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28. Jahrgang | 3. Ausgabe 2018 UK|FUK BB aktuell Das Mitteilungsblatt der Unfallkasse Brandenburg und Feuerwehr-Unfallkasse Brandenburg Jeder kann ein Held sein Wie ein innerer Erdrutsch … Gefährdungsbeurteilung bei Fahrzeugen Technik die bewegt - ukb
Impressum 03.2018 Ausgabe 03.2018 | Januar UK|FUK BB aktuell – Das Mitteilungsblatt der Unfallkasse und Feuerwehr-Unfallkasse Brandenburg PF 1113, 15201 Frankfurt (Oder), Telefon: 0335/5216-0, Telefax: 0335/5216-222, E-Mail: presse@ukbb.de Verantwortlich: stellvertretender Geschäftsführer Dieter Ernst Konzept und Redaktionsleitung: Sabine Merker Redaktionsbeirat in alphabetischer Reihenfolge: Dr. Oliver Kuppinger, Sabine Merker, Sandy Ocker, Cathleen Positzki, Andreas Scheele, Ulf Spies Bildnachweis: US S. 1 BG Kliniken S. 3 DGUV S. 4, 5 Fotolia.de S. 6 - 8 UKBB S. 10 - 15 Info110 S. 16 Druckerei Oehme S. 17 Fotolia.de S. 19 - 21 UKBB S. 26 - 27 CCR Bochum, BG Kliniken US S. 4 Druckerei Oehme Herstellung. Druckerei Oehme - das Medienzentrum Neue Spreestraße 2, 15517 Fürstenwalde Nachdruck oder Vervielfältigung nur mit Zustimmung der Redaktion und Quellenangabe.
03.2018 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, wir blicken zurück auf das Jahr 2018, das Jahr des . In den vergangen zwölf Monaten haben wir Sie über ver- schiedene Themen aus den Bereichen Prävention, Entschädigung, Feuerwehr sowie aus dem Bereich Schule und Kita informiert. Das Jahr 2019 wird in der Unfallkasse und Feuerwehr-Unfall- kasse Brandenburg unter dem Handlungsfeld „Beteiligung” der -Kampagne stehen. Werden auch Sie und sagen Sie uns, wie wir unser Mitteilungsblatt noch informativer und besser gestalten können. Über welche Themen sollen wir im Jahr 2019 berichten? Welche Kategorien gefallen Ihnen besonders gut? Wir freuen uns auf Ihr Feedback unter presse@ukbb.de. In der aktuellen Ausgabe berichten wir über zahlreiche Projekte der Abteilung Prävention, wie das Projekt „Jeder kann ein Held sein” oder die „Schulgesundheitsfachkraft”. Das Sachgebiet Feuerwehr gibt wichtige Hinweise zur Gefähr- dungsbeurteilung bei Fahrzeugen mit alternativen Antrieben im technische Hilfeleistungseinsatz der Feuerwehr. Unter kurz & knapp finden Sie wie gewohnt Informationen zu verschiedenen Themen. Wir wünschen Ihnen und Ihren Angehörigen einen unfallfreien Start ins Jahr 2019. Ihre Unfallkasse Brandenburg und Feuerwehr-Unfallkasse Brandenburg. 1
Inhaltsverzeichnis 03.2018 Impressum US 2 Editorial 1 Inhaltsverzeichnis 2 Prävention Dokumentation Erste-Hilfe-Leistung 3 Jeder kann ein Held sein 4 Roter Ritter 6 Schulgesundheitsfachkraft 7 Wie ein innerer Erdrutsch 10 Schule und Kita 16 FAQ Schule & Kita Entschädigung 17 Das Bundesteilhabegesetz Feuerwehr Gefährdungsbeurteilung bei Fahrzeugen mit alternativen 19 Antrieben im technische Hilfeleistungseinsatz der Feuerwehr Interview mit Rolf Reich 21 kommmitmensch 23 In drei Schritten erfolgreich Feedback geben Kurz & Knapp 24 UK Brandenburg verzichtet auf Papier Lohnnachweis jetzt nur noch digital möglich Dr. Edlyn Höller neue stv. Hauptgeschäftsführerin der DGUV Serie BG Kliniken in Deutschland 25 Teil II – Das Unfallkrankenhaus Berlin Aktuelle Medien 28 Notizen 29 2
03.2018 Prävention Dokumentation Erste-Hilfe-Leistung Im Rahmen der beruflichen Tätigkeit Datenerfassung ist ebenfalls zuläs- kann es zu Unfällen, in deren Folge sig. Aufgezeichnet werden müssen Beschäftigte Verletzungen erleiden, der Name der verletzten beziehungs- kommen. Im Bereich der frühkindli- weise erkrankten Person und chen Erziehung und in Schulen sind Angaben zum Hergang des Unfalls die Kinder den versicherten Beschäf- beziehungsweise des Gesundheits- tigten, bezüglich des gesetzlichen schadens. Unfallversicherungsschutzes und der Behandlung von Unfallfolgen, gleich- Dazu gehört: gestellt. Für diesen Fall muss der • Wann? (Datum/Uhrzeit) die Betreuung des Kindes nachzu- Unternehmer/die Unternehmerin • Wo? (Ort) kommen. So kann sie Auffälligkeiten dafür sorgen, dass unverzüglich Erste • Wie? (Unfallhergang) schneller erfassen und darauf Hilfe geleistet und eine erforderliche • Was? (Art und Umfang der reagieren. Zum Beispiel wenn das ärztliche Versorgung veranlasst wird. Verletzung/Erkrankung) Kind Anzeichen einer Gehirn- Der Unternehmer/die Unternehmerin • sowie der Name des Ersthelfers erschütterung zeigt. hat im Rahmen seiner/ihrer unter- bzw. der Ersthelferin. Die Aufzeichnungen sind in jedem nehmerischen Pflichten für eine Fall vertraulich zu behandeln, das geeignete Organisation zu sorgen. Es ist dem Unternehmer beziehungs- heißt Verbandbuch oder Meldeblock Zum Beispiel ist zu gewährleisten, weise der Unternehmerin nicht sind vor einer Kenntnisnahme durch dass Aushänge in geeigneter schriftli- vorgeschrieben, wer oder welche Unbefugte zu schützen. Dazu sind cher Form Hinweise über Erste Hilfe Stelle im Betrieb mit der Dokumenta- geeignete organisatorische Maßnah- geben, ausreichend ausgebildete tion beauftragt werden soll. Sinnvoll men zu treffen, zum Beispiel durch Ersthelferinnen oder Ersthelfer zur erscheint es, diejenigen damit zu die Aufbewahrung des Verbandbuchs Verfügung stehen sowie Mittel zur betrauen, die die Erste Hilfe durch- beziehungsweise der ausgefüllten Ersten Hilfe jederzeit schnell erreich- führen, also zum Beispiel die Erst- Meldeblätter, unter Verschluss beim bar und leicht zugänglich, in geeigne- helferin oder der Ersthelfer. Das Ersthelfer oder bei der Ersthelferin. ten Behältnissen, in ausreichender Aufbewahren an einer zentralen In Kindertageseinrichtungen hat sich Menge bereitgehalten sowie recht- Stelle ist ebenfalls ratsam. Das Ver- die Aufbewahrung im Leitungsbüro zeitig ergänzt und erneuert werden. bandbuch enthält wichtige Informa- bewährt. Darüber hinaus muss jede Erste- tionen, die einzelne Beschäftigte zur In sehr großen Einrichtungen oder Hilfe-Leistung dokumentiert und die Durchführung ihrer rechtlichen und Einrichtungen mit mehreren Gebäu- Dokumentation fünf Jahre lang vertraglichen Verpflichtungen benöti- den sollten Verbandbuch oder verfügbar gehalten werden. gen und deren Erfassung nach Art 6. Meldeblock in entsprechender Die Verantwortung dafür trägt gemäß der Datenschutzgrundverordnung Anzahl in den verschiedenen der DGUV Vorschrift 1, § 24 (2) u. (6), (DSGVO) zulässig ist. Bereichen genutzt werden. § 25 (2) der Unternehmer/die Unter- Wird die Dokumentation in elektroni- nehmerin. Ein Kind stolpert am Vormittag und scher Form geführt, ist durch In welcher Form die Erfassung der zu hat eine kleine Beule am Kopf. Die technische Maßnahmen zu gewähr- dokumentierenden Daten erfolgt, pädagogische Fachkraft vermerkt den leisten, dass nur Berechtigte darauf steht dem Unternehmer frei. Die Unfall im Verbandbuch. Die Kollegin Zugriff haben. Erfassung kann in einem Verband- in der Nachmittagsschicht benötigt buch (DGUV 204-020) oder in einem diese Information. Zum einen um der Meldeblock (DGUV 204-021) erfolgen. Auskunftspflicht gegenüber den Beides wird von den Unfallkassen Eltern nachzukommen. Zum anderen kostenfrei, in geeigneter Form zur um ihren vertraglichen und rechtli- Verfügung gestellt. Eine elektronische chen Verpflichtungen im Hinblick auf 3
Prävention 03.2018 Jeder kann ein Held sein! Erste Hilfe – eine Pflichtaufgabe nicht nur des Unternehmers Die gesetzliche Unfallversicherung hat die Aufgabe, mit allen geeigneten Mitteln, Arbeitsunfälle, Berufskrank- heiten und arbeitsbedingte Gesund- heitsgefahren zu verhüten sowie für eine wirksame Erste Hilfe zu sorgen (§ 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch). Zur Erfüllung dieser Aufgabe lassen die gesetzlichen Unfallversicherungs- träger jedes Jahr über 2 Millionen Versicherte in der Ersten Hilfe aus- und regelmäßig fortbilden und tragen die anfallenden Lehrgangsgebühren. Die Erste-Hilfe-Ausbildung wurde ab dem 1. April 2015 auf neun Unter- richtseinheiten (Unterrichtseinheit: macht sich derjenige, der nicht hilft ihre Uni-Arbeitsgemeinschaft diverse 45 Minuten) gestrafft und der Umfang (unterlassene Hilfeleistung) oder als Preise gewannen, wenden sich mit der regelmäßigen, in Zeitabständen „Zuschauer” an der Unfallstelle die der Initiative vorrangig an Grundschü- von zwei Jahren erforderlichen Fort- Hilfeleistungen behindert ler von der ersten bis zur sechsten bildung, auf neun Unterrichtseinhei- (Quelle: www.dguv.de/fb-erstehilfe). Klasse. Weil die Studenten damit ten ausgeweitet. Auch die Erste-Hilfe Neuland betreten und trotzdem einen Aus- und Fortbildung in Bildungs- und Deshalb sollten schon Kinder, hohen Qualitätsstandard bei ihren Betreuungseinrichtungen für Kinder abgestimmt auf die verschiedenen Ausbildungen wahren müssen, wird umfasst zukünftig jeweils neun Unter- Altersgruppen, geeignete Methoden jede Aktion an den Grund- richtseinheiten (siehe Mitteilungs- der Ersten Hilfe erlernen und regel- schulen durch das Charité Institut für blatt 1/2015 der UKBB, erschienen mäßig wieder auffrischen. Daher Sozialmedizin begleitevaluiert. im Mai 2015). unterstützt die Unfallkasse Branden- burg den Verein Pépinière e.V. bei Wie laufen die Einführungsaktionen Sachgemäß durchgeführte Erste Hilfe seiner Aktion „Jeder kann ein Held an den Grundschulen ab? nach einem Unfall oder bei einer sein”, denn: akuten Erkrankung kann unter „Was braucht es, um ein Held zu Die Studenten und Helfer – sie nen- Umständen lebensrettend sein und sein? Nicht viel, wie eine gemein- nen sich die Heldenmacher – können soll in jedem Fall die Folgen so weit same Initiative von Unfallkasse Bran- bei den Aktionen, dank der Unfall- wie möglich begrenzen. Sie beginnt denburg, Pépinière e.V. und Charité kasse Brandenburg, auf einen großen ohne Verzögerung mit den unmittel- beweist. Die Aktion nennt sich „Jeder Materialpool zurückgreifen, so das bar notwendigen Sofortmaßnahmen kann ein Held sein”, der Initiator alle Klassen einer Grundschule durch die Ersthelferinnen und Erst- Philipp Humbsch, Medizinstudenten gleichzeitig ausgebildet werden. Die helfer. Jede Ersthelferin oder jeder der Charité und seine Kommilitonen – dreitägige Aktion wird dabei meis- Ersthelfer ist automatisch gesetzlich unterstützt von Krankenpflegern und tens in eine Projektwoche, mit dem unfallversichert. Sachschäden oder Rettungsdienstmitarbeitern aus Bran- Thema Erste-Hilfe, eingebunden. An Auslagen werden in der Regel durch denburg – gehen an Brandenburger den ersten beiden Tage lernen die die Versicherungen der Unfallbeteilig- Grundschulen und Kindergärten, Kinder die Grundlagen. Praktische ten/Verursacher ersetzt. führen bereits die Kleinsten in das Übungen und Fallbeispiele, sowie der lebensrettende Wissen der Einsatz verschiedener Medien Sollte eine Erste-Hilfe-Anwendung Ersten-Hilfe ein. Ein speziell dafür verdeutlicht den Kindern nicht nur die nicht richtig gelingen, kann ein entwickeltes Curriculum vermittelt die Bedeutung von Selbstschutz und helfender Laie dafür nicht strafrecht- Inhalte leicht verständlich und legt Unfallverhütung, sondern auch die lich belangt werden, außer er handelt den Fokus auf praktisches Üben, weg drei Themengebiete Reanimation, grob fahrlässig oder er fügt vorsätz- vom Frontalunterricht, hin zum Verbandlehre und Stabile Seitenlage. lich jemandem Schaden zu. Strafbar Selbermachen. Die Studenten, die für Außerdem lernen die Kinder etwas 4
03.2018 Prävention über das Thema Rettungskette sowie nach Möglichkeit, ein. Drei der vier bei dieser Auswertung um die welt- die Akteure im gemeinnützigen Stationen beschäftigen sich mit den weit größte Studie zum Thema Bevölkerungs- und Katastrophen- vier Prüfungsthemen Reanimation, Erste-Hilfe Anleitung in den unteren schutz. Dabei helfen den Ausbildern Verbandlehre, Stabile Seitenlage und Altersgruppen. Mehr als 5000 nicht nur einige der mehr als 100 dem Eigenschutz, der bei jeder Schülerinnen und Schüler sowie Übungsphantome im Materialpool Station im Vordergrund steht. Die Studentinnen und Studenten haben sondern auch die Methodenkisten. vierte Station ist reserviert für den bisher an den Aktionen der mittler- Diese Methodenkisten bekommt jede Katastrophenschutz. Lokale Akteure weile knapp 70 Heldenmacher Klasse für die Projekttage und sie aus dem Ehrenamt sollen die Mög- teilgenommen, mehr als 4000 davon enthält alle notwendigen Materialien lichkeit haben, den Kindern von der waren Grundschüler, die nicht für die Ausbildungen. Hierbei gilt: aus Vielseitigkeit und den Aufgaben ihres aktueller Bestandteil der Empfehlung alt mach neu. Für die Projekttage ver- Ehrenamtes im Bevölkerungs- und der Kultusministerkonferenz sind und wenden die Ausbilder ausschließlich Katastrophenschutz zu berichten und für die es daher keine regelhaften abgelaufenes Verbandmaterial, das für Nachwuchs zu werben. Bei öffentlichen Förderungsmöglich- die Kinder von Zuhause mitbringen diesem Blaulicht-Markt der Möglich- keiten gibt. oder aber das vorher in der Schule keiten stehen dann gerne mal meh- gesammelt wird. Positiver rere Einsatzfahrzeuge auf dem Schul- „Das Brandenburger Pilotprojekt Nebeneffekt: der Blick in den eigenen hof und ziehen viele Schüler mit gewinnt mittlerweile Nachahmer in KFZ-Verbandkasten - ist der denn großen Augen an. Klar, dass sich anderen Bundesländern und die noch nutzbar oder sind die darin dann die eine oder andere neue Feu- Brandenburger Heldenmacher den- enthaltenen Verbandmaterialien erwehrfrau oder ein zukünftiger ken noch lange nicht ans aufhören.“ schon über das Verfallsdatum? Rettungssanitäter oder THW-Helfer bestätigt Initiator Philipp Humbsch. Außerdem nutzen die Heldenmacher unter den vielen interessierten Die Unfallkasse Brandenburg wird anatomische Modelle und Defibrilla- Schülern findet. sich ebenfalls weiter für das Projekt toren. Viele Kinder nehmen die engagieren. Inhalte so schnell auf, dass sogar Aber natürlich ist diese Heldenprü- noch Zeit bleibt, den Kinder das fung nicht nur Spaß, schließlich gilt Konzept der Defibrillation zu erklären, es ja für die Schüler, sich das Helden- also den Einsatz von Geräten für die diplom zu verdienen! Darum ist ein Weitere Informationen: Laienreanimation. wichtiger Bestandteil der Heldenprü- DGUV Information 204-007 „Handbuch Am dritten Tag findet dann die fung eine Klausur mit Textaufgaben. zur Ersten Hilfe” Heldenprüfung statt: das erworbene Diese Klausur – zusammen mit DGUV Information 204-008 „Handbuch Wissen will unter Beweis gestellt einem, vor der Ausbildung an alle zur Ersten Hilfe in Bildungs- und Betreu- werden. Dazu bauen die Helden- Schüler ausgeteilten, altersabhängi- ungseinrichtungen für Kinder” macher verschiedene gen Fragebogen – bildet den Kern der DGUV Grundsatz 304-001 „Ermächti- Prüfungsstationen auf und binden wissenschaftlichen Untersuchungen gung von Stellen für die Aus- und Fortbildung in der Ersten Hilfe” dabei das komplette Schulgelände, seitens der Charité. Es handelt sich 5
Prävention 03.2018 Mit Helm – aber sicher! Das gemeinsame Präventionsprojekt bedarf es zahlreicher guter Ansätze. Anerkennung sondern vor allem An- der Kinderneurologiehilfe Berlin- Deshalb kommt das Projekt nicht mit sporn, weiter zu machen und neue Brandenburg, der Unfallkasse erhobenem Zeigefinger daher, son- Ideen zu entwickeln. Brandenburg und des Netzwerkes dern bezieht die Jugendlichen mit ein. Verkehrssicherheit Berlin-Branden- Eine Peergroup aus älteren Schülerin- Die kontinuierliche Verkehrssicher- burg erhält den Preis nen und Schülern (Klassenstufe 9/10) heitsarbeit in Deutschland ist erfolg- „Der Rote Ritter 2018” erarbeitet sich eine Position zum reich, wie die seit Jahren rückläufigen Helmtragen, die sie den Jüngeren Unfallzahlen zeigen. „Noch in den Noch ist die Vision vom Straßenver- (Klassenstufe 7/8) vermittelt. Dazu 1990er Jahren verunglückten im kehr ohne Tote und Schwerverletzte konzipiert die Peergroup verschie- Straßenverkehr jährlich fast doppelt ein Traum. Aber mit Engagement und dene Aktionsstände, die im Markt der so viele Kinder wie heute”, so guten Ideen kann die Zahl der Unfälle Möglichkeiten die Jüngeren zum Mit- Adalbert Wandt, Vorsitzender der immer weiter verringert werden. machen und Nachdenken anregen. „Aktion Kinder-Unfallhilfe e.V.”, die Der Verein Aktion Kinder-Unfallhilfe So überlegen sie sich z.B. Frisuren, den Preis „Der Rote Ritter” vergibt. e.V. zeichnet alle 2 Jahre engagierte die trotz Helm gut aussehen oder ent- Menschen, die mit pfiffigen Ideen werfen neue Designs für den Fahrrad- Auch wenn das Tragen eines Fahrrad- und nachhaltigen Projekten Kinder helm. Umrahmt wird der Markt der helms in Deutschland nicht Pflicht und Jugendliche vor Verkehrsunfällen Möglichkeiten von den Aktionen der ist, ist es ein deutliches Signal, dass schützen, mit dem Präventionspreis Partner, die erklären, was beim Sturz der Bundesverkehrsminister regelmä- „Der Rote Ritter” aus. Es geht darum, auf den ungeschützten Kopf passiert, ßig die Schirmherrschaft für den wirksame Projekte in der Verkehrs- warum der LKW-Fahrer den Radfahrer Präventionspreis übernommen hat. sicherheitsarbeit bekannt zu machen im „Toten Winkel” nicht und mit den guten Ideen zur Nachah- sieht, wie man bei Kopf- mung anzuregen. verletzungen Erste Hilfe leistet, warum es für das Bei der Preisverleihung am 2. Novem- Radfahren wichtig ist, ber 2018 wurde diesmal auch das sein Gleichgewicht zu gemeinsame Projekt der Unfallkasse trainieren und welche Brandenburg, der Kinderneurologie- Verkehrsregeln für Rad- hilfe Berlin-Brandenburg und des fahrer Netzwerkes Verkehrssicherheit besonders wichtig sind. Berlin-Brandenburg aufgerufen. Dabei kommt es auf die Verbindung von Theorie Jedes Jahr erleiden in Deutschland und Praxis an: Verkehrs- über 70.000 Kinder unter 15 Jahren regeln kennen und den ein Schädel-Hirn-Trauma. Als wäre Fahrradparcour sicher dies nicht schlimm genug, führt jede absolvieren, die Verletz- Dritte dieser Verletzungen zu einer lichkeit des Kopfes dauerhaft schweren Behinderung – erkennen und in der Lage etwa zu Sprach- und Konzentrations- sein, Hilfe bei Verletzun- störungen, verändertem Sozialverhal- gen zu leisten. ten, epileptischen Anfällen oder Lähmungen. Die Auszeichnung ist für Genau dort setzt das Projekt „Mit die Projektverantwortli- Helm – aber sicher!” an. chen, Herrn Ploß, Unfall- kasse Brandenburg, Die Zielgruppe der über 12 Jährigen Frau Mross, Kinderneuro- trägt eher selten einen Fahrradhelm – logiehilfe, und Frau Born, es gilt als uncool. Um sie davon zu Netzwerk Verkehrssicher- überzeugen, einen Helm zu tragen, heit, nicht nur Dank und 6
03.2018 Prävention Modellprojekt „Schulgesundheitsfachkräfte an öffentlichen Schulen im Land Brandenburg” startet die IV. Projektphase Der Einsatz der Schulgesundheits- fachkräfte in der Projektphase III hat gezeigt, dass alle Beteiligten von der Einführung der neuen Fachkräfte profitieren: - Kinder und Jugendliche, - Schulpersonal, insbesondere die Lehrkräfte, - Eltern / Sorgeberechtigte, - Gesundheits- und Kinder- / Krankenpflegekräfte und - Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitsamtes, insbesondere des Kinder- und Seit dem Jahr 2009 laufen die Bestre- Projektphase III. Jugendgesundheitsdienstes (KJGD). bungen, Schulgesundheitsfachkräfte Auf dem Kindergesundheitsgipfel an öffentlichen Schulen einzuführen. 2018 konnte ein Beschluss vom Für Kinder und Jugendliche, die allge- Der Projektträger, AWO Bezirksver- Plenum zur weiteren Umsetzung des meinbildende Schulen besuchen, band Potsdam e.V., das Ministerium Modellprojektes „Schulgesundheits- geht es um einen Beitrag zur für Arbeit, Soziales, Gesundheit, fachkräfte” im Land Brandenburg - Verbesserung der gesundheitlichen Frauen und Familie (MASGF), das gefasst werden. Dafür hat das Plenum Lage und Versorgung sowie Stär- Ministerium für Bildung, Jugend und die Landesregierung sowie die Sozial- kung der Gesundheitskompetenz, Sport (MBJS), die AOK Nordost und versicherungsträger gebeten, eine - frühzeitige Entdeckung von die Unfallkasse Brandenburg (UKBB) Weiterführung und Weiterentwicklung gesundheitlichen Problemen und wollen mit dieser Initiative Sicherheit des Modellprojektes über den 31. Ok- eine entsprechende Hilfestellung, und Gesundheit an Schulen entwi- tober 2018 hinaus zu unterstützen. auch aus armutsgefährdenden ckeln helfen sowie die gesundheits- Auf der Grundlage dieses Beschlus- Aspekten heraus, und bildungsbezogene Chancen- ses soll sich im Modellprojekt eine - Verringerung der krankheits- und gleichheit aller Kinder und Projektphase IV anschließen, die unfallbedingten Fehlzeiten, Jugendlicher fördern. einen Zeitrahmen vom 01.11.2018 bis - Verbesserung der Lernsituation, zum 31.12.2020 umfasst. insbesondere von Schülerinnen Das Modellprojekt wird in Branden- Am 4. Oktober 2018 wurden auf einer und Schülern, die chronisch krank, burg seit August 2016 durch das Fachtagung in Potsdam die Ergeb- beeinträchtigt und behindert sind, MASGF, das MBJS, die AOK Nordost nisse der Evaluationen vorgestellt. in den Regelschulen, und die Unfallkasse Brandenburg Bereits in den knapp 18 Monaten des - Verbesserung der Lernvorausset- unterstützt. Der Machbarkeitsstudie Einsatzes von Schulgesundheitsfach- zungen für gesundheitlich und/ im Land Brandenburg als Projekt- kräften in der dritten Projektphase oder sozial belasteten Schülerin- phase I, folgte die Erarbeitung eines zeigt sich demnach, dass der Bedarf nen und Schülern sowie Curriculum für die Qualifizierungs- an gesundheitlicher Versorgung im - Verbesserung der Bildungschancen maßnahme von examinierten Setting Schule sehr hoch ist. Eine und der Ausbildungsfähigkeit für Gesundheits- und Kinder- / Kranken- ständige Präsenz von Schulgesund- Schülerinnen und Schüler an pflegekräften zu Schulgesundheits- heitsfachkräften an den Schulen allgemeinbildenden Schulen im fachkräften (SGFK) als Projektphase sollte gewährleistet und die bessere Allgemeinen und für gesundheitlich II, die Einstellung von 10 Schulge- Betreuung chronisch kranker Kinder und/oder sozial benachteiligte sundheitsfachkräften, die Durchfüh- und Jugendlicher möglich sein, Schülerinnen und Schüler im rung der Qualifizierungsmaßnahme weshalb eine kontinuierliche und Besonderen. und der modellhafte Einsatz der verlässliche Arbeit der Schulgesund- 10 Schulgesundheitsfachkräfte an heitsfachkräfte an den Schulen 20 Schulen im Land Brandenburg als anzustreben ist. 7
Prävention 03.2018 Für das Schulpersonal, insbesondere Behinderungen in Bezug auf ihre men des Gesundheitsschutzes die Lehrkräfte, geht es um einen Erwerbstätigkeit entlastet werden. (z.B. Hygienemaßnahmen bei Beitrag zur Infektionsgeschehen, Impfungen). - Entlastung von nicht originären, Für examinierte Gesundheits- und freiwilligen gesundheitsbezogenen Kinder- / Krankenpflegekräfte geht es Eine künftige Anbindung an den Aufgaben, um die Möglichkeit, in einem Hand- Kinder- und Jugendgesundheitsdienst - Arbeitszufriedenheit, lungsfeld an der Schnittstelle wird überprüft. - Verringerung der krankheits- oder zwischen Gesundheit und Bildung Ein weiteres Ziel ist die Prüfung des unfallbedingten Fehlzeiten, tätig zu werden, welches familien- Tätigkeitsprofils der Schulgesund- - Verbesserung des eigenen Gesund- freundliche Arbeitszeiten und ein heitsfachkräfte unter quantitativen heitsverhaltens und Stärkung der wohnort-nahes Arbeitsplatzangebot und qualitativen Gesichtspunkten auf eigenen Gesundheitskompetenz, bietet und auch für Fachkräfte geeig- Bedarfsgerechtigkeit. auch im Sinne einer Vorbildfunk- net ist, die aufgrund der körperlichen tion für die Kinder und Jugend- Beanspruchungen im Pflegebereich Tätigkeiten und Aufgabenbereiche lichen sowie ihren Beruf aus gesundheitlichen der Schulgesundheitsfachkräfte - Erhöhung des subjektiven Gesund- Gründen nicht mehr in vollem heits- und Wohlbefindens. Umfang ausüben können. Die Tätigkeiten und Aufgabenberei- che der Schulgesundheitsfachkräfte Mit Blick auf die Eltern / Sorgeberech- Mit Blick auf die Mitarbeiterinnen und stellen sich wie folgt dar: tigten geht es darum, dass Mitarbeiter des Gesundheitsamtes (1) Gesundheitliche Versorgung - sie wissen, in welchen Fällen eine geht es um die fachliche Zusammen- (2) Gesundheitsförderung und medizinisch-pflegerische Fachkraft arbeit zwischen Schulgesundheits- Prävention die Erstversorgung übernimmt, fachkraft, Kinder- und Jugendgesund- (3) Früherkennung - die Schnittstelle identifiziert und heitsdienst und zahnärztlichem (4) Unterstützung von Kindern und beschrieben wird, die sich ergibt, Dienst bezogen auf schulrelevante Jugendlichen mit chronischen Gesundheitsbedarfe: Erkrankungen / Behinderungen wenn: - Unterstützung in der Betreuung und bzw. nach längerer krankheits- • ein chronisch krankes Kind von Begleitung von Kindern und bedingter Abwesenheit von einer Person in der Schule versorgt Jugendlichen mit schulrelevanten der Schule oder in diese begleitet wird, deren Gesundheitsstörungen, chroni- (5) Ansprech- und Vertrauensperson Tätigkeit sich aus anderen rechtli- schen körperlichen und psychi— für Schülerinnen und Schüler mit chen und/oder vertraglichen schen Erkrankungen bzw. gesundheitlichen Auffälligkeiten Regelungen ergibt (z.B. eine Pflege- Behinderungen, (6) Interdisziplinäre außerschulische fachkraft bei einer 24h-Intensiv- - Zusammenarbeit bei den Schulein- Kooperation versorgung, Assistenzpflege als gangs- und Schulabgangs- Durchführung des Modellprojektes in Sachleistung gem. SGB XI oder untersuchungen, der IV. Projektphase Einzelfallhelfer gem. SGB XII), - Mitwirkung bei zahnärztlichen • ein akut krankes oder verunfalltes Maßnahmen in der Schule, Die Modellprojektphase IV (01.11.2018 Kind bis zur Veranlassung der - Mitwirkung bei der nachgehenden – 31.12.2020) beginnt im Land Bran- weiteren Versorgung in der Schule Gesundheitsfürsorge, denburg mit der Qualifizierungs- versorgt wird, - Unterstützung in der Umsetzung maßnahme für 10 neueingestellte • eine Entlastung der Eltern durch die bedarfsbezogener Maßnahmen in Fachkräfte. Auf eine einmonatige Voll- Schulgesundheitsfachkraft erfolgt, da der Prävention, Gesundheitsförde- zeitqualifizierungsmaßnahme folgt sie ihr Kind nicht mehr bei gering- rung und gesundheitlichen eine tätigkeitsbegleitende fügigen gesundheitlichen Einschrän- Versorgung (z.B. abgeleitet aus der Qualifizierung in Form von Blockver- kungen von der Schule abholen Gesundheitsberichterstattung des anstaltungen während der Ferien und müssen, KJGD) sowie E-Learningzeiten. Die Weiterbildung • Eltern (v.a. Mütter) von chronisch - Unterstützung des KJGD bei der ist im Februar 2020 abgeschlossen. kranken Kindern und Kindern mit Beratung der Schule zu Maßnah- Auf diese Weise soll gewährleistet 8
03.2018 Prävention werden, dass die Fachkräfte vor dem ermöglichen. Bildungseinrichtungen Das Modellprojekt „Schulgesund- Einsatz in den Schulen mit dem sind daher für die Vermittlung von heitsfachkräfte an öffentlichen neuen Tätigkeitsfeld vertraut werden Sicherheit und Gesundheit ein be- Schulen im Land Brandenburg” ist und durch die tätigkeitsbegleitende deutsames Betätigungsfeld. ein gelungenes Beispiel dafür. Phase eine besondere Unterstützung Aktivitäten der Prävention und Ge- Die Schulkrankenschwestern küm- des angestrebten Theorie-Praxis- sundheitsförderung müssen hier mern sich nicht nur um die Erstversor- Transfers durch kontinuierliche nachhaltig angelegt werden, um gung von verletzten Kindern und angeleitete Reflexion und Erweite- Sicherheit und Gesundheit als Werte organisieren Präventionsprojekte, sie rung der erforderlichen Kenntnisse für die Gesellschaft zu thematisieren sind darüber hinaus wichtige (und und Fertigkeiten erhalten. und im Denken und Handeln zu erfolgreiche) Akteure bei der Etablie- Die Tätigkeit an den Modellschulen integrieren. Dann werden Sicherheit rung einer Kultur der Prävention in wird von den in der III. Projektphase und Gesundheit als Werte gelebt und den Schulen.” angestellten Schulgesundheitsfach- vorgelebt und ein kultureller Verände- kräften weitergeführt, der Einsatzort rungsprozess ist vollzogen. Quellen: AWO BV Potsdam ist jeweils an einer Schule. Zitat C. Heuberger, Bilder UKBB Im Dezember 2018 werden die neuangestellten Schulgesundheits- fachkräfte ihren Einsatz an den Schulen beginnen. Der Projektträger stellt die Begleitung und Unterstützung der Schulgesund- heitsfachkräfte sicher, führt zwei- monatlich einen Reflexionstag durch und bietet bei Bedarf Fortbildungen an. Weiterhin werden die Schulge- sundheitsfachkräfte monatlich an einer Supervision teilnehmen. Die Zusammenarbeit mit dem Bundesland Hessen wird auch in der IV. Projektphase erfolgen. Im Jahr 2018 gründete sich ein bundesweites Netzwerk „Schulkrankenschwestern”. In diesem Netzwerk arbeiten die im Modellprojekt tätigen Schulgesund- heitsfachkräfte und der Projektträger mit. Der alternierende Vorstandsvorsit- zende der Unfallkasse Brandenburg, Herr Claus Heuberger, äußerte sich am Rande der Fachtagung in Potsdam zur Bedeutung des Projektes aus der Sicht der Unfallkasse: „Die Entwicklung eines Sicherheits- und Gesundheitsbewusstseins und die Aneignung entsprechender Kom- petenzen erfordert eine frühzeitige Sensibilisierung und aktives Erler- nen, um später eine bewusste Umset- zung von Präventionsprinzipien zu 9
Prävention 03.2018 Wie ein innerer Erdrutsch ... Ein Bericht der Chefredakteurin Katrin Böhme der Zeitschrift „info110” Straftäter zu ermitteln ist täglich Brot vieler Polizisten, dafür zu sorgen, dass Straftaten erst gar nicht geschehen ist auch die Aufgabe der polizeilichen Prävention. Claudia Sponholz (51) ist eine von diesen „Aufklärungspolizis- ten”. Im Bereich der Polizeiinspektion (PI) Luckenwalde besucht die Ober- kommissarin fast täglich Schulen und redet mit Kindern und Jugendlichen. Claudia Sponholz ist zugleich Opfer- schutzbeauftragte der PI. Für die info110 begleiten wir die Präventione- rin und zeigen den Alltag ihrer fordern- den und dennoch dankbaren Arbeit. 06:00 Uhr Dienstbeginn in Lucken- manchmal eine Gratwanderung, die Kilometer entfernte Ludwigsfelde. walde. Claudia Sponholz steht an der Uniform jage den Erstklässlern durch- Diese Strecke ist eine der kürzeren. Glastür des futuristischen Inspektions- aus auch Angst ein. Tränen sind Wenn es in Richtung Baruth geht, sei neubaus. Hinter der Glasfassade ist genauso häufig, wie stürmische Umar- sie schon fast eine Stunde unterwegs. bereits reger Dienstbetrieb. In Zivil mungen. Während ich überlege, wie ich Im Auto erzählt sie mir von der Schule, erwartet mich die Oberkommissarin, ein und den gleichen Vortag vier Mal in die wir nun fahren. Mit der Direktorin, sie ist schon ein paar Minuten da. hintereinander überstehe, klingelt das einer engagierte Frau, sei sie per Du. Gemeinsam gehen wir in den obersten Telefon. Der Sohn der Präventionerin ist Auf Initiative der Schulleiterin hin, hät- Stock. Ihr Büro, das sie mit einer Kolle- am Apparat. Es geht ihm nicht gut, er ten sie die Termine dieser Woche schon gin teilt, ist eng. Vollgestopft mit will daheim bleiben. „Schau erst mal vor mehr als einem halben Jahr festge- Schränken, diversen Aufstellern, Dreh- wie es geht, Du schreibst doch heute legt. Diese Vorlaufzeiten sind normal, scheiben, Unterlagen und zwei Schreib- auch die Physikarbeit, Du hast doch es bliebe dennoch Raum für kurzfristige tischen. Jetzt erst einmal ein Milchkaf- fleißig gelernt. Wenn es nicht geht, ruf Termine. Nach einer halben Stunde fee. Während die Maschine vor sich hin Papa an. Sei ein Mann”, sagt sie liebe- sind wir da. Claudia zottelt noch einen blubbert erfahre ich mehr über das voll und legt auf. Ihr zweiter Sohn ist ein Polizeikalender aus dem Kofferraum, Programm des heutigen Tages. In Nachzügler, elf Jahre alt. Er steht mor- hängt sich ihre vier Taschen um und eineinhalb Stunden werden wir in einer gens allein auf, frühstückt und macht verschließt das Auto. Auf dem kurzen Grundschule in Ludwigsfelde erwartet. sich auf in die Schule. Das ist Alltag. Weg über den Schulhof klingelt das Gewaltprävention ist das Thema. Bei Der selbständige Junge ist Teil einer Telefon. Ein Seelsorger ist am Handy. den Kleinen, heute sind es erste und scheinbar gut organisierten Polizisten- Ein kurzes Gespräch, eine Verabredung zweite Klassen, geht es um die Gewalt, Familie. Claudias Mann arbeitet beim zum Arbeitstreffen, dann geht es rasch die Fremde ihnen antun könnten. Kriminaldauerdienst. „Mein jüngster zur Tür. Der Schuleingang ist verschlos- „Gehe nicht mit Fremden mit!” so lautet Sohn ist auch so etwas wie eine Brücke sen, eine Lehrerin lässt uns ein. Wir der Merksatz. Vier Mal wird Claudia in meine dienstliche Welt, ich hätte eilen ins Sekretariat, vor dem sich Sponholz ihren Vortag halten, in vier sonst keine Ahnung, was in diesem Eltern mit Vorschulkindern versammelt Klassen, vor etwa einhundert Kindern. Alter bei den Kindern angesagt ist”, haben. Die Aufnahmegespräche für das Das sei durchaus ein normaler Tag, gibt sie zu. nächste Schuljahr laufen. Von der meint die 51-Jährige als sie Jeans und Hektik und der Lautstärke unbeein- Bluse gegen die Uniform tauscht. „Die 7:00 Uhr Claudia holt den Dienstwa- druckt fragt Oberkommissarin Sponholz Uniform ist wichtig, um als Autoritäts- gen. Diesen mag sie besonders. „Der nach dem Klassenraum, zu dem wir person zu erscheinen und auch den hat Sitzheizung”, sagt sie und heizt mir kurz darauf hasten. Eine erste Klasse Abstand zu den Kindern zu wahren”, auch gleich ein. Wir rollen vom Hof der wartete auf uns. sagt sie. Bei den Kleinen sei dies Inspektion und fahren in das fast 35 10
03.2018 Prävention 7:30 Uhr „Guuuuten Morgen, Frau macht den Kindern klar, dass nur Fami- Weihnachtsmann gebracht, vielleicht Sponholz“ klingt es aus 25 Kindermün- lienangehörige bekannt sind, alle an- eine Barbie?” „Mmh, ja eine”, antwor- dern. Ein lieblicher Sing-Sang. Weil es deren sind fremd. Aber was ist die tet die Kleine sichtbar verschüchtert, so schön ist, bekommt Claudia auch Lehrerin? Sie ist fremd, aber sie ist obwohl Claudia in die Hocke gegangen noch das Lied von der Maus. Die Klas- etwas Besonderes, versucht die Polizis- ist und sehr freundlich mit ihr redet. senlehrerin versucht den Kindern kurz tin die Stellung einiger Personen zu „Magst Du vielleicht noch eine haben? zu erläutern, worum es heute geht. Auf- verdeutlichen. Und dann wird mir an Meine Tochter hat daheim ganz viele, geregtes Getuschel. Dann ist Ruhe und diesem Morgen zum ersten Mal klar, mit denen spielt sie nicht mehr. Du Claudia beginnt. „Ich bin Polizistin und wie wichtig diese Stunde ist, die Clau- kannst ja mit mir mitkommen, dann arbeite in einem Bereich der heißt dia gerade abhält. Bis eben, habe ich zeige ich dir alle.” Lisa ist völlig überfor- Prävention. Wisst ihr was das heißt?”. mich gefragt, ob es denn für die Kinder dert. Sie wird rot und traut sich kein Schweigen. „Wenn es draußen heiß ist, nicht selbstverständlich sei, dass sie Wort mehr zu sagen, auch die geflüster- was macht ihr dann, um Euch abzuküh- Distanz zu Fremden wahren. Ich bin ten Anfeuerungsrufe ihrer Klassenka- len?”, fragt sie. „Eis essen, baden”. selbst Mutter und fest überzeugt meraden wirken nicht. Kein Wort „Wenn es draußen ganz kalt ist, geht ihr davon, dass meine Kinder eher die kommt über ihre Lippen. Auch als Clau- dann auch baden?” Gemeinschaftli- Flucht ergreifen würden, als auch nur dia helfen will: „Sag NEIN, sag LASSEN ches Kopfschütteln. Auf die Frage, was darüber nachzudenken, in das Auto SIE MICH IN RUHE!”, ist Lisa still und man denn machen kann, damit man eines Fremden zu steigen. Als Polizistin senkt den Kopf. Sie ist den Tränen nicht friert, tauen gewissermaßen auch weiß ich aber auch, dass der völlig nahe, das merke ich. Jetzt fühle auch die Kinder auf. „Mütze anziehen, unbekannte Täter so gut wie nie vor- ich mich unbehaglich und das liegt warme Sachen und so...”, da sind sich kommt. Gewalterleben spielt sich zum nicht am 30 Zentimeter hohen Stuhl, die Knirpse nun einig. „Seht ihr, damit größten Teil in der Familie ab. Aber die auf dem ich seit einer halben Stunde ihr nicht friert und vielleicht sogar krank Szene nun zeigt mir, wie verunsichert, hocke. Claudia bricht ab. Vor diesem werdet, beugt ihr vor. Vorbeugen, das wie scheu eine Kinderseele sein kann. Rollenspiel hat sie den Kindern erklärt, heißt Prävention übersetzt. Das leuch- Ein kleines Mädchen, im gepunkteten wie wichtig es ist, laut und deutlich tet ein. Nun aber zum eigentlichen Kleid – eben noch taff und beim Mel- NEIN zu sagen. Dass ein SIE, einem Thema. „Woran erkennt ihr, dass ich den immer die Erste – wird von Claudia Fremden gegenüber, von Anderen viel Polizistin bin?”, fragt sie. Es kommen angesprochen. „Wir spielen das jetzt eher gehört wird, als ein DU. All das diverse Vorschläge, die Uniform ist nur, das ist nicht echt. Also ich spreche weiß Lisa also, aber selbst im geschütz- nicht dabei. Schließlich, mit etwas Hilfe Dich an. Sag mal Lisa, was hat denn der ten Rollenspiel ist sie verschüchtert, von Claudia, einigen sich die Erstkläss- ler, dass es wohl in erster Linie die Dienstkleidung sei. Nun krempelt die Oberkommissarin Ihre Strickjacke auf links und fragt, „ Und nun?” Wieder Schweigen. Etwa fünf Minuten dauert es, bis die Kinder nach einem Ausweis fragen. Claudia Sponholz nickt und gibt bereitwillig ihr eigenes Exemplar durch die Bankreihen. Nachdem sie erklärt hat, dass es auch Polizisten ohne Uni- form gibt, die sich mit Ausweis und Kriminalmarke ausweisen, stellt sie die entscheidenden Frage: „Es gibt Be- kannte und es gibt Fremde, wer sind für Euch denn Bekannte?” Nach einer Fülle von Antworten kommt ein zierliches Mädchen auf den Punkt. „Mama, Papa und mein Bruder sind nicht fremd.” Ja, das wollte Claudia Sponholz hören. Sie 11
Prävention 03.2018 fast apathisch. Die Polizistin bricht ab. hat, den Kindern weh zu tun. Das alles 8: 30 Uhr Fünf Minuten haben wir Zeit, Sie flüstert dem kleinen Mädchen verdeutlicht sie mit Rollenspielen, um in eine Flex-Klasse zu hetzen. Schü- etwas ins Ohr, die Kleine lächelt. Dann immer wieder stehen verunsicherte ler der ersten und zweiten Klasse wer- sollen alle aufstehen. Gemeinsam üben Kinder vor ihr. Aber mit einiger Hilfe de- den hier gemeinsam unterrichtet. wir, was es heißt, deutlich NEIN zu monstrieren sie, wie man Abstand hält Schon in dieser Klasse merke ich, dass sagen. Eins, zwei, drei: NEIN! Kein Sing- und selbst Entscheidungen fällt, auch eine Stunde zum gleichen Thema nicht Sang, eher ein Kampfschrei. Der Klas- wenn der Fremde etwas anderes ver- zwangsläufig gleich ablaufen muss. senraum bebt. Gleich nochmal. Eins, langt. Dann liest sie die Geschichte von Diese Klasse stellt wesentlich mehr zwei, drei: LASSEN SIE MICH IN RUHE! Lu vor. Lu soll vor der Schule auf ihre Fragen, der angekündigte Vortrag inte- Die Kinder sind sicher noch in der Mutter warten und wird von verschiede- ressiert sie nicht. Stattdessen wird oberen Etage zu hören. Als Claudia vor- nen Personen angesprochen. Darunter Claudia ausgefragt, ob sie schon mal schlägt, das NEIN, welches ja noch im die Nachbarin und der Kollege des mit ihrer Waffe geschossen hat oder Raum schwebt einzufangen und es ge- Vaters. Am Ende geht sie mit einem einen Dieb verhaftet oder jemanden meinsam mit den Kindern faltet, um es blond gefärbten Punk in Lederjacke mit. verfolgt hat. Es kostet Kraft, die Kleinen in die Tasche zu stecken – man könnte Ein Raunen geht durch die Klasse. Aber in ihrer Neugier zu bremsen und auf es ja irgendwann mal brauchen – beob- der vermeintlich Fremde entpuppt sich den Punkt zu kommen. „Alle Hände achte ich Lisa. Das Mädchen macht tat- auf der nächsten Seite als Lu´s Bruder. runter”, sagt sie streng. Wieder die glei- sächlich den Reissverschluss an ihrem Die Kinder sind erleichtert. Nun teilt chen Fragen, wie in der Stunde zuvor. Kleid auf und steckt das fiktive NEIN Claudia eine simple Kopie aus, unter Wieder ähnlich Antworten, nur kommen sorgfältig hinein. Das Gebrüll hat auch einer Zeichnung steht „Wenn Du nicht sie hier schneller. Das mag am Alter der bei ihr befreiend gewirkt, sie ist wieder willst, dass Dich jemand anfasst, sag Kinder liegen. Später stellt sich heraus, mit Feuereifer bei der Sache. Claudia NEIN!”. Als sie die Kinder auffordert, dass auch eine Zweitklässlerin das wird in dieser Stunde noch erklären, das Bild auszumalen, macht sich die Rollenspiel nicht deutlich mutiger meis- was ein Sicherheitsabstand ist. Dass ganze erste Klasse mit viel Elan ans tert. Auch sie ist verschüchtert und diesen das Kind selbst festlegt, aus Werk. Minuten später ist die Stunde traut sich kaum zu antworten, schon dem Bauch heraus, wie sie sagt. Sie vorüber. Claudia verabschiedet sich. gar nicht traut sie sich, laut NEIN zu erklärt auch, dass niemand das Recht sagen. Lisa ist also nicht allein. Immer 12
03.2018 Prävention wieder stellt Claudia denkbar einfache 9: 15 Uhr Frühstückspause. Ich finde auch Schäden anrichten. Dazu lässt Sie Fragen, immer wieder kommen die Claudia im Lehrerzimmer, in dem ihr die Schüler von einer aufgemalten Figur abenteuerlichsten Antworten. Als es das Lehrerkollegium bereits einen Stücke abreißen. Auch nach dem um den Sicherheitsabstand geht, fragt Kaffee angeboten hat. In der kurzen Zusammensetzten sind die Risse deut- ein Junge, was man denn machen solle, Ruhephase erzählt sie mir, dass so lich zu sehen. So verdeutlicht sie die wenn der Fremde einem hinterher etwas durchaus nicht die Regel sei. Es Verletzungen, die auch die Seele eines rennt. Um sich nicht in einer Diskussion gäbe nicht wenige Schulen, an denen Menschen davon tragen kann. Vor der zu verlieren, sagt Claudia, dass dies sie im Lehrerzimmer nicht einmal be- Realität macht die Polizistin nicht halt. eher nicht vorkomme und wenn doch, grüßt wird, von einem Kaffee ganz zu Fälle, in denen sich Pubertierende nach sind die Kinder schneller. Daraufhin schweigen. „Das ist, als trage man eine Attacken Gleichaltriger aus Scham oder fängt der Kleine an darüber zu philoso- Tarnkappe“, beschreibt sie es. Dann Angst das Leben nahmen, kennt phieren, dass die Kinder der Sport-AG wird sie freudlich von einer Lehrerin be- Claudia Sponholz nicht nur aus dem In- (und dann zählt er alle Sport-AG-Mit- grüßt. Am nächsten Tag geht es in ihrer ternet. Wenn sie zu so einem Thema vor streiter seiner Klasse mit Vor- und Zuna- sechsten Klasse um Gewalt. Claudia rät einer sechsten Klasse spricht, plant sie men auf) noch viel schneller seien, als zum Stuhlkreis mit zuvor festgelegter dafür mindestens vier Unterrichtsstun- der Rest. Eine echte Nervenprobe, auch Sitzordnung. Natürlich wird es dort den ein. Manchmal brechen dabei alle weil in der ersten Reihe ein Schulanfän- nicht um „Fremde“ gehen. Oft werde Dämme und die Jugendlichen sprechen ger immer wieder stört und nicht auf sie angefragt, weil es Mobbingfälle in sich untereinander aus. Tränen gibt es seinem Platz sitzen bleibt. Ich erlebe der Klasse gäbe. Der Begriff Mobbing bei solchen Aussprachen nicht selten. eine Stunde, in der es Claudia sichtlich wird ihrer Meinung nach inflationär ge- Manchmal aber sind Schüler durch täg- schwer fällt, den roten Faden ihres braucht. Auch deshalb klärt sie mit den liches Erleben in Familie und Schule Vortrages beizubehalten. Erst bei der Jugendlichen zu allererst den Gewaltbe- derart abgestumpft, dass ihnen gar Geschichte von Lu kehrt Ruhe ein, griff. Es gibt körperliche Gewalt, Gewalt nicht klar ist, was sie mit ihrem Tun bei dann erlöst uns die Schulklingel. gegen Sachen, aber auch seelische anderen anrichten. Beschimpfungen Gewalt. Manchmal müsse man den über „Whats App”, schnelles Versen- älteren Schülern erst klar machen, dass den beleidigender Fotos oder Sprüche Beschimpfungen und Beleidigungen an eine beliebige Menge Adressaten 13
Prävention 03.2018 gehört schlicht dazu. Nur wenigen ist Eltern zur Panikmache beitragen”, sagt erlebt haben, dann natürlich ohne mei- klar, dass solche Delikte zu Lasten sie. Das hätte sie bereits mehrfach nen Sohn“, sagt sie und meint, dass eines Opfers gehen. Neue Medien tra- erlebt. Die Schilderungen des aufgereg- was so selbstverständlich klingt, in gen einen großen Teil zur gelebten Ano- ten Jungen wartet sie ab und erklärt vielen Familien längst nicht Alltag ist. nymität bei. Claudia Sponholz macht dann ruhig, wie sich die Kinder verhal- Auch das führe dazu, dass Kinder sich dennoch keine Illusionen. „Ich ten sollen, wenn sie Fremde in der Realität und Fiktion kaum auseinander kann in vier Unterrichtsstunden nicht Schule bemerken. Anschließend wieder halten können. Es werden Geschichten die Erziehung und das Erleben von Jah- die Lu-Geschichte, dann Ausmalen. aus Filmen und Erzähltes als eigenes ren umkrempeln, ich kann mit etwas Ende der Stunde. Erleben verkauft. Glück dafür sorgen, dass sich die Jugendlichen hinterfragen und die 10: 30 Uhr Der letzte Durchgang für 12: 15 Uhr Schnelles Mittagessen im soziale Kontrolle untereinander besser heute beginnt. Auch hier herrscht Ruhe, Büro. Claudia will mir noch von ihrem funktioniert”. Auch aus diesem Grund nur manchmal muss Claudia Sponholz „Zweitjob” erzählen. Montags und Frei- sollte die Gewalt-Prävention in der die Schüler ermahnen. Davor hat sie tags kümmere sie sich um Opferschutz- Grundschule stattfinden. „Später ist keine Scheu, das merkt man. An Autori- belange. Seit mehr als neun Jahren ist der Zug definitiv abgefahren”, meint tät mangelt es ihr nicht. Wenn nach sie Opferschutzbeauftragte der PI. Ihre die erfahrende Präventionerin. langem Hin und Her die richtige Ant- Aufgabe ist es, den Kontakt zu Opfern wort kommt, bestätigt sie die Schüler von Straftaten herzustellen und ihnen 9: 35 Uhr Was ist Vorbeugen - Die mit einem sehr freundlichen: „Ganz ihre straf- und zivilrechtlichen Ansprü- Dritte. Ich kann bereits mitsprechen. genau”. In dieser Klasse läuft alles che aufzuzeigen, Ansprechpartner zu Was dieser Vortragsmarathon für Clau- glatt, Claudia schafft ihren Stoff. Als benennen und manchmal eben einfach dia Sponholz bedeuten mag, kann ich nach 45 Minuten die Schulklingel nur ein offenes Ohr zu haben. Montags mir nun auch vorstellen. Immer wieder ertönt, wird sie dennoch sofort von suche sie alle Einsätze zusammen, bei trinkt sie schnell einen Schluck Mineral- ungefähr sechs Schülern umringt. Einer denen Sie Handlungsbedarf erkennt. wasser. Vor einer Klasse zu sprechen von ihnen erzählt ihr eine Geschichte, Dann informiert sie sich beim zuständi- heißt laut zu sprechen, sich konzentrie- die er vor Unterrichtsbeginn bereits gen Sachbearbeiter zu den genaueren ren, zu stehen und den Überblick zu berichtet hat, ein anderer will ihre Umständen. „Oft können die Kollegen wahren. Das ist unheimlich anstren- Waffe sehen. Ein Mädchen fragt nach schon eine ganze Menge mehr zur gend, Lehrer können sicher ein Lied einem weiteren Blatt zum Ausmalen Sache sagen, als Einsatzprotokoll oder davon singen. In dieser Klasse ist die und die Vertretungslehrerin hat eben- Anzeige hergeben. Manchmal winken Klassenlehrerin erkrankt, dennoch sind falls Gesprächsbedarf. Ein Knochenjob. sie auch ab, dann scheint die Straftat alle diszipliniert. Die gleichen Fragen, vorgetäuscht zu sein oder das ver- Rollenspiele und Antworten. Zum inzwi- 11:20 Uhr Claudia verlässt die Schule meintliche Opfer und der Kriminalist schen fünften Mal bringen Schüler an nicht, ohne noch einmal kurz bei der kennen sich nur allzu gut”, sagt Claudia diesem Tag einen Vorfall aus dem Som- Schulleiterin vorbei zu schauen. Das Sponholz. In allen Fällen entscheide ihr mer ins Gespräch. Ein polizeilich unbe- Gespräch ist herzlich, die beiden Bauch, meint sie und betont, dass sie kannter Jugendlicher hatte heimlich in besprechen kurz die anstehenden damit fast immer richtig liege. Seit der Mädchentoilette Fotos geschossen. Termine der nächsten Wochen, ein paar 2006 verfährt sie so und sichtet die Vor- Er wurde ertappt, Ermittlungen eingelei- private Worte, dann verabschieden wir gänge der Woche, um sie nach Opfer- tet. Dieser Sachverhalt ging natürlich uns. Wir bahnen uns den Weg über den schutzbelangen zu bewerten. Anfangs auch an den Schülern nicht vorbei. Flur, hunderte Schüler wuseln um uns versuchte sie in allen Fällen persönlich Allerdings höre ich nun die fünfte Ver- herum und sprechen uns an. Als wir es den Kontakt zum Opfer aufzunehmen. sion. Auch über das Fenster in die bis zum Auto geschafft haben, atmen „Ich habe Gespräche angeboten, etwa Schule sei der Täter nach Schilderun- wir erst einmal durch. Das tut gut. in der Hälfte der Fälle, haben die Opfer gen eines Jungen aus der Klasse zuvor dieses Angebot angenommen“. Dann eingebrochen, auf Facebook soll er die 11: 45 Uhr Rückfahrt ins Büro. Im fuhr Claudia Sponholz zu den Betroffe- Fotos eingestellt haben, berichtet ein Wagen diskutieren wir über Kinderer- nen und überreichte Infomaterial, anderer Zweitklässler aufgeregt. An der ziehung. „Es gibt heute zu wenige beriet und tröstete. Mit den Jahren sank Schule gab es im Nachgang eine Eltern- Regeln für Kinder”, sagt Claudia. Sie er- die Zahl der Rückmeldungen unaufhör- versammlung zum Thema. Claudia lebe täglich, dass Kinder massiv in die lich, heute so schätzt die Oberkommis- Sponholz hielt vor den Eltern einen Entscheidungen der Erwachsenen ein- sarin ein, würde sich nur noch ein ganz Vortag, es ging darum, wie Kinder bezogen werden und damit überfordert kleiner Teil, vielleicht ein Zehntel solchen Taten gegenüber sensibler wer- sind. „Wenn meine Eltern Probleme zurückmelden. Auch deswegen ist sie den. „Ich möchte den Kindern keine gewälzt haben, musste ich den Raum dazu übergegangen, den Betroffenen Angst machen, das ist nicht der richtige verlassen. Wenn mein Mann und ich einen Brief zu schreiben, sobald sie Weg. Aber das ist schwer, wenn auch über Dinge sprechen, die wir dienstlich von einem Vorfall erfährt. Mit in den 14
03.2018 Prävention Umschlag kommen auch Flyer des dass ich hier besser einen Seelsorger 13:30 Uhr An diesem Nachmittag Weißen Rings, der Opferhilfe e.V., des informiere, das tat ich auch”, rekapitu- erfahre ich viel, über Fälle mit denen Amtes für Versorgung und Soziales oder liert Sponholz. Er sollte klären, ob die Claudia im Laufe der Jahre in Berührung das Infoblatt „Häusliche Gewalt”. Frau bereits betreut wurde oder dies kam. Vom Stalker bis zum Witwer, der Natürlich bietet die 51-Jährige darin schnellstmöglich in die Wege leiten. am Ende seine Frau selbst unter die auch ein Gespräch an. Und manchmal Seelsorger, Mitarbeiterinnen von Frau- Erde gebracht hatte. Was sie mir so komme sie dabei an ihre Grenzen. enhäusern und Verantwortliche von selbstverständlich erzählt, kostete sie So muss sie sich mit schwersten Ver- Opferschutzverbänden sind das Netz- damals viel Kraft. Mitunter sind es auch brechen auseinander setzen, viel Leid werk der Opferschutzbeauftragten. die eigenen Kollegen, die sich von ihren und Schmerz erleben. „Als mich vor ein Ohne den ständigen Austausch und die Nachfragen belästigt fühlen und kaum paar Jahren eine Frau tatsächlich zurück gegenseitige Unterstützung ginge es Verständnis für ihre Aufgabe aufbringen rief, deren Mann nur Tage zuvor erwei- nicht, auch wenn die Fälle, in denen sie können. Das sei schmerzhaft, aber terten Selbstmord begangen hatte und gebraucht wird, weniger geworden dann lässt sie das Ganze ein paar Tage die gemeinsamen Kinder mit in den Tod sind. Opfer häuslicher Gewalt machen sacken und meldet sich anschließend riss, zuckte ich zusammen. Als sich die dennoch einen Großteil ihrer Beratun- erneut. Hartnäckig. Frau vorstellte, war das wie ein innerer gen aus. Dies sei ein schwieriges Feld, Erdrutsch”, versucht Claudia Sponholz da die Bereitschaft, sich helfen zu las- 14:00 Uhr Auf dem Parkplatz vor der ihre Gefühle zu beschreiben. Ihr, der sen bei den gepeinigten Frauen oft erst Inspektion verabschieden wir uns. erfahrenen Opferschutzbeauftragten, dann einsetze, wenn sie bereits lange „Ich liebe meinen Job. Ich habe ge- fehlten kurz die Worte, ihr Herz setzte Zeit unter der Gewalt des Partners lei- merkt, hier kann ich alt werden”, sagt kurz aus. Als sie erkannte, dass ihr G den. „Die Hemmschwelle und die Angst Claudia. Ein schönes Schlusswort, egenüber am Telefon offenbar unter sind einfach zu groß”, sagt die Polizis- denke ich, als ich ins Auto steige und starken Medikamenten stand und tin und meint „auch deswegen packe über den Tag nachdenke. Ein anstren- immer wieder nach dem Ersatz der ich die Infomaterialien mit in meine gender Job, aber auch eine Arbeit, bei beschädigten Tür fragte, erkannte Sie, Briefe. Dort stehen die wichtigsten An- der die Polizistin oft ganz direkt Aner- dass sie nicht helfen konnte. „Die voll- sprechpartner bereits drin und die kennung erfährt. „Ganz genau”, würde kommen nebensächlichen Fragen, die Opfer müssen nicht noch eine weitere Claudia wohl antworten. jene Frau stellte, signalisierten mir, Person kontaktieren, das kann helfen.” 15
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