeinsam mehr als 3000 Kilometer der         die wirtschaftlichen und sozialen Un-
die Hauptstadt Warschau – zu rund
                                                          EU-Aussengrenze. Das macht sie im Be-         gleichheiten verringern sollten (siehe
einem Fünftel weniger Verkehrstoter
seit 2012.                                                reich der grenzüberschreitenden Krimi-        Randspalte S. 10). Als eines von fünf Un-
© Andrzei Mitura, Nationale Polizei Warschau              nalität wie Schmuggel, Menschenhandel         terzielen wurde dabei die Förderung der

                                                                                                                      EINE WELT 01/2020        9
EINE WELT - SICHERHEIT IN OSTEUROPA LAOS - admin.ch
DOSSIER SICHERHEIT IN OSTEUROPA

                                                                                öffentlichen Sicherheit definiert. 116 Mil-   Rumänien hat die Schweizerische Ret-
                                  ERWEITERUNGSBEITRAG                           lionen Franken flossen in diesen Bereich      tungsflugwacht (Rega) Weiterbildungen
                                  Im November 2006 genehmigte                   – die Projekte reichten von der Grenzsi-      für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
                                  das Schweizer Stimmvolk den
                                                                                cherung über die Modernisierung des           der Luftrettungsdienste organisiert; in
                                  Erweiterungsbeitrag. Die Schweiz
                                                                                Gerichtswesens und die Bewältigung von        Estland entstand mit Unterstützung der
                                  beschloss, mit insgesamt 1.3
                                  Milliarden Franken zur Verringe-              Naturkatastrophen bis hin zum Kampf           Schweiz ein System zur automatischen
                                  rung der wirtschaftlichen und                 gegen Korruption und grenzüberschrei-         Nummernschilderkennung für die bes-
                                  sozialen Ungleichheiten in der EU             tende Kriminalität.                           sere Bekämpfung von Schmuggel und
                                  beizutragen. Die übergeordneten                                                             Steuerbetrug an der Grenze; und in Bul-
                                  Ziele des Erweiterungsbeitrags
                                                                                In Polen etwa hat die Schweiz die Aus-        garien wurde unter anderem der Kampf
                                  sind der Umweltschutz, die
                                  Stärkung der Zivilgesellschaft,
                                                                                stattung von Grenzposten und mobilen          gegen Menschenhandel unterstützt. Wie
                                  die Förderung des Wirtschafts-                Grenzkontrolleinheiten unterstützt und        von diesen Projekten nicht nur das Part-
                                  wachstums sowie die Erhöhung                  zur Verbesserung eines Empfangszent-          nerland, sondern auch die Schweiz pro-
                                  der sozialen und öffentlichen                 rums für Migrantinnen und Migranten           fitierte, zeigt ein Beispiel aus der Praxis.
                                  Sicherheit. Laut dem Eidgenös-
                                                                                beigetragen; in Lettland förderten neue
                                  sischen Departement für aus-
                                                                                Videokonferenzanlagen und Audioauf-
                                  wärtige Angelegenheiten gehört
                                  die Unterstützung der mittel-                 nahmeanlagen in Gefängnissen sowie            Gezwungen, in die
                                  und osteuropäischen Staaten                   Gerichtssälen die Modernisierung des          Schweiz zu reisen
                                  seit den 1990er-Jahren zu den                 Justizwesens; in Ungarn konnte die Re-
                                  zentralen Pfeilern der Schweizer              aktion auf Hochwasser dank Schwei-            Ein Mann aus Bulgarien zwingt eine Frau
                                  Interessenpolitik in der Region.
                                                                                zer Technologie mit aufblasbaren und          dazu, in die Schweiz zu reisen und hier
                                  In den zehn Mitgliedsstaaten der
                                  ersten Osterweiterung (Estland,
                                                                                mobilen Dämmen sowie der Schulung             für ihn zu arbeiten. Er sorgt dafür, dass
                                  Lettland, Litauen, Malta, Polen,              von Fachpersonen verkürzt werden; in          sie sich offiziell anmeldet, überlässt ihr
                                  Slowenien, Slowakei, Tschechi-
                                  sche Republik, Ungarn, Zypern)
                                  gingen die Projekte 2017 zu Ende,
                                  in Rumänien und Bulgarien Ende
                                  2019. Das Programm im jüngsten
                                  EU-Staat Kroatien läuft noch bis
                                  2024.

                                  Auf Patrouille per Schiff auf
                                  der Donau: Ein bulgarischer
                                  Grenzpolizist hält Ausschau
                                  nach Schmugglern.
                                  © Daniel Rosenthal/laif

                                  10                        EINE WELT 01/2020
DOSSIER SICHERHEIT IN OSTEUROPA
einen Teil des Einkommens, die Schwei-        Animus unterstützt. Zudem kam es zum         Sicherheit und Stabilität auf dem euro-
zer Behörden können ihm keine Straftat        Austausch zwischen Polizei und Justiz –      päischen Kontinent und in den Staaten
nachweisen. Doch dann macht ihm die           Institutionen beider Länder konnten ihr      des ehemaligen Ostblocks».
bulgarische NGO Animus, die sich für          Wissen und ihre Erfahrungen ausbauen.
Opfer von Menschenhandel einsetzt, ei-                                                     Laut Siroco Messerli habe man bereits
nen Strich durch die Rechnung. Die Or-                                                     bei der Abstimmung zum Erweite-
ganisation hat den Landsmann schon            Interessen der Schweiz                       rungsbeitrag 2006 damit argumentiert,
länger auf dem Radar – sie weiss, dass er                                                  dass die Herausforderungen der neuen
die Frau manipuliert, dass er sie zur Reise   «Von mehr Sicherheit in den neuen            EU-Mitgliedsstaaten im Bereich öffent-
in die Schweiz gezwungen und sie mehr-        Mitgliedsstaaten profitiert auch die         liche Sicherheit auch die Schweiz be-
fach körperlich misshandelt hat.              Schweiz», sagt Siroco Messerli, Leiter der   treffen. Damals jedoch sei das Thema
                                              Abteilung Neue EU-Mitgliedsstaaten bei       Sicherheit noch weit weniger präsent
Anhand dieser Information können die          der DEZA. Die Schweiz hat als Mitglied       gewesen als heute. Durch die Krise der
Schweizer Behörden eingreifen und den         des Schengen-Raums ein Interesse an          EU, die zunehmende Migration sowie
Mann festnehmen. «Dank der Koopera-           verlässlich gesicherten Aussengrenzen,       eine Veränderung der innenpolitischen
tion zwischen den Ländern konnten wir         an einer funktionierenden Verbrechens-       Sichtweisen habe in der Schweiz ein
die Frau aus den Fängen des Mannes be-        und Korruptionsbekämpfung sowie an           Paradigmenwechsel          stattgefunden.
freien», sagt Animus-Mitarbeiterin Na-        einem effizienten Justizwesen in den         «Früher fusste die Zusammenarbeit der
dia Kozhouharova. «Aus Schweizer Sicht        Partnerländern. Schon 2004 schrieb der       Schweiz mit den Partnerländern ganz
konnte man nur ein Teil der Geschichte        Bundesrat in seiner Botschaft zum Er-        klar auf der Idee der Solidarität», sagt
erkennen.» Mit Geldern des Schweizer          weiterungsbeitrag: «Das Ziel der Zusam-      Messerli. Heute seien es eher vier Säulen:
Erweiterungsbeitrags wurden in den            menarbeit mit den Staaten Osteuropas         Solidarität, Wohlstand, Stabilität – und
letzten Jahren mehrere Projekte der NGO       ist im Wesentlichen die Förderung von        eben das Sicherheitsbedürfnis. Diese
                                                                                           Entwicklung haben die von der Schweiz
                                                                                           unterstützten Projekte zur Erhöhung
                                                                                           der öffentlichen Sicherheit ein Stück
                                                                                           weit vorweggenommen.

                                                                                           Doch nicht nur die Erhöhung der inne-
                                                                                           ren Sicherheit ist für die Schweiz von
                                                                                           Interesse. Durch die Projekte des Erwei-
                                                                                           terungsbeitrags konnte sie ihre Bezie-
                                                                                           hungen zu den neuen Mitgliedsstaaten
                                                                                           verbessern – und Schweizer Institutio-
                                                                                           nen profitierten vom internationalen
                                                                                           Austausch (siehe Artikel S. 17). So sam-
                                                                                           melten etwa mehrere Kantonspolizeien
                                                                                           Erfahrungen, die ihnen bei der täglichen
                                                                                           Arbeit von Nutzen sind. Die Zusam-
                                                                                           menarbeit zwischen den bulgarischen
                                                                                           Polizeibehörden und dem Schweizer
                                                                                           Bundesamt für Polizei half sogar mit, die
                                                                                           Verhandlung des bilateralen Polizeiab-
                                                                                           kommens zwischen den beiden Ländern
                                                                                           zum Abschluss zu bringen. «Die Schweiz
                                                                                           hat davon profitiert, dass sie vor Ort bes-
                                                                                           seren Zugang zu Regierungsstellen auf
                                                                                           höchster Ebene erhielt», sagt DEZA-Mit-
                                                                                           arbeiter Siroco Messerli. In der Slowakei
                                                                                           oder in Kroatien zum Beispiel hätten die
                                                                                           Botschaften durch die Projekte mehr
                                                                                           Gewicht erhalten und der zwischen-
                                                                                           staatliche Dialog konnte verstärkt wer-
                                                                                           den.

                                                                                                         EINE WELT 01/2020          11
DOSSIER SICHERHEIT IN OSTEUROPA

                                  In Zukunft strategischer                     tifizierung, Schutz und Unterstützung
                                                                               von Opfern von Menschenhandel erar-         UNTERSCHIEDLICHE
                                  Die bisherigen Evaluationen und Prü-         beitet. Zudem hat Animus ein speziell       HERANGEHENSWEISEN
                                                                                                                           Der Erweiterungsbeitrag teilt
                                  fungen der Eidgenössischen Finanzkon-        auf die Unterstützung von Opfern von
                                                                                                                           grundsätzlich die Ziele des
                                  trolle stellen den Schweizer Projekten       Menschenhandel zugeschnittenes Pro-         EU-Kohäsionsfonds, der zum
                                  ein grundsätzlich positives Zeugnis aus:     gramm entwickelt, eine Hotline einge-       Abbau der wirtschaftlichen und
                                  Mehrheitlich wurden die Ziele erreicht       richtet und Präventionskampagnen re-        sozialen Ungleichheiten in der EU
                                  oder gar übertroffen. Trotz vieler konkre-   alisiert, um die bulgarische Bevölkerung    beitragen soll. Die Schweiz hat
                                                                                                                           aber eine eigene Herangehens-
                                  ter Erfolge sei es in manchen Bereichen      vor unrealistischen Jobangeboten und
                                                                                                                           weise gewählt: Die Projekte wur-
                                  aber schwer, eine nachhaltige Wirkung        den Machenschaften von Menschen-            den von den Partnerländern vor-
                                  auf der Systemebene zu erkennen, sagt        händlern zu warnen.                         geschlagen, mit diesen bilateral
                                  Debora Kern, Programmbeauftragte bei                                                     vereinbart und von der Schweiz
                                  der Abteilung Neue EU-Mitgliedsstaaten       «Die Schweizer Unterstützung hat uns        mittels Finanzierungsentscheid
                                  der DEZA. Ein Ziel für einen allfälligen     geholfen, die Qualität unserer Arbeit zu    abgesegnet. Die Partnerländer
                                                                                                                           setzten die Projekte eigenständig
                                  zweiten Schweizer Beitrag an ausge-          verbessern», sagt Nadia Kozhouharova
                                                                                                                           um und mussten sie in der Regel
                                  wählte EU-Mitgliedsstaaten sei es daher,     von Animus. Besonders sei dabei gewe-       vorfinanzieren sowie mindestens
                                  vermehrt grössere Programme mit stra-        sen, dass man nicht einfach ein einzel-     15 Prozent der Projektkosten
                                  tegischen Zielen zu realisieren. «Wir        nes Projekt unterstützt habe, sondern       selber tragen. Die Schweiz
                                  wollen uns weniger verzetteln und uns        auf mehreren Ebenen Veränderungen           führte vor der Rückerstattung
                                                                                                                           der Kosten Kontrollen durch und
                                  noch stärker auf die Nischen konzentrie-     anstrebte. «Und wir arbeiteten auf Au-
                                                                                                                           unterstützte die Länder punktuell
                                  ren, in denen die Schweiz einen klaren       genhöhe zusammen», ergänzt die bul-         bei der Umsetzung. Dadurch
                                  Mehrwert leisten kann», so Debora Kern.      garische NGO-Mitarbeiterin. Neben den       war die Schweiz näher an den
                                  Ein gutes Beispiel dafür sind die Projekte   Projekten sei so auch ein Verständnis für   Projekten dran und hat intensiver
                                  im Bereich Menschenhandel in Bulga-          das andere Land entstanden. ■               kontrolliert als etwa die EU.
                                  rien.

                                  Neben der Kooperation mit der Schwei-
                                  zer Justiz hat die bulgarische NGO Ani-
                                  mus zusammen mit der Schweizer                                                           In Ungarn schützen präzisere
                                  Fachstelle Frauenhandel und Frauen-                                                      Prognosen sowie mobile
                                                                                                                           Dämme, welche ein Schweizer
                                  migration (FIZ) einen Leitfaden für Iden-
                                                                                                                           Unternehmen lieferte, 350 000
                                                                                                                           Personen vor Hochwasser.
                                                                                                                           © DEZA
DOSSIER SICHERHEIT IN OSTEUROPA
«DIE UNTERSTÜTZUNG IST VON
STRATEGISCHER BEDEUTUNG»
Laut Sicherheitsexperte Roderick Ackermann werden in Rumänien und Bulgarien seit 20 Jahren
Projekte in ähnlichen Bereichen unterstützt. Um einen echten Wandel herbeizuführen, müssten die EU
und die Schweiz vermehrt Verantwortung abgeben und lokale Institutionen stärken.
Interview: Christian Zeier

                                     Herr Ackermann, wo sehen Sie die             Jahre grosse Summen von der EU erhal-
                                     grössten Herausforderungen für die           ten, um etwa das Justizsystem oder die
                                     Innere Sicherheit Europas?                   Grenzkontrollen zu reformieren. Trotz-
                                     Da ist einerseits die organisierte und       dem ähneln viele heutige Projekte denje-
                                     grenzüberschreitende        Kriminalität:    nigen, die während der letzten 20 Jahren
                                     Drogen- oder Waffenschmuggel, Men-           unterstützt wurden. Ich will damit nicht
                                     schenhandel sowie zunehmend Online-          sagen, dass es in Rumänien und Bulga-
                                     kriminalität. Dann ist davon auszuge-        rien zum Stillstand gekommen ist – das
                                     hen, dass die Migration weit oben auf        ist sicher nicht der Fall. Aber es fällt auf,
                                     der Agenda bleibt, weil das Thema einen      dass immer noch dieselben Arten von
                                     riesigen Einfluss auf die Stabilität Euro-   Institutionen unterstützt werden wie
                                     pas hat. Darüber hinaus gibt es einen        damals.
                                     Trend zum Populismus, der die Rolle der
                                     evidenzbasierten Politik untergräbt. Die
                                     Themen Fake News, Wahlbeeinflussung
                                     oder die bewusste politische Destabilisie-          «VIELLEICHT SOLLTE
RODERICK ACKERMANN führt
                                     rung werden zunehmend wichtiger. Und              MAN KÜNFTIG LOKALEN
als Direktor der Beratungsfirma      nicht zuletzt haben wir das ungelöste             ORGANISATIONEN MEHR
Evalutility GmbH mit Sitz in Eng-    Problem der radikalisierten Europäer in          VERANTWORTUNG GEBEN.»
land Forschungen und Evaluatio-      Konfliktgebieten wie Syrien: Lässt man
nen für europäische Institutionen    sie zurückkehren? Wie können diese
sowie NGOs durch. Seine the-
                                     Menschen reintegriert werden?
matischen Schwerpunkte sind
Sicherheit, Justiz, Transparenz
und Rechenschaftspflicht, lokale                                                  Weshalb?
Verwaltung, die Einbeziehung         Unterscheiden sich die Herausforde-          Die fehlenden institutionellen Kapazi-
marginalisierter Gruppen sowie       rungen in Rumänien oder Bulgarien von        täten lassen sich etwa auf die politische
soziale Sicherheit. Er hat sich
                                     denen westlicher EU-Staaten?                 Instabilität, die vielen Regierungswech-
intensiv mit Ländern in Mittel-
und Osteuropa, der Türkei sowie
                                     Die externen Risiken ähneln sich: Migra-     sel und den damit verbundenen Aus-
dem Kaukasus auseinanderge-          tion, Menschenhandel oder Drogen-            tausch von Führungspersonal zurück-
setzt. Seit 2007 hat er 18 Studien   schmuggel zum Beispiel. In Rumänien          zuführen. Als Bulgarien und Rumänien
des Europäischen Parlaments          ist zudem Dokumentenfälschung oder           der EU beigetreten sind, hatten sie die
sowie zahleiche Evaluationen         Onlinebetrug ein grosses Thema. Was          Vorgaben in den Bereichen Justizreform
des Europarats geleitet oder
                                     die beiden Länder besonders macht,           sowie Bekämpfung von Korruption und
unterstützt. Für die DEZA leitete
Roderick Ackermann 2018 die          ist, dass sie am Rand der EU liegen aber     organisierter Kriminalität noch nicht
Evaluation der Schweizer Unter-      nicht Teil des Schengen-Abkommens            erreicht. Man war in Brüssel besorgt,
stützung im Bereich Sicherheit an    sind. Das macht sie weniger attraktiv für    dass die staatlichen Institutionen durch
Rumänien und Bulgarien.              Migranten als zum Beispiel Griechen-         die organisierte Kriminalität unterwan-
                                     land. Es sind daher eher Transitländer.      dert würden. Aktuelle Berichte des Ko-
                                                                                  operations- und Kontrollverfahrens für
                                                                                  Bulgarien und Rumänien zeichnen kein
                                     Und die internen Risiken?                    rosiges Bild: Zivilgesellschaft und Justiz
                                     Hier geht es vor allem um fehlende in-       stehen unter starkem Druck.
                                     stitutionelle Kapazitäten. Bulgarien und
                                     Rumänien haben seit Ende der 90er-

                                                                                                 EINE WELT 01/2020           13
DOSSIER SICHERHEIT IN OSTEUROPA

                                                                                                                             Unter Leitung von Experten
                                                                                                                             der Schweizerischen
                                                                                                                             Rettungsflugwacht (Rega)
                                                                                                                             findet in Rumänien eine
                                                                                                                             Grundlagenausbildung zum Thema
                                                                                                                             Sicherheit sowie eine Weiterbildung
                                                                                                                             für Helikopterpiloten statt.
                                                                                                                             © DEZA

                                                                                                                             Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
                                                                                                                             Statt Sicherheitspersonal direkt auszu-
                                                                                                                             bilden, könnte man sich vermehrt auf
                                                                                                                             den Ausbau der nationalen Ausbildungs-
                                                                                                                             strukturen konzentrieren. Dazu braucht
                                                                                                                             es aber einen langen Planungshorizont,
                                  Was bedeutet das für die Schweizer             Die Abhängigkeit von externer Unter-        was wiederum schwierig ist, wenn es zu
                                  Projekte in diesen Ländern?                    stützung dürfte also bestehen bleiben?      vielen Wechseln in entscheidenden Posi-
                                  Das Umfeld macht es schwerer, Pro-             Ich sehe nicht, wie sich die politische     tionen kommt. Gleichzeitig ist es wichtig
                                  bleme systematisch anzugehen. Die              Situation oder die institutionellen Ka-     zu bedenken, dass für einige Schweizer
                                  rechtstaatliche Situation bereitet auch        pazitäten in nächster Zeit so stark ver-    Institutionen und deren Partner in Ru-
                                  den Schweizer Institutionen Unbehagen.         ändern könnten, dass die Unterstützung      mänien und Bulgarien eine direkte Zu-
                                  Gleichzeitig haben die DEZA-Projekte,          überflüssig wird. Es geht ja auch nicht     sammenarbeit sehr nützlich ist.
                                  die wir in Rumänien und Bulgarien an-          nur darum, konkrete Probleme zu lö-
                                  geschaut haben, einen guten Eindruck           sen. Die Unterstützung der neuen Mit-
                                  auf uns gemacht. Es scheint, als würden        gliedsstaaten ist auch von strategischer    Einerseits möchte man lokale Institu-
                                  sie von sehr kompetenten Leuten ge-            Bedeutung. Die Schweiz hat ein Interesse    tionen stärken, andererseits hat man
                                  führt. Allerdings stellt sich die Frage, wie   an guten Beziehungen zur EU sowie an        Angst, dass Gelder missbraucht werden.
                                  sie sich entwickeln, wenn die Schweiz          der Zusammenarbeit mit Ländern, de-         Das tönt nach einer heiklen Gratwande-
                                  nicht mehr hinschaut.                          ren Herausforderungen im Sicherheits-       rung?
                                                                                 bereich sie selbst betreffen. Man kann      Die Schweiz hat das Projektmanage-
                                                                                 sich also fragen, wem es mehr weh tut,      ment und die Umsetzung in Bulgarien
                                  Die Nachhaltigkeit als grosses                 wenn die Projekte beendet werden – der      und Rumänien relativ stark unterstützt.
                                  Fragezeichen?                                  Schweiz oder den Partnerländern. Das        Das ist gut für das Projekt, kann aber
                                  Ja, dafür gibt es zahlreiche Gründe. Der       heisst nicht, dass die einzelnen Projekte   die Nachhaltigkeit gefährden. Vielleicht
                                  erwähnte Wechsel von Personal und po-          nicht nützlich sind. Das sind sie.          sollte man künftig lokalen Organisatio-
                                  litischer Führung ist einer davon. Wenn                                                    nen mehr Verantwortung geben. Dann
                                  plötzlich neue Leute mit einer komplett                                                    bestünde zwar die Gefahr, dass sie von
                                  anderen Vision kommen, erschwert das           Was kann künftig verbessert werden?         der Regierung beeinflusst werden, aber
                                  die langfristige Planung – nicht nur bei       Es gab Befürchtungen, dass bei einigen      es schafft auch institutionelle Kapazitä-
                                  Schweizer Projekten und auch nicht nur         Projekten die strategischen Ziele fehl-     ten. Bekommt man das nicht hin, blei-
                                  im Bereich Sicherheit.                         ten. Wenn man die Probleme nicht bei        ben die Probleme noch lange bestehen. ■
                                                                                 der Wurzel packt, wirkt sich das negativ
                                                                                 auf die Nachhaltigkeit aus. Das könnte
                                                                                 verbessert werden, indem man weniger
                                                                                 isolierte Projekte umsetzt und systemi-
                                                                                 scher arbeitet.

                                  14          EINE WELT 01/2020
DOSSIER SICHERHEIT IN OSTEUROPA
POSITIVES FAZIT TROTZ
SCHWIERIGER UMSTÄNDE
Weil Rumänien und Bulgarien später zur EU gestossen sind, wurden die dortigen Projekte
des Erweiterungsbeitrags erst Ende 2019 abgeschlossen. Ein Überblick zeigt, wie vielfältig
die Unterstützung der Schweiz war.

(cz) Die Polizei soll nicht nur bestrafen,   besuchten Sprachkurse, um die Kom-           nur an unserer Unterstützung. Aber die
sie soll auch gemeinsam mit der Bevöl-       munikation mit der Minderheit der            Schweiz hat einen Teil dazu beigetra-
kerung Probleme erkennen und früh-           Roma zu verbessern. Das Ziel: mehr Si-       gen.»
zeitig verhindern. Dieses Konzept der        cherheit durch eine bessere Polizei, die
bürgernahen Polizei gilt in der Schweiz      näher an der Bevölkerung arbeitet und        Die Polizeireform ging im Septem-
seit längerem als selbstverständlich –       deren Vertrauen gewinnt.                     ber 2018 zu Ende. Bis Ende 2019 wurden
in vielen anderen Ländern jedoch ist es                                                   auch alle anderen Projekte im Rahmen
nur schwer vorstellbar. Deshalb hat die                                                   des Erweiterungsbeitrags an Rumänien
Schweiz im Rahmen des Erweiterungs-          Von Wirtschaftsförderung                     und Bulgarien abgeschlossen. Insge-
beitrags ein Projekt zur Polizeireform im    bis Umweltschutz                             samt hat Bulgarien 32 und Rumänien
ländlichen Rumänien unterstützt.                                                          61 Projekte zur Verminderung der wirt-
                                             Für Roland Python, Leiter des Büros
In knapp hundert Gemeinden nahmen            Erweiterungsbeitrag in Bulgarien und
2500 rumänische Polizistinnen und Po-        Rumänien, war das Projekt eines der
lizisten an Schulungen zu Kommunika-         Highlights der Zusammenarbeit mit
                                                                                          Ein bulgarisch-schweizerisches
tion und Mediation teil. Polizeioffiziere    Rumänien. «Weil die Polizei vermehrt         Projekt zielt darauf ab, die
wurden im Konzept der bürgernahen            auf Prävention und Dialog setzt, konnte      Kompetenzen bulgarischer
                                                                                          Polizeibeamter im Hinblick auf die
Polizei weitergebildet, tauschten sich       sie ihr Image in den Gemeinden verbes-
                                                                                          Achtung der Menschenrechte beim
mit Schweizer Berufskollegen aus und         sern», sagt er. «Das liegt natürlich nicht   Ausüben ihres Jobs zu erhöhen.
                                                                                          © Ivo Danchev
DOSSIER SICHERHEIT IN OSTEUROPA

                                                                      schaftlichen und sozialen Ungleichhei-       positiven Systemänderungen beitragen
                                                                      ten umgesetzt. Einige davon waren in         konnte - ein systematisches Monitoring
                                                                      Thematischen Fonds gruppiert: Sicher-        durch die Schweiz werde es jedoch nicht
                                                                      heit, Zivilgesellschaft, Partnerschaf-       geben. Anders als bei der klassischen
                                                                      ten, Integration von Roma und anderer        Entwicklungszusammenarbeit hätten
                                                                      benachteiligten Gruppen, Gesundheit          die Partnerländer die Verantwortung
                                                                      sowie Forschung und Stipendien. Zur          für die Projekte. «Wir haben sie lediglich
                                                                      Stärkung der rumänischen Wirtschaft          unterstützt», so der DEZA-Mitarbeiter.
                                                                      wurde etwa die Berufswahlorientierung        «Die Länder haben die Projekte vorge-
                                                                      von Schülerinnen und Schülern ver-           schlagen und umgesetzt. Sie müssen sie
                                                                      bessert, während KMUs erleichterten          nun weiterführen.»
                                                                      Zugang zu Krediten erhielten. In Bulga-
                                                                      rien unterstützte die Schweiz nicht nur
                                                                      die umweltgerechte Entsorgung giftiger       Eng begleitete Umsetzung
                                                                      Pflanzenschutzmittel, sondern auch die
                                                                      Einführung des Spitexsystems zur Be-         Dass das Erreichte nicht selbstverständ-
                                                                      treuung älterer Menschen und Personen        lich ist, zeigt die schwierige rechtsstaat-
                                                                      mit chronischen Erkrankungen.                liche Lage in den beiden Ländern (siehe
                                                                                                                   Randspalte). «Natürlich ist es heikel,
                                                                      «Wir können zufrieden sein mit dem,          einem Land Millionen Franken Steuer-
                                                                      was wir erreicht haben», sagt Büroleiter     gelder anzuvertrauen, wenn wir nicht
                                                                      Roland Python. Einen grossen Anteil am       sicher sein können, dass die staatlichen
                                                                      guten Abschneiden haben für ihn die          Strukturen funktionieren», sagt dazu
                                                                      Partnerschaften mit Schweizer Institu-       Debora Kern, Programmbeauftragte bei
                                                                      tionen. In zahlreichen Projekten hätten      der Abteilung Neue Mitgliedsstaaten
                                                                      staatliche und private Organisationen        der DEZA. Offene Grenzen und schlecht
                                                                      ihr Wissen eingebracht und so einen          funktionierende Institutionen im Osten
                                                                      grossen Mehrwert für Rumänien und            der EU beträfen aber auch die Schweiz.
                                                                      Bulgarien geschaffen. Zudem profitier-       Der Erweiterungsbeitrag sei daher ein
                                                                      ten sie selbst vom Austausch (siehe Ar-      Mittel gewesen, um in dieser Hinsicht et-
                                                                      tikel S. 17).                                was zu verbessern, so Debora Kern. «Wir
                                                                                                                   waren uns der Risiken bewusst und ha-
                                                                      Auch eine externe Evaluation der Sicher-     ben Vorkehrungen getroffen».
                                                                      heitsprojekte kommt zu einem grund-
                                  VON ORDENTLICH BIS                  sätzlich positiven Fazit. Die Schweizer      Die Schweiz war während der gesamten
                                  BESORGNISERREGEND
                                                                      Unterstützung sei relevant und qualita-      Zeit vor Ort präsent, hat die Umsetzung
                                  Sowohl in Bulgarien als auch
                                  in Rumänien sind Zivilgesell-       tiv gut gewesen, da sie den europäischen     eng begleitet und die Gelder verwaltet.
                                  schaft und Rechtsstaat unter        Sicherheitsprioritäten entspreche und        Diese Nähe habe einerseits die Kontrolle
                                  Druck. Beide Länder hatten bei      Bedürfnisse der Empfängerländer adres-       erleichtert und Korruption verhindert,
                                  ihrem EU-Beitritt notwendige        siert habe. In Rumänien etwa hätten die      sagt Roland Python, der die Büros für
                                  Reformen, etwa im Justizbereich,
                                                                      Projekte zu Verbesserungen in den Berei-     den Erweiterungsbeitrag in Bulgarien
                                  noch nicht abgeschlossen.
                                  Bulgarien ist zudem nicht nur das
                                                                      chen Polizei, Asyl, Justiz und investiga-    und Rumänien geleitet hat. Andererseits
                                  ärmste Land der EU, sondern laut    tiver Journalismus geführt – in einigen      sei man auf die Bedürfnisse der Partner-
                                  Korruptionsindex von Transpa-       Bereichen sind die erwarteten Verände-       länder eingegangen und habe Vertrauen
                                  rency International auch eines      rungen laut Evaluation aber auch aus-        aufbauen können. So entstanden gute
                                  der korruptesten. Das Land habe
                                                                      geblieben. Insgesamt wird die Flexibilität   Beziehungen, die über das Ende des Er-
                                  deutliche Fortschritte erzielt
                                                                      der Schweiz bei der Umsetzung gelobt.        weiterungsbeitrags hinaus bestehen
                                  und arbeite an der Umsetzung
                                  der Empfehlungen, heisst es         Kritik gibt es vor allem an der sehr brei-   bleiben. ■
                                  im jüngsten EU-Bericht zur          ten Ausrichtung der Projekte.
                                  Justizreform und zur Korrupti-
                                  onsbekämpfung. Gegenüber            Welche langfristigen Folgen die Schwei-
                                  Rumänien hingegen hat die EU
                                                                      zer Unterstützung haben wird, lasse sich
                                  erneut «Bedenken hinsicht-
                                  lich der Rechtsstaatlichkeit»
                                                                      laut Roland Python nur schwer abschät-
                                  angemeldet. Die Entwicklung sei     zen. Bei einigen Reformen sei bereits
                                  besorgniserregend.                  jetzt ersichtlich, dass das Engagement zu

                                  16          EINE WELT 01/2020
DOSSIER SICHERHEIT IN OSTEUROPA
MIT WISSENSAUSTAUSCH ZU MEHR SICHERHEIT
Ein wichtiger Teil des Erweiterungsbeitrags waren Partnerschaften zwischen
Institutionen in der Schweiz und in den EU-Mitgliedsstaaten. Die Schweizer Expertise
war gefragt, vom Wissensaustausch profitierten aber meist beide Seiten.

(cz) An diesem Mittwoch im Frühling          Expertise ist gefragt                       Im Sicherheitsbereich haben interna-
2019 schliesst sich in Basel ein Kreis. An                                               tional renommierte Institutionen wie
der Bundesstrasse, im zweiten Stock der      In den 13 neuen EU-Mitgliedsstaaten sind    die Schweizerische Rettungsflugwacht
Villa Crescenda, geben Mitarbeiter des       im Rahmen des Erweiterungsbeitrags          (Rega) oder das Basel Institute on Go-
rumänischen Investigativ-Teams RISE          zwischen 2012 und Ende 2019 mehrere         vernance ihr Wissen weitergegeben.
Project einem Schweizer Fachpublikum         hundert solcher Partnerschaften ent-        Besonders hervorheben möchte Siroco
Einblick in ihre Arbeit. Es ist der letzte   standen. Private oder staatliche Institu-   Messerli zudem den Austausch zwischen
von sechs Workshops, den die Journalis-      tionen aus der Schweiz gaben ihr Wissen     den Sicherheitskräften im Bereich Men-
tinnen und Journalisten aus Rumänien         weiter, stärkten die Vernetzung in Eu-      schenhandel. So nahmen etwa Schwei-
zusammen mit dem Basel Institute on          ropa und förderten den Erfahrungsaus-       zer Kantonspolizisten an Weiterbildun-
Governance organisieren. Sie sind Teil       tausch in Bereichen wie Umwelt- und         gen in Rumänien teil, schärften ihr
eines Projekts, das den investigativen       Klimaschutz, Berufsbildung, Forschung,      Verständnis für den dortigen Kontext
Journalismus in Rumänien gestärkt hat,       Gesundheits- und Sozialwesen oder Si-       und sahen, woher die Opfer von Men-
um die Öffentlichkeit besser über orga-      cherheit. «Die Partnerschaftsprojekte
nisierte Kriminalität und Korruption         waren ein grosser Mehrwert des Schwei-
aufzuklären. Was 2014 als Weiterbildung      zer Erweiterungsbeitrags», sagt Siroco
der rumänischen Partner durch das Ba-        Messerli, Leiter der Abteilung Neue
sel Institute begonnen hat, endet nun        EU-Mitgliedsstaaten bei der DEZA.
                                                                                                   Ein Opfer von Menschenhandel in
mit einer Weiterbildung von Schweizer                                                              einem bulgarischen Transitzentrum.
Kollegen.                                                                                          © Ivo Danchev

                                                                                                       EINE WELT 01/2020           17
DOSSIER SICHERHEIT IN OSTEUROPA

                                  Rumänische und Schweizer
                                  Journalistinnen und
                                  Journalisten tauschen sich
                                  während einem Workshop über
                                  Recherchen im Finanzbereich
                                  und zu grenzüberschreitender
                                  Kriminalität aus.
                                  © Basel Institute on Governance

                                  schenhandel stammen. Ihre rumäni-
                                  schen Kolleginnen und Kollegen besuch-
                                  ten derweil die Schweiz und erfuhren
                                  unter anderem von Landsleuten, wie
                                  diese in die Schweiz gelangt sind. «Es war
                                  eine klassische Win-Win-Situation»,
                                  sagt die selbstständige Beraterin Magali
                                  Bernard, die Sicherheitsprojekte und
                                  Partnerschaften in Rumänien und Bul-
                                  garien evaluiert hat. Beide Seiten hät-
                                  ten von der Partnerschaft profitiert und
                                  voneinander gelernt.

                                  Opferhilfe in Polen

                                  Laut Magali Bernard haben die Part-
                                  nerländer die Zusammenarbeit mit den         kehrstoten zwischen 2012 und 2015 um       Aufgrund dieser positiven Erfahrun-
                                  Schweizer Institutionen sehr positiv         17 Prozent zu senken.                      gen ist es naheliegend, dass die Schweiz
                                  wahrgenommen. Besonders hervorgeho-                                                     bei einem allfälligen zweiten Beitrag
                                  ben hätten sie etwa das föderale System                                                 noch stärker auf Partnerschaften und
                                  der Schweiz, das Kooperationen durch         Vorteile für die Schweiz                   Schweizer Interessen setzen würde. Aus
                                  seine zahlreichen Ansprechpartner he-                                                   diesem Grund wurde bereits eine Abklä-
                                  rausfordernder gestaltet, gleichzeitig       Doch nicht nur die EU-Mitgliedsstaa-       rung durchgeführt, um herauszufinden,
                                  aber auch zu flexiblen und vielfältigen      ten haben von den Partnerschaften          was die Prioritäten von Schweizer Ins-
                                  Lösungsansätzen führt. Zudem seien die       profitiert, sondern auch die Schweizer     titutionen bei der Zusammenarbeit im
                                  Schweizer Partner praxisorientiert ge-       Institutionen. Diese wurden internatio-    Bereich Sicherheit sind.
                                  wesen und hätten den Projekten durch         nal positiv wahrgenommen und konn-
                                  ihre international anerkannte Expertise      ten ihr Netzwerk ausbauen. Besonders       Dabei zeigte sich, dass sich die Themen
                                  eine positive Visibilität verliehen. «Die    hilfreich seien zudem die praktischen      weitgehend mit denjenigen decken,
                                  Projekte kamen auch deshalb gut an,          Erfahrungen in den Partnerländern ge-      die bereits im Erweiterungsbeitrag be-
                                  weil die Schweiz in den entsprechenden       wesen, so Magali Bernard. Die Schweizer    handelt wurden: Menschenhandel,
                                  Bereichen einen guten Ruf geniesst»,         Polizistinnen und Polizisten konnten in    Grenzmanagement, Korruption, Moder-
                                  sagt die Expertin. So etwa beim Thema        Rumänien nicht nur ihr Netzwerk ver-       nisierung des Gerichtswesens oder po-
                                  Verkehrssicherheit.                          bessern und mehr über die Umstände         lizeiliche Zusammenarbeit. Neu hinzu
                                                                               vor Ort erfahren – einige der Beamten      kommen Cybersicherheit und Cyber-
                                  Um die Anzahl der Verkehrstoten in           nahmen sogar an Sprachkursen teil,         kriminalität. Ziel sei es nun, mögliche
                                  Polen zu reduzieren, kam es zwischen         um zurück in der Schweiz einen besse-      Partnerinstitutionen frühzeitig zu iden-
                                  2012 und 2016 zum Erfahrungsaustausch        ren Draht zu betroffenen Menschen zu       tifizieren und vorzubereiten, sagt Magali
                                  zwischen schweizerischen und polni-          haben. «Die Realität in den Ursprungs-     Bernard. So könne man die richtigen
                                  schen Polizeikadern. Zudem führte das        ländern des Menschenhandels zu ver-        Partner von Beginn weg einbinden. ■
                                  Land eine Opferhilfe nach Schweizer          stehen, ist ein wichtiger Aspekt für die
                                  Vorbild ein. Zusammen mit anderen            Polizei», sagt die selbstständige Exper-
                                  Verkehrssicherheitsinitiativen trug das      tin. «An solch praxisnahe Erfahrungen
                                  Engagement dazu bei, die Zahl der Ver-       kommen die Beamten sonst kaum.»

                                  18                   EINE WELT 01/2020
DOSSIER SICHERHEIT IN OSTEUROPA
  FACTS & FIGURES

  Schweizer Investitionen                                                            Schlüsselzahlen
  So viel hat die Schweiz seit 2012 in die öffentliche
  Sicherheit der neuen EU-Mitgliedsstaaten (ohne                                     – In den 13 neuen Mitgliedsstaaten, die seit 2004
  Malta, Slowenien, und Zypern) investiert:                                            der EU beigetreten sind, leben über 100 Millionen
                                                                                       Menschen. Das ist ein Fünftel der gesamten
                                           6 5       Estland                           EU-Bevölkerung.

                                                          Lettland                   – In den Partnerstaaten ist jeder vierte Jugendliche
                                             10.4 2
                                                                                       zwischen 15 und 24 Jahren arbeitslos.

                                       1.8    1                                      – Die durchschnittliche Kaufkraft der 13 Länder
                                                     Litauen                           beträgt etwas mehr als 40% der Schweizer
                                                                                       Kaufkraft.

                                                                                     – Der Schweizer Erweiterungsbeitrag fördert
                                                  Polen
                                                                                       rund 300 Projekte in den 13 Staaten.
                        32             7
                                                                                     – Die Partnerstaaten tragen in der Regel mindestens
                                                                                       15% der Projektkosten selbst.
        15.1     13                                                                  – Die EU-Grenzschutzagentur Frontex hat 2018
                                             Slowakei
                             9.9   3                                                   150 000 illegale Grenzübertritte registriert.
Tschechische
    Republik                                                         Rumänien        – In den Jahren 2015/16 zählte die EU-Kommission
          Ungarn             8.8 7
                                                   17.5        22                      mehr als 20 000 Betroffene von Menschenhan-
                                                                                       del in der EU. Die Dunkelziffer dürfte sehr hoch sein.
                  3      1
                      Kroatien                                                       – 56% Prozent des ­Menschenhandels zielt auf
                                                                       Bulgarien       sexuelle Ausbeutung, 26% auf die Ausbeutung
                                                            7.4 9
                                                                                       von Arbeitskräften.
    Betrag in Mio. CHF
    Anzahl Projekte                                                                  – 2017 haben EU-Zollbehörden 409 Tonnen Drogen
                                                                                       und 3,3 Milliarden Zigaretten beschlagnahmt.

               «Kein Land kann seine Bürgerinnen und
                Bürger alleine vor internationaler und                               Quellen und Links

                organisierter Kriminalität schützen.»                                www.erweiterungsbeitrag.admin.ch
                                                                                     Auf der eigens dafür eingerichteten Seite publiziert der Bund Neuigkeiten
           Fabrice Leggeri, Direktor der EU-Grenzschutzagentur Frontex
                                                                                     und Hintergründe zum Schweizer Erweiterungsbeitrag.
                                                                                     www.europol.europa.eu
                                                                                     Die EU-Polizeibehörde Europol publiziert regelmässig Berichte zu Trends
  Schwerpunkte des Erweiterungsbeitrags (in Mio. CHF)                                und Schwerpunkten der europäischen Verbrechensbekämpfung. Darunter
                                                                                     etwa das Serious and Organised Crime Threat Assessment, die bislang
  112                                                                        344     umfassendste Studie zu schwerer und organisierter Kriminalität in der EU.

  Zivil-                                                              Wirtschafts-   www.ndb.admin.ch
  gesellschaft                                                          wachstum     Der Nachrichtendienst des Bundes publiziert jährlich einen Lagebericht zur
                                                                                     Sicherheit der Schweiz
                                                                                     www.frontex.europa.eu
                                                                                     Die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache publiziert
  479                                                                                regelmässig Analysen und Berichte zum Thema Migration und Grenzschutz
  Umwelt                                                                             in der EU.
                                                                              163
                                                                                     https://ec.europa.eu (The reports on progress in Bulgaria and Romania)
                                                                           Soziale   Weil Bulgarien und Rumänien bei ihrem EU-Beitritt die Vorgaben in den
                                                   116                  Sicherheit   Bereichen Justizreform sowie Bekämpfung von Korruption und
                                                                                     organisierter Kriminalität (Bulgarien) noch nicht erreicht hatten, publiziert
                                                  Öffentliche Sicherheit             die EU im Rahmen eines Kontrollverfahrens regelmässig einen Lagebericht.

                                                                                                                               EINE WELT 01/2020                 19
HORIZONTE LAOS
HORIZONTE LAOS
            EIN LAND IM AUSVERKAUF
                        Laos ist eines der ärmsten Länder in Südostasien. Doch die laotische
                         Regierung hat grosse Ambitionen. Sie will Laos zur Batterie Asiens
                              machen. Ein chinesischer Hochgeschwindigkeitszug soll
                           das arme Land zudem mit Tempo in die Zukunft katapultieren.
                               Doch all das hat einen hohen Preis für die Bevölkerung.
                                                         Text: Karin Wenger

Entlang der Ufer des beschaulichen            ren holt das autokratische Regime des
Städtchens Luang Prabang steuert Fi-          Landes ausländische Investoren nach         LAOS’ VERKAUFTE FRAUEN
scher Pön sein kleines Boot über den          Laos, um Dämme und Flusskraftwerke          Viele Chinesen suchten in den
                                                                                          letzten Jahren in Laos nicht
schlammig braun verfärbten Mekong.            zu bauen. Mehr als 150 Staudämme und
                                                                                          nur Einkommen und Arbeit,
Der Fluss ist die Lebensader von rund         Flusskraftwerke sind geplant, Dutzende
                                                                                          sondern auch eine Frau. Mithilfe
60 Millionen Menschen in Südostasien.         wurden bereits gebaut.                      von Mittelsmännern besuchen
Letzten Sommer war er auf einen histo-                                                    sie Dörfer, wo arme Eltern ihre
rischen Tiefstand gesunken – denn der         Das Xayaburi-Flusskraftwerk, ein 1285-      Töchter für bis zu 5000 Franken
Monsunregen hatte ungewöhnlich spät           Megawatt-Projekt am Unterlauf des           verkaufen. Niemand weiss, wie
                                                                                          viele laotische Frauen in den
eingesetzt und das Klimaphänomen              Mekong, wurde letzten Oktober fertig-
                                                                                          vergangenen Jahren nach China
El Niño hatte zu hohen Temperaturen           gestellt. Die finnisch-schweizerische In-   verkauft wurden, doch das Pro-
in vielen südostasiatischen Ländern           genieurs-Firma Pöyry hatte die Bauar-       blem sei gross und werde immer
und damit zu Trockenheit und Was-             beiten überwacht. Seit Baubeginn ist das    grösser, sagt Jürgen Thomas,
serknappheit in der Mekong-Region ge-         Flusskraftwerk umstritten, genauso wie      der Direktor der NGO Alliance Anti
                                              viele andere Projekte am Mekong und         Trafic, die gegen Menschenhan-
führt. Doch das sind nicht die einzigen
                                                                                          del kämpft: «Sind die Frauen ein-
Gründe für den tiefen Wasserstand. Un-        seinen Nebenflüssen.
                                                                                          mal in China, nehmen ihnen ihre
berechenbar sei der Fluss geworden, sagt                                                  Männer die Pässe weg, werden
Fischer Pön: «Der Wasserstand verän-          Bei vielen Projekten würden Sicherheits-    sie oft geschlagen, müssen bis
dert sich oft schnell. Schuld daran sind      und Umweltstandards entweder nicht          zu 18 Stunden im Familienbetrieb
die Dämme! Erst kürzlich wurden alle          eingehalten oder ungenügend überprüft,      arbeiten und Kinder kriegen.
                                                                                          Wird eine Frau nicht schwanger,
unsere Gemüsegärten am Ufer überflu-          warnen Umweltaktivisten schon lange.
                                                                                          wird sie weiterverkauft, andere
tet, weil sie die Schleusen geöffnet hat-     So kritisiert Witoon Permpongsacha-         werden für alle anderen Männer
ten. Und früher habe ich hier zehn Kilo       roen, Direktor des Mekong Energy and        in der Familie als Sexsklavin-
Fisch pro Tag gefangen, jetzt muss ich        Ecology Networks, einer Organisation,       nen gehalten.» Die laotische
froh sein, wenn ich ein oder zwei Kilo im     die den Energiesektor in Asien kritisch     Regierung ist sich des wachsen-
Netz finde.»                                  beobachtet: «Der Fluss gibt den Men-        den Problems bewusst, hat ihre
                                                                                          Grenzkontrollen verschärft, ihre
                                              schen Fische und führt nährstoffrei-
                                                                                          Aufklärungskampagnen ausge-
                                              che Sedimente, die wichtig sind für die     weitet und jenen hohe Strafen
Batterie Asiens                               Landwirtschaft. Das Xayaburi-Kraft-         angedroht, die ihre Töchter
                                              werk und die anderen Kraftwerke, die        verkaufen.
Von China bis nach Vietnam entste-            am unteren Flusslauf geplant sind, wer-
hen Dämme und Wasserkraftwerke am             den die Fischwanderung blockieren, die
Mekong und seinen Nebenflüssen. Die           Sedimente zurückhalten und den Fluss-
kommunistische Regierung von Laos             verlauf verändern.» Die Betreiber von
hat sich dabei vor rund zehn Jahren ein       Xayaburi jedoch kontern, ihre Fischlei-
Ziel gesetzt: Laos soll die Batterie Asiens   tern würden die Migration von Fischen
                                                                                          Nahe des Städtchens Luang
werden. Das südostasiatische Land hat         ermöglichen, und Sedimente könnten
                                                                                          Prabang entsteht eine
keinen Meereszugang und gehört zu             ungehindert durchfliessen.                  Brücke über den Mekong.
den ärmsten der Region. Doch seit Jah-                                                    © Liu Ailun Xinhua/eyevine/laif

                                                                                               EINE WELT 01/2020            21
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