VDK-FORUM KLEINE RENTE - GROßE PROBLEME IST DIE RENTENVERSICHERUNG FÜR DIE ZUKUNFT GERÜSTET?

 
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VdK-Forum
Kleine Rente – große Probleme
   Ist die Rentenversicherung
     für die Zukunft gerüstet?

VdK-Forum
München
13./14. März 2017
VdK-Forum München 13./14. März 2017

VdK-Forum

Inhalt

Michael Pausder
Begrüßung                                                             S. 5 – 8

Ulrike Mascher
Notwendige Rentenreformen aus Sicht des Sozialverbands VdK           S. 9 – 16

Wolfgang Buhl
Die aktuellen Rentenpläne in der Bewertung der DRV Bund             S. 17 – 23

Dr. Johannes Steffen
Zum Diskurs um das Niveau der Renten und das Rentenniveau           S. 24 – 37

Dr. Verena Di Pasquale
Zur Diskussion um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit            S. 38 – 46

Prof. Dr. Ernst Kistler
Altersarmut und Maßnahmen zur besseren Alterssicherung              S. 47 – 55

Sascha Straub
Von der Betriebsrente bis zur privaten Vorsorge –
Die Notwendigkeit einer einfachen und effektiven Altersvorsorge     S. 56 – 59

Eva Welskop-Deffaa
Die Rente 4.0 –
Das Konzept der dynamischen Rente für die Arbeitswelt der Zukunft   S. 60 – 70

                                                                           3
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Die Expertenrunden des sozialpolitischen Forums des Sozialverbands VdK Bayern.
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Michael Pausder
Landesgeschäftsführer des
Sozialverbands VdK Bayern e.V.
München

Begrüßung

Sehr herzlich möchte ich Sie zu unserem
diesjährigen VdK-Forum in München be-
grüßen. Auch dieses Mal haben wir wieder
ein hochaktuelles und möglicherweise die
Bundestagswahl entscheidendes Thema für
unser Forum gewählt: „Kleine Rente – gro-
ße Probleme. Ist die Rentenversicherung für
die Zukunft gerüstet?“                          Beiträge zu tun. Deshalb brauchen wir
Wie sehr das Thema die Menschen um-             mehr Elemente des sozialen Ausgleichs
treibt, hat letzten Mittwochabend das Bür-      in der Rentenversicherung, wie zum Bei-
gerforum der Münchner Tageszeitung „tz“         spiel die Wiederbelebung der „Rente nach
zum Thema Rente gezeigt. Trotz nasskalten       Mindesteinkommen“. Dies darf aber nicht
Wetters und zeitgleicher Fernsehübertra-        alleine zulasten der Beitragszahler gehen,
gung des Derbleckens auf dem Nockher-           sondern muss von allen Steuerzahlern, also
berg lockte das Thema viele Menschen ins        auch von Selbstständigen und Beamten mit-
Pressehaus in die Bayerstraße.                  finanziert werden.
Hauptaufreger bei den Fragestellern war,
dass es zu viele Menschen gibt, die von         Wenn dann zusätzlich noch das viele Jahr-
einer Mini-Rente leben müssen – und das         zehnte vorherrschende Normalarbeits-
in einem reichen Land wie Deutschland,          verhältnis Bruchstellen bekommt, also die
in einem noch reicheren Bundesland wie          Erwerbsbiografien brüchig werden, dann
Bayern und sogar auch in der „Schicki-          beschleunigt sich der Sinkflug der Renten.
micki-Stadt“ München.                           Prekäre Beschäftigung, Leiharbeit und Zeit-
                                                arbeit – all das ist Gift für die Altersversor-
Und hier handelt es sich keineswegs nur um      gung.
eine gefühlte Ungerechtigkeit. Alle paar Jah-
re stellt die OECD fest, dass Deutschland       Wenn jetzt die Absenkung des Renten-
bei den Renten von Niedrigverdienern EU-        niveaus nicht gestoppt wird, und Beitrags-
weit das Schlusslicht bildet.                   erhöhungen insbesondere von den Arbeit-
Das hat etwas mit der strengen Bindung          gebern weiter mit dem alten neoliberalen
der Rentenleistungen an die eingezahlten        Argument abgelehnt werden, dass dies
                                                                                            5
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unsere Wirtschaft erlahmen lassen würde,       ein zunehmend wachsendes Problem dar.
dann sind die Zukunftsängste der jetzigen      Dies alles ist Anlass für den Sozialverband
und künftigen Rentner berechtigt.              VdK, die Rente und die Zukunft der Rente
                                               wieder ganz oben auf die Tagesordnung zu
Immer mehr Menschen droht die Alters-          setzen.
armut, auch denjenigen, die ein Leben lang     Wir haben in der vergangenen Legislatur-
gearbeitet haben. Sie erhalten oftmals schon   periode bereits einige bedeutende Erfolge
jetzt eine Rente unterhalb des Grundsiche-     in Sachen Alterssicherung zu verzeichnen
rungsniveaus.                                  gehabt:
                                               Das zweite Mütterrentenjahr für ältere
Eine Ende 2016 veröffentlichte Datenüber-      Mütter, die Erhöhung der Zurechnungszeit
sicht des Statistischen Bundesamtes zeigt:     bei den Erwerbsminderungsrenten und
Jeder zweite Beschäftigte in Deutschland       auch die Rente ab 63.
muss im Alter mit einer gesetzlichen Rente
unterhalb des Grundsicherungsniveaus in        Nicht zu vergessen: der Start eines ver-
Höhe von rund 790 Euro rechnen. Ohne           pflichtenden Mindestlohns. Denn den besten
weitere Zusatzeinkünfte im Alter sieht es      Schutz vor Altersarmut bietet eine durch-
dann mager aus für den Durchschnitts-          gängige Erwerbsbiografie, mit einem Ein-
bürger.                                        kommen, das den Aufbau lebensstandard-
                                               sichernder Rentenanwartschaften zulässt.
Wie dramatisch sich das sinkende Renten-       Natürlich muss bei der Höhe des Mindest-
niveau, aber auch der Ausbau des Nied-         lohns noch deutlich nachgebessert werden.
riglohnsektors schon jetzt auf die Ren-
tenzahlbeträge ausgewirkt hat, zeigt eine      Der VdK wird in den kommenden Monaten
Berechnung des Koblenzer Professors für        nicht locker lassen, um der zunehmenden
Statistik und empirische Sozialforschung,      Altersarmut den Kampf anzusagen. Auch im
Gerd Bosbach.                                  Bundestagswahljahr 2017 rufen wir unsere
Demnach erhielten Neurentner mit langen        Mitglieder wie 2013 und 2009 wieder zu
Versicherungszeiten im Jahr 2015 schon 17      einer großangelegten und bundesweiten
Prozent weniger Rente als Neurentner im        Aktion auf.
Jahr 2000.                                     „Soziale Spaltung stoppen!“ lautet unser
Um die Kaufkraft der Altersbezüge im Jahr      Motto, mit dem wir ein Signal für einen
2000 zu erhalten, hätten Neurentner im         Kurswechsel in der Sozial- und Renten-
Jahr 2015 über 50 Prozent mehr Rente er-       politik setzen wollen.
halten müssen. Auch Bestandsrentner hät-       Wir werden im Juli in jedem der sieben bay-
ten rund 21 Prozent mehr Rente bekom-          erischen Regierungsbezirke Großveranstal-
men müssen, um die Preissteigerungen in        tungen und Kundgebungen abhalten. Wir
diesem Zeitraum auszugleichen.                 erwarten großen Zulauf.
                                               Beim tz-Forum letzten Mittwoch stellten
Allein diese Auflistung verdeutlicht, wie      zwei Rentner die Frage: „Wann kommt die
komplex das Thema ist. Es wird aber auch       Rentner-Revolution?“ Und eine zierliche äl-
deutlich: Niedrige Altersrenten stellen        tere Dame bat mich nach der Veranstaltung
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höflich, doch jetzt endlich große Demons-       die wachsende Ungleichheit stoppende So-
trationen für eine gerechte Rente zu orga-      zial- und Steuerpolitik wesentlich ist für eine
nisieren.                                       gute Zukunft unseres Landes. CDU/CSU,
Dass sie uns fragte, ist nicht völlig aus der   SPD, Grüne und Linke sollten hier an einem
Luft gegriffen.                                 Strang ziehen, so wie im Singspiel auf dem
Denn wir haben in der Tat im Jahr 2004 in       Nockherberg letzten Mittwoch. Es ist Zeit
München mit 30.000 Teilnehmern die größ-        für einen neuen Gesellschaftsvertrag gegen
te Rentnerdemonstration in der Geschichte       die wachsende Ungleichheit im Lande, wie
der Bundesrepublik organisiert, also wir wis-   ihn der SZ-Journalist Alexander Hagelüken
sen, wie es geht ...                            in seinem kürzlich erschienenen Buch „Das
Damals griffen erstmals so richtig die Kür-     gespaltene Land“ fordert.
zungsfaktoren in der Rentenanpassungsfor-
mel, was zu drei Nullrunden in Folge führte.    „Die Rente muss zum Leben reichen“ lautet
Man kann gerade heuer im Jahr 2017, in          dabei der zum heutigen Forum passende
dem sich die Einführung der „Dynamischen        Leitsatz des VdK im Vorfeld der Bundestags-
Rente“ zum 60. Mal jährt, nicht oft genug       wahl 2017.
daran erinnern, dass gerade die Einführung      Unser Ziel ist es, in den kommenden Mo-
der Kürzungsfaktoren, wie Riesterfaktor,        naten die Weichen für ein gerechteres Ren-
Nachhaltigkeitsfaktor und Nachholfaktor,        tensystem, das allen nützt, zu stellen.
das Rentenniveau immer weiter nach unten        Dabei werden wir die wachsende Un-
gedrückt haben.                                 gleichheit im Lande anprangern, die weiter
                                                wachsende Kluft zwischen Arm und Reich,
Statt Großdemonstrationen zünden wir            auf die wir bereits vor einigen Jahren mit
jetzt aber zunächst die erste Stufe, die da     viel beachteten Plakatmotiven aufmerksam
lautet: Veranstaltungen in großen Hallen, in    gemacht hatten.
denen die Bundestagskandidaten mit unse-        Hier müssen wir gegensteuern, um Poli-
ren Forderungen konfrontiert werden und         tik- und Staatsverdrossenheit nicht weiter
vor Ort dazu Stellung nehmen können und         wachsen zu lassen und um Rechtspopulis-
sollen.                                         ten den Nährboden zu entziehen.
Neben Gesundheit, Pflege und Behinde-           Eine schrumpfende Mittelschicht und eine
rung sind die Bereiche Rente und Armut          abgehängte Unterschicht schaden unserer
unsere zentralen Themen. Wir werden den         Demokratie, aber auch unserer Wirtschaft.
Druck auf die politischen Entscheidungsträ-     Lassen Sie uns gemeinsam eine Wende her-
ger erhöhen.                                    beiführen. Ein starker und wachsender VdK
                                                kann wesentlich dazu beitragen. Die Bay-
Als parteipolitisch unabhängiger Sozialver-     ernSPD hat verkündet, dass seit der Nomi-
band geben wir keine Wahlempfehlung.            nierung von Martin Schulz Ende Januar als
Aber wir garantieren unseren Mitgliedern        Kanzlerkandidat 1.200 neue Parteimitglie-
und allen, die es im Laufe des Jahres noch      der in Bayern zu verzeichnen seien. Dieses
werden, dass wir vor der Wahl und nach der      Erfolgserlebnis sei der in der Vergangenheit
Wahl den potenziellen Regierungsparteien        arg unter Mitgliederrückgang leidenden
unmissverständlich klarmachen, dass eine        SPD vergönnt. Nur mit der Wachstums-
                                                                                            7
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dynamik des VdK Bayern kann immer noch
keine politische Partei mithalten: Wir haben
seit Ende Januar ca. 5.600 Neuaufnahmen
gezählt.
Es ist auf jeden Fall ein gutes Zeichen, dass
immer mehr Menschen – Junge und Alte –
sich wieder mehr für unsere Demokratie
und unseren sozialen Rechtsstaat in Partei-
en, Gewerkschaften und Sozialverbänden
engagieren. Das macht Mut für die Zukunft.

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UIrike Mascher
Präsidentin des Sozialverbands
VdK Deutschland e.V.
Landesvorsitzende des
Sozialverbands VdK Bayern e.V.
München

Notwendige Rentenrefor-
men aus Sicht des Sozial-
verbands VdK
Die Sorge, im Alter nicht genügend Geld zu
haben, beschäftigt die gesamte Gesellschaft.
Lassen Sie mich dazu nur einige Meinungs-
umfragen der vergangenen Monate zitieren.       aktueller materieller Zufriedenheit eher
                                                pessimistisch in die Zukunft. Viele sehen ih-
So hat im April 2016 eine Umfrage von In-       ren Lebensstandard im Alter in Gefahr. 60
fratest dimap für das ARD-Morgenmagazin         Prozent fürchten inzwischen, im Alter Ab-
ergeben, dass sich die Mehrheit der Deut-       striche machen zu müssen.
schen, die noch keine Rente oder Pension
beziehen, nämlich 57 Prozent, für die eigene    Nach einer Forsa-Umfrage vom November
Rentenzeit nicht ausreichend abgesichert        2016 befürchten viele Deutsche, im Alter
fühlen. Und je jünger, desto größer ist die     nicht mehr mit dem Geld auszukommen.
Angst. Bei den 18- bis 34-Jährigen sehen        Drei Viertel (75 Prozent) der Befragten
sich 62 Prozent nicht ausreichend abgesi-       sagten dabei, dass ihnen Altersarmut große
chert, bei den 50- bis 64-Jährigen ist es im-   oder sehr große Sorgen bereite. Fast genau-
mer noch jeder Zweite (51 Prozent).             so groß war die Angst vor sozialer Ungleich-
Besonders bei den Geringverdienern mit          heit (72 Prozent).
einem monatlichen Haushalts-Nettoein-
kommen unter 1.500 Euro ist die Angst           Und jetzt erst, im Februar 2017, wurden
laut dieser Umfrage ausgeprägt: Eine große      Zahlen einer Umfrage des Meinungsfor-
Mehrheit von 80 Prozent sorgt sich um die       schungsinstituts Yougov veröffentlicht, nach
eigene finanzielle Absicherung im Alter.        der sich fast jeder Zweite in Deutschland
                                                davor fürchtet, nach dem Ausscheiden aus
Weitere Umfrage vom September 2016:             dem Arbeitsleben arm zu werden. Selbst
Laut einer Analyse des Meinungsforschungs-      unter den Erwerbstätigen fürchtet sich jeder
instituts Allensbach blickt die Mehrheit der    Dritte, im Alter nicht genug Geld zu haben.
Deutschen zwischen 30 und 59 Jahren trotz
                                                                                          9
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Angst vor Altersarmut                              gung mit einer generationengerechten Fi-
Dass die Angst vor Altersarmut in Deutsch-         nanzierung verbunden sein muss.
land deutlich größer ist als in anderen Län-
dern mit einem ähnlich hohen Lebensstan-           RV-Beitragssatzsicherung im Vorder-
dard wie zum Beispiel Großbritannien oder          grund
Kanada, könnte man nun gerne mit der so-           Das Ziel, einen niedrigen Beitragssatz (unter
genannten „German Angst“ abtun.                    20 Prozent) zu sichern, tritt allerdings heute
Und so wird auch immer wieder darauf               immer stärker an diese Stelle und dominiert
verwiesen, dass Deutschland kein Alters-           die Rentendebatte.
armutsproblem hätte, da nur drei Prozent der       Aktuell liegt der Rentenversicherungsbei-
Rentnerinnen und Rentner in Deutschland            tragssatz bei 18,7 Prozent und damit auf
Grundsicherung im Alter beziehen würden.           einem so niedrigen Niveau, wie wir es zu-
Immerhin waren das 2015 jedoch schon               letzt 1995 (mit 18,6 Prozent), d.h. vor mehr
536.121 Empfängerinnen und Empfänger.              als 20 Jahren, hatten. Vom Höchststand der
                                                   späten 90er-Jahre (1997–1999) mit 20,3
Stellt man des Weiteren der bundeswei-             Prozent sind wir weit entfernt.
ten Armutsgefährdungsschwelle von ak-
tuell 942 Euro die aktuellen Rentenzahl-           Und doch wird gerade von Arbeitgebersei-
beträge gegenüber, mit dem Ergebnis, dass          te so getan, als ob der Wirtschaftsstandort
insgesamt 39,1 Prozent aller Rentner und           Deutschland mit jedem Zehntel Rentenbei-
deutliche 81,1 Prozent der Rentnerinnen in         tragssatz mehr vor der Zerreißprobe ste-
den alten Bundesländern sowie 31,2 Pro-            hen würde.
zent der Rentner und 64,3 Prozent der              Dabei stehen wir wirtschaftlich gut da. Sel-
Rentnerinnen in den neuen Bundesländern            ten haben Unternehmen so viel verdient,
Renten unterhalb von 900 Euro und damit            nie haben sie bisher so viele Waren ins
unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle            Ausland verkaufen können. Deutschland
erhalten, wird auf weitere Einkünfte und das       vermeldet Rekordbeschäftigung, und zwar
Gesamthaushaltseinkommen als richtigerer,          nicht nur bei Billigjobs, sondern bei regulä-
anzulegender Einkommensmaßstab hinge-              rer, sozialversicherungspflichtiger Arbeit.
wiesen.                                            Zum dritten Mal in Folge hat der Staat 2016
                                                   auf allen Ebenen – Bund, Länder, Kommu-
Beide Positionen sind sicher nicht von der         nen und Sozialversicherung – mehr einge-
Hand zu weisen. Dennoch liegt die Wahr-            nommen als ausgegeben: fast 24 Milliarden
heit, wie so oft, in der Mitte. Die Alterssiche-   Euro, der höchste Überschuss seit der Wie-
rung über die gesetzliche Rentenversiche-          dervereinigung.
rung entfernt sich immer weiter von ihrem
ursprünglichen Ziel, den Lebensstandard im         Aus Sicht des VdK ist daher der Zeitpunkt
Alter zu sichern. Bisher gab es einen Kon-         günstig, sich noch einmal über die Verteilung
sens darüber, dass das Vertrauen auf ein si-       der Mittel in Deutschland und die Stabili-
cheres Alterseinkommen der Kern unseres            sierung unseres Altersvorsorgesystems Ge-
solidarisch aufgebauten Sozialstaats ist und       danken zu machen.
die lebensstandardsichernde Altersversor-          Lassen Sie mich gleich voranstellen: Falsch
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wäre es, nach dem Gießkannensystem vor-          wenn man nach der Einkommenshöhe der
zugehen.                                         Beschäftigten differenziert. Gerade unter
Wir müssen gezielt die Schwachstellen an-        den Beziehern niedrigerer Einkommen ist
schauen und beseitigen.                          die zusätzliche Altersvorsorge eher wenig
                                                 verbreitet.
Stärkung der ersten Säule erforder-
lich                                             Stabilisierung und maßvolle Erhö-
Unabdingbar für den VdK ist, dass Armuts-        hung des Rentenniveaus
festigkeit in der ersten Säule unserer Alters-   Als wichtigste Maßnahme zur Stärkung des
vorsorge, d.h. in der gesetzlichen Renten-       gesetzlichen Rentensystems brauchen wir
versicherung, erreicht wird. Die Versuche in     eine Stabilisierung und maßvolle Erhöhung
der Vergangenheit, die finanzielle Vorsorge      des Rentenniveaus: Denn die gesetzlich vor-
für das Alter durch die weiteren Säulen          gesehene Senkung des Rentenniveaus, das
der betrieblichen und privaten Altersvor-        aktuell bei rund 48 Prozent liegt, schiebt
sorge abzusichern, haben gezeigt, dass der       immer mehr Geringverdiener und auch
Leistungsabbau in der gesetzlichen Renten-       ganz normale Arbeitnehmer in Richtung
versicherung nicht durch die anderen (frei-      Grundsicherung. Sie macht auch alle bisher
willigen) Säulen aufgefangen werden kann.        erreichten Verbesserungen, z.B. bei der Er-
Immer mehr Menschen rutschen deswegen            werbsminderungsrente oder der Mütter-
in die bedrohliche Nähe der Grundsiche-          rente nach einigen Jahren wieder zunichte.
rung.
                                                 Als Argumente für diese angeblich unver-
Für den VdK sind betriebliche und priva-         zichtbare Absenkung des Rentenniveaus
te Altersvorsorge zweifellos wichtig, doch       werden längere Rentenbezugszeiten we-
nicht als Kompensation, sondern als Ergän-       gen der heute höheren Lebenserwartung
zung zur gesetzlichen Rente.                     und weniger Rentenbeitragszahler aufgrund
Wir müssen uns dabei auch die Ergebnisse         weniger Geburten genannt. Und auch der
des jüngsten Alterssicherungsberichts ver-       Wegfall von vielen Arbeitsplätzen durch die
gegenwärtigen: Die gesetzlichen Renten-          Digitalisierung wird dabei ins Spiel gebracht.
versicherungsleistungen – bezogen auf alle
65-Jährigen und Älteren – machen heute           Als potenzielle Stellschrauben in der Ren-
stolze 63 Prozent der Bruttoeinnahmen            tenniveaudiskussion fungieren deshalb die
zum Leben im Alter aus, betriebliche Al-         vor allem von gut situierten Professoren
tersversorgung und private Vorsorge nur          und Wissenschaftlern gern angeführte Er-
jeweils 8 Prozent und weiteres Einkommen         höhung der Lebensarbeitszeit durch eine
nur 7 Prozent.                                   weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters
Zwar haben 70,4 Prozent der sozialversi-         auf 70 und mehr Jahre und die von der
cherungspflichtig Beschäftigten heute eine       Wirtschaft vehement abgelehnte Erhöhung
zusätzliche betriebliche oder private Alters-    des Rentenbeitragssatzes.
vorsorge. Die Verbreitungsquoten und spä-        Kurz gesagt: Rentenalter oder Beitragssatz!?
teren Leistungshöhen unterscheiden sich          Die Wahl also zwischen Pest oder Cholera!
im Detail aber sehr deutlich, insbesondere       Nebenbei bemerkt: Es ist schon erstaunlich,
                                                                                           11
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dass in unserem Land gleichzeitig eine Erhö-   der Menschen mit einer Erwerbsminderung.
hung des Rentenalters auf über 70 und eine
Beschränkung des Führerscheins für Ältere      Wir haben uns bereits im Frühjahr 2014
auf Mitte 70 diskutiert werden.                bei unserem VdK-Forum mit den Menschen
                                               beschäftigt, die im Erwerbsleben krank wer-
Erweiterung der Finanzierungsbasis             den und nicht mehr arbeiten können. Da-
notwendig                                      mals waren wir uns alle einig, dass für diese
Doch für den VdK sind damit die Stellschrau-   Menschen mehr getan werden muss: ange-
ben keineswegs erschöpfend aufgezählt.         fangen von zielgerichteter und umfassender
Wir müssen uns stärker mit der gerechten       medizinischer und möglicherweise berufli-
Verteilung des Jahr um Jahr erwirtschaf-       cher Rehabilitation, um eine dauerhafte Er-
teten Reichtums und einer sachgerechten        werbsminderung zu vermeiden, bis hin zur
Finanzierung von familienpolitischen Leis-     deutlichen Erhöhung der Rentenleistungen.
tungen wie der Mütterrente oder gesamt-
gesellschaftlichen Aufgaben der Ost-West-      Untersuchungen zeigen, dass sich bei drei
Angleichung der aktuellen Rentenwerte          Viertel der Personen in Haushalten von
beschäftigen: Wieso sollte man die Alters-     Erwerbsminderungsrentnern die finanzielle
vorsorge nur von den sozialversicherungs-      Situation infolge der EM-Berentung ver-
pflichtigen Alterseinkommen finanzieren        schlechtert hat. Von allen Personen, die in
lassen? Was ist mit einer stärkeren Besteue-   den Haushalten von Erwerbsminderungs-
rung des Kapitals und damit einer stärkeren    rentnern leben, sind sogar rund 40 Prozent
Beteiligung der Unternehmensgewinne?           armutsgefährdet.

Auch insgesamt sollten die Bürger nach ihrer   Zwar wurden mit dem Rentenpaket 2014
Leistungsfähigkeit in Anspruch genommen        und der Erhöhung der Zurechnungszeiten
werden. Das Beispiel Schweiz zeigt, dass es    auf das 62. Lebensjahr bereits erste wich-
auch ohne Beitragsbemessungsgrenze geht        tige Maßnahmen ergriffen, diese Menschen
und daher gerade Gutverdiener mehr als         besser im Hinblick auf das nicht selbst ge-
andere zum Alterseinkommen beitragen           wählte Schicksal einer Erwerbsminderung
sollten und können. Der Schweizer Einkom-      abzusichern.
mensmillionär zahlt von seinem gesamten
Einkommen einen Beitrag und erhält eine        Gleichwohl kann bisher noch keinesfalls von
Höchstrente von 2.350 Franken pro Monat        bekämpfter Armut gesprochen werden. Die
in der Alters- und Hinterlassenenversiche-     durchschnittlichen Rentenzahlbeträge neu-
rung (AHV).                                    er Erwerbsminderungsrenten lagen 2015
                                               bei den Männern in den alten Bundeslän-
Erwerbsminderungsrentner besser                dern bei 702 Euro, bei Frauen bei 640 Euro.
absichern                                      In den neuen Bundesländern erhielten Män-
Neben der Frage des Rentenniveaus müs-         ner 643 Euro, Frauen 717 Euro.
sen wir uns außerdem mit bestimmten Per-
sonengruppen besonders beschäftigen. An        Auch wenn hier jetzt aktuell mit dem soge-
erster Stelle zu nennen ist hier die Gruppe    nannten Erwerbsminderungs-Leistungsver-
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VdK-Forum München 13./14. März 2017

besserungsgesetz noch mal nachgebessert        Auch Bestandsrentner beteiligen
werden soll, halten wir die aktuell geplante   Betonen möchte ich, dass es dem VdK äu-
Regelung für unzureichend. Denn die Zu-        ßerst wichtig ist, dass auch die Bestands-
rechnungszeiten für Erwerbsminderungs-         rentner an den Verbesserungen teilhaben
renten sollen erst ab 2018 und dann nur        können. Daher fordert der VdK: Auch die
schrittweise bis 2024 weiter angehoben         1,7 Millionen Bestandsrentnerinnen und
werden.                                        Bestandsrentner müssen an den Besserun-
                                               gen beteiligt werden. Nur dann kann sich
Damit die Menschen, die heute eine Er-         der Gesetzgeber wirklich auf die Fahnen
werbsminderung erfahren, überhaupt pro-        schreiben, etwas gegen die Armutsgefähr-
fitieren können, muss die weitere Erhöhung     dung dieses Personenkreises unternommen
der Zurechnungszeit auch heute und wie         zu haben.
im Jahr 2014 in einem Schritt erfolgen. Da-
neben sollte sich die Koalition nun endlich    Geringverdiener stärken, Mindest-
durchringen, auf die systemwidrigen Ab-        lohn erhöhen
schläge von bis zu 10,8 Prozent zu verzich-    Als weitere Personengruppe, die besonde-
ten. Mehr als 34 Abschlagsmonate mussten       rer Unterstützung bedarf, ist aus Sicht des
sich die Neurentner 2015 durchschnittlich      VdK die Gruppe der Geringverdiener zu
anrechnen lassen, obwohl der Gang in die       nennen.
Erwerbsminderungsrente keine freiwillige       Nach Angaben der Bundesregierung be-
Entscheidung ist.                              trug 2014 die Niedriglohnschwelle 10 Euro
                                               Bruttostundenlohn – damit sogar noch um
Lassen Sie mich auch etwas zum Argument        einiges höher als der aktuelle Mindestlohn
der Gegner der Abschaffung der Abschlä-        von 8,84 Euro. 18,4 Prozent der Beschäftig-
ge sagen. Diese meinen, dass die Abschläge     ten in den alten Bundesländern, d. h. knapp
bleiben müssten, da sonst massenhafte Aus-     ein Fünftel, und 34,6 Prozent der Beschäf-
weichreaktionen der Versicherten weg von       tigten in den neuen Bundesländern, d.h. ein
anderen Rentenarten, z.B. der Altersrente,     Drittel aller Beschäftigten, haben 2014 mit
in die Erwerbsminderungsrente folgen wür-      Niedriglohn gearbeitet.
den.                                           Besonders von den Niedriglohnbeschäf-
Aus der Praxis der VdK-Kreisgeschäftsstel-     tigungen betroffen sind Frauen: Sie hatten
len betrachtet, ist diese Argumentation        zu 26,5 Prozent einen Job mit Niedriglohn
absurd. Jeder, der schon einmal selbst ein     (Männer: 15,5 Prozent).
Verfahren – ob als Kläger oder als Bevoll-
mächtigter – geführt hat, weiß, wie hoch die   Damit können natürlich keine ausreichen-
(medizinischen) Hürden sind, die überwun-      den Rentenansprüche erworben werden.
den werden müssen, um eine EM-Rente zu         Eine Auskunft des Bundesarbeitsministe-
bekommen. Je nach persönlichem Gusto           riums zeigt, dass bei einer wöchentlichen
bekommt in diesem Land niemand eine            Arbeitszeit von 38,5 Stunden über 45 Jahre
EM-Rente.                                      sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung
                                               hinweg im Jahr 2016 bereits ein Stunden-
                                               lohn von 11,68 Euro erforderlich gewesen
                                                                                       13
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wäre, um den durchschnittlichen Grundsi-        sollte daher insbesondere die von Arbeitge-
cherungsbedarf von 788 Euro zu erreichen.       bern finanzierte betriebliche Altersversor-
Ich überlasse es Ihrem Rechenvermögen,          gung weiter vorangebracht werden.
auszurechnen, bei welcher Rentenhöhe Per-
sonen landen, die diese 11,68-Euro-Grenze       Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Stär-
nicht erreichen.                                kung der betrieblichen Altersversorgung
                                                will die Koalition hier ab 2018 Verbesserun-
Dringend sind aus Sicht des VdK Maßnah-         gen auf den Weg bringen, u.a. durch eine
men notwendig, die Rentenbeträge für die-       Optimierung der steuerlichen Förderung
sen Personenkreis aufzubessern, u.a. natür-     und eine Haftungsentlastung der Arbeitge-
lich mit einer kontinuierlichen Erhöhung des    ber.
Mindestlohns. Der VdK hat aber darüber
hinaus mehrmals darauf hingewiesen, und         Freibetrag in der Grundsicherung
ich möchte es heute noch einmal tun, dass       für die gesetzliche Rente
wir mit der Rente nach Mindesteinkommen         Bemerkenswert ist, dass nun endlich daran
bzw. nach Mindestentgeltpunkten bereits         gedacht wird, die Bereitschaft zur zusätzli-
ein taugliches und erprobtes Instrument für     chen Altersvorsorge durch Freibeträge bei
diesen Personenkreis hätten, wir müssen es      der Grundsicherung im Alter und bei Er-
nur wieder zur Anwendung bringen.               werbsminderung zu stärken. Vorgesehen ist
Bis 1992 wurde es angewandt und kam vor         aktuell, dass bis zu 202 Euro abgesetzt wer-
allem Frauen in Leichtlohngruppen, die un-      den können, (100 Euro monatlich aus einer
terdurchschnittlich verdient haben, zugute.     zusätzlichen Altersvorsorge (bAV-, private
Für diese Regelung müssen/mussten zwei          Riester- oder Rürup-Renten unabhängig
Voraussetzungen erfüllt sein:                   von einer etwaigen staatlichen Förderung
• Es müssen insgesamt wenigstens 35             sowie Rentenbeträge, die aus Zeiten einer
   Jahre rentenrechtlicher Zeiten vorliegen.    freiwilligen Versicherung in der GRV resul-
   Dazu zählen Beitragszeiten, beitragsfreie    tieren) zuzüglich 30 Prozent des diesen
   Zeiten und Berücksichtigungszeiten.          Betrags übersteigenden Einkommens aus
• Außerdem muss der Durchschnitt des            einer zusätzlichen Altersvorsorge bis zu ei-
   Rentenanspruchs aus vollwertigen             ner Grenze von 50 Prozent der Regelbe-
   Pflichtbeitragszeiten unter 75 Prozent       darfsstufe 1 (2016 wären dies 202 Euro)).
   des Durchschnittseinkommens liegen.
Trifft beides zu, werden die Rentenanwart-      Doch ich frage Sie: Was ist mit einem Frei-
schaften auf diesen Wert aufgestockt.           betrag in der Grundsicherung für die ge-
                                                setzliche Rente? Hier werden die Renten
Wichtig wäre außerdem für diese Men-            aus der gesetzlichen Rentenversicherung
schen, dass es sich für sie auszahlt, zusätz-   krass benachteiligt.
lich fürs Alter vorzusorgen. Wie ich vorhin
bereits ausgeführt habe, ist die zusätzliche    Gleichzeitig wird mit diesem Gesetz zudem
Altersvorsorge generell noch zu wenig ver-      eine neue Gerechtigkeitslücke eröffnet:
breitet und in besonders geringem Maße          Denn betriebliche Riester-Verträge sollen
bei Geringverdienern. Für Geringverdiener       wie die privaten Riester-Verträge in der
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VdK-Forum München 13./14. März 2017

Auszahlungsphase von der Beitragspflicht      Mütterrentenjahr, das für die Jahre 2017
zur Kranken- und Pflegeversicherung befreit   bis 2019 rund 7,2 Mrd. Euro jährlich kosten
werden.                                       würde, Tendenz anschließend sinkend.
                                              Um zu vermeiden, dass immer mehr Frau-
Bewusst nicht berücksichtigt wurden die       en im Alter in die Armutsfalle tappen, muss
Krankenkassenbeiträge bei sonstigen Be-       diese Gerechtigkeitslücke bei den Mütter-
triebsrenten und Direktversicherungen –       renten geschlossen werden. Frauen, die ihre
eine permanente Quelle des Unmuts und         Kinder vor 1992 bekommen haben, müssen
des Unverständnisses vieler Tausender Be-     endlich auch das dritte Erziehungsjahr an-
triebsrentner.                                erkannt bekommen. Ich bin hier sehr froh,
                                              dass der bayerische Ministerpräsident Horst
Vor knapp drei Wochen erst hat die Bun-       Seehofer auf unserer 70-Jahr-Feier im Janu-
desregierung einen diesbezüglichen Ände-      ar noch einmal öffentlich die Unterstützung
rungsantrag des Bundesrats harsch abge-       dieser VdK-Forderung bekundet hat.
lehnt. Vorrangig mit dem Argument (Zitat):    Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Müt-
„Die Verbeitragung von Versorgungsbezü-       terrente bei den betroffenen Frauen auch
gen aus Betriebsrenten ist ein unverzicht-    tatsächlich ankommt. Auch deswegen ist es
barer Bestandteil für eine solidarische und   wichtig, dass es einen Freibetrag für Grund-
nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen     sicherungsbezieher für die gesetzliche Ren-
Krankenversicherung (…). Die derzeitigen      te gibt. Bisher wird die Mütterrente, ebenso
Beitragseinnahmen der gesetzlichen Kran-      wie Rentenanpassungen, nämlich eins zu
kenversicherung aus den Versorgungsbe-        eins mit der Grundsicherung verrechnet.
zügen belaufen sich auf rund 5,3 Milliarden
Euro. Eine Absenkung des Beitragssatzes       Selbstständige gesetzlich absichern
(…) führt zu Mindereinnahmen der gesetz-      Als vorletzten Punkt möchte ich auf einen
lichen Krankenversicherung in Höhe von        Personenkreis zu sprechen kommen, der
jährlich rund 2,5 Milliarden Euro, die über   ebenfalls im Alter finanziell äußerst schlecht
einen deutlichen Anstieg der Zusatzbeiträ-    dasteht. Ich spreche hier von der Gruppe
ge für alle Mitglieder refinanziert werden    der Selbstständigen. Abgesehen von der
müssten.“                                     Gruppe der Freiberufler, die in Versorgungs-
                                              werken, mindestens wie in der gesetzlichen
Wie wäre es denn mit einer Wiedereinfüh-      Rentenversicherung abgesichert ist, haben
rung der vollen paritätischen Beiträge für    viele weitere Selbstständige keine oder
Arbeitgeber?                                  kaum eine Altersversorgung. Die Hälfte
Es geht bei dieser Regelung also keineswegs   der heute auf staatliche Grundsicherung
um irgendwelche Sachgründe oder Syste-        angewiesenen Menschen hat keine Ren-
matiken, sondern rein ums Geld!               tenansprüche – weder aus einer privaten,
                                              noch aus der gesetzlichen Rentenversiche-
Drittes Mütterrentenjahr einführen            rung, noch ein sonstiges Einkommen. So lag
Lassen Sie mich an dieser Stelle auf eine     beispielsweise im Jahr 2015 bei 112.762
weitere Lücke hinweisen, bei der die Finan-   Personen das anzurechnende Einkommen
zierung im Vordergrund steht: Das dritte      bei der Grundsicherung im Alter und bei
                                                                                        15
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Erwerbsminderung bei unter 100 Euro.           Darüber hinaus fordert der Sozialverband
Für diese Personen brauchen wir eine Lö-       VdK einen dauerhaft öffentlich geförderten
sung, möglicherweise nach dem Vorbild der      Arbeitsmarkt. Ein neues Verständnis öffent-
Künstlersozialkasse.                           licher Verantwortung für langzeitarbeitslose
                                               Menschen ist genauso notwendig wie eine
Situation langzeitarbeitsloser                 neue Struktur der arbeitsmarktpolitischen
Menschen verbessern                            Förderung. Langzeitarbeitslose Menschen
Zuletzt ist es mir wichtig, einen Personen-    mit mehreren Vermittlungshemmnissen
kreis wieder in die öffentliche Aufmerksam-    brauchen ein dauerhaftes Gefüge statt
keit zurückzurücken, dessen Altersarmut        befristeter Arbeitsmarktprogramme. Sie
gesetzlich produziert wird: Die Gruppe der     müssen tariflich entlohnt und sozialversi-
Langzeitarbeitslosen.                          cherungspflichtig und arbeitsrechtlich ab-
2010 wurden die Rentenbeiträge für Ar-         gesichert beschäftigt werden. Wir dürfen
beitslosengeld-II-Bezieher im Rahmen des       diese Menschen nicht ausgrenzen, sondern
Kürzungspakets gestrichen, um, nach den        müssen sie wieder in die Mitte unserer Ge-
Worten der Gesetzesbegründung, „die            sellschaft holen.
Anreize zur Aufnahme einer sozialversiche-
rungspflichtigen Beschäftigung zu stärken.“
Damals betrug der monatliche Renten-
anspruch für Langzeitarbeitslose nach der
Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und voran-
gegangenen Kürzungen nur noch 2,09 Euro.

Die Anreize waren offenbar nicht groß ge-
nug: Wir haben einen harten Kern von rund
einer Million Menschen, die sich von Januar
2005 bis Dezember 2014 durchgehend in
der Grundsicherung für Arbeitssuchende
befanden. Bezogen auf den Anfangsbestand
im Januar 2005 verblieben damit gut 16
Prozent der damals 6,2 Millionen Leistungs-
beziehenden zehn Jahre und länger im Leis-
tungsbezug.
Diese Menschen, zu denen vor allem Ältere,
gering oder nicht Qualifizierte und Perso-
nen mit Kinderbetreuungsaufgaben zählen,
müssen deutlich besser unterstützt werden
– auch im Hinblick auf ihre spätere Renten-
situation. Daher sollten die Rentenbeiträge
im Hartz-IV-Bezug noch einmal grundle-
gend überdacht werden.

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VdK-Forum München 13./14. März 2017

Wolfgang Buhl
Deutsche Rentenversicherung Bund
Berlin

Die aktuellen Renten-
pläne in der Bewertung
der DRV Bund

Der folgende Beitrag fasst die Einschät-
zung der Deutschen Rentenversicherung
Bund zu einigen aktuell diskutierten oder
kürzlich umgesetzten Reformvorhaben der
Bundesregierung zusammen. Im ersten
Abschnitt wird als Grundlage zunächst die
aktuelle Finanzsituation dargestellt, da alle   (RV) also mit einem negativen Haushalts-
Reformvorhaben finanzielle Auswirkungen         saldo abgeschlossen hat, lag die Nachhaltig-
haben. Im zweiten Abschnitt wird die aktu-      keitsrücklage zum Jahresende trotzdem je-
elle Reformdiskussion reflektiert, insofern     weils oberhalb der gesetzlich festgesetzten
sie Auswirkungen auf die gesetzliche Ren-       Obergrenze von 1,5 Monatsausgaben. Die
tenversicherung hat. Der dritte Abschnitt       Nachhaltigkeitsrücklage baut sich demnach
befasst sich mit ausgewählten Regelungen        wie erwartet ab – jedoch langsamer als
des Ende letzten Jahres verabschiedeten         zunächst erwartet – und lag zum Jahres-
Gesetzes zur Flexibilisierung des Übergangs     ende jeweils oberhalb der Erwartungen
vom Erwerbsleben in den Ruhestand und           zum Zeitpunkt der Festlegung des Beitrags-
zur Stärkung von Prävention und Rehabili-       satzes für die Jahre 2015 und 2016. Am Jah-
tation im Erwerbsleben (Flexirentengesetz).     resende 2016 hatte sie eine Höhe von 32,4
Ein zusammenfassendes Fazit schließt den        Mrd. Euro bzw. 1,62 Monatsausgaben.
Beitrag ab.
                                                Mittel- und längerfristig stellt sich die Situ-
1. Aktuelle Finanzsituation                     ation nach aktuellen Schätzungen und Mo-
Die aktuelle Reformdebatte findet vor dem       dellrechnungen folgendermaßen dar: Bis
Hintergrund einer relativ guten Finanzsitua-    zum Jahr 2030 werden sich Beitragssatz und
tion in der gesetzlichen Rentenversicherung     Rentenniveau im gesetzlich festgelegten
statt. Obwohl die Ausgaben in den Jahren        Korridor bewegen. Das heißt, der Beitrags-
2015 (rd. 272 Mrd. Euro) und 2016 (rd.          satz wird nach den aktuellen Modellrech-
282,6 Mrd. Euro) über den Einnahmen lagen       nungen bis zum Jahr 2020 nicht über 20
(2015: 270,4 Mrd. Euro; 2016: 280,5 Mrd.        Prozent und bis zum Jahr 2030 nicht über
Euro), die gesetzliche Rentenversicherung       22 Prozent steigen. Das Rentenniveau wird
                                                                                           17
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2020 voraussichtlich den Wert von 47,9          niveau erfordert grundsätzlich auch einen
Prozent und im Jahr 2030 den Wert von           höheren Beitragssatz. Nach einer Faustfor-
44,6 Prozent erreichen und damit oberhalb       mel fordert ein um einen Prozentpunkt hö-
der gesetzlich festgelegten Untergrenze von     heres Rentenniveau einen um einen halben
46 Prozent im Jahr 2020 und 43 Prozent im       Beitragssatzpunkt höheren Beitragssatz. Da
Jahr 2030 bleiben.                              ein Rentenniveau von 46 Prozent nach heu-
                                                tigen Modellrechnungen einen Beitragssatz
Im Rahmen des seitens des Bundesminis-          von über 25 Prozent erfordern würde, sieht
teriums für Arbeit und Soziales initiierten     das Gesamtkonzept der Ministerin – inso-
„Dialog Alterssicherung“ hat das BMAS           fern schlüssig – zur Finanzierung einen De-
vergangenes Jahr erstmals Vorausberech-         mografiezuschuss des Bundes vor.
nungen bis zum Jahr 2045 vorgelegt. Nach
diesen Berechnungen werden Beitragssatz         Auch aus Sicht der Deutschen Rentenver-
und Rentenniveau in den Jahren nach 2030        sicherung Bund erscheint es sinnvoll, auch
die bis zu diesem Zeitpunkt geltenden           künftig gesetzliche Haltelinien vorzusehen,
Grenzwerte über- bzw. unterschreiten. Im        ähnlich wie das bereits heute für die Zeit
Jahr 2045 werden der Beitragssatz danach        bis 2030 der Fall ist. Diese Haltelinien soll-
bei 23,7 Prozent und das Rentenniveau bei       ten sich nicht nur auf das Rentenniveau
41,7 Prozent liegen.                            oder den Beitragssatz beziehen, sondern
                                                beide Werte berücksichtigen. Auf diese
2. Die aktuelle Reformdiskussion                Weise können Haltelinien dazu beitragen,
Im Anschluss an den bereits erwähnten           die Belastungen des demografischen Wan-
Dialog Alterssicherung legte die Bundesmi-      dels gerecht zwischen Beitragszahlern und
nisterin für Arbeit und Soziales im Herbst      Leistungsempfängern zu verteilen. Solche
2016 ein „Gesamtkonzept zur Alterssiche-        Haltelinien für Rentenniveau und Beitrags-
rung“ vor. Im Folgenden gehe ich auf einige     satz würden die Alterssicherung auch lang-
der darin enthaltenen Themen näher ein.         fristig vorhersehbar und für den Einzelnen
Diese Themen spiegeln die aktuelle Diskus-      besser planbar machen. Voraussetzung ist
sion wider und befinden sich zum Teil be-       allerdings, dass die Haltelinien unter realisti-
reits im Gesetzgebungsverfahren.                schen Bedingungen erreichbar sind. Es wür-
                                                de also wenig Sinn machen, ein besonders
Haltelinien für Beitragssatz und Rentenniveau   hohes Rentenniveau bei einem besonders
Aus Sicht der Bundesministerin sollte das       niedrigen Beitragssatz festzulegen.
Rentenniveau bis 2045 nicht unter 46 Pro-
zent sinken. Der Beitragssatz sollte dabei      Altersarmut
nicht über 25 Prozent steigen. Es sollen also   Derzeit beziehen 2,5 Prozent der Bezieher
auch über das Jahr 2030 hinaus gesetzliche      einer Altersrente aus der gesetzlichen RV
Haltelinien für Beitragssatz und Renten-        gleichzeitig Leistungen der Grundsicherung.
niveau gezogen werden.                          Im Verhältnis zu anderen Bevölkerungs-
                                                gruppen ist das eine relativ niedrige Quote.
Beitragssatz und Rentenniveau hängen mit-       Aktuell ist das Problem der Altersarmut in
einander zusammen. Ein höheres Renten-          Deutschland also eher gering, allerdings gibt
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es Befürchtungen, dass sich dies in Zukunft     Anteil der Grundsicherungsbezieher unter
ändern könnte.                                  den Rentnern wegen voller und dauerhaf-
                                                ter Erwerbsminderung ist deutlich höher als
Rund ein Viertel der Grundsicherungsemp-        unter Altersrentnern und beträgt 15 Pro-
fänger beziehen gar keine Rente aus der         zent. Die durchschnittlichen Zahlbeträge im
gesetzlichen RV und rd. 40 Prozent haben        Zugang bei der Erwerbsminderungsrente
eine Rente von weniger als 400 Euro im          sind vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2011 um
Monat. Insofern greift die Forderung nach       mehr als 200 Euro gesunken. Seit dem Jahr
einer Stabilisierung oder Erhöhung des Ren-     2011 sind sie wieder im Anstieg begriffen
tenniveaus, die aktuell von mehreren Seiten     und lagen im Rentenzugang 2015 bei 672
erhoben wird, für diesen Personenkreis zu       Euro. Mit dem Rentenpaket des Jahres 2014
kurz.                                           hat es bereits Verbesserungen beim Recht
                                                der Erwerbsminderungsrenten gegeben:
Zu den im Hinblick auf Armut besonders          Die sogenannte Zurechnungszeit wurde
gefährdeten Bevölkerungsgruppen zählen          um zwei Jahre bis zur Vollendung des 62.
u. a. Selbstständige, Erwerbsgeminderte,        Lebensjahres verlängert und die Regelun-
Langzeitarbeitslose und Niedriglohnbezieher.    gen für ihre Bewertung wurden verbessert.
Aus Sicht der Deutschen Rentenversiche-         Die letzten vier Jahre vor Eintritt des Er-
rung Bund sollten Maßnahmen gegen Alters-       werbsminderungsfalles werden bei der Be-
armut bei diesen Personengruppen zielge-        rechnung des Wertes der Zurechnungszeit
richtet, frühzeitig und präventiv ansetzen.     nun nicht mehr berücksichtigt, wenn das für
                                                den Rentner günstiger ist. Mit dem derzeit
Kompensatorische Maßnahmen, die an ei-          im Gesetzgebungsverfahren befindlichen
ner niedrigen Rentenhöhe ansetzen, wären        Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung
wenig zielgenau, da niedrige gRV-Renten         der Leistungen bei Renten wegen vermin-
nicht unbedingt ein geringes Haushaltsein-      derter Erwerbsfähigkeit und zur Änderung
kommen bedeuten. Maßnahmen inner-               anderer Gesetze (EM-Leistungsverbesse-
halb der gesetzlichen RV würden zudem           rungsgesetz) soll eine weitere schrittweise
die Grenzen zwischen den Prinzipien von         Verlängerung der Zurechnungszeit um drei
Versicherung und Fürsorge verwischen.           Jahre bis zum vollendeten 65. Lebensjahr
Insofern erscheint es folgerichtig, dass die    beschlossen werden. Aus Sicht der Deut-
sogenannte „Solidarrente“ im Gesamtkon-         schen Rentenversicherung Bund wäre das
zept des Bundesministeriums für Arbeit und      eine geeignete Maßnahme, um die EM-Ren-
Soziales außerhalb des Rechts der gesetz-       te armutsfester zu machen.
lichen Rentenversicherung angesiedelt ist.
Der Vorschlag der Solidarrente ist allerdings   Alterssicherung von Selbstständigen
noch nicht so weit ausformuliert, dass eine     Die Absicherung Selbstständiger ist eben-
abschließende Bewertung möglich wäre.           falls eng mit dem Thema Altersarmut ver-
                                                knüpft. Hierbei geht es zum einen um die
Verbesserung der Erwerbsminderungsrente         individuelle Vermeidung von Altersarmut,
Wie gerade erwähnt stellt Erwerbsminde-         zum anderen aber auch um den Schutz
rung ein besonderes Armutsrisiko dar. Der       der Allgemeinheit davor, unterbliebene
                                                                                       19
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Altersvorsorge aus Steuermitteln im Rah-         antworten. Die bloße Pflicht, eine Alterssi-
men der Grundsicherung kompensieren zu           cherung zu betreiben mit der eventuellen
müssen. Von den derzeit rund 4,3 Millionen       Möglichkeit, das auch in der gesetzlichen
Selbstständigen haben rund 3 Millionen kei-      Rentenversicherung zu tun, würde außer-
ne obligatorische Alterssicherung. Vielfach      dem die Gefahr mit sich bringen, dass sich
wird angenommen, dass die Digitalisierung        schlechte Risiken in der gesetzlichen Ren-
künftig noch zu einer Zunahme der häufig         tenversicherung kumulieren. Diese Gefahr
nicht abgesicherten sogenannten Solo-            dürfte vor allem im Hinblick auf das Risiko
selbstständigkeit führen könnte. Vor dem         der Erwerbsminderung bestehen.
Hintergrund, dass die Grundsicherungs-
quote ehemals Selbstständiger doppelt so         Rentenangleichung Ost-West
hoch ist wie unter ehemals Beschäftigten,        Mehr als 25 Jahre nach der Wiedervereini-
besteht weitgehend Einigkeit, dass hier ein      gung ist den Menschen in Deutschland ein
Handlungsbedarf besteht. Keine Einigung          geteiltes Rentenrecht kaum noch zu ver-
besteht allerdings hinsichtlich der Frage, in    mitteln. Das nach West und Ost differen-
welcher Form Selbstständige verpflichtet         zierende Rentenrecht sollte dazu beitragen,
werden sollten, Alterssicherung zu betrei-       dass die Rentner in Ostdeutschland an der
ben: Sollten sie als Pflichtversicherte in die   erwarteten dynamischen Entwicklung der
gesetzliche Rentenversicherung einbezogen        Löhne in Ostdeutschland teilhaben. Nach
werden oder sollten sie verpflichtet wer-        einer Angleichung der Löhne sollten auch
den, in irgendeiner Form privat oder ge-         die Renten ehemaliger Durchschnittsver-
setzlich vorzusorgen? Das Gesamtkonzept          diener in Ost und West gleich hoch sein.
des BMAS sieht eine grundsätzliche Einbe-        Während sich die Löhne in Ostdeutschland
ziehung aller Selbstständigen in die gesetz-     von knapp 70 Prozent im Jahr 1992 auf
liche Rentenversicherung vor. Es soll dabei      aktuell rund 89 Prozent des Westniveaus
allerdings Befreiungsrechte für Berufsgrup-      angenähert haben, hat sich der für die Ren-
pen mit obligatorischen Alterssicherungs-        tenhöhe maßgebliche aktuelle Rentenwert
systemen und einen Vertrauensschutz für          (Ost) dem aktuellen Rentenwert (West)
ältere Selbstständige geben. Aus Sicht der       bereits bis auf 94 Prozent angenähert.
gesetzlichen Rentenversicherung erscheint
es sinnvoll, Selbstständige ohne obligatori-     Nach einem starken Anstieg der Löhne und
sche Alterssicherung in die gesetzliche Ren-     der Renten in den Neunzigerjahren folgte
tenversicherung einzubeziehen. Andernfalls       eine lange Phase, in der sich Löhne und
wären vielfältige Koordinierungsregeln für       Renten nicht weiter aneinander angeglichen
den Wechsel zwischen abhängiger Beschäf-         haben. Erst in den letzten Jahren kam es
tigung und selbstständiger Tätigkeit sowie       wieder zu einer weiteren Angleichung. Das
für die sogenannten „hybriden“ Erwerbs-          geltende Recht hat aber nicht nur zu einer
zeiten erforderlich, bei denen selbststän-       nunmehr bereits weitgehenden Angleichung
dige Tätigkeit und abhängige Beschäftigung       der Rentenwerte geführt, sondern auch
parallel verlaufen. Auch die Frage, wie die      dazu, dass derzeit in Ostdeutschland bei
Einhaltung der Versicherungspflicht geprüft      einem gleich hohen Lohn und dementspre-
werden kann, wäre dann leichter zu be-           chend auch gleicher Beitragszahlung eine
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VdK-Forum München 13./14. März 2017

um 5,4 Prozent höhere Rentenanwartschaft        gung und zur Änderung anderer Gesetze
erworben wird als in Westdeutschland.           (Betriebsrentenstärkungsgesetz) wird von
Ende 2016 betrug der Unterschied sogar          der Deutschen Rentenversicherung Bund
8 Prozent. Die Beibehaltung des geltenden       durchaus geteilt. Dass der Dotierungsrah-
Rechts könnte diesen Zustand eventuell um       men für die beitragsfreie Entgeltumwand-
Jahrzehnte verlängern. Die Regierungskoali-     lung dabei nicht ausgeweitet werden soll, ist
tion hat daher Ende 2016 beschlossen, die       zu begrüßen. Ausgeweitet werden soll ledig-
Rentenangleichung noch in dieser Legisla-       lich der Dotierungsrahmen für die steuer-
turperiode auf den Weg zu bringen. Begin-       freie Entgeltumwandlung. Insofern kommt
nend mit dem Jahr 2018 sollen bis zum Jahr      es also zunächst nicht zu zusätzlichen ne-
2025 sämtliche rentenrechtlichen Größen         gativen Auswirkungen für die gesetzliche
und Verfahren aneinander angeglichen wer-       Rentenversicherung. Zu berücksichtigen
den. Angeglichen werden sollen also nicht       ist allerdings, dass jede weitere Verbreitung
nur der aktuelle Rentenwert, sondern auch       der beitragsfreien Entgeltumwandlung Aus-
die Beitragsbemessungsgrenze, die Bezugs-       wirkungen auf die gesetzliche Rentenversi-
größe und der Umrechnungsfaktor für die         cherung hat. Wenn Entgelte umgewandelt
Arbeitsentgelte in Ostdeutschland, also der     werden, sinkt nicht nur die individuelle
sogenannte Hochwertungsfaktor. Aus Sicht        Anwartschaft desjenigen, der sein Entgelt
der gesetzlichen Rentenversicherung ist das     umwandelt, sondern auch das beitrags-
ein gangbarer Weg. Wichtig ist dabei aber,      pflichtige Durchschnittsentgelt in der Ren-
dass die gegenüber dem geltenden Recht          tenversicherung. Das wiederum hat negati-
höheren Mehrausgaben aus Steuermitteln          ve Auswirkungen auf die Rentenanpassung.
finanziert werden. Diese Mehrausgaben           In dem Maße, wie die Entgeltumwandlung
entstehen dadurch, dass die Angleichung         insgesamt mehr in Anspruch genommen
der Rentenwerte schneller voranschrei-          wird, vergrößern sich demgemäß auch die
tet als die Angleichung der Löhne. Die          negativen Effekte auf die Rentenanpassung
Mehrausgaben gegenüber dem geltenden            selbst ohne Ausweitung des Dotierungsrah-
Recht steigen laut der Gesetzesbegrün-          mens. Betroffen von der größeren Verbrei-
dung bis 2024 auf 3,9 Milliarden Euro pro       tung sind damit auch diejenigen Rentner, die
Jahr. Der Bundeszuschuss soll gemäß dem         selbst keine Entgeltumwandlung betrieben
Gesetzentwurf in den Jahren 2022 bis 2025       haben.
schrittweise bis auf 2 Milliarden Euro erhöht
werden.                                         Bei Beschäftigten mit unterdurchschnittli-
                                                chen Entgelten soll die weitere Verbreitung
Betriebsrentenstärkungsgesetz                   auch dadurch gefördert werden, dass künf-
Die aktuellen Reformbestrebungen in der         tig – im Falle der späteren Bedürftigkeit –
Alterssicherung beziehen sich neben der         nicht mehr das gesamte Einkommen aus zu-
gesetzlichen RV auch auf eine weitere Ver-      sätzlicher Vorsorge auf die Grundsicherung
breitung der betrieblichen Altersversorgung.    angerechnet werden soll. Solche Freibe-
Dieses Ziel des gegenwärtig im Gesetz-          träge dürften geeignet sein, die zusätzliche
gebungsverfahren befindlichen Gesetzes zur      Vorsorge für Geringverdiener attraktiver zu
Stärkung der betrieblichen Altersversor-        machen. Sie gehören auch zu den im Zu-
                                                                                         21
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sammenhang mit drohender Altersarmut             versicherung Bund ist allerdings kritisch zu
diskutierten Modellen zur Belohnung von          bewerten, dass die korrekte Rentenhöhe
Vorsorge. Aus Sicht der gesetzlichen Ren-        im Falle von Hinzuverdienst künftig rückwir-
tenversicherung ist allerdings anzumerken,       kend einmal im Jahr von der Rentenversi-
dass der Gesetzentwurf nur Freibeträge für       cherung abgerechnet werden muss. Sofern
die zusätzliche Vorsorge vorsieht, nicht da-     die Hinzuverdienstgrenze nicht eingehalten
gegen für die aus Pflichtbeiträgen finanzierte   wurde, muss der Rentenbescheid rückwir-
Rente aus der gesetzlichen RV.                   kend aufgehoben und ein Teil der Rente
                                                 zurückgefordert oder nachgezahlt werden.
3. Flexirentengesetz                             Vermieden werden kann das z. B. dadurch,
Das Flexirentengesetz gehört zu den Re-          dass der Rentenbezieher von vornherein
formmaßnahmen in der Alterssicherung,            eine bestimmte Teilrente beantragt, sich von
die in dieser Legislaturperiode bereits be-      der Rentenversicherung die dazu passende
schlossen worden sind. Es befindet sich          Hinzuverdienstgrenze mitteilen lässt und
gerade in der Phase der Umsetzung. Das           darauf achtet, dass diese Hinzuverdienst-
Flexirentengesetz soll den Übergang vom          grenze nicht überschritten wird. In diesem
Erwerbsleben in den Ruhestand flexibler als      Fall muss nachträglich kein Rentenbescheid
bisher gestalten. Zu diesem Zweck wird der       aufgehoben werden. Die auf diese Weise
mögliche Hinzuverdienst neben einer Voll-        bewusst gewählte und beantragte Teilrente
rente zwar nicht ausgedehnt, aber anders         muss mindestens 10 Prozent der Vollrente
berücksichtigt als bisher. An die Stelle von     betragen, ansonsten kann die Höhe aber
monatlichen Hinzuverdienstgrenzen tritt          frei gewählt werden.
zukünftig eine Jahreshinzuverdienstgrenze in
Höhe von 6300 Euro. Bis zu diesem Betrag         Erwerb von Rentenanwartschaften neben der
darf künftig jährlich hinzuverdient werden,      Altersvollrente
ohne dass die Vollrente beeinträchtigt wird.     Mit dem Flexirentengesetz wurden nicht nur
Oberhalb der Hinzuverdienstgrenze von            die Hinzuverdienstgrenzen und das Recht
6300 Euro wird der Hinzuverdienst zu 40          der Teilrenten neu geregelt. Reformiert wur-
Prozent auf die Rente angerechnet. Dabei         den auch die Möglichkeiten, im Alter neben
erfolgt eine gleitende Anrechnung, sodass        dem Rentenbezug weitere Rentenanwart-
es – anders als bisher – nicht mehr zu den       schaften zu erwerben. Diese wirken sich
sogenannten „Stufenabstürzen“ kommen             positiv auf die Höhe des Rentenbetrags aus.
kann. Solche Stufenabstürze haben in der         Vor Erreichen der Regelaltersgrenze führt
Vergangenheit dazu geführt, dass bei ei-         der Bezug einer Vollrente – anders als bis-
nem Überschreiten der Hinzuverdienst-            her – nicht mehr zur Versicherungsfreiheit
grenze um wenige Cent der Rentenbetrag           in der gesetzlichen Rentenversicherung.
auf zwei Drittel, die Hälfte oder ein Drittel    Auch geringfügig Beschäftigte oder Perso-
des Vollrentenbetrages gekürzt wurde. Die        nen mit einem Arbeitsentgelt oberhalb von
Teilrente, die durch ein Überschreiten der       450 Euro sind damit versicherungspflichtig
Hinzuverdienstgrenze entsteht, kann künftig      und erwerben Rentenanwartschaften. Auch
einen beliebigen Anteil der Vollrente aus-       durch die Pflege eines Angehörigen ist es
machen. Aus Sicht der Deutschen Renten-          möglich, neben dem Bezug einer vorzeitigen
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Vollrente Rentenanwartschaften zu erwer-         zu diskutieren. Die gute Finanzlage hat es
ben, die die Rente dann ab Vollendung der        in dieser Legislaturperiode erleichtert, Leis-
Regelaltersgrenze erhöhen.                       tungsausweitungen in der gesetzlichen RV
                                                 zu beschließen, in deren Rahmen die Ren-
Rentenanwartschaften nach Erreichen der Re-      tenversicherung aber immer wieder auf
gelaltersgrenze                                  die korrekte Finanzierung hinweisen muss.
Nach Erreichen der Regelaltersgrenze             Leistungen wie die Mütterrente oder die
führt der Bezug einer Vollrente auch künf-       gegenüber der Lohnangleichung vorgezo-
tig grundsätzlich zur Versicherungsfreiheit.     gene Rentenangleichung Ost müssen aus
Beschäftigten ist es allerdings möglich, durch   Steuermitteln finanziert werden.
Verzicht auf die Versicherungsfreiheit in
der Beschäftigung weitere Rentenanwart-          Der Gesetzgeber hat den weiteren Reform-
schaften zu erwerben, die sich dann jeweils      bedarf im Drei-Säulen-System der Alterssi-
ab dem folgenden 1. Juli rentenerhöhend          cherung erkannt.Vielleicht könnte eine breit
auswirken. Der Verzicht auf die Versiche-        angelegte Reformdiskussion – über einen
rungsfreiheit in der Beschäftigung hat dann      Dialogprozess oder auch eine Experten-
natürlich zur Folge, dass auch der Arbeitneh-    kommission – in der kommenden Legisla-
merbeitrag zur Rentenversicherung gezahlt        turperiode zur Entwicklung eines konsens-
werden muss. Der Erwerb von Rentenan-            fähigen Ansatzes zur Weiterentwicklung der
wartschaften außerhalb einer Beschäftigung       Alterssicherung bis 2045 beitragen.
– z. B. durch die Pflege von Angehörigen –
ist neben dem Bezug einer Vollrente nicht
möglich. Rentenanwartschaften werden in
solchen Fällen also nur erworben, wenn auf
einen Teil der Rente verzichtet wird. Anders
als bisher muss dafür aber nicht mehr auf
ein Drittel der Rente verzichtet werden.
Aufgrund des neuen Teilrentenrechts reicht
auch schon der Verzicht auf einen kleinen
Teil der Rente.

4. Fazit
Wir sehen in der gesetzlichen Renten-
versicherung seit einigen Jahren eine sehr
gute Finanzentwicklung, die auch durch die
Finanzkrise nicht nachhaltig beeinträchtigt
werden konnte. Die demografisch beding-
te künftige Entwicklung der Finanzen macht
es aber weiter erforderlich, über die künf-
tige Verteilung von Leistungen und Lasten
– die Entwicklung von Beitragssatz und
Rentenniveau also – nachzudenken und
                                                                                           23
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