Wirsind xzellent - Magazin der Universität Hamburg - Universität Hamburg
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03 Sommer, Sonne, Wissenschaft Beim großen „Sommer des Wissens“ auf dem Hamburger Rathausmarkt erkundeten mehr als 50.000 Besucherinnen und Besucher im Juni die Wissenschaftslandschaft der Hansestadt. Die Ver- anstaltung fand anlässlich des 100. Geburtstags der Universität Hamburg statt und rund 40 Ham- burger Hochschulen und Forschungseinrichtungen waren vertreten. Ein Rückblick auf die weiteren Höhepunkte des Jubiläumsjahrs ab Seite 40. NEUNZEHN ist das Magazin der Universität Hamburg. Für diesen Namen gibt es einen historischen Grund: 1919 wurde die Universität Hamburg gegründet – als erste Universität in Deutschland durch parlamentarischen Beschluss.
INHALT Exzellent Im Juli fiel die Entscheidung: Die Universität Hamburg ist eine der Exzellenzuniversitä- ten Deutschlands. Ein riesiger Erfolg! Wie die Entschei- dungsverkündung ablief und wie es jetzt konkret wei- tergeht, haben wir ab Seite 8 zusammengefasst. 18 Das Orchester der Universität hat aktuell 83 Mitglieder, der Chor 96. Im November steht das große Konzert in der Elphi an. Ein Besuch bei der Probe.
Kurz & Knapp 33 Serie „Titel, Thesen, Promotionen“: 06 Die kleinste Eishockey-Liga der Welt Kurzmitteilungen aus der Universität Studium & Dann Campus & Co 34 Tarzan, Skat und Kunst: 08 Exzellent: Die Entscheidung zur Exzellenz- Alumnus Otto Waalkes im Interview universität und wie es weitergeht 36 Quereinstieg: Zwei Universitätskarrieren 12 Gegen den Klimawandel: Prof. Dr. Detlef auf Umwegen Stammer zu „Fridays for future“ 14 Für die Zukunft: Nachhaltigkeit als Forschungs- thema und im Universitätsalltag Hin & Weg 15 Aus dem Hörsaal zur WM: Volleyballer und Jura- 38 Von einer, die herkam ... ... aus der Slowakei student Julius Thole im Interview 16 Campus-Umfrage: Wie haltet ihr euch während 39 Von einer, die wegging ... ... nach Dänemark des Studiums fit? 17 Sorgt für euch: Expertinnen und Experten geben Tipps gegen Stress im Studium Damals & Heute 18 Zwischen Karibik und Elbphilharmonie: Die Uni- 40 Wir feiern 100 Jahre Universität: versitätsmusik vor dem Jubiläumskonzert Das Jubiläum in Bildern 20 Wir lassen Zahlen sprechen: 44 Serie „Namenspatenschaft“: Die Universitätsmusik Otto Stern, ein Mann für magnetische Momente 21 Neu: Digitale Touren über den Campus 46 Universitätswerdung in vier Akten. Dritter Akt: Wissenschaftliche Anstalten Forschen & Verstehen 48 Spannende Einblicke: Das neue Universitätsmuseum 22 Forschungssextett: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen ihre Musikforschung vor 25 Bild der Forschung: 50 Preise & Förderungen Spinnensuche in Australien Auszeichnungen für Universitätsmitglieder 26 Ein Archiv der Pflanzenwelt: Das Herbarium Hamburgense 54 Wann & Wo 28 5 Fragen an ... Termine im Wintersemester ... den Mediziner Prof. Dr. Klaus Pantel 30 Unsere Exzellenzcluster: Vier Forschende und Impressum 44 ihre Projekte in den Forschungsverbünden 58 26 Mehr als 1,8 Millionen getrocknete Pflanzen befinden sich in der Sammlung des Herbarium Hamburgense. Es ist ein Archiv der Pflanzenwelt Otto Stern war starker Raucher, ein brillianter Physiker, Nobelpreis- träger, Emigrant und lange Professor an der Universität Hamburg. Ein Porträt in der Serie und ein Ort aktueller Forschung. „Namenspatenschaft“.
06 KURZ & KNAPP Geld sparen & Umwelt schützen! Mehrweg statt Einweg 370.000 Pappbecher weniger – das ist die Bilanz der ersten Runde der Kampagne „Mehrweg statt Einweg“. 2018 konnte der Anteil der im Pappbecher verkauften Heißgetränke in den Mensen und Cafés des Studierendenwerks im Vergleich zu 2016 so auf 51 Prozent gesenkt werden. Bei der Aktion bot das Studierendenwerk einen 10-Cent-Rabatt auf Heißgeträn- ke, wenn ein Mehrwegbecher mitgebracht wurde. Seit Juni 2019 kostet das im Einwegbecher gekaufte Heißgetränk nun 20 Cent mehr – mit dem eigenen Mehrwegbecher lassen sich also 30 Cent pro Getränk sparen. Update für Uni-App UHH Mobile Ab jetzt gibt es noch mehr Infos rund um die Universität Hamburg auf das Handy: Mit der App „UHH mobile“ kann man nach dem Update zum Beispiel die 19NEUNZEHN mobil lesen oder eine vir- tuelle Campus-Tour unternehmen. „UHH mobile“ bietet weiterhin viele Infos zum Studium, Newsroom-Beiträge, Social-Media-Posts, Campus-Navigation, Kontaktinfos, Termine und die Mensapläne. Ein Stichwortregister mit Suchfunktion garantiert den schnellen Zugriff auf die Inhalte der Website. „UHH mobile“ ist kostenlos. Es gibt sie für iPhones im App Store, für Android-Geräte im Google Play Store oder als Web-App unter m.uhh.de. Texte: VG
07 Neues Rechercheportal: Wer waren die ersten Studierenden der Uni Hamburg? Zum 100. Geburtstag der Universität Kulturreihe Perspektiv- Hamburg ist eine Datenbank online ge- gangen, in der alle Studierenden aus den wechsel Jahren 1919 bis 1935 verzeichnet sind. Zu den etwa 35.000 Einträgen finden sich der Vor- und Nachname, das Einschreibe- und das Exmatrikulationsdatum, die Fakultät und die Matrikelnummer. Die dazugehö- Seit 100 Jahren steht die Universität Hamburg im steten Austausch rigen Matrikelkarten, die jede Studentin mit den gesellschaftlichen und kulturellen Einrichtungen ihrer und jeder Student für die Immatrikulation Heimatstadt. Diese Kooperationen werden im Jubiläumsjahr mit der ausfüllen musste, sollen bis 2020 sukzes- Veranstaltungsreihe „Perspektivwechsel“ gefeiert. An 14 Terminen, sive ergänzt werden. Mehr Informationen die bis ins kommende Jahr reichen, sind Wissenschaftlerinnen und unter: uhh.de/matrikel Wissenschaftler der Universität Hamburg bei aktuellen Ausstellun- gen und Theaterinszenierungen zu Gast. Mehr zu ausgewählten Veranstaltungen gibt es in der Rubrik „Wann & Wo“ ab Seite 54. Das ganze Programm unter: uhh.de/perspektivwechsel Geplantes Kompetenzzentrum für Künstliche Intelligenz in der Medizin In Norddeutschland entsteht ein Kompetenzzent- rums für Künstliche Intelligenz in der Medizin. Für eine langfristige Förderung des Projekts hat das Fleißige Bienen im Konsortium am Wettbewerb „Künstliche Intelligenz Loki-Schmidt-Garten als Treiber für volkswirtschaftlich relevante Ökosys- teme“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Etwa 800.000 Bienen summen im Loki-Schmidt-Garten, Energie teilgenommen. Im August 2019 stellten die dem Botanischen Garten der Universität Hamburg in Universitäten Hamburg, Lübeck, Kiel und Bre- Klein Flottbek. In dem nach historischem Vorbild gestal- men sowie das Deutsche Forschungszentrum für teten Bauerngarten finden sie eine ideale Umgebung, um Künstliche Intelligenz (DFKI) mit Unterstützung der Nektar zu sammeln. Betreut werden sie von Dr. Dirk Becker, jeweiligen Landesregierungen das Projekt und den Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pflanzenwis- entsprechenden Förderantrag vor. Es geht um ein senschaften und Mikrobiologie. Er erntet pro Jahr etwa 600 Fördervolumen von rund zehn Millionen Euro für Kilo besten Honig, der in rund 1.200 Gläser abgefüllt wird. eine Laufzeit von drei Jahren. Besucherinnen und Besucher des Gartens können ihn für 7,50 Euro pro Glas kaufen.
08 Campus & Co Große Freude und Konfetti beim Public Viewing der Exzellent! Exzellenzentscheidung im Mittelweg Am 19. Juli 2019 wurde verkündet, dass die Universität Hamburg Exzellenzuniversität ist. Damit wurde ein intensiver Prozess belohnt, an dem viele Personen beteiligt waren. Mit dem Erfolg beginnt eine neue Ära. Texte: Anna Priebe/UHH Der Weg zur Exzellenz Juni 2005 13. Oktober 2006 Bund und Länder beschließen ein gemeinschaft und der Wissenschaftsrat. Ende Phase 1, Runde 1 der Exzellenz- Förderprogramm, um Spitzenforschung Gefördert wird in drei Linien: Forschungs- initiative. Die ersten geförderten Ex- in Deutschland zu stärken und ihre verbünde (sogenannte Exzellenzcluster), zellenzcluster, Graduiertenschulen und internationale Wettbewerbsfähigkeit zu Graduiertenschulen und Zukunftskon- Konzepte werden bekannt gegeben. verbessern: die Exzellenzinitiative. Aus- zepte. führend sind die Deutsche Forschungs-
! 09 Die Stunde der Entscheidung: Wie geht es jetzt weiter – die fünf das Exzellenz-Protokoll wichtigsten Fragen Freitag, 19. Juli 2019, 15.55 Uhr: Der Livestream auf dem You- Exzellenzuniversität – was bedeutet das eigentlich? Tube-Kanal des Wissenschaftsrates zeigt eine Fehlermeldung Die Exzellenzstrategie (ExStra) ist ein Wettbewerb zur Förde- an. Mehr als 1.000 Menschen warten laut der Anzeige neben rung der universitären Spitzenforschung in Deutschland. In der dem Videofeld darauf, dass es losgeht. Im Café im Mittelweg ersten Runde ging es um Forschungsverbünde (Exzellenzclus- fiebern zahlreiche am Antrag beteiligte Mitarbeiterinnen und ter). Alle Universitäten, die zwei oder mehr Exzellenzcluster ein- Mitarbeiter vor der Leinwand mit. Auch Dr. Peter Tschentscher, werben konnten, durften sich im Dezember 2018 um den Status Erster Bürgermeister der Stadt, ist da. In fünf Minuten soll einer „Exzellenzuniversität“ bewerben. Das haben insgesamt verkündet werden, ob die Universität Hamburg den Titel einer 17 Universitäten und zwei Universitätsverbünde getan. Die nun Exzellenzuniversität bekommt. Der NDR überträgt live. ausgezeichneten zehn Universitäten und ein Universitätsver- bund erhalten jährlich insgesamt rund 148 Millionen Euro. 16 Uhr: Endlich funktioniert der Livestream. Es geht los! Wissenschaftszentrum Bonn, drei Stehtische, sechs Personen, Wann geht die Förderung los? eine Verkündung. Die Pressesprecherin des Wissenschaftsrates Die Förderung beginnt am 1. November 2019. verspricht, dass die Entscheidung „rasch“ bekannt gegeben werde. Doch erstmal gibt es einen etwas längeren Exkurs zu der Welche Projekte werden gefördert? Förderlinie Exzellenzstrategie von Prof. Dr. Martina Brockmeier, Die Universität Hamburg hat sich mit dem Konzept „A Flagship der Vorsitzenden des Wissenschaftsrates. Sie betont: „Exzellenz University: Innovating and Cooperating for a Sustainable Fu- ist mehrdimensional“ – und die Universitäten müssten alle Auf- ture“ beworben. In ihrem Exzellenzantrag hat sie 24 Vorhaben gabenbereiche an höchsten Qualitätsansprüchen ausrichten. beantragt, die mit den bewilligten Mitteln umgesetzt werden sollen. So sollen zum Beispiel elf zusätzliche Professuren mit 16.01 Uhr: Im Café im Mittelweg greift Universitätspräsident hochkarätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Lenzen zum Mikrofon und verkündet, besetzt werden und zahlreiche Gastwissenschaftlerinnen und dass die Universität Hamburg eine der Exzellenzuniversitäten -wissenschaftler für einen begrenzten Zeitraum zum Forschen sei. Lauter Jubel bricht los, es regnet Konfetti. und Lehren nach Hamburg kommen. Universitätsintern sollen zusätzliche Förderinstrumente aufgelegt werden, darunter ein 16.10 Uhr: Auch im Livestream ist es soweit. Die Bundesminis- Fonds zur schnellen und unkomplizierten Förderung von For- terin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, bestätigt: Die schungsprojekten (siehe S. 11). „Von diesen Vorhaben profitiert Universität Hamburg ist Exzellenzuniversität. die gesamte Universität immens“, so Prof. Lenzen. 16.11 Uhr: Wir sind #exzellent – und auf Social Media treffen die Was geschieht in der Lehre? ersten der zahlreichen Glückwünsche ein. In der Lehre wird unter anderem das Studium Generale gestärkt. Hierzu sollen Gastwissenschaftler und -wissen- 16.45 Uhr: Auf einer Pressekonferenz im Verwaltungsgebäude schaftlerinnen gewonnen sowie studentische Tutorien und der Universität ordnen Dr. Peter Tschentscher und Prof. Dieter Forschungsgruppen gefördert werden. Darüber hinaus wird ein Lenzen gemeinsam das gerade verkündete Ergebnis ein. Studiengang „Liberal Arts“ aufgebaut. Es werden zum Beispiel Professuren und Koordinationsstellen eingerichtet. 17 Uhr: Nachdem der offizielle Teil vorbei ist, wendet sich Prof. Lenzen in einer Videobotschaft an die Universitätsmitglieder. Er Wie lange dauert diese Förderung? dankt allen Beteiligten und fasst den Tag zusammen: „Das ist Zunächst bis 2026. Dann erfolgt eine Evaluation durch den Wis- ein unglaublich langer Weg gewesen für uns alle. Und wenn er senschaftsrat. Sollte diese positiv ausfallen, verlängert sich die so ein Finale hat – was könnte besser sein?“ Förderung um mindestens sieben weitere Jahre. 19. Oktober 2007 15. Juni 2012 16. Juni 2016 Ende Phase 1, Runde 2 der Exzellenz- Entscheidung zur zweiten Förderphase: Beschluss: Die Exzellenzinitiative wird initiative. Einer von 20 neu geförderten CliSAP wird bis 2017 verlängert. Zudem überarbeitet. Sie wird Exzellenzstrategie Clustern ist „Integrated Climate System bekommt die Universität Hamburg einen (ExStra) genannt und umfasst nur noch Analysis and Prediction“ (CliSAP) an der zweiten Exzellenzcluster: „The Hamburg zwei Förderlinien: Exzellenzcluster und Universität Hamburg. Er wird bis 2012 Centre for Ultrafast Imaging“ (CUI). Exzellenzuniversitäten. Die bestehenden gefördert. Cluster werden bis 2018 finanziert.
10 Campus & Co 27. September 2018 31. Januar und 1. Februar 2019 19. Juli 2019 Alle vier beantragten Exzellenzcluster Begehung der Universität durch eine Die Entscheidung zur Förderung von zehn der Universität Hamburg werden geför- international besetzte Gutachtenden- Universitäten und einem Universitätsver- dert: „CUI: Advanced Imaging of Matter“ gruppe, auf deren Empfehlung die Exzel- bund wird bekanntgegeben: Die Univer- „Climate, Climatic Change, and Society lenzkommission ihre Förderentscheidung sität Hamburg ist Exzellenzuniversität. (CliCCS)“, „Understanding Written Arte- trifft. facts“ und „Quantum Universe“.
11 Die ersten projekte Eine der 24 Maßnahmen der Hamburger Exzellenzstrategie ist der Ideen- und Risiko- fonds. Ziel ist es, Maßnahmen zu ermögli- chen, die der Vorbereitung eines größeren Drittmittelprojekts dienen. 19NEUNZEHN stellt drei geförderte Projekte vor. Dr. Claudia Schwirplies und Johannes Ross, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissen- schaften Die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die den Menschen besiedeln, nennt man Mikrobiom. Die Zusammensetzung ist ganz individuell. Wir möchten schauen, ob es ei- nen kausalen Zusammenhang zwischen dem menschlichen Mi- krobiom und ökonomischen Entscheidungen und Präferenzen gibt. Mit der Förderung können wir Ideen für experimentelle Designs entwickeln und testen. Außerdem werden wir uns mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Biologie und Medizin vernetzen. Auch ein Workshop ist geplant. Ziel ist es, einen interdisziplinären Projektantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu stellen. Jun.-Prof. Dr. Robert Fuchs, Fakultät für Geisteswissenschaften Englisch ist die am weitesten verbreitete Sprache der Welt und wird zumeist als Zweitsprache gesprochen. Häufig führen die unterschiedlichen Akzente zu Verständnis- problemen. Mit Experimenten möchte ich untersuchen, was die subjektive Verständlichkeit eines Akzents beeinflusst – nicht nur bezogen auf Sprachlaute, sondern auch auf die Hörenden. Werden zum Beispiel Akzente von Gruppen, die als sympathisch empfunden werden, besser verstanden? Die Vorstudie ist die Basis für einen Antrag auf einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrates (ERC). Jun.-Prof. Dr. Eva van der Zee, Fakultät für Blickfang Die großen goldenen Luftballons am Rechtswissenschaft Hauptgebäude der Universität Wie interpretieren politische Entscheider Be- richte zu Umweltverträglichkeitsprüfungen? Und welchen Einfluss haben dabei kognitive Verzerrungen, etwa die Tendenz, Informa- tionen so auszuwählen, dass sie die eigene 1. November 2019 Meinung bestätigen. Zu diesen Fragen möchte ich mit dem Verhaltenspsychologen Robert Goedegebure von der niederlän- Die Förderung als Exzellenzuniversität dischen Wageningen University einen Workshop organisieren, beginnt. der Experten und Entscheidungsträger zusammenbringt. In einem ERC Synergy Grant sollen dann Forschungsmethoden für verschiedene Rechtssysteme entwickelt werden.
12 Campus & Co „ “ Prof. Dr. Detlef Stammer ist Sprecher des Exzellenzclusters „Climate, Climatic Change, and Society“ und leitet das World Climate Research Programme ich finde es richtig, Für mehr Klimaschutz zu protestieren Mehr als 26.000 Forschende unterstützen mit der Initiative „Scientists for Future“ die Schü- lerinnen und Schüler, die unter dem Motto „Fridays for Future“ für mehr Klimaschutz demonstrieren. Einer von ihnen ist Prof. Dr. Detlef Stammer, Direktor des Centrums für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit an der Universität Hamburg. Interview: Christina Krätzig
13 Hat Sie die Entstehung der Bewegung „Fridays for Future“ den Energiehaushalt der Erde eingreifen, das nennt man ‚Geoen- überrascht? gineering‘. Hier gibt es Überlegungen, das biologische Wachstum Ja. Die Fakten über den Klimawandel sind schließlich seit Jahr- in den Ozeanen anzuregen, damit sie mehr CO2 aufnehmen zehnten bekannt, trotzdem ist bisher kaum etwas geschehen. können. Oder kleine Partikel in der Atmosphäre freizusetzen, die Jetzt bin ich überrascht und beeindruckt von der Kontinuität einen Teil der solaren Strahlung reflektieren und gar nicht erst zur und Ernsthaftigkeit der Proteste der Schülerinnen und Schüler. Erde durchlassen. Ihre Generation wird stark vom Klimawandel betroffen sein. Deswegen ist es genau richtig, dass sie protestieren. Ist das schon ausreichend erforscht? Und sicher? Nein. Wir wissen bislang nicht, was die langfristigen Effekte Würden Sie auch Ihren Kindern empfehlen, dort hinzugehen? wären oder wie sich solche Maßnahmen lokal auswirken würden. Ja, das würde ich. Allerdings sind sie nicht mehr in dem entspre- Wir können noch nicht abschätzen, ob wir das gesamte Klimasys- chenden Alter. tem der Erde ins Kippen bringen könnten. Wir denken vielleicht, wir können mal eben die Sonnenstrahlung reduzieren und die In der Erklärung der „Scientists for Future“ heißt es, nur ein Dynamik des Erdsystems kontrollieren wie aus einem Schaltraum. „tiefgreifender Wandel im Mobilitäts-, Ess- und Konsumverhal- Aber wir haben bisher kein Verständnis dafür, was wir da tun. ten“ könne den Klimawandel noch aufhalten. Stimmt das? Wir müssen in wenigen Jahrzehnten zu einer ‚Netto-Null-Ge- Trotzdem befürworten Sie solche Maßnahmen? sellschaft‘ werden, also zu einer Gesellschaft, die kontinuierlich Wir müssen dazu forschen, und zwar sehr, sehr schnell. Denn ich ebenso viele Treibhausgase aus der Atmosphäre herauszieht, fürchte, dass wir nicht allein aus einer gesellschaftlichen Trans- wie sie produziert. Das ist eine Revolution, ebenso umfassend formation heraus in naher Zukunft zu einer kohlenstoffneutralen wie die Industrielle Revolution vor 150 Jahren. Es ist nicht damit Gesellschaft werden. getan, etwas weniger Fleisch zu essen oder mal auf eine Au- tofahrt zu verzichten. Wir müssen tatsächlich unser gesamtes Jetzt drängt die Zeit. Woran liegt es, dass im Klimaschutz bisher Konsumverhalten ändern und zu einem ganz neuen Lebensstil so wenig passiert ist? kommen. Darüber hinaus kann es sogar sein, dass wir mehr Darauf habe ich keine Antwort. Wir forschen zu dieser Frage in auf technologische Entwicklungen setzen müssen als bisher unserem Exzellenzcluster CliCCS. Ich vermute, dass es immer angenommen. noch Klimaskeptiker gibt, weil sie Angst vor den andernfalls not- wendigen Konsequenzen haben. In Deutschland sagen wir bei- Was bedeutet das? spielsweise seit Jahren, dass Braunkohlekraftwerke wirklich das Ich glaube, dass wir den Kampf gegen den Klimawandel nicht Schlimmste sind, was es gibt. Trotzdem wird erst jetzt überlegt, ohne sogenannte ‚Negative Emissionen‘ führen können. Das be- sie abzuschalten. Politiker betonen stets, wie viele Jobs da dran deutet, dass wir das CO2, das wir erzeugt haben, wieder aus der hängen. Sie verfolgen kurzfristige wirtschaftliche Ziele. Erst jetzt Atmosphäre rausziehen. Man kann es beispielsweise verflüssi- beginnen sie, den Klimawandel ernst zu nehmen. Es ist bewun- gen und in den Boden zurückpumpen. Oder wir müssen sogar in dernswert, dass ‚Fridays for Future‘ das bewirkt. Auch in Hamburg gehen Schüle- rinnen und Schüler sowie Studie- rende für den Klimaschutz auf die Straße, hier im März 2019
692 14 Campus & Co Seit 2008 nutzt die Universität Hamburg ausschließlich Ökostrom und saniert laufend Gebäude, um Energie für Hei- zungen oder die Kühlung von Großgeräten zu sparen. Allein der Initiativen Fenstertausch im Von-Melle-Park 5 spart 173 Tonnen CO2 jähr- lich, die Beleuchtungsoptimierung der Hörsäle spart weitere 25 Tonnen CO2 pro Jahr. Zudem erwerben alle Studierenden mit dem Semesterbeitrag ein Ticket für den öffentlichen Nahver- für die kehr. Angestellte können die „Profi-Card“ sowie 16 Dienst- und vier Lastenräder nutzen. Emissionen von Flugreisen werden nach dem CO2-Rechner von „atmosfair“ mit einer Gebühr be- zukunft legt – das ist bisher einmalig für eine deutsche Volluniversität. Die Universität Hamburg versteht sich als „University for a Sus- tainable Future“. Um Nachhaltigkeitsthemen voranzubringen, wurde 2011 das „Kompetenzzentrum Nachhaltige Universität“ nachhaltigkeit an der universität (KNU) gegründet. Hier wird die Umsetzung der notwendigen Veränderungen begleitet. Der Klimaschutz ist dabei eines von 17 Nachhaltigkeitszielen. Weitere Aspekte sind unter anderem Was macht die Universität Hamburg für das Gesundheit, Diversität und nachhaltiger Konsum. Klima? Sie unterstützt die von den Vereinten In Forschung und Lehre wird Nachhaltigkeit sowohl auf die Nationen verabschiedeten Ziele für nachhal- Prozesse, als auch auf die Inhalte bezogen. Alle bekannten tige Entwicklung – und setzt sie vielfältig in Angebote, zu denen es weiterführende Informationen gibt, fasst das KNU in drei Nachhaltigkeits-Landkarten zusammen, Forschung, Lehre und Verwaltung um. Ein die laufend aktualisiert werden. Die Karten und Details zu den Überblick über die Aktivitäten. (CK/AMP) Projekten gibt es unter: uhh.de/landkarte-nachhaltigkeit 14 Campus & Co Rechtswissenschaft Forschung: 13 Projekte Lehre: 4 Veranstaltungen Nachhaltigkeit an der Universität Hamburg Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Mathematik, Informatik, Forschung: 101 Projekte Naturwissenschaften, Lehre: 71 Veranstaltungen Forschung: 195 Projekte Gesamt* Lehre: 10 Veranstaltungen Forschung: 484 Projekte Lehre: 160 Veranstaltungen Administration: 48 Themen Medizin Forschung: 8 Projekte Geisteswissenschaften Lehre: 1 Veranstaltung Betriebswirtschaft Forschung: 42 Projekte Forschung: 53 Projekte Lehre: 36 Veranstaltungen Lehre: 1 Veranstaltung Psychologie und Bewegungswissenschaft Fakultätsübergreifend Erziehungswissenschaft Forschung: 21 Projekte Forschung: 9 Projekte Forschung: 43 Projekte Lehre: 15 Veranstaltungen Lehre: 1 Veranstaltung Lehre: 18 Veranstaltungen Landkarte der Nachhaltigkeit: An allen Fakultäten gibt es Forschungsprojekte und Lehrveranstaltungen zu Themen wie Klimawandel und nachhaltige Infrastruktur *Stand: September 2019
15 aus dem hörsaal zur wm Deutscher Meister 2018, Vizeweltmeister 2019 und Jurastudent: Das ist Julius Thole. Wie der 22 Jahre alte Beachvolleyballer Trai- ning, Wettkämpfe und sein Studium mitein- ander vereinbart, erzählt er im Interview. Julius Thole (l.) bei der Beach Volleyball Major Series im August 2019 Interview: Felix Willeke Sie sind Anfang Juli zusammen mit Clemens Wickler in Ham- unseren Trainern die Trainingslager ab, sodass ich die Klausuren burg Vizeweltmeister geworden. Wie läuft’s mit dem Studium? im Februar mitschreiben kann. Oder sie machen es möglich, Das Turnier zu Hause am Rothenbaum vor 13.000 Menschen dass ich Zeiten für Gruppenarbeiten als Erster wählen kann, war die beste Belohnung für die Entscheidung, Beachvolleyball um Studium und Sport zeitlich miteinander zu vereinbaren. Ich zu spielen. Ich bin hier groß geworden, in der Nähe zur Schule denke, Studium und Ausbildung sind für uns Sportler beson- gegangen und studiere 200 Meter die Straße runter. Das ist ders wichtig. Eine Karriere im Sport ist endlich, sei es durch schon krass. Aber die Uni hat in diesem Semester so sehr wie Verletzung oder Misserfolg. Deswegen braucht man einen Plan noch nie gelitten. Generell bin ich aber Teilzeitstudent, also in für die Zeit danach. Das ist der Grund, warum ich Studium und der Zeit vor und nach der Saison. Sport parallel durchziehe. Wie sieht Ihr Alltag als Student aus? Wie gehen Sie mit fehlender Motivation um? Wir Beachvolleyballer haben von April bis Mitte September Sai- Da gibt es einen großen Unterschied zwischen Uni und Sport. son. In dieser Zeit bin ich so gut wie nie an der Uni und schreibe Im Winter machen wir viel Kraft- oder Ausdauertraining, da im Sommersemester maximal eine Klausur. Ab Mitte Septem- habe ich schon mal den Wunsch, auf der Couch liegenzublei- ber habe ich fünf Wochen Sportpause, in der ich zum Beispiel ben. Aber dann sind Clemens, unser Team und auch mein eige- Hausarbeiten schreibe. Das ist auch die einzige Zeit im Jahr, in ner Erfolgsanspruch Motivation genug. Mich für das Studium der ich 30 Stunden pro Woche Zeit für das Studium habe. Dann zu motivieren, ist deutlich leichter. Gedanken wie: ‚Ich kann den fängt mit dem Wintersemester auch das Training wieder an. Stoff nicht mehr sehen‘, habe ich nicht. Das heißt: Elfmal die Woche trainieren und dazwischen immer wieder an die Uni. Dazu kommen dann zwischen Januar und Welche Ziele verfolgen Sie jetzt? März drei Trainingslager. Clemens und ich arbeiten auf Olympia 2020 in Tokio hin. Da- nach wird es sportlich neue Ziele geben. Als Beachvolleyballer Wie koordinieren Sie das alles? ist man mit 28 oder 29 im besten Alter, bis dahin würde ich Da habe ich Hilfe von der Studienberaterin an meiner Fakul- gerne professionell spielen. Parallel ziehe ich das Studium aber tät und von der Laufbahnberatung am Olympiastützpunkt weiter durch. In drei bis vier Jahren würde ich gerne das erste Hamburg / Schleswig-Holstein. Die stimmen unter anderem mit Staatsexamen in der Tasche haben.
16 Campus & Co CAMPU S-UMF RAGE Wie haltet ihr euch während des studiums fit? Lange Tage in Vorlesungen und Seminaren, am Ende des Semesters dann Hausarbeiten und Prüfungen. In der 19NEUNZEHN berichten sechs Studierende, was sie gegen den Stress tun. Aufgezeichnet von Lisa-Marie Walter Sebastian (33) Clarisse (24) Laura (22) B. A. Politikwissenschaft B. Sc. Biologie B. A. Medien- und Kommunikations- Um mich vom Unialltag abzulenken, gehe Für die allgemeine Fitness bevorzuge wissenschaft ich am liebsten zum Sport, bevorzugt ich das Joggen. Das ist kostenlos und ich Während meines Auslandssemesters in zum Fitnesstraining. Da kann ich mich muss nur zur Haustür raus. Meine Art, England bin ich gesurft und auch hier richtig auspowern. Wenn ich keine Lust mit Stress während der Klausurenphase in Hamburg bevorzuge ich Wassersport, auf Bewegung habe oder zu kaputt bin, umzugehen, hat sich im Laufe des Studi- um mich fit zu halten. Bei mir in der schaue ich alternativ gern Serien auf ums sehr verändert. Am Anfang habe ich Nähe ist ein gutes Schwimmbad und Netflix. Zurzeit bringt mich zum Beispiel probiert, ihn einfach zu ignorieren. Das im Sommer gehe ich gerne ab und zu ‚Haus des Geldes‘ an stressigen Tagen war langfristig nicht die beste Lösung. zum Stand Up Paddling. Das Abschal- sehr gut auf andere Gedanken. Außerhalb Mein Tipp ist daher: Habt Mut, Klausuren ten klappt mal mehr, mal weniger gut. der Klausurenphase bekomme ich zudem zu schieben. Das Studium soll Spaß ma- Aber ich versuche schon, mich draußen beim Feiern gut einen freien Kopf. chen und nicht dauerhaft stressen. aufzuhalten, so oft es geht. Tiago (25) Mariana (26) Dario (23) Erasmus Mundus Master „Journalism, Erasmus Mundus Master „Journalism, M. Ed. Lehramt an Gymnasien Media and Globalisation“ Media and Globalisation“ Fit zu bleiben, bedeutet für mich, die Zurzeit fahre ich viel mit dem Fahrrad Um mich fit zu halten, gehe ich ab und an Balance zwischen Studium und Leben oder gehe ins Fitnessstudio. In Hamburg zum Muay Thai-Training. Die Mischung zu finden, also zu studieren, ohne dass habe ich außerdem Lust bekommen, aus Karate und Boxen ist eine gute mein Privatleben darunter leidet. Dabei Rudern auszuprobieren. So kann ich aktiv Möglichkeit, um Stress zu verarbeiten und hilft es mir, den Tag vorab aufzuteilen: sein, die Stadt und neue Menschen ken- aktiv zu sein. Für meine Seele schaue ich Vormittags setze ich mir die Zeit fürs nenlernen und gleichzeitig mehr Deutsch lieber Filme oder genieße die Sonne – Lernen fest, damit ich nachmittags etwas sprechen – eine Win-win-Situation also. auch wenn sie in Hamburg selten zu mit Freunden unternehmen und Musik Bin ich gestresst, lege ich gern mal eine sehen ist. Auch bei mir wird in stressigen machen kann und auch die Möglichkeit Kaffeepause ein. Phasen Kaffee großgeschrieben. habe, abends mal feiern zu gehen.
B 17 Selbstfürsorglich sein „Viele Studierende sind zu Studienbeginn aufgrund des großen Lernpensums über- fordert“, wissen die Psychotherapeutin- nen in der Psychologischen Beratung der Universität Hamburg. Hinzu kämen oft Selbstzweifel sowie soziale oder finanzi- elle Belastungen. Daher raten sie zu einer A konsequenten Selbstfürsorge: regelmä- ßige sportliche Aktivität, Freundschaften und familiäre Beziehungen pflegen und Interessen jenseits des Studiums verfol- gen. Hilfreich sind auch Stressbewälti- gungs- oder Achtsamkeitstrainings. Bei Prüfungsangst oder gegen Aufschieben helfen Workshops der Zentralen Studien- beratung und Psychologischen Beratung. Die Psychologische Beratung bietet auch Bewusst bewegen Einzelberatung zur Bewältigung psychi- „Sport und Bewegung sind die beste scher Probleme an. Hier werden erste Medizin.“ Davon ist Christian Spreckels, Lösungsschritte erarbeitet und bei Bedarf Sportwissenschaftler am Institut für weiterführende Behandlungsmöglichkei- Bewegungswissenschaft der Universität ten besprochen: uhh.de/psych-beratung sorgt für Hamburg, überzeugt. „Menschen, die regelmäßig Sport treiben, bleiben auch in stressigen Zeiten gesund. Dabei ist Euch! Abwechslung ebenso wichtig wie die eigenen Vorlieben“, so Spreckels. Sport solle immer Spaß machen und keinen zusätzlichen Stress verursachen. C Um sportlich aktiv zu bleiben, gibt es vom Hochschulsport Hamburg zahlreiche Expertinnen und Experten berichten in der Angebote. „Sportliche Aktivitäten beein- 19NEUNZEHN, wie man den Stress im Studium flussen unsere Körpersysteme positiv. am besten bewältigt. Text: Felix Willeke Laut Empfehlungen der Weltgesundheits- organisation sollte sich der Mensch pro Woche regelmäßig 300 Minuten moderat oder 150 Minuten intensiv bewegen“, Gut essen erklärt Christina Rebholz vom Hochschul- „Das Timing beim Essen ist entscheidend“, sagt Frauke Richter. sport. Eines der Hochschulsport-Ange- Sie ist Ökotrophologin und Referentin für Qualitätsmanage- bote ist der „HealthyCampus Hamburg“. ment beim Studierendenwerk Hamburg, das täglich mehr als Dieser will eine gesundheitsfördernde 21.000 Gäste versorgt. Dabei legt sie besonderen Wert auf das Lebenswelt für Angehörige der Hambur- Frühstück: „In der nächtlichen Regenerationsphase verbraucht ger Hochschulen schaffen, etwa durch die der Körper bis zu zwei Drittel seiner Energiereserven“, so Richter. BewegungsCampuspause für Studieren- Sie empfiehlt für den Morgen Müsli aus Getreide, dazu Obst de: uhh.de/healthy mit Milch und Joghurt. Über den Tag verteilt helfen laut Richter kleine Snacks wie frisches Obst: „Dabei sollten jedoch keine großen Pausen entstehen, das sorgt nur für Nervosität und Un- konzentriertheit.“ Richter hat auch Tipps für ein ausgewogenes Mittagessen: Brokkoli fördert konzentriertes Lernen, Hülsen- früchte wirken stressmindernd und Spargel hilft im Frühjahr gegen Konzentrationsschwäche.
1816 Campus&&Co Campus co Das Orchester der Universität Hamburg erarbeitet jedes Wintersemester ein Programm, das es in der Laeiszhalle aufführt. Im Sommer- semester veranstaltet es jeweils Konzerte an anderen Orten zwischen Karibik & Elbphilharmonie Für das Orchester der Universität Hamburg ist das Jubiläumsjahr etwas ganz Besonderes: Erst steht es mit dem Nationalen Jugendorchester der Dominikanischen Republik auf der Bühne, danach beginnen die Vorbereitungen für das große Konzert in der Elbphilharmonie. Besuch bei einer außergewöhnlichen Probe. Text: Tim Schreiber
19 Die Zuschauerreihen des Audimax sind komplett leer, umso vol- Synchronsprechern mit „20.000 Meilen unter dem Meer“ eine ler ist es dafür auf der Bühne: Weit mehr als 100 Musikerinnen sogenannte Orchestererzählung aufführen. „Das kann man sich und Musiker sitzen in dichten Reihen vor ihren Notenständern. ein bisschen wie ein Hörspiel vorstellen, in dem die Musik min- Es herrscht ein lautstarkes Gewusel, Notenblätter werden ge- destens so viel Raum wie die Sprache hat“, sagt Dirigent Prof. sucht, Instrumente werden vorbereitet und gestimmt. Erst als Thomas Posth. Neben den Eindrücken und Geschichten der drei Dirigent Thomas Posth ein Zeichen gibt, kehrt Ruhe ein und die Hauptcharaktere der Erzählung verleihen Orchester und Chor Probe beginnt. Eine Probe, die für die Mitglieder des Universi- den einzelnen Szenen emotionale Unmittelbarkeit und Tiefe – tätsorchesters nicht alltäglich ist. ähnlich, wie es auch Filmmusik tut. „Die Szenen entwickeln durch unser Spiel einen emotionalen Sog, den Sprache alleine Gemeinsam mit dem Jugendorchester der Dominikanischen nicht zu erschaffen vermag“, beschreibt Posth. Republik üben sie für ihre Auftritte in der Friedrich-Ebert-Halle und in der Lübecker St. Jakobi Kirche. Ihr Programm umfasst Für Anne Grigoleit überwiegt trotz der Herausforderung des Stücke aus dem jeweiligen Repertoire der Orchester, im zweiten Saals und des anspruchsvollen Programms die Vorfreude. Sie Teil spielen alle gemeinsam eine Bernstein-Ouvertüre und ist sich sicher, dass man es gemeinsam schon schaffen und das Merengues aus der Karibik. „Es ist sehr spannend, wenn zwei Orchester wieder eine unvergessliche Erfahrung machen werde. Orchester gemeinsam auf der Bühne stehen und dabei etwas Nur muss es ohne die Extraportion karibischer Rhythmen aus- Einmaliges entsteht“, sagt Anne Grigoleit, die Anglistik und kommen: Wenn in der Elphi die Scheinwerfer auf die Unimu- Soziologie studiert und zur Gruppe der zweiten Geigen gehört. sikerinnen und -musiker gerichtet sind, ist der Besuch aus der Dominikanischen Republik leider längst wieder abgereist. Dass zwei Musikwelten aufeinandertreffen, macht ihr viel Spaß: „Wir waren im vergangenen Jahr zu Besuch in der Domi- Die Universitätsmusik nikanischen Republik“, erklärt die 25-Jährige. Schon bei ihrem Das Sinfonieorchester der Universität Hamburg gibt es seit Aufenthalt in der Karibik war sie fasziniert von der Rhythmik 1961. Ein musikalischer Schwerpunkt liegt auf Werken aus der der Gastgeber: „Uns fehlte dabei tatsächlich ein wenig der rich- Spätromantik und auf selten aufgeführten Werken bekannter tige Hüftschwung“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. In der Komponisten, von Puccini und Rachmaninow bis Schostako- musikalischen Welt des Hamburger Orchesters stünden doch witsch. Immer häufiger stellen die Musikerinnen und Musiker eher Präzision und Perfektion im Vordergrund. in den Konzerten aber auch Stücke von Komponisten vor, die den Zuhörerinnen und Zuhörern neu sein dürften. Wer Teil des große Vorfreude, Orchesters werden möchte, kann sich zu Semesterbeginn für einen Platz bewerben und zum Vorspielen antreten. Die Uni- aber auch musik besteht aus Orchester, Chor, Projektchor, Alumni-Chor, ein wenig Respekt Monteverdi-Chor und der Skyliner Jazz-Bigband. Die Reise in die Karibik war für die Hamburgerinnen und Ham- burger auch aus einem anderen Grund besonders: Sie haben im Vorwege Geld für die Reise und Instrumentenspenden für die Mitglieder der Orchester in der Dominikanischen Republik gesammelt. Eine Geigenbauerin aus dem Orchester hat die Instrumente auf Vordermann gebracht, vor Ort wurden sie dann verteilt. Auch solche Projekte sind es, die die Unimusik ausma- chen, findet Anne Grigoleit. Neben dem Gemeinschaftsgefühl schätzt Clara-Sophie Groß das hohe musikalische Niveau des Orchesters: „Wir haben mit Thomas Posth einen tollen Dirigenten, der einen sehr hohen Anspruch hat und uns alle sehr unterstützt“, sagt die Jura- studentin, die ebenfalls Geige spielt. Vor dem Höhepunkt des Jubiläumsjahres spüren die Musikerinnen und Musiker des Orchesters nicht nur Vorfreude, sondern auch Respekt: Am 4. November spielen sie gemeinsam mit dem Unichor im großen Saal der Elbphilharmonie. Ein Traum für jede Musikerin und jeden Musiker, aber eben auch ein Saal, der selbst für Profis eine Herausforderung darstellen kann und dafür bekannt ist, dass das Publikum jedes noch so feine musikalische Detail hört. Besonders ist das Elphi-Konzert auch, weil Orchester und Chor Teilen die Leidenschaft fürs Geigespielen und fürs Orchester: im zweiten Teil der Veranstaltung zusammen mit bekannten Anne Grigoleit (l.) und Clara-Sophie Groß
20 Campus & Co Die Unimusik in Zahlen
21 digitale campus-tour Was hat das Hauptgebäude mit dem Eiffelturm gemein- sam? Und wie kam der Pfer- destall zu seinem Namen? Mit den Campus-Touren erfahren Nutzerinnen und Nutzer mehr über die Univer- sität, ihren Campus und ihre Geschichte. Auf der Tour über den Campus Von-Mel- le-Park gibt es sechs Stationen, an denen Interessierte ortsbasiert Informationen zu Geschichte, Persönlichkeiten, Ereig- nissen, Kunstwerken oder Gebäuden der Universität abrufen können. Mit dabei sind unter anderem das Hauptgebäude, das Audimax und der „Pferdestall“ am Al- lendeplatz. Eine zweite Tour führt durch das neue Universitätsmuseum (siehe S. 48). Sie ermöglicht einen virtuellen Rundgang durch die Ausstellung und bietet spannendes Zusatzmaterial. Die Touren sind Teil der App „UHH mobile“. Diese steht zum kostenlosen Download für iPhones im App Store und für Android-Geräte im Google Play Store zur Verfügung. Natürlich lassen sich die Touren auch ohne App-Download nutzen. Sie sind über folgenden Link abrufbar: https://ct.uhh.de/de.html (DM/AMP) An der Station des Audimax erfährt man unter anderem Spannendes zur Baugeschichte des Gebäudes und zu denkwürdigen Protesten im größten Hörsaal der Universität
22 Forschen & VERSTEHEN Streaming aber von Verschiebungen statt LP: Forscherinnen aus undund sindForscher schon gespannt, an der Universität wie sich Hamburg nach drei Jahren die Präferenzen verändern. beschäftigen sich unter anderem damit, wie Musik gehört wird die macht der musik Musik ist ein Medium voller Bedeutung, wir können sie hören oder selber machen – und sie kann sogar heilen. Sechs Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Hamburg berichten, welche Aspekte der Musik sie erforschen. Texte: Anna Priebe und Tim Schreiber
23 sie beim Gehen ihre Lieblingsmusik von der Vogelweide neu vertont, aber hören. Im Rahmen des Projekts ‚Healing auch in dem Stil selber gedichtet. Inhalt- Soundscape‘ untersuchen wir gerade lich gingen ihre Lieder immer klar in eine den Einfluss von Klängen auf Patienten, sozialkritische Richtung. Zum anderen die beispielsweise vertonte die Band ihre Texte zunehmend in Wartezimmern auf Basis von modalen Skalen, das heißt, sitzen oder auf ihre nicht nur in den typischen Dur- und Operationen war- Moll-Tonleitern. Damit hat die Band ei- ten. Dafür haben nen großen Hype ausgelöst, der sich bis wir Boxen instal- in die heutige Zeit zieht. Alles was mit lieren und eigene dem Mittelalter oder einer ähnlichen fik- Kompositionen tiven Fantasy-Epoche zu tun, etwa Game erstellen lassen. Die Wirkung untersu- of Thrones, arbeitet heute musikalisch chen wir anhand von Befragungen. Die mit diesen modalen Anklängen. Neben Herausforderung ist, dass in Wartezim- den Liedern beziehe ich auch andere Me- mern mehrere Menschen sitzen und Mu- dien mit ein, zum Beispiel Zeitschriften, sikgeschmack sehr individuell ist. Daher Flugblätter sowie die Liederbücher, die probieren wir es mit dezenten Klang- die Band herausgegeben hat. Für mich welten und mit Naturklängen wie Wind, stehen die 1970er-Jahre im Vordergrund: Wasser oder Schilf. Zudem testen wir Es geht um die Suche nach Identität, die unterschiedliche Klänge für Warteräu- nach 1968 nicht nationalistisch begrün- me, Aufwachzimmer oder auch Operati- det sein kann. Das fiktive Mittelalter bie- onssäle. Unser Ziel ist es, in den Räumen tet da eine Möglichkeit. Gleichzeitig trifft des gerade neu entstehenden Herz- und diese Sicht auf linksliberale Sozialkritik Gefäßzentrums Musik fest zu installie- und daraus ergibt sich ein interessantes ren. Weil ich eine Leidenschaft für Musik Spannungsfeld. habe, unterstütze ich zudem Aktivitäten, am UKE eine Sprechstunde speziell für Bereits die Hälfte der Musikerinnen und Musiker anzubieten. Deutschen streamt Dort können typische Krankheiten wie Musik Gelenk- und Wirbelsäulenbeschwerden oder Muskelverspannungen behandelt Michael Kandziora, Wissenschaftlicher werden. Die Projekte entstehen in enger Mitarbeiter an der Fakultät für Betriebs- Zusammenarbeit mit der Hochschule für wirtschaft Musik und Theater Hamburg. Im Auftrag von musikwirtschaftli- Mittelalter trifft chen Verbänden und Institutionen Musik der 1970er-Jahre untersuchen wir die Zukunft der Klangwelten zum Prof. Dr. Irene Holzer, Juniorprofessorin Musiknutzung. Wohle der Patientinnen für Historische Musikwissenschaft Dafür lassen wir und Patienten drei Jahre lang alle Ich beschäftige mich in meinem aktuel- sechs Monate bis Prof. Dr. Sebastian Debus, Direktor der len Forschungsprojekt mit der Ham- zu 5.140 Menschen Klinik für Gefäßmedizin am Universitäts- burger Band „Ougenweide“, die in den im Alter von 16 bis klinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) 1970er-Jahren sehr 70 Jahren einen umfangreichen On- populär war und line-Fragebogen ausfüllen. Zu den ersten Musik hat großen Einfluss auf Patientin- allein in diesem Ergebnissen gehörte, dass jeder und jede nen und Patienten, kann deren Wohl- Jahrzehnt zehn im Schnitt jeden Tag drei Stunden Musik befinden stärken und sogar Schmerzen Alben veröffent- hört und dass das Radio sowie physische lindern. Wir beschäftigen uns schon seit lichte. Sie nahm in Tonträger zwar noch beliebt sind, aber zehn Jahren mit dem Bereich ‚Musik, ihrer Musik stark mittlerweile die Hälfte der Befragten Mensch, Medizin‘. Wir konnten zum auf das Mittelalter Musik streamt. Mit der zweiten Befra- Beispiel nachweisen, dass Menschen Bezug, wobei es sich um eine sehr weite gungswelle konnten wir erste Verän- mit Durchblutungsstörungen der Beine Interpretation des Begriffs handelt. Die derungen in der Nutzung feststellen: weniger Schmerzmittel brauchen, wenn Band hat zum einen Texte von Walther So haben Smartspeaker innerhalb von
24 Forschen & Verstehen sechs Monaten spürbar an Beliebtheit der Wahrnehmung keine Unterschiede gen, das pädagogische Wissen, das hier zugelegt und Musik wird immer häufiger zwischen Probanden, die eine musi- über das Singen vermittelt wird, kritisch auf mobilen Endgeräten und seltener kalische Vorbildung hatten und denen zu hinterfragen und neu zu betrachten. auf der heimischen Stereoanlage gehört. ohne Musikkenntnisse. Meine Forschung Außerdem sind die Menschen offenbar ist Teil des Projektes ‚SloMo‘, das vom Von chinesischem immer öfter bereit, für das Streaming zu Europäischen Forschungsrat gefördert Hip-hop bis zu Elektro zahlen, denn die Nutzung von kosten- wird. Wir schauen auf Slow Motion als aus dem Iran losem Streaming hat um acht Prozent Technik in Film und Musik, wenden aber abgenommen und die kostenpflichtigen den Begriff auch direkt auf menschliche Prof. Dr. Rolf Bader, Professor für Syste- Abos haben um zwei Prozent zugenom- Bewegungen an, zum Beispiel im Bereich matische Musikwissenschaft men. Es geht in der Studie aber nicht nur Performance. um die Musiknutzung, sondern auch Man könnte sagen, wir arbeiten an einer um Lieblingsgenres oder darum, wie Wie musikdidaktische Art musikalischem Gedächtnis der Welt. oft die Menschen selbst Musik machen. Zeitschriften den Trend Konkret geht es um eine musikethnolo- Was zum Beispiel den Musikgeschmack zum Singen begründen gische Datenbank. Der Ausgangspunkt angeht, können wir derzeit noch keine des ‚Ethnographic Sound Recordings Veränderungen feststellen. Wir gehen Anne Günster, Wissenschaftliche Mitar- Archive‘ (E.S.R.A.) sind Sammlungen aber von Verschiebungen aus und sind beiterin im Arbeitsbereich Musikpäda- afrikanischer Musik der Jahre 1910 bis schon gespannt, wie sich die Präferenzen gogik 1930 aus dem Hamburgischen Kolonia- nach drei Jahren verändert haben. linstitut sowie die einzigartigen – und Für den Musikunterricht ist seit Anfang für Musikwissenschaftler sensationellen DIE MUSIKGESCHWINDIG- der 1990er-Jahre ein zunehmendes – Aufnahmen des Kairoer Kongresses KEIT beeinflusst unsere Interesse am Singen zu beobachten. Das für arabische Musik aus dem Jahr 1932. ZEITWahrnehmung zeigt sich nicht nur Diese und viele Tausende weitere Mu- an mehr Angebo- sikstücke aus unterschiedlichen interna- David Hammerschmidt, Doktorand am ten, zum Beispiel in tionalen Studien haben wir digitalisiert Institut für Systematische Musikwissen- Form von Chor- und stellen sie online für die Forschung schaft klassen, sondern bereit. Weil es sehr viel Material ist, ha- auch an einer ben wir Verfahren entwickelt, mit deren Studien haben gezeigt: Wenn Menschen gestiegenen Zahl Hilfe die Musik zum Beispiel auf Tonhö- Musik hören, die sie mögen, haben von Lehrwerken hen oder Klangfarben hin analysiert und sie das Gefühl, dass die Zeit schneller und empirischen Studien zum Singen. sortiert werden kann. Dafür kommen vergeht als bei Musik, die ihnen nicht Dieser Trend zum Singen spiegelt sich verschiedene Mo- gut gefällt. Ich untersuche in meiner auch in Beiträgen in musikdidaktischen delle Künstlicher Forschung, welche Elemente in der Fachzeitschriften wider. Ich analysiere Intelligenz zum Musik unsere Zeitwahrnehmung beein- 130 Artikel aus dem Zeitraum von 1990 Einsatz. Nutzer des flussen und wie sie das tun. Dazu spiele bis 2015 im Hinblick darauf, wie begrün- Archivs können ich Probanden ein Stück vor und lasse det wird, warum im Musikunterricht wie zudem selbst sie hinterher einschätzen, wie lange es gesungen werden sollte. Zu Beginn des Stücke oder ganze gedauert hat. Ich Untersuchungszeitraums geht es vor Sammlungen nehme dafür in der allem darum, welche Lieder gesungen hochladen, die dann analysiert werden. Regel eine Eigen- werden sollten. Ab den 2000er-Jahren Auch wir bauen das Archiv ständig aus. komposition, damit steht mehr der Umgang mit der Stimme Unter anderem sind wir gerade dabei, ich die einzelnen im Vordergrund, etwa der Zusammen- chinesischen Hip-Hop und elektroni- Parameter ganz hang von Sing- und Sprechstimme. Ein sche Musik aus dem Iran hinzuzufügen. genau kontrollieren weitestgehend konstantes Argument ist Wir sind aber auch immer wieder in Sri kann, etwa die Me- dagegen: ‚Singen kann jede und jeder, Lanka, Nepal oder auf dem afrikanischen lodie oder einzelne Instrumente. Bei den denn die Stimme ist das ursprünglichs- Kontinent unterwegs. Das Archiv und die Untersuchungen kam unter anderem te Instrument des Menschen.‘ Mich Technik dahinter sind nicht nur für die heraus, dass das Tempo ein wesentlicher interessiert an diesen Begründungen Wissenschaft interessant: Wir bekom- Faktor ist: Je schneller ein Musikstück vor allem, welche Vorstellungen von den men auch Anfragen von Musikverlagen war, desto länger kam es den Probanden Menschen, die Singen lehren und lernen, oder Filmmusikern. im Vergleich zu langsamen Stücken vor. darin zum Vorschein kommen. In meiner Das kann man damit erklären, dass die Arbeit geht es darum, zu verstehen, wie Informationsdichte in diesem Zeitraum diese und andere Begründungsstrategi- höher ist. Interessanterweise gab es bei en funktionieren. Ich möchte dazu anre-
23 25 Dr. Danilo Harms beim Spinnen- fang in Australien Links: Die Springspinnenart Jotus Bild der Forschung: karllagerfeldi Spinnensuche in Australien Netz raus, Spinne rein. Im Helena Aurora Range National Park gemacht hat, ist die Springspinnenart Jotus karllagerfeldi. Be- (West-Australien) fängt Dr. Danilo Harms vom Centrum für nannt nach dem Hamburger Modezar (1933–2019) besticht die Naturkunde die Tiere, die mit ihrem Spinnenfaden durch die Luft vier bis fünf Millimeter kleine Spinne unter anderem durch vier fliegen, mithilfe eines Keschers. Die Webspinnen können vom große, schwarze Augen und einen weißen „Kentkragen“. Zudem Wind kilometerweit getragen werden und bauen ihre Netze sind die Beine und Tastorgane schwarz und weiß – und nicht, oftmals zwischen Geröll und an Abhängen, so wie in diesem Fall. wie bei anderen Tieren der Gattung, bunt gefärbt. Obwohl die Australien ist für Arachnologen wie Harms ein so spannendes Gattung Jotus in Australien weit verbreitet ist, weiß man über Forschungsgebiet, da ca. 70 Prozent der dort lebenden Spinnen- diese Tiere relativ wenig. So wurden bisher von Jotus karllagerfel- arten noch gänzlich unbekannt sind. Eine Neuentdeckung, die di nur männliche Exemplare gefunden – ein weiteres Rätsel, dem Harms zusammen mit australischen Kolleginnen und Kollegen Dr. Harms auf der Spur ist. (AMP)
26 Forschen & Verstehen Ein Archiv der Pflanzenwelt Getrocknete Pflanzen: Uncarina ihlenfeldtiana (o. l.) und Amorphophallus perrieri (o. r.) aus Afrika lagern im Herbarium Hamburgense
27 Aktuelle Forschung zu Artenvielfalt und „Das Herbarium bietet eine besondere Forschungsinfrastruktur. Unsere Hauptaufgabe ist die Verfügbarmachung von Untersu- Klimaveränderungen mit bis zu 300 Jahre chungsmaterial“, betont Schultz. Im Herbarium besteht daher alten, getrockneten Pflanzen: Möglich ist das nicht nur die Möglichkeit, die Pflanzen vor Ort zu untersuchen, sondern auch Bögen auszuleihen. Insbesondere die Typusbelege im Herbarium Hamburgense. Zu Besuch bei sorgen im Bereich der Evolutionsforschung für einen regen in- einer der größten wissenschaftlichen Pflan- ternationalen Austausch. Über verschiedene Datenbanken sind zensammlungen der Welt. Text: Anna Priebe im Moment rund 40.000 Belege auch online abrufbar. Während die Herbarbögen im Studium durch den Einsatz digitaler Medi- en immer weniger genutzt werden, sind sie aber für Abschluss- Von 0 auf 650: Das ist die Bilanz der Exkursion von Dr. Matthias arbeiten im Bereich der systematischen Botanik immer noch Schultz in den Kenai-Nationalpark in Alaska. Die zuständige sehr gefragt. Behörde wollte die Flechtenarten in dem neuen Schutzgebiet inventarisieren und der Wissenschaftler vom Institut für Pflan- Das Herbarium stellt ein Archiv der weltweiten Flora über zenwissenschaften und Mikrobiologie der Universität Hamburg mehrere Jahrhunderte dar. „Früher hat man unfassbar viel war als einer von fünf Experten mit dabei. Die Ausbeute steht gesammelt, um die Pflanzen und ihr Vorkommen zu dokumen- nun – verpackt in ca. 500 kleinen weißen Papierkapseln, aufge- tieren“, so Schultz. Die Botanikerin Amalie Dietrich (1821–1891) reiht in Kartons – in seinem Büro in Klein Flottbek und wartet sammelte beispielsweise in den 1860er-Jahren im australischen darauf, ins Herbarium Hamburgense einsortiert zu werden. Queensland zahlreiche Pflanzen für das Hamburger Museum Godeffroy. Diese Belege befinden sich heute im Herbarium. Ein Herbarium ist eine Sammlung getrockneter und präparier- „Das ist ein Abbild der damaligen Pflanzenwelt, die vom Men- ter Pflanzen. Das Hamburger Herbarium, dessen Wissenschaft- schen noch vollkommen unbeeinflusst war“, erklärt Schultz. licher Leiter Matthias Schultz ist, gibt es bereits seit 1883 und Viele der Gewächse sind inzwischen ausgestorben. umfasst heute mehr als 1,8 Millionen Pflanzenbelege – insbe- sondere aus Hamburg, aber auch Deutschland und der ganzen Welt. 40.000 davon sind sogenannte Typusbelege, an denen Ein Abbild der eine Art erstmals beschrieben wurde. Es ist damit eine der pflanzenwelt ohne 30 größten wissenschaftlichen Pflanzensammlungen weltweit, menschlichen einfluss wobei das älteste Stück auf das Jahr 1700 zurückgeht: Ein Röte- gewächs von der Insel Kreta, gesammelt auf einer Expedition im Auftrag des französischen Königs Ludwig XIV. Die Sammlung bietet damit die Möglichkeit, Artenvielfalt und Heute wie damals werden die Pflanzen direkt an ihrem Fundort vor allem ihre Veränderung nachzuvollziehen. Dazu forscht in Pflanzenpressen gelegt und getrocknet. Sukkulenten und auch die Arbeitsgruppe „Biodiversität der Pflanzen“ von fleischige Pflanzen müssen speziell bearbeitet und mitunter in Prof. Dr. Norbert Jürgens, dem Direktor des Herbariums. Die Scheiben geschnitten werden. Kleine Teile werden in Papierkap- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind vor allem im seln verwahrt, Palmenblätter gefaltet. südlichen Afrika aktiv und untersuchen, wie sich insbesondere die Landnutzung auf die Pflanzenvielfalt auswirkt. Sie können „Wir trocknen die Pflanzen hier eventuell nochmal nach und anhand des Herbariums nicht nur gefundene Arten genau be- präparieren sie auf den Papierbogen“, so Schultz. Vermerkt stimmen. Durch die Informationen zum Sammlungsort können werden nach festen Vorgaben unter anderem Eigenschaften der sie zudem sehen, ob sich das Verbreitungsgebiet einer Pflan- Pflanze, etwa die Blütenfarbe, sowie die Sammelkoordinaten ze verändert hat. Der Sammlungszeitpunkt kann Aufschluss und der Sammelzeitpunkt. „Von Belegen, die nicht so einfach darüber geben, ob sich der Blühzeitraum der Pflanze in den zu bestimmen sind, wird zudem eine DNA-Analyse gemacht“, Jahrzehnten verändert hat. erklärt Schultz. Die Sequenzen werden schließlich in einschlä- gigen Datenbanken hinterlegt. So auch bei den Funden aus „Das Herbarium wächst ständig und wird heute vor allem durch Alaska, die darüber hinaus mikroskopisch untersucht wurden. aktuelle Forschungsarbeiten erweitert. Es wird viel gezielter gesammelt“, berichtet Schultz. Seit Einrichtung des Herbariums Geordnet ist das Herbarium nach der Systematik der Pflanzen, sind eine weitere Quelle Sammlungen von Botanikerinnen und die nicht nur sogenannte Höhere Pflanzen umfasst, sondern Botanikern, die sich oft ihr ganzes Leben mit einer bestimmten auch Flechten, Pilze, Moose und Algen. Mehr als 27.000 Kästen Pflanzenfamilie befasst haben. So hat der Doktorvater von mit Pflanzenbögen befinden sich im Magazin des Herbariums, Matthias Schultz, der nun in den Ruhestand geht, ebenfalls zu das speziell belüftet wird, um die Präparate zu schützen. Wis- Flechten geforscht. Seine 80 Kisten umfassende Sammlung senschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzen sie als Referenz- ist aus Kaiserslautern nach Hamburg gekommen. Sie lagert sammlung, um zum Beispiel Pflanzen zu bestimmen und Arten momentan noch separat, wartet aber wie die 500 Belege aus unter anderem anhand der Größenverhältnisse, der Blattstruk- Alaska darauf, ihren Weg in die Regale des Hamburger Herbari- tur und der Blüten voneinander abzugrenzen. ums zu finden.
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