Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge - Zeitschrift für - Dynamisch (kreativ und genussvoll) altern - IIGS

Die Seite wird erstellt Stefan Barthel
 
WEITER LESEN
Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge - Zeitschrift für - Dynamisch (kreativ und genussvoll) altern - IIGS
23. Jahrgang | Nr. 90 – Oktober 2018
ISSN 1991-7635

Zeitschrift für
Integrative
Gestaltpädagogik und Seelsorge

    Dynamisch (kreativ und genussvoll) altern
                 Gestaltarbeit und das letzte Drittel des Lebens
Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge - Zeitschrift für - Dynamisch (kreativ und genussvoll) altern - IIGS
74                                                                                                        Aus der Redaktion

                                                                                                                                                Aus der Redaktion
Zeitschrift für Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge

                                                                            Inhaltsverzeichnis
                                                              Aus der Redaktion                                                                 „Dynamisch, kreativ und
                                                              H. Neuhold: „Dynamisch, kreativ und genussvoll bis                                genussvoll bis ins hohe Alter“
                                                                   ins hohe Alter“ – eine provokative Überschrift......... 74
                                                              Biblisch-spirituelle Impulse
                                                                                                                                                – eine provokative Überschrift
                                                              E. Petschnigg: Zwischen Mythos und Empirie ................ 75                        Der Titel der Zeitschrift mag und soll durch-
                                                              L. Neureiter: Ein neugeborenes Kind und                                           aus irritieren, vielleicht auch provozieren. „Für
                                                                   zwei alte Menschen................................................. 78       immer jung“ singt Wolfgang Ambros schon vor
                                                              R. Schwarzenberger: Die Pieta – eine noch                                         Jahren und landete damit einen Hit, der in Ös-
                                                                   junge Frau und ihr alter Sohn?................................. 80
                                                                                                                                                terreich zum Volkslied wurde und von jedem/
                                                              Zum Thema                                                                         jeder mitgesungen werden kann. Es zeigt sich
                                                              J. Pock: Die Heilsmittel des Christentums. Beichte und                            hier eine eigenartige Spannung unter der das Al-
                                                                   Krankensalbung – und die Sorge umd das Heil                                  tern steht: einerseits werden wir Menschen statis-
                                                                   des Menschen .......................................................... 80
                                                                                                                                                tisch gesehen tatsächlich immer älter und bleiben
                                                              K. Furrer: Erikson – Der letzte Lebens­zyklus:
                                                                                                                                                auch (meist) länger gesund, das heißt dieser Le-
23. Jahrgang | Nr. 90 - Oktober 2018

                                                                   Versöhnung............................................................. 83
                                                              D. Tropper: Biografiearbeit mit alten Menschen............. 85                    bensabschnitt hat sich massive erweitert und will
                                                              A. Ulz: Seelsorge und Spiritualität im Krankenhaus                                bestenfalls „dynamisch, kreativ und genussvoll“
                                                                   und ihr Beitrag zu einem „dynamischeren“                                     gestaltet werden; andererseits aber bedeutet Al-
                                                                   gelingendem Altern ................................................ 87       tern auch ein Schwinden der Lebenskräfte und
                                                              E. Kapper-Weidinger: Hochaltrigsein als                                           Energien, ein Abschiednehmen von vielen ver-
                                                                   Heraus­forderung ..................................................... 89
                                                                                                                                                trauten Möglichkeiten des Lebens, von liebgewor-
                                                              Berichte aus unserem Umfeld                                                       denen Menschen, ein Zurechtkommen-müssen
                                                              F. Feiner: Geragogik – Lern- und Lifecoaching                                     mit körperlichen Beeinträchtigungen, vielleicht
                                                                   für die 2. Lebenshälfte ............................................ 91      auch ein gesamtes Ermüden bis hin eben zu
                                                              Das aktuelle Interview                                                            schwerer Krankheit und Tod. Für viele erwacht
                                                              Interview mit Sr. Cécile Leimgruber ............................... 92            in dieser Phase auch ein neues Interesse an Spi-
                                                              Interview mit Cornelia Coenen-Marx ............................. 94               ritualität und Auseinandersetzen mit den letz-
                                                              Aus der Praxis – für die Praxis                                                   ten Fragen. Einige Aspekte davon sollen in dieser
                                                              E. Pöcksteiner: Altenpastoral und Gestalt – Alten­-                               Ausgabe unserer Zeitschrift zur Sprache kom-
                                                                   pastoral in Krankenhaus und Pflegeheim ................. 96                  men. Zunächst werden biblische, sakramenten-
                                                              Literatur zum Thema                                                               theologische und pastorale Befunde geortet und
                                                              I. Schrettle: Grenzland Zwischenland – Erkundungen........98                      bedacht. Psychologische, beraterisch-therapeu-
                                                              Buchbesprechungen – Buchempfehlungen.................. 99                         tische Aspekte werden ebenso besprochen wie
                                                              Gedicht: A. Sauseng: Ein Suchen war es ........................ 99                auch Fragen der Pflege alter Menschen. Interviews
                                                                                                                                                bringen einerseits biographische und sehr per-
                                                              Das weite Land unserer Seele – Aus der Psychiatrie
                                                                                                                                                sönliche Blickwinkel ein, andererseits aber auch
                                                              S. Zankl: Närrische Alte oder alte Weise?...................... 100               medizinisch-fachliche Überlegungen. Natürlich
                                                              Aus den Vereinen                                                                  gibt es auch Einblicke in die Arbeit der Vereine
                                                              G. Kraxner-Zach: JA zur Liebe! Ja zum Licht!                                      bzw. Rückblicke auf den Kongress in Celje oder
                                                                  JA zum Leben! ...................................................... 103      die Sommerwoche in Tainach.
                                                              H. Gohla: Transformationsprozess auch in Religions­
                                                                  pädagogik und Pastoral ........................................ 104               Ein bunter Mix, der hoffentlich auf Ihr In-
                                                              Termine / Inserate......................................................... 106   teresse trifft und dieses wichtige Thema unserer
                                                                                                                                                Gesellschaft differenziert zur Diskussion stellt.
                                                             Titelbild: © rosa michor, cargocollective.com/iltiskollektiv                                         Hans Neuhold – Chefredakteur
Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge - Zeitschrift für - Dynamisch (kreativ und genussvoll) altern - IIGS
Biblisch-spirituelle Impulse                                                                            75

Edith Petschnigg                                      Gestalten lesen wir, dass sie dieses Ideal erreich-
                                                      ten, sieht man von den mythischen Altersangaben
Zwischen Mythos und Empirie                           der Ur- und Erzelternzeit ab. Im 2. Samuelbuch
                                                      begegnet uns etwa der wohlhabende Gileaditer
Biblische Perspektiven auf das Alter                  Barsillai, ein Förderer König Davids, der als „sehr
                                                      alt“, als „ein Mann von 80 Jahren“ vorgestellt wird
    Ein „biblisches Alter“ zu erreichen ist sprich-
                                                      (2 Sam 19,33). Im Kreis der biblischen Hochbe-
wörtlich geworden – und diesem Idealzustand
                                                      tagten tritt weiters der Priester Eli in Erscheinung,
sind wir heute, zumindest in den industrialisier-
                                                      der im Alter von 98 Jahren an den Folgen eines
ten Ländern, weitaus näher als es Menschen zu
                                                      Sturzes verstirbt (1 Sam 4,15–18). „Ein sehr ho-
„biblischen“ Zeiten. Die Lebenserwartung ist seit
                                                      hes Alter“, nämlich 105 Jahre, erreicht ferner Ju-
den 1960er Jahren weltweit stetig gestiegen, be-
sonders trifft dies auf europäische Länder und        dit (Jdt 16,23), die damit neben der Erzmutter
Nordamerika zu. Ein Kind, das heute in Ös-            Sara, von deren Tod im mythischen Alter von
terreich das Licht der Welt erblickt, sieht einer     127 Jahren erzählt wird (Gen 23,1), die einzige
durchschnittlichen Lebenserwartung von 81,8           weibliche Figur ist, der ein derart hohes Lebens-
Jahren entgegen. Der Topos der „alternden Ge-         alter zugeschrieben wird. Möglicherweise spie-
sellschaft“ ist medial präsent und wird immer         gelt sich in der seltenen Nennung hochaltriger
stärker auch zum Thema der Forschung (vgl. Al-        Frauen auch die empirische Beobachtung wider,
ternde Gesellschaft, 2018). Gänzlich anders stell-    wonach Frauen vielfach früher starben als Män-
ten sich die Alterspyramide und Lebenserwartung       ner (biblisch erzählt wird dieses Faktum etwa im
in der antiken Welt dar; ein hohes Alter zu errei-    vorzeitigen Tod Rahels bei der Geburt ihres zwei-
                                                      ten Sohnes, vgl. Gen 35,16–19).

                                                                                                              23. Jahrgang | Nr. 90 - Oktober 2018
chen war ein höchst seltener Ausnahmefall. Für
Jerusalem um die Zeitenwende zeigen archäo-               Eine durchaus realistische, wenn auch in bi-
logische Funde, dass lediglich sechs Prozent al-      blischen Zeiten selten erreichte Lebensdauer von
ler Bewohnerinnen und Bewohner älter als 60           70, höchstens 80 Jahren thematisiert Psalm 90 (V.
Jahre wurden (vgl. Hossfeld, 1990, 2). Das Durch-     10), wie überhaupt Psalmen die verschiedenen
schnittsalter der Könige des Südreichs Juda lag       Phasen des Lebens und so auch das Älterwerden
bei rund 50 Jahren. Geht man davon aus, dass          mehrfach zur Sprache bringen. „Alt und lebens-
die Lebensbedingungen der Bevölkerung weitaus         satt“, wörtlich „satt an Tagen“, zu sterben galt im
weniger privilegiert waren als jene der Königsfa-     Alten Israel als Idealzustand und beschreibt die
milie, muss mehrheitlich mit einer geringeren Le-     natürliche Hinnahme des Todes nach einem lan-
benserwartung gerechnet werden (vgl. Pola, 2011,
                                                                                                              Zeitschrift für Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge
                                                      gen, erfüllten Leben (vgl. Neumann-Gorsolke,
128; Zwickel, 2011, 76f.). Altersbestimmungen         2009, 119; 132). In Anbetracht der realiter ge-
in Nekropolen zeigen eine durchschnittliche Le-       ringen Lebenserwartung spiegelt sich in diesem
benserwartung von nur 30 bis 40 Jahren, wobei         literarischen Topos ein nur allzu verständlicher
Frauen aufgrund von Komplikationen während            Wunsch wider, der bis heute, auch in Zeiten hoher
der Schwangerschaft und Geburt häufig früher          Lebenserwartung, als Ideal sicherlich nicht an Be-
starben als Männer (vgl. Frevel, 2016, 340f.).        deutung verloren hat. Bemerkenswert ist, dass die
                                                      biblische Erzähltradition diese Notiz ausschließ-
„Alt und lebenssatt“ (Gen 25,8) – hohes Alter         lich Männern vorbehält: Abraham (Gen 25,8),
als Segen                                             Isaak (Gen 35,29), David (1 Chr 23,1; 29,28), der
    Ein Lebensalter jenseits des Medians zu er-       Priester Jojada (2 Chr 24,15) und Ijob (Ijob 42,17)
reichen, wurde aus biblischer Perspektive dem-        – sie alle sterben „alt und lebenssatt“ (vgl. Neu-
entsprechend als Segen und graues Haar als            mann-Gorsolke, 2009, 119). Das Erreichen eines
„prächtige Krone“ (Spr 16,31) betrachtet (vgl.        (fiktiv) hohen Lebensalters ist aus biblischer Sicht
Hossfeld, 1990, 8). Nur von wenigen biblischen        charakteristisch für ein besonderes Nahverhält-
Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge - Zeitschrift für - Dynamisch (kreativ und genussvoll) altern - IIGS
76                                                             Biblisch-spirituelle Impulse

                                                             nis zu Gott, das nicht zuletzt in den Bildern ei-      alter Menschen, das eine existenzsichernde Ar-
Zeitschrift für Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge

                                                             ner kommenden Heilszeit seinen Ausdruck findet         beit unmöglich macht. Die Sorge um die altern-
                                                             (vgl. Neumann-Gorsolke, 2012, 263). Im neuen,          den Eltern ist dementsprechend im Elterngebot
                                                             endzeitlichen Jerusalem, welches das Buch Jesaja       des Dekalogs ausdrücklich verankert (vgl. Fre-
                                                             beschreibt (Jes 65), wird es kein Weinen mehr ge-      vel 2016, 351) und wird auch in der späten Weis-
                                                             ben und keinen vorzeitigen Tod; das Leben wird         heitsliteratur explizit wieder aufgenommen (vgl.
                                                             lange und voll Freude sein:                            Liess 2009, 465-467):

                                                                      Ja, jugendlich ist, wer 100-jährig stirbt,
                                                                                                                        Das Sirachbuch korreliert wie das Buch der
                                                                     und wer 100 Jahre nicht erreicht, gilt als     Sprüche Alter und Weisheit (Sir 25,5), verschweigt
                                                                  ­ estraft von Gott wegen einer Verfehlung.
                                                                  b                                                 aber auch die beschwerlichen Seiten des Alters
                                                                                                                    nicht (Sir 25,20) (vgl. ebd., 467). Eine der poe-
                                                                                                      (Jes 65,20)
                                                                                                                    tischsten und eindringlichsten Darstellungen der
                                                                 Hohes Alter scheint gleichsam eine Klammer         Mühsal des Alters zeichnet wohl das Koheletbuch
                                                             zu sein zwischen einer ideal vorgestellten An-         in seinem Schlussgedicht (Koh 11,9-12,8). An-
                                                             fangszeit und einer eschatologischen Heilszeit.        gesichts von Alter und Tod ruft es dazu auf, dem
                                                             Jenseits dieser beiden Pole liegt die reale Lebens-    Schöpfer zu gedenken und sich in jungen Jahren
23. Jahrgang | Nr. 90 - Oktober 2018

                                                             welt der Menschen hinter den biblischen Texten;        am Leben zu erfreuen (vgl. Hieke, 2012, 176f.):
                                                             ihre Erfahrungen mit der Lebensphase des Alters                1
                                                                                                                             Bedenke in den Tagen deiner Jugend,
                                                             und ihre theologischen Deutungen derselben sol-
                                                                                                                       wer dich geschaffen hat, bevor die schlech-
                                                             len im Folgenden zur Sprache kommen.
                                                                                                                     ten Tage kommen und die Jahre heran­nahen,
                                                             "Bevor die schlechten Tage kommen"                        von denen du sagen wirst: „Ich habe keinen
                                                                                                                     Gefallen an ihnen“, 2bevor sich die Sonne und
                                                             (Koh 12,1) – die Mühsal des Alters
                                                                                                                       das Licht verfinstern wie der Mond und die
                                                                 Die Schriften der Bibel zeichnen ein realisti-        Sterne, und die Wolken nach der Regenzeit
                                                             sches Bild des Menschseins in all seinen Facet-                                  wiederkehren – […].
                                                             ten, und dazu gehören auch alle Erfahrungen, die
                                                                                                                                                         (Koh 12,1-2.7)
                                                             mit dem Älterwerden verbunden sind, im positi-
                                                             ven wie im negativen Sinne. Wer an Lebensjah-
                                                             ren zunimmt, nimmt auch an Weisheit zu – nicht
                                                                                                                    „Bis zum grauen Haar, verlass mich nicht, Gott“­
                                                             zwangsläufig, aber doch tendenziell, dies zeigen       (Ps 71,18) – Alter und Spiritualität
                                                             uns vor allem die biblischen Weisheitsschriften            Die Lebensphase des Alters und das damit
                                                             (vgl. Müllner, 2006, 9). Das Buch der Sprüche          einhergehende verstärkte Bewusstsein der eige-
                                                             sieht in ergrautem Haar – heute vielfach uner-         nen Vergänglichkeit stellen nicht zuletzt in spi-
                                                             wünscht – ein Zeichen für Lebenserfahrung und          ritueller Hinsicht besondere Herausforderungen
                                                             Weisheit, das dementsprechend positiv bewertet         für das Menschsein dar. Sucht man nach einer bi-
                                                             wird (Spr 16,31; 20,29). Der Lebensphase des Al-       blischen Theologie des Alters, lohnt ein Blick in
                                                             ters wird sehr wertschätzend begegnet (vgl. Liess,     die Psalmen. Vergänglichkeit und Tod sind zen-
                                                             2009, 463f.), und sie ist durch besondere Aufga-       trale Themen des Psalters, wobei die Todessphäre
                                                             ben gekennzeichnet, wie die Weitergabe von Wis-        im biblischen Verstehenshorizont viel weiter ge-
                                                             sen und Tradition an die junge Generation und          dacht wurde als wir dies heute für gewöhnlich
                                                             die Funktion des Rat-Gebens (vgl. Hossfeld, 2006,      tun. Krankheit, soziale Isolation oder Bedrohung
                                                             273). Bei aller Hochschätzung des Alters beschö-       durch Feinde zählen ebenfalls in diesen Bereich.
                                                             nigt die Bibel die letzte Lebensphase jedoch nicht,    Das hohe Alter als Lebensphase wird explizit al-
                                                             benennt das zunehmende Schwinden der kör-              lerdings nur selten thematisiert (vgl. Liess, 2012,
                                                             perlichen und manchmal auch geistigen Kräfte           162), vor allem geschieht dies in weisheitlich ori-
Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge - Zeitschrift für - Dynamisch (kreativ und genussvoll) altern - IIGS
Biblisch-spirituelle Impulse                                                                                    77

entierten Psalmen (vgl. Hossfeld, 2006, 273). Ex-
                                                      MMaga.Drin. Edith Petschnigg, Theologin und
emplarisch sei Psalm 71 näher beleuchtet. Der
                                                      Historikerin, lehrt und forscht an der KPH Wien/
Psalm beschreibt eine intensive Gottesbeziehung,
                                                      Krems besonders im Bereich Altes Testament und
die für die in die Jahre gekommene betende Per-       Judentum.
son bereits seit frühester Jugend, ja bereits vom
Mutterleib an besteht (V. 6). Die als so vertrau-      Literatur:
ensvoll geschilderte Gottesbeziehung wird hier        Alternde Gesellschaft: Österreich könnte besser vorbe-
                                                      reitet sein, in: https://diepresse.com/home/panorama/
jedoch nicht idealisiert, der Mensch bleibt ange-     oesterreich/5490694/Alternde-Gesellschaft_Oesterreich-
fochten, er leidet unter Anfeindungen und be-         koennte-besser-vorbereitet-sein (4.9.2018). Gesehen 25.
                                                      September 2018.
fürchtet das Fernbleiben Gottes, vor allem in der
                                                      Frevel, Chr. (2016): „Du wirst jemanden haben, der dein
letzten Lebensphase: „Verwirf mich nicht in der       Herz erfreut und dich im Alter versorgt“ (Rut 4,15). Al-
Zeit des Alters, wenn meine Kraft schwindet, ver-     ter und Altersversorgung im Alten/Ersten Testament, in:
                                                      Ders.: Gottesbilder und Menschenbilder. Studien zu An-
lass mich nicht“ (V. 9). Doch die Angst hat in        thropologie und Theologie im Alten Testament (S. 327 –
diesem Psalm nicht das letzte Wort, die so lange      357) Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlagsgesellschaft.
gepflegte Gottesbeziehung erweist sich auch in        Hieke, Th. (2012): Das Gedicht über Freude, Alter und Tod
                                                      am Ende des Koheletbuches (Prediger Salomonis), in: Fit-
fortgeschrittenem Alter als tragfähig. Die Bitte in   zon, Thorsten u. a. (Hrsg.): Alterszäsuren. Zeit und Lebens-
V. 9 mündet schließlich in den Lobpreis Gottes        alter in Literatur, Theologie und Geschichte (S. 171 – 191)
                                                      Berlin, Boston: De Gruyter.
(V. 14-16) und den, auch musikalisch ausgedrück-
                                                      Hossfeld, F.-L. (1990): Graue Panther im Alten Testament?
ten, Dank (V. 22). Und nicht nur das – die selbst     – Das Alter in der Bibel, in: Arzt und Christ (S. 1 – 11).
erfahrene Gottesnähe drängt zur Weitergabe an         36/1990.
                                                      Hossfeld, F.-L. (2006): Glaube und Alter, in: Theologie der
die nächste Generation (V. 18). So zeigt sich die

                                                                                                                       23. Jahrgang | Nr. 90 - Oktober 2018
                                                      Gegenwart (S. 267-276). 49/2006.
Glaubensverkündigung, das Erzählen über das           Sir 3,2-4, vgl. Liess, K. (2009): „Der Glanz der Alten ist ihr
selbst erlebte Heilshandeln Gottes, als die zent-     graues Haar“ (Spr 20,29). Alter und Weisheit in der alttes-
                                                      tamentlichen und apokryphen Weisheitsliteratur, in: B. Ja-
rale sinnstiftende Aufgabe im Leben älterer Men-      nowski / K. Liess (Hrsg.): Der Mensch im alten Israel. Neue
schen (vgl. Liess, 2012, 145-162).                    Forschungen zur alttestamentlichen Anthropologie (HBS
                                                      59) (S. 453 – 484) Freiburg i. Br.: Herder.
„Jung war ich – nun bin ich alt geworden“ ­           Liess, K. (2012): „Jung bin ich gewesen und alt geworden“.
                                                      Lebenszeit und Alter in den Psalmen, in: Fitzon, Thorsten
(Ps 37,25) – ein Fazit                                u. a. (Hrsg.): Alterszäsuren. Zeit und Lebensalter in Lite-
                                                      ratur, Theologie und Geschichte (S. 131 – 164) Berlin, Bos-
    Die biblische Rede vom Alter, so lässt sich       ton: De Gruyter.
zusammenfassend feststellen, ist ein vielfältiges     Müllner, I. (2006): Das hörende Herz. Weisheit in der he-        Zeitschrift für Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge
Kaleidoskop zwischen Mythos und empirischen           bräischen Bibel. Stuttgart: Kohlhammer.
Einsichten. Biblische Altersnarrative oszillieren     Neumann-Gorsolke, U. (2009): „Alt und lebenssatt …“
                                                      – der Tod zur rechten Zeit, in: A. Berlejung / B. Janow-
zwischen symbolischen Implikationen für die Zeit      ski (Hrsg.): Tod und Jenseits im alten Israel und in seiner
der Anfänge respektive die eschatologische Heils-     Umwelt. Theologische, religionsgeschichtliche, archäolo-
                                                      gische und ikonographische Aspekte (S. 111 – 136) Tübin-
zeit und einer realistischen Sicht auf das Leben      gen: Mohr Siebeck.
alter Menschen. Das Alter wird nicht idealisiert,     Neumann-Gorsolke, U. (2012): „Aber Abraham und Sarah
aber hochgeschätzt und zeichnet sich besonders        waren alt, hochbetagt …“ (Gen 18:11). Altersdarstellun-
                                                      gen und Funktionen von Altersaussagen im Alten Testa-
durch die Weitergabe von Lebens- und Glaubens-        ment, in: A. Berlejung / J. Dietrich / J. F. Quack (Hrsg.):
erfahrungen aus. So dürfen wir dem vertrauen,         Menschenbilder und Körperkonzepte im Alten Israel, in
                                                      Ägypten und im Alten Orient (ORA 9) (S. 255 – 285) Tü-
was uns ein „alt gewordener“ Mensch in Psalm          bingen: Mohr Siebeck.
37 zuspricht: „Labe dich am Ewigen, er wird dir       Pola, Th. (2011): Vom Kleinkind bis zu den „Ältesten“. Zu
geben, was dein Herz erbittet. Überlass dem Ewi-      den Lebensaltern im Alten Testament, in: Theologische
                                                      Beiträge (S. 127 – 142). 42/2011.
gen deinen Weg, vertraue auf ihn, er wird han-        Zwickel, W. (2011): Alt werden in Israel, in: Welt und Um-
deln“ (V. 4f.).                                •     welt der Bibel (S. 76f.). 3/2011.
78                                                             Biblisch-spirituelle Impulse

                                                             Livia Neureiter                                       (z.B. Abraham und Sara oder Rut und Noomi)
Zeitschrift für Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge

                                                                                                                   und wird auch in Bezug auf Frauen explizit ge-
                                                             Ein neugeborenes Kind und                             nannt, wobei die Altersangaben meist wohl als
                                                             zwei alte Menschen                                    symbolische Zahlen aufzufassen sind. In der
                                                                                                                   Weisheitsliteratur, die gebildete und sozial hö-
                                                             über die Erfüllung persönlicher, religiöser und       her gestellte Personen im Blick hat, wird die be-
                                                             politischer Hoffnung in L­ k 2, 25-38                 sondere Würde alter Menschen herausgestrichen.
                                                                 Prominent plaziert finden wir mit Simeon          Sie gelten als LehrerInnen, denen Respekt, Ach-
                                                             und Hanna, mit Zacharias und Elisabeth im Lu-         tung und Gehorsam gebühren (z.B. Sir 6,34; 8,6;
                                                             kasevangelium, aber auch mit den Großeltern           8,8f; 25,4-6; Spr 20,29; Ijob 32,6-10). Weiters wird
                                                             Jesu, Joachim und Anna gemäß dem außerka-             im ersten Testament an jungen und alten Men-
                                                             nonischen Jakobusevangelium, bedeutende Pro-          schen das Kommen der Heilszeit deutlich, z.B. in
                                                             tagonistinnen und Protagonisten, deren (hohes)        Joel 3,1-5 zitiert in Apg 2,17-21. In der eschato-
                                                             Alter in den Schriften betont wird. Mit dem fort-     logischen Vision in Sach 8,4-5 werden sogar alte
                                                             geschrittenen Lebensalter der genannten Gestal-       Frauen explizit erwähnt, „an ihrer Situation wird
                                                             ten werden Sehnsüchte und Hoffnung nach einer         die Herrlichkeit des kommenden Heils besonders
23. Jahrgang | Nr. 90 - Oktober 2018

                                                             Veränderung auch nach einer Umkehr der gegen-         deutlich“ (Janssen 1998, 57).
                                                             wärtigen (Lebens)Umstände, nach dem Anbre-                In der nachbiblischen jüdischen Literatur
                                                             chen einer neuen Wirklichkeit, die Rettung und        finden sich ähnlich wie in ersttestamentlichen
                                                             Heil verheißt, untrennbar verbunden.                  Schriften, Aufforderungen alte Menschen zu eh-
                                                                                                                   ren und die Eltern im Alter zu versorgen. Alter
                                                             Sozialgeschichtlicher Hintergrund                     wird mit Weisheit verbunden. Ab 60 Jahren wird
                                                                 Das Lebensalter von Männern und Frauen in         von einer Zugehörigkeit zu den Ältesten gespro-
                                                             der Antike ist schwierig zu eruieren. Meist wird      chen. Ein hohes Alter wird als besonderer Segen
                                                             von einer durchschnittlichen Lebenserwartung          gedeutet, auch wenn auf die Beschwernisse des
                                                             zwischen 20-30 Jahren ausgegangen. Bei der Aus-       Alters rekurriert wird. Forschungen von Berna-
                                                             wertung antiker Grabsteine, die Belege für die        dette Brooten haben Frauen als „Mütter der Sy-
                                                             städtische und wohlhabende Oberschicht liefern,       nagogen“ und als Älteste belegt (Janssen 1998,
                                                             hat sich eine 10,8 % Quote für Frauen, die 60 Jahre   41). Der Gedanke eines friedlichen Miteinanders
                                                             alt wurden, gezeigt. Die Angaben auf den Grab-        der verschiedenen Generationen und der Wert-
                                                             steinen belegen den Tod der ältesten Frau mit         schätzung des Alters wird auch in Lk 1–2 aufge-
                                                             96 Jahren (Janssen 1998, 29). 60 Jahre galt in der    nommen. Er wird zur Voraussetzung und zum
                                                             Antike als Grenze zum GreisInnenalter (Janssen        Zeichen für das Kommen des Reiches Gottes und
                                                             1998, 31). Die sozialgeschichtliche Situation vor     die kommende Heilszeit.
                                                             allem alter armer Menschen, sofern sie nicht fa-
                                                             miliär versorgt wurden, war durchaus schwierig.       Simeon und Hanna – zwei ungewöhnliche Alte?
                                                             Die antike Literatur liefert Belege dafür, dass Al-        Im Zusammenhang mit dem Reinigungsop-
                                                             ter zwar mit Hochschätzung, Zuwachs an „Würde,        fer Mariens nach der Geburt ihres Sohnes – da-
                                                             Einsicht und Weisheit“(Janssen 1998, 45), aber        her der Tempelbesuch in Lk 2,22-39 – werden der
                                                             auch mit körperlichem und geistigem Verfall und       geistbegabte alte Mann Simeon und die Prophe-
                                                             Defiziten verbunden und mit Spott und Verhöh-         tin Hanna genannt. Zu Beginn der Szene wird
                                                             nung belegt wurde.                                    der alte Mann Simeon, dem offenbart worden
                                                                                                                   ist, dass er den Messias sehen werde (Lk 2,22-
                                                             Erstes Testament und nachbiblische Literatur          35), vorgestellt. Vom Geist geleitet trifft er auf
                                                                Das Thema Alter findet sich im AT in Be-           die Eltern mit dem Kind, nimmt es auf seinen
                                                             zug auf bedeutende Persönlichkeiten und Paare         Arm und lobt Gott dafür, dass er „das Heil“ noch
Biblisch-spirituelle Impulse                                                                               79

schauen dürfe. Nach Simeon wird von der Pro-         alte Männer und Frauen in der kanonischen und
phetin Hanna erzählt (Lk 2,36-38). Der Erzähl-       außerkanonischen Tradition sowie Belegen aus
abschnitt schließt mit dem Hinweis darauf, dass      dem antiken Umfeld, speziell bei Philo von Ale-
die Familie Jesu, nachdem alles, was nach dem        xandria (Philo von Alexandria, Über das betrach-
Gesetz vorgesehen war, durchgeführt war, nach        tende Leben oder Schutzflehenden vgl. Janssen
Nazaret zurückkehrte (Lk 2,39).                      1998, 42), finden sich besonders in der Gruppe
    Hanna wird als Prophetin vorgestellt, die zu     der TherapeutInnen explizit ältere Männer und
denjenigen spricht, „die auf die Befreiung Jeru-     Frauen. Sie sind geachtete Mitglieder der Gemein-
salems warten“. Hanna ist eine Parallelgestalt zu    schaft. Durch die Bedeutung der ältesten Män-
Simeon mit eigener Botschaft. Zu Simeon sind         ner und Frauen, der Presbyteroi, in den jüdischen
außer seinem Alter keine biographischen An-          und jungen christlichen Gemeinden ergibt sich
gaben überliefert. Zu Hanna dagegen werden           ein Bild, das die Anwesenheit und Bedeutsam-
Prophetinnentitel, Herkunft, sozialer Status (Wit-   keit Menschen jeder Altersphase im antiken Ju-
wenstand), hohes Alter (84 Jahre) und ihre gott-     dentum und Christentum vor Augen führt und
geweihte Lebensweise genannt. Simeon spricht zu      die Erfüllung der persönlichen, religiösen und
den Eltern im kleinen Rahmen. Hanna dagegen          politischen Hoffnungen und Sehnsüchte beson-
spricht zu einer größeren Menge. Simeon spricht      ders auch der lebensreifen Menschen auf Erfül-
darüber, was die Ankunft des Messias für ihn,        lung hin offen hält. Hanna und Simeon sind daher
für Israel, die Völker und Maria zu bedeuten hat.    keine ungewöhnlichen „Ausnahme-Alten“, son-
Hanna geht nicht auf ihr persönliches Schicksal      dern vor dem Hintergrund der ersttestamentli-
ein, sondern ist in die Reihe derer einzuordnen,     chen Tradition Belege für das Anbrechen einer

                                                                                                                 23. Jahrgang | Nr. 90 - Oktober 2018
die die Befreiung Jerusalems erwarten. Simeon        neuen Wirklichkeit.                            •
hat im kleinen Kreis direkten Kontakt zum Kind.
Von Hanna ist kein weiterer Kontakt zu Eltern        Drin Livia Neureiter lehrt Neues Testament an der
oder Kind genannt. Die deutlichste Gemeinsam-        KPH Graz und ist AHS -Lehrerin für Religion und
keit der beiden ist ihre Verwurzelung im antiken     Geschichte.
Judentum – ihr warten auf den Messias und das
Reich Gottes. Durch Verbindung von Hanna und
                                                      Literatur:
Simeon als weise, Gott verbundene, geistbegna-
                                                     Eisen, U. (1996): Amtsträgerinnen im frühen Christentum.
dete alte Menschen und dem Neugeboren soll           Epigraphische und Literarische Studien, Göttingen: Van-
ausgedrückt werden, dass eine neue Zeit anbricht.    denhoeck & Ruprecht.
                                                                                                                 Zeitschrift für Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge

Es gehe „die Erwartungszeit in die messianische      Janssen, C. (1998): Elisabeth und Hanna – zwei widerstän-
Zeit … “ (Schürmann zitiert nach Janssen 1998,       dige alte Frauen in neustamentlicher Zeit. Eine sozialge-
                                                     schichtliche Untersuchung, Mainz: Grünewald.
167) über. Die namentlich genannte Prophetin ist
                                                     Janssen, C./Lamb, R. (2007): Das Evangelium nach Lukas.
dabei in der Tradition derer einzureihen, die die    Die Erniedrigten werden erhöht. In: L. Schottroff/M.Th.
Erlösung/Befreiung Jerusalems durchaus auch          Wacker (Hrsg.): Kompendium Feministische Bibelausle-
real-politisch verstehen. Die Sehnsucht und Hoff-    gung. Sonderausgabe (S. 513–526) Gütersloh: Gütersloher.
nung zielt auf eine Befreiung von ungerechten        Jensen, A. (2002): Frauen im frühen Christentum. Un-
                                                     ter Mitarbeit von Livia Neureiter, Bern u.a.: Peter Lang.
Herrschern des jüdischen Volkes und der römi-
                                                     Jensen, A. (2003): Gottes selbstbewusste Töchter. Frauen-
schen Besatzermacht (Janssen 1998, 193).             emanzipation im frühen Christentum (2. Aufl.). Münster/
    Mit dem geisterfüllten Simeon und der Pro-       Hamburg/London: LitVerlag.
phetin Hanna werden uns alternde Menschen als        Jensen, A. (2006): Reiche Witwen – arme Jungfrauen?
                                                     Geld und weibliche Diakonie in der Antike. In: Sigrist,
angesehene RepräsentantInnen der Gemeinde,
                                                     Ch. (Hrsg): Diakonie und Ökonomie. Orientierungen im
als aktive, theologisch und politisch Sprechende     Europa des Wandels (S. 85–106) Zürich: Theologischer
geschildert. Mit dem Blick auf explizit genannte     Verlag Zürich.
80

                                                             Reinhardt Schwarzenberger
Zeitschrift für Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge

                                                             Die Pieta – eine noch junge
                                                             Frau und ihr alter Sohn?
                                                                  Heute ist in unserer Pfarrkirche die Ehejubi-
                                                             läumsmesse. Der Organist lässt die Orgel brau-
                                                             sen, der Kirchenchor singt feierliche Lieder, eine
                                                             Schar Ministranten umschwirrt den sichtlich gut
                                                             gelaunten Herrn Pfarrer und seinen Adlatus. Es
                                                             ist eine würdevolle, feierliche Stimmung. Gekom-
                                                             men ist eine große Anzahl an Ehepaaren. Von                     Foto: Bettina Spari, Hitzendorf
                                                             durchaus noch jugendlich bis schon sehr betagt.
                                                             Der Herr Pfarrer hat für die Lesung und seine        ein Paar zu erkennen glaubt als Mutter und Sohn.
                                                             Predigt einen Abschnitt aus dem Hohen Lied der       Ich weiß wohl, dass die Darstellung Mariens als
                                                             Liebe gewählt. In bereden Worten spannt er den       ewig Jungbleibende gewollt und üblich ist. Trotz-
23. Jahrgang | Nr. 90 - Oktober 2018

                                                             Bogen von der jungen Liebe bis zur Liebe über        dem drängt sich mir die Frage auf, warum wird
                                                             den Tod hinaus. Wir, Maria und ich, sitzen, als      Maria nicht als altersentsprechende Mutter dar-
                                                             auch schon vergoldetes Ehepaar, so, dass wir die     gestellt? Warum darf sie nicht in ihrer Trauer als
                                                             Pieta direkt vor Augen haben. Es ist ein Werk des    reife Frau bemerkt werden. In der damaligen Zeit
                                                             Grazer Kirchenbildhauers Hans Gschiel (1821 –        hat sie schon längst die allgemeine Lebenserwar-
                                                             1908) aus dem Jahre 1866 im historistischen Stil.    tung überschritten? Heute werden in der Wer-
                                                             Maria beweint ihren toten Sohn. Die große Tra-       bung die stets jung bleibenden Alten präsent, die
                                                             gik, wenn Kinder vor den Eltern sterben. Kaum in     eine lange Teilnahme an der Konsumgesellschaft
                                                             Worte zu fassen. Im Vergleich mit den anwesen-       garantieren sollen. Ist es nur die Aversion gegen
                                                             den Paaren und der Pieta wird mir, je länger ich     das stete Werbegeriesel oder denke ich einfach
                                                             nun schaue, umso klarer: die Darstellung der Mut-    falsch und einbahnig? Da bleibt mir wohl eine
                                                             ter Maria ist so jugendlich schön, sodass man eher   Frage offen.                                   •

                                                             Johann Pock                                          terschiedlich – zwischen einem zurückgezogenen
                                                                                                                  Leben, das ganz Gott geweiht ist – und einem to-
                                                             Die Heilsmittel des Christen­                        talen Einsatz aller Kräfte im Dienste der anderen
                                                             tums. Beichte und Kranken­                           ist viel Spielraum. Zu den zentralen „Heilsmit-
                                                                                                                  teln“, die die Kirche anzubieten hat, gehören die
                                                             salbung – und die Sorge umd                          Sakramente. Seelsorge aus Sicht der Sakramente
                                                             das Heil des Menschen                                ist dann nicht nur Sorge um das ewige Seelenheil,
                                                                 Im Zentrum des christlichen Glaubens geht        sondern genauso Sorge um das leibliche Wohl der
                                                             es um das „Heil“ – um das Heilsein der Men-          Menschen. Ich möchte im Folgenden einige ak-
                                                             schen und der Seelen. Dass dieses Heil jedoch        tuelle Zugänge zu zwei Sakramenten aufzeigen,
                                                             auch mit konkreter Heilung an Leib und Seele         die sich spezifisch um das Heilwerden bemühen
                                                             zu tun hat, wurde und wird häufig übersehen.         – das Sakrament der Versöhnung (Beichte) und
                                                             Die Wege zu diesem Heilwerden sind sehr un-          die Krankensalbung.
Zum Thema – Dynamisch (kreativ und genussvoll) altern                                                 81

1. Das Sakrament der Versöhnung – zum Heil-            nach Möglichkeiten des Umgangs mit der per-
werden des ganzen Menschen                             sönlich erfahrenen Schuld. 5
    Angebote zur Lebensbewältigung, gerade in              Buße und Versöhnung wird verstärkt als Pro-
schwierigen Situationen, zu bieten, das gehört         zess, als Weg verstanden, und weniger als einmali-
zum innersten Kern von Religionen. Habermas            ger Akt, wo man sich beim Priester die Absolution
gesteht zu, dass gerade religiöse Weltbilder „hin-     holt. Dabei nimmt man auch die Erkenntnisse
reichend differenzierte Ausdrucksmöglichkeiten         aus therapeutischen Prozessen ernst. 6 Dennoch
und Sensibilitäten für verfehltes Leben, für gesell-   gibt es auch weiterhin ein Bedürfnis nach der Zu-
schaftliche Pathologien, für das Misslingen indi-      sage der Sündenvergebung. Und hier liegt auch
vidueller Lebensentwürfe und die Deformation           ein großer Schatz der Kirche: Denn die Zusage
entstellter Lebenszusammenhänge“ bewahrten. 1          „Deine Schuld ist dir vergeben!“ kann kein Thera-
Nun stimmt es ja, dass die Sorge um das „ver-          peut machen. Auch christlich kann nur von Gott
fehlte Leben“ zu den Kernpunkten christlicher          her Vergebung zugesprochen werden – als Gnade,
Seelsorge im Verlauf der Jahrhunderte gehört hat       die auch noch das umfasst, wo wir menschlich
– so sehr, dass Seelsorge und Beichtsorge beinahe      nicht vergeben können. 7 Hier wird das Heil ge-
deckungsgleich verstanden wurden.                      öffnet auf das, das unser menschliches Vermö-
    Herbert Haslinger versteht Sakramente als          gen übersteigt.
„befreiende Deutung von Lebenswirklichkeit“ 2;
                                                       2. Die Krankensalbung – Stärkung in der
und er entfaltet (ausgehend von Karl Rahner) ei-
nen mystagogischen Zugang zu den Sakramenten           Krankheit und Hoffnungsanker im Sterben
mit den pastoralen Handlungsprinzipien Wert-                Die Versöhnung in Form einer Beichte ist

                                                                                                            23. Jahrgang | Nr. 90 - Oktober 2018
schätzung, Echtheit, Empathie, Alltäglichkeit, Be-     nach katholischem Verständnis vor allem an ei-
freiung und universale Solidarität. 3 Im Sakrament     nem Punkt des Lebens unumgänglich: in Verbin-
begegnen sich dabei göttliche und menschliche          dung mit der Krankensalbung, und hier vor allem
Wirklichkeit.                                          in Todesnähe. Hier begegnen sich die beiden Sa-
    Gerade dieser anthropologische Ansatz öff-         kramente, die unmittelbar mit dem auch physi-
net das Verständnis von Buße und Versöhnung            schen und psychischen Heilwerden des Menschen
weit über die Einzelbeichte hinaus. Und nur in         zu tun haben. Schon in den neutestamentlichen
diesem anthropologisch geweiteten Verständnis          Gemeinden und bei Jesus selbst gehören beide
kann das Bußsakrament auch zu einem Heilssa-           Heilungen zentral dazu – oft verbunden mit kör-
krament in diesem Leben werden. Zurecht meint          perlichen Berührungen. Auch die Krankensal-
                                                                                                            Zeitschrift für Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge

Jakobs: „Das Sakrament der Buße und Versöh-            bung bedarf eines behutsamen Umgangs: „Das
nung kann dann sein reiches Potenzial wieder           Sakrament der Krankensalbung setzt an die Stelle
entfalten, wenn der Anschluss an echte Schuld          geschwätziger Vertröstung die Geste der Behut-
und an biografische Herausforderungen gelingt.         samkeit. Die Basissymbolik seiner ,materia‘ – die
Es geht darum, überzeugende sprachliche Mög-           Salbung von Stirn und Händen – nimmt wohltu-
lichkeiten zu finden: das ‚eine Wort‘, das ‚meine      end darauf Rücksicht, daß es Menschen schwer
Seele gesund‘ macht, wie wir vor der Kommunion         fällt, am Krankenbett die richtigen Worte zu fin-
beten. Es geht darum, bedeutungsvolle Zeichen          den. Sie fordert und fördert etwas anderes: Un-
und Symbole zu finden. Dieses Unternehmen              aufdringlichkeit und Feinfühligkeit“ 8. Ottmar
kann nur dann gelingen, wenn der Mensch in             Fuchs bezeichnet es als „Sakrament in der Not“ 9
seinen positiven Ressourcen wahrgenommen und           – und plädiert dafür, auch den Aspekt der „Letz-
die biblische Zusage im Ritual erlebbar wird.“ 4       ten Ölung“ nicht ganz zu vergessen. Denn ne-
Denn die Menschen sind nicht dem viel zitier-          ben dem wichtigen therapeutischen (und zumeist
ten „Unschuldswahn“ verfallen, sondern suchen          „diesseitigen“) Verständnisses der Krankensal-
82                                   Zum Thema – Dynamisch (kreativ und genussvoll) altern

                                                             bung als eine Stärkung der Hoffnung und der          ziskus sieht zu Recht die Gefahr, dass die Men-
Zeitschrift für Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge

                                                             Heilungskräfte – denn es geht eben um mehr,          schen heute in ihrer spirituellen Suche den Durst
                                                             auch um das „Heil der unbedingten Gnade Got-         „ohne Leib und ohne Einsatz für den anderen“
                                                             tes dem sündigen Menschen gegenüber und über         stillen. Die Kirche hat daher dieser spirituellen
                                                             den Tod hinaus“ 10. Gerade in der Phase des Ster-    Suche leibhaft, konkret, im Einsatz aller Kräfte
                                                             bens kann dies ein Hoffnungsanker sein, der über     zu begegnen – und nicht in einer „spiritualisti-
                                                             die Schwelle des Todes helfen kann.                  schen“ Weltabkehr oder Weltverleugnung. Viel-
                                                                 Vor allem an der Krankensalbung wird das         mehr hat die kirchliche Seelsorge so zu agieren,
                                                             sichtbar, was für alle Sakramente gilt: „den Ein-    dass sie die Menschen „heilt, sie befreit, sie mit
                                                             bruch des Heils in das Unheil“ 11 – und gerade in    Leben und Frieden erfüllt und die sie zugleich
                                                             dieser immer wieder unheilen und auch unheili-       zum solidarischen Miteinander und zur missi-
                                                             gen Welt gibt es die Möglichkeit, Gott zu begeg-     onarischen Fruchtbarkeit ruft“ (so in seiner En-
                                                             nen – denn es gibt nichts, das aus der (liebenden)   zyklika Evangelii Gaudium 89). Die Heilssorge
                                                             Beziehung mit Gott herausfällt.                      gehört wesentlich zum Christsein dazu – und sie
                                                                 Gerade angesichts von Krankheiten und Situ-      wird (nicht zuletzt durch Neuorientierungen der
                                                                                                                  beiden Sakramente Beichte und Krankensalbung)
23. Jahrgang | Nr. 90 - Oktober 2018

                                                             ationen, die nicht heilbar sind, ist es umso not-
                                                             wendiger, das „Unmögliche“ zu feiern – dass          aktuell verstärkt verbunden mit einer ganzheitli-
                                                             Krankheit und Tod nicht das letzte Wort ha-          chen Sicht auf den Menschen. Hier könnten die
                                                             ben; dass es eine religiöse Hoffnung gibt – einen    unterschiedlichen Disziplinen, die sich um das
                                                             „grundlosen“ Gott. Die sakramentalen Feiern und      Heil-Werden des Menschen sorgen, vermehrt ins
                                                             die Pastoral der Kirche können hier auch „jenseits   Gespräch kommen.                               •
                                                             menschlicher Antwortversuche und Lösungsstra-
                                                             tegien in letztlich unbewältigbaren Situationen          Fußnoten:
                                                             von Scheitern, Verzweiflung und Tod“ 12 gerade
                                                                                                                  1
                                                                                                                    Jürgen Habermas, Zwischen Naturalismus und Religion,
                                                                                                                  Frankfurt a. M. 2005, 115.
                                                             mit ihren Ritualen einen Horizont eröffnen für       2
                                                                                                                    Herbert Haslinger, Sakramente – befreiende Deutung von
                                                             das Heil, das jenseits des Unheils liegt.            Lebenswirklichkeit, in: Ders. (Hg.), Handbuch Praktische
                                                                                                                  Theologie Band 2: Durchführungen, Mainz 2000, 164-184.
                                                             3. Seelsorge – nicht nur Seelenheil,                 3
                                                                                                                    Vgl. Haslinger, Sakramente, 172f.
                                                             sondern auch Leibsorge 13
                                                                                                                  4
                                                                                                                    Monika Jakobs, Heilende Zumutung: Buße und Versöh-
                                                                                                                  nung, in: Katechetische Blätter 37 (2012,2), 9-22, hier: 22.
                                                                 In der Sakramentenpastoral der Kirche geht es    5
                                                                                                                    Müller, Wunibald, Schuld und Vergebung. Befreit leben,
                                                             zumeist um die äußerlichen Formen der Feier und      Freiburg 2010, 70f.
                                                                                                                  6
                                                                                                                    Vgl. z.B. Stauss, Konrad, Die heilende Kraft der Verge-
                                                             um die Feier selbst. Selten kommen jedoch die
                                                                                                                  bung. Die sieben Phasen spirituell-therapeutischer Verge-
                                                             anthropologischen Gegebenheiten zur Sprache,         bungs- und Versöhnungsarbeit, München 2010.
                                                             die meines Erachtens aber zentral zur Seelsorge      7
                                                                                                                    Vgl. dazu sehr schön: Ottmar Fuchs, Sakramente – im-
                                                             dazugehören. So bringt jüngst Papst Franziskus       mer gratis, nie umsonst, Würzburg 2015, besonders 99-
                                                                                                                  124 zu „Beichte und Sühne“.
                                                             die Bedeutung der Leiblichkeit und des ganz-         8
                                                                                                                    Hans-Joachim Höhn, spüren. Die ästhetische Kraft der
                                                             heitlichen Heil-Werdens immer wieder ins Ge-         Sakramente, Würzburg 2002, 100.
                                                             spräch, wie z.B. in seiner Enzyklika Laudato Si:     9
                                                                                                                    Vgl. Ottmar Fuchs, Sakramente – immer gratis, nie um-
                                                                                                                  sonst, Würzburg 2015, bes. 157-179.
                                                             „Wir entfliehen nicht der Welt, noch verleugnen      10
                                                                                                                     Ebd., 157.
                                                             wir die Natur, wenn wir Gott begegnen möch-          11
                                                                                                                     Ebd., 174.
                                                             ten.“ (LS 235) Gottesbegegnung und Heilwer-          12
                                                                                                                     Ebd., 177.
                                                             den geschieht hier nicht primär durch Askese,        13
                                                                                                                     Vgl. dazu Johann Pock, Leibsorge als Seelsorge. Das
                                                             durch das Ablegen alles Materiellen, durch Ver-      Seelsorgeverständnis von Papst Franziskus, in: Barmher-
                                                                                                                  zigkeit und zärtliche Liebe. Das theologische Programm
                                                             leugnung des Körperlichen – sondern gerade im        von Papst Franziskus, hg. v. Kurt Appel / Jakob Helmut
                                                             Physischen, in der leibhaften Schöpfung. Fran-       Deibl, Freiburg: Herder 2016, 231-246.
Zum Thema – Dynamisch (kreativ und genussvoll) altern                                                   83

Karl Furrer                                           als spätes Erwachsenenalter oder Reife bezeich-
                                                      net. Die Entwicklungsaufgabe dieser letzten Le-
Erikson – Der letzte Lebens­                          bensphase besteht darin, Ichintegrität sowie ein
zyklus: Versöhnung                                    Minimum an Verzweiflung zu entwickeln.4 „Ich-
                                                      integrität nun bedeutet, dass man mit seinem Le-
     Der Nuklearphysiker Hans Widmer nennt            ben ins Reine kommt und damit auch mit dem
wichtige Lebensphasen: „Der Mensch muss... auf-       Ende des eigenen Lebens zurechtkommt. Wenn
wachsen, werden, sich einfügen, lieben, Abschied      man in der Lage ist, zurückzuschauen und den
nehmen.“ 1 Abschied nehmen als Lebensaufgabe          Lauf der Dinge zu akzeptieren, die Entscheidun-
heisst zurückblicken auf das eigene Leben: Was        gen, die man getroffen hat, das eigene Leben, so
ist gelungen, wie habe ich Krisen überstanden,        wie man es gelebt hat, wenn man erkennt, dass
was bereue ich, was hat meinem Leben Sinn ver-        alles notwendig und gut, so braucht man den Tod
liehen? Ein schönes Beispiel eines geglückten Le-     nicht zu fürchten.“ 4 Wie tragisch es ist, wenn die
bensabschlusses fand sich in einer Todesanzeige:      Versöhnung mit dem eigenen Leben nicht ge-
„Als der Kreis immer enger geworden, die alten        lingt, sondern Verzweiflung überhand nimmt,
Freundinnen immer weniger, und als die Kräfte         zeigt eine Begebenheit, die der Theologe Ulrich
schwanden mehr und mehr – da sagtest Du: Jetzt        Knellwolf beschreibt: „Bei einem sehr starken Be-
ist es gut.“ Die letzte Lebensphase positiv gestal-   rufskollegen hätte ich darauf gewettet, dass er ein-
ten bedeutet, seine Taten annehmen um sich mit        mal getrost und unangefochten sterben würde.
seinem Leben, wie es auch immer verlaufen ist, zu     In seinen letzten Lebenswochen im Pflegeheim
versöhnen. Es geht darum, zu seinem Leben „Ja“        besuchte ich ihn jeden Tag. Er sass verschüch-

                                                                                                              23. Jahrgang | Nr. 90 - Oktober 2018
sagen zu können. In einem Interview zu ihrem          tert in einer Ecke des Zimmers, mit einem fast
Buch „Spurensuche“ äussert sich die Schriftstel-      wahnsinnigen Blick, und vernichtete sein gan-
lerin Klara Obermüller: „Ich habe gelernt, Unzu-      zes Lebenswerk mit den Worten: ‚Es ist alles ein
länglichkeiten als Teil des Lebens zu akzeptieren.    grosser Beschiss.’“ 5
Beim Schreiben habe ich gemerkt, dass ich trotz           Pfarreien und Seelsorger können mithelfen,
allen Irrungen und Wirrungen zu mir und mei-          dass ältere Menschen zu ihrem Leben „Ja“ sagen.
nem Leben Ja sagen darf. Ich bin mit mir einiger-
                                                      Altersnachmittage mit frohen Runden, Vorträge,
massen im Reinen, auch wenn ich im Nachhinein
                                                      Einkehrtage oder ein Ausflug führen sie zusam-
sicher gewisse Dinge anders machen würde“. 2
                                                      men und fördern das gemeinsame Gespräch.                Zeitschrift für Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge
    In der Philosophie hat sich eine Ethik ent-       Denn „ältere Menschen sind keine Inseln. Die
wickelt, die untersucht, „wie man auf eine gute,      Entwicklung der Intelligenz, die geistige Fitness
glücklich-gelungene Weise altert.“ Es handelt sich    hängt mit dem kognitiven Input und den Anre-
dabei um eine Lebenskunst: „Gemeint ist nicht         gungen der Umwelt zusammen“ 6. Dabei sollen sie
jene Fähigkeit raffinierter Egoisten, aus jeder Si-   sich in der Pfarrei und bei den Anlässen willkom-
tuation Vorteile für sich herauszuschlagen, son-      men fühlen. Als Seelsorger habe ich erfahren, wie
dern die Fähigkeit und Bereitschaft, sein eigenes     bedeutsam Besuche im Spital oder zuhause sind.
Wohl im Rahmen von Gerechtigkeit und Fair-            Es ist wichtig, sich Zeit zu nehmen und zuzuhö-
ness zu suchen.“ 3                                    ren, wenn ältere Menschen aus ihrem Leben er-
    Erik Erikson vertritt, dass wir uns durch eine    zählen. Bei einem Besuch im Altersheim wirkte
festgelegte Entwicklung unserer Persönlichkeit        eine 99 jährige Frau sehr traurig; sie erzählte, alle
in acht Stadien entwickeln, wobei jede Stufe be-      ihre Kinder seien gestorben und sie stehe nun al-
stimmte Entwicklungsaufgaben psychosozialer           leine da. Der Frau zuhören, sich in ihre Situation
Natur umfasst. Die achte Stufe oder Phase wird        einfühlen, ihre Hand halten, ein Gebet sprechen
84                                    Zum Thema – Dynamisch (kreativ und genussvoll) altern

                                                                                                                  leise „Danke, danke, danke“ und verschied. Doch
Zeitschrift für Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge

                                                                                                                  wie können wir Menschen begegnen, die im Bett
                                                                                                                  liegen und nicht mehr ansprechbar sind? Eine et-
                                                                                                                  was seltsame Situation ergab sich bei einer krebs-
                                                                                                                  kranken Frau kurz vor ihrem Tod. Ihr Mann hat
                                                                                                                  mich zu ihr gerufen. Sie war dem Bett ihres Man-
                                                                                                                  nes zugewandt. Ich fragte ihn um Erlaubnis, mich
                                                                                                                  in sein Ehebett zu legen. „Mach, was meiner Frau
                                                                                                                  hilft.“ So lag ich nun der Frau zugewandt im Ehe-
                                                                                                                  bett und hielt ihre Hände. „Musst Du nicht noch
                                                                                                                  beten“, warf der Mann ein und brachte ein kleines
                                                                                                                  Büchlein mit den Psalm-Gebeten. Da lag ich nun,
                                                                                                                  betete Psalmen und hielt tröstend ihre Hände, bis
                                                                                                                  sie das Leben liess.
                                                                   © RE-CREATION Archiv – Foto: F. Feiner
                                                                                                                      Ein Satz der Dichters Adelbert Stifter hat mich
23. Jahrgang | Nr. 90 - Oktober 2018

                                                                                                                  stets als Seelsorger begleitet und ist inzwischen
                                                             kann hilfreich sein. Schön ist, wenn bei Besuchen    für meine eigene Ichintegration wegweisend ge-
                                                             erfahren wird, dass die Person ihre Ichintegration   worden: „Und Gott fügt die Dinge und es wird
                                                             abgeschlossen und ihr Leben angenommen hat,          gut sein.“ 7                                     •
                                                             wie das Beispiel eines ehemaligen Automechani-
                                                             kers zeigt. Beim Gespräch war er stets offen und
                                                                                                                  Karl Furrer ist Religionspädagoge, Erwachsenen-
                                                             erzählte manche Episode aus seinem Leben. Beim
                                                                                                                  bildner und Seelsorger
                                                             letzten Besuch wünschte er, mit mir ein Glas Wein
                                                             zu trinken, wohl aus Dankbarkeit. Es war eine der
                                                                                                                      Fußnoten:
                                                             eindrücklichsten Begegnungen mit einer Person,       1
                                                                                                                      Hans Widmer, Neue Zürcher Zeitung, 15.9.2018
                                                             die auf den Tod gefasst ist. Die Woche darauf las    2
                                                                                                                   Klara Obermüller, Als Adoptivkind war ich orientie-
                                                             ich die Todesanzeige von ihm.                        rungslos, Internet
                                                                 Der Glaube an Gottes Barmherzigkeit, an          3
                                                                                                                      Otfried Höffe, Neue Zürcher Zeitung, 24.8.2018
                                                             seine Bereitschaft den Menschen mit seinen Wir-
                                                                                                                  4
                                                                                                                   Erik H. Erikson, Identität und Lebenszyklus, Buchclub
                                                                                                                  Ex Libris, Zürich
                                                             rungen anzunehmen kann zum tragenden Funda-          5
                                                                                                                   George Boeree, Persönlichkeitstheorien – Erik Erikson;
                                                             ment für die Versöhnung mit dem eigenen Leben        Internet
                                                             im Alter werden. Dies habe ich recht drastisch       6
                                                                                                                      Ulrich Knellwolf, Neue Zürcher Zeitung, 14.8.2018
                                                             beim Besuch einer Frau im Spital erlebt. Sie zwei-   7
                                                                                                                      Hans-Werner Wahl, NZZ am Sonntag, 13.3.2018
                                                             felte an der Existenz Gottes in ihrem Leben. Bei
                                                             mehreren Besuchen gelangten wir zu einem ver-
                                                             trauensvollen Gespräch. Einige Wochen später
                                                             wurde ich zu ihr nach Hause gerufen. Sie lag in
                                                             ihrem Bett und rang mit dem Sterben. Sie fragte
                                                             mich: „Und was kommt jetzt“? Ich habe ihr die
                                                             beiden Gleichnisse aus dem Lukasevangelium
                                                             vom verlorenen Schäfchen und der Münze er-
                                                             zählt und ihr gesagt, dass sie mit dem Verloren-
                                                             gegangenen gemeint sei und Gott auf der Suche
                                                             nach ihr ist und sie willkommen heisst. Sie sagte
Zum Thema – Dynamisch (kreativ und genussvoll) altern                                                85

Doris Tropper                                        einbringen. Erinnerungsarbeit lebt stark vom ge-
                                                     genseitigen Geben und Nehmen. Wer das ver-
Biografiearbeit mit alten                            standen hat, weiß wie bereichernd biografisches
Menschen                                             Erinnern sein kann. Das gelingt aber nur dann,
                                                     wenn wir ohne große Erwartungshaltungen uns
„Wenn nichts mehr bleibt, als nur                    auf ihre/seine Geschichte einlassen, offen sind für
                                                     neue, oft unerwartete Prozesse und uns mit dem
die Erinnerung“                                      auseinandersetzen, was der alten Frau oder dem
    Das mühsame Hervorkramen von Erinnerun-          alten Mann gerade in den Sinn kommt. Alles Er-
gen um jeden Preis ist heute in Mode gekom-          innerte erhebt niemals den Anspruch auf Wahr-
men. In Pflege und therapeutischer Begleitung,       heit und Wirklichkeit, weil es nun einmal nicht
bei Krankheit, Krise und in schwierigen Lebens-      die einzige, echte, authentische Erinnerung gibt.
phasen wird die „Biografiearbeit für alle Le-        Somit öffnet diese Tatsache das Tor zu einer sehr
benslagen“ fast schon zur Modedroge und zum          weiten Spielwiese verschiedenster Möglichkei-
Allheilmittel hochstilisiert. Es wurden ausgeklü-    ten und Methoden, um Erinnerungen zu pflegen
gelte Techniken und Methoden entwickelt, um          und zu bewahren, sie zu sortieren und in einem
den Vergesslichen wieder auf die Sprünge zu hel-     ganz neuen Licht zu betrachten. Der berühmte
fen, damit jedes noch so kleine Detail aus dem       inhaltliche „rote Faden“ zieht sich dabei über
Erinnerungsleben ausgegraben und bearbeitet          Alltagserlebnisse hin zu lebensgeschichtlichen
wird. Mit Ablehnung hingegen begegnen wir dem        Erinnerungen, wobei die Jahreszeiten eine ange-
                                                     messene Symbolik zur Reflexion des Lebensver-
Vergessen, dem auf allen Ebenen unerbittlich der

                                                                                                           23. Jahrgang | Nr. 90 - Oktober 2018
                                                     laufes bieten und auch als Metaphern für das Auf
Kampf angesagt wird. Zu Unrecht, denn auch
                                                     und Ab des Daseins stehen. Die nonverbale Kom-
das bewusste „Vergessenkönnen“, das Loslassen
                                                     munikation als „Sprache der Berührung“ und die
und Verabschieden von Lebensereignissen, die
                                                     Stimulation durch Gegenstände haben in der bio-
einen unangenehmen Beigeschmack in sich tra-
                                                     grafieorientieren Begleitung alter Menschen ih-
gen, erweisen sich an manchen Lebensstationen
                                                     ren Platz und gewinnen mit zunehmendem Alter
als richtig, hilfreich und auch heilsam. Dies gilt
                                                     der KlientInnen immer stärker an Bedeutung.
vor allem für die Biografiearbeit mit älteren und
                                                         Biografiearbeit lebt in erster Linie vom Aus-
sehr alten Menschen.
                                                     tausch und von der Kommunikation, aber auch
   Es braucht viel Einfühlungsvermögen und
                                                     vom Zuhören. Manchmal braucht es einen „Tür-
                                                                                                           Zeitschrift für Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge
Verständnis, um zulassen zu können, dass es auch
                                                     öffner“, eine inhaltliche Anregung, damit die Er-
überlebensnotwendig sein kann, in bestimmten
                                                     innerungen belebt werden können.
Krisen und Lebensübergängen etwas zu ver-
gessen, um neu und unbelastet durchstarten zu        Beispiele dafür:
können. Das schließt jedoch nicht die wichtige
                                                     • Namen, Vornamen und Namenstage. Dahinter
Auseinandersetzung mit allen Schatten der Ver-
                                                       stecken oft Geschichten über Paten und Fami-
gangenheit zur richtigen Zeit aus. Rückschau, Be-
                                                       lienmitglieder.
sinnung und Aufarbeitung können niemals von
                                                     • Die Heimat – wo jemand geboren wurde. Fra-
außen verordnet werden, sondern nur vom alten
                                                       gen nach Ursprungsfamilie, Geschwister und
Menschen selbst bestimmt werden.
                                                       die Kinderzeit.
    Auch darf der Blick zurück kein verklärter
sein, sondern vielmehr eine tragfähige Brücke        • Häuser und Wohnsituationen, die eine prägen­de
in die Zukunft. Die ältere Generation kann da-         Erinnerung hinterließen.
bei ihre Erfahrungen als Potential und Ressource     • Wo und wie wurde die Schulzeit erlebt?
86                                    Zum Thema – Dynamisch (kreativ und genussvoll) altern

                                                             • Wie war die Jugend und wer war die erste große      Großmutters Bluse, Knöpfe aus Silberdraht und
Zeitschrift für Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge

                                                               Liebe im Leben?                                     Perlmutt, mit Seide, Samt und Brokat überzo-
                                                             • Gibt es Erinnerungen an den allerersten             gene, aber auch raue Holz- und schmucke Trach-
                                                               Arbeitsplatz?                                       tenknöpfe. Die bunten Kostbarkeiten haben die
                                                             • Was wurde früher zu Hause gekocht und               Kleidungsstücke überlebt, die sie einst schmück-
                                                               gegessen?                                           ten und in vielen Fällen auch ihre Besitzer. Ein
                                                             • Welche Schwierigkeiten galt es zu meistern?         Erinnerungskoffer hingegen kann alle möglichen
                                                                                                                   Alltagsgegenstände beinhalten, die stimulierend
                                                             • Gab es besonders glückliche, vielleicht aber
                                                                                                                   wirken und zum Erzählen einladen: Bürsten mit
                                                               auch sehr schwierige, belastende Zeiten?
                                                                                                                   unterschiedlichem Borstenmaterial, Kochlöf-
                                                             • Gab es einen Lieblingsort oder einen Lieblings-
                                                                                                                   fel, Töpfe, Teller und Tassen aus Blech, Tücher
                                                               platz im Leben? Wo war dieser und wie sah er
                                                                                                                   in verschiedenen Qualitäten und Stoffen, Klei-
                                                               aus?
                                                                                                                   derschürzen, Kopftücher, Glocken, Werkzeuge,
                                                                  Unterstützend zu allen Fragen eignen sich Bil-
                                                                                                                   Steine, Rinden, Zapfen und vieles mehr. Alle Ma-
                                                             der aus Kalendern oder Bildbänden, Fotos aus
                                                                                                                   terialien und Gegenstände aus dem Umfeld des
23. Jahrgang | Nr. 90 - Oktober 2018

                                                             Fotoalben, Ansichtskarten, Geschichten und
                                                                                                                   alten Menschen oder aus der Natur werden dann
                                                             Zeichnungen aus Büchern, aber auch Lieder, Ge-
                                                             dichte und Gebete. Alte Tanzmusik, die Schlager       als aktive Komponente der Biografiearbeit und
                                                             von gestern und Hörbilder auf CDs verführen zu        als Angebot zum differenzierten Greifen und als
                                                             Erinnerungsreisen in die eigene Vergangenheit.        Anregung zum Berührtwerden durch die Welt
                                                             Alte Menschen biografisch zu begleiten, heißt         eingesetzt.
                                                             auch, sich auf ihre Lebensgeschichte voller Neu-          Nicht zu vergessen sind alle wohltuenden,
                                                             gierde und Unvoreingenommenheit einzulassen.          angenehmen Düfte, die Erinnerungsspuren be-
                                                             Eine gute Möglichkeit, um einen neuen, anderen        leben und Bilder aus der Vergangenheit hervor-
                                                             Zugang zu bekommen, ist es, sich die Geschichte       zaubern: Orange, Lavendel, Zimt, Lindenblüten,
                                                             ihrer/seiner Hände erzählen zu lassen und zwar        Gewürznelken, das erste Parfum, Apfelkompott,
                                                             durch Worte, Wahrnehmungen und auch Berüh-            Zwetschkenfleck ... In der Schatzkiste des Le-
                                                             rungen. Respekt vor Lebensraumgrenzen und vor
                                                                                                                   bens haben unendlich viele Erinnerungen Platz.
                                                             dem Rhythmus der/des anderen sind dabei un-
                                                                                                                   Es genügt schon, wenn durch einen Impuls nur
                                                             abdingbare Voraussetzungen. Berührungen be-
                                                                                                                   eine einzige Erinnerungsspur den Weg aus dem
                                                             deuten oftmals auch die Begegnung mit der Welt;
                                                                                                                   Dunkel ins Licht der gegenwärtigen Betrach-
                                                             sie wirken tröstend, anregend, beruhigend, geben
                                                                                                                   tung findet.                                •
                                                             Halt und machen Körpergrenzen spürbar. Das
                                                             ist für sehr alte Menschen von Wichtigkeit, die
                                                             durch altersbedingte Einbußen oder Krankhei-          Doris Tropper, Trainerin, Journalistin, Buchauto­
                                                             ten ein großes Defizit in der Wahrnehmung ih-         rin, ist Mitbegründerin der Hospizbewegung in
                                                             rer Lebensumwelt haben.                               Österreich.
                                                             Besonders gut lassen sich Erinnerungsspuren
                                                                                                                    Literatur:
                                                             durch Gegenstände beleben:
                                                                                                                   Tropper, D. (2014): Die Schätze des Lebens. Das Hand-
                                                                 Die gute alte Knopfschachtel hatte früher ih-     buch der bewussten Erinnerung. München: mvgverlag
                                                             ren Platz im oberen Fach des Wäschekastens und
                                                                                                                   Tropper, D. (2016): Das Spiel mit der Identität. Biografie-
                                                             war ein kleines Museum der persönlichen Erin-         arbeit am Beispiel faszinierender Persönlichkeiten. Mün-
                                                             nerungen. Darin fanden sich weiße Perlen von          chen: Komplettmedia
Zum Thema – Dynamisch (kreativ und genussvoll) altern                                             87

Anita Ulz                                           fahrungen werden ernst genommen und stehen
                                                    gelassen. Dann, wenn Menschen Schritte wei-
Seelsorge und Spiritualität im                      tergehen möchten, können wir ermutigen, die
Krankenhaus und ihr Beitrag                         erlebten Verletzungen zu erinnern und durch-
                                                    zuarbeiten. Anerkennen und betrauern gilt als
zu einem „dynamischeren“                            Voraussetzung zum Finden neuer Hoffnungen.
gelingendem Altern.                                 Sich auf Gott verlassen
Sich einlassen, zulassen                                 Seelsorge als „Heilsdienst“ der Kirche gilt
                                                    nicht exklusiv für Krankenhäuser, darf aber dort
    „Ihr Blick ist auf den Tisch ihres Lehnstuhls
                                                    im Besonderem gelebt werden, denn in der Brü-
gerichtet, an dem sie mit gebeugten Körper sitzt,
                                                    chigkeit der menschlichen Existenz, im plötzli-
während sie unverständliche Worte vor sich hin
                                                    chen, unfreiwilligem Auftreten einer Krankheit,
stammelt. Die Krankenschwester versucht wäh-
                                                    gilt das Angebot des Lebens, sich fragend mit den
rendessen, sie mit Brei zu füttern. Dann legt sie   Tiefenschichten der Seele und damit auch mit
ihren Kopf in ihre Hände und erstarrt im Blick.     dem „Seelengrund“, der göttlichen Existenz ausei-
Ich besuche fünf Patientinnen in ihrem Zimmer       nanderzusetzen. In der plötzlichen Not, kann sich
und komme zuletzt an ihren Rollstuhl. Immer         der Mensch „verlassen“ fühlen. In diese Verlas-
noch hat sie ihr Haupt gesenkt auf den Tisch ru-    senheit, dürfen wir SeelsorgerInnen, (sofern uns
hend. Als ich sie namentlich anspreche und ihr      PatientInnen dazu einladen) eintreten, bewusst
meine Hand reiche, sieht sie mich mit großen Au-    und getragen, indem wir uns auf die zweifache
gen an. Dann erzählt sie mir in deutlich klaren     Bedeutung dieses Wortes „verlassen“ einlassen,

                                                                                                        23. Jahrgang | Nr. 90 - Oktober 2018
Worten ihre Lebensbilanz und verabschiedet sich     nämlich, uns sichtlich als Werkzeuge Gottes zu
mit Worten, die mir zu Herzen gehen: „Danke,        begreifen und uns auf diese uns begleitende Wirk-
dass sie mich nicht übersehen haben.“               lichkeit zu verlassen. Vielleicht können wir nur
    Seelsorge ist im Sinne Jesu vom „sich einlas-   so ein Stück des Weges mit den Leidenden mitge-
sen“ auf die Begegnung mit dem konkreten Men-       hen, weil es durch uns als Person 1„hindurchklin-
schen geprägt. Dies impliziert den Anspruch, den    gen“ darf. Freilich sind wir dabei immer zwischen
anderen als den Anderen (Levinas) wahrzuneh-        Anspruch und Wirklichkeit im Fragment unse-
men, ernst zu nehmen, sich möglicher Urteile        res Seins herausgefordert, horchend der Autori-
bewusst zu werden und diese loszulassen. Wir        tät 2 Gottes Raum zu geben.
SeelsorgerInnen kommen mit leeren Händen.
                                                                                                        Zeitschrift für Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge

Wir kommen ans Krankenbett, gleichsam als Ein-      Heil werden von innen, geborgen im
ladung, dass die Menschen nicht mit uns gehen       Unaussprechlichem
(müssen), sondern dass wir als von Jesus moti-          Eingebettet in verschiedenen Formen der Ge-
vierte Menschen, in der Wahrung ihrer Freiheit,     sprächsführung, der Begleitung und Beratung, die
zuerst mit ihnen gehen. Wir setzen uns horchend     über ihren unmittelbaren Anlass und Zweck hin-
(nicht wissend) zu den Leidenden und Verzwei-       ausgeht, kann der betroffene Mensch von innen
felten und treten begleitend in ein Gespräch ein.   her, die aufbauende, befreiende und tröstende
Lebensbilanz, Biographie, manchmal nie zuvor        Heilszusage Gottes erschließen, indem wir unse-
ausgesprochene Verwundungen können hier zum         ren Gesprächspartnern Perspektiven und Hand-
Ausdruck kommen. So wie es Erich Fried for-         lungsräume aufzeigen, die sie noch gar nicht
muliert „sein Unglück ausatmen können“, Raum        entdeckt haben. Immer wieder fragen mich Pati-
geben, dem bisher Unausgesprochenen, aber           enten, ob mich die Begegnung mit dem Leid nicht
dennoch dem Belasteten: Schmerz ausdrücken,         zu sehr „herunterziehen“ bzw. traurig machen
ans Licht bringen wider das Verdrängen. Die Er-     würde. Für mich selbst erlebe ich ein beständi-
Sie können auch lesen