"Unterkühlt und gekonnt" Das Technoseum und das SWR-Studiogebäude in Mannheim
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„Unterkühlt und gekonnt“ Das Technoseum und das SWR-Studiogebäude in Mannheim Der „weiße Riese“ am östlichen Stadteingang Mannheims ist nicht nur ein Signalbau mit städtebaulicher Strahlkraft, sondern gehört wie Sterlings Staats- galerie zu den großen Museumsarchitekturen des Landes. Die Berliner Archi- tektin Ingeborg Kuhler, deren Entwurf 1983 Konkurrenten wie Günter Beh- nisch und Gustav Peichl ausstach, setzte Funktion und Inhalt sinnstiftend ins Bild: Die ältesten Formen der Mechanik, „Keil und Hammer, schiefe Ebene und Hebelarm“ (Kuhler), die am Anfang der technischen Entwicklung stehen und den Ausgangspunkt der musealen Präsentation bilden, sind auch die zentralen Motive der architektonischen Gestaltung. Das SWR-Gebäude bildet mit dyna- misch gebogenen Hochbauten und dem aufgeständerten „Studiokasten“, gekennzeichnet durch Fenster in Form eines Funksignals, einen lebhaften Kontrapunkt. Im Januar 2020 wurden das Landesmuseum für Technik und Arbeit, heute Technoseum, einschließlich seines Parks und das Studiogebäude des SWR in das Verzeichnis der Bau- und Kunstdenkmale aufgenommen. Melanie Mertens Planungs- und Baugeschichte dem Landesmuseum im Sommer 1990 zur Ein- richtung und Ausstattung mit den Exponaten über- Seit Mitte der 1970er Jahre plante das Land ein geben. Museum, das „die Entwicklung von Technik und Arbeit und der Lebensverhältnisse im deutschen Keil und schiefe Ebene Südwesten von Beginn der Industrialisierung an“ aufzeigen sollte. Mannheim erhielt 1980 den Im Unterschied zu den anderen Wettbewerbsent- Standortzuschlag – für das avisierte Programm war würfen wählte die Architektin keinen niedrigen die historische Arbeiter- und Industriestadt im Bau, der sich in die Fläche entwickelt, sondern ei- Nordwesten Badens prädestiniert. Der Bauplatz nen langgestreckten Hochbau, der an der Nord- am Ende der A 656, die in die Ost-West-Achse seite einer ausgedehnten Grünanlage Raum ließ. des Stadtgrundrisses übergeht, lag verkehrsgüns- Die Kubatur folgt der Form eines schlanken, hohen tig und war als Besucherziel durch den Maimarkt Keils mit aufsteigender Dachfläche; gegenläufige bei der Bevölkerung eingeführt. Exponate bzw. Rampenbauten prägen vor allem die Südseite zur eine Sammlung existierten noch nicht, dagegen Wilhelm-Varnholt-Allee. Pate standen laut Archi- Vorstellungen zu Größe und Konzept („Das ar- tektin zwei Urbilder der Mechanik: Keil und schiefe beitende Museum“). Kurzfristig ergänzt wurde Ebene, die sowohl die Großform wie auch das Funk- das Bauvorhaben durch ein Studiogebäude für tionsprinzip des Museums bestimmen (Abb. 3). den Süddeutschen Rundfunk (SDR, später SWR). Der gestreckte Museumsbau ist in vier Abschnitte Aus dem 1982 bundesweit ausgelobten Wettbe- untergliedert: Im Westen, auf die Stadt gerichtet, werb ging zur allgemeinen Überraschung das Pro- der hoch aufragende Kopfbau mit Eingangshalle, jekt der Berliner Architektin Ingeborg Kuhler als Bibliothek und Vortragssaal, östlich anschließend Sieger hervor. Der vergleichsweise jungen und un- der Brückenbau als Verbindungsglied zum Aus- erfahrenen Professorin unterlagen prominente stellungsbau, dann der Ausstellungsbau selbst und Konkurrenten wie Gustav Peichl und Günter Beh- abschließend der blockhafte Produktionsbau mit nisch. Die Planung dauerte bis 1985 an, die bauli- Werkstätten, Montagehalle und Depot. Der Nord- che Realisierung erfolgte 1986 bis 1990 (Abb. 1; und der Südseite des Ausstellungsbaus sind nied- 2). Das Rundfunkstudio konnte 1988 in Betrieb rigere, gestufte Atriumbauten vorgespannt, die genommen werden. Der Museumsbau wurde die Ausstellungsfläche erweitern. 108 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2020
Alle Baukörper erstrahlen in Weiß, teils in Putz, teils durchwandert (Abb. 6). Sie prägt die architekto- 1 Technoseum von der durch weiß glasierte Blendziegel. Die Themen nische Gestalt und die innere Struktur des Bau- nördlichen Parkseite. „Transparenz“ und „Bewegung“ bestimmen den werks. Ausgangspunkt ist die oberste Etage des Aufbau der Fassaden. Lange, schräg geführte Fens- Ausstellungsbaus, von der aus der Besucherpfad terbänder, vertikale Fensterketten, kleinteilige beginnend im 18. Jahrhundert über lange Rampen, Fenstergruppen und flächengreifende Fensterfel- Galerien und Brücken im Zick-Zack-Kurs etwa drei der durchlichten nicht nur die innen liegenden Kilometer geschossweise abwärts bis in die Gegen- Räume, sondern spiegeln deren Zweck und Form wart führt. Die sechs Ebenen und ihre Verbindungs- nach außen wider. Das bewegte Auf und Ab der wege sind offen und bilden ein Raumkontinuum. Schrägen und Rampen der Südseite erinnert an Die Raumvolumina lassen die Installation großer industrielle Förderbänder, das Stahlfachwerk der Exponate und Maschinen zu, die einzelne Funk- frei tragenden Verbindungsbrücke zwischen Kopf- tionen oder sogar ganze Produktionsabläufe de- und Ausstellungsbau an den Eisenbahnbau (Abb. 4). monstrieren (Abb. 7; 11). Durch- und Ausblicke Das Motiv kulminiert in der monumentalen Plastik auf übergeordnete oder darunter liegende Ebenen des dampfspeienden „Maschinenmenschen“, die erlauben von der Zeitachse abweichende Quer- Verbildlichung einer Karikatur von 1884, die kraft- bezüge. voll über die Schienen jagt (Abb. 5). Elemente wie Auch die Innengestaltung wird in hohem Maße von der konkav einschwingende Brückenbau und die einem ingenieurbautechnischen Ansatz bestimmt. beiden pagodenähnlichen Dachaufbauten am Ost- Leitgedanke war, die Konstruktion, wo immer ende setzen zusätzlich dynamische Akzente. Trotz möglich, sichtbar vorzuzeigen. der differenzierten Durchgliederung bleibt der Ein- Da die schweren Exponate eine hohe Tragfähigkeit druck der beherrschenden Großform gewahrt. erfordern, basieren die Ausstellungstrakte und der Produktionsbau auf einer Stahlskelett-Verbund- Ausstellungskonzept und Innenstruktur Konstruktion, bei der die Stützen und Träger aus- betoniert sind (Ingenieurbüro Polonyi + Fink). Um Aus der programmatischen Vorgabe des „arbeiten- die Konstruktion optisch herauszustellen, ist der den Museums“ entwickelte Kuhler eine dynami- Kammerbeton um 1 cm zurückgesetzt, sodass die sche Raum-Zeit-Spirale, entlang derer der Besu- freiliegenden Stahlstege der Doppel-T-Träger deut- cher die Technik-, Industrie- und Sozialgeschichte liche Schattenkanten erzeugen. Jedes konstruktive Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2020 109
Im Farbkonzept kommen spielerische und bild- hafte Elemente zum Tragen. Das alles überstrah- lende Weiß der Fassaden und Wände, der lackier- ten Stützen, Träger und Konstruktionselemente wird punktuell farblich aufgebrochen. Zentral plat- zierte Balkone, Fensterrahmen, Einfassungen und Sohlbänke zeigen sich zart hellblau. Die Wasch- räume sind nach dem farblichen System von Ba- bykleidung hellrosa oder hellblau gekachelt, die Türen entsprechend gefasst. Quietschblaue Rohr- 2 Museumsbau und Detail wurde in dieser Weise technisch und ästhe- stränge unter der Decke mischen die ernste Atmo- Studio von der Südseite. tisch optimiert, so etwa die Verschraubung der of- sphäre der Sitzungsräume im Verwaltungstrakt fen liegenden Trägeranschlüsse und Bodenplatten, auf. Affinität zur Bauhaus-Moderne beweist Kuh- 3 Ideenskizzen für das die Knotenpunkte der frei hängenden Stahl-Trä- ler mit der Gestaltung der Karusselltüren im Farb- Wettbewerbsprojekt von gerroste oder die diagonalen Aussteifungen in den kreis nach Itten (Abb. 9). Ingeborg Kuhler 1982. eingeschossigen Vorbauten. Der nördliche Atri- umbau thematisiert zudem das Potenzial histori- Das Studiogebäude des SWR scher Architektur: Die diagonal angeschnittenen Kugelgewölbe verspringen perspektivisch und pro- Das vergleichsweise kleine Studiogebäude an der vozieren zusammen mit den abschüssigen und zur Varnholt-Allee besitzt trotz des gleichen Material- Seite kippenden Böden der Laufgänge Gedanken und Farbkonzepts einen eigenen Charakter. Der zu Statik und Bewegung (Abb. 10). markante Bau setzt sich aus frei aufgeständerten und gestapelten Baukörpern zusammen, die teils Detailausbildung und Farbkonzept harmonisch, teils in verspielter Unordnung mit- einander verschränkt sind (Abb. 10). Zwei schlanke Eine betont technische Ästhetik kennzeichnet auch gebogene Trakte, gestaffelt und sich mittig über- kleinere Konstruktionen wie Rampen, Treppen, Ge- schneidend, überspannen zwei wie eingeschoben länder und Türen. Charakteristisch für die gestal- wirkende flache Quaderbauten unterschiedlicher terische Durchdringung des Bauwerks ist die mi- Größe. Wie beim Museumsbau sind die so ent- nutiöse Ausarbeitung von Details, wie etwa die standenen Terrassen und Dachflächen gärtnerisch kleine Fußkugel am Ansatz eines Treppenlaufs oder gestaltet. das breite Spektrum aufwendig gearbeiteter Türen. Die Baukörper prägen sehr unterschiedliche Fas- Zeitgenössische Türdrücker aus den Grundformen saden aus. Auffällig ist die Plastizität der Gliede- Zylinder, Kreisscheibe und Kreissegment konkur- rung der Bogentrakte. Die jeweils äußeren Fassa- rieren mit Exemplaren nach historischen Modellen den zeigen tiefe Rasternischen, die mit weißen von Wilhelm Wagenfeld (1928), mit denen Kuh- Würfeln gefüllt sind und nach unterschiedlichem ler erneut auf die frühe Moderne rekurriert. Muster quadratische sowie rechteckige Fenster frei 110 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2020
lassen. Die Südfront des westlichen Bogenbaus be- sitzt tiefe, durchlaufende Loggien mit einer voll- ständigen Verglasung der zurückliegenden Wand- schicht. Der eingeschobene Quaderbau wird durch eine bildhafte Fensterfolge als Studiogebäude cha- rakterisiert: Die schmalen, von der Mitte nach au- ßen beidseitig aufsteigenden Fensterschlitze glei- chen einem Funksignal. Die Bogentrakte bergen entlang eines fenstersei- tigen Flurs einhüftig aufgereihte Büroräume; im tieferen, zweihüftig konzipierten Mittelteil sind zu- dem Treppenhaus, Aufzüge und Versorgungs- räume untergebracht. Die konstruktiven Elemente der Baustruktur sind sichtbar, werden aber nicht technisch ästhetisiert, sondern elegant, mit stilis- tischen Rückgriffen auf die 1920er Jahre präsen- tiert. Im Ganzen wirkt das Studiogebäude dynamischer, plastischer und dichter durchgliedert als der mu- seale Hauptbau, ohne dabei die gemeinsame Ge- staltungslinie zu verlassen. „Unterkühlt und gekonnt“ – Der Park die Rezeptionsgeschichte Die konzeptionelle Entscheidung, in die Höhe zu Bereits den Entwurf Ingeborg Kuhlers wählte Gott- bauen, war von stadträumlichen und ökologi- fried Böhm 1985 für die exklusive Zusammenstel- schen Gesichtspunkten geleitet. Sie ermöglichte lung der wichtigsten Museumsbauten in Deutsch- die Schaffung einer großen, von der Verkehrsachse land aus Sicht des Bunds Deutscher Architekten. der Varnholt-Allee akustisch und optisch abge- Anlässlich der Eröffnung des Studiogebäudes schotteten Entlastungs- und Grünfläche, die zum 1988 honorierte die Bauwelt den „kleinen Genie- benachbarten Luisenpark überleitet. Die alten streich“ Kuhlers als „Befreiungsschlag aus der un- Schuttauffüllungen des vormaligen Maimarktge- erfreulichen Alternative zwischen einer in Esoterik ländes wurden abgetragen und die Oberflächen abgleitenden Neomoderne […] und einer in der entsiegelt. Das gärtnerische Konzept von Jürgen Exotik endenden Postmoderne“ (Peter Rumpf). Bei D. Zilling mit organisch geformten Auenseen und Vollendung des Museums 1990 bescheinigten Ar- 4 Stahlfachwerk. Brücke schilfbestandenen Uferzonen (Abb. 12) nimmt auf chitekturkritiker dem Bauwerk Courage, Intelli- zwischen Kopf- und Aus- den ursprünglichen Naturraum der nahen Ne- genz und Originalität. Anerkennung erfuhr vor al- stellungsbau. ckarschlinge vor den anthropogenen Eingriffen Be- lem die Rampe als Bewegungselement und die mit zug. Kaskaden zwischen den unterschiedlichen ihr „verbundene neue Zeiterfahrung, Ungleich- 5 „Maschinenmensch“, Höhenniveaus dienen als biologische Klärstufe. zeitiges durch räumliche Verschränkung und szeni- dampfspeiende Plastik Der Baumbestand im Osten und Süden des Grund- sche Vielfalt als gleichzeitig zu erleben“ (Gerhard zwischen Stahlbrücke stücks wurde übernommen. Ullmann, „Unterkühlt und gekonnt“, db, 1991). und Ausstellungsbau. 6 Längsschnitt mit „Raum-Zeit-Spirale“. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2020 111
[…] ein bedeutender Beitrag zur Architektur der Gegenwart.“ (Manfred Sack, Die Zeit, 1990) „Ob- wohl ein Nachzügler, überflügelt es spielend die neo- und postmodernen Bauexperimente der jüngsten Museumsepoche.“ (Paulgerd Jesberg, DBZ, 1991) 1992 wurde das Haus als European Museum of the Year ausgezeichnet und erhielt den BDA-Preis des Bunds Deutscher Architekten Baden-Württem- berg. Früh begann auch die kunstwissenschaft- liche Beschäftigung mit dem Bau (Thomas Schmid 1992). In die Architekturführer und Überblicks- werke fand der Bau 1991 (Krewinkel/ Schmitt), 1999 (Schenk), 2000 (Nerdinger/ Tafel) und 2002 (Mannheim und seine Bauten). Die Wertschätzung klang nun weniger euphorisch als in den zeitge- nössischen Texten, aber gefestigt im Urteil. „Ein anspruchsvoller Einzelbau, der seinesgleichen in der Museumslandschaft sucht.“ (Ingeborg Flagge, Deutsches Architekturmuseum Frankfurt). 7 Großexponate: Kolben- „Wer diese ausschwingende Bewegungsfolge ab- In jüngster Zeit machte das Bauprojekt auch als frü- maschine mit 80 000 kg solviert hat, kann Richard Meiers Spielrampen im hes Erfolgsprodukt eines weiblich geprägten Ar- Gewicht und Strommast Frankfurter Kunstgewerbemuseum oder Alexan- chitektenteams von sich reden (Ausstellung „Frau von 8 m Höhe. der von Brancas Klosterparcour in der Münchner Architekt“, Deutsches Architekturmuseum Frank- Pinakothek nur noch belächeln.“ (Michael Mön- furt). Der Sieg der im Jahr der Wettbewerbsent- ninger, FAZ, zitiert nach DBZ, 1991) Auch die Äs- scheidung 1982 erst 38-jährigen Ingeborg Kuhler thetik gefiel. Das schneeweiße Gebäude wirke wie über 104 Konkurrenten hatte die männlich domi- eine „architektonische Offenbarung – die Schaum- nierte Zunft erschüttert. Eine Reportage des Spie- geborene inmitten von Erdengewürm“ (Amber gels 1988 bezeichnete sie als „Mackerfrau“ und Sayah, Bauwelt, 1990, mit einem Seitenhieb auf stellte sie in eine Reihe mit Zaha Hadid, Itsuko Hase- die Umgebung). Das Resümee: „Von allen Kunst- gawa und Gae Aulenti. Anders als viele andere Ar- und Geschichtsbewahrstätten des letzten Jahr- chitektinnen hatte sie sich nicht auf vermeintlich zehnts ist es das ungewöhnlichste, das couragier- „weibliche“ Aufgaben wie Kindergärten oder teste, auch das an Gedankenarbeit reichste. Es ist Innenarchitektur beschränkt. Sie stammte aus dem transparenter als Behnischs Postmuseum, raffi- Krankenhausbau, einer der komplexesten Bauauf- nierter als Meiers Museum für Kunsthandwerk. gaben, die der moderne Zweckbau bereithält. 8 Schief wie eine Murmelbahn! Laufgang mit Stutzkuppeln. 9 Farbakzente: Karussell- türen im Farbkreis des Bauhauses. 112 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2020
10 Dynamischer Schwung im Funkhaus! Studiogebäude des SDR, später SWR. 1984 wurde Kuhler an der Hochschule der Künste spricht die Architektur eben nicht den Maßgaben Berlin die erste Entwurfsprofessorin Westdeutsch- der frühen Moderne, sondern unterläuft diese ge- lands. Obwohl sie keine klassische Feministin war, radezu: Die Horizontale kippt zur Schräge, die va- verzeichnet die Liste ihrer Mitarbeiter mehr Frauen riantenreichen Details widersprechen dem Grund- als Männer – und zwar in verantwortungsvollen satz einer einfachen Gestaltung. Das heitere Farb- 11 Im Spalier! Säulen Positionen. konzept und witzige Akzente wie die bunte aus Wasseralfingen. Einordnung Formengeschichtlich besteht unleugbar eine Nähe zur „klassischen“ Moderne: Das strahlende Weiß, die Flachdächer mit Terrassen und Dachgärten, die rahmenlos in die Fassade geschnittenen Fenster- bänder. Auch maritime Assoziationen werden be- dient, manche erinnert der weiße gestreckte Gebäudezug mit dem kühn aufsteigenden Kopf- bau an einen Ozeanriesen, der in Richtung Zen- trum in See sticht. Im Wesentlichen ist es aber der ingenieurbautechnische Ansatz Le Corbusiers (Vers une architecture, 1923), der nicht nur den Cha- rakter, sondern auch die Ästhetik des Bauwerks bis ins Detail bestimmt. Die Unterbringung eines kom- plexen, stadtähnlichen Organismus in einem viel- schichtigen Hochbau lässt an die Unité d’habita- tion denken. Das Rampenmotiv und die Abfolge von quer liegenden „Produktionsbauten“ erinnern an Corbusiers Abattoir Frigorifique de Challuy von 1917 (Schmid, 1992, S. 126). Seine Vorliebe für Aufständerungen (Pilotis) spiegelt sich im Studio- gebäude, die „brise soleil“ seiner Villa Shodhan in Ahmedabad in den Fassaden der Bogentrakte. Viele Parallelen, die zwischen Kuhler und Richard Meier gesehen werden, wie etwa das Weiß der Baukörper und das Motiv der Rampen, gehen letzt- lich auf das gemeinsame Vorbild Corbusier zurück. Trotz der nachvollziehbaren Bezüge beschränkt sich Kuhlers Architektur nicht auf eine intelligente Ausdeutung Corbusiers. In vielerlei Hinsicht ent- Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2020 113
12 Park mit Auensee und Karusselltür brechen die kühle Eleganz und brin- seite.php?text=101220_1466493158.xml (Zugriff Uferschilf. gen ironische Aspekte ein. Die zitathaften Arran- 13. 11. 2019). gements der Stahlfachwerkbrücken, der Stutz- Mannheim und seine Bauten 1907– 2007. Hrsg. kuppeln im „Klostergang“ und der Großplastik Stadtarchiv Mannheim et al, Bd. 3, Mannheim 2002, „Maschinenmensch“ tragen postmoderne Züge. S. 134– 137. Architektur im 20. Jahrhundert. Deutschland, Mün- Baudenkmal chen et al 2000, S. 290– 297. Andreas Schenk: Architekturführer Mannheim, Berlin Der Museumsbau, das heutige Technoseum, der 1999, S. 144– 145. Park mit See und Baumbestand und das Studio- Winfried Nerdinger/ Cornelius Tafel (Hrsg.): Architek- gebäude des SWR bilden aufgrund ihres konzep- turführer Deutschland. 20. Jahrhundert, Basel et al tionellen und künstlerischen Zusammenhangs eine 1996, S. 392. Sachgesamtkeit. Diese ist aufgrund der hohen Thomas Schmid: Das Landesmuseum für Technik und stadtbaukünstlerischen Qualität als Signalbau am Arbeit in Mannheim, Diss. Univ. Heidelberg 1992, Stadteingang Mannheims, wegen der außerordent- Egelsbach et al 1992. lichen architektonischen Qualität als exemplari- Gerhard Ullmann: Unterkühlt und gekonnt, in: glasfo- sches Zeugnis der 1980er Jahre und als individu- rum, Jg. 41, Nr. 1, 1991, S. 34–41, in: db, Jg. 125, Nr. 3, elle, intelligente Lösung der Baugattung Museum 1991, S. 120– 122, in: Werk, Bauen & Wohnen, aus künstlerischen Gründen ein Kulturdenkmal ge- Jg. 78/45, Nr. 4, 1991, S. 14–16. mäß §2 Denkmalschutzgesetz. Wissenschaftliche Paul Jesberg: Der Pfiff der neuen Zeit, in: DBZ (Deut- Bedeutung kommt dem Bau wegen der im Mu- sche Bauzeitschrift), Jg. 39, Nr. 7, 1991, S. 965– 972. seumsbau Deutschlands innovativen Raum-Zeit- Amber Sayah: Landesmuseum für Technik und Arbeit, Spirale und als früher Vertreter des „arbeitenden in: Bauwelt, Jg. 81, H. 42/43, 1990, S. 2132– 2139. Museums“ mit Vorführpraxis zu. Stilgeschichtlich Manfred Sack: Der lockende Raum, in: Die Zeit. Nr. 43, ist der Bau einer späten, zunehmend abstrakten 1990. Postmoderne zuzuordnen, die bereits dekonstruk- Karl Heinz Krüger: „Eine Frau, die sich wehrt, ist ‘ne tivistische Züge zeigt. Für Mannheim, das auf eine Zicke“, in: Der Spiegel, Nr. 8, 1988, S. 188– 198. lange Tradition als Industrie- und Arbeiterstadt zu- Peter Rumpf: Süddeutscher Rundfunk Studio Mann- rückblickt, ist das Museum für Technik und Arbeit heim, in: Bauwelt 1988, Nr. 19, S. 780– 789. sowohl Ausdruck als auch Reflektion der eigenen Museumsbauten, Hrsg. Gottfried Böhm, Ingeborg Vergangenheit und damit von essenzieller heimat- Flagge, Stuttgart o. J. (1985). geschichtlicher Bedeutung. Literatur „Das Auge wandert mit“: Die Architektin Ingeborg Dr. Melanie Mertens Kuhler, in: Frau Architekt. Tübingen 2017, S. 220–225. Landesamt für Denkmalpflege Ingeborg Flagge: Der Museumsbau der letzten Jahr- Im Regierungspräsidium Stuttgart zehnte, 2010, https:// www.ingeborgflagge.de/ start- Dienstsitz Karlsruhe 114 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2020
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