Mainzer Kontaktstudium Geographie 19 - Geographien der Gewalt: Die USA am Wendepunkt - Geographische Perspektiven - Johannes Gutenberg ...
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Mainzer Kontaktstudium Geographie 19 Geographien der Gewalt: Die USA am Wendepunkt – Geographische Perspektiven Mit 125 Abbildungen, 10 Karten und 39 Tabellen Herausgegeben von Volker Wilhelmi, Elmar Theveßen und Florian Pfeil Geographisches Institut Johannes Gutenberg-Universität Mainz Mainz 2021
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Wilhelmi, V., E. Theveßen und F. Pfeil (Hrsg.): Geographien der Gewalt: Die USA am Wen- depunkt – Geographische Perspektiven. Beiträge von: Becker, Johanna; Dorst Alonso, Claudia; Escher, Anton J.; Gödecke, Elisa- beth-Carolin; Karner, Marie Johanna; Keßler, Viola; Lehr, Janina Vera; Massold, Angelina; Ölke, Melanie; Pfeil, Florian; Schmidt, Christoph; Schmidt, Katharina; Theveßen, Elmar; Villain, Nele; Wilhelmi, Volker; Zimmermann, Julie / Hrsg. von Volker Wilhelmi, Elmar Theveßen und Florian Pfeil Mainz: Geographisches Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 2021 (Mainzer Kontaktstudium Geographie; 19) ISBN: 978-3-88250-314-2 © 2021 Redaktion: Volker Wilhelmi, Alica Nicole Tonkowski, Lisa-Kathrin Wienzkowski Satz/Layout/Gestaltung: Alica Nicole Tonkowski, Lisa-Kathrin Wienzkowski Lektorat: Alica Nicole Tonkowski, Lisa-Kathrin Wienzkowski Druck: Zentraldruckerei der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Inhaltsverzeichnis VOLKER WILHELMI Vorwort ………………………………………………………………………………………...……... 1 Basisbausteine VOLKER WILHELMI Geographien der Gewalt konkret: Die USA am Scheideweg 2020/21 Politische Bildung mit geographischem Fokus …………………………………………...……………. 3 ELMAR THEVEßEN Der Januar 2021 …………………………………………………….……………..………..…..…… 17 ELMAR THEVEßEN American Voices – Amerika am Abgrund des Autoritarismus …………...……..…………..…… 23 FLORIAN PFEIL „I’ve Seen The Promised Land.” Black Lives Matter und das Erbe der US-Bürgerrechtsbewegung ………………………………..…. 34 ANTON J. ESCHER „We are still here!“ American Indians, Indian Tribes und Indian Nations in den USA. ………… 47 MARIE JOHANNA KARNER “One Nation Under God“ – Die Bedeutung und Veränderung von Ethnic Churches in der US- amerikanischen Gesellschaft…………………………………..……………………………...…..… 72 Unterrichtsbausteine VIOLA KEßLER United States of Fear – die politische Instrumentalisierung der Angst anhand Trumps Flüchtlings- politik ……………………………..………………………………………………………………….. 98 NELE VILLAIN Gewollt – Geduldet – Überwunden?! Der Rassismus in den USA als Spiegel seiner Zeit …………………………..………………………. 109 ELISABETH-CAROLIN GÖDECKE Bibeltreue Supermacht?! – Religiöse Wertvorstellungen als Einflussfaktoren auf soziale und po- litische Entwicklungen …………………………………………………………..……………...…. 119 ANGELINA MASSOLD Verschwörungstheorien – Der Sturm auf das Kapitol am 06.01.2021 …………………..…....…. 129 KATHARINA SCHMIDT Wirtschaftskrieg USA – EU: Wie du mir, so ich dir Die Auswirkungen eines Handelsstreits im Zeitalter der Globalisierung am Beispiel des Wirtschafts- krieges USA – EU …………………………..…………………………………………………..…… 141 MELANIE ÖLKE Corona und Globalisierung…………………………………...………………………...…………. 153 JOHANNA BECKER Die Macht der Sprache – wozu Sprache im geopolitischen Kontext fähig ist … …...................... 164 V
JANINA VERA LEHR Manipulierte Videos – Wie gefährlich sind Deep Fakes? Ausarbeitung einer Unterrichtsstunde für die Sekundarstufe II ……………………..………….…… 174 CLAUDIA DORST ALONSO Sozial Media als Nachrichtenquelle Am Beispiel der USA ………………………....…………………………………………………….. 183 CHRISTOPH SCHMIDT Die Reportage als Spiegel einer Gesellschaft? ………………………………...………….………. 196 JULIE ZIMMERMANN Microtargeting in Social Media – eine Gefahr für die Demokratie? …………………….………. 206 VI
WILHELMI, Volker, Elmar THEVEßEN und Florian PFEIL (Hrsg.): Geographien der Gewalt: Die USA am Wendepunkt – Geographische Perspektiven. Mainz 2021: 72–97 (= Mainzer Kontaktstudium Geographie, Bd. 19) MARIE JOHANNA KARNER “One Nation Under God” – Die Bedeutung und Veränderung von Ethnic Churches in der US-amerikanischen Gesellschaft 1 Einheit aus der Vielfalt Die Vereinigten Staaten von Amerika verstehen Pluralismus durch und gewann in den 1970er sich als “Nation of Immigrants” und zählen ne- Jahren an Popularität. Es bringt zum Ausdruck, ben Kanada und Australien zu den klassischen dass sich kulturelle Elemente in eine nationale angelsächsischen Einwanderungsländern. An- Kultur einfügen und zu einem gemeinsamen ders als europäische Länder, deren Nationalis- Ganzen beitragen können, in dem Unterschiede mus in der Regel auf eine geteilte Geschichte und jedoch noch deutlich zu erkennen sind.2 Dies Traditionen zurückzuführen ist, basiert der Grün- spiegelt auch das im Jahr 1782 entworfene offi- dungsmythos beziehungsweise die Leitidee der zielle Siegel der Vereinigten Staaten mit dem la- US-amerikanischen Gesellschaft auf der Idee ei- teinischen Spruch “E pluribus unum” („Aus vie- nes Melting Pot (PARK 1928: 890).1 Die fort- len eines“) wider (STÖVER 2012: 281), das heute schreitende Vermischung von Zuwander:innen als Staatsmotto auf vielen symbolträchtigen Ob- unterschiedlicher geographischer Herkunft, eth- jekten zu finden ist (z. B. Air Force One, Half nischer Zugehörigkeit und kultureller Praktiken Dollar-Münze).3 In diesem Sinne setzte sich die führe, so die These, zur Auflösung der kulturel- Vorstellung durch, dass die Bewahrung einer len und ethnischen Eigenständigkeit. Ergebnis ethnischen Identität und die Einbindung in Fami- dieses Verschmelzungsprozesses sei eine ge- lien, Ethnic Churches, Gemeinschaften und meinsame amerikanische Kultur als Basis einer transnationale Netzwerke für die wirtschaftliche neuen Nation. Gegen das Melting-Pot-Konzept und soziale Eingliederung von Einwander:innen werden Einwände erhoben, da dieser Entwurf und ihren Kindern von Vorteil ist, insbesondere des Zusammenlebens weniger eine gleichberech- für „nicht-weiße Gruppen“ (KURIEN 2012: 449). tigte Integration, sondern vielmehr eine Assimi- Für die dynamisch wachsende, heterogene ame- lierung an die protestantische, weiße, angelsäch- rikanische Siedlergesellschaft hat Glaube und sische Mehrheitskultur verlangt. Mit Blick auf Religion eine integrative Funktion. Die Solidari- die Lebenswelt wird an der Metapher kritisiert, tät innerhalb von religiösen Gemeinschaften, de- dass sie die Realität der heterogenen Gesellschaft ren Mitglieder ethnische Identitätselemente tei- nicht adäquat abbildet (LÖFFLER 2001: 28). len, stellt ein Gegengewicht zum voranschreiten- Das Bild der Salad Bowl setzte sich im Rahmen den Individualismus dar (PRÄTORIUS 2003: 192). der Debatte über das Konzept des kulturellen 1 2 Das Bild der USA als Schmelztiegel wurde durch Auch die Metapher der Salad Bowl wird der Dyna- das Theaterstück “The Melting Pot” des britischen mik kulturell vielfältiger Gesellschaften nicht gerecht Schriftstellers Israel Zangwill populär. Im Jahr 1908 (WERSICH 2013: 134). 3 fand die Uraufführung seines Stücks in Washington, Der Spruch bezog sich im 18. Jahrhundert auf die zu D.C. statt. Die Metapher Melting Pot wurde das erste schützende Eigenart der verschiedenen Gemeinschaf- Mal vom französisch-amerikanischen Autor Michel- ten (“pluribus”), sofern die christliche Grundentschei- Guillaume Jean de Crèvecoeur in seiner Sammlung dung (“unum”) gewahrt wurde (PRÄTORIUS 2003: 44). “Letters from an American Farmer” gebraucht, die im Heute wird er auf die verschiedenen ethnischen Grup- Jahr 1782 veröffentlicht wurde. pen bezogen und steht für „Einheit aus der Vielfalt“. 72
Die Relevanz von Ethnic Churches wird in die- Viele der frühen Siedler deuteten die gemein- sem Aufsatz am Beispiel zweier maronitischer4 same Erfahrung der Auswanderung, die Ansied- Gemeinden in den USA verdeutlicht. Einführend lung in unbekannten Gebieten und die Gründung wird der Forschungsstand zu Religion im Kon- von Kirchengemeinden als „Auserwähltheit text von Zuwanderung zusammengefasst, ein durch Gott“. Sie fühlten sich berufen, eine Kol- Themenkomplex, der bis in die 1990er Jahre von lektivordnung im Sinne des göttlichen Auftrags Sozialwissenschaftler:innen vernachlässigt zu errichten (PRÄTORIUS 2003: 44). Vor allem wurde (EBAUGH 2003: 226). Zur Kontextualisie- die Puritaner verfolgten die reformatorische Vi- rung wird anschließend die Entwicklung maroni- sion, als auserwähltes Volk ein „neues Jerusa- tischer Einrichtungen in den USA skizziert, um lem“ zu errichten, um ein authentisches Christen- die empirischen Beispiele in nationale Dynami- tum wiederzubeleben (RIESEBRODT 1990a: 472). ken einordnen zu können. In der Bill of Rights (1789), dem ersten Verfas- sungszusatz, wurde festgeschrieben, dass die in- dividuelle und kollektive Religionsausübung 2 Glaube und Religion in den USA nicht durch Gesetze behindert und keine Staats- religion eingeführt werden darf. Das Gleichbe- handlungsgebot wurde im Jahr 1870 wirksam, In den USA geben gegenwärtig 53 Prozent der das staatlich unterstützte religiöse Diskriminie- Bevölkerung an, dass Religion eine große Be- rung verbot. deutung in ihrem Leben einnimmt (HACKETT et al. 2018: 52).5 Nicht nur die ausgeprägte Religi- Wenn man von den kolonialen Anfängen der Ka- osität der US-amerikanischen Bevölkerung, son- tholiken in Maryland absieht, ist die katholische dern auch die religiöse Vielfalt sind ein Erbe der Kirche in Amerika ein Produkt der zwei großen kolonialen Gründungsgeschichte. Anglikaner, Einwanderungswellen des 19. Jahrhunderts. Mit Puritaner, puritanische Separatisten, Hollän- Rückwanderungsraten von 25 bis 40 Prozent war disch-Reformierte, Katholiken, Baptisten, Lu- die katholische Bevölkerung aus Ost- und Süd- theraner, Mennoniten, Quäker u. a. siedelten in europa allerdings zunächst von einer hohen Fluk- unterschiedlichen Regionen des Landes. „Diese tuation geprägt. Die Wohnviertel und Gemein- Bekenntnisvielfalt verstärkte sich seit der Grün- den von Katholiken stabilisierten sich erst im dung der Republik durch immer neue Einwande- Zuge der restriktiveren Einwanderungspolitik rungswellen von Katholiken, Lutheranern, Ju- der USA nach dem ersten Weltkrieg (Emergency den, u. a., durch den Import neuer protestanti- Quota Act von 1921, Immigration Act von 1924) scher Strömungen überwiegend aus England (…) und der Weltwirtschaftskrise zum Ende der sowie durch inneramerikanische Sektenbildun- 1920er und im Verlauf der 1930er Jahre gen“ (RIESEBRODT 1990a: 470). (BIRNBAUM 1990: 486, 488). Ein Großteil dieser ersten europäischen Siedler war aus Ländern mit Staatskirchentum (z. B. Ita- 2.1 Die integrative Funktion von lien, England, Russland) gekommen und wurde religiösen Gemeinden zum Teil religiös verfolgt6 (PRÄTORIUS 2003: 29). In der „Neuen Welt“, die ihnen ökonomi- Wo Glaubensanhänger in räumlicher Nähe sie- sche Möglichkeiten versprach, wollten sie ihre delten, gründeten sie Kirchengemeinden als religiösen Überzeugungen, Traditionen und Le- Herzstück ihres sozialen Lebens (SMITH 1978: bensmodelle etablieren (STÖVER 2012: 282). 1182). Bis in die 1960er Jahre wurde von ihnen 4 Die maronitische Kirche ist eine seit dem 12. Jahr- mit dem höheren Maß an sozialer Sicherheit durch hundert mit Rom unierte katholische Ostkirche west- den kanadischen Wohlfahrtsstaat zusammen: “With syrischen/antiochenischen Ursprungs, die ihren Na- relatively high existential security, the society men vom Heiligen Maroun (arab. Mar Maroun) ablei- remains resistant to the economic forces that drive tet. Sie teilt die Lehre der katholischen Kirche und heightened religious values” (MARGER 2013: 79). 6 erkennt den Papst als Oberhaupt an. Religiöse Verfolgung zählt nicht zu den ausschlag- 5 In Kanada trifft dies auf 27 Prozent und in Australien gebenden Gründen, weshalb Maronit:innen aus dem auf 18 Prozent der Bevölkerung zu (HACKETT et al. heutigen Libanon auswanderten. Die Motive waren 2018: 52, 64), wobei sich die Bedeutung der Religio- vielmehr ökonomisch und persönlich oftmals verbun- sität in Kanada und den USA in unterschiedliche den mit dem Vorhaben einer baldigen Rückkehr Richtungen entwickelt. Die Annäherung der kanadi- (NAFF 1992: 145). schen Werte an westeuropäische Verhältnisse hängt 73
erwartet, dass sie zur Assimilation ihre Sprache participatory democracy” (ECK 2001: 336). Die und kulturellen Praktiken anpassen. Mithilfe der angeeigneten Civic Skills sind für die Partizipa- Religion konnten sie jedoch ihre gemeinschaft- tion an der amerikanischen Demokratie aus- lichen Traditionen bewahren: “The children of schlaggebend. Darüber hinaus motivieren religi- European immigrants were expected to assimi- öse Gemeinden Einwander:innen zu zivilgesell- late by becoming de-ethnicized and individual- schaftlichem Engagement, das über die eigene ized in the secular and public sphere, but were Gruppe hinausgeht (FOLEY und HOGE 2007: 151 able to retain their ethnic communities, language, ff.). Die Angebote der Weiterbildung von Kir- and traditions in the sphere of religion” (KURIEN chengemeinden unterstützen zudem die soziale 2012: 465). Mobilität von Mitgliedern. Aus diesen Gründen werden Ethnic Churches als fördernd für die ge- Die gegründeten Ethnic Churches erfüllen seit- sellschaftliche Integration angesehen (FONER dem einen doppelten Zweck: Durch Sprachunter- und ALBA 2008: 363 ff.). richt, Arbeits- und Wohnungsvermittlung sowie Seminare fördern sie einerseits die Integration ankommender Einwander:innen in die amerika- nische Gesellschaft; andererseits werden kultu- 2.2 Die Verflechtung von religiöser, relle und religiöse Praktiken des Herkunftslandes ethnischer und nationaler Identität reproduziert und Traditionen neu entdeckt, Bis in die 1960er Jahre betonten Einwander:in- wodurch ethnische Identitäten (re-)konstruiert nen besonders ihre Religion, da Glaube und reli- werden (EBAUGH und CHAFETZ 2000): “Whe- giöses Bekenntnis nicht nur gesellschaftlich ak- ther celebrating secular holidays in a religious zeptiert sind, sondern erwartet wurde: “The setting, reorganizing ethnically specific religious newcomer is expected to change many things holidays, or replicating ethnically distinctive ob- about him as he becomes American – nationality, jects and ways of worship, immigrant congrega- language, culture. One thing, however, he is not tions often formally recognize, support, and expected to change – and that is his religion” thereby reinforce ethnic identity and cultural (HERBERG 1983: 23 Herv. i. Orig.). Häufig ver- continuity. In the process, they help immigrants drängte die religiöse Identität die ethnische Iden- to feel more ‘at home’ in their strange land” tität. Dabei wurde die Bekundung einer religiö- (EBAUGH und CHAFETZ 2000: 390). sen Identität für Immigrant:innen wichtiger als in Zwar pflegt jede Konfession ihre eigenen Tradi- ihrem Herkunftsland (EBAUGH 2003: 230), da sie tionen, Liturgie und Theologie in den USA; die nationale Identität stiftet: “(…) [R]eligion helps ausgebildeten Organisationsstrukturen sind da- to turn immigrants into Americans and gives gegen ähnlich (KURIEN 2012: 449). Als primäre them and their children a sense of belonging or Form hat sich der Kongregationalismus durchge- membership in the United States” (FONER und setzt, bei dem die Autonomie von religiösen Ge- ALBA 2008: 365). meinden oberste Priorität hat. Nach dem Modell Im Zuge des Ethnic Revivals und der zunehmen- der protestantischen und katholischen Vorgän- den politischen Anerkennung von Differenz, ge- gergemeinden wurde Wert auf freiwillige Mit- wann die Betonung ethnischer Identitätsele- gliedschaft, gewählte lokale Laiengremien, die mente als Ausdruck der Zugehörigkeit zur ame- Einbindung von Mitgliedern in Verwaltungsauf- rikanischen Gesellschaft an Bedeutung.7 Sie gaben und die Vergrößerung von Gebetsstätten ermöglichte Einwander:innen, an der multikultu- zu Gemeindezentren gelegt. Finanziert werden rellen Gesellschaft teilzuhaben: “Immigrants in- die Gemeinden fast ausschließlich durch ihre tegrate by remaining ethnic and group-identified, Mitglieder, da eine Kirchensteuer aufgrund der but religion is viewed as a personal quest“ historisch gewachsenen strikten Trennung von (KURIEN 2012: 447). Für viele Immigrant:innen Staat und Religion in den USA nicht denkbar ist und deren Nachkommen zählen religiöse Identi- (EBAUGH 2003: 227, 232 f.). tät und Traditionen bis heute untrennbar zu ihrer Mitglieder, die Ämter innerhalb ihrer Gemeinden ethnischen Identität (KURIEN 2012: 450). übernehmen, werden mit sozialer Anerkennung Die zunehmende Diversität der Herkunftsländer belohnt und erwerben politische Kompetenzen: (insb. Staaten in Asien und Südamerika) seit “(…) [T]these religious associations provide for 1965, dem Jahr als liberalere Bestimmungen die immigrants one of their first training grounds in 7 Die steigende Identifikation mit einer ethnischen USA beschreibt KHATER (2005) in seinem Aufsatz Gruppe oder einem bestimmten Herkunftsland in den “Becoming ‘Syrian’ in America.” 74
bis dahin gültige Quotenregelung der Einwande- 2.3 Tendenzen der Ent-Ethnisierung und rung ablösten, ging mit einem Anstieg der religi- Transnationalisierung ösen Vielfalt in den USA einher (EBAUGH 2003: 225 f.).8 Dem Islam und anderen nicht-westli- Konfessionen haben als Kategorie sozialer chen Religionen (z. B. Buddhismus, Hinduismus, Grenzziehung in den USA an Bedeutung verlo- Zoroastrismus, Sikhismus und Vodou) wurde ren, weshalb die Entwicklung hin zu einer „post- mit einer größeren Offenheit begegnet, was sich denominationalen Gesellschaft“ (MILLER 1998) in der Errichtung neuer Kirchen, Moscheen9 und prognostiziert wird. Dies zeichnete sich zwi- Tempeln manifestiert. Dazu beigetragen haben schen Protestanten, Katholiken und Juden bereits vor allem die Debatten um Multikulturalismus10 seit den 1950er Jahren ab und drückt sich in der der 1960er und 1970er Jahre. Sie kamen nach der Zunahme von Mischehen aus (PUTNAM 2007: Bürgerrechtsbewegung (1955 – 1968) auf, als 160 f.).12 ethnische Minderheiten in den USA Forderungen Gegenwärtig weisen besonders evangelikale der Black, Indigenous and People of Color (BI- Mega-Kirchen und katholische Gemeinden eine PoC) aufgriffen. Die steigende Akzeptanz des hohe Integration unterschiedlicher ethnischer ethno-religiösen Pluralismus ermöglichte es Im- Identitäten auf: “(…) [T]his undoing of past seg- migrant:innen, gleichzeitig „different“ und ame- regation is due, at least in part, to the construction rikanisch zu sein (LEVITT 2007: 18). of religiously based identities that cut across Trotz der wachsenden gesellschaftlichen Tole- (while not effacing) conventional racial identi- ranz sehen sich besonders Asiaten, Personen la- ties” (PUTNAM 2007: 161). Sie bieten religiöse teinamerikanischer Herkunft und BIPoC mit Erfahrungen, ohne dass von Mitgliedern Engage- Stigmatisierung, Diskriminierung und rassistisch ment und die Pflege sozialer Beziehungen gefor- motivierten Straftaten konfrontiert (FONER und dert wird (PRÄTORIUS 2003: 190). Mega-Kir- ALBA 2008: 376, 384). Seit den Terroranschlä- chen ziehen besonders Mitglieder der zweiten gen vom 11. September 2001 richten sich Vorur- Einwanderergeneration an, wenn deren Ethnic teile und Angriffe besonders gegen Muslim:in- Churches kein ansprechendes Angebot für sie nen11, die in den USA einen vergleichsweise ho- bereithalten (KURIEN 2012: 451, 465). hen sozioökonomischen Status haben (HADDAD Parallel dazu nehmen lokale Kirchen neue Im- 2009: 255, 267 ff.). migrant:innen in der Nachbarschaft auf. Derar- Zusammenfassend wurde bis in die 1960er Jahre tige Prozesse der Öffnung lösen nicht selten Ge- die Assimilation von Einwander:innen erwartet. fühle der Bedrohung bei langjährigen Gemeinde- Die Idee des Multikulturalismus erlaubte es mitgliedern aus. Damit verbundene Spaltungs- ihnen, ihre ethnische Identität in säkularen Kon- und Konfliktlinien innerhalb von Gemeinschaf- texten und unterstützt von Ethnic Churches zu ten zeigen sich in Debatten um die bevorzugte (re-)produzieren (KURIEN 2012: 465), die sich Sprache, religiöse und soziale Bräuche sowie ebenfalls, wie dieser Aufsatz verdeutlichen wird, Schutzheilige, besonders wenn unterschiedliche transformiert haben. ethnische Gruppen in einer Gemeinde aktiv sind (EBAUGH 2003: 226, 228). 8 10 Konversionen von Immigrant:innen in den USA In den USA wurde anders als in Kanada und Aust- zum Christentum kommen gegenwärtig zwar vor ralien der Multikulturalismus nicht als nationale Po- (FOLEY und HOGE 2007: 79), sind aber nicht bestim- licy festgeschrieben (KURIEN 2012: 449). 11 mend. Im Zuge des Immigration and Nationality Act von 9 Erste Moscheen wurden in den USA von Einwan- 1965 kam es zu einer Zunahme von Migrant:innen aus dernden aus dem Libanon in den späten 1920er Jahren arabischen Ländern (ORFALEA 2006), darunter viel- gebaut. Vor dem Zweiten Weltkrieg kamen nur drei fach gut ausgebildete Muslim:innen mit säkularer Ori- weitere hinzu. Die geringere Anzahl ankommender entierung. Zuvor waren vorwiegend vertriebene Pa- Muslim:innen im Vergleich zu Christ:innen trug dazu lästinenser:innen infolge des ersten Palästinakriegs im bei, dass erstere die arabische Sprache häufig nicht Jahr 1948 in die USA migriert, nachdem ein Großteil gebrauchten, christliche Namen übernahmen und zuvor in die Nachbarländer Palästinas geflohen war Nicht-Muslime heirateten. Von Drusen aus dem heu- (SULEIMAN 1992: 194). 12 tigen Libanon wurden keine Gotteshäuser in den USA Der Katholizismus und Judaismus zählen seit Mitte errichtet, da religiöse Leader nicht migrieren oder im des 20. Jahrhunderts zu den drei Hauptreligionen des Ausland ausgebildet werden dürfen (NAFF 1992: protestantisch geprägten Landes (HERBERG 1983). 152). 75
Die Entwicklung hin zu multi-ethnischen religi- 2.4 Zivilreligion als „Brücke“ zwischen ösen Gemeinden charakterisiert MULLINS (1987: den Bürger:innen und der Nation 327) als „Ent-ethnisierung“, die sich an der Ver- änderung der angewandten Sprache ablesen lässt. Neben den unterschiedlichen Glaubensgemein- Die erste Phase, in der die Sprache des Her- schaften entwickelte sich nach BELLAH (1967) kunftslandes dominant ist, wird von einer Phase eine sogenannte Civil Religion13 in den USA. Die der Bilingualität abgelöst. Sie mündet in den aus- religiöse Deutung der nationalen Identität steht schließlichen Gebrauch der Sprache des Resi- mit dem Grundsatz des getrennten Verhältnisses denzlandes (MULLINS 1987: 324). von Staat und Religion in einem Spannungsver- hältnis. Seine These besagt, dass die Souveräni- Seit dem Ende der 1960er Jahre setzen sich zu- tät beim Volk liegt, die ultimative Souveränität dem Fernsehkirchen (Electronic Churches) aber implizit und oft auch explizit Gott zuge- durch, die im Zuge der Expansion von Sende- schrieben wird (BELLAH 1967: 4): “(…) [R]eli- möglichkeiten besonders von konservativen gious Americans gain affirmation of the im- Gruppen (Evangelikale, Fundamentalisten und portance of their faith when they hear political Pentecostals) professionell genutzt wurden. leaders publicly call on God, when they use cur- Fernsehprediger verwenden das Massenmedium rency that reads ‘In God We Trust,’14 and when Fernsehen und betreiben eigene private Sender, they repeat the Pledge of Allegiance, which pro- um ihre religiösen Botschaften zu verbreiten und claims the existence of one nation ‘under god’” Spenden einzutreiben (RIESEBRODT 1990a: 477). (FOWLER et al. 2014: 302). Darüber hinaus bieten einige Sender religiöse Zivilreligion kann in den USA als eine Art „Brü- Fernsehprogramme in der Muttersprache von cke“ zwischen den Bürger:innen und der Nation Immigrant:innen an, die u. a. bei spanischspra- verstanden werden. Ihre kohäsive Kraft und in- chigen Communities in den USA beliebt sind. tegrative Funktion beruht darauf, dass sie die mo- Einwander:innen konsumieren zudem religiöse ralischen Regeln der pluralistischen Gesellschaft Radioprogramme der Herkunftsländer, um mit aufrechterhält und nationale Identität sowie Soli- den dortigen Gemeinschaften verbunden zu blei- darität stiftet (CRISTI 2001: 70 ff.): “In the US, to ben (TAYLOR und CHATTERS 2011: 450 f.). be religious is to be in synch with prevailing Mit Blick auf die Geschichte der Glaubensge- mainstream American norms” (FONER und meinschaften macht LEVITT (2007: 18 f.) darauf ALBA 2008: 376). Gemeinsame moralische aufmerksam, dass Transnationalismus kein Überzeugungen, die von der Religion ausgehen, neues Phänomen ist, sondern historische Wur- spielen demzufolge eine wichtige Rolle bei der zeln hat. Es prägte bereits die religiöse Identität Regelung öffentlicher Angelegenheiten und Praxis der ersten Siedler aus Europa: “The (HAMMER 2015: 28). Christianity they brought with them was neither Die Verschmelzung von Religion und Nation completely homegrown nor simply transplanted zeigt sich auch in der US-amerikanischen Ideo- but inherently transnational.” Dank der fort- logie und Rhetorik von “Manifest Destiny”, die schreitenden globalen und mobilen kommunika- im 19. Jahrhundert geprägt wurde. Die territori- tiven Konnektivität haben die Kommunikations- ale Expansion verstanden „weiße Siedler“ als flüsse von ethno-religiösen Gemeinschaften zu- göttliche Aufgabe und göttliches Geschenk, ohne genommen (HEPP 2008: 169 f.). Die potenziell Rücksicht auf die indigene Bevölkerung. In Fort- mögliche höhere Quantität und Geschwindigkeit führung dieser Idee „wurden auch die politisch- austauschbarer Informationen muss allerdings ökonomischen Grundlagen der amerikanischen nicht bedeuten, dass Mitglieder dauerhaft trans- Gesellschaft, der Kapitalismus und die Demo- nationale Beziehungen aufrechterhalten kratie, religiös überhöht. Sie wurden zu Zeichen (KARNER 2021: 383). der Auserwähltheit Amerikas und Inhalt seiner göttlichen Mission in der Welt“ (RIESEBRODT 1990a: 472). 13 14 Der Begriff der Zivilreligion stammt von Bereits während des amerikanischen Bürgerkriegs ROUSSEAU (1762) und ist ein Produkt der Aufklärung. (1861 – 1865) wurden Geldmünzen mit dem Spruch Etwa 70 Jahre später wurde diese Theorie von TOC- “In God We Trust” geprägt. Seit dem Jahr 1957 ist er QUEVILLE (2004, Orig. von 1835/1840) auf Amerika als Antwort auf den Kommunismus auf jedem Dollar- bezogen. schein abgedruckt (GARDELLA 2014: 113). 76
3 Einwanderung aus dem heutigen eine kurze Zeit aktiv waren. Sie sollten Bedürf- Libanon in die USA und die tige unterstützen und bei der Beisetzung Verstor- bener helfen. Außerdem förderten sie die engli- Gründung maronitischer sche Sprache, die Einbürgerung und den ameri- Einrichtungen kanischen Patriotismus. Im Identifikationsort finanzierten Organisationen von Familien oder Personen des gleichen Herkunftsortes den Bau Die ersten Personen aus dem heutigen Libanon, von Schulen, Krankenhäusern, Waisenhäusern die in die USA migrierten, waren vornehmlich und neuen Kirchen. Mit diesen Initiativen sollten Christ:innen aus ländlichen Regionen. Zwischen – unabhängig vom bekundeten Ziel – die Solida- 1860 und 1915 migrierten sie aufgrund des Preis- rität, kollektive Identität und der Fortbestand der verfalls von Seide, schlechter Ernten und eines eigenen Community gesichert werden. massiven Bevölkerungswachstums (WIRTH 1965: 270). Nicht nur das Marketing von Schiff- Andere Clubgründungen waren von den politi- fahrtsunternehmen bekräftigt ihre Auswande- schen Kontroversen um die Errichtung des Staa- rungsentscheidungen, sondern auch die westli- tes Großlibanon im Jahr 1920 motiviert, die al- chen Missionare15, darunter vor allem amerikani- lerdings bereits Ende der 1920er Jahre von neuen sche Presbyterianer, die ein Bild vom Clubs abgelöst wurden. Sie wurden von jüngeren aufblühenden Amerika vermittelten (KHATER Mitgliedern, die sich als „amerikanisiert“ ver- 2001: 52 ff.): “Christians (…) were therefore standen und interne Streitigkeiten überwinden more receptive to undertake the adventure when wollten, ins Leben gerufen (NAFF 1992: 152 f.). American opportunity beckoned” (NAFF 1992: Diese sozialen Clubs und ihre Community Lea- 143). Die Vereinigten Staaten, die sich zur welt- der waren für die Gründung weiterer Kirchen weit führenden Wirtschaftsmacht entwickelt hat- verantwortlich. Mithilfe von Abendessen, Ku- ten, versprachen ihnen einen Ausweg aus der chenverkäufen und Gewinnspielen akquirierten drohenden Armut (KHATER 2001: 42, 59). sie Spenden für den Kauf und Umbau von Got- teshäusern (LABAKI 1993). Bereits in den frühen 1890er Jahren wurde eine maronitische, eine melkitische und eine östlich- Die im Jahr 1964 gegründete National Aposto- orthodoxe Kirche in New York gegründet. Im late of Maronites (NAM) verfolgt das Ziel, die Anschluss unterstützten Geistliche und Missio- maronitischen Bischöfe in den USA und die nare die ersten Einwandernden bei der Errich- Gläubigen zu vereinen und Traditionen zu be- tung von 37 maronitischen Kirchen (LABAKI wahren. Zwei Jahre später gründete man die erste 1993). Insgesamt wurden bis in die 1930er Jahre maronitische Eparchie, um die hohe Anzahl von 112 Ostkirchen gegründet. Als Standorte wählte Personen mit einer Lebanese Ancestry, die insbe- man sogenannte “Peddling Settlements” im Os- sondere von römisch-katholischen Kirchen auf- ten der USA, wo sich Angehörige der gleichen genommen wurden, für maronitische Gemeinden Familien, Herkunftsorte und Konfessionen kon- zu gewinnen. Diese Rückholversuche maroniti- zentrierten (i.d.R. mindestens 50 Familien) (vgl. scher Bischöfe blieben jedoch oftmals ohne Er- Karte 1). Gestärkt durch den Nachzug von Ehe- folg (NAFF 1992: 151).16 Vor diesem Hinter- frauen aus dem Libanon formierten sich Gemein- grund beziehen sich die Ausführungen in diesem schaften innerhalb von gemischten Zuwanderer- Artikel nicht auf alle Personen mit einer Leba- vierteln, die der ethnisch-religiösen Fragmentie- nese Ancestry, sondern nur auf solche, die sich rung der Gesellschaft ihres Herkunftslandes stark bis heute mit einer maronitischen Gemeinschaft ähneln (NAFF 1992: 149 ff.). identifizieren. Zusätzlich gründeten Personen mit einer Leba- Gegenwärtig gibt es in den USA zwei Eparchien, nese Ancestry demokratisch geführte wohltätige 66 maronitische Kirchengemeinden mit insge- Clubs in den USA, von denen viele allerdings nur samt 79.000 Mitgliedern (2017), 21 Missionen, 15 16 Mit der Strategie des Teach and Heal (YOUNIS Im Unterschied dazu konnten viele Anhänger:innen 1995: 73) sollten christliche Gemeinden der Levante der orthodoxen Ostkirche, die amerikanische Epi- zum Protestantismus bekehrt werden. Dies erfolgte skopalkirchen besuchten, dazu bewegt werden, den 40 nicht vorrangig durch Glaubenssätze, sondern basie- neu gegründeten orthodoxen Ostkirchen beizutreten. rend auf Bildung und der Bereitstellung von medizi- Bereits im Jahr 1904 wurde ihr erster Bischof in den nischer Versorgung (ESCHER 2006: 56). Bereits im USA ernannt (NAFF 1992: 151). frühen 19. Jahrhundert wurden in der Region Klöster und Schulen errichtet (WIRTH 1965: 269). 77
Karte 1: Maronitische Einrichtungen in den USA im Jahr 2020 und die Anzahl libanesischer Einwohner:innen in den USA nach Bundesstaaten im Jahr 1930 78
ein Priesterseminar (seit 1961), fünf Klöster so- meinden beantwortet werden: Wie sichern ma- wie ein Maronite Heritage Institute seit dem Jahr ronitische Gemeinschaften ihre ethnische 2012 (vgl. Karte 1).17 Identität und ihren Fortbestand? Folgende Unterfragen lassen sich mit Blick auf die USA In den 1970er und 1980er Jahren hatten die Ost- ausdifferenzieren: kirchen Schwierigkeiten, ihre ethnische Begren- zung zu überwinden und ihre Bedeutung zu stei- - Wie behalten maronitische Gemeinden eine gern. Sie werden auf der einen Seite „kaum noch Bedeutung für nachkommende Generatio- durch neue Einwanderer belebt (…) und [schwe- nen, die vollständig in die amerikanische ben] so in der Gefahr (…), einen musealen Cha- Gesellschaft integriert sind? rakter anzunehmen und die jüngere Generation - Warum finden Prozesse der Öffnung statt nicht mehr zu erreichen“ (RIESEBRODT 1990b: und wie bewahren Ethnic Churches, die sich 498). Auf der anderen Seite erfuhren sie durch transformieren, ihre kulturelle Differenz? die wenigen Neuankömmlinge, die während des libanesischen Bürgerkriegs (1975 – 1990)18 aus - Welche Rolle spielen gruppeninterne dem Libanon migrieren, neue Impulse: “(…) Trennlinien bei maronitischen Gemein- [B]ecause of them, more Arabic is returned to the schaften? long-anglicized liturgies. In addition, church so- Die Untersuchung der Relevanz und Dynamik cials, invigorated by traditional dance, music, von ethno-religiösen Gemeinschaften ist mit der and an outpouring of native joviality attract pre- Schwierigkeit verbunden, dass viele Aspekte viously indifferent Lebanese Americans” (NAFF imaginär bzw. unsichtbar und damit schwer zu 1992: 163). bestimmen sind: “It is as much, if not more, Lebanese Americans gelten als gut in die ameri- about individualized, interior, informal practices kanische Gesellschaft integriert, führen oftmals and beliefs as it is about formal, collective mani- erfolgreiche Unternehmen und wirken als aktive festations of faith carried out in institutional set- und engagierte Bürger an der Gestaltung der Ge- tings” (LEVITT 2003: 869). Aus diesem Grund sellschaft mit. Bereits die Nachkommen der ers- müssen geeignete empirische Methoden Anwen- ten libanesischen Einwanderergeneration galten dung finden. als amerikanisiert in Bezug auf ihre alltäglichen Praktiken und individuelle Lebensweise, ohne dass Werte wie familiärer Zusammenhalt und 4 Methodisches Vorgehen kulturelle Elemente (z. B. libanesische Speisen, religiöse Feste) aufgegeben wurden. Die Interak- tion mit Amerikaner:innen und die ökonomisch Um die Rolle maronitischer Gemeinden in der notwendige Einbindung von Frauen in den ame- Lebenswelt von Lebanese Americans zu verste- rikanischen Arbeitsmarkt haben zur Auflösung hen, wählte ich die Städte Easton (Pennsylvania) traditioneller Rollenbilder und patriarchalischer und Providence (Rhode Island) in der USA aus. Machtverhältnisse bei Lebanese Americans ge- An diesen Orten zeigen sich unterschiedliche führt (NAFF 1992: 156, 159 f.). Dynamiken, die mit der heute differenten ethni- schen Zusammensetzung der Gemeinden und Aufbauend auf diesen Beobachtungen und den den lokalen Rahmenbedingungen in Verbindung vorherigen Ausführungen zur Veränderung von stehen. Die Stadt Easton hat im Jahr 2018 rund Ethnic Churches soll folgende zentrale Frage- 27.200 Einwohner:innen und unterscheidet sich stellung mit Blick auf zwei maronitische Ge- 17 Die Staaten der Ostküste zählen zur Eparchie St. und 1980 migrierten 11,6 Prozent (32.000) in die USA Maron, die im Jahr 1966 gegründet wurde, seit dem und 6,5 Prozent (18.000) nach Australien, indem sie Jahr 1977 ihren Sitz in Brooklyn hat und der 36 Kir- in der Regel ihr familiäres Netzwerk nutzten (LABAKI chengemeinden und zehn Missionen angehören 1992: 608 ff.). Aus diesem Grund eignen sich die in (Eparchy of Saint Maron of Brooklyn 2020). Das üb- Karte 1 angegebenen Werte der Anzahl libanesischer rige Territorium mit 30 Kirchengemeinden und elf Einwohner:innen nach Bundesstaaten aus dem Jahr Missionen wird seit dem Jahr 1994 von der Eparchie 1930, als vorwiegend Christ:innen aus dem Libanon Our Lady of Lebanon Los Angeles in St. Louis (Mis- einwanderten, auch für eine Abschätzung der heuti- souri) verwaltet (Eparchy OLOL Los Angeles 2019). gen Verteilung maronitischer Lebanese Americans in 18 Während des libanesischen Bürgerkriegs (1975 – den USA. 1990) verließen 990.000 Menschen und damit 40 Pro- zent der Bevölkerung den Libanon. Zwischen 1975 79
damit von der Stadt Providence, die in einer Met- Diese qualitativen Methoden ergänzte ich durch ropolregion mit einer Bevölkerung von knapp die Beobachtung und Analyse digitaler Kommu- 179.400 liegt. nikationsplattformen. Facebook-Gruppen wie Our Lady of Lebanon Church - Easton (OLOL) Die empirischen Erhebungen19 in den USA fan- (gegründet 18.08.2010, 1.992 Abonnent:innen) den in Easton im Juli 2015 und November 2018 und Kfarsghab Lebanon (KL) (gegründet und in Providence im Januar 2018 statt, um an 12.05.2012, 1.790 Mitglieder)21 beobachtete ich wichtigen Ereignissen wie den Lebanese Heri- regelmäßig und durchsuchte sie nach relevanten tage Days in Easton oder dem 200 Club Lunch in Stichworten. Webseiten und Blogs, die in den Providence teilnehmen zu können. 2000er Jahren an Popularität gewonnen haben, Das empirische Material umfasst aufgezeichnete liefern weitere Informationen. Gleiches gilt für qualitative Interviews mit 50 maronitischen Ge- Zeitungsartikel, Gedenkhefte, historische Doku- meindemitgliedern, 17 Expert:innen (z. B. Pries- mente und Fotografien sowie die Vereinszeit- ter, Vereinspräsidenten, Konsuln) und zwei schrift AKLA News22 (Australian Kfarsghab Le- Gruppeninterviews, die ich in englischer Sprache banese Association News, AN). durchgeführte. Der Kontakt zu einem Großteil Interviewtranskripte und Dokumente wertete ich der Gesprächspartner:innen konnte über das im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse mit Netzwerk bereits interviewter Schlüsselpersonen Blick auf die Bedeutung maronitischer Gemein- hergestellt werden.20 Ich bezog nicht nur beson- den und Diskurse um Grenzziehung in den USA ders aktive Mitglieder ein, sondern auch Perso- aus. Das Kategoriensystem generierte ich induk- nen, die sich explizit nicht mehr zu maroniti- tiv aus den Daten und differenzierte es mithilfe schen Gemeinden in Easton und Providence zäh- von MAXQDA weiter aus. len, um deren Innen-Außenperspektive zu erfassen (vgl. Anhang 9). Auf Basis von individuell zugeschnittenen, me- 5 Die Praxis und Dynamik der morierten Leitfäden konnte ich Inter- maronitischen Kirchengemeinden viewpartner:innen motivieren, über ihre Biogra- phie, Aufgaben innerhalb der Kirchengemeinde, in Easton und Providence Eingebundenheit in andere Gemeinschaften, Freizeitaktivitäten, Religiosität, Erfahrungen und An den Orten Easton (Pennsylvania) und Provi- Erlebnisse sowie Erinnerungen und Wünsche in dence (Rhode Island) hat sich die Praxis und eth- Bezug auf ihre Lebensverwirklichung zu spre- nische Zusammensetzung der maronitischen Ge- chen. Darüber hinaus fließen Gedächtnisproto- meinden auf unterschiedliche Weise verändert. kolle von 25 Veranstaltungen und Versammlun- Sogenannte Kfarsghabis23 haben vor Ort erhebli- gen ein, bei denen ich formale Reden hörte und chen Einfluss auf die Gründung und Entwicklung emotionale Praktiken beobachtete. Dazu zählen von Ethnic Churches genommen und bestimmen u. a. Messen, Vorstandstreffen, familiäre die Diskussionen um Grenzziehung maßgeblich Zusammenkünfte und Feste. mit. Sie beziehen ihre imaginierte Herkunft auf 19 21 Die empirischen Daten wurden im Rahmen des Die genannten Mitgliederzahlen beziehen sich auf DFG-Projektes zu „libanesischen globalen Dorfge- den 07.02.2021. 22 meinschaften“, deren Mitglieder sich mit unterschied- Von 49 Ausgaben konnte ich 43 mit Blick auf In- lichen Orten im Norden des Libanon identifizieren formationen zu den Communities in den USA auswer- (vgl. Karte 2), im Zeitraum von 2014 bis 2018 erho- ten. Historische Informationen, die den AKLA News ben. Eine ausführliche Dokumentation der Erhebun- entnommen sind, werden mit dem Kurznachweis gen ist in meiner Dissertation zu finden (siehe KAR- „AN“ und Angaben zur Ausgabe gekennzeichnet. 23 NER 2021). Gegenwärtig leben etwa 90 Prozent der Kfarsghabis 20 Forschungsaufenthalte an unterschiedlichen Orten, im Ausland, deren absolute Zahl auf 16.000 bis an denen Verwandte und Bekannte von Gemeindemit- 20.000 geschätzt wird. Im Jahr 1977 sollen 8.000 gliedern aus Easton und Providence leben (z. B. Kfarsghabis in Australien, 2.000 in den USA, 500 in Kfarsghab, Sydney, Dubai), erzeugten eine Vertrau- anderen Ländern und 1.000 in Kfarsghab gelebt haben ensbasis, die sich positiv auf die empirische Arbeit in (AKLA 1977: 11). Diese Angaben können als über- den USA auswirkte. Um für alle potenziellen Ge- trieben gewertet werden, da die aktuelle E-Mail-Liste sprächspartner:innen anschlussfähig und nicht von in- der Australian Kfarsghab Association (AKA) in Syd- ternen sozialen Dynamiken beeinflusst zu sein, mie- ney nur 1.296 Haushalte umfasst. tete ich an allen Orten geeignete Unterkünfte (z. B. Hotel, Kloster, Apartment). 80
den Ort Kfarsghab24, der im Norden des Libanon Etwa 25 Prozent fanden in lokalen Industriebe- im Wadi Qadisha (Heiliges Tal)25 liegt (vgl. trieben (insb. Eisen-, Stahl- und Strumpffabrik) Karte 2). Beschäftigung (SMITH und SCARPATO 2010: 132). Die folgenden vier Analysedimensionen machen deutlich, wie (1) materielle Infrastruktur und In den ersten drei Dekaden nach ihrer Ankunft in Symbolik angepasst, (2) spirituelle und kultu- Easton besuchten Kfarsghabis zunächst die loka- relle Praktiken (re-)produziert werden (3), die Ju- len römisch-katholischen Kirchen St. Bernhard gend eingebunden wird und Grenzen gezogen (Irish Church), St. Joseph (German Church) und und wie (4) soziale Pflichten und Solidarität ge- St. Anthony (Italian Church). Dort wurden auch lebt werden. Die vergleichende Analyse der bei- Andachten und Messen von maronitischen Be- den Standorte ermöglicht differenzierte Aussa- suchspriestern in arabischer Sprache abgehalten. gen über die Transformationsprozesse sowie die Im Jahr 1929 erwarben Kfarsghabis die St. heutige Relevanz maronitischer Gemeinden. Anthony’s Church in der 323 Lehigh Street, die der italienischen Gemeinde zu klein geworden war. Nach Renovierungsarbeiten konnte sie zwei 5.1 Materielle Infrastruktur und Jahre später mit dem Namen Our Lady of Le- Symbole banon Maronite Catholic Church (OLOL) eröff- net werden. In den Folgejahren wurden das Pfarr- In den USA lebt ein Großteil der Familien, die haus erweitert, ein Jugendzentrum eröffnet und sich mit Kfarsghab identifizieren, in der Klein- eine Küche und Bar an den Gemeindesaal ange- stadt Easton (350 Familien)26, wo die erste baut (FRANGOS und SASSINE 1987). Gruppe im Jahr 1901 eintraf.27 Nach ihrer An- kunft auf Ellis Island (New York) seien sie von Diese erste maronitische Kirche befand sich in einem syro-libanesischen Geschäftsmann28 per der sogenannten “Lebanese Town” im Zentrum Zug nach Easton begleitet worden: “Easton was von Easton. Von Kfarsghabis wird die damalige chosen as the destination for the group from multi-ethnische Nachbarschaft als Melting Pot Kfarsghab simply because Faour had no sellers (AN 1999/1: 20) erinnert, da sie dort gemeinsam in the area” (KARAM 1998). Er stellte ihnen Wa- mit Italoamerikanern, People of Color (PoC) und ren (z. B. Nadeln, Garn, Knöpfe, Kämme, Bürs- anderen Gruppen lebten (SMITH und SCARPATO ten, Rosenkränze, Schuhe) bereit, die sie an 2010: 131). Das Viertel wurde von ihnen als fa- Landwirte in ländlichen Regionen verkauften. miliär, solidarisch, lebhaft, integriert und sicher Bereits in den 1920er Jahren waren nur noch 40 empfunden. Aus diesen Gründen setzten sie sich Prozent als Hausierer:innen29 tätig. Knapp ein gegen Projekte zur Innenstadtsanierung ein, Drittel hatte eigene Geschäfte in Easton zum konnten den Abriss der “Lebanese Town” und Verkauf von Kurzwaren oder Früchten eröffnet. ihrer Kirche im Jahr 1969 aber nicht aufhalten (SMITH und SCARPATO 2010: 134 f., 145). 24 Die Bewohner:innen von Kfarsghab pendeln saiso- Easton leben (IP185 zit. nach TATU 2019). Von den nal zwischen dem Bergort und Morh Kfarsghab (vgl. 350 Familien, die der maronitischen Gemeinde ange- Karte 2). Dieser küstennahe Ort und seine umliegen- hören, gelten 170 Familien als aktiv (IP147). 27 den Ländereien wurden Mitte des 18. Jahrhunderts zur Bereits ab dem Jahr 1884 ließen sich Gruppen aus landwirtschaftlichen Nutzung (insb. Olivenanabau) Kfarsghab in New Orleans, Peoria, Pittsburg und St. von Kfarsghabis erworben. Der Standort unterschei- Louis nieder (vgl. Karte 1); in manchen Fällen mit det sich durch sein mediterranes Klima mit milden, Zwischenstationen in karibischen Ländern (AN feuchten Wintern und aufgrund des flachen Terrains 2000/1: 29 f.). 28 von dem Sommerfrischeort Kfarsghab. Kfarsghab ist Hinweise sind in vielen Manifesten von Schiffen zu ein wichtiger Treffpunkt von Bewohner:innen und finden, die Anfang des 20. Jahrhunderts Ellis Island Auslandslibanes:innen, die dort am 27. August das erreichten. Viele Personen aus dem heutigen Libanon Fest zu Ehren von Mar Awtel feiern. und Syrien nannten den Nachnamen des Geschäfts- 25 Dieses Tal diente den Maronit:innen bereits seit manns (Faour) als Bestimmungsort (ELIAS 2011: 37). 29 dem späten siebten Jahrhundert als Rückzugsort. Als Diese Tätigkeit, Waren von Haus zu Haus zu ver- christliche Gruppe unter Schutz Frankreichs genossen kaufen, wurde häufig von Frauen ausgeführt: “Most sie Sonderrechte in dem autonomen Bezirk Mount Le- of their means of support was the womenfolk… Some banon des Osmanischen Reiches (WIRTH 1965). of the items they would sell were sheets, pillow cases, 26 Im Jahr 1976 schätzte man die Anzahl der spreads, blankets, and curtains, and a large variety of Kfarsghabi in Easton auf 1.300 (AN 1976: 17). Ge- dry goods” (DOUMATO 1985: 107). genwärtig sollen rund 3.000 Lebanese Americans in 81
heute der wichtigste Treffpunkt von Gemeinde- mitgliedern, die mehrheitlich in die Vororte Eas- tons (insb. Forks, Palmer) gezogen sind. Bei um- fassenden Renovierungsarbeiten in den 2000er Jahren ersetzte man das Dach, den Boden, den Altar und Statuen in der Kirche. Der Gemeindes- aal erhielt eine moderne Großküche und neues Mobiliar. Auf dem Parkplatz ließ der Priester ei- nen Basketballkorb und andere Spielgeräte für Kinder aufstellen (KARAM 2015). In der Kirche fallen neben christlichen Symbolen (z. B. Kruzifix, Marienstatue, Tafel mit Zehn Ge- Abbildung 1: Die Our Lady of Lebanon Church (OLOL) in Easton (Pennsylvania) (Aufnahme: Marie Karner boten), Abbilder maronitischer Heiliger (z. B. 23.07.2015) Kirchenfenster mit Mar Charbel) und das maro- nitische Kreuz mit drei Balken an jeder Sitzbank Es folgte eine Verlegung der maronitischen Kir- ins Auge. Im Eingangsbereich des Gemeinde- che in ein bestehendes Kirchengebäude, das sich saals ist eine Panoramaaufnahme des Ortes zwei Häuserblocks entfernt in der 4th/Ferry Kfarsghab angebracht (vgl. Abb. 2), mit dem ein Street nahe des Centre Square befand. Nachdem Großteil der Mitglieder in Easton seine Herkunft sie diese Kirche in den 1970er Jahren vergrößert verbindet. und im Jahr 1978 den angrenzenden Parkplatz kauften, errichteten30 sie im Jahr 1986 eine grö- Initiatoren des sog. Kfarsghab Clubs erwarben ßere Kirche am gleichen Standort (vgl. Abb. 1), kürzlich ein Clubhaus in einem nahegelegenen finanziert durch Spenden ($300.000): “This Wohngebiet. Das zweistöckige Gebäude wird für church and hall comprise the first complex that profane Veranstaltungen genutzt: “We have an o- was entirely their own from the beginning since pen meeting space, a social space, on the first the two previous churches were purchased from floor. And there’s a youth room upstairs for kids other congregations” (FRANGOS und SASSINE to play games in” (IP151). 1987). Die Kirche verfügt über 400 Sitzplätze In den 1960er Jahren pflanzten Kfarsghabis im mit einem angrenzenden Gemeindesaal für 500 Centre Square in Easton einen Zedernbaum als Personen und einem Pfarrhaus auf der gegen- Symbol ihrer Identifikation mit Mount Lebanon überliegenden Straßenseite. Dieser Ort ist bis (vgl. Abb. 3). Als der Bürgermeister von Easton Abbildung 2: Panoramaaufnahme des Ortes Kfarsghab im Libanon im Eingangsbereich der Our Lady of Lebanon Church (OLOL) in Easton (Aufnahme: Marie Karner 24.07.2015) 30 Während der Bauphase konnten maronitische Mes- sen in der St. Joseph’s Kirche abgehalten werden (FRANGOS und SASSINE 1987). 82
bei der offiziellen Eröffnung der Heritage Days Dazu bauten sie ein Wohnhaus, das $7.000 kos- im Jahr 2015 verspricht, dort erneut eine Zeder tete, in eine Kirche mit 120 Sitzplätzen31 um. Es anzupflanzen, schlägt ein Kfarsghabi vorlaut vor, folgten umfangreichen bauliche Veränderungen dies am nördlichen Punkt des Kreisverkehrs zu nach romanischem Vorbild in den Jahren 1926 verwirklichen. Sein Vorschlag bezieht sich auf und 1927.32 Die Kosten von $30.000 waren erst die Lage des Ortes Kfarsghab (vgl. Karte 2) im im Jahr 1944 abbezahlt, nachdem Mitglieder Norden des Libanon. In der Nähe befinden sich zahlreiche Bingo-Abende, Tombolas und andere die sogenannten “Cedars of God” (bei Bcharre), Spendenaktionen organisiert hatten. die zu den letzten Zedernbeständen des Landes Als sich die Gemeinde auf 210 aktive Familien33 zählen. Im Anschluss an die Reden des Bürger- vergrößert hatte, erwarben sie im Jahr 1977 eine meisters und des maronitischen Priesters wird die alte Steinkirche in der angrenzenden, neun Kilo- libanesische Nationalflagge, die im Zentrum eine meter entfernten Stadt Pawtucket (50 Main Zeder zeigt, auf dem Centre Square in Easton ge- Street). Zur dortigen St. George Maronite Ca- hisst. Bei offiziellen Anlässen wie diesem wird tholic Holy Trinity Church gehörte ein Gemein- zudem die amerikanische Nationalhymne ge- desaal (Hobeika Hall) mit Pfarrhaus34, der ge- meinschaftlich gesungen, gefolgt von der libane- meinsam mit der Kirche renoviert wurde. Bereits sischen. im Jahr 1983 waren die Kosten von $80.000 durch das Engagement von Mitgliedern abbe- zahlt, die ihre Kirche zu schätzen wussten: “After four generations in America, the churches have emerged as a fulcrum of stability in a world in which changing addresses pull apart families and separate people from their ethnic roots. The gen- erations meet in the churches. Families whose children have scattered reunite in the church at holiday time” (DOUMATO 1985: 114). Abbildung 3: Der gepflanzte Zedernbaum im Centre Squ- are in Easton (Archiv einer Kfarsghabi Familie) Symbole, die auf den Ort Kfarsghab verweisen, sind in der Kirche in Providence hingegen nicht zu finden. Dort waren Kfarsghabis nur eine von vielen ankommenden maronitischen Gruppen, die aus unterschiedlichen Dörfern (u. a. Bcharre, Ehden, Hadchit, Blouza) (vgl. Karte 2) stammen. Abbildung 4: St. George Maronite Catholic Church in Rund zehn Jahre nachdem der erste Maronit zwi- Cranston bei Providence (Rhode Island) (Aufnahme: Marie schen 1889 und 1894 Providence erreicht hatte, Karner 20.01.2018) ließen sich weitere um die Jahrhundertwende im Die Kirche und der Gemeindesaal, die für 28 Stadtteil Federal Hill nieder und wurden u. a. von Jahre den bedeutendsten Treffpunkt bildeten, ihm mit Waren versorgt (DOUMATO 1985: 104, brannten im Jahr 2005 mit irreparablem Schaden 107). In den ersten Jahren besuchten sie trotz der ab, was bis heute als kollektive Tragödie erinnert Sprachbarriere die dortigen römisch-katholi- wird. Während die Gemeinde übergangsweise schen Kirchen (insb. St. John, Holy Ghost, die St. Raymond Kirche in Providence für acht Mount Caramel), bevor sie im Jahr 1911 ihre ei- Jahre mietete, kaufte sie im Jahr 2007 ein Grund- gene St. George Maronite Catholic Church mit stück in Lincoln, um eine neue Kirche zu bauen Pfarrbüro in der 85 America Street gründeten. (BUDWAY 2014). Als sich dieses Vorhaben als zu 31 33 In den frühen 1920er Jahren zählte die maronitische Weitere 200 maronitische Familien lebten zu der Gemeinde etwa 260 Erwachsene und 200 Kinder zu Zeit in Rhode Island, die zu den inaktiven Mitgliedern ihren Mitgliedern (DOUMATO 1985: 111). gezählt wurden (HOOGLUND 1985: 111). 32 Die Mitglieder besuchten die St. John’s Kirche 34 Das Pfarrhaus wurde seit dem Jahr 1986 und erneut während der Umbaumaßnahmen. ab 1996 in größere Gebäude in Pawtucket verlegt. 83
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