Spezial 2020 Das Potsdamer Universitätsmagazin - Universität Potsdam

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Spezial 2020 Das Potsdamer Universitätsmagazin - Universität Potsdam
Das Potsdamer Universitätsmagazin

Spezial 2020

                    C O R O N A
Spezial 2020 Das Potsdamer Universitätsmagazin - Universität Potsdam
Blick zurück
     Auf Instagram nehmen wir Sie am
     ­#throwbackthursday regelmäßig mit in vergangene
      Zeiten an der Uni Potsdam. Ende April mussten wir
      gar nicht so weit zurückgehen, um in eine ganz ande-
      re Welt einzutauchen. Eigentlich sehen die Bilder,
      die vor knapp zwei Jahren an allen drei Standorten
      der Uni Potsdam entstanden sind, ganz normal aus.
      Sind sie auch: Campus, Menschen, schönes Wetter.
      Surreal ist das hier und heute – und die verwaisten
      Uni-Areale. Die – wie wir – auf Euch warten. Bis wir
      uns hier wieder sehen, schicken wir Euch ein paar
      Schnappschüsse aus alten und neuen Tagen. Auf ein
      gutes Semester! (mz)

            www.instagram.com/unipotsdam

Impressum
                                                                                                                                                             Fotos: © Fritze, Karla (obere 3); Hopfgarten, Tobias (untere 3)

Portal – Das Potsdamer Universitätsmagazin       Online-Ausgabe:                                 Druck:
ISSN 1618 6893                                   www.uni-potsdam.de/de/up-entdecken/upaktuell/   Buch- und Offsetdruckerei
                                                 universitaetsmagazine                           H. Heenemann GmbH & Co. KG
Herausgeber:
Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit    Layout/Gestaltung: unicom-berlin.de             Auflage: 4.000 Exemplare

Redaktion: Dr. Silke Engel (verantwortlich),     Titelillustration:
Matthias Zimmermann                              Andreas Töpfer
                                                                                                 Nachdruck gegen Belegexemplar bei
Mitarbeit: Dr. Silke Engel, Antje Horn-Conrad,   Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe:      Quellen- und Autoren­angabe frei.
Dr. Jana Scholz                                  31. September 2020
                                                                                                 Die Redaktion behält sich die sinnwahrende
Anschrift der Redaktion:                         Formatanzeigen:                                 Kürzung e­ in­gereichter Artikel, einschließlich der
Am Neuen Palais 10, 14469 Potsdam                unicom MediaService                             Leserbriefe, vor.
Tel.: (0331) 977-113 198, -1474, -1496           Tel.: (030) 509 69 89 -15, Fax: -20
Fax: (0331) 977-1130                             Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 2               Viele Artikel in diesem Heft finden Sie in einer längeren
E-Mail: presse@uni-potsdam.de                    www.hochschulmedia.de                           Fassung online unter: www.uni-potsdam.de/nachrichten
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Liebe
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Leserinnen
und Leser.
  Corona. Schon mal gehört? Noch Weihnachten            funktioniert eine Universität unter den besonde-
  2019 hätten viele ahnungslos geantwortet: „Nö.“       ren Umständen? Wie wird gearbeitet, studiert,
  Besser Informierte hätten zurückgefragt: „Meinst      geforscht? Wie verlagert man ein ganzes Semes-
  du die Korona – den Hof um die Sonne?“ Und            ter in den Online-Betrieb? Auf der Suche nach
  ganz Schlaue hätten gesagt: „Klar, trink ich gern.“   Antworten auf diese und viele weitere Fragen ist
  Doch spätestens seit Februar beherrscht das Virus     eine Vielzahl von Texten entstanden, die wir nach
  die Nachrichten, seit März auch unser Leben.          und nach auf der Webseite der UP veröffentlicht
  Nach und nach mussten wir alle lernen, uns (wie-      haben als „Beiträge aus der Universität Potsdam
  der) richtig die Hände zu waschen und die „Nies-      zur Corona-Pandemie“.* Eine gekürzte Auswahl
  etikette“ zu befolgen, Abstand zu halten, zu Hause    dieser Texte haben wir für diese „Portal Spezial“
  zu arbeiten oder zu lernen, Masken zu tragen oder     zusammengestellt. Nicht, weil wir über nichts
  gar zu nähen – und überhaupt: uns mit dem Aus-        anderes als den Corona-Virus mehr reden wollen,
  nahmezustand, der zum Dauerzustand zu werden          sondern weil wir dokumentieren wollen, dass die
  droht, zu arrangieren. Aber wie macht das eine        Universität Potsdam durch die Pandemie keines-
  ganze Universität – mit 21.000 Studierenden, mehr     wegs in einen Dornröschenschlaf versetzt wurde.
  als 4.500 Beschäftigten, Tausenden Kursen, Prakti-    Vielmehr entstanden durch das Engagement vieler
  ka, Prüfungen und Forschungsprojekten? Wie hält       Forschender, Studierender und Beschäftigter zahl-
  man einen Tanker an – in voller Fahrt – und rüstet    reiche Initiativen, Ideen, Projekte, Strukturen und
  ihn um für einen pandemiesicheren Betrieb? Die        Neuerungen, die zeigen: Die Universität Potsdam
  zurückliegenden Wochen haben gezeigt: Es geht.        lässt sich nicht unterkriegen! Deshalb hoffen wir,
  Inzwischen läuft mit dem Sommersemester 2020          dass die Lektüre des Heftes Ihnen trotz der weiter-
  das erste Online-Semester der Hochschulgeschich-      hin herausfordernden Umstände Freude und Mut
  te. Auch das hätte Ende 2019 niemand für möglich      macht. (Die Texte entstanden alle im März/April
  gehalten, schon gar nicht so bald.                    2020, als viele Entwicklungen noch am Anfang
                                                        standen und ihr Verlauf nicht absehbar war. Wir
  Das Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit     haben sie dennoch unverändert aufgenommen,
  musste wie alle Unibereiche lernen, mit den           um diese Phase und die Reaktion der Wissen-
  ungewöhnlichen Umständen umzugehen, die mal           schaft darauf zu dokumentieren.)
  bedrohlich, mal lästig, mal ermüdend und mal
  eben einfach nur umständlich wirkten. Wir haben       Bleiben Sie gesund –
  uns bemüht, so gut es ging, zu informieren – dar-     wir freuen uns auf ein Wiedersehen!
  über was sich tat, was getan werden musste und        Matthias Zimmermann
  konnte. Und was kommt. Doch wir wollten noch
  mehr wissen: Was sagen die Potsdamer Wissen-
  schaftlerinnen und Wissenschaftler zur Corona-        * Alle „Beiträge aus der Universität Potsdam zur Corona-Pandemie“ sind
  Pandemie, ihren Auswirkungen und Folgen, aber         ­weiterhin online in voller Länge verfügbar unter: https://www.uni-potsdam.de/
  auch dazu, was sich dagegen tun lässt? Wie genau      de/presse/aktuelles/coronavirus/beitraege-zur-corona-pandemie

                                                                                                                                         3
Spezial 2020 Das Potsdamer Universitätsmagazin - Universität Potsdam
Inhalt                                                                         16    TITEL
                                                                                    „Mich begeistert die Offenheit, mit der
                                                                                    digitale Medien ausprobiert werden“
                                                                                    Informatikerin Ulrike Lucke über die Möglichkeiten des E-Learning

                                                                               18    TITEL
                                                                                    Ein Test der Wandlungsfähigkeit
                                                                                    Der Wirtschaftsinformatiker Norbert Gronau über die Digitalisierung

06
                                                                                    im Schnelldurchlauf
      EXPER TE NA NFRA G E
     „Ohne hätte, wenn und aber“
     Was zu tun ist und was sich künftig ändern muss, um Pandemien wirksam
     einzudämmen. Fragen an den Virologen Prof. Dr. Frank T. Hufert            20    TITEL
                                                                                    Auf einmal digital
                                                                                    Warum Deutschland seine Verwaltung jetzt neu erfindet

08    TI TEL
     Kontrollverlust und Unvorhersehbarkeit
     Prof. Dr. Barbara Krahé über die psychosozialen Folgen der                22    TITEL

     ­Corona-Pandemie
                                                                                    Wege aus der Krise
                                                                                    Prof. Dr. Maik Heinemann über die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie

09    TI TEL
     Es ist das Unerklärliche, das die                                         24    TITEL
                                                                                    Innehalten und hinterfragen
     Angst erzeugt                                                                  Der Erziehungswissenschaftler Wilfried Schubarth sieht in der
     Entwicklungspsychologin Birgit Elsner erklärt, wie Eltern ihren Kindern        Krise die Chance, zentrale Bildungsfragen neu zu stellen
     helfen können, die Ausnahmesituation zu meistern

10    TI TEL
     Recht im Ausnahmezustand
                                                                               26    U N I I N C O R O N A-Z E I T E N
                                                                                    „Auf die ungewohnten Umstände
     Wie sich die Corona-Krise auf die Menschenrechte auswirkt
                                                                                    besonnen reagieren“
                                                                                    Uni-Präsident Prof. Oliver Günther über das Krisenmanagement

11    TI TEL
     Den Rechtsstaat bewahren
     Der Jurist Prof. Dr. Thorsten Ingo Schmidt über Freizügigkeit,
                                                                               28    U N I I N C O R O N A-Z E I T E N
                                                                                    Was kommt?
                                                                                    Uni-Kanzler Karsten Gerlof über die derzeitige Corona-Phase und
     das Infektionsschutzgesetz und langfristige Folgen                             langsame Schritte zur Normalisierung

12    TI TEL
     Sport in Corona-Zeiten
     Der Trainingswissenschaftler Urs Granacher über die richtige Bewegung
                                                                               30    U N I I N C O R O N A-Z E I T E N
                                                                                    Zwischen Neuland und Routine
                                                                                    Einblicke in das Krisenzentrum der Universität Potsdam

                                                                               18
     für jedermann, auch ohne Wettkampf, Fitnessstudio oder Sportunterricht

14    TI TEL
     „Wir sollten die Schwächsten am
     besten schützen“
     Wie die Corona-Pandemie unsere Gesellschaft beeinflusst und wie sie
     diese verändern sollte

                                                    12
4
Spezial 2020 Das Potsdamer Universitätsmagazin - Universität Potsdam
42
31    UNI I N C ORONA-ZE I T E N
     Kein Ort, allein zu sein
                                    26
                                                                                                              52
     Von der Arbeit einer Pressestelle im Ausnahmezustand

32    UNI I N C ORONA-ZE I T E N
     Digitalisierung im Schnellverfahren
     Online-Lehre in Zeiten von Corona

34    UNI I N C ORONA-ZE I T E N                                                46    U N I I N C O R O N A-Z E I T E N
                                                                                     „Der Gesprächsbedarf ist hoch“
                                                                                     Wie das Welcome Center in der Corona-Krise für Forschende
     Nicht sprachlos                                                                 aus aller Welt da ist
     Wie das Zentrum für Sprachen und Schlüsselkompetenzen (Zessko)
     das digitale Sommersemester meistert

36    UNI I N C ORONA-ZE I T E N                                                48    I N T E R N AT I O N A L
                                                                                     „Peppina in Quarantena“
                                                                                     Ein Auslandssemester in Italien
     Online über Nacht
     Wie das ZIM das digitale Semester möglich macht

38    UNI I N C ORONA-ZE I T E N                                                50    I N T E R N AT I O N A L
                                                                                     Im stillen Kämmerlein
                                                                                     Von der Schwierigkeit, mitten in der Krise eine Doktorarbeit
     Tierökologie im Homeoffice                                                      zu schreiben
     Wie die Pandemie die Wissenschaft durcheinanderwirbelt

39    UNI I N C ORONA-ZE I T E N
     Vom jähen Ende einer Forschungsreise
                                                                                52    F O R S C HU N G
                                                                                     Corona-Pandemie berechnen
                                                                                     Potsdamer Forscher entwickeln Modellierungsansatz, der regionale
     Corona durchkreuzt Projekt in Namibia
                                                                                     Prognosen des Infektionsgeschehens ermöglicht

40    UNI I N C ORONA-ZE I T E N
     Ideenreich
     Studierende engagieren sich gegen das Coronavirus
                                                                                54    F O R S C HU N G
                                                                                     „Jedes Virus entwickelt eigene
                                                                                     Überlebensstrategien“
                                                                                     Die Biochemikerin Prof. Katja Hanack erklärt, was die Entwicklung von

42    UNI I N C ORONA-ZE I T E N
     Zwischen Homeschooling
                                                                                     Impfstoffen gegen Viren so schwierig macht

     und Homeoffice
     Über den veränderten Arbeitsalltag berufstätiger Eltern und aufbrechende
     Ungerechtigkeiten
                                                                                56    F O R S C HU N G
                                                                                     Gut für Körper und Seele!
                                                                                     Internationale Studie zu Sport und Bewegung in Zeiten der Krise

44    UNI I N C ORONA-ZE I T E N
     Studieren im Homeoffice
     Fotowettbewerb von eLiS zum heimischen Arbeitsplatz
                                                                                58   Ins Bild gesetzt
                                                                                     Der Gestalter Andreas Töpfer hat die Corona-Pandemie grafisch kommen-
                                                                                     tiert und die Portal illustriert

                                                                                                                                                             5
Spezial 2020 Das Potsdamer Universitätsmagazin - Universität Potsdam
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    EXPERTENANFRAGE

„Ohne hätte, wenn und aber“
Was zu tun ist und was sich künftig ändern muss, um Pandemien wirksam
einzudämmen. Fragen an den Virologen Prof. Dr. Frank T. Hufert

                         Herr Prof. Hufert, sie gelten als Experte
                   ✍     für Schnelldiagnostik. Welche Testverfah-
                         ren können dazu beitragen, die Corona-
                                                                              dell war diese chimäre Lebendvakzine sehr gut
                                                                              immunogen. Aus diesem Grund halte ich diese
     ANTJE HORN-CONRAD                                                        Variante für den besten Impfstoffansatz, der auch
                         Pandemie wirkungsvoll einzudämmen?
                                                                              sehr schnell hergestellt werden könnte und für
                         Ein breites Testen zum molekularen Virusdi-          den schon eine Zulassung für ein anderes Virus
                         rektnachweis mittels PCR (Polymerase Ketten-         besteht.
                         reaktion) oder RPA (Rekombinase Polymerase
                         Amplifikationstechnik) sowie die Antikörperbe-
                                                                              Weltweit haben Fachleute beständig
                         stimmung zum Nachweis durchgemachter Infek-
                                                                              darauf hingewiesen, dass die wirt-
                         tionen. Letzteres besonders beim medizinischen
                                                                              schaftliche Globalisierung, die damit
                         Personal und bei allen im Gesundheits- und Pfle-
                                                                              einhergehenden ökologischen und
                         gedienst tätigen Menschen sowie bei Personen,
                                                                              sozialen Verwerfungen und der rasche
                         deren Tätigkeit für die Aufrechterhaltung der
                                                                              Bevölkerungsanstieg das Auftreten neuer
                         gesellschaftlichen Grundfunktionen notwendig
                                                                              Infektionskrankheiten und deren rasante
                         ist. Immune könnten dann gefahrlos in ihrem
                                                                              Verbreitung begünstigen. Was müsste
                         Beruf tätig sein.
                                                                              aus medizinischer und epidemiologischer
                                                                              Sicht getan werden, um diese Gefahr zu
                         Die Entwicklung und Zulassung eines                  bannen?
                         Impfstoffes werden noch bis zu einem                 Es müssen Sentinel-Systeme aufgebaut werden,
                         Jahr dauern. Steht zu befürchten, dass
                                                                              stichprobenartige Erhebungen, die sehr rasch
                         das Virus bis dahin bereits mutiert ist?
                                                                              neue Ausbrüche von Infektionserkrankungen
                         Mutationen treten bei RNA-Viren stetig auf,          aufzeigen können. Dazu gehört auch die Möglich-
                         dennoch haben die Coronaviren ein sehr gro-          keit, in entlegenen Regionen eine valide mobile
                         ßes RNA-Genom mit einer sehr exakt arbeiten-         Diagnostik zur Verfügung zu haben, die dann von
                         den RNA-Polymerase, die allein zwei Drittel des      Ausbruchteams angewendet wird. Trotz der Ver-
                                                                                                                                   Foto: © Medizinische Hochschule Brandenburg

                         Genoms ausmacht, sodass die genetischen Vari-        flechtung des Welthandels muss die Produktion
                         ationsmöglichkeiten nicht so groß sind wie bei       von Medikamenten, medizinischen Gerätschaf-
                         Influenzaviren. Der beste Impfstoffansatz besteht    ten und persönlicher Schutzausrüstung im eige-
                         nach meiner Ansicht in der Herstellung einer         nen Land stets zur Verfügung stehen. Wir müs-
                         Virus-Chimäre, die auf der Basis des Vesikulosto-    sen auch ohne China u.a. in der Lage sein, autark
                         matitis-Virus (VSV) das Virushüllprotein-S des       zu produzieren. Staaten, die keine eigene Produk-
                         SARS-CoV-2 trägt. Eine solche Impfstoffvariante      tion haben, wie etwa viele Länder in Afrika, müss-
                         ist für das Ebolavirus bereits zugelassen und sehr   ten über die Weltgesundheitsorganisation (WHO)
                         erfolgreich. Auch für das dem SARS-CoV-2 sehr        versorgt werden. Zudem müssen Impfstoffe auch
                         verwandte MERS-CoV konnte in Tiermodellen            für seltene Erreger entwickelt werden und Impf-
                         schon Schutz gezeigt werden und im Affenmo-          kampagnen durchgeführt werden. So gibt es noch

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                                  immer z.B. eine steigende Zahl von Masern- und       tur geschaffen werden, denn im Verteidigungsfall
                                  Gelbfieberfällen, trotz der Verfügbarkeit lebens-    der Bundesrepublik greifen wir ja auch nicht auf
                                  lang schützender Impfstoffe.                         die einzelnen Armeen der Bundesländer zurück.
                                      Nicht zuletzt müssen Staaten in der Lage sein,
                                                                                       Und im Gesundheitswesen?
                                  die Grenzen zu schließen. Ein zentraler Feh-                                                                      Ein Ausbruch,
                                  ler Europas und Deutschlands war es, trotz der       Der öffentliche Gesundheitsdienst muss wieder
                                  Bedrohung durch den Ausbruch in China keine          aufgestockt werden. Und unsere Krankenhäu-
                                                                                                                                                    wie wir ihn jetzt
                                  strikten Einreiseverbote auszusprechen, sodass       ser müssen ausreichend finanziert werden. Hier               erleben, ist ein
                                  dem Virusimport Tür und Tor geöffnet waren.          liegt vieles im Argen, vom kleinen Krankenhaus               Naturphänomen.
                                                                                       im ländlichen Bereich bis hin zu den großen
                                                                                       Universitätskliniken. Überall fehlt es seit Jahren
                                  Was muss sich hierzulande ändern?
                                                                                       an finanziellen Mitteln, die der Staat nicht bereit
                                  Das öffentliche Bewusstsein für Infektionser-        war zu investieren. Hier müssen sich u.a. auch
                                  krankungen und für Ausbrüche muss gestärkt           die Vergütungsmodalitäten ändern. Trotz jahre-
                                  und in die Bildungssysteme integriert werden.        langer doch so hoher Steuereinnahmen wurden
                                  Ein Ausbruch, wie wir ihn jetzt erleben, ist ein     diese schon lange bestehenden Missstände von
                                  Naturphänomen und erfordert frühes und unver-        der Politik stets ignoriert. Hier sehe ich auch drin-
                                  zügliches zielgerichtetes Handeln der Regierung      genden Handlungsbedarf, um uns fit zu machen
                                  zum Schutz der Bevölkerung, ohne stetige pro-        für eine Gesundheitsversorgung, die auch globa-
                                  trahierte Diskussionen mit hätte, wenn und aber.     le Großschadenslagen, wie wir sie jetzt erleben,
                                  Naturphänomene nehmen keine Rücksicht auf            abfedern kann.
                                  menschliche Belange und Fantasiewelten unter-
Illustration: © Töpfer, Andreas

                                  schiedlicher Couleur. Dieses frühzeitige Handeln
                                  ist leider versäumt worden. Vorhandene Pande-        Prof. Dr. med. Frank T. Hufert ist Facharzt für Mikrobiologie und Virologie an der gemein-
                                  miepläne müssen zur Anwendung kommen und
                                                                                       samen Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Potsdam, der Medizinischen
                                  stets aktualisiert werden. Eine Verbesserung unse-
                                                                                       Hochschule Brandenburg „Theodor Fontane“ (MHB) und der Brandenburgischen Techni-
                                  res Systems sehe ich auch in der Abschaffung der
                                  Bundesländerkompetenz in Seuchenfragen. Hier         schen Universität Cottbus-Senftenberg. Er ist Ärztlicher Direktor des Instituts für Mikrobiolo-
                                  muss eine einheitliche, zentral gesteuerte Struk-    gie und Virologie der MHB am Standort Senftenberg.

                                                                                                                                                                                    7
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    TITEL

Kontrollverlust und
Unvorhersehbarkeit
Prof. Dr. Barbara Krahé über die psychosozialen
Folgen der Corona-Pandemie

                          D
                   ✍                       as Corona-Virus bedroht nicht
                                           nur die physische Gesundheit
                                                                               ein Gefühl der Vorhersehbarkeit und Kontrolle über
                                                                               die Ereignisse in unserem Leben zu haben. Kon-
        DR. JANA SCHOLZ
                                           der Menschen. Die Sozialpsy-        trollverlust, insbesondere das Gefühl, dass negati-
                                           chologin Barbara spricht über       ve Konsequenzen völlig unabhängig von unseren
                                           die die große Herausforderung,      Bemühungen auftreten, sie zu vermeiden, führt
                          persönliche Kontakte zu meiden und die persön-       zu Hilflosigkeit. Diese Hilflosigkeit schlägt sich
                          liche Lebensplanung zumindest vorübergehend          in negativen Gefühlen wie Trauer und Verzweif-
                          zurückzustellen.                                     lung nieder und in einer geringen Motivation und
                                                                               Anstrengung, die Dinge zum Besseren zu beein-
                                                                               flussen. Menschen fühlen sich Entwicklungen aus-
                          Warum fällt uns das so schwer?
                                                                               geliefert, die sie nicht verhindern können und von
                          Vor allem zwei Gründe sind hier zu nennen: Zum       denen sie nicht wissen, wie lange sie sie aushalten
                          einen hängt für Menschen als soziale Wesen das       müssen. Das können sie schlecht verkraften.
                          psychische Wohlbefinden ganz entscheidend
                          davon ab, ihr Bedürfnis nach Nähe, Austausch
                                                                               Was bedeutet diese enorme Unsicherheit
                          und Unterstützung befriedigen zu können. Das
                                                                               in Bezug auf die persönliche Lebenspla-
                          ist momentan nur noch sehr eingeschränkt und
                                                                               nung?
                          reduziert auf medial vermittelte Kontakte mög-
                          lich. Der zweite Grund ist, dass Menschen sehr       Für uns alle ist es schwierig, aber wir haben kei-
                          empfindlich auf Einschränkungen ihrer persönli-      ne Wahl, denn das Leben kann ja nicht einfach
                          chen Entscheidungsfreiheit reagieren, und zwar       auf Pause gestellt werden. Es hilft, dass diese Kri-
                          damit, dass sie die Optionen, die ihnen nicht        se jeden betrifft, anders als es bei vielen anderen
                          mehr zur Verfügung stehen, stark aufwerten. Das,     negativen Lebensereignissen der Fall ist, und man      Illustration / Foto: © Töpfer, Andreas (o.); Fritze, Karla (u.)

                          was wir nicht (mehr) haben können und machen         sie deshalb auf äußere Umstände zurückführen
                          dürfen, erscheint uns besonders erstrebenswert,      kann, die man nicht selbst zu verantworten hat.
                          und wir setzen alles daran, die Entscheidungsfrei-   Die Auswirkungen auf die eigene Lebensplanung
                          heit wiederherzustellen.                             sind massiv, vor allem für diejenigen, die mit der
                                                                               Möglichkeit rechnen müssen, am Ende der Krise
                                                                               in ihrer Existenz ruiniert zu sein, wichtige Prü-
                          Wie lange halten die Menschen eine sol-
                                                                               fungen nicht abgelegt zu haben oder lange vor-
                          che Ausnahmesituation durch?
                                                                               bereitete Pläne nicht realisieren zu können. Das
                          Das Problem ist hier nicht so sehr die Zeitspanne    bedeutet, schon jetzt geht es nicht nur darum,
                          an sich, in der wir unter diesen Einschränkungen     die aktuelle Unsicherheit und Einschränkung
                          und Bedrohungen leben müssen, sondern die            zu bewältigen, sondern mit den Befürchtungen
                          Unvorhersehbarkeit ihres Endes. Unser psychi-        darüber umzugehen, wie es nach dem Ende der
                          sches Wohlbefinden hängt entscheidend davon ab,      Pandemie mit dem Leben weitergeht.

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                                                                                                                                                                                        TITEL

                                                                                             Es ist das Unerklärliche,
                                                                                                das die Angst erzeugt
                                                                                  Entwicklungspsychologin Birgit Elsner erklärt, wie Eltern ihren
                                                                                     Kindern helfen können, die Ausnahmesituation zu meistern

                                                           W                                                                                                            ✍
                                                                                   ichtig ist, den Kindern die   schlechte Stimmung um. Dann ist es wichtig, das
                                                                                   Epidemie altersgerecht zu     offen anzusprechen. Die Kinder kriegen ja mit,
                                                                                   erklären. Wenn ich Dinge      dass etwas nicht stimmt, dass das Leben nicht so       PROF. DR. BIRGIT ELSNER
                                                                                   erklärt bekomme, dann         läuft wie gewohnt, dass vielleicht auch die Eltern
                                                                                   machen sie mir weniger        besorgt sind. Es kommt darauf an, gegenseitig zu
                                                           Angst. Auch können wir Verbote und Einschrän-         verstehen, wo der Grund für die schlechte Stim-
                                                           kungen besser annehmen, wenn wir den Grund            mung liegt. Das ist etwas, woran man gemeinsam
                                                           dafür kennen. Bereits ab dem Kitaalter, also ab       arbeiten und dabei feststellen kann: Ich bin jetzt
                                                           drei, vier Jahren, haben Kinder ein Grundver-         zwar böse, weil mein Kind sich nicht so verhält,
                                                           ständnis von Gesundheit und Krankheit. Sie            wie ich das gerne möchte. Und die Kinder sind
                                                           haben schon etwas von Keimen und Erregern             genervt, weil sie Dinge nicht tun dürfen, die sie
                                                           gehört und auch eine allgemeine Vorstellung           sonst tun. Aber gleichzeitig sind weder die Eltern
                                                           davon, wie diese wirken. Dass man krank werden        noch die Kinder daran schuld. Der Grund für die
                                                           kann, wenn man etwas isst, wo diese Erreger drin      Frustration liegt außerhalb der Familie, das soll-
                                                           sind. Bei jüngeren Kindern kann man versuchen,        te man sich immer wieder bewusst machen. Und
                                                           das Phänomen der Ansteckung begreifbar zu             wenn man in der Familie zusammenhält, kann
                                                           machen, indem man sich zum Beispiel die Hände         man auch gemeinsam schauen, wie sich diese Her-
Illustration / Foto: © Töpfer, Andreas (o.); privat (u.)

                                                           mit Fingerfarbe bestreicht und einer anderen Per-     ausforderung meistern lässt. Zum Beispiel, indem
                                                           son die Hand gibt. Fasst man sich dann noch ins       man nicht nur die täglichen Pflichten erfüllt, son-
                                                           Gesicht, sieht man, dass die Farbe auch zu Mund       dern gemeinsam etwas Schönes erlebt, um etwas
                                                           und Nase kommt und so in den Körper eindrin-          Belohnendes zu haben. Vielleicht auch die Kinder
                                                           gen kann. Solche einfachen Erklärungen zu fin-        für sich allein und die Eltern für sich allein. Oder
                                                           den, hilft vielleicht auch den Eltern sich klar zu    mal die Energie rauslassen, gemeinsam aktiv sein,
                                                           machen, wo die Gefahren entstehen.                    Dinge tun, für die sonst keine Zeit ist. Man kann
                                                              Wenn Kinder Angst haben, sollte man nicht          anderen etwas Gutes tun, älteren Menschen helfen,
                                                           darüber hinweggehen und sagen „Es ist alles in        oder den Großeltern, die nicht besucht werden dür-
                                                           Ordnung“. Es ist eben im Moment nicht alles in        fen, einen Gruß zuschicken. Wenn wir uns sinnvoll
                                                           Ordnung! Manche Kinder ziehen sich zurück,            beschäftigen, lässt sich aus dieser ungewöhnlichen
                                                           andere setzen ihre Angst in Frustration und           Zeit auch etwas Positives herausziehen.

                                                                                                                                                                                              9
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 TITEL

Recht im
Ausnahmezustand
Wie sich die Corona-Krise auf die Menschenrechte auswirkt

                         V
                   ✍                     iele Länder weltweit haben im
                                         Bemühen, die Ausbreitung des
                                                                              Regierungen, auch zum Teil in Europa, durch
                                                                              ihre Parlamente die Befugnis einräumen lassen,
              MATTHIAS
                                         Corona-Virus zu verlangsamen,        durch Regierungsdekrete zu handeln und so die
          ZIMMERMANN                     drastische Maßnahmen ergriffen.      parlamentarische Kontrolle der Regierung einzu-
                                         Einige davon, wie Ausgangssper-      schränken oder ganz außer Kraft zu setzen.
                         ren, schränkten sogar fundamentale Menschen-
                         rechte ein. Prof. Dr. Andreas Zimmermann, der
                                                                              Derzeit werden etliche Rechte beschränkt,
                         Direktor des Potsdamer MenschenRechtsZent-
                                                                              um ein anderes – das Recht auf Gesund-
                         rums (MRZ), und Prof. Dr. Norman Weiß, der seit
                                                                              heit – zu schützen. Ist das zulässig?
                         vielen Jahren am MRZ tätig ist, sprechen über die
                         Menschenrechte im Ausnahmezustand.                   Andreas Zimmermann: Gegenwärtig ist die Fra-
                                                                              ge mit Blick auf die Maßnahmen in Deutschland
                                                                              zu bejahen. Die Einschränkungen erfolgen auf
                         Derzeit ist weltweit kaum etwas noch so
                                                                              gesetzlicher Grundlage, dem Infektionsschutzge-
                         wie vor fünf Monaten. Gilt das auch für
                                                                              setz, und dienen dem Schutz der Gesundheit und
                         die Menschenrechte?
                                                                              des Lebens anderer, verfolgen also ein anerkann-
                         Andreas Zimmermann: Menschenrechte, wie sie          tes Gemeinwohlziel. Sie sind überdies auch ver-
                         durch das Grundgesetz, aber auch durch völker-       hältnismäßig, da die Einschränkungen Ausnah-
                         rechtliche Verträge wie der Europäischen Men-        men zulassen und nur befristet gelten.
                         schenrechtskonvention (EMRK) garantiert wer-
                         den, gelten nicht schrankenlos; sie enden dort, wo
 NORMAN                                                                       Was halten Sie noch für möglich, wenn
                         die Freiheit des Anderen beginnt. Darüber hinaus

                                                                                                                                    Illustration / Foto: © Töpfer, Andreas (o.); Hopfgarten, Tobias (2, u.)
 WEISS                                                                        die derzeitige Ausnahmesituation länger
                         sind sie in der Regel und bis auf bestimmte Kern-
                                                                              anhält?
                         garantien wie etwa das Folterverbot beschränkbar,
                         wenn dies aus übergeordneten Gemeinwohlinter-        Norman Weiß: Wie erwähnt ist bereits jetzt vieles
                         essen notwendig ist.                                 ohne Abgabe einer Notstandserklärung zulässig.
                                                                              Sollte sich die Lage, wovon eigentlich nicht auszu-
                                                                              gehen sein dürfte, weiter verschärfen, könnte man,
                         Amnesty International warnt, dass „die
                                                                              gegebenenfalls nach Abgabe einer Notstandserklä-
                         Corona-Krise auch eine Gefahr für die
                                                                              rung nach Art. 15 EMRK, an Einschränkungen der
                         Menschenrechte ist“. Stimmt das?
                                                                              Privatsphäre denken, um den Aufenthaltsort von
                         Norman Weiß: Die Gefahr besteht darin, dass          Personen etwa über deren Handy zu bestimmen,
                         Regierungen versucht sein können, die Pande-         oder an weitergehende Beschränkungen. Grund-
                         miesituation auszunutzen, um Einschränkungen         sätzlich möglich wären auch Freiheitsbeschrän-
                         von Grund- und Menschenrechten in Kraft zu           kungen infizierter Personen, so wie dies Art. 5
 ANDREAS
                         setzen, für die es sonst keine politischen Mehr-     EMRK bereits für die „Normallage“, also ohne vor-
 ZIMMERMANN
                         heiten gäbe. Zudem besteht die Gefahr, dass sich     herige Notstanderklärung, ermöglicht.

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                                                                                                                                                                                  TITEL

                                                                                  Den Rechtsstaat bewahren
                                                                                    Der Jurist Prof. Dr. Thorsten Ingo Schmidt über Freizügigkeit,
                                                                                                das Infektionsschutzgesetz und langfristige Folgen

                                                           D
                                                                            as Coronavirus bescherte den
                                                                            Bürgerinnen und Bürgern eine
                                                                                                                beschränkt werden. Dafür bedarf es aber immer
                                                                                                                einer parlamentsgesetzlichen Grundlage, die der
                                                                                                                                                                   ✍
                                                                                                                                                                   DR. JANA SCHOLZ
                                                                            lange Liste mit Verboten. Unter     Bundestag mit den Änderungen des Infektions-
                                                                            anderem durften sie nur aus         schutzgesetzes geschaffen hat. Solche weitrei-
                                                                            „triftigen Gründen“ das Haus        chenden Einschränkungen sind stets nur unter
                                                           verlassen, sich nur noch zu zweit treffen und        strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrund-
                                                           müssen untereinander einen Mindestabstand            satzes zulässig und müssen nach Beendigung der
                                                           einhalten. Prof. Dr. Thorsten Ingo Schmidt ist       Gefahr umgehend aufgehoben werden.
                                                           Professor für Öffentliches Recht, insbesondere
                                                           Staatsrecht, Verwaltungs- und Kommunalrecht
                                                                                                                Der Bund hat den Ländern und Kommu-
                                                           und erklärt, was es mit den Einschränkungen
                                                                                                                nen sehr viel Freiheit gelassen, wie sie
                                                           der Grundrechte auf sich hat – und ob diese hin-
                                                                                                                mit der Pandemie umgehen. Funktioniert
                                                           nehmbar sind.
                                                                                                                das aus Ihrer Sicht gut?
                                                                                                                Nach anfänglichen Schwierigkeiten scheint dies
                                                           In diesem Frühjahr haben wir in sehr
                                                                                                                ganz gut zu funktionieren. Die Länder koordinie-
                                                           kurzer Zeit große rechtliche Einschnitte
                                                                                                                ren sich untereinander und tauschen Erfahrun-
                                                           erlebt. Wie blicken Sie als Jurist auf diese
                                                                                                                gen aus. Wichtig ist, dass die Länder nicht aus
                                                           Entwicklungen?
                                                                                                                rein politischen Gründen in einen gegenseitigen
                                                           Grundrechte wurden in einem erheblichen Maße         Überbietungswettbewerb mit immer schärferen
                                                           eingeschränkt und binnen kürzester Zeit verwan-      Maßnahmen eintreten, wonach es eine Zeitlang
                                                           delte sich unser Gemeinwesen in einen Hygi-          aussah. Im Übrigen wäre es keineswegs ausge-
                                                           enestaat. Das ist einerseits sehr erschreckend,      macht, dass der Bund die Maßnahmen besser
                                                           andererseits zeigt es aber, dass auch eine Demo-     als die verwaltungserfahrenen Länder vollziehen
                                                           kratie angesichts einer solchen nie dagewesenen      könnte.
Illustration / Foto: © Töpfer, Andreas (o.); privat (u.)

                                                           Krise handlungsfähig ist. Jetzt geht es darum, den
                                                           demokratischen Rechtsstaat in und nach der Kri-
                                                                                                                Was erwartet uns nach Corona?
                                                           se zu bewahren.
                                                                                                                Zwar sieht die beschlossene Neufassung des
                                                                                                                Infektionsschutzgesetzes bereits Befristungen
                                                           Auf welcher juristischen Grundlage
                                                                                                                einzelner Regelungen vor, diese betreffen aber
                                                           konnten Grundrechte derart beschränkt
                                                                                                                nur einzelne Entschädigungsklauseln und erwei-
                                                           werden?
                                                                                                                terte Kompetenzen für medizinisches Hilfsper-
                                                           Grundrechte wie die Freizügigkeit gelten nicht       sonal. Die zentralen Vorschriften über die Fest-
                                                           schrankenlos, sondern können zum Schutz              stellung einer epidemischen Lage von nationaler
                                                           anderer Grundrechte, insbesondere der Rech-          Tragweite und die dann weiterreichenden Kompe-
                                                           te auf Leben und körperliche Unversehrtheit,         tenzen werden bleiben.

                                                                                                                                                                                       11
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 TITEL

Sport in Corona-Zeiten
Der Trainingswissenschaftler Urs Granacher über
die richtige Bewegung für jedermann, auch ohne Wettkampf,
Fitnessstudio oder Sportunterricht

                         D
                   ✍                      ie Maßnahmen zur Eindäm-
                                          mung der Corona-Pandemie
                                                                            Einschnitte besonders schmerzhaft sind und wel-
                                                                            ches Training trotzdem möglich ist – für Profis,
              MATTHIAS
                                          haben auch die Sportwelt zum      Freizeitsportler und Kinder!
          ZIMMERMANN                      Stillstand gebracht. Profiligen
                                          wurden unterbrochen, Großver-
                                                                            Die Corona-Pandemie beeinträchtigt
                         anstaltungen abgesagt oder verschoben – sogar
                                                                            Sportler aller Art hart. Sind Profisportler
                         die Olympischen Spiele 2020. Aber auch Frei-
                                                                            dennoch besonders betroffen? Sie dürfen
                         zeitsportler waren lange auf Sport in ihren vier
                                                                            ja nicht einfach pausieren …
                         Wänden beschränkt oder müssen sich mit einer
                         Runde Joggen im Park oder Radfahren begnü-         Ein unmittelbarer Abbruch des Trainings wäre
                         gen. Urs Granacher, Professor für Trainings- und   problematisch, da dies gesundheitliche Folgen
                         Bewegungswissenschaft, spricht darüber, wo die     für Athleten haben kann. Schwankungen in Trai-
                                                                            ningsumfang und -intensität sind jedoch nichts
                                                                            Außergewöhnliches im Laufe eines Trainingsjah-
                                                                            res. Das wird sogar bewusst angestrebt, um die
                                                                            sportliche Leistung über die Zeit zu entwickeln.

                                                                              Gleichzeitig ist ihr Training meist viel
                                                                                 aufwendiger. Wie können sie wei-
                                                                                    tertrainieren?
                                                                                        Über einen Zeitraum von zwei bis
                                                                                         drei Wochen kann der Fitness-
                                                                                          zustand auch mit geringeren
                                                                                          Umfängen, dafür aber mit hohen
                                                                                           Trainingsintensitäten erhalten
                                                                                           werden. Danach muss die Form
                                                                                           wieder neu aufgebaut werden.

                                                                                        Haben Trainer für Phasen, wo
                                                                                                                                 Illustration: © Töpfer, Andreas

                                                                                      Trainingspläne unterbrochen
                                                                                    werden müssen, einen Plan in der
                                                                                 Schublade oder fangen jetzt alle hek-
                                                                            tisch an umzuplanen?
                                                                            Das Trainingsjahr ist durch unterschiedliche Trai-
                                                                            ningsperioden gekennzeichnet, die in Abhängig-

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                                                                  keit von den Wettkämpfen bzw. Saisonhöhepunk-
                                                                  ten ein-, zwei- oder gar dreimal durchlaufen wer-
                                                                  den. Hintergrund ist, dass sportliche Höchstleis-
                                                                  tungen nur über einen kurzen Zeitraum hinweg
                                                                  erbracht werden können. Entsprechend wird das
                                                                  Trainingsjahr in allgemeine und spezifische Vorbe-
                                                                  reitungs-, Wettkampf- und Übergangsperioden ein-
                                                                  geteilt. Während der Übergangsperioden wird ganz
                                                                  bewusst die Form abgebaut, um sie nachfolgend
                                                                  wieder neu zu entwickeln. Für diese Übergangs-
                                                                  perioden haben die Trainer normalerweise Heim-
                                                                  trainingspläne erarbeitet, um eine Minimaldosis an
                                                                  Training zu gewährleisten. Die Trainer sind also gut
                                                                  vorbereitet und sollten nicht in Hektik verfallen.

                                                                  Ist die Sportwissenschaft in der gegen-
                                                                  wärtigen Situation gefragt – und auch in
                                                                  der Lage zu helfen?
                                                                  Von einem Kontaktverbot ist natürlich auch
                                                                                                                         Eine Gruppe, die bei solchen Diskussio-
                                                                  ganz stark die sportwissenschaftliche Forschung
                                                                                                                         nen schnell vergessen wird, sind Kinder.
                                                                  betroffen. Im Leistungs- und Spitzensport führen
                                                                                                                         Ihr Bewegungsdrang braucht jetzt natür-
                                                                  wir sehr häufig feldbasierte Messungen mit Ath-
                                                                                                                         lich ganz besondere Beachtung. Was kön-
                                                                  letengruppen durch, um den zeitlichen Aufwand
                                                                                                                         nen Eltern mit ihren Kindern tun?
                                                                  für Athleten und Trainer möglichst gering zu hal-
                                                                  ten. Das ist derzeit nicht möglich.                    Gerade für Kinder ist Bewegung ganz wichtig,
                                                                      Aktuell können wir Forschung z.B. über sys-        sowohl für die motorische als auch die kogniti-
                                                                  tematische Literaturanalysen realisieren. Dabei        ve Entwicklung. Ohne Sportunterricht geht ein
                                                                  werden bereits publizierte Originalarbeiten zu         wichtiger Bestandteil der wöchentlichen körperli-
                                                                  einem eingegrenzten Themengebiet ausgewertet           chen Aktivitätszeit verloren. Eltern sollten daher –
                                                                  und die Ergebnisse meta-analytisch aggregiert.         am besten fest in den Tagesablauf verankert – ein
                                                                  Hierbei sind wir aktuell sehr rege. In Bezug auf       Bewegungsprogramm mit ihren Kindern durch-
                                                                  die Covid-19-Situation schauen wir uns die vor-        führen.
                                                                  handene Evidenz zu den Wirkungen von heimba-               An der Professur für Trainings- und Bewe-
                                                                  siertem Training bei unterschiedlichen Zielgrup-       gungswissenschaft der Universität Potsdam haben
                                                                  pen an, um daraus konkrete Ableitungen für das         wir ein solches Programm zusammen mit unse-
                                                                  Training zu Hause zu treffen.                          ren Partnern der AOK Nordost, dem Ministerium
                                                                                                                         für Bildung, Jugend und Sport Land Brandenburg
                                                                                                                         sowie dem Landessportbund Brandenburg erarbei-
                                                                  Wie halten sich Freizeitsportler angesichts
                                                                                                                         tet. Es handelt sich dabei um das Programm mit
                                                                  der Einschränkungen am besten fit?
                                                                                                                         dem Titel „Henriettas bewegte Schule“. Die Wir-
Illustration / Foto: © Töpfer, Andreas (o.); Fritze, Karla (u.)

                                                                  Glücklicherweise haben viele Fitnessstudios auf        kungen des Programms wurden in der sogenann-
                                                                  Online-Angebote umgestellt. Darüber hinaus gibt        ten SMaRTER-Studie evaluiert. Das Programm             Gerade für Kinder
                                                                  es auch frei zugängliche, nach Zielgruppen geord-      ist auf Youtube verfügbar und kann einen kleinen
                                                                  nete Online-Angebote. Die Deutsche Gesellschaft        Beitrag für mehr Bewegung im Alltag von Kindern        ist Bewegung ganz
                                                                  für Sportmedizin (DGSP) liefert hier eine schöne       und Eltern in der Corona-Krise leisten.                wichtig.
                                                                  Übersicht.
                                                                      Wer gerne selber tätig werden möchte, kann
                                                                  auch ein Krafttraining in den eigenen vier Wän-
                                                                  den durchführen. 10 bis 15 Minuten pro Tag sind
                                                                  bereits effektiv. Übungen mit Kleinmaterialien,
                                                                  wie z.B. Pezzi-Bällen oder Thera-Bändern, oder
                                                                                                                         „Henriettas bewegte Schule“:
                                                                  einfach nur mit der eigenen Körpermasse lassen
                                                                  sich in jedem Wohnzimmer umsetzen.                          https://www.youtube.com/watch?v=zoy_rCYgWmI

                                                                                                                                                                                                    13
Portal | Spezial 2020

 TITEL

„Wir sollten die Schwächsten
am besten schützen“
Wie die Corona-Pandemie unsere Gesellschaft beeinflusst
und wie sie diese verändern sollte

                   ✍
                         M
                                               an könnte meinen, Gesund-
                                               heitskrisen wie die Corona-
     DR. JANA SCHOLZ &                         Pandemie machten vor
              MATTHIAS                         niemandem halt. Doch die
          ZIMMERMANN                           existenzielle    Bedrohung
                         durch Jobverlust und finanzielle Einbußen, aber
                         auch die Belastungen durch Kinderbetreuung
                         und Einsamkeit trifft manche Menschen sehr
                         viel härter als andere. Prof. Dr. Roland Verwiebe,
                         Professor für Sozialstrukturanalyse und sozia-
                         le Ungleichheit, und der Politikwissenschaftler
                         Prof. Dr. Fabian Schuppert sprechen über die
                         Auswirkungen für Menschen, die sozial schlech-
                         ter dastehen, und die Frage, was sich aus der Kri-
                                                                              Trifft die Krise also die Schwächsten am
                         se lernen lässt.
                                                                              stärksten?
                                                                              Schuppert: Ja, das ist ein Riesenproblem. Vor
                         Wer ist von der Krise aus gesellschaftli-
                                                                              allem, weil wir es anscheinend nicht gut schaf-
                         cher Perspektive besonders betroffen?
                                                                              fen, die Schwächsten in der Gesellschaft adäquat
                         Verwiebe: Das sind verschiedene Gruppen. Dazu        zu schützen. Wir schützen vielleicht die, die am
                         zählen Familien mit Kindern, im Besonderen           anfälligsten sind für das Virus, aber nicht jene,
                         Alleinerziehende. Letztere können die Betreu-        die durch die damit einhergehende Krise kalt
                         ung von Kindern und gleichzeitiges Arbeiten          erwischt werden. Das lässt sich beispielsweise
                         nicht oder nur sehr schwer schaffen. Es trifft       an den Maßnahmen erkennen, die auf den Weg
                         aber besonders auch alte Menschen in den Hei-        gebracht wurden. Dort hieß es gleich als Erstes:
                         men und zu Hause, die schon jetzt und in den         Wir unterstützen die Unternehmen, es gibt Kredi-
                         kommenden Wochen und Monaten wenig oder              te bis zum geht nicht mehr. Über wen wurde nicht
                         gar keinen sozialen Kontakt mit ihren Familien       gesprochen: Arbeitnehmer, Selbstständige, prekär
                         haben werden. Das ist extrem schwer für diese        Beschäftigte. Die hatten keine Priorität. Das ist
                         Menschen, denn die Gesundheit der Hochalt-           ein Problem der Solidargemeinschaft. Das gab –
                                                                                                                                     Illustration: © Töpfer, Andreas

                         rigen hängt in sehr großem Maße von sozialen         zurecht – Gegenwind und zum Glück wurde an
                         Interaktionen ab. Außerdem sind kleine Unter-        dieser Stelle nachgebessert. Ob das konkret aber
                         nehmen und Selbstständige durch die Bank weg         ausreichen wird, muss man sehen. Da bin ich ehr-
                         in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Aber     lich gesagt eher skeptisch. Vielen, die nicht sicht-
                         auch größere Unternehmen werden schnell in           bar sind, wird nicht im gleichen Maße geholfen.
                         Schieflage geraten können, weil Lieferketten und     Wie bei der Finanzkrise 2008. Daraus zu lernen,
                         Absatzmärkte zusammenbrechen.                        es besser zu machen, muss unser Anspruch sein.

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                                                                                           Wie geht es jetzt weiter?
                                                                                                                                                 zester Zeit Millionen Menschen arbeitslos wur-
                                                                                           Verwiebe: Die Situation der sozial Schwachen          den. Gleichzeitig wurden in dieser Phase auch
                                                                                           wird sich ggf. weiter verschlechtern, denken Sie      sehr viele Lebensbereiche völlig neu organisiert.
                                                                                           an Obdachlose, Hartz-IV-Empfänger, Geflüchtete        Dies betraf die Verwaltung, den öffentlichen Nah-
                                                                                           usw. Besonders problematisch finde ich die Situ-      verkehr, die Frage, was Menschen wie konsumie-
                                                                                           ation der berufstätigen Alleinerziehenden. Der        ren, bis hin zu dem Verhältnis der Generationen
                                                                                           Wegfall der Schulen und Kinderbetreuung trifft        untereinander und wie Familien in Krisenzeiten
                                                                                           diese sehr hart. Diese Gruppe sollte man speziell     funktionieren können und müssen. All das fin-
                                                                                           unterstützen – finanziell und sozial, durch Sozial-   den wir aktuell wieder. Vielleicht hilft es Deutsch-
                                                                                           arbeiterinnen und -arbeiter, aber auch Nachbarn,      land auch, dass wir den Transformationsschock
                                                                                           Freunde und Bekannte können helfen. Der Staat         der 1990er Jahre noch erinnern können. Momen-          ROLAND
                                                                                           kann nicht alles leisten. Die Menschen sind in der    tan wird zum Beispiel viel massiver die Wirtschaft     VERWIEBE
                                                                                           aktuellen Situation auch aufgefordert, sich gegen-    unterstützt, als das damals der Fall war. Aber der
                                                                                           seitig zu unterstützen.                               Auslöser ist natürlich ein ganz anderer – jetzt ist
                                                                                                                                                 es eine globale Gesundheitskrise und damals war
                                                                                                                                                 es der Zusammenbruch der SED-Herrschaft.
                                                                                           Was ließe sich besser machen?
                                                                                           Schuppert: Es gilt dafür zu sorgen, dass die Mit-
                                                                                                                                                 Werden die Krise und ihre Folgen
                                                                                           tel bei denen ankommen, die sie unbedingt brau-
                                                                                                                                                 Ungleichheiten verstärken oder sehen Sie
                                                                                           chen. Jetzt allen Unternehmen Steuervorauszah-
                                                                                                                                                 auch Chancen auf positive Veränderungen?
                                                                                           lungen zu stunden, bringt nichts. Es stehen nicht
                                                                                           alle Unternehmen ohne Rücklagen da; gleichzeitig      Schuppert: Der Optimist in mir würde gern sagen,
                                                                                           gibt es unglaublich viele kleine und mittelständi-    dass diese Krise auch dazu führt, dass sich etwas
                                                                                           sche Unternehmen, denen es richtig dreckig geht.      ändert. Aber ich glaube es nicht. Die Chance, dass
                                                                                                                                                                                                        FABIAN
                                                                                           Da müssen wir einen Weg finden gegenzusteu-           sich etwas ändert, war meines Erachtens bei der
                                                                                                                                                                                                        SCHUPPERT
                                                                                           ern. Und das ist eine Frage des politischen Wil-      Finanzkrise größer. Damals konnte alle Welt sehen,
                                                                                           lens, nicht der Machbarkeit. Es ist nicht so, dass    wie schädlich die Sparpolitik der Austerität war,
                                                                                           wir da keinerlei Mittel haben. Zumindest kurzzei-     wie katastrophal der Umgang der Europäischen
                                                                                           tig könnte man Menschen, die es brauchen, eine        Union mit den südeuropäischen Staaten wie Grie-
                                                                                           Grundsicherung bereitstellen – also ihnen unbü-       chenland und Spanien. Wenn das kein Umdenken
                                                                                           rokratisch helfen und sie auffangen. Man muss         erreicht hat, kann ich mir kaum vorstellen, dass die
                                                                                           die Menschen sehen, die hinter den Unterneh-          derzeitige Krise viel ändert. Außerdem wird, je län-
                                                                                           men stehen. Diesen ist der Staat verpflichtet!        ger die Pandemie dauert, der Fokus nicht auf den
                                                                                                                                                 Ungleichheiten liegen, die mit Krise und bestehen-
                                                                                           Verwiebe: Die aktuelle Krise erinnert mich per-
Illustration / Foto: © Töpfer, Andreas (u.); Hopfgarten, Tobias (M.); Neutzer, Kaya (o.)

                                                                                                                                                 den Ungleichheiten zusammenhängen, sondern
                                                                                           sönlich an die Zeit kurz vor und nach der Wie-                              eher auf den Kranken und
                                                                                           dervereinigung, in der in Ostdeutschland und in                                      der wirtschaftlichen
                                                                                           den osteuropäischen Staaten innerhalb kür-                                               Gesamtlage.

                                                                                                                                                                                                                           15
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 TITEL

„Mich begeistert die
Offenheit, mit der digitale
Medien ausprobiert werden“
Informatikerin Ulrike Lucke über die Möglichkeiten des E-Learning

                         S
                   ✍                   eit Mitte März sind Bildungseinrich-
                                       tungen geschlossen, Schüler und
                                                                              oder den Buchwissenschaften – schon seit Jahren
                                                                              ganz selbstverständlich digitale Datenformate
              MATTHIAS
                                       Studierende zu Hause. Quasi über       und Werkzeuge an. Der bislang fehlende Mut,
          ZIMMERMANN                   Nacht muss jetzt funktionieren, was    diese Methoden auch auf die Lehre zu übertragen,
                                       vielerorts erst in den Kinderschuhen   scheint nun zu wachsen.
                         steckt: digitales Lernen. Ulrike Lucke ist Profes-
                         sorin für Komplexe Multimediale Anwendungsar-
                                                                              Was klappt noch nicht so gut?
                         chitekturen und seit Jahren im E-Learning enga-
                         giert. Sie spricht über Versäumnisse der Vergan-     Mich erschreckt ein wenig der bei vielen Arbeits-
                         genheit, Herausforderungen der Gegenwart und         gruppen reflexhafte Griff in die eigene Kasse, um
                         Chancen für die Zukunft.                             eigene Online-Plattformen aufzubauen. Nicht
                                                                              nur fehlen diese Mittel später in der Gruppe und
                                                                              für den Aufbau leistungsfähiger zentraler Diens-
                         Seit Wochen lernen Schüler, aber auch
                                                                              te, es wird auch wertvolle Techniker-Kapazität
                         Studierende von zu Hause. Soweit Sie
                                                                              unnötig gebunden. Viel schwerer haben es man-
                         das selbst vom Homeoffice aus beurteilen
                                                                              che Schulen, in denen es bislang keine Online-
                         können: Funktioniert die Totalumstellung
                                                                              Angebote gab. Wenn da von oben nichts kommt
                         auf digitales und Online-Lernen?
                                                                              und die einzelnen Lehrerinnen und Lehrer auf
                         Wie jede radikale Veränderung birgt auch die         sich gestellt sind, wird es schwer.
                         derzeit in aller Eile erfolgende Umstellung auf
                         mediengestützte Lehre ihre Tücken. Ich beob-
                                                                              Wie unterscheidet sich das E-Learning
                         achte viele spannende Ideen und Entwicklungen,
                                                                              von herkömmlichen Lernmethoden, und
                         schüttle aber auch bisweilen den Kopf, wenn ver-
                                                                              welche Herausforderungen kommen
                         meidbare Fehler begangen werden.
                                                                              dabei auf die Lehrkräfte zu?
                                                                              Zunächst einmal fallen die andersartigen Ressour-
                         Was überrascht sie an der zwangsweise
                                                                              cen auf, die zum Einsatz kommen: Hardware und
                         spontanen E-Learning-Wende positiv?
                                                                                                                                    Foto: © Kaczynski, Ernst

                                                                              Software. Auch Zeit ist eine Ressource, die schnell
                         Mich begeistert die Offenheit, mit der ringsum       aus dem Blick gerät. Im Klassenraum ist alles ein-
                         digitale Medien ausprobiert werden; ob in der        gespielt: Es gibt einen Stundenplan, der uns sagt,
                         Schule oder an der Uni, für das Lernen oder die      wann wir wo sein sollen. Eine Schulklingel, die uns
                         Arbeit. In der Forschung wenden wir – mit weni-      ermahnt, falls wir in Verzug kommen. Und ein
                         gen Ausnahmen in den experimentellen Fächern         breites Materiallager im Klassenraum für all die

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                                  dort zu erledigenden Aufgaben. So gut ausgestat-        Rechenaufgaben zu lösen. Mit der Vereinfachung
                                  tet sind wir in der heimischen ­Arbeitsumgebung         von Werkzeugen zur Medienproduktion kamen
                                  nicht. Wir sitzen allein vor dem Rechner, schnell       zunehmend auch gestalterische Aufgaben hinzu,
                                  stellt sich ein Gefühl von Alleinsein ein, wir ver-     die höhere Kompetenzlevel abdecken. Ein Schwer-
                                  missen Hilfe und Zuversicht. Das begünstigt             punkt liegt derzeit auf der mediengestützten Leis-
                                  Motivationsprobleme und somit Leistungsabfall.          tungserfassung, dem sogenannten E-Assessment.        Im Online-Lernen
                                  Es erfordert von den Lehrkräften eine genaue-           Bei all diesen Entwicklungen ist immer wieder        müssen soziale
                                  re Planung; sie müssen das Geschehen vorweg             die Herausforderung, die große Erfahrung und         Komponenten
                                  ahnen, können kaum improvisieren. Im Online-            das unbewusste Handeln von Lehrkräften digi-
                                  Lernen fehlen soziale Komponenten zunächst, das         tal abzubilden. Schwierig ist z.B., eine gerechte    bewusst nachgebildet
                                  heißt, sie müssen bewusst nachgebildet werden.          und dennoch motivierende Notenvergabe unter          werden.
                                                                                          Berücksichtigung individueller Besonderheiten.
                                                                                          Der Computer ist hier akkurat, aber gnadenlos –
                                  Ist die Krise für die Entwicklung des
                                                                                          er drückt kein Auge zu.
                                  E-Learning ein echter Beschleuniger?
                                  Ich gehe fest davon aus, dass wir nach der Pande-
                                                                                          Wo gibt es noch am meisten zu tun?
                                  mie wieder mit neuer Freude in Präsenz mitein-
                                  ander lehren und lernen werden. Doch bis dahin          Ich möchte drei Handlungsfelder herausgreifen.
                                  werden wir – und viele von uns zum ersten Mal           Für Studierende ist das Gebot der Stunde, nicht
                                  so intensiv – Erfahrungen mit digitalen Medien          nur eine taugliche Arbeitsumgebung, sondern
                                  sammeln können. Darauf können wir aufbauen,             auch ein realistisches Bild der eigenen Digital-
                                  um künftig noch gezielter unsere Lehr- und Lern-        kompetenz aufzubauen; hier begegnet mir noch
                                  prozesse mit digitalen Medien zu unterstützen.          allzu oft eine deutliche Selbstüberschätzung. Für
                                  Denn Digitalisierung kann nicht das Ziel, sondern       die Lehrerbildung ist es nun dringend geboten,
                                  bestenfalls ein Mittel sein. Digitale Medien sind bei   Medienbildung systematisch im Studium und in
                                  Weitem nicht der einzig wahre Weg zu guter Lehre.       der Weiterbildung zu verankern; hier können wir
Illustration: © Töpfer, Andreas

                                                                                          uns keinen weiteren Verzug leisten. Und nicht
                                                                                          zuletzt wünsche ich mir ein gestiegenes Bewusst-
                                  Welche Bildungstechnologien bestehen
                                                                                          sein in der Politik dafür, dass E-Learning kein
                                  bereits? An welchen wird geforscht?
                                                                                          Mittel ist, um Investitionen in die Bildung einzu-
                                  Es gibt seit Jahrzehnten interaktive Lernsysteme.       sparen, sondern vielmehr ein Mittel, um – richtig
                                  Anfangs lagen die Schwerpunkte auf der Abfra-           umgesetzt – die Qualität von Bildung zu erhöhen.
                                  ge von Wissen, z.B. um Vokabeln zu lernen oder          Und das kostet.

                                                                                                                                                                   17
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TITEL

Ein Test der
Wandlungsfähigkeit
Der Wirtschaftsinformatiker Norbert Gronau über
die Digitalisierung im Schnelldurchlauf

                         S
                   ✍                   eit Mitte März war das öffentliche
                                       Leben, aber auch die wirtschaftli-
                                                                                Arbeitsmittel sind, keine Probleme mit der Band-
                                                                                breite.
              MATTHIAS
                                       che Tätigkeit in Deutschland stark
          ZIMMERMANN                   eingeschränkt. Was jetzt nicht digi-
                                                                                Wo sehen Sie am meisten Nachholbe-
                                       tal und online funktionierte, stand
                                                                                darf?
                         still. Norbert Gronau ist spezialisiert auf Prozesse
                         und Systeme, vor allem im Bereich Industrie 4.0.       Wir sind als Wirtschaftsinformatik-Lehrstuhl sehr
                         Der Professor für Wirtschaftsinformatik erklärt,       gut aufgestellt, was unsere Online-Werkzeuge für
                         wo die Wirtschaftswelt im Sog der Corona-Krise         die verteilte Zusammenarbeit betrifft. Jetzt zeigt
                         zwangsdigitalisiert wurde und wo sie wohltuend         sich auch, dass veraltete Papierabläufe, z.B. mit
                         analog bleiben sollte.                                 mehreren Originalunterschriften, überhaupt nicht
                                                                                mehr funktionieren. Lösungen dafür gibt es seit
                                                                                15 Jahren für Organisationen aller Größen, aber
                         Ist die Corona-Krise ein schmerzhafter
                                                                                bisher war bei einigen Verantwortlichen die Ein-
                         Schnelltest dafür, wie digital die Welt
                                                                                stellung dazu eher negativ. Hier muss – um die
                         (schon) ist?
                                                                                Abläufe später dauerhaft zu verbessern – dringend
                         Ja. Auch wenn es eine gewisse Anlaufphase gab, in      Abhilfe geschaffen werden. Dazu gehört auch das
                         der die persönlichen Kontaktmöglichkeiten lang-        kleine Einmaleins der IT-Sicherheit. Wer z.B. weiß,
                         sam eingeschränkt wurden. So fällt jetzt gnaden-       dass die Absenderadressen von E-Mails beliebig
                         los auf, wer problemlos auf Homeoffice umstei-         gefälscht werden können, beharrt nicht darauf. Fax
                         gen kann und wer nicht. Leider gibt es nach wie        ist übrigens relativ sicher, E-Mail über VPN mit
                         vor Organisationen, die ihren Mitarbeitern bisher      Verschlüsselung auch, wie mein Lehrstuhl es seit
                         die Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten, nur ein-        vielen Jahren mit HCL Domino praktiziert.
                         geschränkt zur Verfügung gestellt haben. Auch                                                                Illustration / Foto: © Töpfer, Andreas (o.); Fritze, Karla (u.)

                         haben, z.B. im öffentlichen Sektor, überhaupt
                                                                                Lässt sich schon sagen, welche Wirt-
                         nicht alle Mitarbeiter der Verwaltung ein Note-
                                                                                schaftsbereiche, die nicht wie die Veran-
                         book.
                                                                                staltungsbranche und die Gastronomie
                                                                                auf Publikumsverkehr angewiesen sind,
                         Was klappt gut?                                        in Sachen Digitalisierung gut aufgestellt
                                                                                sind – und welche nicht?
                         Die Infrastrukturen funktionieren nach wie vor
                         bestens, sei es Strom, Gas oder Wasser, aber auch      Zellstoffwerke, wäre meine spontane Antwort.
                         Post und Telekommunikation. Meine Zeitungen            Spaß beiseite, alle Anbieter digitaler Lösungen
                         liegen jeden Morgen im Briefkasten und mein            profitieren jetzt, teilweise sehr stark. Unterneh-
                         Bäcker hat auch geöffnet – wenngleich ohne             men, die auf physisches Zusammentreffen von
                         Café. Zum Glück haben wir auch in den meisten          Menschen angewiesen sind, verlieren gegenwär-
                         Videokonferenzen, die jetzt das vorherrschende         tig fast alles.

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                                  Plötzlich gibt es massenhaft Telefonkon-
                                  ferenzen statt Manager, die in Jets um
                                  die Welt düsen, Mails statt Geschäftses-
                                  sen, Mobile Office statt Großraumbüros,
                                  Heimarbeit statt Millionen von Pend-
                                  lern – offenbart die Krise, was die Wirt-
                                  schaft eigentlich gar nicht braucht?
                                  Unsere Forschung hat gezeigt, dass Wissensaus-
                                  tausch sehr oft über Sozialisierung erfolgt. Das
                                  kann am Wasserspender oder an der Kaffeema-
                                  schine erfolgen, aber nicht über Videokonferen-
                                  zen. Zudem leiden alle kreativen und wissensin-
                                  tensiven Prozesse sehr stark. Diese sind nicht voll-
                                  ständig durch Online-Meetings ersetzbar. Zudem
                                  vermisse ich die Reisezeit zwischen Terminen,
                                  um ein wenig „die Batterien wieder aufzuladen“.
                                  Im Home Office folgt eine Videokonferenz der
                                  anderen, ohne Pause zum Luftholen. Diese Pau-
                                  sen sind aber unbedingt notwendig!

                                  Überall werden jetzt fieberhaft digita-
                                  le Prozesse geschaffen, um die Wirt-
                                  schaftstätigkeit aufrechterhalten zu kön-
                                  nen. Wird die Krise auf diese Weise zum
                                  Starthelfer der Digitalisierung?
                                  Ja, das kann man genau so sehen. Überall wird
                                  jetzt überprüft, wo auf bisherige analoge Abläufe
                                  verzichtet werden kann.

                                  Was kann die Forschung in dieser Situati-
                                  on beitragen?
                                  Wir forschen sehr intensiv daran, wie wir die Wei-
                                  terbildung jetzt noch individueller machen kön-
                                  nen, wie wir Bedarfe besser erkennen, die Lern-
                                  zielorientierung erhöhen und das Lernen zuhau-
                                  se noch prozessnäher machen können.

                                  In welchen Bereichen wird die Corona-
                                  Pandemie unsere Wirtschaft dauerhaft
                                  verändern?
                                  Die gegenwärtige Krise ist ein Test dafür, wie
Illustration: © Töpfer, Andreas

                                  wandlungsfähig unsere Organisationen und
                                  Unternehmen sind. Diejenigen, die sich selbst
                                  schnell und effizient anpassen können, werden
                                  gestärkt aus dieser Pandemie hervorgehen. Ande-
                                  re Akteure, die sich darauf verlassen haben, dass
                                  bisher immer alles gut gegangen sei, werden
                                  möglicherweise vom Markt verschwinden.

                                                                                                           19
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TITEL

Auf einmal digital
Warum Deutschland seine Verwaltung jetzt neu erfindet

                         D
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                   ✍                       ie Corona-Pandemie hat von
                                           einem Tag auf den anderen das
                                                                              liche und öffentliche Leben Europas zu
                                                                              großen Teilen zum Erliegen gebracht.
              MATTHIAS
                                           öffentliche Leben in einen Dorn-
          ZIMMERMANN                                                          Auch die Verwaltung?
                                           röschenschlaf versetzt. Dabei
                                           muss – hinter den Kulissen –       Ich denke, in einigen Bereichen kann sie flexibel
                         eigentlich sogar noch viel mehr funktionieren        agieren und ins Homeoffice wechseln. Aber das
                         als bislang. In der Verwaltung etwa. Damit die       hat Grenzen. Zum einen fehlt es an der techni-
                         auch hier geltenden Hygienevorschriften und          schen Ausrüstung. Andere Aufgaben können von
                         Abstandsregeln eingehalten werden können, ver-       den Verwaltungsmitarbeitern gar nicht im Home-
                         suchen sich Verwaltungs- und andere staatliche       office erledigt werden, auch rechtlich. Da gibt es
                         Behörden im digitalen Kaltstart. Die Verwaltungs-    Barrieren, die in den vergangenen Jahren nicht
                         wissenschaftlerin Prof. Dr. Sabine Kuhlmann          abgebaut wurden, und nun ist man darauf nicht
                         spricht darüber, wie gut Deutschland auf diese       vorbereitet.
                         Digitalisierung im Schnelldurchlauf vorbereitet
                         ist – und ob sie gelingt.
                                                                              Alle Welt versucht derzeit, so viele
                                                                              Arbeitsprozesse wie möglich zu digita-
                                                                              lisieren und ins Internet zu verlagern.
                                                                              Trifft das auch auf die Verwaltung zu?
                                                                              Man bemüht sich tatsächlich – an vielen Stellen,
                                                                              nicht zuletzt in der Verwaltung der Universität
                                                                              Potsdam. Es ist absolut erstaunlich, wie pragma-
                                                                              tisch und flexibel die Verwaltung plötzlich in der
                                                                              Krise mit digitalen Lösungen umgeht, auch sol-
                                                                              chen, die vor der Corona-Zeit als nicht möglich
                                                                              und nicht rechtsfest galten. Jetzt nimmt man sich
                                                                              diese Flexibilität, wohl wissend, dass sonst vieles
                                                                              zusammenbricht. Das sollte uns zu denken geben.
                                                                              Wir sollten es als Gelegenheitsfenster betrachten
                                                                              und nach dem Ende der Krise zurückschauen und
                                                                                                                                    Illustration: © Töpfer, Andreas

                                                                              die Rahmenbedingungen ändern – weil es geht!

                                                                              Wie gut arbeiten die deutschen Verwal-
                                                                              tungen im Ausnahmezustand?
                                                                              Ich habe nicht den Eindruck, dass alles chaotisch
                                                                              läuft. Natürlich gibt es Bereiche, die überlastet

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                                                                  sind. Gesundheitsämter, Jobcenter, Wirtschafts-
                                                                  förderung. Aber es ist auch gut, zu sehen, wo es
                                                                  Bedarfe gibt und wo wir was vorhalten müssen,
                                                                  etwa in der Pflege, im Risiko- und Katastrophen-
                                                                  management, in bestimmten Präventionsberei-
                                                                  chen. Langfristig sollten daraus entsprechende
                                                                  Lehren gezogen werden.

                                                                  Wo sehen Sie bei der Digitalisierung
                                                                  Nachholbedarf?
                                                                  Zum einen müssen wir dort anfangen, wo Verwal-
                                                                  tung Millionen von Bürger erreicht: Bürgeräm-
                                                                  ter, Standesamtswesen, Kindergeld, Elterngeld,
                                                                  Bafög, Kfz-Stellen, Baugenehmigungen, Jobcen-
                                                                  ter usw. Dort sollte es eine medienbruchfreie
                                                                  Abwicklung geben. Das Onlinezugangsgesetz
                                                                  (OZG) schreibt ja schon bis Ende 2022 die Digita-
                                                                  lisierung der 575 wichtigsten Verwaltungsleistun-
                                                                  gen vor. Die Frage ist, ob das bis dahin zu schaffen
                                                                  ist. Zum anderen muss sich dort etwas tun, wo
                                                                  Verwaltung intern kommuniziert, etwa in Sachen
                                                                  Datenaustausch.
                                                                                                                           immer angemessen ist, mag man hinterfragen,
                                                                                                                           da auch das dezentrale Management gar nicht
                                                                  Was hat Sie positiv überrascht?
                                                                                                                           so schlecht funktioniert. Aber die Frage der Auf-
                                                                  Das flexible Handeln und die Kreativität, aber           gabenverteilung zwischen Ebenen und Verwal-
                                                                  auch der Mut, wenn es darum ging, Probleme               tungsbereichen, gerade in Krisenzeiten und im
                                                                  zu lösen – auch unter Nutzung von Grauzonen              Zusammenhang mit der Digitalisierung, wird an        Es ist erstaunlich,
                                                                  des Rechts. Das zeigt, dass in den Verwaltungen          Bedeutung gewinnen.                                  wie pragmatisch die
                                                                  durchaus kreative Köpfe sitzen, die keineswegs                                                                Verwaltung in der
                                                                  behäbig sind, sondern Lösungen finden wollen.
                                                                                                                           Kann die Verwaltungswissenschaft dabei               Krise mit digitalen
                                                                                                                           helfen, diese Veränderungen aktiv zu                 Lösungen umgeht.
                                                                  Wie steht Deutschland in Sachen digitaler                begleiten?
                                                                  Verwaltung im weltweiten Vergleich da?                   Man sieht derzeit täglich, wie wichtig die Wis-
                                                                  Die Ausgangslage ist eher schlecht. Das zeigen           senschaft ist. „Die Virologen regieren“, hieß es
                                                                  die Indizes, in denen sich Deutschland im letz-          im Spiegel. Das wird auch in anderen Diszipli-
                                                                  ten Drittel wiederfindet. Immerhin ging es im            nen eine Rolle spielen. Im Zusammenhang mit
                                                                  vergangenen Jahr leicht aufwärts. Doch leider            der Lockdown-Problematik sind zunehmend
                                                                  hat sich gleichzeitig der Abstand zu den anderen         Sozialpsychologen, Pädagogen, Juristen zu Wort
Illustration / Foto: © Töpfer, Andreas (o.); Fritze, Karla (u.)

                                                                  europäischen Ländern vergrößert. Das bedeutet:           gekommen. In der Verwaltungswissenschaft gibt
                                                                  Deutschland kommt voran, aber die anderen sind           es inzwischen internationale Initiativen, die sich
                                                                  noch schneller.                                          mit dem Krisenmanagement in verschiedenen
                                                                                                                           Ländern befassen und welche Lehren man für die
                                                                                                                           Zukunft – auch im Ländervergleich – daraus zie-
                                                                  Wird die Krise auch das Arbeiten der Ver-
                                                                                                                           hen kann. Da geht es um Fragen der Kompetenz-
                                                                  waltung nachhaltig verändern?
                                                                                                                           verteilung, der Maßnahmenauswahl in der Krise,
                                                                  Ja, ich bin mir recht sicher, dass es in vielen Berei-   der Kapazitäten und Resilienz von Verwaltungen,
                                                                  chen Verschiebungen geben wird. Wie sehr, wird           der Wissensnutzung bei Politikentscheidungen,
                                                                  sich erst noch zeigen. Es gibt schon jetzt einen         aber auch um die Rolle von Medien. Ich denke,
                                                                  Ruf nach Zentralisierung, etwa im Katastro-              dass wir dazu beitragen können, die Evidenzba-
                                                                  phenmanagement und Gesundheitsschutz; siehe              sis von Politik- und Verwaltungsentscheidungen
                                                                  Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Ob das            gerade in Krisenzeiten zu verbessern.

                                                                                                                                                                                                     21
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