VDK-FORUM KLEINE RENTE - GROßE PROBLEME IST DIE RENTENVERSICHERUNG FÜR DIE ZUKUNFT GERÜSTET?
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VdK-Forum Kleine Rente – große Probleme Ist die Rentenversicherung für die Zukunft gerüstet? VdK-Forum München 13./14. März 2017
VdK-Forum München 13./14. März 2017 VdK-Forum Inhalt Michael Pausder Begrüßung S. 5 – 8 Ulrike Mascher Notwendige Rentenreformen aus Sicht des Sozialverbands VdK S. 9 – 16 Wolfgang Buhl Die aktuellen Rentenpläne in der Bewertung der DRV Bund S. 17 – 23 Dr. Johannes Steffen Zum Diskurs um das Niveau der Renten und das Rentenniveau S. 24 – 37 Dr. Verena Di Pasquale Zur Diskussion um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit S. 38 – 46 Prof. Dr. Ernst Kistler Altersarmut und Maßnahmen zur besseren Alterssicherung S. 47 – 55 Sascha Straub Von der Betriebsrente bis zur privaten Vorsorge – Die Notwendigkeit einer einfachen und effektiven Altersvorsorge S. 56 – 59 Eva Welskop-Deffaa Die Rente 4.0 – Das Konzept der dynamischen Rente für die Arbeitswelt der Zukunft S. 60 – 70 3
VdK-Forum München 13./14. März 2017 Die Expertenrunden des sozialpolitischen Forums des Sozialverbands VdK Bayern. 4
VdK-Forum München 13./14. März 2017 Michael Pausder Landesgeschäftsführer des Sozialverbands VdK Bayern e.V. München Begrüßung Sehr herzlich möchte ich Sie zu unserem diesjährigen VdK-Forum in München be- grüßen. Auch dieses Mal haben wir wieder ein hochaktuelles und möglicherweise die Bundestagswahl entscheidendes Thema für unser Forum gewählt: „Kleine Rente – gro- ße Probleme. Ist die Rentenversicherung für die Zukunft gerüstet?“ Beiträge zu tun. Deshalb brauchen wir Wie sehr das Thema die Menschen um- mehr Elemente des sozialen Ausgleichs treibt, hat letzten Mittwochabend das Bür- in der Rentenversicherung, wie zum Bei- gerforum der Münchner Tageszeitung „tz“ spiel die Wiederbelebung der „Rente nach zum Thema Rente gezeigt. Trotz nasskalten Mindesteinkommen“. Dies darf aber nicht Wetters und zeitgleicher Fernsehübertra- alleine zulasten der Beitragszahler gehen, gung des Derbleckens auf dem Nockher- sondern muss von allen Steuerzahlern, also berg lockte das Thema viele Menschen ins auch von Selbstständigen und Beamten mit- Pressehaus in die Bayerstraße. finanziert werden. Hauptaufreger bei den Fragestellern war, dass es zu viele Menschen gibt, die von Wenn dann zusätzlich noch das viele Jahr- einer Mini-Rente leben müssen – und das zehnte vorherrschende Normalarbeits- in einem reichen Land wie Deutschland, verhältnis Bruchstellen bekommt, also die in einem noch reicheren Bundesland wie Erwerbsbiografien brüchig werden, dann Bayern und sogar auch in der „Schicki- beschleunigt sich der Sinkflug der Renten. micki-Stadt“ München. Prekäre Beschäftigung, Leiharbeit und Zeit- arbeit – all das ist Gift für die Altersversor- Und hier handelt es sich keineswegs nur um gung. eine gefühlte Ungerechtigkeit. Alle paar Jah- re stellt die OECD fest, dass Deutschland Wenn jetzt die Absenkung des Renten- bei den Renten von Niedrigverdienern EU- niveaus nicht gestoppt wird, und Beitrags- weit das Schlusslicht bildet. erhöhungen insbesondere von den Arbeit- Das hat etwas mit der strengen Bindung gebern weiter mit dem alten neoliberalen der Rentenleistungen an die eingezahlten Argument abgelehnt werden, dass dies 5
VdK-Forum München 13./14. März 2017 unsere Wirtschaft erlahmen lassen würde, ein zunehmend wachsendes Problem dar. dann sind die Zukunftsängste der jetzigen Dies alles ist Anlass für den Sozialverband und künftigen Rentner berechtigt. VdK, die Rente und die Zukunft der Rente wieder ganz oben auf die Tagesordnung zu Immer mehr Menschen droht die Alters- setzen. armut, auch denjenigen, die ein Leben lang Wir haben in der vergangenen Legislatur- gearbeitet haben. Sie erhalten oftmals schon periode bereits einige bedeutende Erfolge jetzt eine Rente unterhalb des Grundsiche- in Sachen Alterssicherung zu verzeichnen rungsniveaus. gehabt: Das zweite Mütterrentenjahr für ältere Eine Ende 2016 veröffentlichte Datenüber- Mütter, die Erhöhung der Zurechnungszeit sicht des Statistischen Bundesamtes zeigt: bei den Erwerbsminderungsrenten und Jeder zweite Beschäftigte in Deutschland auch die Rente ab 63. muss im Alter mit einer gesetzlichen Rente unterhalb des Grundsicherungsniveaus in Nicht zu vergessen: der Start eines ver- Höhe von rund 790 Euro rechnen. Ohne pflichtenden Mindestlohns. Denn den besten weitere Zusatzeinkünfte im Alter sieht es Schutz vor Altersarmut bietet eine durch- dann mager aus für den Durchschnitts- gängige Erwerbsbiografie, mit einem Ein- bürger. kommen, das den Aufbau lebensstandard- sichernder Rentenanwartschaften zulässt. Wie dramatisch sich das sinkende Renten- Natürlich muss bei der Höhe des Mindest- niveau, aber auch der Ausbau des Nied- lohns noch deutlich nachgebessert werden. riglohnsektors schon jetzt auf die Ren- tenzahlbeträge ausgewirkt hat, zeigt eine Der VdK wird in den kommenden Monaten Berechnung des Koblenzer Professors für nicht locker lassen, um der zunehmenden Statistik und empirische Sozialforschung, Altersarmut den Kampf anzusagen. Auch im Gerd Bosbach. Bundestagswahljahr 2017 rufen wir unsere Demnach erhielten Neurentner mit langen Mitglieder wie 2013 und 2009 wieder zu Versicherungszeiten im Jahr 2015 schon 17 einer großangelegten und bundesweiten Prozent weniger Rente als Neurentner im Aktion auf. Jahr 2000. „Soziale Spaltung stoppen!“ lautet unser Um die Kaufkraft der Altersbezüge im Jahr Motto, mit dem wir ein Signal für einen 2000 zu erhalten, hätten Neurentner im Kurswechsel in der Sozial- und Renten- Jahr 2015 über 50 Prozent mehr Rente er- politik setzen wollen. halten müssen. Auch Bestandsrentner hät- Wir werden im Juli in jedem der sieben bay- ten rund 21 Prozent mehr Rente bekom- erischen Regierungsbezirke Großveranstal- men müssen, um die Preissteigerungen in tungen und Kundgebungen abhalten. Wir diesem Zeitraum auszugleichen. erwarten großen Zulauf. Beim tz-Forum letzten Mittwoch stellten Allein diese Auflistung verdeutlicht, wie zwei Rentner die Frage: „Wann kommt die komplex das Thema ist. Es wird aber auch Rentner-Revolution?“ Und eine zierliche äl- deutlich: Niedrige Altersrenten stellen tere Dame bat mich nach der Veranstaltung 6
VdK-Forum München 13./14. März 2017 höflich, doch jetzt endlich große Demons- die wachsende Ungleichheit stoppende So- trationen für eine gerechte Rente zu orga- zial- und Steuerpolitik wesentlich ist für eine nisieren. gute Zukunft unseres Landes. CDU/CSU, Dass sie uns fragte, ist nicht völlig aus der SPD, Grüne und Linke sollten hier an einem Luft gegriffen. Strang ziehen, so wie im Singspiel auf dem Denn wir haben in der Tat im Jahr 2004 in Nockherberg letzten Mittwoch. Es ist Zeit München mit 30.000 Teilnehmern die größ- für einen neuen Gesellschaftsvertrag gegen te Rentnerdemonstration in der Geschichte die wachsende Ungleichheit im Lande, wie der Bundesrepublik organisiert, also wir wis- ihn der SZ-Journalist Alexander Hagelüken sen, wie es geht ... in seinem kürzlich erschienenen Buch „Das Damals griffen erstmals so richtig die Kür- gespaltene Land“ fordert. zungsfaktoren in der Rentenanpassungsfor- mel, was zu drei Nullrunden in Folge führte. „Die Rente muss zum Leben reichen“ lautet Man kann gerade heuer im Jahr 2017, in dabei der zum heutigen Forum passende dem sich die Einführung der „Dynamischen Leitsatz des VdK im Vorfeld der Bundestags- Rente“ zum 60. Mal jährt, nicht oft genug wahl 2017. daran erinnern, dass gerade die Einführung Unser Ziel ist es, in den kommenden Mo- der Kürzungsfaktoren, wie Riesterfaktor, naten die Weichen für ein gerechteres Ren- Nachhaltigkeitsfaktor und Nachholfaktor, tensystem, das allen nützt, zu stellen. das Rentenniveau immer weiter nach unten Dabei werden wir die wachsende Un- gedrückt haben. gleichheit im Lande anprangern, die weiter wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, Statt Großdemonstrationen zünden wir auf die wir bereits vor einigen Jahren mit jetzt aber zunächst die erste Stufe, die da viel beachteten Plakatmotiven aufmerksam lautet: Veranstaltungen in großen Hallen, in gemacht hatten. denen die Bundestagskandidaten mit unse- Hier müssen wir gegensteuern, um Poli- ren Forderungen konfrontiert werden und tik- und Staatsverdrossenheit nicht weiter vor Ort dazu Stellung nehmen können und wachsen zu lassen und um Rechtspopulis- sollen. ten den Nährboden zu entziehen. Neben Gesundheit, Pflege und Behinde- Eine schrumpfende Mittelschicht und eine rung sind die Bereiche Rente und Armut abgehängte Unterschicht schaden unserer unsere zentralen Themen. Wir werden den Demokratie, aber auch unserer Wirtschaft. Druck auf die politischen Entscheidungsträ- Lassen Sie uns gemeinsam eine Wende her- ger erhöhen. beiführen. Ein starker und wachsender VdK kann wesentlich dazu beitragen. Die Bay- Als parteipolitisch unabhängiger Sozialver- ernSPD hat verkündet, dass seit der Nomi- band geben wir keine Wahlempfehlung. nierung von Martin Schulz Ende Januar als Aber wir garantieren unseren Mitgliedern Kanzlerkandidat 1.200 neue Parteimitglie- und allen, die es im Laufe des Jahres noch der in Bayern zu verzeichnen seien. Dieses werden, dass wir vor der Wahl und nach der Erfolgserlebnis sei der in der Vergangenheit Wahl den potenziellen Regierungsparteien arg unter Mitgliederrückgang leidenden unmissverständlich klarmachen, dass eine SPD vergönnt. Nur mit der Wachstums- 7
VdK-Forum München 13./14. März 2017 dynamik des VdK Bayern kann immer noch keine politische Partei mithalten: Wir haben seit Ende Januar ca. 5.600 Neuaufnahmen gezählt. Es ist auf jeden Fall ein gutes Zeichen, dass immer mehr Menschen – Junge und Alte – sich wieder mehr für unsere Demokratie und unseren sozialen Rechtsstaat in Partei- en, Gewerkschaften und Sozialverbänden engagieren. Das macht Mut für die Zukunft. 8
VdK-Forum München 13./14. März 2017 UIrike Mascher Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland e.V. Landesvorsitzende des Sozialverbands VdK Bayern e.V. München Notwendige Rentenrefor- men aus Sicht des Sozial- verbands VdK Die Sorge, im Alter nicht genügend Geld zu haben, beschäftigt die gesamte Gesellschaft. Lassen Sie mich dazu nur einige Meinungs- umfragen der vergangenen Monate zitieren. aktueller materieller Zufriedenheit eher pessimistisch in die Zukunft. Viele sehen ih- So hat im April 2016 eine Umfrage von In- ren Lebensstandard im Alter in Gefahr. 60 fratest dimap für das ARD-Morgenmagazin Prozent fürchten inzwischen, im Alter Ab- ergeben, dass sich die Mehrheit der Deut- striche machen zu müssen. schen, die noch keine Rente oder Pension beziehen, nämlich 57 Prozent, für die eigene Nach einer Forsa-Umfrage vom November Rentenzeit nicht ausreichend abgesichert 2016 befürchten viele Deutsche, im Alter fühlen. Und je jünger, desto größer ist die nicht mehr mit dem Geld auszukommen. Angst. Bei den 18- bis 34-Jährigen sehen Drei Viertel (75 Prozent) der Befragten sich 62 Prozent nicht ausreichend abgesi- sagten dabei, dass ihnen Altersarmut große chert, bei den 50- bis 64-Jährigen ist es im- oder sehr große Sorgen bereite. Fast genau- mer noch jeder Zweite (51 Prozent). so groß war die Angst vor sozialer Ungleich- Besonders bei den Geringverdienern mit heit (72 Prozent). einem monatlichen Haushalts-Nettoein- kommen unter 1.500 Euro ist die Angst Und jetzt erst, im Februar 2017, wurden laut dieser Umfrage ausgeprägt: Eine große Zahlen einer Umfrage des Meinungsfor- Mehrheit von 80 Prozent sorgt sich um die schungsinstituts Yougov veröffentlicht, nach eigene finanzielle Absicherung im Alter. der sich fast jeder Zweite in Deutschland davor fürchtet, nach dem Ausscheiden aus Weitere Umfrage vom September 2016: dem Arbeitsleben arm zu werden. Selbst Laut einer Analyse des Meinungsforschungs- unter den Erwerbstätigen fürchtet sich jeder instituts Allensbach blickt die Mehrheit der Dritte, im Alter nicht genug Geld zu haben. Deutschen zwischen 30 und 59 Jahren trotz 9
VdK-Forum München 13./14. März 2017 Angst vor Altersarmut gung mit einer generationengerechten Fi- Dass die Angst vor Altersarmut in Deutsch- nanzierung verbunden sein muss. land deutlich größer ist als in anderen Län- dern mit einem ähnlich hohen Lebensstan- RV-Beitragssatzsicherung im Vorder- dard wie zum Beispiel Großbritannien oder grund Kanada, könnte man nun gerne mit der so- Das Ziel, einen niedrigen Beitragssatz (unter genannten „German Angst“ abtun. 20 Prozent) zu sichern, tritt allerdings heute Und so wird auch immer wieder darauf immer stärker an diese Stelle und dominiert verwiesen, dass Deutschland kein Alters- die Rentendebatte. armutsproblem hätte, da nur drei Prozent der Aktuell liegt der Rentenversicherungsbei- Rentnerinnen und Rentner in Deutschland tragssatz bei 18,7 Prozent und damit auf Grundsicherung im Alter beziehen würden. einem so niedrigen Niveau, wie wir es zu- Immerhin waren das 2015 jedoch schon letzt 1995 (mit 18,6 Prozent), d.h. vor mehr 536.121 Empfängerinnen und Empfänger. als 20 Jahren, hatten. Vom Höchststand der späten 90er-Jahre (1997–1999) mit 20,3 Stellt man des Weiteren der bundeswei- Prozent sind wir weit entfernt. ten Armutsgefährdungsschwelle von ak- tuell 942 Euro die aktuellen Rentenzahl- Und doch wird gerade von Arbeitgebersei- beträge gegenüber, mit dem Ergebnis, dass te so getan, als ob der Wirtschaftsstandort insgesamt 39,1 Prozent aller Rentner und Deutschland mit jedem Zehntel Rentenbei- deutliche 81,1 Prozent der Rentnerinnen in tragssatz mehr vor der Zerreißprobe ste- den alten Bundesländern sowie 31,2 Pro- hen würde. zent der Rentner und 64,3 Prozent der Dabei stehen wir wirtschaftlich gut da. Sel- Rentnerinnen in den neuen Bundesländern ten haben Unternehmen so viel verdient, Renten unterhalb von 900 Euro und damit nie haben sie bisher so viele Waren ins unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle Ausland verkaufen können. Deutschland erhalten, wird auf weitere Einkünfte und das vermeldet Rekordbeschäftigung, und zwar Gesamthaushaltseinkommen als richtigerer, nicht nur bei Billigjobs, sondern bei regulä- anzulegender Einkommensmaßstab hinge- rer, sozialversicherungspflichtiger Arbeit. wiesen. Zum dritten Mal in Folge hat der Staat 2016 auf allen Ebenen – Bund, Länder, Kommu- Beide Positionen sind sicher nicht von der nen und Sozialversicherung – mehr einge- Hand zu weisen. Dennoch liegt die Wahr- nommen als ausgegeben: fast 24 Milliarden heit, wie so oft, in der Mitte. Die Alterssiche- Euro, der höchste Überschuss seit der Wie- rung über die gesetzliche Rentenversiche- dervereinigung. rung entfernt sich immer weiter von ihrem ursprünglichen Ziel, den Lebensstandard im Aus Sicht des VdK ist daher der Zeitpunkt Alter zu sichern. Bisher gab es einen Kon- günstig, sich noch einmal über die Verteilung sens darüber, dass das Vertrauen auf ein si- der Mittel in Deutschland und die Stabili- cheres Alterseinkommen der Kern unseres sierung unseres Altersvorsorgesystems Ge- solidarisch aufgebauten Sozialstaats ist und danken zu machen. die lebensstandardsichernde Altersversor- Lassen Sie mich gleich voranstellen: Falsch 10
VdK-Forum München 13./14. März 2017 wäre es, nach dem Gießkannensystem vor- wenn man nach der Einkommenshöhe der zugehen. Beschäftigten differenziert. Gerade unter Wir müssen gezielt die Schwachstellen an- den Beziehern niedrigerer Einkommen ist schauen und beseitigen. die zusätzliche Altersvorsorge eher wenig verbreitet. Stärkung der ersten Säule erforder- lich Stabilisierung und maßvolle Erhö- Unabdingbar für den VdK ist, dass Armuts- hung des Rentenniveaus festigkeit in der ersten Säule unserer Alters- Als wichtigste Maßnahme zur Stärkung des vorsorge, d.h. in der gesetzlichen Renten- gesetzlichen Rentensystems brauchen wir versicherung, erreicht wird. Die Versuche in eine Stabilisierung und maßvolle Erhöhung der Vergangenheit, die finanzielle Vorsorge des Rentenniveaus: Denn die gesetzlich vor- für das Alter durch die weiteren Säulen gesehene Senkung des Rentenniveaus, das der betrieblichen und privaten Altersvor- aktuell bei rund 48 Prozent liegt, schiebt sorge abzusichern, haben gezeigt, dass der immer mehr Geringverdiener und auch Leistungsabbau in der gesetzlichen Renten- ganz normale Arbeitnehmer in Richtung versicherung nicht durch die anderen (frei- Grundsicherung. Sie macht auch alle bisher willigen) Säulen aufgefangen werden kann. erreichten Verbesserungen, z.B. bei der Er- Immer mehr Menschen rutschen deswegen werbsminderungsrente oder der Mütter- in die bedrohliche Nähe der Grundsiche- rente nach einigen Jahren wieder zunichte. rung. Als Argumente für diese angeblich unver- Für den VdK sind betriebliche und priva- zichtbare Absenkung des Rentenniveaus te Altersvorsorge zweifellos wichtig, doch werden längere Rentenbezugszeiten we- nicht als Kompensation, sondern als Ergän- gen der heute höheren Lebenserwartung zung zur gesetzlichen Rente. und weniger Rentenbeitragszahler aufgrund Wir müssen uns dabei auch die Ergebnisse weniger Geburten genannt. Und auch der des jüngsten Alterssicherungsberichts ver- Wegfall von vielen Arbeitsplätzen durch die gegenwärtigen: Die gesetzlichen Renten- Digitalisierung wird dabei ins Spiel gebracht. versicherungsleistungen – bezogen auf alle 65-Jährigen und Älteren – machen heute Als potenzielle Stellschrauben in der Ren- stolze 63 Prozent der Bruttoeinnahmen tenniveaudiskussion fungieren deshalb die zum Leben im Alter aus, betriebliche Al- vor allem von gut situierten Professoren tersversorgung und private Vorsorge nur und Wissenschaftlern gern angeführte Er- jeweils 8 Prozent und weiteres Einkommen höhung der Lebensarbeitszeit durch eine nur 7 Prozent. weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters Zwar haben 70,4 Prozent der sozialversi- auf 70 und mehr Jahre und die von der cherungspflichtig Beschäftigten heute eine Wirtschaft vehement abgelehnte Erhöhung zusätzliche betriebliche oder private Alters- des Rentenbeitragssatzes. vorsorge. Die Verbreitungsquoten und spä- Kurz gesagt: Rentenalter oder Beitragssatz!? teren Leistungshöhen unterscheiden sich Die Wahl also zwischen Pest oder Cholera! im Detail aber sehr deutlich, insbesondere Nebenbei bemerkt: Es ist schon erstaunlich, 11
VdK-Forum München 13./14. März 2017 dass in unserem Land gleichzeitig eine Erhö- der Menschen mit einer Erwerbsminderung. hung des Rentenalters auf über 70 und eine Beschränkung des Führerscheins für Ältere Wir haben uns bereits im Frühjahr 2014 auf Mitte 70 diskutiert werden. bei unserem VdK-Forum mit den Menschen beschäftigt, die im Erwerbsleben krank wer- Erweiterung der Finanzierungsbasis den und nicht mehr arbeiten können. Da- notwendig mals waren wir uns alle einig, dass für diese Doch für den VdK sind damit die Stellschrau- Menschen mehr getan werden muss: ange- ben keineswegs erschöpfend aufgezählt. fangen von zielgerichteter und umfassender Wir müssen uns stärker mit der gerechten medizinischer und möglicherweise berufli- Verteilung des Jahr um Jahr erwirtschaf- cher Rehabilitation, um eine dauerhafte Er- teten Reichtums und einer sachgerechten werbsminderung zu vermeiden, bis hin zur Finanzierung von familienpolitischen Leis- deutlichen Erhöhung der Rentenleistungen. tungen wie der Mütterrente oder gesamt- gesellschaftlichen Aufgaben der Ost-West- Untersuchungen zeigen, dass sich bei drei Angleichung der aktuellen Rentenwerte Viertel der Personen in Haushalten von beschäftigen: Wieso sollte man die Alters- Erwerbsminderungsrentnern die finanzielle vorsorge nur von den sozialversicherungs- Situation infolge der EM-Berentung ver- pflichtigen Alterseinkommen finanzieren schlechtert hat. Von allen Personen, die in lassen? Was ist mit einer stärkeren Besteue- den Haushalten von Erwerbsminderungs- rung des Kapitals und damit einer stärkeren rentnern leben, sind sogar rund 40 Prozent Beteiligung der Unternehmensgewinne? armutsgefährdet. Auch insgesamt sollten die Bürger nach ihrer Zwar wurden mit dem Rentenpaket 2014 Leistungsfähigkeit in Anspruch genommen und der Erhöhung der Zurechnungszeiten werden. Das Beispiel Schweiz zeigt, dass es auf das 62. Lebensjahr bereits erste wich- auch ohne Beitragsbemessungsgrenze geht tige Maßnahmen ergriffen, diese Menschen und daher gerade Gutverdiener mehr als besser im Hinblick auf das nicht selbst ge- andere zum Alterseinkommen beitragen wählte Schicksal einer Erwerbsminderung sollten und können. Der Schweizer Einkom- abzusichern. mensmillionär zahlt von seinem gesamten Einkommen einen Beitrag und erhält eine Gleichwohl kann bisher noch keinesfalls von Höchstrente von 2.350 Franken pro Monat bekämpfter Armut gesprochen werden. Die in der Alters- und Hinterlassenenversiche- durchschnittlichen Rentenzahlbeträge neu- rung (AHV). er Erwerbsminderungsrenten lagen 2015 bei den Männern in den alten Bundeslän- Erwerbsminderungsrentner besser dern bei 702 Euro, bei Frauen bei 640 Euro. absichern In den neuen Bundesländern erhielten Män- Neben der Frage des Rentenniveaus müs- ner 643 Euro, Frauen 717 Euro. sen wir uns außerdem mit bestimmten Per- sonengruppen besonders beschäftigen. An Auch wenn hier jetzt aktuell mit dem soge- erster Stelle zu nennen ist hier die Gruppe nannten Erwerbsminderungs-Leistungsver- 12
VdK-Forum München 13./14. März 2017 besserungsgesetz noch mal nachgebessert Auch Bestandsrentner beteiligen werden soll, halten wir die aktuell geplante Betonen möchte ich, dass es dem VdK äu- Regelung für unzureichend. Denn die Zu- ßerst wichtig ist, dass auch die Bestands- rechnungszeiten für Erwerbsminderungs- rentner an den Verbesserungen teilhaben renten sollen erst ab 2018 und dann nur können. Daher fordert der VdK: Auch die schrittweise bis 2024 weiter angehoben 1,7 Millionen Bestandsrentnerinnen und werden. Bestandsrentner müssen an den Besserun- gen beteiligt werden. Nur dann kann sich Damit die Menschen, die heute eine Er- der Gesetzgeber wirklich auf die Fahnen werbsminderung erfahren, überhaupt pro- schreiben, etwas gegen die Armutsgefähr- fitieren können, muss die weitere Erhöhung dung dieses Personenkreises unternommen der Zurechnungszeit auch heute und wie zu haben. im Jahr 2014 in einem Schritt erfolgen. Da- neben sollte sich die Koalition nun endlich Geringverdiener stärken, Mindest- durchringen, auf die systemwidrigen Ab- lohn erhöhen schläge von bis zu 10,8 Prozent zu verzich- Als weitere Personengruppe, die besonde- ten. Mehr als 34 Abschlagsmonate mussten rer Unterstützung bedarf, ist aus Sicht des sich die Neurentner 2015 durchschnittlich VdK die Gruppe der Geringverdiener zu anrechnen lassen, obwohl der Gang in die nennen. Erwerbsminderungsrente keine freiwillige Nach Angaben der Bundesregierung be- Entscheidung ist. trug 2014 die Niedriglohnschwelle 10 Euro Bruttostundenlohn – damit sogar noch um Lassen Sie mich auch etwas zum Argument einiges höher als der aktuelle Mindestlohn der Gegner der Abschaffung der Abschlä- von 8,84 Euro. 18,4 Prozent der Beschäftig- ge sagen. Diese meinen, dass die Abschläge ten in den alten Bundesländern, d. h. knapp bleiben müssten, da sonst massenhafte Aus- ein Fünftel, und 34,6 Prozent der Beschäf- weichreaktionen der Versicherten weg von tigten in den neuen Bundesländern, d.h. ein anderen Rentenarten, z.B. der Altersrente, Drittel aller Beschäftigten, haben 2014 mit in die Erwerbsminderungsrente folgen wür- Niedriglohn gearbeitet. den. Besonders von den Niedriglohnbeschäf- Aus der Praxis der VdK-Kreisgeschäftsstel- tigungen betroffen sind Frauen: Sie hatten len betrachtet, ist diese Argumentation zu 26,5 Prozent einen Job mit Niedriglohn absurd. Jeder, der schon einmal selbst ein (Männer: 15,5 Prozent). Verfahren – ob als Kläger oder als Bevoll- mächtigter – geführt hat, weiß, wie hoch die Damit können natürlich keine ausreichen- (medizinischen) Hürden sind, die überwun- den Rentenansprüche erworben werden. den werden müssen, um eine EM-Rente zu Eine Auskunft des Bundesarbeitsministe- bekommen. Je nach persönlichem Gusto riums zeigt, dass bei einer wöchentlichen bekommt in diesem Land niemand eine Arbeitszeit von 38,5 Stunden über 45 Jahre EM-Rente. sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung hinweg im Jahr 2016 bereits ein Stunden- lohn von 11,68 Euro erforderlich gewesen 13
VdK-Forum München 13./14. März 2017 wäre, um den durchschnittlichen Grundsi- sollte daher insbesondere die von Arbeitge- cherungsbedarf von 788 Euro zu erreichen. bern finanzierte betriebliche Altersversor- Ich überlasse es Ihrem Rechenvermögen, gung weiter vorangebracht werden. auszurechnen, bei welcher Rentenhöhe Per- sonen landen, die diese 11,68-Euro-Grenze Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Stär- nicht erreichen. kung der betrieblichen Altersversorgung will die Koalition hier ab 2018 Verbesserun- Dringend sind aus Sicht des VdK Maßnah- gen auf den Weg bringen, u.a. durch eine men notwendig, die Rentenbeträge für die- Optimierung der steuerlichen Förderung sen Personenkreis aufzubessern, u.a. natür- und eine Haftungsentlastung der Arbeitge- lich mit einer kontinuierlichen Erhöhung des ber. Mindestlohns. Der VdK hat aber darüber hinaus mehrmals darauf hingewiesen, und Freibetrag in der Grundsicherung ich möchte es heute noch einmal tun, dass für die gesetzliche Rente wir mit der Rente nach Mindesteinkommen Bemerkenswert ist, dass nun endlich daran bzw. nach Mindestentgeltpunkten bereits gedacht wird, die Bereitschaft zur zusätzli- ein taugliches und erprobtes Instrument für chen Altersvorsorge durch Freibeträge bei diesen Personenkreis hätten, wir müssen es der Grundsicherung im Alter und bei Er- nur wieder zur Anwendung bringen. werbsminderung zu stärken. Vorgesehen ist Bis 1992 wurde es angewandt und kam vor aktuell, dass bis zu 202 Euro abgesetzt wer- allem Frauen in Leichtlohngruppen, die un- den können, (100 Euro monatlich aus einer terdurchschnittlich verdient haben, zugute. zusätzlichen Altersvorsorge (bAV-, private Für diese Regelung müssen/mussten zwei Riester- oder Rürup-Renten unabhängig Voraussetzungen erfüllt sein: von einer etwaigen staatlichen Förderung • Es müssen insgesamt wenigstens 35 sowie Rentenbeträge, die aus Zeiten einer Jahre rentenrechtlicher Zeiten vorliegen. freiwilligen Versicherung in der GRV resul- Dazu zählen Beitragszeiten, beitragsfreie tieren) zuzüglich 30 Prozent des diesen Zeiten und Berücksichtigungszeiten. Betrags übersteigenden Einkommens aus • Außerdem muss der Durchschnitt des einer zusätzlichen Altersvorsorge bis zu ei- Rentenanspruchs aus vollwertigen ner Grenze von 50 Prozent der Regelbe- Pflichtbeitragszeiten unter 75 Prozent darfsstufe 1 (2016 wären dies 202 Euro)). des Durchschnittseinkommens liegen. Trifft beides zu, werden die Rentenanwart- Doch ich frage Sie: Was ist mit einem Frei- schaften auf diesen Wert aufgestockt. betrag in der Grundsicherung für die ge- setzliche Rente? Hier werden die Renten Wichtig wäre außerdem für diese Men- aus der gesetzlichen Rentenversicherung schen, dass es sich für sie auszahlt, zusätz- krass benachteiligt. lich fürs Alter vorzusorgen. Wie ich vorhin bereits ausgeführt habe, ist die zusätzliche Gleichzeitig wird mit diesem Gesetz zudem Altersvorsorge generell noch zu wenig ver- eine neue Gerechtigkeitslücke eröffnet: breitet und in besonders geringem Maße Denn betriebliche Riester-Verträge sollen bei Geringverdienern. Für Geringverdiener wie die privaten Riester-Verträge in der 14
VdK-Forum München 13./14. März 2017 Auszahlungsphase von der Beitragspflicht Mütterrentenjahr, das für die Jahre 2017 zur Kranken- und Pflegeversicherung befreit bis 2019 rund 7,2 Mrd. Euro jährlich kosten werden. würde, Tendenz anschließend sinkend. Um zu vermeiden, dass immer mehr Frau- Bewusst nicht berücksichtigt wurden die en im Alter in die Armutsfalle tappen, muss Krankenkassenbeiträge bei sonstigen Be- diese Gerechtigkeitslücke bei den Mütter- triebsrenten und Direktversicherungen – renten geschlossen werden. Frauen, die ihre eine permanente Quelle des Unmuts und Kinder vor 1992 bekommen haben, müssen des Unverständnisses vieler Tausender Be- endlich auch das dritte Erziehungsjahr an- triebsrentner. erkannt bekommen. Ich bin hier sehr froh, dass der bayerische Ministerpräsident Horst Vor knapp drei Wochen erst hat die Bun- Seehofer auf unserer 70-Jahr-Feier im Janu- desregierung einen diesbezüglichen Ände- ar noch einmal öffentlich die Unterstützung rungsantrag des Bundesrats harsch abge- dieser VdK-Forderung bekundet hat. lehnt. Vorrangig mit dem Argument (Zitat): Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Müt- „Die Verbeitragung von Versorgungsbezü- terrente bei den betroffenen Frauen auch gen aus Betriebsrenten ist ein unverzicht- tatsächlich ankommt. Auch deswegen ist es barer Bestandteil für eine solidarische und wichtig, dass es einen Freibetrag für Grund- nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen sicherungsbezieher für die gesetzliche Ren- Krankenversicherung (…). Die derzeitigen te gibt. Bisher wird die Mütterrente, ebenso Beitragseinnahmen der gesetzlichen Kran- wie Rentenanpassungen, nämlich eins zu kenversicherung aus den Versorgungsbe- eins mit der Grundsicherung verrechnet. zügen belaufen sich auf rund 5,3 Milliarden Euro. Eine Absenkung des Beitragssatzes Selbstständige gesetzlich absichern (…) führt zu Mindereinnahmen der gesetz- Als vorletzten Punkt möchte ich auf einen lichen Krankenversicherung in Höhe von Personenkreis zu sprechen kommen, der jährlich rund 2,5 Milliarden Euro, die über ebenfalls im Alter finanziell äußerst schlecht einen deutlichen Anstieg der Zusatzbeiträ- dasteht. Ich spreche hier von der Gruppe ge für alle Mitglieder refinanziert werden der Selbstständigen. Abgesehen von der müssten.“ Gruppe der Freiberufler, die in Versorgungs- werken, mindestens wie in der gesetzlichen Wie wäre es denn mit einer Wiedereinfüh- Rentenversicherung abgesichert ist, haben rung der vollen paritätischen Beiträge für viele weitere Selbstständige keine oder Arbeitgeber? kaum eine Altersversorgung. Die Hälfte Es geht bei dieser Regelung also keineswegs der heute auf staatliche Grundsicherung um irgendwelche Sachgründe oder Syste- angewiesenen Menschen hat keine Ren- matiken, sondern rein ums Geld! tenansprüche – weder aus einer privaten, noch aus der gesetzlichen Rentenversiche- Drittes Mütterrentenjahr einführen rung, noch ein sonstiges Einkommen. So lag Lassen Sie mich an dieser Stelle auf eine beispielsweise im Jahr 2015 bei 112.762 weitere Lücke hinweisen, bei der die Finan- Personen das anzurechnende Einkommen zierung im Vordergrund steht: Das dritte bei der Grundsicherung im Alter und bei 15
VdK-Forum München 13./14. März 2017 Erwerbsminderung bei unter 100 Euro. Darüber hinaus fordert der Sozialverband Für diese Personen brauchen wir eine Lö- VdK einen dauerhaft öffentlich geförderten sung, möglicherweise nach dem Vorbild der Arbeitsmarkt. Ein neues Verständnis öffent- Künstlersozialkasse. licher Verantwortung für langzeitarbeitslose Menschen ist genauso notwendig wie eine Situation langzeitarbeitsloser neue Struktur der arbeitsmarktpolitischen Menschen verbessern Förderung. Langzeitarbeitslose Menschen Zuletzt ist es mir wichtig, einen Personen- mit mehreren Vermittlungshemmnissen kreis wieder in die öffentliche Aufmerksam- brauchen ein dauerhaftes Gefüge statt keit zurückzurücken, dessen Altersarmut befristeter Arbeitsmarktprogramme. Sie gesetzlich produziert wird: Die Gruppe der müssen tariflich entlohnt und sozialversi- Langzeitarbeitslosen. cherungspflichtig und arbeitsrechtlich ab- 2010 wurden die Rentenbeiträge für Ar- gesichert beschäftigt werden. Wir dürfen beitslosengeld-II-Bezieher im Rahmen des diese Menschen nicht ausgrenzen, sondern Kürzungspakets gestrichen, um, nach den müssen sie wieder in die Mitte unserer Ge- Worten der Gesetzesbegründung, „die sellschaft holen. Anreize zur Aufnahme einer sozialversiche- rungspflichtigen Beschäftigung zu stärken.“ Damals betrug der monatliche Renten- anspruch für Langzeitarbeitslose nach der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und voran- gegangenen Kürzungen nur noch 2,09 Euro. Die Anreize waren offenbar nicht groß ge- nug: Wir haben einen harten Kern von rund einer Million Menschen, die sich von Januar 2005 bis Dezember 2014 durchgehend in der Grundsicherung für Arbeitssuchende befanden. Bezogen auf den Anfangsbestand im Januar 2005 verblieben damit gut 16 Prozent der damals 6,2 Millionen Leistungs- beziehenden zehn Jahre und länger im Leis- tungsbezug. Diese Menschen, zu denen vor allem Ältere, gering oder nicht Qualifizierte und Perso- nen mit Kinderbetreuungsaufgaben zählen, müssen deutlich besser unterstützt werden – auch im Hinblick auf ihre spätere Renten- situation. Daher sollten die Rentenbeiträge im Hartz-IV-Bezug noch einmal grundle- gend überdacht werden. 16
VdK-Forum München 13./14. März 2017 Wolfgang Buhl Deutsche Rentenversicherung Bund Berlin Die aktuellen Renten- pläne in der Bewertung der DRV Bund Der folgende Beitrag fasst die Einschät- zung der Deutschen Rentenversicherung Bund zu einigen aktuell diskutierten oder kürzlich umgesetzten Reformvorhaben der Bundesregierung zusammen. Im ersten Abschnitt wird als Grundlage zunächst die aktuelle Finanzsituation dargestellt, da alle (RV) also mit einem negativen Haushalts- Reformvorhaben finanzielle Auswirkungen saldo abgeschlossen hat, lag die Nachhaltig- haben. Im zweiten Abschnitt wird die aktu- keitsrücklage zum Jahresende trotzdem je- elle Reformdiskussion reflektiert, insofern weils oberhalb der gesetzlich festgesetzten sie Auswirkungen auf die gesetzliche Ren- Obergrenze von 1,5 Monatsausgaben. Die tenversicherung hat. Der dritte Abschnitt Nachhaltigkeitsrücklage baut sich demnach befasst sich mit ausgewählten Regelungen wie erwartet ab – jedoch langsamer als des Ende letzten Jahres verabschiedeten zunächst erwartet – und lag zum Jahres- Gesetzes zur Flexibilisierung des Übergangs ende jeweils oberhalb der Erwartungen vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zum Zeitpunkt der Festlegung des Beitrags- zur Stärkung von Prävention und Rehabili- satzes für die Jahre 2015 und 2016. Am Jah- tation im Erwerbsleben (Flexirentengesetz). resende 2016 hatte sie eine Höhe von 32,4 Ein zusammenfassendes Fazit schließt den Mrd. Euro bzw. 1,62 Monatsausgaben. Beitrag ab. Mittel- und längerfristig stellt sich die Situ- 1. Aktuelle Finanzsituation ation nach aktuellen Schätzungen und Mo- Die aktuelle Reformdebatte findet vor dem dellrechnungen folgendermaßen dar: Bis Hintergrund einer relativ guten Finanzsitua- zum Jahr 2030 werden sich Beitragssatz und tion in der gesetzlichen Rentenversicherung Rentenniveau im gesetzlich festgelegten statt. Obwohl die Ausgaben in den Jahren Korridor bewegen. Das heißt, der Beitrags- 2015 (rd. 272 Mrd. Euro) und 2016 (rd. satz wird nach den aktuellen Modellrech- 282,6 Mrd. Euro) über den Einnahmen lagen nungen bis zum Jahr 2020 nicht über 20 (2015: 270,4 Mrd. Euro; 2016: 280,5 Mrd. Prozent und bis zum Jahr 2030 nicht über Euro), die gesetzliche Rentenversicherung 22 Prozent steigen. Das Rentenniveau wird 17
VdK-Forum München 13./14. März 2017 2020 voraussichtlich den Wert von 47,9 niveau erfordert grundsätzlich auch einen Prozent und im Jahr 2030 den Wert von höheren Beitragssatz. Nach einer Faustfor- 44,6 Prozent erreichen und damit oberhalb mel fordert ein um einen Prozentpunkt hö- der gesetzlich festgelegten Untergrenze von heres Rentenniveau einen um einen halben 46 Prozent im Jahr 2020 und 43 Prozent im Beitragssatzpunkt höheren Beitragssatz. Da Jahr 2030 bleiben. ein Rentenniveau von 46 Prozent nach heu- tigen Modellrechnungen einen Beitragssatz Im Rahmen des seitens des Bundesminis- von über 25 Prozent erfordern würde, sieht teriums für Arbeit und Soziales initiierten das Gesamtkonzept der Ministerin – inso- „Dialog Alterssicherung“ hat das BMAS fern schlüssig – zur Finanzierung einen De- vergangenes Jahr erstmals Vorausberech- mografiezuschuss des Bundes vor. nungen bis zum Jahr 2045 vorgelegt. Nach diesen Berechnungen werden Beitragssatz Auch aus Sicht der Deutschen Rentenver- und Rentenniveau in den Jahren nach 2030 sicherung Bund erscheint es sinnvoll, auch die bis zu diesem Zeitpunkt geltenden künftig gesetzliche Haltelinien vorzusehen, Grenzwerte über- bzw. unterschreiten. Im ähnlich wie das bereits heute für die Zeit Jahr 2045 werden der Beitragssatz danach bis 2030 der Fall ist. Diese Haltelinien soll- bei 23,7 Prozent und das Rentenniveau bei ten sich nicht nur auf das Rentenniveau 41,7 Prozent liegen. oder den Beitragssatz beziehen, sondern beide Werte berücksichtigen. Auf diese 2. Die aktuelle Reformdiskussion Weise können Haltelinien dazu beitragen, Im Anschluss an den bereits erwähnten die Belastungen des demografischen Wan- Dialog Alterssicherung legte die Bundesmi- dels gerecht zwischen Beitragszahlern und nisterin für Arbeit und Soziales im Herbst Leistungsempfängern zu verteilen. Solche 2016 ein „Gesamtkonzept zur Alterssiche- Haltelinien für Rentenniveau und Beitrags- rung“ vor. Im Folgenden gehe ich auf einige satz würden die Alterssicherung auch lang- der darin enthaltenen Themen näher ein. fristig vorhersehbar und für den Einzelnen Diese Themen spiegeln die aktuelle Diskus- besser planbar machen. Voraussetzung ist sion wider und befinden sich zum Teil be- allerdings, dass die Haltelinien unter realisti- reits im Gesetzgebungsverfahren. schen Bedingungen erreichbar sind. Es wür- de also wenig Sinn machen, ein besonders Haltelinien für Beitragssatz und Rentenniveau hohes Rentenniveau bei einem besonders Aus Sicht der Bundesministerin sollte das niedrigen Beitragssatz festzulegen. Rentenniveau bis 2045 nicht unter 46 Pro- zent sinken. Der Beitragssatz sollte dabei Altersarmut nicht über 25 Prozent steigen. Es sollen also Derzeit beziehen 2,5 Prozent der Bezieher auch über das Jahr 2030 hinaus gesetzliche einer Altersrente aus der gesetzlichen RV Haltelinien für Beitragssatz und Renten- gleichzeitig Leistungen der Grundsicherung. niveau gezogen werden. Im Verhältnis zu anderen Bevölkerungs- gruppen ist das eine relativ niedrige Quote. Beitragssatz und Rentenniveau hängen mit- Aktuell ist das Problem der Altersarmut in einander zusammen. Ein höheres Renten- Deutschland also eher gering, allerdings gibt 18
VdK-Forum München 13./14. März 2017 es Befürchtungen, dass sich dies in Zukunft Anteil der Grundsicherungsbezieher unter ändern könnte. den Rentnern wegen voller und dauerhaf- ter Erwerbsminderung ist deutlich höher als Rund ein Viertel der Grundsicherungsemp- unter Altersrentnern und beträgt 15 Pro- fänger beziehen gar keine Rente aus der zent. Die durchschnittlichen Zahlbeträge im gesetzlichen RV und rd. 40 Prozent haben Zugang bei der Erwerbsminderungsrente eine Rente von weniger als 400 Euro im sind vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2011 um Monat. Insofern greift die Forderung nach mehr als 200 Euro gesunken. Seit dem Jahr einer Stabilisierung oder Erhöhung des Ren- 2011 sind sie wieder im Anstieg begriffen tenniveaus, die aktuell von mehreren Seiten und lagen im Rentenzugang 2015 bei 672 erhoben wird, für diesen Personenkreis zu Euro. Mit dem Rentenpaket des Jahres 2014 kurz. hat es bereits Verbesserungen beim Recht der Erwerbsminderungsrenten gegeben: Zu den im Hinblick auf Armut besonders Die sogenannte Zurechnungszeit wurde gefährdeten Bevölkerungsgruppen zählen um zwei Jahre bis zur Vollendung des 62. u. a. Selbstständige, Erwerbsgeminderte, Lebensjahres verlängert und die Regelun- Langzeitarbeitslose und Niedriglohnbezieher. gen für ihre Bewertung wurden verbessert. Aus Sicht der Deutschen Rentenversiche- Die letzten vier Jahre vor Eintritt des Er- rung Bund sollten Maßnahmen gegen Alters- werbsminderungsfalles werden bei der Be- armut bei diesen Personengruppen zielge- rechnung des Wertes der Zurechnungszeit richtet, frühzeitig und präventiv ansetzen. nun nicht mehr berücksichtigt, wenn das für den Rentner günstiger ist. Mit dem derzeit Kompensatorische Maßnahmen, die an ei- im Gesetzgebungsverfahren befindlichen ner niedrigen Rentenhöhe ansetzen, wären Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung wenig zielgenau, da niedrige gRV-Renten der Leistungen bei Renten wegen vermin- nicht unbedingt ein geringes Haushaltsein- derter Erwerbsfähigkeit und zur Änderung kommen bedeuten. Maßnahmen inner- anderer Gesetze (EM-Leistungsverbesse- halb der gesetzlichen RV würden zudem rungsgesetz) soll eine weitere schrittweise die Grenzen zwischen den Prinzipien von Verlängerung der Zurechnungszeit um drei Versicherung und Fürsorge verwischen. Jahre bis zum vollendeten 65. Lebensjahr Insofern erscheint es folgerichtig, dass die beschlossen werden. Aus Sicht der Deut- sogenannte „Solidarrente“ im Gesamtkon- schen Rentenversicherung Bund wäre das zept des Bundesministeriums für Arbeit und eine geeignete Maßnahme, um die EM-Ren- Soziales außerhalb des Rechts der gesetz- te armutsfester zu machen. lichen Rentenversicherung angesiedelt ist. Der Vorschlag der Solidarrente ist allerdings Alterssicherung von Selbstständigen noch nicht so weit ausformuliert, dass eine Die Absicherung Selbstständiger ist eben- abschließende Bewertung möglich wäre. falls eng mit dem Thema Altersarmut ver- knüpft. Hierbei geht es zum einen um die Verbesserung der Erwerbsminderungsrente individuelle Vermeidung von Altersarmut, Wie gerade erwähnt stellt Erwerbsminde- zum anderen aber auch um den Schutz rung ein besonderes Armutsrisiko dar. Der der Allgemeinheit davor, unterbliebene 19
VdK-Forum München 13./14. März 2017 Altersvorsorge aus Steuermitteln im Rah- antworten. Die bloße Pflicht, eine Alterssi- men der Grundsicherung kompensieren zu cherung zu betreiben mit der eventuellen müssen. Von den derzeit rund 4,3 Millionen Möglichkeit, das auch in der gesetzlichen Selbstständigen haben rund 3 Millionen kei- Rentenversicherung zu tun, würde außer- ne obligatorische Alterssicherung. Vielfach dem die Gefahr mit sich bringen, dass sich wird angenommen, dass die Digitalisierung schlechte Risiken in der gesetzlichen Ren- künftig noch zu einer Zunahme der häufig tenversicherung kumulieren. Diese Gefahr nicht abgesicherten sogenannten Solo- dürfte vor allem im Hinblick auf das Risiko selbstständigkeit führen könnte. Vor dem der Erwerbsminderung bestehen. Hintergrund, dass die Grundsicherungs- quote ehemals Selbstständiger doppelt so Rentenangleichung Ost-West hoch ist wie unter ehemals Beschäftigten, Mehr als 25 Jahre nach der Wiedervereini- besteht weitgehend Einigkeit, dass hier ein gung ist den Menschen in Deutschland ein Handlungsbedarf besteht. Keine Einigung geteiltes Rentenrecht kaum noch zu ver- besteht allerdings hinsichtlich der Frage, in mitteln. Das nach West und Ost differen- welcher Form Selbstständige verpflichtet zierende Rentenrecht sollte dazu beitragen, werden sollten, Alterssicherung zu betrei- dass die Rentner in Ostdeutschland an der ben: Sollten sie als Pflichtversicherte in die erwarteten dynamischen Entwicklung der gesetzliche Rentenversicherung einbezogen Löhne in Ostdeutschland teilhaben. Nach werden oder sollten sie verpflichtet wer- einer Angleichung der Löhne sollten auch den, in irgendeiner Form privat oder ge- die Renten ehemaliger Durchschnittsver- setzlich vorzusorgen? Das Gesamtkonzept diener in Ost und West gleich hoch sein. des BMAS sieht eine grundsätzliche Einbe- Während sich die Löhne in Ostdeutschland ziehung aller Selbstständigen in die gesetz- von knapp 70 Prozent im Jahr 1992 auf liche Rentenversicherung vor. Es soll dabei aktuell rund 89 Prozent des Westniveaus allerdings Befreiungsrechte für Berufsgrup- angenähert haben, hat sich der für die Ren- pen mit obligatorischen Alterssicherungs- tenhöhe maßgebliche aktuelle Rentenwert systemen und einen Vertrauensschutz für (Ost) dem aktuellen Rentenwert (West) ältere Selbstständige geben. Aus Sicht der bereits bis auf 94 Prozent angenähert. gesetzlichen Rentenversicherung erscheint es sinnvoll, Selbstständige ohne obligatori- Nach einem starken Anstieg der Löhne und sche Alterssicherung in die gesetzliche Ren- der Renten in den Neunzigerjahren folgte tenversicherung einzubeziehen. Andernfalls eine lange Phase, in der sich Löhne und wären vielfältige Koordinierungsregeln für Renten nicht weiter aneinander angeglichen den Wechsel zwischen abhängiger Beschäf- haben. Erst in den letzten Jahren kam es tigung und selbstständiger Tätigkeit sowie wieder zu einer weiteren Angleichung. Das für die sogenannten „hybriden“ Erwerbs- geltende Recht hat aber nicht nur zu einer zeiten erforderlich, bei denen selbststän- nunmehr bereits weitgehenden Angleichung dige Tätigkeit und abhängige Beschäftigung der Rentenwerte geführt, sondern auch parallel verlaufen. Auch die Frage, wie die dazu, dass derzeit in Ostdeutschland bei Einhaltung der Versicherungspflicht geprüft einem gleich hohen Lohn und dementspre- werden kann, wäre dann leichter zu be- chend auch gleicher Beitragszahlung eine 20
VdK-Forum München 13./14. März 2017 um 5,4 Prozent höhere Rentenanwartschaft gung und zur Änderung anderer Gesetze erworben wird als in Westdeutschland. (Betriebsrentenstärkungsgesetz) wird von Ende 2016 betrug der Unterschied sogar der Deutschen Rentenversicherung Bund 8 Prozent. Die Beibehaltung des geltenden durchaus geteilt. Dass der Dotierungsrah- Rechts könnte diesen Zustand eventuell um men für die beitragsfreie Entgeltumwand- Jahrzehnte verlängern. Die Regierungskoali- lung dabei nicht ausgeweitet werden soll, ist tion hat daher Ende 2016 beschlossen, die zu begrüßen. Ausgeweitet werden soll ledig- Rentenangleichung noch in dieser Legisla- lich der Dotierungsrahmen für die steuer- turperiode auf den Weg zu bringen. Begin- freie Entgeltumwandlung. Insofern kommt nend mit dem Jahr 2018 sollen bis zum Jahr es also zunächst nicht zu zusätzlichen ne- 2025 sämtliche rentenrechtlichen Größen gativen Auswirkungen für die gesetzliche und Verfahren aneinander angeglichen wer- Rentenversicherung. Zu berücksichtigen den. Angeglichen werden sollen also nicht ist allerdings, dass jede weitere Verbreitung nur der aktuelle Rentenwert, sondern auch der beitragsfreien Entgeltumwandlung Aus- die Beitragsbemessungsgrenze, die Bezugs- wirkungen auf die gesetzliche Rentenversi- größe und der Umrechnungsfaktor für die cherung hat. Wenn Entgelte umgewandelt Arbeitsentgelte in Ostdeutschland, also der werden, sinkt nicht nur die individuelle sogenannte Hochwertungsfaktor. Aus Sicht Anwartschaft desjenigen, der sein Entgelt der gesetzlichen Rentenversicherung ist das umwandelt, sondern auch das beitrags- ein gangbarer Weg. Wichtig ist dabei aber, pflichtige Durchschnittsentgelt in der Ren- dass die gegenüber dem geltenden Recht tenversicherung. Das wiederum hat negati- höheren Mehrausgaben aus Steuermitteln ve Auswirkungen auf die Rentenanpassung. finanziert werden. Diese Mehrausgaben In dem Maße, wie die Entgeltumwandlung entstehen dadurch, dass die Angleichung insgesamt mehr in Anspruch genommen der Rentenwerte schneller voranschrei- wird, vergrößern sich demgemäß auch die tet als die Angleichung der Löhne. Die negativen Effekte auf die Rentenanpassung Mehrausgaben gegenüber dem geltenden selbst ohne Ausweitung des Dotierungsrah- Recht steigen laut der Gesetzesbegrün- mens. Betroffen von der größeren Verbrei- dung bis 2024 auf 3,9 Milliarden Euro pro tung sind damit auch diejenigen Rentner, die Jahr. Der Bundeszuschuss soll gemäß dem selbst keine Entgeltumwandlung betrieben Gesetzentwurf in den Jahren 2022 bis 2025 haben. schrittweise bis auf 2 Milliarden Euro erhöht werden. Bei Beschäftigten mit unterdurchschnittli- chen Entgelten soll die weitere Verbreitung Betriebsrentenstärkungsgesetz auch dadurch gefördert werden, dass künf- Die aktuellen Reformbestrebungen in der tig – im Falle der späteren Bedürftigkeit – Alterssicherung beziehen sich neben der nicht mehr das gesamte Einkommen aus zu- gesetzlichen RV auch auf eine weitere Ver- sätzlicher Vorsorge auf die Grundsicherung breitung der betrieblichen Altersversorgung. angerechnet werden soll. Solche Freibe- Dieses Ziel des gegenwärtig im Gesetz- träge dürften geeignet sein, die zusätzliche gebungsverfahren befindlichen Gesetzes zur Vorsorge für Geringverdiener attraktiver zu Stärkung der betrieblichen Altersversor- machen. Sie gehören auch zu den im Zu- 21
VdK-Forum München 13./14. März 2017 sammenhang mit drohender Altersarmut versicherung Bund ist allerdings kritisch zu diskutierten Modellen zur Belohnung von bewerten, dass die korrekte Rentenhöhe Vorsorge. Aus Sicht der gesetzlichen Ren- im Falle von Hinzuverdienst künftig rückwir- tenversicherung ist allerdings anzumerken, kend einmal im Jahr von der Rentenversi- dass der Gesetzentwurf nur Freibeträge für cherung abgerechnet werden muss. Sofern die zusätzliche Vorsorge vorsieht, nicht da- die Hinzuverdienstgrenze nicht eingehalten gegen für die aus Pflichtbeiträgen finanzierte wurde, muss der Rentenbescheid rückwir- Rente aus der gesetzlichen RV. kend aufgehoben und ein Teil der Rente zurückgefordert oder nachgezahlt werden. 3. Flexirentengesetz Vermieden werden kann das z. B. dadurch, Das Flexirentengesetz gehört zu den Re- dass der Rentenbezieher von vornherein formmaßnahmen in der Alterssicherung, eine bestimmte Teilrente beantragt, sich von die in dieser Legislaturperiode bereits be- der Rentenversicherung die dazu passende schlossen worden sind. Es befindet sich Hinzuverdienstgrenze mitteilen lässt und gerade in der Phase der Umsetzung. Das darauf achtet, dass diese Hinzuverdienst- Flexirentengesetz soll den Übergang vom grenze nicht überschritten wird. In diesem Erwerbsleben in den Ruhestand flexibler als Fall muss nachträglich kein Rentenbescheid bisher gestalten. Zu diesem Zweck wird der aufgehoben werden. Die auf diese Weise mögliche Hinzuverdienst neben einer Voll- bewusst gewählte und beantragte Teilrente rente zwar nicht ausgedehnt, aber anders muss mindestens 10 Prozent der Vollrente berücksichtigt als bisher. An die Stelle von betragen, ansonsten kann die Höhe aber monatlichen Hinzuverdienstgrenzen tritt frei gewählt werden. zukünftig eine Jahreshinzuverdienstgrenze in Höhe von 6300 Euro. Bis zu diesem Betrag Erwerb von Rentenanwartschaften neben der darf künftig jährlich hinzuverdient werden, Altersvollrente ohne dass die Vollrente beeinträchtigt wird. Mit dem Flexirentengesetz wurden nicht nur Oberhalb der Hinzuverdienstgrenze von die Hinzuverdienstgrenzen und das Recht 6300 Euro wird der Hinzuverdienst zu 40 der Teilrenten neu geregelt. Reformiert wur- Prozent auf die Rente angerechnet. Dabei den auch die Möglichkeiten, im Alter neben erfolgt eine gleitende Anrechnung, sodass dem Rentenbezug weitere Rentenanwart- es – anders als bisher – nicht mehr zu den schaften zu erwerben. Diese wirken sich sogenannten „Stufenabstürzen“ kommen positiv auf die Höhe des Rentenbetrags aus. kann. Solche Stufenabstürze haben in der Vor Erreichen der Regelaltersgrenze führt Vergangenheit dazu geführt, dass bei ei- der Bezug einer Vollrente – anders als bis- nem Überschreiten der Hinzuverdienst- her – nicht mehr zur Versicherungsfreiheit grenze um wenige Cent der Rentenbetrag in der gesetzlichen Rentenversicherung. auf zwei Drittel, die Hälfte oder ein Drittel Auch geringfügig Beschäftigte oder Perso- des Vollrentenbetrages gekürzt wurde. Die nen mit einem Arbeitsentgelt oberhalb von Teilrente, die durch ein Überschreiten der 450 Euro sind damit versicherungspflichtig Hinzuverdienstgrenze entsteht, kann künftig und erwerben Rentenanwartschaften. Auch einen beliebigen Anteil der Vollrente aus- durch die Pflege eines Angehörigen ist es machen. Aus Sicht der Deutschen Renten- möglich, neben dem Bezug einer vorzeitigen 22
VdK-Forum München 13./14. März 2017 Vollrente Rentenanwartschaften zu erwer- zu diskutieren. Die gute Finanzlage hat es ben, die die Rente dann ab Vollendung der in dieser Legislaturperiode erleichtert, Leis- Regelaltersgrenze erhöhen. tungsausweitungen in der gesetzlichen RV zu beschließen, in deren Rahmen die Ren- Rentenanwartschaften nach Erreichen der Re- tenversicherung aber immer wieder auf gelaltersgrenze die korrekte Finanzierung hinweisen muss. Nach Erreichen der Regelaltersgrenze Leistungen wie die Mütterrente oder die führt der Bezug einer Vollrente auch künf- gegenüber der Lohnangleichung vorgezo- tig grundsätzlich zur Versicherungsfreiheit. gene Rentenangleichung Ost müssen aus Beschäftigten ist es allerdings möglich, durch Steuermitteln finanziert werden. Verzicht auf die Versicherungsfreiheit in der Beschäftigung weitere Rentenanwart- Der Gesetzgeber hat den weiteren Reform- schaften zu erwerben, die sich dann jeweils bedarf im Drei-Säulen-System der Alterssi- ab dem folgenden 1. Juli rentenerhöhend cherung erkannt.Vielleicht könnte eine breit auswirken. Der Verzicht auf die Versiche- angelegte Reformdiskussion – über einen rungsfreiheit in der Beschäftigung hat dann Dialogprozess oder auch eine Experten- natürlich zur Folge, dass auch der Arbeitneh- kommission – in der kommenden Legisla- merbeitrag zur Rentenversicherung gezahlt turperiode zur Entwicklung eines konsens- werden muss. Der Erwerb von Rentenan- fähigen Ansatzes zur Weiterentwicklung der wartschaften außerhalb einer Beschäftigung Alterssicherung bis 2045 beitragen. – z. B. durch die Pflege von Angehörigen – ist neben dem Bezug einer Vollrente nicht möglich. Rentenanwartschaften werden in solchen Fällen also nur erworben, wenn auf einen Teil der Rente verzichtet wird. Anders als bisher muss dafür aber nicht mehr auf ein Drittel der Rente verzichtet werden. Aufgrund des neuen Teilrentenrechts reicht auch schon der Verzicht auf einen kleinen Teil der Rente. 4. Fazit Wir sehen in der gesetzlichen Renten- versicherung seit einigen Jahren eine sehr gute Finanzentwicklung, die auch durch die Finanzkrise nicht nachhaltig beeinträchtigt werden konnte. Die demografisch beding- te künftige Entwicklung der Finanzen macht es aber weiter erforderlich, über die künf- tige Verteilung von Leistungen und Lasten – die Entwicklung von Beitragssatz und Rentenniveau also – nachzudenken und 23
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